Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 30, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    «—j J
Das Ulanenrbschm
Manöver - Episode von Turmkn
«Nein Emilie, das paßt sich nicht.
Es paßt sich durchaus nich-t. Stelle Dir
nur »vor, was die Menschen sagen wür
den, wenn sie hörten, Pastors Röschen
nnd ihre Freundin Emilie hätten al
lein mit einem Lieutenant gespeist.«
»So klingt es freilich sonderbar.
Wenn man aber bedenkt, daß die Ein
quartierung plötzlich angesagt wurde,
daß der Quartiermacher ausdrücklich
betont hat, der Herr Lieutenant sei,
weil kein ordentliches Wirthshaus im;
Dorfe ist, bon- den Quartiergebersn zu
derpflegen, und daß Dein Vater vorj
morgen Abend nicht zurücktommen
kann, so lautet die Sache doch ganz?
anders.« :
»Du vergißt vollkommen, so Einer
ist im Stande und wird zudtinglich.««
.Liebes Nöschem da sieht man-, zu
welch’ sonderbaren Anschauungen Dich
Dein einsames Leben auf dem Dorfe
gebracht hat. Jn unserem Städtchen
hättest Du bald erkennen gelernt, daß
von Zudrsirglichkeiten der Offiziere ge
gen Damen keine Rede sein kann.«
sPlößlich schoben sich einige Blätter
der Gaisblattlaube auseinander, eine
Ulanentschapkch darunter der hübsche
Kopf eines Offiziers erschienen und
eine sonore Stimme bemerkte: »Pra
vo. bravo! Welcher der Damen darf
ich denn meinen Dank aussprechen,
daß sie für die Ehre der Ulanen-Lieu
tenants eine Lanze gebrochen?"
Das überraschende Aufrauchen des
Offiziers wirkte wie das Einschlagen
eines Blitzes auf beide Mädchen. Rös
chen Schilling ließ die Häkelei aus der
Hand fallen unsd flog in die hinterste,
von dem Offizier entfernteste Ecke der
Laube. Emilie Karten ließ ebenfalls
einen leichten Aufschrei hören, blieb
aber ruhig sitzen und fragte ziemlich
barsch: »Wer sind Sie denn und wie
kommen Sie denn hierher?«
Der Offizier schob nun einen Arm
durch die Zweige, grüßte militärisch
respektvoll und erwiderte: »Mein Na
me ist von Tollberg. Jch bin nach dem
Pfarrhaus gewiesen worden, um da
selbst einquariiert zu werden, kam den
Wiesentveg vorn Dorf herauf, vernahm
in der Laube Stimmen, wollte mich
nach dem Eingang in den Pfarrhaus
garten erkundrgen, wurde dadurch un
beabsichtigter Zeuge des Gespräches
der beiden Damen und freute mich sehr,
daß eines der beiden Fräuleins unsere
Vertheidigrrng übernahm. Dieser möch
te ich gern meinen Dank aussprechen.«
»Gut, Herr von- Tollberg Das
können Sie bei Tische thun· Da Sie
ja im Pfarrhaus mit Verpflegung ein
quartiert sind, bitten wir Sie in ein-er
Stunde an unserem Mittagessen theil
gietxoehmen Du bist doch einverstan
, Röschm ?«
Was wollte das arme Mädchen, das
vor lauter Bebegenheit gar nicht wußte,
wo es hinsehen sollte, machen? Ganz
schüchtern kam ein- leises: »Ach ja,«
aus ihrem Munde, und dann überließ
Röschen ihrer weltgetvandten Freun
din alles Weitere. Letztere bemerkte
noch kurz: »Als-o um 2 Uhr, Herr
von Tollberg Wenn Sie um die linke
Ecke des Zaunes gehen und dann bis
zum Stalle vorschreiten, finden Sie
eine Thür in den Garten, durch die
Sie eintreten können. Auf Wieder
schssxs —. .
Die Zeit zum Mittagessen kam
schneller heran, als Röschen gedacht
hatte. Freilich schlug ihr das Herz
immer lebhaften und als Punkt 2 Uhr
der Lieutenant anklopfte, dann die
Thür öffnete und sporenklirvend in die
Eßsiube trat, schoß ihr alles Blut in
den Kopf, und sie war nicht im Stan
de, nur ein einziges Wort der Begrü
ßung zu sprechen
Mußerst geschickt sprang Emilie
Kanten in die Busche, indem sie be
merkte, sie habe ja in der Laube ver
en, aus die Vorstellung des Herrn
ieutenanis auch ihren Namen zu nen
nen und nun sich und ihre Freundin
vorstellte. Dann wurde ausführlichst
erzählt, daß der Pastor zu einer Ver
sammlung von Geistlichen in dieStadt
reisen mußte und vor dem nächsten
Abend nicht zurückkommen könne.
Man habe auch an gar keine Einquar
tierung gedacht, denn sonst wäre der
Detr Pastor sicher zu Hause geblieben.
»Wi-r selbst wußten heute Vormit
« - tag« noch nicht, daß wir in der hiesigen
Oeg end in ’ö Quartier kommen wür
den,« entgegnete der Offizier. »Die
Wem enKavallerie-Divisioni-Manöver
ver so kriegsmiißig geleitet, daß
Mr ost Nachmittags noch keine Ah
Winden ob wir bitvakiren oder in
f Munementö gekegt werden «
, Unter diesen Gesprächen war der
« sauget-rochen und Riidchen Schil
Mnachoe es, wenn mich noch etwas
» sormgeoerht heraus, daß
Ists-usw sichzu Tisch aus-tm
M nnd nach achwurde die Unterhal
I—
tung besonders zwischen Fräulein
Emilie und dem Osfizier ziemlich leb
haft und auch Röschen Schilling nahm
hie und da daran Theil. Freilich wur
de sie wieder sehr verlegen, als Lieutei
nant von Tollberg richtig errieth, daf
sie heute in der Laube die Ulanenoffi
ziere so schars beurtheilt habe. Schließ
lich wehrte sie sich aber gegen die Recke
reien des Lieutenants ganz eifrig unk
verlor vorübergehend ihre vorherige
Schüchternheit. Jmmer wieder errö
thete sie jedoch bis zu den Ohren, so
bald sie der Offizier etwas länger an
sah, oder wenn er direkt eine Frage an
sie richtete. Und doch that er es so
gern. Sie sah in ihrer Verlegenheit
auch zu niedlich aus. Aus den« durch
das Leben in der großen Garnison und
den Umgang mit den weltersahrenen
gewandten Damen der Gesellschaft
sehr verwöhnten .jungen Manns iibte
dieses Pastorentöchterchen einen ganz
eigenen Reiz aus.
So verging die Mahlzeit zur all
gemeinen Zusriedenheit, und mit
Schrecken bemerkte Lieutenant Toll
berg, daß er nun sehr eilen müsse, um
zum vorgeschriebenen Pferdeapvell
rechtzeitig an Ort und Stelle zu fein.
Aus seine bescheidene Frage, ob er denn
auch das Abendbrod mit den Damen
einnehmen dürfe, ertönte von Fräulein
Emilie ein lautes »Selbstvetstiindlich«
und auch Fräulein Röschen antwortete
auf die wiederholte, dirett an sie ge
richtete Frage mit einem leisen »Ge
tnis Soff Division-seit «
i Um 7 Uhr abends traf man sich wie
jder. Die alte Dora hatte Alles In der
kGaisblattlaube sehr ordentlich servirt,
und bald saßen die beiden Mädchen
kund der Ossizier traulich beim Abend
tisch zusammen. Mann sprach unge
nirter als heute Mittag mit einander,
Hund unter Lachen und Scherzen ver
schwand die Schüchternheit von Rös
; chen Schilling so ziemlich. Sie wollte
zwar, als der Offizier die Damen auf
fsorderte, dem morgigen Manöver zu
zufehen, ablehnen, wurde aber von
·Emilie und dem Lieutenant schließlich
·doch überredet, zuzustimmmen. Nun
i beschrieb letzterer den Damen den Weg,
den sie einfchla n müßten, um mor
gen die große gchlußattacke genau zu
«7 heu
5 »?Da werden wir am Ende übertü
ten «
»Das hat gar keine Gefahr, wenn
Sie immer in einer der kleinen Wald
parzellen bleiben, welche sich zahlreich
auf dem Manövergelände vorfinden-«
Nun war der letzte Zweifel der Mäd
chen gehoben, und man trennte sich mit
dem Wunsche, sich auf dem Martin-er
selde während oder nach der Uebung
wieder zu sehen.
Jn der folgenden Nacht schliefen der
sLieutenant und das Pastorentöchter
ichen wenig.
Der Eindruck, den das Mädchen auf
Herrn »von Tollberg gemacht hatte,
war ein über Erwarten tiefer. Sie
erschien ihm ganz anders als die er
fahrenen Städterinnen, viel ursprüng
licher, viel unberührter, und darum
kam ihm wiederholt der Gedanke in
den Sinn: »Röschen Schilling wäre
die richtige Frau fiir mich.«
Soweit dachte diese nicht. Sie dach
te eigentlich über gar nichts regelrecht
nach. Aber der flotte, hübsche Lieute
nant trat immer wieder vor ihr geisti
es Auge, und das ließ sie nicht schla
en Am andern Morgen —- die Ula
nen waren längst iiber Berg und Thal
—- machten die beiden Mädchen mit be
sonderer Sorafalt Toilette Quleht
steckten fie sich frische Blumen an, nah
men für alle Fälle einen kleinen Im
biß in einem Täfchchen mit und wan
derten los.
Bald kamen die Mädchen auf eine
freie Ebene zwischen Waldparzellen
Hier waren Küraffiere und Hufaren
aufmarfchirt.
»Wie das prächtig aussieht! Die
blauen Attilas der Hufaren heben sich
farnos oon den weißen Kollers der Kü
rafsiere ab.'«
»Was fagft Du da für Namen? At
tilas unsd Koller52 Was ift denn
das?«
»Oh Du harmlose Landunfchuld.
So nennt man die Waffenröcke dadu
faren und Kürafsierr. Freilich, Du
haft bis jetzt nur für eine Ulanka nä
heres Jntereff e gehabt.«
»Emilie, Du machft mich mit Dei
nen unpassenden Necbereien wirklich
ll;eöfe. —- Wir wollen aber weiter ge
n!«
»Richtig. Herr Oon Tollberg be
zeichnete uns die bewaldete höhe von
Nersingen als den besten Standpunkt
Also auf nach der Ulanenhöhe vonNers
fingen.«
Nach etwa einer halben Stunde er
reicht-en die Mädchen das Dorf Ner
singen. Reben demselben standen hu
faren und Ulanen aufmrfchiri. Erni
lie Karten konnte nicht umhin·-wteder
Ineckend zu bemerken: »Ich, waschen »
»ja die Ulanent Vielleicht wir
Deren von Tollkra.·
AxDuS glaube ich nicht. «
»Warum denn nicht, RöSchen?«
»Diese Ulanen haben rothe Kragen.
Herr von Tollberg hatte aber einen
gelben.«
»Ei, ei, da sieh mal einer an. Wie
schnell hat die kleine Landporneranze
die feinen militärischenllnterschiede er
kannt! Mir fiel das gar nicht auf!«;
Wieder erröthete das Pastorsiöchter- s
chen biS an den Hals, schwieg abers
still.
Dem Zug der Landleute folgendg
gingen nun beide Freundinnen durch
das Dorf, marschirten noch etwa eine
Viertelstunde vorwärts, erstiegen die
vom Lieutenant von Tollberg ihnen be
zeichnete Höhe und wollten sich in dems
dortigen Wöldchen einen guten Aus
sichtspunkt suchen. Jn den Büschew
aber wimmelte eS von abgesessenen
Dragonern, welche theilweise denWald
rand besetzt hatten und theilweise die
Pferde der ersteren hielten. Einige
Unteroffiziere untersagten den Zu
schauern, biS zum Waldrand vorzuge-j
hen und wiesen sie dafiir nach einer an-’
deren, etwa 800 Meter entfernten
Waldparzelle,welche man noch vor dem
großen Angriff deS Gegners erreichen
könne, wenn man sich eile. Dort habe
man auch eine gute Uebersicht. Die
Leute folgten auch dem Rathe und lie
fen so schnell sie konnten über die freie
Lichtung hinüber. Ziemlich weit nach
folgten die beiden Madchen.
s Während sie sich ungefähr 250 Me
Tter vor dem soeben verlassenen Walde
befanden, erschienen links von ihnen
sllclxcll Uklll Wulst Uctsutgcu taugt Ol
ä nien von Kürafsieren und ritten ins ru
higem Schritt in der Lichtung vor.
Plötzlich aber tauchten auf der anderen
Seite der Lichtung, also rechts von bei
den Freundinnen, auch dunkle Rolan
nen auf, die feindlichen Ulanen.
Mit einem Male krachte es wie bei
einem heftigen Gewitter. Der Wald
rand hinter den beiden Freundinnen
verwandelte sich in eine wahre Feuerli
nie. Ununterbrochen sprühte es aus
den Büschen wie zahllose Blitze heraus.
Das kam von den abgesefsenen Dra
gonern.
Röschen Schilling erschrak zu Tode.
Nun tönten zu beiden Seiten Ka
valleriesignale und die Reitermassen
setzten sich in Trab, um sich in der-Eich
tung zwischen den beiden Waldparzel
len gegenseitig zu attakiren. Emilie
Karten hatte die Lage richtig erfaßt·
«Die werden hier aufeinander flo
hen. Zurück in den Nersinger Wald.
Den jenseitigen erreichen wir nicht
mehr.«
»Nein, nein-! Wir können doch nicht
in das Feuer laufen. Wir müssen hin
überl«
Damit rannte Röschen, ohne sich
umzusehen, gerade vorwärts in die
freie Lichtung.
Emilie Karten schrie nochmals:
»Zurück« sonst bist Du verloren!·« wen
dete sich, fah sich gar nicht mehr um
und lief so schnell sie konnte dem schü
yenden Wabe zu. Bald stand sie fast
athemlos, aber sicher, zwischen den la
chenden Dragonern im Wald.
Röschen aber rannte mit Aufl-iet
ung aller Kräfte faft besinnungslos in
die weite Lichtung hinaus. Sie sah
vor sich noch die leßten, freilich schon
uber 400 Meter entfernten Landleute
laufen. Diesen eilte sie blindlings
nach. Da ftolperte sie auf dem Stop
pelfelde und fiel. Sie sprang wieder
auf und lief weiter; Scharfe Signale
schmetterten von links. Noch scharfer
von rechts. Dort eine lange weiße,
hier, kaum noch 300 Meter entfernt,
»eine« dunkle, sich immer schneller na
year-e oraue Unre; weyenoe sjaynapem
Blitzen und Rasseln. Jetzt puftet und
schnaubt und dröhnt es; eine Masse
wilder Rosse stürmt heran; neue Sig
nale; der Boden dröbnt; ihr droht das
Bewußtsein zu vergehen; sie sinkt in die
Knie; da sauft eine dunkle Geftalt ne
ben sie: eine Stimme schreit: »Auf,
Muth!« Eine Faust ergreift sie rück
wärts am Kleid, reißt sie in die Höhe,
bebt sie über den Sattel, und nun liegt
Röschen Schilling wie eine Todte vor
dem sie fest umfassenden Lieutenant
von Tollberg. Neue Signale schmet
tern durch die Luft. .,Hurrab, hur
rah hurrah!«toit es tausendfach bei bei
den Linien, die Pferde greifen aus,
was sie können ——— spielend trägt die
edle Stute Tollberg’s die doppelte Last
—und in sausendem »Marsch- marsch«
stürzen die tapferm gelben Ulanen auf
die Kürassiere und die rothen Ulanen
los. Plötzlich erschallen von rechts her
neue Hurrahs; Dragoner fallen den
rothen Ulanen in die linke Flante und
zu allem Unheil für die Nersinger Bri
gade werfen sich noch schwarze Husaren
von links gegen die auf diesen Stoß
nicht vorbereiteten Kürassiekr.
Lang gezogene Signale übertönen
ydas Hurrahgeschrei und das Schnau
ben und Pusien der Rosse. Es wird
scharf varirt noch einige Sake, dann
steht alles still. Eine dicke Staub-vol
ke bedeckt die ganze Steue. Lieutenant
von Tollber drückt das zitternde, halb
W-.OW
L I
ohnmächtige Röschen Schillinig sest an
sich — er muß sie ja halten — unt
richtet sie nun etwas bequemer im Sat
tel in die Höhe. Ein Windstoß ver
treibt im Nu die Staubwolte; in der
Mitte von tausenden von Reitern, ge
rade vor dem General und seinem
Stabe, steht der Ulanenlieutenant mit
dem Mädchen vor sich aus dem Sattel
Der General, der alles gesehen hatte«
winkte dem Ossiziek freundlich zu unt
ries lustig: »Bravo, Lieutenant von
Tollberg. Das war gut gemacht. Sie
haben dem Mädchen wahrscheinlich
das Leben gerettet-«
Daraufhin ertönten von verschiede
nen Seiten anerkennende Worte unt
der Oberst des Regiments meinte la
chend: »Sie sehen, Excellenz, wie poe
tisch meine jungen Ossiziere sind. Sit
verstehen es, selbst im Anreiter zur At
tacke ein hübsches Haideröschen zu plü
cken.«
Alles lachte und betrachtete nun erst
recht genau das schöne, aber vor lautet
Scham unglückliche Mädchen. Dei
Gefieral beendete die Scene, indem et
rie :
»Nun, meine Herren, zur Krititf
Lieutenant von Tollberg, Sie können
wenn Jhr Oberst es gestattet, die jun
ge Dame in Sicherheit bringen«
Der Oberst winkte dem jungen Os
fizier zu und dieser trabte mit seinei
süßen Last durch das Gewühl der sick
wieder ordnenden Regitnenter hin
durch
Röschen Schilling verbarg ihrer
Kops an seiner Brust, damit man si·
nicht sehen solle. Sie dachte, wenn si
:nur todt wäre. so sehr schämte sie sich
Illnd doch fühlte sie sich so sicher, so ge
borgen in seinem Arm.
Als man aus der Reitermasse her
aus war, ließ der Lieutenant das
Mädchen sanft zur Erde gleiten.
»Gehen Sie jetzt neben mir. Jch be
gleite Sie noch ein Stück, bis Sie ii
Sicherheit sind.«
Sie sprach nichts, sondern ginq
stumm, mit Mühe Thriinen unterdrii
dend, neben ihm her. Da lam Emili
Karten gelaufen.
b »Gott sei Dank, daß Du gerette
ist.«
Herr von Tollberg grüßte Röscheni
Freundin und bemerkte in beruhigen
dem Tone zu letzterer: Nun sind Si
sicher, gnädiges Fräulein. Jch mus
zu meinem Regiment zurück. Lebe1
Sie wohl.«
Jetzt erhob sie den Kopf,sah ihm ohn
Scheu in’s Auge und gab ihm di
Hand· Er bückte sich aus den Saite
herab und küßte dieselbe. Zitternsd
aber deutlich und bestimmt sprachRöZ
chen Schilling: »Herzlichsten, innigste
Danl. Das werde ich nie vergessen.
Der Ossizier richtete sich wieder aus
warf einen glühende Blick aus da
abermals ties erröihende Mädchen, rie
ein lautes »Aus Wiederseheni« wandi
sein Pferd und sprengte davon. de
großen Kavalleriemasse zu.
Bald war er im Wirrwarr vonRos
sen und Reiter-n den nachblickendu
Mädchen entschwunden —
»Von jenem Tage an wurde di
Tochter des Pastorä Schilling in de
ganzen Gegend das »Ulanenrööchen
genannt. Nach einem halben Jahr er
hielt sie aber schon wieder eine ander
Bezeichnung. Da war sie die »Ulanen
braut« geworden und in weiteren sün
gironaten hieß sie: »Frau von Toll
g—«
- OOO
Geiz.
Von Franz von Busch ·Berlin). II
»Er ist geizig!«
»Aus Geiz hat er sich von aller Wel
zurüdgezogen t«
»Aus Geiz vernachlässigt er sich i«
seiner Kleidun« t«
»Es ist abso ut nichts mehr mit ihr
anzusangent«
»Und er ist doch in einer ganz giin
stigen Lage und hätte das alles nich
nöthig!«
Diese und ähnliche Urtheile ver
nahm ich über einen Schul- und Ja
gendsreund, als ich nach mehrjährige
Abwesenheit zu längerem Aufenthal
wieder in die Stadt zurückgekehrt war
wo ich ihn kennen gelernt und wo e
seinen dauernden Aufenthalt hatte
Es wurde an diese Aeußetungen aud
der gute Rath geknüpft ich solle th
nicht aufsuchen, ich würde eine arg
Enttiiuschung erleiden, ja, ich sete mid
der unangenehmen Möglichkeit aus
von ihm gar nicht angenommen zi
werden.
Jch ließ mich davon nicht zurück
schrecken; im Gegentheil, alle diese Rei
den machten in mir nur um so lebhaf
ter den Wunsch rege, Paul Kluge zi
sehen und mich persönlich stritt-erzeu
gen, was Wahres an den ii ihn um
lausenden Gerüchten sei.
Paul Kluge ein Geizhals! Ja
konnte ihn mit ais solchen ja gar nich
I- j
vorstellen Er war zwar nie eine aber
schäumende Natur g,ewesen ein un
bändiger Lebensdrang hatte sich an
ihm nicht verspüren lassen, gleichmä
ßig, bedächtig war er seinen ge
gangen und hatte mit kleinen Mitteln
vortrefflich hauszuhalten verstanden
Dabei hatte er sich mir immer als ein
anständiger, nobler Charakter gezeigt,
als ein Mensch, der sich selbst nicht
gerne etwas abgehen ließ und überall,
wo es sich gehörte, eine offene Hand
für Andere hatte In Menschen, die
so geartet sind, steckt bekanntlich wenig
Anlage zum Geiz; wäre Paul Kluge
in jüngeren Jahren ein Verschwender
gewesen, der Umschlag würde mir viel
natürlicher erschienen sein.
Allerdings war er unverheirathet
geblieben; und aus diesem Umstande
lassen sich ja vieleSchrullen bei Männ
lein und Weiblein erklären.
Doch gleichviel, ich wollte ihn sehen
und sprechen untd ging zu ihm mit dem
festen Vorsatz, mich nicht so leicht von
seiner Schwelle weisen zu lassen.
Paul Kluge empfing mich mit den
Worten:
»Franz, mein alter Franz! Das ist
ja eine große Freude! Herein, schnell
hereint«
Er faßte meine Hand, zog mich über
die Schwelle seinesZimmerg und dann
- lagen wir einander in den Armen
, Der große, träfthe Mann schluchzte
wie ein Kind un mir wurden auch
die Augen feucht Ich fühlte mich tief
, gerührt durch diesen Empfang und
- konnte mich eines Gefühls der Beschä
Its
N fI I
, muna nicht erwehren. Ein Mensch«
der sich ein so warmes Herz für den
; Freund bewahrt hatte, konnte nicht ei
nem Laster verfallen sein, das mehr
- als alles andere vertnöchern und ver
steinern soll.
Durch einen Druck auf die Klinget
hatte Paul feine Wirthin in’s Zim
mer gerufen und flüsterte angelegent
lich mit ihr. Sie verschwand eilfertig
und nach verhältnismäßig turzer Zeit
standen appetitlich angerichtet ein gu
tes, reichliches Frühstück und ein paar
Flaschen recht trintbarerWein auf derr
Tisch. ’
Paul hatte mich inzwischen auf dai
Sopha gezogen und wir waren in’i
Plaudern gekommen, in jenes Plau
dern, dessen einzelne Abtheilungen zwi
schen zwei Jugendgenossen immer mi
der Frage »Weißt Du noch?« anzuhe
ben und mit einem wehmüthigen La
chen zu enden pflegen. Wir waren all
mälig zu Ereignissen neueren Datumt
übergegangen und erst nach längeres
Zeit merkte ich, daß ich der Erzählende
Paul der Zuhörende war, der micl
durch geschickte Fragen zu immer weis
teren Mittheilungen anzuregen wußte
»Und Du, Paul?« fragte ich end
lich. »Bisher habe ich nur von mi«
gesprochen; jetzt berichte endlich aud
von Ditt«
Er machte eine abwehrende Bewe
gung mit der Hand und über sein viel
fach gefurchtes Gesicht zuckte es weh
müthig und bitter zugleich. »Ich leb
und arbeitet«
Er machte gleichzeitig eine Wendunq
nach dem Fenster, vor dem ein gro
ßer, weißgescheuerter Tisch mit Reiß
brett, Papier, Stiften und allen Uten
silien für das Zeichnen stand. Pan
« Kluge war, wie ich hier gewissermaßet
U
" in Parenihese einschließen will, ein ge
suchier Zeichner fiir illustrirte Blätter
Bücher, Kalender oder dergleichen
durchaus kein genialer Künstler, abe
eine sehr brauchbare Kraft, ein gewis
senbafier, fleißiger Mensch, der nichir
verdarb, was er in die Hand nahm
und auf den man sich jederzeit verias
sen konnte. Er hatte ursprünglichMa
ler werden wollen, aber bald erkanni
daß eg bei ihm »dazunichi lange«, uni
sich klüglich auf die klein-e Genre zu
rückgezogen.
Ehe ich gegen die Kürze seiner Aus
kunfi Einspruch erbeben konnte, mel
deie die Wirihin, daß alles bereit sei
und mii einem gewissen Triumpl
führte mich Paul an den wohl besetz
ten Frühstücksiisch Auf meine bös
liche Vorstellung, daß dies keineswegi
nöthig gewesen, erwiderte er mit einen
- wahrhaft sirahlenden Lächeln:
»Ach, Du weißt gar nicht, welch
Freude Du mir bereiiest, wie wohl ei
mir thut, einen Freund bei mir bewir
ihen zu können!" Und die Ari, wie e1
mir die besten Bissen auf den Telle1
legte, die Gläser füllte, mich zum Esset
und Trinken ermunierke und mir mi«
uietn Beispiel voranging, indem e1
ich selbst tapfer zulangte, bewies mir
daß dies keine leere Redensari sei.
Und dieser Mann sollte geizig sein’
Alle Wahrnehmungen, die ich machte
brachten mich zu der Ueberzeugung
Paul Kluge sei einer der beskvetleum
deiens Menschen.
Das Haus, in welchem er wohnte
lag zwar nicht in einer vor-nehmen«
aber doch in einer ganz guien Stadi
g ein-, man brauchde, um zu ihm zu
ge angen, nicht bis unier das Dach zu
steigen, es standen ihm mindestens drei
: Zimmer, deren Einrichiung gut und
behaglich war,’ zur Verfügung, die
Hauslleidung in der ich ihn ange
troffen, war so, daß er sich ohne Be
denken darin vor jedem Besuch sehen
lassen konnte.
Bei näher-er Betrachtung und ich
muß gestehen, daß ich meine Blicke
recht prüfend umhergleiten ließ, em
psing ich freilich den Eindruck, daß al
les, was Paul um ab, alt und aus
das sorgfältigste g chont und wieder
hergerichtet war, wie man das wohl
im Haushalt herabgelottnmener vor
nehmer Familien findet, wo jede Neu
anschaffung zu den Unmöglichkeiten ge
hört. Auch in dem Gesicht des Freun
des entdeckte ich jetzt Linien, die mir zu
denken gaben. Sollte doch an dem Ge
rüchte etwas Wahres sein?
Doch nein« da brachte er ja Cigar
ren von zweifelloser Güte herbei. Wer
enif solches Kraut raucht, kann doch
cht geizig sein!
Unsere Unterhaltung war imz Sto
cken gerathen. Schweigend schaute ich
dem sich träuselnden Rauch meineer
garre nach und Paul fragte mich nach
einigen Minuten:
»Was beschäftigt Dich, Franz? Wo
rüber denkst Du nach?'«
»Ueber Dicht« platzte ich heraus.
»Dacht’ ich’s doch,«nickte er mit weh
müthigem Lächeln. »Man hat Dir
schon von mir erzählt?«
Jch bejahte stumm.
»Man hat Dir gesagt, ich sei gei
i ?«
zg Web lebe in, ims- mnn Dir bitteres
T
iw NW
Unrecht thut!« rief ich, seine Frage in
direkt bejahend, er aber entgegnete:
»Nein, Franz, die Leute haben
recht. Wenigstens haben sie recht nach
dem, was sie von mir sehen und hören,
so zu urtheilen,« fuhr er fort, als ich
erschrocken und unwillig auffuhr. »Ach,
Freund, es weiß ja niemand, was ich
selbsi darunter leide.«
»Aber,Paul, ich versteheDich nicht!«
ries ich, mehr noch als durch die Worte
betroffen durch den Ton, in dem sie go
sprochen, der Miene, von der sie beglei
« tet wurden; und noch schwermiithiger
entgegnete er:
»Ich verstehe mich ja selbst nicht
- recht!« «
s »Du bist arm, Paul? Deine Kunst
« trägt Dir nur wenig ein? Du hast
- Mühe, nur den äußeren Anschein aus
I recht zu erhalten?« fragte ich und be
i dachte schon im Stillen, auf welche
- Weise ich ihm den Aufwand siir das
; Frühstück zart vergüten könne; es schien
I aber, daß ich heute nicht aus den— Ue
s« berraschungen herauskommen sollte,
s denn er antwortete:
I »Nein. Jch habe ein ekekbtes nei
- nes Vermögen durch Fleiß und gute
» Wirthschast vermehrt, und meine Ar
s beiten bringen mir einen- Ertrag, daß
- ich mir weit eher Ausgaben gestatten
i könnte als mancher von Benen, die sie
, mfachen und über mich die Nase rinn
· v en.«
s »Du thust es dennoch nicht? Wes
· i bnlb nicht2«
an.v-as-.
— « »O wie gern, wie gern!« rief er und
rang die Hände. »Ich bin nicht gern
einsam! Jch sehne mich nach Gesell
schaft! Ein Kreis anregender Men
schen, ein gutes Theater, ein Konzert
ist mir Lebensgenuß, aber ich verzich
te darauf, verzichte aus alles, wasKo
sten verursachen tönnte!«
Jch war aufgespkungen und mochte
ihn nicht eben mit den wohlwollend
sien Blicken betrachten.
»Verdamme mich nicht, Franzi«
flehte er mit ausgehobenen Händen.
»Es ist ja nicht Geiz!·«
»Aber was ist es denn sonst?« frag
te ich scharf.
»Die Angst! Die Angst!« wimmer
te er. »O, ich kann sie Dir ja nicht be
schreiben, diese Angst, diese wahnsin
nige Angst, die mir das Leben vergällt
, und zerstört!«
»Die Angst; wovor?«
»Daß es nicht reichen, daß ich eines
; Tages dem Mangel, dem Elend preis
gegeben sein würde!"
Mich durchzuckte ein Schrei-. Hatte
ich einen Geistig Gestörten vor mir?
Er mochte mir die Gedanken von der
Stirn lesen, denn er fuhr fort:
»Fürchte Dich nicht, ich bin nich-i
wahnsinnig, wenn ich mich auch schon
oft selbst gefragt habe, ob es nicht doch
.- dieser düstere Geselle sei, der vernehm
.- lich an meinen Hirniasten pocht.«
»Warum siehst Du keinen Arzt zu
F Rath-, Dein Zustand ist jedenfalls
- iranthast,« bemerkte ich, wieder von
Bedauern ergriffen.
»Was soll er mir? Was er mir sa
en kann, das sage ich mir in guten
Stunden allein,was er mir verordnen
könnte, wende ich in bösen Stunden,
und die sind die Mehrzahl, doch nicht
an, denn es kostet Gele« gestand er,
»und aus dem gleichen Grunde habe
ich mich auch noch nie einem Freunde
anvertraut. In Deiner Riibe kommt
mir heute ein unabwrisliches Bot-it ·
niß dazu. Willst Du mich anhören
Jch nickte stumm. Unsere Ei arm
waren lange schon erloschen, ver