«—j J Das Ulanenrbschm Manöver - Episode von Turmkn «Nein Emilie, das paßt sich nicht. Es paßt sich durchaus nich-t. Stelle Dir nur »vor, was die Menschen sagen wür den, wenn sie hörten, Pastors Röschen nnd ihre Freundin Emilie hätten al lein mit einem Lieutenant gespeist.« »So klingt es freilich sonderbar. Wenn man aber bedenkt, daß die Ein quartierung plötzlich angesagt wurde, daß der Quartiermacher ausdrücklich betont hat, der Herr Lieutenant sei, weil kein ordentliches Wirthshaus im; Dorfe ist, bon- den Quartiergebersn zu derpflegen, und daß Dein Vater vorj morgen Abend nicht zurücktommen kann, so lautet die Sache doch ganz? anders.« : »Du vergißt vollkommen, so Einer ist im Stande und wird zudtinglich.«« .Liebes Nöschem da sieht man-, zu welch’ sonderbaren Anschauungen Dich Dein einsames Leben auf dem Dorfe gebracht hat. Jn unserem Städtchen hättest Du bald erkennen gelernt, daß von Zudrsirglichkeiten der Offiziere ge gen Damen keine Rede sein kann.« sPlößlich schoben sich einige Blätter der Gaisblattlaube auseinander, eine Ulanentschapkch darunter der hübsche Kopf eines Offiziers erschienen und eine sonore Stimme bemerkte: »Pra vo. bravo! Welcher der Damen darf ich denn meinen Dank aussprechen, daß sie für die Ehre der Ulanen-Lieu tenants eine Lanze gebrochen?" Das überraschende Aufrauchen des Offiziers wirkte wie das Einschlagen eines Blitzes auf beide Mädchen. Rös chen Schilling ließ die Häkelei aus der Hand fallen unsd flog in die hinterste, von dem Offizier entfernteste Ecke der Laube. Emilie Karten ließ ebenfalls einen leichten Aufschrei hören, blieb aber ruhig sitzen und fragte ziemlich barsch: »Wer sind Sie denn und wie kommen Sie denn hierher?« Der Offizier schob nun einen Arm durch die Zweige, grüßte militärisch respektvoll und erwiderte: »Mein Na me ist von Tollberg. Jch bin nach dem Pfarrhaus gewiesen worden, um da selbst einquariiert zu werden, kam den Wiesentveg vorn Dorf herauf, vernahm in der Laube Stimmen, wollte mich nach dem Eingang in den Pfarrhaus garten erkundrgen, wurde dadurch un beabsichtigter Zeuge des Gespräches der beiden Damen und freute mich sehr, daß eines der beiden Fräuleins unsere Vertheidigrrng übernahm. Dieser möch te ich gern meinen Dank aussprechen.« »Gut, Herr von- Tollberg Das können Sie bei Tische thun· Da Sie ja im Pfarrhaus mit Verpflegung ein quartiert sind, bitten wir Sie in ein-er Stunde an unserem Mittagessen theil gietxoehmen Du bist doch einverstan , Röschm ?« Was wollte das arme Mädchen, das vor lauter Bebegenheit gar nicht wußte, wo es hinsehen sollte, machen? Ganz schüchtern kam ein- leises: »Ach ja,« aus ihrem Munde, und dann überließ Röschen ihrer weltgetvandten Freun din alles Weitere. Letztere bemerkte noch kurz: »Als-o um 2 Uhr, Herr von Tollberg Wenn Sie um die linke Ecke des Zaunes gehen und dann bis zum Stalle vorschreiten, finden Sie eine Thür in den Garten, durch die Sie eintreten können. Auf Wieder schssxs —. . Die Zeit zum Mittagessen kam schneller heran, als Röschen gedacht hatte. Freilich schlug ihr das Herz immer lebhaften und als Punkt 2 Uhr der Lieutenant anklopfte, dann die Thür öffnete und sporenklirvend in die Eßsiube trat, schoß ihr alles Blut in den Kopf, und sie war nicht im Stan de, nur ein einziges Wort der Begrü ßung zu sprechen Mußerst geschickt sprang Emilie Kanten in die Busche, indem sie be merkte, sie habe ja in der Laube ver en, aus die Vorstellung des Herrn ieutenanis auch ihren Namen zu nen nen und nun sich und ihre Freundin vorstellte. Dann wurde ausführlichst erzählt, daß der Pastor zu einer Ver sammlung von Geistlichen in dieStadt reisen mußte und vor dem nächsten Abend nicht zurückkommen könne. Man habe auch an gar keine Einquar tierung gedacht, denn sonst wäre der Detr Pastor sicher zu Hause geblieben. »Wi-r selbst wußten heute Vormit « - tag« noch nicht, daß wir in der hiesigen Oeg end in ’ö Quartier kommen wür den,« entgegnete der Offizier. »Die Wem enKavallerie-Divisioni-Manöver ver so kriegsmiißig geleitet, daß Mr ost Nachmittags noch keine Ah Winden ob wir bitvakiren oder in f Munementö gekegt werden « , Unter diesen Gesprächen war der « sauget-rochen und Riidchen Schil Mnachoe es, wenn mich noch etwas » sormgeoerht heraus, daß Ists-usw sichzu Tisch aus-tm M nnd nach achwurde die Unterhal I— tung besonders zwischen Fräulein Emilie und dem Osfizier ziemlich leb haft und auch Röschen Schilling nahm hie und da daran Theil. Freilich wur de sie wieder sehr verlegen, als Lieutei nant von Tollberg richtig errieth, daf sie heute in der Laube die Ulanenoffi ziere so schars beurtheilt habe. Schließ lich wehrte sie sich aber gegen die Recke reien des Lieutenants ganz eifrig unk verlor vorübergehend ihre vorherige Schüchternheit. Jmmer wieder errö thete sie jedoch bis zu den Ohren, so bald sie der Offizier etwas länger an sah, oder wenn er direkt eine Frage an sie richtete. Und doch that er es so gern. Sie sah in ihrer Verlegenheit auch zu niedlich aus. Aus den« durch das Leben in der großen Garnison und den Umgang mit den weltersahrenen gewandten Damen der Gesellschaft sehr verwöhnten .jungen Manns iibte dieses Pastorentöchterchen einen ganz eigenen Reiz aus. So verging die Mahlzeit zur all gemeinen Zusriedenheit, und mit Schrecken bemerkte Lieutenant Toll berg, daß er nun sehr eilen müsse, um zum vorgeschriebenen Pferdeapvell rechtzeitig an Ort und Stelle zu fein. Aus seine bescheidene Frage, ob er denn auch das Abendbrod mit den Damen einnehmen dürfe, ertönte von Fräulein Emilie ein lautes »Selbstvetstiindlich« und auch Fräulein Röschen antwortete auf die wiederholte, dirett an sie ge richtete Frage mit einem leisen »Ge tnis Soff Division-seit « i Um 7 Uhr abends traf man sich wie jder. Die alte Dora hatte Alles In der kGaisblattlaube sehr ordentlich servirt, und bald saßen die beiden Mädchen kund der Ossizier traulich beim Abend tisch zusammen. Mann sprach unge nirter als heute Mittag mit einander, Hund unter Lachen und Scherzen ver schwand die Schüchternheit von Rös ; chen Schilling so ziemlich. Sie wollte zwar, als der Offizier die Damen auf fsorderte, dem morgigen Manöver zu zufehen, ablehnen, wurde aber von ·Emilie und dem Lieutenant schließlich ·doch überredet, zuzustimmmen. Nun i beschrieb letzterer den Damen den Weg, den sie einfchla n müßten, um mor gen die große gchlußattacke genau zu «7 heu 5 »?Da werden wir am Ende übertü ten « »Das hat gar keine Gefahr, wenn Sie immer in einer der kleinen Wald parzellen bleiben, welche sich zahlreich auf dem Manövergelände vorfinden-« Nun war der letzte Zweifel der Mäd chen gehoben, und man trennte sich mit dem Wunsche, sich auf dem Martin-er selde während oder nach der Uebung wieder zu sehen. Jn der folgenden Nacht schliefen der sLieutenant und das Pastorentöchter ichen wenig. Der Eindruck, den das Mädchen auf Herrn »von Tollberg gemacht hatte, war ein über Erwarten tiefer. Sie erschien ihm ganz anders als die er fahrenen Städterinnen, viel ursprüng licher, viel unberührter, und darum kam ihm wiederholt der Gedanke in den Sinn: »Röschen Schilling wäre die richtige Frau fiir mich.« Soweit dachte diese nicht. Sie dach te eigentlich über gar nichts regelrecht nach. Aber der flotte, hübsche Lieute nant trat immer wieder vor ihr geisti es Auge, und das ließ sie nicht schla en Am andern Morgen —- die Ula nen waren längst iiber Berg und Thal —- machten die beiden Mädchen mit be sonderer Sorafalt Toilette Quleht steckten fie sich frische Blumen an, nah men für alle Fälle einen kleinen Im biß in einem Täfchchen mit und wan derten los. Bald kamen die Mädchen auf eine freie Ebene zwischen Waldparzellen Hier waren Küraffiere und Hufaren aufmarfchirt. »Wie das prächtig aussieht! Die blauen Attilas der Hufaren heben sich farnos oon den weißen Kollers der Kü rafsiere ab.'« »Was fagft Du da für Namen? At tilas unsd Koller52 Was ift denn das?« »Oh Du harmlose Landunfchuld. So nennt man die Waffenröcke dadu faren und Kürafsierr. Freilich, Du haft bis jetzt nur für eine Ulanka nä heres Jntereff e gehabt.« »Emilie, Du machft mich mit Dei nen unpassenden Necbereien wirklich ll;eöfe. —- Wir wollen aber weiter ge n!« »Richtig. Herr Oon Tollberg be zeichnete uns die bewaldete höhe von Nersingen als den besten Standpunkt Also auf nach der Ulanenhöhe vonNers fingen.« Nach etwa einer halben Stunde er reicht-en die Mädchen das Dorf Ner singen. Reben demselben standen hu faren und Ulanen aufmrfchiri. Erni lie Karten konnte nicht umhin·-wteder Ineckend zu bemerken: »Ich, waschen » »ja die Ulanent Vielleicht wir Deren von Tollkra.· AxDuS glaube ich nicht. « »Warum denn nicht, RöSchen?« »Diese Ulanen haben rothe Kragen. Herr von Tollberg hatte aber einen gelben.« »Ei, ei, da sieh mal einer an. Wie schnell hat die kleine Landporneranze die feinen militärischenllnterschiede er kannt! Mir fiel das gar nicht auf!«; Wieder erröthete das Pastorsiöchter- s chen biS an den Hals, schwieg abers still. Dem Zug der Landleute folgendg gingen nun beide Freundinnen durch das Dorf, marschirten noch etwa eine Viertelstunde vorwärts, erstiegen die vom Lieutenant von Tollberg ihnen be zeichnete Höhe und wollten sich in dems dortigen Wöldchen einen guten Aus sichtspunkt suchen. Jn den Büschew aber wimmelte eS von abgesessenen Dragonern, welche theilweise denWald rand besetzt hatten und theilweise die Pferde der ersteren hielten. Einige Unteroffiziere untersagten den Zu schauern, biS zum Waldrand vorzuge-j hen und wiesen sie dafiir nach einer an-’ deren, etwa 800 Meter entfernten Waldparzelle,welche man noch vor dem großen Angriff deS Gegners erreichen könne, wenn man sich eile. Dort habe man auch eine gute Uebersicht. Die Leute folgten auch dem Rathe und lie fen so schnell sie konnten über die freie Lichtung hinüber. Ziemlich weit nach folgten die beiden Madchen. s Während sie sich ungefähr 250 Me Tter vor dem soeben verlassenen Walde befanden, erschienen links von ihnen sllclxcll Uklll Wulst Uctsutgcu taugt Ol ä nien von Kürafsieren und ritten ins ru higem Schritt in der Lichtung vor. Plötzlich aber tauchten auf der anderen Seite der Lichtung, also rechts von bei den Freundinnen, auch dunkle Rolan nen auf, die feindlichen Ulanen. Mit einem Male krachte es wie bei einem heftigen Gewitter. Der Wald rand hinter den beiden Freundinnen verwandelte sich in eine wahre Feuerli nie. Ununterbrochen sprühte es aus den Büschen wie zahllose Blitze heraus. Das kam von den abgesefsenen Dra gonern. Röschen Schilling erschrak zu Tode. Nun tönten zu beiden Seiten Ka valleriesignale und die Reitermassen setzten sich in Trab, um sich in der-Eich tung zwischen den beiden Waldparzel len gegenseitig zu attakiren. Emilie Karten hatte die Lage richtig erfaßt· «Die werden hier aufeinander flo hen. Zurück in den Nersinger Wald. Den jenseitigen erreichen wir nicht mehr.« »Nein, nein-! Wir können doch nicht in das Feuer laufen. Wir müssen hin überl« Damit rannte Röschen, ohne sich umzusehen, gerade vorwärts in die freie Lichtung. Emilie Karten schrie nochmals: »Zurück« sonst bist Du verloren!·« wen dete sich, fah sich gar nicht mehr um und lief so schnell sie konnte dem schü yenden Wabe zu. Bald stand sie fast athemlos, aber sicher, zwischen den la chenden Dragonern im Wald. Röschen aber rannte mit Aufl-iet ung aller Kräfte faft besinnungslos in die weite Lichtung hinaus. Sie sah vor sich noch die leßten, freilich schon uber 400 Meter entfernten Landleute laufen. Diesen eilte sie blindlings nach. Da ftolperte sie auf dem Stop pelfelde und fiel. Sie sprang wieder auf und lief weiter; Scharfe Signale schmetterten von links. Noch scharfer von rechts. Dort eine lange weiße, hier, kaum noch 300 Meter entfernt, »eine« dunkle, sich immer schneller na year-e oraue Unre; weyenoe sjaynapem Blitzen und Rasseln. Jetzt puftet und schnaubt und dröhnt es; eine Masse wilder Rosse stürmt heran; neue Sig nale; der Boden dröbnt; ihr droht das Bewußtsein zu vergehen; sie sinkt in die Knie; da sauft eine dunkle Geftalt ne ben sie: eine Stimme schreit: »Auf, Muth!« Eine Faust ergreift sie rück wärts am Kleid, reißt sie in die Höhe, bebt sie über den Sattel, und nun liegt Röschen Schilling wie eine Todte vor dem sie fest umfassenden Lieutenant von Tollberg. Neue Signale schmet tern durch die Luft. .,Hurrab, hur rah hurrah!«toit es tausendfach bei bei den Linien, die Pferde greifen aus, was sie können ——— spielend trägt die edle Stute Tollberg’s die doppelte Last —und in sausendem »Marsch- marsch« stürzen die tapferm gelben Ulanen auf die Kürassiere und die rothen Ulanen los. Plötzlich erschallen von rechts her neue Hurrahs; Dragoner fallen den rothen Ulanen in die linke Flante und zu allem Unheil für die Nersinger Bri gade werfen sich noch schwarze Husaren von links gegen die auf diesen Stoß nicht vorbereiteten Kürassiekr. Lang gezogene Signale übertönen ydas Hurrahgeschrei und das Schnau ben und Pusien der Rosse. Es wird scharf varirt noch einige Sake, dann steht alles still. Eine dicke Staub-vol ke bedeckt die ganze Steue. Lieutenant von Tollber drückt das zitternde, halb W-.OW L I ohnmächtige Röschen Schillinig sest an sich — er muß sie ja halten — unt richtet sie nun etwas bequemer im Sat tel in die Höhe. Ein Windstoß ver treibt im Nu die Staubwolte; in der Mitte von tausenden von Reitern, ge rade vor dem General und seinem Stabe, steht der Ulanenlieutenant mit dem Mädchen vor sich aus dem Sattel Der General, der alles gesehen hatte« winkte dem Ossiziek freundlich zu unt ries lustig: »Bravo, Lieutenant von Tollberg. Das war gut gemacht. Sie haben dem Mädchen wahrscheinlich das Leben gerettet-« Daraufhin ertönten von verschiede nen Seiten anerkennende Worte unt der Oberst des Regiments meinte la chend: »Sie sehen, Excellenz, wie poe tisch meine jungen Ossiziere sind. Sit verstehen es, selbst im Anreiter zur At tacke ein hübsches Haideröschen zu plü cken.« Alles lachte und betrachtete nun erst recht genau das schöne, aber vor lautet Scham unglückliche Mädchen. Dei Gefieral beendete die Scene, indem et rie : »Nun, meine Herren, zur Krititf Lieutenant von Tollberg, Sie können wenn Jhr Oberst es gestattet, die jun ge Dame in Sicherheit bringen« Der Oberst winkte dem jungen Os fizier zu und dieser trabte mit seinei süßen Last durch das Gewühl der sick wieder ordnenden Regitnenter hin durch Röschen Schilling verbarg ihrer Kops an seiner Brust, damit man si· nicht sehen solle. Sie dachte, wenn si :nur todt wäre. so sehr schämte sie sich Illnd doch fühlte sie sich so sicher, so ge borgen in seinem Arm. Als man aus der Reitermasse her aus war, ließ der Lieutenant das Mädchen sanft zur Erde gleiten. »Gehen Sie jetzt neben mir. Jch be gleite Sie noch ein Stück, bis Sie ii Sicherheit sind.« Sie sprach nichts, sondern ginq stumm, mit Mühe Thriinen unterdrii dend, neben ihm her. Da lam Emili Karten gelaufen. b »Gott sei Dank, daß Du gerette ist.« Herr von Tollberg grüßte Röscheni Freundin und bemerkte in beruhigen dem Tone zu letzterer: Nun sind Si sicher, gnädiges Fräulein. Jch mus zu meinem Regiment zurück. Lebe1 Sie wohl.« Jetzt erhob sie den Kopf,sah ihm ohn Scheu in’s Auge und gab ihm di Hand· Er bückte sich aus den Saite herab und küßte dieselbe. Zitternsd aber deutlich und bestimmt sprachRöZ chen Schilling: »Herzlichsten, innigste Danl. Das werde ich nie vergessen. Der Ossizier richtete sich wieder aus warf einen glühende Blick aus da abermals ties erröihende Mädchen, rie ein lautes »Aus Wiederseheni« wandi sein Pferd und sprengte davon. de großen Kavalleriemasse zu. Bald war er im Wirrwarr vonRos sen und Reiter-n den nachblickendu Mädchen entschwunden — »Von jenem Tage an wurde di Tochter des Pastorä Schilling in de ganzen Gegend das »Ulanenrööchen genannt. Nach einem halben Jahr er hielt sie aber schon wieder eine ander Bezeichnung. Da war sie die »Ulanen braut« geworden und in weiteren sün gironaten hieß sie: »Frau von Toll g—« - OOO Geiz. Von Franz von Busch ·Berlin). II »Er ist geizig!« »Aus Geiz hat er sich von aller Wel zurüdgezogen t« »Aus Geiz vernachlässigt er sich i« seiner Kleidun« t« »Es ist abso ut nichts mehr mit ihr anzusangent« »Und er ist doch in einer ganz giin stigen Lage und hätte das alles nich nöthig!« Diese und ähnliche Urtheile ver nahm ich über einen Schul- und Ja gendsreund, als ich nach mehrjährige Abwesenheit zu längerem Aufenthal wieder in die Stadt zurückgekehrt war wo ich ihn kennen gelernt und wo e seinen dauernden Aufenthalt hatte Es wurde an diese Aeußetungen aud der gute Rath geknüpft ich solle th nicht aufsuchen, ich würde eine arg Enttiiuschung erleiden, ja, ich sete mid der unangenehmen Möglichkeit aus von ihm gar nicht angenommen zi werden. Jch ließ mich davon nicht zurück schrecken; im Gegentheil, alle diese Rei den machten in mir nur um so lebhaf ter den Wunsch rege, Paul Kluge zi sehen und mich persönlich stritt-erzeu gen, was Wahres an den ii ihn um lausenden Gerüchten sei. Paul Kluge ein Geizhals! Ja konnte ihn mit ais solchen ja gar nich I- j vorstellen Er war zwar nie eine aber schäumende Natur g,ewesen ein un bändiger Lebensdrang hatte sich an ihm nicht verspüren lassen, gleichmä ßig, bedächtig war er seinen ge gangen und hatte mit kleinen Mitteln vortrefflich hauszuhalten verstanden Dabei hatte er sich mir immer als ein anständiger, nobler Charakter gezeigt, als ein Mensch, der sich selbst nicht gerne etwas abgehen ließ und überall, wo es sich gehörte, eine offene Hand für Andere hatte In Menschen, die so geartet sind, steckt bekanntlich wenig Anlage zum Geiz; wäre Paul Kluge in jüngeren Jahren ein Verschwender gewesen, der Umschlag würde mir viel natürlicher erschienen sein. Allerdings war er unverheirathet geblieben; und aus diesem Umstande lassen sich ja vieleSchrullen bei Männ lein und Weiblein erklären. Doch gleichviel, ich wollte ihn sehen und sprechen untd ging zu ihm mit dem festen Vorsatz, mich nicht so leicht von seiner Schwelle weisen zu lassen. Paul Kluge empfing mich mit den Worten: »Franz, mein alter Franz! Das ist ja eine große Freude! Herein, schnell hereint« Er faßte meine Hand, zog mich über die Schwelle seinesZimmerg und dann - lagen wir einander in den Armen , Der große, träfthe Mann schluchzte wie ein Kind un mir wurden auch die Augen feucht Ich fühlte mich tief , gerührt durch diesen Empfang und - konnte mich eines Gefühls der Beschä Its N fI I , muna nicht erwehren. Ein Mensch« der sich ein so warmes Herz für den ; Freund bewahrt hatte, konnte nicht ei nem Laster verfallen sein, das mehr - als alles andere vertnöchern und ver steinern soll. Durch einen Druck auf die Klinget hatte Paul feine Wirthin in’s Zim mer gerufen und flüsterte angelegent lich mit ihr. Sie verschwand eilfertig und nach verhältnismäßig turzer Zeit standen appetitlich angerichtet ein gu tes, reichliches Frühstück und ein paar Flaschen recht trintbarerWein auf derr Tisch. ’ Paul hatte mich inzwischen auf dai Sopha gezogen und wir waren in’i Plaudern gekommen, in jenes Plau dern, dessen einzelne Abtheilungen zwi schen zwei Jugendgenossen immer mi der Frage »Weißt Du noch?« anzuhe ben und mit einem wehmüthigen La chen zu enden pflegen. Wir waren all mälig zu Ereignissen neueren Datumt übergegangen und erst nach längeres Zeit merkte ich, daß ich der Erzählende Paul der Zuhörende war, der micl durch geschickte Fragen zu immer weis teren Mittheilungen anzuregen wußte »Und Du, Paul?« fragte ich end lich. »Bisher habe ich nur von mi« gesprochen; jetzt berichte endlich aud von Ditt« Er machte eine abwehrende Bewe gung mit der Hand und über sein viel fach gefurchtes Gesicht zuckte es weh müthig und bitter zugleich. »Ich leb und arbeitet« Er machte gleichzeitig eine Wendunq nach dem Fenster, vor dem ein gro ßer, weißgescheuerter Tisch mit Reiß brett, Papier, Stiften und allen Uten silien für das Zeichnen stand. Pan « Kluge war, wie ich hier gewissermaßet U " in Parenihese einschließen will, ein ge suchier Zeichner fiir illustrirte Blätter Bücher, Kalender oder dergleichen durchaus kein genialer Künstler, abe eine sehr brauchbare Kraft, ein gewis senbafier, fleißiger Mensch, der nichir verdarb, was er in die Hand nahm und auf den man sich jederzeit verias sen konnte. Er hatte ursprünglichMa ler werden wollen, aber bald erkanni daß eg bei ihm »dazunichi lange«, uni sich klüglich auf die klein-e Genre zu rückgezogen. Ehe ich gegen die Kürze seiner Aus kunfi Einspruch erbeben konnte, mel deie die Wirihin, daß alles bereit sei und mii einem gewissen Triumpl führte mich Paul an den wohl besetz ten Frühstücksiisch Auf meine bös liche Vorstellung, daß dies keineswegi nöthig gewesen, erwiderte er mit einen - wahrhaft sirahlenden Lächeln: »Ach, Du weißt gar nicht, welch Freude Du mir bereiiest, wie wohl ei mir thut, einen Freund bei mir bewir ihen zu können!" Und die Ari, wie e1 mir die besten Bissen auf den Telle1 legte, die Gläser füllte, mich zum Esset und Trinken ermunierke und mir mi« uietn Beispiel voranging, indem e1 ich selbst tapfer zulangte, bewies mir daß dies keine leere Redensari sei. Und dieser Mann sollte geizig sein’ Alle Wahrnehmungen, die ich machte brachten mich zu der Ueberzeugung Paul Kluge sei einer der beskvetleum deiens Menschen. Das Haus, in welchem er wohnte lag zwar nicht in einer vor-nehmen« aber doch in einer ganz guien Stadi g ein-, man brauchde, um zu ihm zu ge angen, nicht bis unier das Dach zu steigen, es standen ihm mindestens drei : Zimmer, deren Einrichiung gut und behaglich war,’ zur Verfügung, die Hauslleidung in der ich ihn ange troffen, war so, daß er sich ohne Be denken darin vor jedem Besuch sehen lassen konnte. Bei näher-er Betrachtung und ich muß gestehen, daß ich meine Blicke recht prüfend umhergleiten ließ, em psing ich freilich den Eindruck, daß al les, was Paul um ab, alt und aus das sorgfältigste g chont und wieder hergerichtet war, wie man das wohl im Haushalt herabgelottnmener vor nehmer Familien findet, wo jede Neu anschaffung zu den Unmöglichkeiten ge hört. Auch in dem Gesicht des Freun des entdeckte ich jetzt Linien, die mir zu denken gaben. Sollte doch an dem Ge rüchte etwas Wahres sein? Doch nein« da brachte er ja Cigar ren von zweifelloser Güte herbei. Wer enif solches Kraut raucht, kann doch cht geizig sein! Unsere Unterhaltung war imz Sto cken gerathen. Schweigend schaute ich dem sich träuselnden Rauch meineer garre nach und Paul fragte mich nach einigen Minuten: »Was beschäftigt Dich, Franz? Wo rüber denkst Du nach?'« »Ueber Dicht« platzte ich heraus. »Dacht’ ich’s doch,«nickte er mit weh müthigem Lächeln. »Man hat Dir schon von mir erzählt?« Jch bejahte stumm. »Man hat Dir gesagt, ich sei gei i ?« zg Web lebe in, ims- mnn Dir bitteres T iw NW Unrecht thut!« rief ich, seine Frage in direkt bejahend, er aber entgegnete: »Nein, Franz, die Leute haben recht. Wenigstens haben sie recht nach dem, was sie von mir sehen und hören, so zu urtheilen,« fuhr er fort, als ich erschrocken und unwillig auffuhr. »Ach, Freund, es weiß ja niemand, was ich selbsi darunter leide.« »Aber,Paul, ich versteheDich nicht!« ries ich, mehr noch als durch die Worte betroffen durch den Ton, in dem sie go sprochen, der Miene, von der sie beglei « tet wurden; und noch schwermiithiger entgegnete er: »Ich verstehe mich ja selbst nicht - recht!« « s »Du bist arm, Paul? Deine Kunst « trägt Dir nur wenig ein? Du hast - Mühe, nur den äußeren Anschein aus I recht zu erhalten?« fragte ich und be i dachte schon im Stillen, auf welche - Weise ich ihm den Aufwand siir das ; Frühstück zart vergüten könne; es schien I aber, daß ich heute nicht aus den— Ue s« berraschungen herauskommen sollte, s denn er antwortete: I »Nein. Jch habe ein ekekbtes nei - nes Vermögen durch Fleiß und gute » Wirthschast vermehrt, und meine Ar s beiten bringen mir einen- Ertrag, daß - ich mir weit eher Ausgaben gestatten i könnte als mancher von Benen, die sie , mfachen und über mich die Nase rinn · v en.« s »Du thust es dennoch nicht? Wes · i bnlb nicht2« an.v-as-. — « »O wie gern, wie gern!« rief er und rang die Hände. »Ich bin nicht gern einsam! Jch sehne mich nach Gesell schaft! Ein Kreis anregender Men schen, ein gutes Theater, ein Konzert ist mir Lebensgenuß, aber ich verzich te darauf, verzichte aus alles, wasKo sten verursachen tönnte!« Jch war aufgespkungen und mochte ihn nicht eben mit den wohlwollend sien Blicken betrachten. »Verdamme mich nicht, Franzi« flehte er mit ausgehobenen Händen. »Es ist ja nicht Geiz!·« »Aber was ist es denn sonst?« frag te ich scharf. »Die Angst! Die Angst!« wimmer te er. »O, ich kann sie Dir ja nicht be schreiben, diese Angst, diese wahnsin nige Angst, die mir das Leben vergällt , und zerstört!« »Die Angst; wovor?« »Daß es nicht reichen, daß ich eines ; Tages dem Mangel, dem Elend preis gegeben sein würde!" Mich durchzuckte ein Schrei-. Hatte ich einen Geistig Gestörten vor mir? Er mochte mir die Gedanken von der Stirn lesen, denn er fuhr fort: »Fürchte Dich nicht, ich bin nich-i wahnsinnig, wenn ich mich auch schon oft selbst gefragt habe, ob es nicht doch .- dieser düstere Geselle sei, der vernehm .- lich an meinen Hirniasten pocht.« »Warum siehst Du keinen Arzt zu F Rath-, Dein Zustand ist jedenfalls - iranthast,« bemerkte ich, wieder von Bedauern ergriffen. »Was soll er mir? Was er mir sa en kann, das sage ich mir in guten Stunden allein,was er mir verordnen könnte, wende ich in bösen Stunden, und die sind die Mehrzahl, doch nicht an, denn es kostet Gele« gestand er, »und aus dem gleichen Grunde habe ich mich auch noch nie einem Freunde anvertraut. In Deiner Riibe kommt mir heute ein unabwrisliches Bot-it · niß dazu. Willst Du mich anhören Jch nickte stumm. Unsere Ei arm waren lange schon erloschen, ver