Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 11, 1896, Sonntags-Blatt., Image 7

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    Sonntags ? Blatt
Beilage des »Anzeiger nnd Herold« zu No. 53, Jahrgang lö.
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Feujlletonx
««··«·«IImiingijaus-u.
Roman von Claire v. Glümek
----
(Fortsehung.)
Wochen vergin en; immer leiden
schaftlicher vertie te sich Johanna in
ihre Ausgabe. Ost genügten ihr die
· Tageösiunden nicht, und selbst wenn sie
die Lampe verlöscht hatte, fand sie keine
Ruhe; die Phantasiegebilde, die sie
umdkängten, hielten sie wach, und nur
zu ost verzagte sie im Ringen mit der
Sprödigkeit des Stoffes, dem Suchen
und Tasten, der Unzugänglichteit des
Ausdrucks, der unsicheten Hand dem
unqeiibten Auge.
Daß ihr siökpek bei dieser beständi
gen Nerveniiberreizung litt, war na
türlich. Mehrmals hatte der Arzt He
lene daraus aufmerksam gemacht. daß
ihre Stiestochtet der Erholung in ski
schek Lust bedürfe; endlich, als diese
Mahnung unbeobachtet blieb, wendete
er sich an Batti und sagte ihm, daß sie
Wwenn für Johanncks Gesundheit
nichts geschähe — ------ nächstens zwei Ner
venfiebetkranke im Hause haben wür
den.
Batti stürzte in das Zimmer seiner
Frau.
»Helene, warum hast du nicht für
Johanna gesorgtt« schrie er sie an.
»Das Nervenfifeber wird sie bekom
men, wird sterben durch unsere Schuld
—- verdamini will ich ein, wenn ich
uns das je vergebe! omm’, komni’,
wir miissen sie um Verzeihung bitten!«
Mit diesen Worten stürmte er fort.
Helene folgte und fand ihn mitten im
Zimmer vor der verwunderten Jo
hanna stehend, deren Hände er zwischen
keinen beiden Händen ielt, während er
ie mit Bitten, Vorschlagen und Selbst
antlagen überschüttete. Fortan sollte
Helene die Hälfte der Krankenpflege
aus sich nehmen; Johanna sollte sich
ersrischen, zerstreuen, in den Cirkus
gehen,Bekanntschaftmachen. DasEnde
vorn Liede war, daß er sie aufiorderte,
sich augenblicklich zum Auskeiten anzu
tleiden, er würde sie begleiten und sie
sollte seine Misz Jane probiren, ein
Pferd, das wie für sie gemacht wäre.
Ansangsfiihld sie sich etwas beklom
men; Batti war nicht nur in der Welt
des Sports eine bekannte Persönlichkeit
—- das Grüßen von Neitenden und
Fahrenden nahm kein Ende —- auch im
Volke erfreute er sich großer Beliebt
heii. »Der Batti! der Batti!« schrieen
die Straßenjungin hinter ihm her, und
er wars kleine Münzen unter die
Schaar und lachte über die Rausereien,
die darum ausbrachem Endlich aber
lagen Straßen und Promenaden hin
ter ihnen und sort gings die Chaussee
entlang im Trabe, im Galopp. Miß
Jane, eine zierliche Fuchs-state flog mit
Batti’s Rappen um die Wette; nach
langen Regentagen lagen Felder und
Wälder wieder einmal im Sonnen-H
schein; die Lust war frisch und warmk
zugleich; das langentbehrte Ausathz
nien in freier ust war für Johanna
ein Auöathmen derherzei.s««i·ist. Durch
gliiht und erquickt lani sie nach Hause.
»Donnerwetter, wie sie aussehen!«l
rief Batti, als er ihr vorn Pferde half.i
»Bitte, werfen sie gleich ’mal einen
Blick in den Spiegel und dann leugnen «
Sie noch, daß Sie zur Reiterin geboren j
ind.« i
f Dieser Ausspruch hundertsällig va
riirt, wurde der Iijpauptinhalt aller Ge
sprii e Carlo Batti’s init«Johanna,
und e kam jetzt weit öfter mit ihm zu
sammen als bisher. Lisheths Zustand
nahm plötzlich eine günstige Wendiingx
sie kam zum Bewußtsein, das Fieber
verschwand, Schlas und Apeiit stellten
sich ein; bald begann sie das Bett aus
Stunden zu verlassen. Vatii ver
langte mit einer Entschiedenheit, die
keinen Widerspruch zuließ, daß sich JO
hanna siir ihre langen Klausur ent
schiidige, und als Deleiie erklärte, dasz
es unpassend sein würde, wenn die
Stiestochter ohne sie tin Eirkus, an« der
Wirthstasel und bei Battks kleinen
Soupers erscheine, gestatteteer. daß
für diese Zeit das Kammerniadchen am
l
Krankenbette blieb. Johanna sollte
so bald als möglich an dem Leben, für
das Batti sie bestimmt hatte, Gefallen
finden.
Der Cirtus machte ihr auch wirklich
Freude. Die herrlichen Thiere, die ge
diegene Pracht der Kostiime, Batti’s
Leistungen im Dressiren und Vorfüh
ren der Pferde, zwei schöne blonde
Schwestern, die ihre Kunst mit heite
rem Uebermuth ausübten, das zahl
reiche, vortreffliche geschulte Personal,
strahlende Beleuchtung, rauschende
Musik, ein länzendes, lebhaft Beifall
spendendes ublikurn—das Alles ver
einigte sich zu einem Eindruck, der Jo
hanna angenehm erregte.
Sehr unbehaglich dagegen fühlte sie
sich in dem Kreise der sich an einem der
nächsten Abende zum Souper zusam
men fand. Es waren Männer die theils
der Aristokratie, theils der Literatur
angehörten, der Ton, in dem sie mit
Batti verkehrten, schwankte zwischen
Herablafsung und riider Vertraulich
leit; als er, vom Trinken angeregt, zu
renonimiren anfing, zogen sie ihn auf,
ohne daß er es bemerkte. Helene wurde
von ihnen mit geschmacklosen Schmei
cheleien überschüttet, denen sie mit un
ersättlicher Kotetterie entgegenkam.
Johanna, die ein junger, schweigsa-l
mer Lieutenaut zu Tisch geführt hatte,
beobachtete ebenfalls schweigend. Der
zweite Platz neben ihr war leer geblie
ben; endlich erschien ein junger Mann,
der, von Batti mit Vorwürer begrüßt,
dringende Arbeit fiir seine Zeitung als
Entschuldigung seines späten Kom
mens anführte. Batti wies ihm den
Platz neben Johanna an und sie er-«
fuhr, daß er Doktor Edgar Stein hiesH
»Also endlich, mein gnädiges Fräu
lein!« sagte er. »Da Sie unsichtbar
blieben, indes; Freund Batti nicht müde
wurde, die bewunderswiirdi sten Din
e von Jhnen zu berichten, fing ich an,
ie für ein mythisches Weer zu hal
ten, ,,umspielt von holden Sagen«.«
Johanna neigte stumm den Kopr
das rothe Puppengesicht mit den hellen,
unverschämten Augen und dem spötti
schen Lächeln war ihr unangenehm.
Helene, die den Beiden gegenüber
saß, lachte gezwungen.
»Was hat denn Batti gesagt?« frag-s
te sie. »Das müssen wir doch wissen,
liebe Johanna.« !
»Er schildert das gnädige Fräulein!
halb als eine der tolltühnen reitendeni
Wodanstöchter, halb als heilige Eli-«
sabeth, »die Traurigen tröstend, die;
Kranten heilend« und so weiter; halb
als vornehme Dame, halb als Künstle- !
tin — dem Aeufzeren nach glaube ichf
Alles!« Darauf verbeugte sich Doctork
Stein und lächelte wie voll Hohn übers
seine eigenen Worte. i
»Johanna, du tannst stolz sein!««
rief Helene. ,,Doctor Stein ist sonftf
gegen Damen ganz was sein Name
sagt.« !
»Doch nicht Jhnen gegenüber, schän- I
ste Frau!« antwortete er. »Sie haben;
mich armen, blassen Mond nur nichts
bemerkt im Kranz der Sterne, die Jhref
sonnenhafte Majestät iimtreisen.« I
Dabei schien sein Blick alle Anwe
senden zu verspotten. Helene lächelte
befriedigt; Johanna fühlte sich mehrs
und mehr a gestoßen, und obwohl derl
junge Mann, von statt entwickeltem!
Selbstgefiihl beschirmt, einen solchen·i
Eindruck seiner Persönlichkeit nie fürs
möglich gehalten hätte, war ihm dochj
klar, daß er nicht die beabsichtigte Wir-s
tung auf Johanna hervorgebracht, und;
er war nicht der Mann dazu, das zui
verzeihen.
Die Unterhaltung wurde immer lau
ter und rücksichtsloser. Auch im Hausel
des Vaters war das häufig geschehen«
aber nie hatte sich Johanna davon be-;
ängstigt gefühlt. Dort hielt die edles
Persönlichkeit des Gastgebers Ueber
miith und Fridolität in gewissen
Schranten —» wer war hier dazu im
Stande? — Endlich ertrug sie es nichts
mehr; während ein Toast die Gäste der
Tafelrnnde in Anspruch nahm, gelangz
es i r, sich unbeinertt zu entfernen, und«
E am ol enden Morgen erklärte sie, daß
; sie Lis eth so spät Abends nicht wieder
koerlassen dürfe. Das Kind hatte die
jAbwesenheit der lieben, gewohnten
Pflegerin bemerkt, bitterlich dariiber
i eweint und auch nach Johanna’s
jgkiicktehr lange leine Ruhe efunden.
IBatti mußte sich fortan mit em tag
slichen Morgenritt begnügen, den der
Arzt Johanna zurPslicht gemacht, und
den sie selbst ungern entbehrt hätte.
Von Dönninghausen hatte sie nichts
wieder gehört, obwohl sie Tante Thekla
um Nachricht gebeten. Nur ein paar
große Koffer, die ihre sämmtliche Habe
enthielten, waren gekommen. Stück
für Stiick hatte sie ausgepackt, in der
goffnung irgendwo einen schriftlichen
ruß zu finden. Umsonst! Nur ein
Ring, den die alte Dame immer getra
gen, war Johanncks kleinen Schmuck
kästchen beigefügt. Sicherlich hatte der
Großvater, wie sein Brief vorausge
sagt, den Verkehr mit ihr verboten.
Um so größer war daher die Ueber
raschung, als ihr eines Tages ein Herr
gemeldet wurde, dessen Karte unter
dem Namen: Doctor Urban Wolf die
mit Bleistift geschriebenen Worte ent
hielt: ,,bringt Botschaft aus Donningi
hausen.«
Einen Augenblick fchwantte sie, aber
das Verlangen, von den Ihrigen zu
hören, behielt den Sieg. Da sie Lis
beth nicht verlassen konnte, stellte sie
den Wandschirm dicht um das Bett des
schlafenden Kindes und befahl, den
Fremden herein zu führen.
»VerzeihenSie, daß ich so ohne Wei
teres hier eindringe,« sagte er. »Ich
hätte mich Jhnen durch Batti vorstellen
lassen können —- aher es lag mir daran,
Sie allein zu sprechen
Johanna fühlte sich eigen berührt;
das weiche tiefe Organ des Fremden
erinnerte sie an einige Töne ihres Ba
ters. Das war übrigens die einzige
Aehnlichkeit; Doktor Wolf’s Gestalt
war klein und dürftig, sein feines, blas
ses Gesicht von entschieden jüdischem
Typus.
,,Setzen Sie sich,« bat sie, einen
Stuhl neben dem Sopha bezeichnend,
und mit stockendem Athem fügte sie hin
zu: »Sie bringen Nachricht von den
Meinigen —- waren sie in Dönning
hausönim
» as nicht,« antwortete er, ohne sie
anzusehen. »Mein Vater, der Anti-«
quitiitenhiindler Löbel Wolf,-hat Jh
nen im Auftrage des Freiherrn einen
Vorschlag zu machen, den ich Jhnen ans
seiner Statt mittheilen foll.« l
Er verstummte, als ob er eine Er
muthigung erwarte; aber Johanna
wußte ihm nichts zu sagen. Nach eine:’
Pause fuhr er fort:
»Ich fürchte, daß ich Dinge berühren
muß, die Ihnen peinlich sind . . .. EJI
handelt sich um den Besitz eines Fami
lienschmuckes, ein Erbhteil Jhrer Frau«
Mutter . . .
ch mache keinen Anspruch daran!«·
fiel ohanna mit bebender Stimme ein
War es möglich, daß der Großvater sie
fiik habsüchtig hier« (
»Erlauben Sie, mein Fräulein, dass
ich meinen Austrag beendige,« bat der
junge Mann und sein Ton und seine
Miene verriethen, wie peinlich er ihm
war. »Der Freiherr wünscht den
Schmuck in der Familie Dönnighausen
zu behalten, könnte das aber nur, da
der Schmuck Jhr unbestreitbares Ei
genthum ist, wenn Sie sich dazu ver
ständen, sich den Werth desselben aus
zahlen zu lassen. Mein Vater hat den
Schmuck taxirt . . . Hier ist seine schrift:
liche Erklärung darüber . . . .«
Er wollte Johanna ein zusammenge
faltetes Blatt überreichen: sie wies es
zurück.
»Nein, nein, davon kann nicht die
Rede sein!« rief sie. »Das Wort Fa
milienschmuek sagt zur Genüge, daß ich
keinen Anspruch machen kann. Und
wenn ich’s könnte . . . . Familienkleini
ode verkauft man nicht . . .. auch ich
nicht, wiewohl ich keine Familie habet«
Sie stand aus und ging an’s Fen
ster; der Fremde sollte ihre Thränen
nicht sehen.
Auch Doktor Wolf erhob sich.
»Mein Fräulein,« sagte er nach ei
ner Pause, »ich habe noch einen zweiten
Auftrag. Das alte Freifräulein hat
meinen Vater kommen lassen, hat ihn
gebeten, selbst nach Hannover zu fah
ren, um mit Jhnen zu verhandeln, Jh
nen die herzlichsten Grüße der alten
Dame zu bringen und ihr dann Bescheid
zu sagen, wie es Jhnen geht. Mein
Vater konnte setzt nicht kommen . . . .. .
Was darf ich ihm schreiben?«
»Daß es mir gut aeht,« sagte sie.
»Gut t« wiederholte der junge Mann.
»Verzeihung mein Fräulein, das glaube
ich nicht« «
Johanna wendete sich nach ihm um.
»Herr Doctor!« sagte sie mit leise
anklingendem Vorwurf.
«Verzeihen Sie!« wiederholte er und
sah ihr mit einem tiefen, traurigen Blick
in die Augen. ,:Jch habe Sie kaum ge
sehen, und doch weiß ich, daß Sie hier
nicht in passender Umgebung sind. Wie
lange werden Sie das aushalten? —
Jetzt können Sie’s, weil Sie sich noth
wendig fühlen, aber was wollen Sie be
ginnen, wenn das aufhört?«
Johanna wurde dunkelroth
»Herr Doktor, diese Fragen . . . .«
fing sie an.
»Erscheinen Jhnen in meinem Mun
de durchaus ungehörig,« ergänzte er,
und mit seinem sanften, eindringlichen
Tone fuhr er fort! »Ich wußte, daß- ich
Din e berühren würde, die Jhnen pein
lich ind, aber das Beste ist doch, gleich
zu sagen, wie die Dinge stehen. Das
; alte Freifräulein hat meinem Vater
; anvertraut, daß sder Vorschlag des
Schmuckvertaufs nur ein Borwand ist.
Der Freiherr hat sich von Jhnen losge
sagt, aber er erträgt es nicht, Sie mit
ttllos allen Wechselfällen des Lebens
preisgegeben zu sehen. Sein Stolz er
laubt ihm nicht, Jhnen offen die stützen
de Hand zu bieten, und doch fühlt er
sich verpflichtet, Sie zu stützen — kom
men Sie ihm entgegen.«
»Unm«oglich!« sagte Johanna nach
einer Pause.
Auch er schwieg eine Weile.
,,Lasfen Sie das nicht Jhr Letztes
Wort sein,« bat er dann. ,,Denlen Sie
nach . . . Bedenken Sie, wie lang und
schwer das Leben war,das Ihren Herrn
Großvater so hart gemacht hat. Seienl
Sie um so mildert —- Wir haben dafür!
zu büßen, wenn wir das-nicht zur rech
ten Zeit zu sein vermögen.« Er strich
das lange Haar von der Stirn undt
fügte, wie besinnend, hinzu: »Noch-;
mals Verzeihung für meine ungehörige
Sprache-! Sie ahnen nicht . . . . Jch
kann Jhnen später vielleicht erklären. . .
Es ist eine gewisse Leidensverwandi
schaft zwischen uns. Den Bescheid für
den Freiherrn hole ich mir in den näch
sten Tagen.«
Und ohne Johanna’s Antwort ab
zuwarten, verbeugte er sich und ging.
Fünfundzwanzigstes Ca
p i t e l.
Jn tiefer Erregung blieb Johanna
zrirück. Die ganze Bitterkeit ihrerl
Trennung von Dönninghausen wurdel
ihr wieder fühlbar-, und die Sorge uml
ihre Zukunft, die seit einiger Zeit hin
und wieder in ihr aufgetaucht war, trat
plötzlich beängstigend an sie heran. Der
junge Mann hatte Recht, nur so lange
sie fiir Lisbeth nöthig war, konnte sie
im Hause der Stiefmutter bleiben, und
was dann?
Jn guten Stunden, wenn sie mit dem f
Gefühl des Gelingen-H am Schreibtischl
saß, war die Hoffnung in ihr erwacht,.
sich durch fchriftstellerische Arbeiten un
abhängig machen zu können. Zu an
dern Zeiten hatte sie wieder gezweifelt
— jetzt, da sie die Frage ernster als je
erwog, glaubte sie von des Vaters
Stimme die entmuthigenden Worte zu
hören: »Talentlos wie ihre Mutter.«
Aber warum trieb sie es denn so unwi
derstehlich, die Bilder ihrer Phantasie
H festzuhalten? und wie hätte sie gerade
ljetzt in aller Herzensnoth sich bis zum
’ Selbstvergessen in diese Aufgabe vertie
sen können, wenn sie nicht durch ein Er
s folg verbürgendes Talent dazu berufen
war?
Mit pochenden Schläfen stand sie am
Fenster und sah in die Dämmerung
hinaus. Drüben im Garten aus der
Spitze des alten Birnbaumes sang eine
Amsel. O, diese Stimme! —- Die
qualvollste Stunde ihres Lebens stand
Johanna vor Augen, so oft sie diesen
Jubellaut hörte. Berufen! —- Hatte sie
nicht auch geglaubt, zum Glück der Lie
be berufen zu sein? — Nicht umsonst
sagt die Schrift: ,,Viele sind berufen,
aber Wenige sind auserwählt.«
Der Abend und ein großer Theil der
Nacht verging für Johanna in diesem
Aufundabwogen der Gedanken; mit
mildem Kon und schwerem Herzen be
gann sie den neuen ag. Um so fri
scher war Batti, als te ihren Morgen
ritt machten: lauter als je schrie und
lachte er in die Welt hinaus. Plötzlich
brach er ab und sagte, indem er sein
Pferd dicht an Johanna heranlenlte:
»Ich langweile Sie sdurch meinem
Unsinn, aber heute müssen Sie mir
’was z» Gute halten. Jch habe einen
Brief bekommen, der mich aus Rand
und Band bringt . . . . Wenn nicht der
Teufel seinen Schwanz darüber legt,
geht’s diesen erbst nach Petersburg.«
Johanna er chral; wie sollte Lisbeth
die weite Reise und Härte des russischen
Winters ertragen?
,,Helene weiß es- noch nicht, soll auch
nichts wissen, bis Alles klipp und klar
ist,« fuhr Batti fort; »sie macht mir zu
viel Trödel. Aber Jhnen wollte ich
gleich Bescheid sagen, weil wir keine
Zeit mehr verlieren dürfen. Lieber
heute als morgen muß es an die Arbeit
gehen . . . . Petersburg ist der beste Ort
der Welt fiir Jhr Debiit.«
»Mein Debüt!« rief Johanna er
staunt.
»Bitte, keine Fisematenten machen!«
fiel Batti ein. »Wir wollen doch nicht
miteinander Komödie spielen? Jch
brauche Sie —Sie brauchen mich, das
wollen wir doch nur gleich zugestehen.
Jhre Art zu — sein —- so etwas von
oben herunter, vornehmikiihl möchte
; ichs nennen —- wird den Herren in Pe
tersburg ’was aufzurathen geben. Wie
eine Königin werden Sie erscheinen ne- »
ben meinen beiden lachenden, koketiren-.
den Blondinen. Dazu haben Sie Tai(
lent, Feuer, Energie und präsentirenl
sich auf dem Pferde besser, als irgend(
sonst Sie haben keinen Familienan
hang —- sind ohne Kunstreiterei in l
Bann und Acht gethan — bequemer
können Sie’s gar nicht wünschen. Nur
seien Sie aber auch gescheidt, besinnen
Sie sich nicht länger, das Pferd zu be
steigen, das Ihnen meine ehrliche Hand
gesattelt und gezäurnt vorführt, und
dann« hussah, hallohl in die glänzende
Zukunft hinein, die ich Ihnen biete.
Was zum Kukuk soll das Zaudern?
Einen besseren Lehrmeister als mich sin
den Sie nie und bessere Chancen als in
meinem Cirkus auch nicht . . . ., Möchte
wissen, was Sie dagegen vorbringen
können?«
,,Nichts!« antwortete Johanna; »ichl
weiß auch, daß Sie vie besten Ahsichtenl
für mich haben und danke Jhnen herz
lich dafür aber — es geht nicht!«.
Batti lachte.
«Mertwürdig, daß sich alle Frauen
zimmer so gern zieren!« rief er. ,,Las
sen Sie’s gut sein « Jhnen steht es
nicht.«
»Es ist keine Ziererei,« antwortete
Johanna. »Fragen Sie Helene, was
aus mir wird, wenn ich etwas darstel
len soll Wie gelähmt stehe ich da
»Das überwindet sich!« fiel Batti
ein.
»Schwerlich! Wenn ich mir nur
denke, wie alle die fremden Augen in
mich hineinbohrenR sagte Johanna mit .
leisem Schauder. »Aber lassen Sie
mich aufrichtig sein: selbst wenn ich
meine Scheu überwinden könnte, würde
ich aus Rücksicht für meinen Großvater
Jhren Vorschlag zurückweisen.«
,,Oho!« rief Batti und sein Gesicht
rbthete sich vor Zorn; »meine Kunst ist
so ehrenwerth wie jede andere.
»Gewiß!« fiel Johanna beschwichti
gend ein; »aber wir haben es mit den’
unbesiegbaren Vorurtheilen eines altenl
Mannes zu thun. Wie Sie wissen hat
er auch die Heirath meiner Mutter nie
überwunden, nie verziehen.«
; »Und auf den alten Esel wollen Sie
» Rücksicht nehmen?« schrie Batti.
»Ich verehre und liebe meinen Groß
vater, « sagte Johanna.
Batti schwieg eine Weile, dann schüt
telte er lachend den Kopf
,,Donner, Halloh! Da war die Prin
zessin wiedert« sagte er. »Bleiben Sie
dabei — macht sich famos . . .. Jhre
sogenannte Rücksicht ist und bleibt zwar
der reine Blödsinn, doch Sie sollen auch
darin ihren Willen haben Hätte gerne
den Namen Jhres Vaters auf meinem
Zettel gesehen -—— na! wenn s nicht sein
kann, findet sich auch ein anderer auch
ein anderes Vaterland. Mademoiselle
Soundso, Mifz Dieunddie. . .. Läßt
sich alles machen! —- Bin ich doch auch
nicht als Carlo Batti im Kirchenbuche
eingetragen. Heinrich Rauchplcrtz heiße
ich, ebenso wie mein Vater, der in einer
kleinen Stadt im Lande Hadeln einen
Kramladen besitzt. Der gute, alte
Rauchholz hatte ebenfalls seine Vorur
theile, meinte, ein Kunstreiter seines
Namens könnte dem Ansehen feiner
Firma Abbruch thun. Ein Lamento
«gab’s- zum Steinerweichen! Zur Um
; kehr, das heißt zum Abwägen von Sy
! rup und Schnupftabak konnte ich mich
jfreilich nicht bequemen, so schossen wir
; denn einen Vergleich; er ließ mich lau
s sen; ich verwandelte mich in Carlo
s Batti, und ich glaube, daß ich dem Na
x men Ehre gemacht habe. Und nun be
lsinnen Sie sich wie Sie heißen wollen«
und machen Sie’s ebenso.«
» »Ich kann es nicht! Glauben« Sie
lmiy ich kann es nicht!« antwortete Jo
lhanna »Haben Sie nochmals herz
- lichen Dank, aber lassen Sie uns nicht
weiter davon sprechen, ich bitte Sie!
Es quält mich und kann zu Nichts füh
ren.«
Eine Weile ritten sie schweigend ne
ben einander fort, dann sagte Batti:
»Fräulein Johanna, nur noch Eins.
Haben Sie auch bedacht, daß Ihnen,
wenn Sie auf meine Vorschläge ein
gehen, in kurzer Zeit eine glänzende
Zukunft und eine glänzende Einnahme
gewiß ist? —- Sie stehen vis-a-vis der
Noth!«
-.:» —--· »«
.- - --«.----.—
Johanna erröthete. Dieselbe Mah
nung in nicht ganz Vierundzwanzig
Stunden.
»Vielleicht bin ich nicht ganz so hilf
los, wie Sie meinen,« gab sie mit be
bender Stimme zur Antwort; »ich hoffe
ein anderes Talent zu besitzen, das frei
lich auch erst ausgebildet werden muß.
Jch habe — Sie sind der Erste, dem ich
es sagte — ich habe zu schriftstellern
versucht.«
Carlo Batti stieß einen langen leisen
Pfisf aus. «
,,Kurioser Geschmack!« sagte er dann,
»an einer Schnecke reiten wollen, wenn
man ein Rennpferd haben könnte! Aber
freilich, jedes Thierchen hat seine Ma
nierchen. — Sollten Sie sich übrigens
noch anders besinnen, so wissen Sie
mich zu finden. Jch bin immer für
SieLZa.« «
» ie gut Sie sind!« rief Johanna.
N»ochmals Dank und seien Sie mir nicht
bose! — Bitte, sagen Sie, daß Sie es
nicht sind.«
Mit diesen Worten streckte sie die .
Hand zu ihm hinüber; er nahm sie mit
festem Druck.
,,Böse nein!« antwortete er; »aber
daß es mich wurmt, will ich nicht leug
nen. Lassen Sie uns nicht weiter da
von sprechen —- wir haben unsern Ga
lopp noch nicht gehabt.«
Und fort jagten sie, die Herrenhäuser
Allee entlang.
Der MIßmuth Batti’s war jedoch zu
tief, um durch den Ritt zerstreut zu
werden; je länger er über Johanna’s
Weigerung nachdachte, um so mehr ver
droß sie ihn, und als er, wie fast täglich,
zum Frühstück in der Weinstube mit
Doctor Edgar Stein zusammentraf,
fragte dieser sogleich, was seinem »theu
ren Freunde« widerfahren sei.
»Geärgert habe ich mich, mag aber
nicht darüber sprechen!« schrie Batti,
als ob er alle Anwesenden davon unter
richten wollte.
»So lassen Sie uns frühstücken,«
sagte Doctor Stein; »ein Glas Wein
spült die Grillen fort.
»Grillen! Wer sagt Jhnen denn,
daß es Grillen sind?« schrie Batti wie
der indem er sich setzte, und ehe der be
stellte Wein gebracht wurde, wußte
Doctor Stein, daß Batti’s oft bespro
chene Pläne in Bezug aus Johanna ge
scheitert waren.
»Sie haben wohl nicht genug gebo
ten?« fragte der junge Mann.
»So weit hat Sie’s gar nicht kom
men lassen,« antwortete Batti. »Nein,
die Geldfrage spielt bei der keine Rolle,
die vornehme Verwandtschaft ist’s, die
ihr im Kragen liegt. Während die
hochnasige Sippe von ihr nichts wissen
will, ist Rücksicht und wieder Rücksicht
die einzige Antwort, die ich bekommen
habe . . . . Zum Tollwerdeu ist’s!«
Doktor Stein sah sinnend vor sich
nieder.
»Was geben Sie mir, wenn ich das
Vögelchen zahm maches« fragte er end
lich.
Batti zuckte die Achseln
»Wenn das Jemand könnte-, l)ätt’
ich’s gethan!« antwotete er; »ich habe
denn doch wohl mehr Einfluß als Sie.«
»Wetten wir!« rief der junge Mann.
»Zwanzig Flaschen Sekt, wenn ich
Dame Hochmuth in den Cirkus treibe.«
Bati sah ihn mißtrauisch an.
»Was haben Sie vor?« fragte er.
(Fortsetzung folgt.) I
JIW
VIII-sk- E