Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 11, 1896, Sonntags-Blatt., Image 14

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    Jst Badeort.
Novellette von Konrad Tellmann.
Der »Roth« war in dein kleinen Ba
deort entschieden die hervorragendste
Persönlichkeit Alle behandelten ihn
im Kurhaus mit dem gleichen, etwas
scheuen Respekt, an den er auch durch
aus gewöhnt zu sein schien und den sei
ne kühle Zugeknöpftheit geradezu her
ausforderte Er hatte in seiner steifen
Würde etwas, als ob er die Anderen
gar nicht sähe, ohne die Formen äußer
licher Höflichkeit ganz zu mißachten,
eine ungekiinstelte Unnahbarieit verein
sammte ihn. Was für ein ,,Rath« er
eigentlich war, wußte fast Niemand.
man munkelte aber etwas oom Ministe
rium, von einflußreicher Hofstellung in
einem kleinen Fürstenthum; der Kur
ort war stolz auf ihn und den Neuan
kommenden wurde der »Nath« als
Sehenswürdigleit in Ermangelung an
- derer gezeigt. «
An der Mittagstafel saß er obenan
und unterhielt sich mit Niemand. Kei
ner wagte ihn anzureden,denn der Rath
sah verdrossen und ablehnend zugleich
aus. Jrgendwer wollte wissen, daß er
Unglück in der Familie habe. Sein ein
ziger Sohn wollte nicht gut thun, aus
der Karriere s pringen, die ihn zum prä
deftinirten Nachfolger seines Vaters in
Amt undiWiirden stempelte, eine un
Passende Heirath eingehen, —- lurz: es
sei ein Kreuz und gar kein Wunder,
daß der Kummer und Aerger dem Rath
ein Gallenleiden zugezogen habe, von
dein er hier nun Heilung suche. Seit
diesen Eröffnungen betrachtete man den
Rath vollends nur mit schüchterner
Ehrfurcht.
Nur die Dame, die seit einigen Ta
gen den Platz zu seiner Linken an der
Tafel inne hatte, schien sich plötzlich ein
Herz gefaßt zu haben, denn man erlebte
es, daß sie den Rath, der ihr mit stum-v
mrr Höflichkeit eine Schüssel reichte,
plötzlich einmal anredete —- die ganze
Tafel war des Staunens voll —, und
das Unglaublichere, daß er ihr auch
antwortete. Kurz und gemessen, das
verstand sich von selbst, —- aber er ant
wortete ihr. Und trotz des kühlen Be
sremdens, das die Zunächstsitzenden
ganz deutlich aus seinen Worten woll
ten hervorklingen hören, ließ sich die
Dame nicht a schrecken, das Gespräch
fortzusetzen Die Dame that noch so,
als sei gar nichts Besonderes dabei,
sondern plauderte ohne jede Beflissen
heit oder das zur Schau getragene Be
wußtsein, etwas Großes und Bedeu
tungsvolles zu thun, so harmlos und
munter, als sei sie nie etwas anderes
gewohnt gewesen, als sich mit Ministe
rialräthen oder was der »Distinguirte«
nun war, über das Wetter und die Spa
ziergänge des Badeörtchens zu unter
halten. Es war stark, es erregte eine
gewisse Jndignation an der Tafel.
Denn wer war sie, diese Dame? Man
wußte gar nichts von ihr, sie hatte
überhaupt keinen Titel. »Frau Cranz«
stand im Fremdenbuch. So konnte Jede
heißen. Wenn sie »was gewesen« wäre,
hätte sie es sicherlich nicht verschwiegen.
Frau Cranzt das konnte die Frau eines
kleinen Kramwaarenhändlers sein, ——
wer wußte das? Und die wagte es, den
»Rath« anzureden wie Jhresgleichen,
wie einen Kunden vor dein Ladentisch!
Und der Rath nahm das merkwürdiger
weise nicht einmal übel auf. Diese See
lengröße, dieser wahrhaft vornehme
Takt schufen ihm noch mehr Bewunde
rer, als er ohnehin gehabt hatte. Als
er beim Dessert frisch von der Tafel er
hob, verneigte er sich sogar vor Frau
Cranz. Er war eben ein Weltmann.
Und sie-nein, wahrhaftig, sie erröthete
nicht einmal, sie lächelte ganz zutraulich
und grüßte mit einer Kopsneigung.
Von da an war Frau Cranz gerichtet,
man mied sie, man begann sie zu hassen.
Sie lonipromittirtesozusagen den Kur
ort. Und nicht etwa, daß sie am näch
sten Tage ihre Jmpertinenz bereut und
durch andächtiges Schweigen nach
Möglichkeit wieder gut gemacht hätte,
—- teine Rede davon, im Gegentheil:
diese Frau unterhielt sich nur noch leb
hafter mit dem Rath, als Tags zuvor,
ungeachtet aller drohenden Mienen. al
les Räusperns und Augenverdrehens
der Umsitzenden Und der Rath ließ sich -
das gefallen. Er hatte zwar eine eigenei
Art-Frau Cranz nicht anzusehen, wäh- j
rend er sprach, und gab seine höflich
formelle Gemessenheit, die ihm längst in
Fleisch und Blut übergegangen, nicht
auf, aber von einer Abweisung der lä
gtgen Schwatbase merkte man nichts.
a, man mußte in den nächsten Tagen
— osgar noch erleben, daß der Rath mit
rau Cranz auch außerhalb der Kur
haussTabie-d’hote sprach, —- sei’s am
Brunnen, sei's auf der Pronienade, —
ja, daß er schiiesilich sogar Nachmittags
insanie Spaziergänge nach den Lib
K ationen und zu den
Quldauisiebteu wachte. Das gab eine
Frosche Mit-n »unter der Kruge
--- W Anbetchtetesichderak
- Oe nicht etwa den
-« der ja nur als ein Op er seiner
»
J
weltmiinnischen Kourtoisie gelten konn
te« die ihm keine Wahl gelassen hatte.
Diese aufdringliche Parvenue mußte
eine empfindliche Strafe treffen. Die
ganze Kurgesellschaft brütete Rache.
Vor allem beschloß man, Eriun·di
gungen über sie einzuziehen. Wer war
sie? Was trieb sie? Man war gar
nicht im Zweifel darüber, daß man
» tompromrttirende Dinge über sie in
s Erfahrung hingen werde. Diese
; dann dem Rath in geeigneter
»Weife beizubringen, ihn zum so
sofortigen schroffen Abbruch sei
; ner Beziehungen zu Frau Cranz ver
s anlassen und diese dadurch zwingen,
! unter allgemeiner Verachtung und
; Schimpf und Schande den Kurort zu
! verlassen, — das war so ungefähr das
: Leitmotiv für den im Stillen geschwie
ideten Racheplan. Nach allen Seiten
’hrn flogen Biefe um Auskunft übrr
Frau Cranz. Inzwischen begnügte
man sich damit, sie durch Blicke zu töd
ten, durch Tuscheln und vielsagendes
Anstoßen mit den Ellenbogen zu beschä
men, ohne aber nennenswerthe Resul
tate dadurch zu erzielen. Diese Frau
hatte eine eiserne Stirn. Jmmer inti
mer schien ihr Umgang mit dem Rath
zu werden, man sah die Beiden eigent
lich den ganzen Tag zusammen· Es
war nachgerade ein Standai.
Der Rath selber wunderte sich im
Stillen über den wachsenden Einfluß,
den diese Frau auf ihn ausübtr. Er
war leidend, verbittertundin menschen
feindlichfter Stimmung hierhergetom
men. Und nun fühlte er sich nicht nur
körperlich von Tag zu Tag wohler
dank dem heilträftigen Brunnen, son
dern auch innerlich um so viel befriedig
ter und weltfreundlicher, weichet und
milder, daß er aus dem Erstaunen über
sich selber nicht herauskom. Er tonnte
kaum darüber zweifeln daß diese merk
würdige Frau an dem allen die Schuld
trug. Sie lachte ihm seine Grillen fort.
sie verscheuchte ihm durch munteres,
aeistvolles, angeregtes Geplauder die
sorgen-zollen und trüben Gedanlen. Sie
hatte eine besonders feine Art, das Le
ben zu nehmen, wie es war, und jedem
Ding die beste Seite abzugewinnen.
Manchmal erinnerte sie ihn darin an
eine Gestalt aus ferner, ferner Jugend
zeit. Vielleicht trug auch das ein wenig
dazu bei, ihm den Umgang mit ihr so
sympathisch zu machen und diesem Um
gang einen so weitgehenden Einfluß
auf sich einzuräumen Mit der Zeit
konnte er diesen Umgang gar nicht mehr
entbehren und wurde er dieser Frau ge
genüber so vertrauensselig und offen
berzig, wie es s eine Art sonst nicht war.
Es drängte ihn darnach, es zwang ihn
dazu. Und auch er fragte sich manchmal
im Stillen, gerade wie die ganze Kur
gesellschaft des Oertchens: wer sie wohl
eigentlich s ein mag? Daß sie die Frau
eines Beamten war. so viel hatte sie ihn
errathen lassen, und das nahm ihn na
türlich besonders für sie ein. Durch
die Bielseitialeit ihrer Interessen und
durch ihre Welttenntnih, sowie durch
die Fülle ihrer Beianntschaften in allen
Lebens- und Berufslreisen fiel sie ihm
aber auf’s Vortheilhafteite unter allen
Beamtenfrauen auf, die ihm ie begegnet
waren« Und reizt-aller als Alle war sie
trotz ihrer fünfzig Jahre, die sie ja wohl
zählen mochte, sicherlich.
l Eines Tages konnte er endnch nicht
mehr umhin, seiner neuen Freundin
den schweren Kummer seines Lebens zu
eröffnen, denselben, der ihn krank ge
macht hatte und ihm sein einsames Al
ter verbitterte. Er war Wittwer, hatte
nur einen einzigen Sohn, einen prächti
gen, lebensvollen, reichtalentirten Bur
schen, der es glücklich in ungewöhnlich
jungen Jahren schon bis zum Assessor
gebracht hatte und Gott weiß wie weit
s hingen wiirde, mit seinem Wissen und
sseiner Begabung Und dieser Sohn
s hatte plötziich die Kaprtce bekommen, eg«
« stecke ein Dichter in ihm, wollte umsat
»teln, sich nahe einer lebenslang-gen eh
; renvollen Versorgung,wieer war, aufs
userlos e Meer hinauswagem allen Tra
ditionen des Hauses und Namens
Hohn s prechen. Und das war noch nicht
einmal Alles! U hatte auch noch ein
Liebesoerhältniß mit einer kleinen
Schauspielerin, — einer ganz unbedeu
tenden Person wie es schien, und wollte
die sogar heirathen. Tollheit über Toll
'beit! Jhm, dem Vater, der aus-diesen
Sohn alle Zukunftshossnungen seines
Lebens gegründet hatte, war’s gerade
zu ein Todesstoß. Es hatte ihn trank
gemacht, es würde ihn nie wieder ganz
genesen lassen. Und Viktor war ein
Starrkods. ihn aus den rechten Weg zu
rückzusiihren, wenig Aussicht. Das
Frauenzimmer, dem er die Ehe ver
sprochen, wiirde ihn natürlich nicht wie
der loslassen. —- es war eine verzwei
selte Geschichte
Frau Cranz hörte das alles — es
war am Waldrand aus einer Ruhebank
nnd das Thal lag im Ahendsrieden zu
ihren Füßen — mit an, hin und wieder
leise lächelnd, aber ohne den Rath mit
einem Wort zu unterbrechen. Nun.
nach einem kleinen Stillschweigen, stag
te sie nett eigenartiger Wuns: «Und
Sie, here Roth, haben Sie in Ihrer
H
Jugend wohl niemals ähnliche Streiche
gemacht oder, besser gesagt, sind nie zu
ähnlichen Seitenspriingen geneigt ge
wesen, nicht wahrt Jch frage das bloß
— verzeihen Sie —, weil ich eine An
hängerin der Vererbun stheorie bin.
Und da ist es doch mer würdig, wie
solch’ ein fremder Tropfen in so solides
Beamtenblut hineingeröth.«
Rath Hillrnann war bei diesen Wor
ten etwas unruhig auf der Bank hin
und hergerückt, hatte seiner Nachbarin
einen unruhigen Seitenblick zugeworfen
und war dann in eine merkwürdig sin
nende, träumerische Stimmung versal
len. «Nein,« hatte er erst sagen wollen,
fügte dann aber nicht ganz ohne Verle
genheit hinzu: »Das heißt — nun ja,
sehen Sie, verehrte Freundin, man ift
ja auch einmal jung gewesen. —- Man
hat ja wohl auch einmal Verse emacht,
man hat sogar von sich eine Zeitlang
geglaubt, man könne es zu etwasBesom
derem bringen. —- lieber Gott, ja. —
Aber man hörte aus vernünftigen, vä
terlichen Rath und lernte sich beschei
den« ——— er seufzte ganz leise. —- ,,es
mußte eben sein. Und schließlich —
man ist ja nicht daran zu Grunde ge
gangen,« setzte er mit einem gewissen
melancholifchen Lächeln hinzu.
»Nein,« sagte Frau Cranz und lä
chelte ganz in ähnlicher Art. »Sie hat
ten aber auch wohl keine Liebschaft im
Genre Ihre-Z Herrn Sohnes-, Herr
Rath Und das ist doch wohl das Er
schwerendste dabei!«
Diesmal tam Rath Hillmann’s Ant
wort noch zögernder heraus und lautete
noch unbestimmter: »Ich? Oh, das
beißt, ich hatte, wie das bei jungen dich
terisch beanlagten Leuten ja immer so
ist, eine große Vorliebe für’s Theater,
— ich lernte da auch wohl die eine oder
andere Künstlerin der Bühne kennen,———
gewiß, ja —- das geht ja so. Aber wol
len wir jetzt nicht lieber weitergehen,
anädige Frau? Es könnte Ihnen zu
kühl werden, fürcht’ ich.«
»Nein, bitte, bleiben wir doch," fiel
sie ein. ,,Dieser linde Sommerabend
ist ja wundervoll. Und —- offen gestan
den — ich bin etwas neugierig gewor
den. Jch möchte gern mehr wissen. Jch
selber habe einen Einblick in das Leben
mancher Bühnenkiinstlerin gehabt und
ungefähr müssen wir Beide ja wohl zur
selben Zeit jung gewesen sein, Herr
Rath· Sie waren damals· in Magde
burg2 Jch kenne Magdeburg. Lassen
Sie einmal hören! Welche von den da
maligen Theaterheldinnen hatte es Ih
nen denn angethan2 Jch finde, Sie
können jetzt sehr ruhig darüber spre
chen. Die Dame muß weiße Haare ha
ben und ist wahrscheinlich Großmut
ter."
Der Rath gab sichtlich nur zaudernd
diesem liebenswürdigen Drangen nach.
«Jch —- ich war unter Anderen mit ei
nem Fräulein Hannah Jagemann be
kannt. Jch weiß nicht —«
»Ah!« machte Frau Cranz. »Die
kenne ich, sehen Sie, wohl! Die hatte
eine etwas romantische Liebesgeschichte
mit einem jungen Regierungs-referen
dar. Die Beiden waren nahe daran,
durchzubrennen — nach Buenos Ahres.
glau.b’ ich. Nun, der Vater des jungen
Herrn lam dahinter und das junge
Mädchen wurde aus gute Manier —
abgeschoben. Der Onkel des Herrn war
nämlich Polizeipräsident dort. Und eine
unbedeutende Komödiantin — nun,
Sie begreifen. Und die Geschichte ging
dann ganz nüchtern und unpoetisch aus-.
Der Reserendar, der eigentlich sich für
einen großen Dichter gehalten hatte,
sah ein, daß er sich doch wohl getäuscht
hatte, daß die kleine Jagemann keine
passende Partie für ihn sei und — was
haben Sie denn, Herr Nach«
»Ich —- oh, ich —- ich dachte nur
eben« —- eine oerhaltene Erregung quoll
in ihm empor. »Frau Cranz, wenn ich
fragen dars: woher ———, nein, ich wollte.
fragen: Wissen Sie —- wissen Sie viel- .
leicht, was aus der —- jungen Dame ge
worden ist?«
Vor Allem eine alte Dame,« klang es
zurück. »Das ist ja so der Lauf der
Welt, bester Rath. Uebrigens hat auch
sie sich getröstet, —- und schließlich sogar
eine aussallend gute Parthie gemacht.
Sie hat dann die Bühne verlassen und
ist heute. obgleich kinderlos, eine glück
liche und zufriedene Frau Präsident.
Denken Sie nur einmal an: die kleine
Jagemann die Chesin eines großen Ne
gierungsbezirkesl Sie hatte es nun
einmal durchaus aus einen Regierungs
rnann abgesehen, wie es s cheint, und der
ihrige avanrirte schnell und glänzend.«
»Seht merkwürdig!« Der Rath
schüttelte gedankenverloren den Kaps.
Raum glaublich! Und —- sie ist eine
wirkliche hohe Beamtengattin gewor
den, — eine respektable Dame der gu
ten Gesellschast, — eine, der man gar
nichts davon anmerkt, baß sie stil
t —
,,Man sagt das wenigstens ganz all
gemein, wie ich höre. Kein Mensch t
ihr je etwas vorzuwersen gehabt, i re
tiinstlerische Vergan hei bildete we
der ein Dinderniß das Mement
ihres Dienstes« noch gesährdete es ie
gendwie ihre oder seine gesesschastltche
r J
Position. Jm Gegentheil: man sagt,
zdie guten Formen und die geselligen
Talente der Frau hätten Manches dazu
beigetragen, dieselbe zu einer domini
renden in der Stadt zu machen. Sie ge
nießt viel Verehrung, die Frau Präsi
dent. Jch meine also: wenn die Liebe
der beiden jungen-Leute —- Jhres herrn
Sohnes und der kleinen Komödiantin
— nur echt ist, wenn es sich da wirklich
»um eine tiefe herzensneigung handelt
und gegen die kleine Komödiantin sonst
nichts Ehrenriihriges einzuwenden ist,
außer ihrem Stande," — die Spreche
rin lächelte —- «fo möchte der Karriere
des Herrn Afsessors —- auch im Falle er
der Beamtenlaufbahn treu bleibt, —
wohl schwerlich durch diese Verbindung
ein Hemmschuh angelegt werden. Wird
er aber wirllich Schriftsteller, der here
. Sohn, nun, dann ist diePartie ja gewiß
jpassend Und ob er das werden — aus
Fschließlich werden foll, das würde ich,
Herr Rath, einfach von der Stärke sei
nes Talents abhängen lassen. können
Sie ihm —- er ist ja noch jung, wie Sie
sagen — eine Probezeit. Dann wird
sichs ausweisen, ob sein Talent start
genug ist, sein ganzes Leben zu tragen
nnd zu erfüllen, oder ob er eines festen,
bürgerlichen Berufs daneben bedarf,
um gegen äußere Noth und innere Ent
tiiuschung gesichert zu sein. Das wäre
in beiden Punkten mein Rath. Vor
Allem muß man als Vater doch an das
Glück seines Sohnes denken, nicht an
eigene Wünsche und Hoffnungen, nicht?
Wenn es sich freilich bei Jhrem Herrn
Sohn auch nur um eine Neigung han
deln sollte. wie bei jenem Regierungs
referendar, der die kleine Hannah Ja
gemann sitzen ließ —"
Rath Hillmann unterbrach die
Sprecherin mit einem starken Räuspern.
Dann ergriff er ihre beiden Hände. Er
war sichtlich bewegt. »Ich dante Ih
nen. Und es soll Alles so werden, wie
Sie mirs vorschlagen- Ja. Sio haben
Recht, ich muß allein an meinen Sohn
denken. Ihnen darf man folgen. Und
dies junge Mädchen, das mein Sohn
liebt — ja, ja, ich werde Erkundigun
gen über sie einziehen und wenn nichts
sonst gegen sie spricht —'«
»Dariiber tann ich Sie zufällig voll
ständig herubigen, Herr Rath,« fiel
Frau Cranz lächelnd ein, ,,es ist zufäl
lig meine Nichte."
»Aber das ist ja ein merkwürdiges
Zusammentreffen! Und dann bedarf
es ja keinerlei weiterer Ertundigungen
mehr. Eine Nichte von Ihnen, verehr
teste Freundin, wird mir jede Stunde
als Schwiegertochter hoch willkommen
sein. Möchte Sie — hrer Tante nur in
jeder —- jeder Bezie ung gleichen!« Er
tiißte Frau Crunz beinahe feurig die
Hand
·.«-- « -s
»Au, na:" machte viere uno erqoo
scherzhaft drohend den Finger. »Im
mer haben Sie nicht so günstig von mir
gedacht, Herr Rath Hillmann!«
»Gnädige Frau!?" rief er bestürzt,
fragend, unsicher, während eine fahle
Blässe sein Gesicht bedeckte. Eine
furfchtbare Ahnung dämmerte in ihm
au .
Sie aber entnahm ihrer Aleidertafche
ein zierliches Visiteniartenetui. reichte
ihm daraus eine Karte hinüber und
sagte »Ich muß mich Jhnen doch nun,
da mir in gewisse verwandtschaftliche
Beziehungen zu einander treten sollen,
auch mit vollem Namen und Titel vor
stellen, Herr Rath.«
Nach dem iaitigen Weiß über-glühte
jetzt ein heißes Noth Stirn und Backen
des Rathe-L Mit stockendem herzschlag
itas er: »Frau Regierungspräsident
»Hannah Cranz, gebotene Jagemaun.'
jEin paar Augenblicke hindurch war
ihm zu Muthe, als ob sich die Erde un
ter ihm aufthäte, um ihn hinabzufchlin
gen. Die Gattin eines hohen Vorge
setzten und feine einstige Getiebie in ei
ner Person! Es war etwas viel auf
einmal. Jhmschwindelir. »Gnädigfte
Frau —« er war ausgestanden, er hatte
die Hand aufs Herz gepreßt, seine
Kniee fchlotterten. Und als sie ihn im
mer nur mit ihrem delustigten Lächeln
anblickte, stotterte er: »Wenn ich hätte
ahnen können, welche Ehre — und wie
der-erkennen konnte ich Sie ja unmög
lich. —- Jch — ich habe nicht schön an
Ihnen gehandelt —- aher —- dafiir soll
mein Sohn —" er verwirrte sich, der
Schweiß perlte ihm in hellen Tropfen
von der Stirn. H
»Na, na, na,« machte iie und legte
ihm aufstehend mitleidig die band aufs
die Schulter. »Sie sehen ja, lieberj
Rath, es iii mir trotzdem nicht schlecht
bekommen. Wir haben’s Beide verwun
den. Jugendthorheiten, Reinhold Vill
mann, nicht wahr? Jugendthorheiten!
Und jeßt haben wir graue Haare. Ueb
rigens: ein bischen von ’net Komödi
antin steckt in »der Frau Präsidentin
doch immer noch, was? Die Lust am
Jntriguiren, mein’ ich. Sehen Sie,
ich bin Ihnen noch ein Betenntniß
schniva —»«
»Noch eins?« ftammelte der Rath
ausseufzend.
»Ja, ich hin nämlich blos im Inter
esse meiner Richte, fiir die ich nun ein
mal einsaihle habe-Ue soll Iit
Iknertwiirdig ähneln, innerlich « und
außerlich —- und aus Rath und Bitten
1 derselben hierhergetomnren, urn den Va
iter«ihres geliebten Assessors herumzu
triegen, — verstehen Sies«
f »Aber wenn Sie mir gesagt hätten,«
’ fiel der Rath ein, »daß dies junge Mäd
» chen die Nichte eines Präsidenten ist,
« würde ich ja ohne Weiteres gleich ———«
,,Ja,« lachte sie. »Daswuszt’ ich wohl.
« Aber das wollt’ ich eben nicht, begreifen
Sie? Man hat so seinen Stolz. Und
nun, lieber Freund, geben Sie mir Ih
Jren Arm und führen Sie mich nach
JHausr. Und lassen Sie uns noch ein
;bischen von alten Tagen plaudern, ja?
T —- Wollen Sie?-«
, — —- —
i Nachdem ask Bemühungen der Kur
lgesellschast etwas Näheres und mög
lichst Nachtheiliges über die unbekannte,
ausdringliche Frau Cranz in Erfah
rung zu brin en, bisher escheitert wa
ren, brachte i nen der Zu all in Gestalt
eines neu anlangenden Kurgastes die
Genugt uung, sie plötzlich zu entlarven.
Denn d er schwor, sie in seiner Ju
gend als ,,Naive« aus der Bühne seiner
Vaterstadt gesehen zu haben. Da war's
also endlich heraus: eine elende Komö
diantinl Man hätte sich's denken tön
nen. Und nun war der Moment der
Rache gekommen.
An eben jenem Abend, als Rath Vill
mai-m Frau Cranz an seinem Arm bis
an’s Rathaus geleitet hatte, begab sich
eine Deputation der Kurgesellschast zu
ihm insein Zimmer, um dein höchlichst
Erstaunt-en die tiefe Jndignation der
gesammten Badegäste darüber auszu
drücken, dasz es eineAbenteuerin gewagt
habe, seine vornehme Abgeschlossenheit
zu durchdringen und —«
Der Rath hörte die wohleinstudirte
Rede gar nicht zu Ende, sondern unter:
brach sie mit den Worten: »Meine Her
ren, ich darf nicht dulden, daß Sie die
zGattin meines hohen Vorgesetzten —
ich selbst bin nur ein ganz simpler Re
gierungsrath, habe es leider nie weiter
gebracht — hier beleidigen. Wenn der
Regierungspriisident Cranz je erführe,
daß seine Frau hier den tränkendsten
Jnsinuationen ausgesetzt würde —- —«
Als Frau Cranz drei Tage darnach
das Badeörtchen verließ, hätte sie sich
ein eigenes Coupe miethen müssen, um
alle die Bouquets zu befördern, die ihr
von der mit geltiimmten Rücken voll
zählig aus dem Bahnhof dersammelten
Kurgesellschast überreicht wurde. Sie
nahm aber nur lächelnd den kleinen
Nellenstrausz des Rathes in Empfang
und riefdiesem, ohne sich sonst um Ei
nen noch zu kümmern, aus dem Conne
fensier zu: »Aus baldige-s Wiedersehen
zur Hochzeii.«
—-.-·......- ..-.-...-— —
Eine geduldige Katze-unalter
Vielfach begegnet man in der Thier
welt dem schönen Zug des »Bemut
terns'«, den wir ja auch bekanntlich zur
Aufzucht werthvoller Thiere ausnunern
deren Mütter aus irgend einem Grunde
an der Ausübung ihrer Pflicht verbin
dert sind.
Aber auch ohne Vermittelung des
Menschen tornmt es vor, daß Thier
rniitter sich in vollster Freiheit der hilf
los gewordenen Jungen fremder Eltern,
sogar solcher aus fremden Thier-grup
pen, annehmen und sie mit einem Eifer
ausziehen. daß zuweilen die leiblichen
Kinder unter der Bevorzugung ihrer
Stiesgeschwister zu leiden haben. Zwei
fellos sind derartige Vorkommnisse zum
Theil durch überreichliche Milchabson
derung beeinflußt, aber hier und da
lassen sie sich auch auf eine »hZhere Re
gung der Thierseele« zurückführen Jch
selbst glaube —- so schreibt uns ein
Thierfreund —— Derartiges beobachtet
zu haben.
» Als Göttinger Student berlebte ich
? die großen Fersen 1871 in Friedberg in
F der Wetterau, wo ich fast täglich auf ei
Inem Gutsbofe verkehrte. Hier hatte
eine der vielen graugetiegerten Hoslatzen
eines Tages einem Häuflein Kätzchen
das Leoen gegeben und am anderen
Tage fand sich zu aller Verwunderung?
noch ein Spätling im Wochentorb dor, T
der nur sehr wenig Aehnlichleit mit sei
nen Geschwistern hatte und auch seine
Wimmertöne in ganz anderer Klang
farbe von sich gab wie diese. Jch wurde
als Obersachoerftiindiger vor die Bege
benheit geführt und fand zwischen fünf
grauen Kähchen einen ganz jungen Jl
tis, der zwar noch mit Blindheit ge
schlagen war,sich darum aber doch schon
mit größtem Eifer dem angenehmen
Geschäft des Milchtrintens hingegeben
hatte. Vorläufig blieb der Fall röth
selhafi, denn ganz abgesehen Von den
tbiirichteri Ansichten des Gesindes, war
nicht wohl anzunehmen, das-, ein-e gewis
senlose Jltiömutier ihr Kind bei Miezi
aus-gethan hatte, auch nicht, dasz Miezi.
iiber deren anständige Gesinnung bis
dahin kein Zweifel bestand, ganz beim
lich bei Zigeunern das Kinderrauben
gelernt baden sollte.
Die Katenttnderliube war ein run
der Korb. dort Wahne genannt, und
stand auf dem Vof in der Nähe eines of
sinen StrohsMnh der noch in der
F
ereignihvollen Woche zum Theil ausge
riiumt wurde. Bei dieser Gelegenheit
fanden die Arbeiterganzoben itn Stroh
eine öhlung mit weiteren fiinf jungen
iti en und damit bermuthlich des
’thsels Lösung. Denn möglicherweise
war das adoptirte Thierchen in Sehn
sucht nachderboriibergehendabwesenden
FrauvMama aus dem Nest gekrochen
und uber den nahen Rand der Stroh
WMW Still VIII va gepurzeli. Ganz na
turgemasz wird es dann so lange gesam
mett haben; bis Miezi sich des armen
Wurmes erbarmt und es in sein Lager
geholt hat. Immerhin ist es aber doch
auch möglich, daß Mutter Jltis nicht
auf die Ernährung von Sechslingen
abgestimmt gewesenist und sich des Ver
brechens der Kindesausse ung schuldig
» gemacht und damit bewu t oder unbe
iwußt ihrer braven Nachbarin Gelegen
» hdt zurBethätigung ihres Edelmuthes
s gegeben hat.
l Zwei der jungen Jltisse waren schon
der Rohheii der Knechte zum Opfer ge
fallen. drei konnten wir noch retten und
sie ebenfalls der Pflege Miezis überge
ben. Oswohl sie chon reichlich Nah
rungssorgen hatte, wurden die kleinen
Berlassenen von ihr doch sofort in liebe
bollster Weise au genommen, zuerst ei
ner eingehenden Katzenwiische unterzo
gen und dann wenigstens der Versuch
gemacht, ihren unbändigen Durst zu
löschen, wobei Miezi wirklich schon an
fing. ihre eigenen Kind-er zu vernachläs
sigen. Bald mußten wir der Ueberbiir
deren drei Kätzchen wegnehmen, nicht
alle, denn es war von besonderem Jn
teresse, die verschieden gearteten Jüng
linge in ihrer Weiterentwicklung ge
meinsam zu beobachten.
Die ganze kleine Gekellschast gedieh
Prächtig, die jungen Ka en schlecht und
recht in ihrem Betragen, wie das Kin
dern anständiger Hausthiere zukommt.
Aber die nichtsnutzige Ratzenbande, die
sog mit der Milch durchaus nicht die
frommen Denkungsart ihrer braven
Pflegemutter ein. Es ist kaum zu glau
ben, wie diese lleinen Teufel das gedul
dige Thier gepeinigt haben. Nichts
konnte ihnen die Alte recht machen. Lag
sie aus der rechten Seite, wenn die Ban
de sausen wollte, so wurde sie gezerrt,
getrampelt, geknusft und gebissen, bis
sie sich nach lints drehte, und umgekehrt
Manchmal habe ich das über alle Be
griffe geduldige Thier vor Schmerz
aufschreien hören, aber nie sah ich, daß
es einem seiner Peiniger eine wohlver
diente Strafe hötte angedeihen lassen.
tFriede hatte Miezi nur, wenn die wil
ten Gefellen wie vollgefogeneBlutegel
abgefallen und dann in tiefern Schlaf
versunken waren
Bald nachdem sie die Augen öffnen
konnten, finaen die Jltisse an ganz nach
Art ihrer Pflegegeschwisier mit diesen,
unter sich und mit der Ziehrnutter zu
spielen. Diese überaus anziehenden
Spiele. in denen sie rasch größere Ge
wandtheit, aber auch größere Wildheit
als die Katzen entwickelten, sind leider
bald zu ganz wüsten Balgereien ausge
artet und als Miezi gar die von ihren
Pflegelingen zum Zeitvertreib zerfetzien
Ohren hängen ließ, da mußte das un
dantbare Gesindel aus der Kindersiube
nach einem großen Käfig überstedeln,
wo es noch manche Schandthat voll
führt, aber auch zu sehr fesselnden Be
obachtungen Gelegenheit gegeben hat.
----—-«-- — --i s——- was-—
n
Das arme Lischen.
fLischen hat die beste Censnr in der
Klasse. Als sie dieselbe in Empfang
nimmt, bricht sie plöhlich in Thränen
aus.)
Lehrer (ersiaunt): »Aber, List-idem
hist Du denn mit Deiner Censut nicht
zustieden2«
Lischen (schluchzend): »Ach ia das
schon, Herr Lehrer, aber meine Bruder
f haben so schlechte Censuren, und wenn
lich nun eine gute heimbring', dann
. hauen sie mich!«
-.
AdOculosillustrirt
P r ofes s o t: »Die Mäsziaung,
liebe Schüler, —- — o bitte, die Thüe’
steht ja noch ossenl Die Mäßigilng
also —- abek zum Kuckuck, machen Sie
doch die Thüre zu! Die Mäszigung.
sage ich, ist diejenige Ruhe des Gemü- .
thes, — Himmelhomdenelement, will
denn leiner von den Ileaeln die dema
ledeite Thüre zumachen?« .
JmExamen.
Professor »Das Schnüren der
Frauen lann auch auf das Sein-ems
gen von schlechtem Einfluß sein. Was
toiitden Sie also thun, wenn eine statt
chniiete, augenltanle Patientin zu
hnen täme2«
Kandidat: » eh würde sie um die
Taille fassen un ihr in die Augen
schauen.«
DerhraveLeheer.
»Nun, haus, hast Du heute wieder
in der Schule bieihen wissens«
»Nein, Papa« heut· war dee kehret
mal-todt« ...·i«.«.k--s-»-.