Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 16, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    — « « 1
Die Lösung des Problesss.
Humor-esse von par-l A. Kiesieitr.
Jrn Ballsaale hatten sie sich kennen
gelernt, ordnungögemäß, nach allen
Regeln der Kunst. Jm Kreise der
Mütter, Tanten und Freundinnen
hatte sie dagesessen und nun gewartet«
ob und von tvo wohl ein Tänzer für sit
kommen würde. Mißmuthig war end
lich der Vater ausgestanden und hatte
sich umgesehen. Er hätte viel lieber
eine kleine Siatpartie gemacht, aber er
konnte doch unmöglich sein Töchter
chen gleich auf der erst-en Reunion sitzen
lassen; dazu war er doch nicht mit ihr
ins Bad gereist.
Er steuerte also langsam durch die
dichtgedrängte Menge der Thiir zu unt
,hielt fleißig Umschau. Anfangs ent
deckte er nichts, einige Minuten später
aber tauchte vor ihm ein alter Ge
schäftsfreund aus. Der konnte ihm
vielleicht nützlich sein! Freilich —
Tänzer hatte er auch nicht aus Lager«
aber einen großen, erwachsenen Sohn.
Der konnte zur Noth die Stelle eines
einzelnen einnehmen-. Schleunigst tout
de er also herbeigeholt und seierlichst
vorgeftellt.
.,Er ist zwar Gelehrter,« entschul
digte der väterliche Geschäftssteund,
»aber doch auch nicht ganz ungeiibt in
edlen Leibesiibungen!«
Da sahen sie sich also das erst(
Mal! Na, später kamen dann viei
Wochen des täglichen Zusammenseins
wie das im Bade so üblich ist, und ale
die Zeit vorüber war, waren sie Beid
schon recht herzlich in einander verliebt
so daß Olga, dise Tochter des Einen
Hermann, den Sohn des Anderen, in
Stillen schon immer »Männe, ihrer
lieben Männe« sogar, nannte. Abs
das geschah vorläufig immer noch ganz
insgeheim, nur begleitet von leisen
Erröthen und um so lauterem Herz
klopfen. .
Jn der Stadt freilich, da wurde ej
bald anders. Da sagten sie sich ziern
lich offen ganz ähnliche Sachen, of
noch sogar in bedeutenderem Maße
aber das Erröthen legte sich dabei, unl
das Herztlopsen trat nur auf, wenn si«
sich Beide erwarteten Auch die Elteri
erfuhren es bald, was sie für einande«
fühlten, und da sonst alles gut unt
schön zu einander stimme, so nahm«
sie die verschiedenen Hände, legten si
in einander —- und sagten weniger
als sie im inneren Herzen fühlten unt
dachten.
Glänzend und rührend wurde dana
die Verlobung gefeiert, und als an ih
ren beiden Fingern die blinken-der
Ringe blitzten, fiihlten sie sich so glück
lich« so gehoben, daß der junge Bräuti
gam, Privatdozent der Philosophie
gleich an eine neue Auslegung dei
Glücksbegriffs dachte.
Sie aber blickte strahlend zu ihm au«
und in ihrem Herzen wuchs der Stolz
aus ihn, der da so groß und herrlick
vor ihr stand, ihr Bräutigam, ihr Ein
ziger, ihr Schirm und Schutz von nur
« an! Sie lehnte sich so ganz leise ar
seine Brust, als wollte sie es das erst(
Mal schüchtern durchiosten. Da schlank
auch er seine starken Arme wild un
ihre zarten Schultern und preßte sie ar
sich, als wollte er sie gleich festhalten
wo von jetzt ab ihr Platz, ihre Heim
stätte sein sollte.
Aengstlich entwand sie sich ihml
schüchtern wich sie zurück vor dem
Neuen, das jetzt in ihr Leben getreten
war. Es schien ihr wie eine Einweih
rmg ihres reinen Gefühls. Sie wolltt
nnd mochte diese Wiidheit nicht, weil
sie solche ja nicht kannte, nnd ihr alles
so fremd vorkam. Still und ruhig
sollte es brennen, aber desto länger uwt
heißt-t
Das sagte sie ihm später einmal, als
er sie danach fragte, und der Privat
dozent, gewöhnt an das Löer großer
Probleme, begann nun aufs Eifrigstt
zu forschen, wieso, warum sich das
Glücksgefühl der Menschen so verschie
dentlich und anders äußerte; aber et
fand f o leicht keine Lösung.
Und doch verfolgte ihn dieses Pro
blem, wo er auch ging und stand. Be1l
allen- Verlobungsvisiten, Diners unt
Feierlichkeiten — immer wieder mußt(
er daran denken. Sie saß dann sc
ruhig und liebenswürdig s o wohlerzo
gen neben ihm, konnte mit Jedem unE
über alles sprechen, als wäre gar nichts
vor-gefallen; überhaupt that sie, als
wäre sie nicht verlodL Ihm rollte in
zwischen das Blut so stürmisch unt
wild durch die Adern, daß er sie in ei
nem fort hätte drücken und küssen mik
sm. Seine Augen glänzten wie Feuer«
et fällst-e es ordentlich. Er mochte über
gupt nichts anderes mehr sehen als
; feine kleine, angebetete Olli, unt
wenn er sie dann so inmitten der An
deren anhirnmelte dann winkte sie ihm
M verstohlen, er solle es doch lassen«
Ue Anderen merkten es ja!
Als ob daran etwas l" ! Die An
dere-I nnd immer wieder Andere-il
Erwardochdmerzuersiundgaq
—l
allein fiit sie. Daß sie das nicht
fühlte!
Er war ganz betrübt. Mitusnter
kam es ihm so vor, als ob sie gar nicht
so liicklich wäre wie er — nnd wie er
es ch gedacht hatte. Sie könnte doch
dann at nicht immer s o gemessen und
. . . . Jeierlich sein. Einmal müßte sie
doch ordentlich aus sich herausgeben
Sie konnte ihn wohl nicht so lieh ha
ben, konnte nicht glücklich sein . . . .
Doch dann, wenn er mit ihr allein
war, sah er ihr wieder in die guten
Augen, und jeder Zweifel war vorüber.
So viel Liebes und Treues sür ihn
sprach daraus, und ihre kleine Hand
streichelte ihn dabei so zärtlich, drückte
ihm so alles in die sei-ne hinein, Hinge
bung und Vertrauen, daß er sich schalt
und ordentlich böse war wegen seines
Mißtrauens.
--- - -
Einmal hatte er es ihr auch gesagt,
aus Zorn über sich selbst. Da war es
Ifeucht unter ihren Wimpern hervorge
drungen, leise zitternd hatte sie seinen
schwarzen Kopf genommen und geküßt
—- dann war sie fort. Er konnte sie
eine balbe Stunde nicht finden. Sie
hatte wohl geweint.
Jn stiller Freude erinnerte er sich
immer dieses einsamen Zusammen
Iseinä Er dachte ran so viel, daß er
das Lösen seiner robleme fast dar
über vergaß. Sein ganze Sehnsucht
gipselte darin.
, Aber noch immer war der Winter
nicht vorüber. Noch immer wechselten
ssich Gesellschaften und Biille ab, und
daer den Tag über sast stets beschäf
tigt war, wurde ihm die Erfüllung
jseiiies Wunsches sehr erschwert. Und
Abends, unter den aufgeputzten Men
s-chen, Von denen sich die meisten ziem
- klich fremd gegenüber standen, war dann
jiintner das alte Spiel: sie wollte kühl
und besonnen sein, daß Niemand von
: ihrem Brautstand etwas Besonderes
·ibeinerlte, und er wollte sie in« einem
isort ans chauen Der Schluß war daß
sie aus diese Weise gewöhnlich halb böse
aus einander gingen.
i Erst am Abend vorher war es wie
f
" der so weit gekommen. Sie waren bei
; einein alten Professor geladen Rgewesen
. und unter den übergelehrten annern
L mit den übergebildethrauen und den
z vielen Beamten war es extra steis und
, förmlich zugegangen. Olga wollte na
; türlich gleich mithalten, der Manne
. aber gar nicht. Der benahm sich so
sswie immer und da es der Olga aus
die Dauer zu unangenehni und zu viel
swurdg seyie sie sich einfach von ihm
» fort und hinüber zu einer alten Dame
.! Oh, oh —- wie sah da das Gesicht
» des Prioatdozenten aus! Es paßte
- gar nicht zu seiner sonstigen logischen
- Denkweise.
,I Halb noch schmollend saßen sie sich
i nun am nächsten Tage nach dem Essen
·gegeniiber. Der Bräutigam war im
- mer noch nicht freundlich gestimmt.
i Mit einer großen Falte zwischen den
- Augen blickte er tiefbetriibt vor sich hin.
- Er sprach fast gar nicht.
«- Das wurde der Braut aus die
«- Dauer zu viel. Behutsam stand sie
s deshalb auf und ging zu ihm an die
, Chaiselonge. SchmeichelnId legte sie
s ihre Arme um seine Schultern und
T lächelte ihn an:
! »Na, Männe, bist Du i— immer
noch.·.. böse?«
; Er sagte gar nichts. Einen Mo
ment that er, als wollte er ihre Arme
abschiitteln, dann saß er wieder still.
Die Falte wurde etwas kleiner.
» Sie schmeichelte weiter, indem sie
sich mit ihm aus und ab wippte: »Was
habe ich? denn gemach-t, mein klei
ner.... «
» »Acht« Es war der erste Ton.
j Sie horchte auf, hielt mit Wippen
inne und sah ihm gerade ins Gesicht:
»Na? — Sag’s doch!«
»Ach, ich meine blos . . . . Wenn ich
Dir hier für zu Hause gut genug bin,
dann kann ich’s auch siir außerhalb
feint«
Sie lachte. »Aber Männe. . . .!«
»Na ja —,« seine Stimme wurde
lauter: er hatte sie, seine Braut, wirt
» lich von seinen Schultern gedrängt, —
»wa3 sind das sitt Sachen-! Wir sind
doch ordentlich und ehrlich verlobt, wa
rum sollen wir denn das nicht zeigen
dürfen?"
Sie lachte wieder. »Aber Scha ,
weil wir uns doch nicht auslachen las
sen wollen!«
»Ach, Unsmn!« Seine Stimme ging
noch höher, die Falte wieder tiefer.
»Weil Du Dir aus mir nichts machst,
weil Du mit mir nurspielen willst . .!«
Da mußte sieaber wirtlich sur bar
lachen. Sie umschlang i - Micheli-en
beiden Armen. »Aber änne,« rief
sie noch immer lachend, .Du· bist ganz
und gar von Gott verlassen-» Da be
«merttesieinseineensartoothtt
eine kleine Brot-kennte Abgelen ,
hk sie fort: »Was Dir doch lieber
nnnssswenssw
Im , a o
» Sachen ichs-Mk
Al
hu — da wurde er aber böse!
-«Was? Thörichte Sachen schwase
ich's« Er sprang aus von seinem Sti.
,,Abet na ja —- das ist Deine Liebe!
Wenn ich einmal ernst mit Dir rede
kommst Du mit solchen Dunmiheiten
wie dem Krümell Und wenn er schon
in meinem Barte sint,« schrie er lau
ter, »wen stört er dat? Aber natürlich,
ich schwatze thörichte Sachen . . . .!«'
Und so ging es noch eine ganze Wei
le weiter. Mit einem Wort, der Zank
war da. Der erste! Hestig, groß und
bitterböse! Er endigte mit Fortlau
sen, Thürenwerfen und blassen, ver
grämten Gesichtern. Trost war nicht
zu bringen; der Schmerz, der mußte
sich verbluten.
Einen ganzen Tag, bis zum näch
sten Abend sahen sie sich nun nicht. Er
hatte seine Kollegen absagen lassen und
philosophirte ernst und eingehend bei
sich zu Hause. Sie war auch zu Hau
se; doch ihre Philosophie bestand im
andauernden Weinen mit salzigen —
verliebten — Thränen.
Sie glaubten schon Beide, es müsse
zwischen ihnen zu Ende sein. Aus —
der Traum von Liebe und Glück und
ewig brennend der Schmerz und die
Trennung! Es war ja auch zu arg
gewesen« ihre Verschiedenheit in so
großen Dingen!
Ul-—Ld «--s-A- L-— Ost-—F..,»., t
Abends pochte der Schwiegervateri
an des Privatdozent-I Thür. Er steckte!
nur den Kopf durch »Hö:
Schwiegersohnt Du sollst heute nicht
kommen, die Olga ist itatrkl« Fort
war er wieder. , ;
Der arme Mann! Er wußte noch.
gar nichts. -
Aber den Privatdozenten faßte es
merkwürdig an. Seine Braut, seine
kleine, geliebte Olga trank! Es war
so eigenthiimlich —- nach dem gestrigen
Streit.
Unruhig fing er an, zu überlegen.
Was war denn eigentlich gewesen? Er
wußte es kaum noch. Das war alles
so schnell gekommen. Na, und .....
nun? Sie konnte doch nicht kommen,
das erste Wort geben. Das mußte
doch —- — dazu war er doch der
Mann!
J, und gerade jetzt, wo sie trank ist!
Rasch seßte er sich den Hut auan
mußte er doch bin —- gerade jetzt!
Mit Blumen trat er in ihr Zimmer.
Sie saß traurig am Fenster und-als
sie ihn . . . .
«- « s
Ach was —- sie ist ihm an den hals
gesprungen und hat ihn wild und lei
denschaftlich geiiißt, daß er selbst ganz
überrascht war Gesagt hat er aber
doch nichts, jetzt —- bei der Erfüllung
seines Lieblingswunsches, nur am
nächsten Tage schrieb er in sein Buch:
Der Streit gehört zum Glück; er
verstärkt das Gefühl.«
Als sie ihm aber bei der nächsten Ge
sellschaft gelegentlich auch ganz heink
lich einige zärtliche Blicke zuwarf und
ihm sogar unter dem Tisch die Hand
drückte, strich er das wieder aus und
schrieb dafür: :
»Das Gefühl des Glückes wird ver-;
stärkt durch das Fehlen eines Strei-j
Les-· «
Nach seiner Hochzeit strich er auchj
das wieder und schrieb —- —- garl
nichts! Einmal störte ihn seine kleines
Frau, und später wurde das Glücks-H
gefühl so start, daß er iein Problem«
dafür und keine Lösung ausfindig ma
chen konnte. Da ließ er es. Die»
Rats-Mache war ja doch —. das Glück
e .
— OO —
Tet Bann-un
Von Theodor Lange.
Max Buschbauet war in der Aug
wahl seiner Eltern ziemlich vorsichtig
gewesen, so daß er bei deren Ableben es
sich erlauben konnte, wenigstens eini
germaßen seinen Neigungen zu leben.
Die Mechanik bildete fein liebstes Stu
dium und das Gebiet der Erfindungen
war gerade das richtigeIashrwasser, auf
welchem feine Phantasie am besten flott
zu machen war. Er hatte schon vieler
lei Stellungen bekleidet, alles Mög
liche und Unmögliche begonnen, aber
stets verstand er einen Theil seinet, von
anderen ges-achteten Zeit für sich zu re
serviren, um dann iiber weitere Erfin
dungen nachzugriibeln oder an deren
Vervollkommnung zu arbeiten. Das
Perpeiumn mobile wäre ihm beinahe
gelungen und auf eine neue Anwen
dung des RitteÆlyeerins für Gelo
schranksprengun en "tte er aller
Wahrscheinlichkeit na das Patent
recht erhalten, wenn er —- sich darum
beworben hätte.
Seine Schulbildung stellte das eiser
ne Ratursefä von den leeren- Räumen
auf den o , in feiner Erziehung je
doch hat-den seine ster großar
tige Erfol eaqu en- Jn Amerika
Mäfäxs MWYF ä« W
g n i rnii en
diese Herren wohl gewußt und in wei
1
ser Bornnzsi t ihre Kenntnisse dahin
verwerthet ha n. Tro dem aber hat
ten sich im Laufe der t engere Ve
ziehungen zwischen ihm und Ernst
Komtura heran ebildet, der als tüch
tiger Geiger eine olle pielte und durch
Ertheilung von Muttstunden seinen
Lebensunterhalt verdiente.
Man konnte das Berhälaniß eigent
lich nicht als wahre, ächte Freund
schast bezeichnen, denn diese vermochte
Buschbauer niemandem zu bieten. Ein
Freund hatte ihn einmal um ein gutes
Patent schnöde bestohlen und dasselbe
zu hohem Preise an denMann gebracht.
Seit der Zeit war Buschbauer miß
trauisch im höchsten Grade Und sobald
sich jemand nach dem Stande seiner Er
sindungen erkundigte, schnauzte er ihn
ab und betrachtete ihn als Spion, der
ihn um sein Erfinder-recht betrügen
wolle. Der Verlust des Geldes. um
das man ihn gebracht hatte, und das
ibm bis zu einem gewissen Grade ab
banden gekommene Prestige wurmtcn
ihn gewaltig. Auch Komtura’3 Wesen
war an Undfiir sichiiberhaupt nicht all
zu umganglich und so ist es wohl er
klärlich, daß er bei all seiner Gewinn
tät und seinem stoischen Gleichmnth
sympathisches Entgegenkommen weder
erwartete not-b verbinde
kllWllclk llUq Uhu-Ulyss
Buschbauer’s Verlobung mit Fräu
lein Veronita Muth überraschte Nie
manden, da man etwas Derartiges
längst erwartet hatte. Sie war hübsch
und aufgeweckt und in guten Verhält
nissen ausgewachsen; Bufchbauer liebte
und suchte ihre Unterhaltung und fand
in ihrer Gesellschaft jene Anregung, ve
ren er in Verfolgung seiner sonstigen
Ziele und Studien so sehr bedurfte.
Dabei versuchte er keineswegs, ibre
ganze Aufmerksamkeit fiir sich allein in
Anspruch zu nehmen; er liebte es im
GegentheiL sich an der allgemeinen Un
terhaltung in mehr passiverWeise durch
Zuhören zu betheiligen. So tam es
daß er Korntura häufig einlud, ihn zu
seiner Braut zu begleiten, wo auf den
schattigen Rasenpliitzen der Mutb’schen
Besihmrg meistens schon andere Gesell
schaft sich eingefunden hatte. Komtura
gefiel sich hier manchmal in der Aeufzes
rung allerlei absonderlicher Ansichten
und er batte dabei bieGenugthung, baß
ihm Fräulein Muth mit mehr als ge
wöhnlichem Interesse zuhörte.
»Mich freut es immer, daß ich kein
Genie bin,« sagte er eines Abends.
»Genialität macht den Menschen auf
die Dauer unglücklich, da er, mit Aus
fchlusz eines einzigen Gegenstandes-, für
alle anderen Dinge unbrauchbar wird.
Man kann keine geistreichen Abhand
lungen schreiben und dabei aus dem
Felde pflügen. Und nun gar ein ver
heirathetes Genie! Das ist erst recht
ein Fehlschlag. Handelt es sich darum,
das Bahn zu traan oder eine Erfin
dung zu ver-vollkommnen so wird
sicherlich das Kindchen hingelegt. Wenn
ich aber so einen lleinen Erbenhiirger
hätte, ich wiirbe ihn unter keinen Um
stänben niedglegen;«
L «
»OI«"JVU! VIUUUL llcscll Ul( su:"sscll
Damen im Chor.
»Gcbiirte das Babn aber sonst Je
mandem, so würde ich es sofort loszu
tverden suchen, falls es anfinge zu wei—
nen.«
«Schmachvoll, schändlich. Sie Ego
ist," ertönte es nun von allen Seiten.
»Mir gefällt die Art und Weise,
wie ein Gelehrter Angelegenheiten be
handelt, die für andere moralisches Ge
wicht haben«, sagte ein junger Arzt, der
sich in der Gesellschaft befand. »Alle-z,
was nicht seine eigensten Angelegenhei
teråy betrifft, existirt für ihn einfach
ni t.«
»Da-J paßt auch aus das Genie«, ant-·
wartete Komiurm »Dort findet man
die Entwickelung einer einzigen.Gabe,
alles Uebrige ist eitel Dunst und rode
einfach oergessen.«
»Das erinnert mich,« bemerkte der
Doktor mit mehrSarlasmus als Tatt,
»an eine töstli Bemerkung« welche
Buschbauer neu ich abends —- er kam
grade von seiner Braut — mir gegen
über machte. Die Uhr schlug grade
neun. »Um himmels Willen«, rief er
aus, »wieviel kostbare Zeit habe ich da
wieder verschwendet!'·«
Die kleine Episode rief all erneines
Gelächter hervor, am laut en aber
lachte der Doktor selbst. Fräulein
Muth erschien am wenigsten berührt,
ihre Stimme zitterte jedoch ein klein
wenig, als sie ihren Bräuti am fragte,
ob nun seine Erfindung ni t bald ein
mal in Au enschein nehmen dürfe.
»Das odell ist bald fertig«, ent
egneee er, »und ich hoffe, daß der
th meiner Erfindung alle etwai en
Bemerkun en entschuldigen wird, ie
ich viellei i im Hinblick au verlorene
Zeit gemacht haben mag. ancher be
greift nicht, wie vollkommen man in ei
ner bestimmten Arbeit ausgehen kann
und mit welchem Eifer man dieselbe zu
vollenden trachtet. Dem Unbetheilig
ten erscheint solcher Eifer absurd, aber
ohne diesen Enthrstasnius ve nie
mand etwas Ordentliches u lei n."
»Das ist auch meine Anschic sagte
—l
Veronika mit Wärme. »Bei Enthu
siasmus Andeter kommt uns immer
lächerlich vor.«
»Aber wozu denn diese Geheimnis
trämerei mit Ihrer Erfindungs« stag
te lachend der Doktor. »Es wird wohl
so etwas wie eine Flugmaschine sein.
O, Fräulein Veroniia, mein Verdacht
ich wohl begründet! Als ich ihrem
Bräutigam vor einigen Tagen einen
Besuch abstatten wollte, bemerkte ich
aus dem Fenstetworhang den Schatten
eines sonderbaren Dinges, das mit
Fächern und liigeln ausgestattet zu
sein schien. ollte Max sich mit der
Lösung diesesProblembsbeschiiftigenso
bezweifele ich seht start, daß er sogleich
aus Erfolg rechnen dars. Das Fliegen
ist eine der schwierigsten Kkastäußerum
gen det Natur.«
»Mir scheint, daß man sich unbefug
ter Weise mit meinen Angelegenheiten
besaßt", antwortete Buschbauet gereizt.
»Ich möchte mir denn doch aus-bit
ten —«
Veroniia nahm ihn aus die Seite
und fliisterie ihm ins Ohr: »Ereiseke
dich doch nicht über den Doktor; er liebt
die Neckerei und denkt sich gar nichts
dabei.«
Gnka -------- !L-—.L- spzxtg -l’.-- .
Bulchbauer erwiderte nichts, aber er
war sichtlich verstimmk und da die Un
terhaltung nicht so recht wieder in Fluß
kommen wollte, so brach die Gesellschaft
kurz darauf aus und er und Komtura
traten gemeinsam den Heimweg an.
Während des Spazierganges und
mehr aus dem Grunde, um seinen
Freund wieder auf andere Gedanken zu
bringen, als aus Interesse an der
Sache, sagte Komtura plötzlich: »Ich
habe eine Idee, die von Jhnen vielleicht
nutzbringend angewandt werden könn
te; fiir mich ist sie natürlich werthlos,
doch erscheint sie mir ausführbar."
»Und die wäret« fragte Buschbauer
im Tone stumm vor sich hinsbriitender
Gleichgültigteit,herbeigeführt durch die
sixe Idee, daß jeder, auch der Dottor,
ihn auszufpioniren versuche.
»Sie kennen doch die elektrischen
Fächer?« antwortete lächelndentura.
»Nun ist mir der Gedanke aufgestiegen
daß eine ähnliche Vorrichtung zur
Fortbewegung eines Bootes, eines
Dampfers inAnwendunggebracht wer
den tönnte.« Er fuhr dann fort die
Einzelheiten zu erklären und mit oen
Worten: »Lächerlich, nicht wahr?«
brach er selbst in schallendes Gelächter
aus.
Bufchbauer blieb stumm wie ein
Fisch, gab dann einen unartitulirten
Laut verhaltener Wuth von sich und
plötzlich fühlte sich Komtura am Halse
gepackt und gewürgt, bis er zu Boden
sank. Hageldicht sausten die Hiebe aus
ihn hernieder, bis er das Bewußtsein
verlor und wie todt liegen blieb. Der
Ueberfall war so plötzlich und unerwar
tet gekommen, daß an eine Vertheidii
gung nicht zu denken war.
Verräther! Schurke! Spioni« brüll
te Buschbauer in furchtbarem Muth
Paroxismus. »Also auch du hast den
Spion gespielt und willst mich um mei
ne Erfindung betrügen! Jch habe dir
nie getraut und tro dem hast du meine
Geheimnisse belau chtt Da arbeitet
man und müht sich ab und ein Anderer
ernt.t die Früchte! ft das Gerechtig
keit? Jst das ehrli gehandelt? Jch
könnte dich umbringen!«
Er hatte blindlings darauf losge
schlagen und mit der einen Hand hielt
er noch sein Opfer an der Gurgel. Kom
tura hatte nur ein paar Worte hervor
bringen und um« Gnade stammeln län
nens. Die Muth bemächtigte sich Busch
bauer’s aufs neue. Er sprang von s ei
nem Opfer auf, versetzte ihm einen hef
tigen Fußtritt und rief: »Enthitlle mir
deinen Verrath in seinem ganzen Um
fange! Du und der Doktor, ihr steckt
unter einer Decke! hr habt meine
' Wirthin bestochen, eu Zutritt zu inei
nern Zimmer verschafft und mein-e Mo
delle gestohlen. Gestehe deine Schurke
rei oder ich bringe dich umt«
Aber Komtura antwortete nicht, sein
Mund war stir immer verstummt.
Fröstelnd be te sich Buschbauer über
die leblose G talt. Die Augen waren
ebrochen, kein Pulsschlag war zu füh
hörn das Herz hatte zu schlagen aufge
·rt.
»Todt!« murmelte er bestürzt.
Sein erster Gedanke war Flucht. Er
war fest davon überzeugt, das; sein
Freund ihn-. einen Schurienstreich ge
spielt habe. Der Trieb der Sechster
haitung erwachte in ihm —- der Verrä
ther war todt; die Leiche mußte aus
dem Wege geschafft werden. Die That
bedauerte er nicht, aber er fürchtete die
Folgen. Kothra hatte den Tod ber
dient, doch ihn selbst sollte wegen des
Mordes keine Strafe treffen. Der
Leichnam mußte verscharrt werden und
er wollte sich aus dem Staube machen
Dai konnte ohne Aufsehens geschehen
da er schon länger davon- gesprochen
hatte, eine Reise anzutretenr »
Sofort machte er sich an dieszufübs
rung seines Planet Jn der Ruhe de
Tbatortel am Keeuzwege befand sich
ein frischgepfliigter Obstgarden und in
F —
der weichen Erde ließ sich schnell ein
Grab aufwerfen-. hinter feiner na -
bei eleglenen Wohnung befanden ch
i ta Gartengeriithe und Skatern
welche er in kurzer it herbe holen
konnte. Auch das Mo ell, dessen An
blick ihm jetzt Grauen ein-fleißig sollte
mitsammt dem Diebe, der ihm die Jdee
gestohlen hatte, begraben werden ; fitr
ihn war sie jetzt werthlos. Sollte spä
ter einmal die Leiche gefunden werden,
so konnte er zu seiner Vertheidigung
anführen, Komtura habe ihm das Mo
dell gestohlen; er habe ihn unbeabsich
tigt getödtet und das bei dem Leichnam
vorgefundene Modell konnte dann als
Beweis seiner Behauptung dienen.
Bufchbauer lehrte schnell an den Ort
des Verbrechens zurück. Das Halb
duntel der Nacht b ünstigte ihn bei
seiner Arbeit; mit ieberhafter Hast
warf et Schaufel um Schaufel auf und
in verhältnifzmäßig kurzer Zeit war
das Loch tief genug, um den Körper des
Gemordeten ausnehmen zu können.
Vorsichtig senkte er die Leiche in die
Grube, legte ihr das Modell auf dir
Brust, fchaufelte das Loch zu unsd ebnete
sorgfältig die Oberfläche,um jede Spur
zu verwischen.
Grade war er mit feiner Arbeit fer
tig, als plötzlich aus der Tiefe ein Stir
ren und Schnurren an sein Ohr drang.
»Ich habe vergessen, daß die Feder
ausgezogen war,«« murmelte er. »Sie
wird bald abgelaufen sein.«
Nachdem er noch ein-mal sorgfältig
Umfchau gehalten hatte, ob auch alle
Spuren der grausigen That getilgt
seien, eilte er befriedigt seiner Woh
nung zu, um der Ruhe zu pflegen. Am
nächsten Morgen mit dem Frühzuge
reiste er ab; feiner Wirthin theilte er
mit, daß er wegen seines Patentes eine
Reise unternehmen müsse und dieselbe
Nachricht übermittelte er schriftlich sei
ner Braut.
— -.-«
Buschbauer war mehrere Monate
lang abwesend. Die Korrespondenz
mit seiner Braut war eine lückenhaftex
ihm ging die Federgewandtheit ab und
keine Briese erwiesen sich als wenig be
riedigensd für die junge Dame. Sie
athmeten sein völliges Aufgehen in
seine mechanischen Probleme und wim
melten von Ausdrücken wie Triebtrast,
Schwerpunkt und Trägheitsgesetz, welk
che siir Fräulein Muth meist unver
ständlich blieben und ihr Jntresse nicht
wachzurusen vermochten.
Der Gedanke an eine Flugmaschine
nahm fein ganzes Sinnen und Denken
gefangen Er machte hin und wieder
vage lndeutungen über seine Joeen
und Entwürse, aber nur ein ausgespro
chenes mechanisches Genie hätte ans
seinen Fingerzeigen sich darüber tiar
werden tönnen, was eigentlich in sei
nem Schädel spukte.
Es mag bestemdend erscheinen, dasz
während der ganzen Zeit keine Silbe
über ben Mord laut wurde. Busch
bauer dachte in Wirklichkeit gar nicht
daran, weil ihn als Genie erstens seine
Erfindungen völli in Anspruch nah
men und weil er ich zweitens fiir be
rechtigt hielt, einen aufbringlichen
Spion aus der Welt zu schaffen. Sol
daten und Scharfschützen welche ein
jelne Individuen aufs Korn nehmen,
leiden auch nicht, mit seltenen Ausnah
men, an Gewissensbissen Bösewichter
haben in Wahrheit tein Gewissen und
der Durchschnittsmensch hat nur ein
sehr unvollkommen entwickeltes. Busch
bauer lebte in dem Wahne, die Welt
halte ihn süi einen zweiten Edison und
der Gedante, daß- er seinen Freund ek
mordet und verscharrt habe, erlosch all
mälig in seinem Gedächtniß.
Da tras ihn eines Tages ein Malen
chlag.
Seine Braut schrieb: »Ich sehe rnich
Veranlaßt, Dir eine merkwürdige Mit
theiluna zu machen. Vielleicht kannst
Du mir Aufklärung darüber geben;
solltest Du das jedoch zu thun im
Stande sein, so begreife ich nicht, wa
rum es nicht schon längst geschehen ist.
Aber unsere Ansichten gehen manchmal
so weit auseinander, daß ich oft be
fürchte, wir passen nicht zu einander -—·
doch darüber ein anderes Mal.
Am Abend vor Deiner Abreise be
fand sich der, dem Schnapsleusel ver
sallene Schuster Thomas Schnell ver
hältniszmiißi niichtern aus dem einr
wege. Unge öhr halbwegs von einer
Wohnung, in der Nähe des Obst ar
tens am Kreuzwege, hörte er ein s ar
rendes Geräusch,als ob ein alter, wacke
liger Wagen über einen holprigen
Fahrweg gezogen werde. Es war bei
nahe Mrtternacht und der Mond war
eben ausgegangen, als er einen blanten,
blinkenden Gegenstand aus dem Obst
garteu hervorkommen sah. Das Ding
purzelte vom User des Baches runter,
surrte und schnurrte im Wa er, stieg
am anderen User empor bis zur Land
straße und nahm seinen Weges-is zu
dem nahen Teich, in welchen r Bach
sich ergießt. Genau konnte er die Ge
stalt nicht unterscheiden, aber sie schien
ihm theilweise die Form eines Bootes
und theils die eines Niesenslrebses zu
haben, der eine Länge von etwa drei