Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 11, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    Eine Bekehrung.
Von R. U.
in Klubb Misogynia herrschte gro
ße ufregung.
Das enge BereinslotaL ein Hinter
gmmer des »Hotel Germania« an der
abbage Avenue, widerhallte von wil
dem Geschrei, etwa ein Dutzend erregter
Männer wetteiferte, sich gegenseitig im
Schimper, Bier-trinken und Tabak
rauchen zu iiberbieten.
»’Ne wahre Affenschande ift’s,« schrie
ein schmächtiges Männchen mit großer
Glatze und einer Stimme, die immer
fort umschlug, »thut uns der Mensch
den Tort an und blamirt uns vor ganz s
Dutchtotvn, das Lynchen hätte er ver-s
dient, der Kerl, der Scheinheilige!« !
»Jatvoll!« brummte der Bierbaß
ein-es Dicken, »hast Recht, Mutte, aber
nicht auf einmal soll man ihn kaput
machen, sondern so schön langsam, in
dem man ihm sozusagen schluckzessive
Wasser zum Sausen giebt, bis er zer
platzt, dieser —- dieser —- «
Da ihm ein geeigneter Ausdruck für
seine Entrüsiung momentan nicht zu
Gebote stand, schloß der Dicke seine Re
de mit einem gewaltigen Schluck-e aus
dem vor ihm stehenden »Schooner«.
»Meine Herren,« rief endlich Einer,
offenbar der Präsident des Vereins der
Weiberhasser, in den Lärm hinein. »ich
bitte um Ruhe, ich rufe die Versamm
lung zur Ordnung.«
Als allmälich Ruhe eintrat, fuhr der
Präsident fort:
»Meine Herren, ich bin dankbar für
die Einhelligkeit, mit der Jhr die per
fide Handlungsweise unseres Mitglie
des und Expräsidenten Josef Walten
(Rufe: Pfui!) verurtheilt. Unsere Ent
riistungsmiethung soll ihm zeigen, was
für ein schlechter Kerl er ist. Jndem
daß ich das konstatire, beantrage ich,
den Mister Walten infamer Weise Mu
se: Sehr gut! Bravo!) aus dem Klubb
Misognnia auszuschließen und ihm die
sen unseren Entschluß heute noch kund
zu thun. Sein Resignationsschreiben
legen wir, als gegenstandlos geworden
bei. Wer dagegen ist, soll aufstehen!«
Da sich Niemand erhob, wurde der
Beschluß vom Bereinssekretiir rasch zu
Papier gebracht und sammt dem Resig
nationsschreiben dem in der Nähe woh
nenden Walten durch den »Omnibus«
des Hotels übermittelt.
Dieses Resignativsnsschreiben des
Herrn Walten war sehr kurz und sehr
deutlich gewesen. Es war ein feiner,
theils bedruckter, theils beschriebener
Ratten, auf dem zu lesen war:
Clava Sommer
Josef Walten
Verlobte.
Darunter in Handschrift: »Ich er
kläre meinen Austritt aus dem Klubb
Misoghnia. Josef Walten.«
Während Walten das Ausschließ
ungsdekret der Misogynia las, flog
ein leichtes Lächeln über seine Züge.
Eine Weile saß er nachdenken-d da, dann
kleidete er sich zum Ausgehen an und be
gab sich dorthin, wo man ihn eben »in
absentia« hinausgeworfen hatte. »
Als er durch die Thiir des mit Ta
bakrauch und Bierdunst geschwängerten
Bereinslotal eintrat, hatte sein Erschei- »
nen ungefähr dieselbe Wirkung, wie ein ’
aus heiterem Himmel niederzuckender
Blitz. Walten grüßte mit einem freund
lichen »Guten Abend« die verblüffte
Saufbriiderschaft, legte Hut undUeber
ziehet ab, füllte ein Bierglas aus dem
ausliegenden ,,Keg«, setzte sich neben das
sprachlase Präsidium und begann in al
ler Gemüthsruhe eine Cigarre inBrand
zu stecken.
.Das Männchen mit der Glatze und
derumschlagenden Stimme hatte sich
als erster vom Schreck erholt und me
ckerte:
»Herr Präsident, wie kann geduldet
werden —"
Walten schnitt ihm die Rede ab:
»Sei still, Wutke, und laß mich re
den; auch Jhr anderen unterbrecht
micht nicht« Jch will Euch, meinen
langjährigen Freunden, getreulich be
· richten, wie es kam, daß aus dem Wei
berhasser Walten ein Verlobter, und
sukänstiger, hoffentlich glücklicher Ehe
inann werden konnte. Wem es nicht
paßt, daß ich hier bleibe und mich recht
fertige, der soll es s agen; wenn die Ma
jorität meine Entfernung wünscht, so
werde ich mich fügen. Wie steht’s als o?«
Niemand erhob einen Einwand A
gen Walten’s Verbleib, und dieser
sann seine Ezzählrängx —
Wie Jht wißt-, ist es mir in den
u ig Jahren meines Aufenthalts in
Xa gelungen, durch rastlos es Mii
- « und Arbeiten soweit zu kommen,
M ich, wie man zu sagen pflegt, gut
ed bin und meinen Le nsabend sor
srei in Ruhe versehen könnte. Wie
» » CinåpafndererhntrteeinerEkflTsse
III-ten ich nangs· re ar
" · s . der verwünschte Gelehr
« seinem , wie di
FOR-umzir- Mr
Ul- M ich vers lieblich froh
-
l- I
meine amerikanische Karriere als Ge
schirrwascher beginnen zu können.
Später lernte ich das Handwerk eines
Zuschneibers und verdiente damit ein
schönes Stück Geld. Nebenbei spekulirte
ich in Grundeigenthum und, da ich
Glück hatte, sah ich mich bald im Besitze
eines stattlichen Vermögens
Wenn es dem Menschen gut geht, so
hat er das Bedürfnis, sein Glück mit
Anderen zu theilen. Jch begann nach ei
ner Lebensgefährtinumschau zu halten« «
Die Erfahrungen, die ich hierbei machte,
sind Euch bekannt. Sie haben mich zum 4
Weiberfeinde gemacht, der mit Gleich
gesinnten den Klubb begründete, aus ’
dem Jhr mich, nicht mit Unrecht, heute
hinausgefeuert habt.
Dies Alles ist Euch, wie gesagt, be
kannt. Ueber die Gründe aber, die mich
bewogen haben, die alte Heimath mit
einer neuen zu vertauschen habe ich bis
heute still geschwiegen aus Rücksicht aus
meine Angehörigen. Diese Rücksichts
nahme ist nunmehr unnöthig geworden.
Urtheilt nun selbst, ob meine Gesin
nungsänderung gerechtfertigt ist oder
«nicht.
Als meine beiden Eltern rasch nach
einander starben, hatte ich eben die Uni
versität in J. bezogen; ich trachtete das
Ziel zu erreichen, dem mein älterer und
; einziger Bruder Karl bereits nahe war.
Karl stand nämlich im Begriffe, seinen
Doktor zu machen. um dann in den
Staatsdienst einzutreten. Der Tod ver
Eltern war für uns ein harter Schlag.
Nach Abwickelung der Verlassenschafts
ges chäfte blieb uns kaum so viel Vermö
gen iibrig, um unfere Studien beenden
zu können, es hieß alle Aus-lagen auf
das Nothwendigste zu beschränten. Mir
hätte dies nicht viel verschlagen, aber
Karl, als ehemaliger Korpsbursche an
nobles Auftreten gewöhnt, empfand
unsere Armuth wie ein Unglück. Er
behauptete, seine Karriere stehe auf dem
Spiele, es sei ihm unmöglich, mit dem
kargen Zinserträgnisse seines Erdwei
les die lange Referendarzeit durchzu
machen; ja, wenn er das ganze Erbe
allein hätte, dann ging es freilich, aber
fiir zwei reiche es nicht aus u. s. w.
Seine mißgünstigen Reden verursachten
schließlich eine Entfremdung zwischen
uns, die bald zur Trennung führte; ich
verließ unsere gemeinschaftliche Woh
nung und bezog ein einfaches, billiges
Quartier.
Ein Jahr war vorübergegangen, als
ich auf einem Ausfluge des atedemi
schen Gesangvereines mit der Familie
des Bankiers Sommer bekannt wurde
Sommer galt für sehr reich und seine
Töchter Emrna und Clara versprachen
die besten Partien in der Musenstadt zu
werden. Clara stat freilich noch in den
Kinderschuhen, als ich sie kennen lernte,
sie war erst 10 Jahre alt, aber die so
eben aus der Genfer Pension zurückge
tehrte Emma zählte bereits 17 Lenze
und war in meinen Augen das liebrei
zendfte Geschöpf auf Gottes Erde. Was
soll ich viel Worte machen? Wir ver
liebten uns und genossen eine Zeit des
reinsten Glückes, eines Glückes, das
durch die Heimlichteii unseres Verhält
nisses nicht im Geringften getrübt
wurde.
Mein Bruder Karl hatte J. verlassen
und war nun bei der Regierung in der
Residenz als Referendar in Verwen
dung. Wir hatten uns ausgesöhnt und
ich trat ihm ein Drittel meines Einkom
mens ab, um ihm behülslich zu sein.
Als die Wintersaison begann, übersie
delte meine getiebte Emma mit ihrer
Mutter ebenfalls nach der Residenz; sie
sollte in die große Welt eingeführt wer
den. Unser Abschied war von Treue
schwiiren begleitet und in der ersten
Zeit wechselten wir beinahe täglich
Briefe voll Zärtlichkeit und Liebe. Nach
und nach wurden diese Zeichen der Hin
gebung seitens Emma immer seltener
und endlich blieben sie ganz aus. Und
ehe ich noch wußte, was ich von diesem
Mangel an Pünttlichieit, wie ich es
nannte, denken sollte, brachte mir der
Postbote eines schönen Tages die An
zeige der Verlobung Emmas mit —
rneinem Bruder Karl! —
Drei Wochen später war ich in New
York. Studien, Vermögen, Heimath,
Alles hatte ich im Stiche gelassen, wiek
geistesabwesend kam ich hier an und er-j
wachte erst, als die bittere Nothwen
digkeit mich den Kampf mit dem Da-»
sein lehrte und ich keine Zeit mehr fand, ]
in meiner herzenswunde mit dem Sta
chel der Erinnerung berumzuwiihlen.
Meinen Bruder aber habe ich verflucht
und in den zwanzig langen Jahen hat
er nie ein Sterbenswörtchen von mir
vernommen, obgleich er des Oefteren in
den Zeitungen nach meinem Verbleib
geforscht. Jch hatte nämlich meinen
Familiennamen mit dem Namen Wal
ten vertauscht, um ja vor jedem Zusam
meiiiåreffen mit dem Berhaßten gesichert
u n
Vor einem Jahre las ich die Nach
richt vom Tode des Amtsrathes R»
meines Bruder-. Noch einmal begann
die alte, kaum vernarbte Wunde
bluten, dann aber ein neuer
in mireitydercei der Verschenth
des Urzeit-at Arn Grabe schweigt
l J
der Haß, die dunklen Flecken am Ange
denken des Todten werden durch die
Thriinen der Wehmuth til-gewaschen
Und auch die liebe alte Heimathserde
fing an zu locken, all’ die Erinnerungen
an die glückliche Jugendzeit wurden
wach und zogen mich zurück an die
Stätte, wo ich so viel erduldet.
Jch kam im Domizile des Zeitarbe
tien an. Die schwarz gekleidete Frau,
die mich empfing, war nicht mehr die
strahlende Emma. wie sie in meiner Er-»
innerung lebte; sondern ein vergröm
tes, die Spuren einer langen Leidens-»
zeii im Gesicht tragendes Weib. Als:
ich meinen Namen nannte, da stieg eine
Blutwelle in das blasse Gesicht, es fehlte
nicht viel, so wäre meine Schwägerin
ohnmächtig zu Boden gesunken. Jch
vermied jede Anspielung aus unsere
ehemaligenBeziehungen, sondern brach
te, so gut es eben gehen mochte, meine
Tostspriiche vor. Die Wittwe hörte
theilnahmslos zu, keine Thriine kam ihr
in’s Auge, wenn ich von ihrem Seligen
s prach. Jch konnte mir nicht verhehlen,
ihre Haltung befremdlich zu finden,
; und srug sie, ob sie denn mit meinem
T Bruder nicht glücklich gelebt hätte?
" »Glüellich?!« rief sie, und dreßte die
Hand aufs Herz, ,,lonnte ich, konnte er,
wirklich glücklich werden, mit der Sün
de des Berrathes, den wir an Dir be
gangen, auf dem Gewissen? Zwanzig
Jahre lang haben wir nebeneinander
gelebt, nicht miteinander. Jch wurde
bald nach der Hochzeit gewahr, daß sei
ne Liebe nur Spekulation auf das Erbe
der reichen Bankierstochter war. Als
: mein Vater starb und statt des Reich
s thums ein bankerottes Geschäft hinter
» ließ, da begann eine Leidenszeit, in der
ich den wahren Charakter meines Man
nes immer unverhüllter lennen lernte.
Z Während Emma noch sprach, öffnete
i
· sich die Thüre zum Nebenzimmer und
; etna hübscher, etwa achtiähriger Junge
Z trat über die Schwelle. Er ging zur
« Wittwe, die ihn streichelte und sah mich
mit großen Augen an.
»Wie viele Kinder hast Du, Emma?·«
frug ich.
Meine Schwägerin zuckte zusammen.
Ohne meine Frage zu beantworten,
sagte sie zum Knaben:
»Geh hinauf, Otto, und sage Deiner
Mama, Onkel Josef aus Amerika sei
hier; ich lasse Mama bitten, herabzu
lommen.«
Als der Kleine das Zimmer verlas
sen hatte, wandte sich Emma zu mir.
»Verzeihe Josef, sagte sie mit zit
ternder Stimme, »daß ich Dir erst jetzt
antworte: Gott sei Dant, ich habe keine
Kinder, ja, Gott sei bedankt dafür, —
es wäre zu schrecklich, zu schrecklich!«
Jch war über den Ton, in in dem sie
dies ausrief, betreten.
« »Aber Emma,« erwiderte ich, »der
i Knabe trägt doch unverkennbar meines
FBruders Züge; wie kommt er denn in
dies Haus, wenn er nicht —«
» »Der kleine Otto ist Karks Sohn!«
» »Der Sohn Deines Mannes-? —
Und nicht D e i n Kind? — Und hier?«
rief ich erschreckt, ,,bei Gott, wie soll ich
das verstehen ?«
»O das ist sehr einfach,« fchluchzte
meine Schwägerin, ,,ebenso einfach wie
gräßlich, Otto ist — die Frucht eines
ehebrecherischen Verhältnisses, dasDein
Bruder mit ,— mit —«
»Mit wem unterhielt?« rief ich ge
spannt. .
»Mit-meiner Schwester Clara!«——
Mir war, als wäre mir ein Schlag
in? Gesicht versetzt worden.
Diese Lösung des Näthsels war frei
lich ebenso einfach wie schrecklich.
Der alte Groll gegen meinen Bruder
stieg aufs Neue in mir auf und zugleich;
ergriff mich ein Gefühl der Scham, daß;
es mein Bruder gewesen, der diese stille
Frau um Glück und Ehre gebracht undi
zu einer zersallenen Menschenruine ge- ;
macht hatte. Nein, eines s o l ch eni
Todten mit Pietät zu gedenken, dass
überstieg meine Kräfte.
Zögernd und mit Widerwillen er
zählte die Frau die Geschichte des Ber
brechens ihres Gatten. Jhre Schwester
Clara war nach dem Zusammenbruche
des Sommer’schen Haushaltes zu
Amtsraths ezogen und von Emma mit
Freuden au genommen worden. Mein
Bruder begann an dem sich zu einer
Schönheit entwickelten Mädchen Gesal
len zu finden und te mit unziemlichen
Anträgen zu oerso gen. Clara wider
stand jahrelang, fand aber nicht den
Muth, ihrer Schwester sich anzum
trauen. Als Emma einst auf kurze
Zeit verreist war, erreichte der Schurke
mehr durch Gewalt, als durch freiwil
lige hingabe Claras sein Ziel. Die
Folgen blieben nicht aus.
Die großherzige Emma verzieh der
Gesallenen und behielt sie mittammt
dem Kinde, aber ihre Ehe war, wenn
nicht vor dem Gesetze, geschieden. Karl
verkatn immer mehr, ergab sich dem
Trunte und oernachlässigte seine Amte
fflichtenz ein rühzeitiger Tod raffte
hn hinweg, a s gegen ihn wegen ber
schtedener Umtjoergehen Anklage er
hoben werden sollte. So blieb der
Familie wenigstens die geiste Schande
l
erspart und die Pension war fiir die!
Wittwe gerettet.
Die arme Frau hatte mit einemj
Seufzer ihren traurigen Bericht been-«
det. Jch vermochte nicht zu sprechen, es
war mir, als wäre ich mitschuldig am
Verbrechen, war ja der Thäter Blut
von meinem Blute. Während ich noch
darüber nachdachte, wie ich das Unrecht,
das Karl begangen, theilweise gut ma
chen könnte, trat Otto’s Mutter in's
Zimmer. Sie war eine ernste, hohe
Gestalt, trog ihrer 30 Jahre er
schien sie merkwütdi jugendlich. Jrn
Gespräche verrieth so viel Herzens
güte, daß ich mich sympathisch zu ihr
hingezogen fühlte. Und plötzlich lam es
wie eine Erleuchtung iiber mich; das
einzig richtige Mittel, die Ehre Deines
Bruders zu sühnen, besteht darin, daß
du das Kind zu deinem eigenen machst,
ihm den Namen giebst der ihm, wenn
; auch nicht nach men chlichem, so doch
’ nach göttlichem Rechte gebührt. — —
DieKarte, die ich Euch mit meinetw
signation versehen zusandte, sei ein Be
weis, daß es mir mit meinem Vorha
ben Ernst ist. Jch liesz sie fiir meine
ameritanischen Freunde drucken; wenn
ich fiir immer nach der Heimath zurück
gekehrt sein werde, dann wirdder Na
me Walten durch meinen wirklichen,
wie ich hoffe, wieder ehrlich gewordenen
Vaternamen ersetzt sein. —
Urtheilt nun selbst, liebe Freunde,
ob meine Belehrung vom Weiberhasse
zum Ehemann gerechtfertigt ist, oder
nicht. —
Josef Walten schwieg. Die Tafel
runde der Misognnen war sehr ernst
geworden. Endlich erhob sich der Prä
sident:
»Meine Herren! Jch beantrage die
Streichun unseres Beschlusses betreffs
Idrr Auss ließung des Herrn Walten!
»Wer dafiir ist, möge sich vom Sitze er
beben.«
Als Alle ausgestanden waren. schrie
das Männchen mit der Glatze und seine
Stimme verlor sich im höchsten Dis
lant:
»Und ich beantrage. daß die Misogy
nia ihren Expräsidenten zum Ehren
mitgliede ernenne· Allerhand Achtung
vor einem Manne, der durch solche Mo
tive, wie sie Freund Walten hat, zum
Ehetriippel wird!'« —«
Die »Entriistungsmiethung« aber
verwandelte sich in einen fröhlichen
Festlommers.
—- ...——....—-. -- - » . ——-.·—
Ein schwerer Dienstgang.
Von Juli-S Müller
Gemächlich stieg der junge Gendarm
zu Thale. Die graue Dämmerung kroch
schon über die Berghänge empor, und
schwarz, gleich einem Bahrtuch breitete
sich der Föhrenwald an der Wand hin,
die jenseits der zerrissenen, von einem
schmalen Wassersaden durchrieselten
Schlucht ziemlich steil sich erhob. Zur
linken Seite des schmalen Saumpfades
lomm der letzte, gelblich-blasse Abend
fonnenschein durch den dürftigen Be
. stand der Bäume. Hier und da scholl
. fern im Forst ein häßlicher Schrei, und
durch die Wipfel flatterte es taumelnd,
mit unbeholfenen Flügelschlägen — die
Vorbut der heranschleichenden Nacht.
Von unten, wo das schwarze Zwie
beldach der Dorfsirche über das breite
Geäste der Noßlastanien sich hob, klang
es gedämpst wie von Fiedeln und Pfei
fen; bald aritre es heller und lustiger,
dann schien wieder alles zu schweigen
bis aus den polternden Brummbaß.
Und wie der Landsoldat weiter bin
abtam. da vermeinte er auch schon das
Jauchzen und Trampeln zu vernehmen,
in dem die bäuerische Kirchtagslusiig
teit sich austobt Unwilltürlich machte
er häufigere längere Schritte, und Re
gungen übersielen ihn, die derzeit ei
gentlich sDisciplinarvergehen waren:
denn er hatte den Federhut aus und das
Gewehr über der Schulter — er ging
im Dienstes Da erheischt das Regle
ment Ernst und Würde auch vom jüng
sten Gendarmen, und Tanzzuckungen
in den Beinen oder gar Jauchzer wären
ungeheuer ströslich
Aber was Disciplin und Reglementl
Auch in einem Commißherzen ist die
Lieb’ stärker. Vor seinen Augen stand
die s auberste der Dorsdirnen, die RoseL
die dem Gemeindewirthe heute aushals.
Wie zum Greifen deutlich stand ihre ter
nige Gestalt vor ihm: das runde, ge
sunde Gesicht, die spöttischen und doch
so treuen Augen, zwischen den rothen
Lippen die starken, blitzenden Zähne —
denn sie lachte gern, die Roset! —- die
dicken, gelben Zöpfe« . jedes einzelne
war ihm eine Schönheit, wiss teine
zweite aus der Welt gab» :
Lustig und laut ging ’s zu da drun
ten: bei dem Larmen mußte man schon»
aus der Träumerei aufwachen-—— Glis
serilirren, ein Geräusch, wie wenn
Stuhlbeine lrachend ausschlagen, und
verworrenez Geschrei, das bald wieder
kurz abschnitt. Da war er just recht
gekommen zu einer Amtshandlung mit
dem unerträglichen Bauernvoll
Er lief das steike Seitenaiißsein hin
tseter, das aus den grasen Pius Mhrtr.
Ver Miste Verwirrung sub erreg-:
te Stimmen tobten durcheinander
Beim Thore des Gemeinde-Wirthshau
ses, wo der hohe, entrindete »Kirta
Bam« mit Bündern geschmückt empor
ragte, ballte sich ein dichter, großer
Knäuel von Männern, und die Schlage
sausten unbarmherzig. Die Wuth schien
sich egen einen Einzigen zu wenden, ei
: nengstämmigen Menschen, der seine Be
; dränget übertagte, sich ihrer jedoch nicht
« mehr erwehren konnte, ob er gleich mit
güsjen und Armen um sich schlug.
- chweiß und Blut rann ihm über das
braune Gesicht, die Haare klebten ihm
an der Stirne.
»Sie verschlagen ihn!« rief ein
Weibsbild, das ein fchlafendes Kind
auf den Armen trug.
»Nur zu! D’rauf!" schrie-ein alter
Bauer neben ihr. »Schad’ um den
Strick für den Hund!"
Der Heßruf erbitterte die Bauern
noch mehr. Der Mann im Knäuel
d’rin, dem es an’s Leben ging, empfing
einen wuchtigen Streich, unter dem er
niedertaumeltez zertreten und zer
stampft hätten ihn die Blindwüthigen,
wär’ nicht Hülfe gekommen.
,,Zuriick im Namen des Gesetzes!«
leuchte der Gendarm, athemlos vom
Laufen. »Was gibt’s?« fragte er, als
die Männer Raum gegeben. Der am
Boden Liegende merkte taum, daß er
seines Lebens wieder sicher fei, als er
ein Schimpfwort ausstieß und auf
springen wollte. Ein Dutzend Fäuste
drückten ihn nieder.
Der Gendarm, der den überwiiliig
ten Knecht, einen übel berüchtigten
Raufbold, erkannt hatte, trat dicht zu
ihm und streckte die eine Hand wie be
schiitzend über ihn.
,,.lieiner riibrt ihn mehr an!"
»Du häit"st die g’ringste Ursach’, den
da beiz’springen!« sagte einer der Bur
schen mit einem eigenthümlichcn Sei
tenblict nach dem Gendarmen. Grad
Du net! Was er ang’stellt hat, der
Hundsfötteri Geh’ in’n Stadel eint
Gendarm. wirst’s glei seg’n. Drinn
liegt s’, d’ Rosel, weiß und stud, mit
g’schloss’nen Augen und mit an Stich
in der Brust! . . . . Gelt, Gendarm, jetzt
schmeißt’s di bald um?«
Der junge Soldat blickte auf den
Mörder, der ihm froh und höhnisch zu
rief: »Jawohl, so ist’s, genau so wia se
sag’n. Hab i se net hab’n tinna, soll
a Anderer se a net hab’n!«
Der Verhöhnte faßte sein Gewehr
beim Laus, und es war eine Weile, als
wolle er es nach rückwärts schwingenl
um dem Verbrecher da den Kolben aus
den Schädel sausen lassen. Gleich da
nach faßte er sich jedoch wieder in Ernst
und Ruhe. Er nahm die Handschellen
aus der Tasche, befahl dem Burschen.
aufzustehen, nnd fesselte ihn.
Dann begab er sich mit dem Bürger
meister und den zweiDorsiiltesten in die
Scheune, wo sie den Körper der Erste
chenen auf Stroh gebettet hatten. Die
Lichter flackerten, und wie die Strahlen
über das Gesicht der Entseelten hasch
ten, gewann es fast den Anschein. als
rege und bewege es sich in den starren
Mienen. Gelassen gab der Missethäter
zu Protololl, wie sich’s zugetragen Er
hatte die Rosel, welche ihm schon längst
gefallen, zum Tanz aufgefordert nnd
als sie ihm ohne ein Wort hochmüthig
den Rücken zugewendet, hatte er sie mit
Gewalt zu den Musikanten gezerrt; sie
schlug ihm in’s Gesicht, und da, als die
Zuschauer gelacht, war die Wuth über
ihn gekommen, und er hate das Messer
aezoaen
Mit sester Hand, als ginge der Vor
sall ihn nicht,näl)er an, schrieb der Gen
darrn die Aussa e nieder, indem er zu
weilen die beson ers wichtigen Worte
wiederholte, zuweilen, wenn ihm das
Geständniß lüclenhast vorkam, eine
Frage stellte. Hierauf ließ er den Be
richt von den Zeugen ergänzen und ver
langte die Unterschriften; alles wie
die Instruktion es erheischt.
Dann stand er usnschlüssig den Blick
ber bisher den Winkel gemieden, wo
.die blutbesleelte festlich gepu te Gestalt
lag, sest aus den entseelten iirper der
Getödteten gerichtet. Er nahm eine La
terne vorn Tisch und leuchtete näher bin.
eDabei war es immer, als wage er«nicht,
völlig nahezutreten. Der Gesesselte
ließ ihn -dabei nicht aus den Augen;
wilde SchadensreUde sprühte darin.
Der Gendarm stellte die Stalllaterne
. auf den Boden und kniete nieder, with
rend er die talten Hände der Leiche an
faszte und zitternd über deren Gesicht
tastetr.
»Wie Eis ist’s schon,« sagte er, indem
er sich zu den Männern umwendete. Er
wollte sich den Anschein geben« als ver
richte er nur eine Amtshandlung —
als wöreef kein Abschied.
»Im Augenblick muß P rnit der Ro
sel ausgwesen sein," erwiderte Einer
von ihnen. »Nein Ton hat ’s nach
dem Stich von sich aeben.«
Er sehnte sich, als ob er die Unter
suchnna sortsehtr. mit der Wange an
ibre erstarrten Unde, und bevor er sie
wieder steigert-. küßte er sie heimlich wie
mit einem hauch. Eine Weile warI
als ob ibn der Schmerz packe, als ob er
lulkchcuchmd M übe sie set-sen wel
T -.
le, über die Berstummte, die er Joch vor
wenigen Tagen in Jugendsreude ge- "—
’sehen. -
i Doch er rafste sich gewaltsam empor.
s Einen herrischen Wink gab er dem
» trotzig-frechen Burschen und schritt hin
ter ihm drein, ohne sich auch nur ein
einzzges Mal umzuwenden.
.,, paar Burschen aus ’n Ort s oll’n
mit n’iibergehen,« meinte der Bürger
meister. »So ganz allein in der Berg
einöd’ mit dem Kerl, dem a Menschen
leben ian Psifserling werth is, ist so a
hSach, wann er a d’ Händ in Eisen
at.«
»Dank’ schön« entgegnete der Gen
darm kurz. »Der wird seine drei
Schritt’ vor mir bermarschiren» sonst
wird mit ’n Bayonett nachg’holfen, und
wann er a Bissel z’ schnell vorwärts
möcht': im Gewehr hab’ i mehr als
an Schuß! Marsch!«
Der Verbrecher ließ sich’s nicht zwei
Mal sagen und schritt aus. Die Dorf
leute ballten die Fäuste und beschimpf
ten ihn mit wilden Worten, die er keck
erwiderte. Fast wär’ man noch auf
den Menschen gestürzt, wenn sein Be
gleiter nicht die Bauern zurückgescheucht
hätte: »Den rührt Keiner an, der ge
hört jetzt mir!« . . »
»Begreist’s, warum er Euch net
braucht und will?« fragte einer der
Bauern, als der Gendarm und sein Ge- -
fangener in der Dunkelheit berschwan
den. Gebt’s acht, net lang’ wird’s
dauern, so hör’ wir an Schuß, oder T
Banonnett kriegt Arbeit. Wann der
Kerl renitent wird, macht der Gendarm
von der Waffe Gebrauch.« Mit listi
. gem Blinzeln fügte er hinzu: »Wann
i den« der mir's Dirndl umbracht hat,
mit Zukjdkkzz hiintk vor mir lziiik . . in
der Nacht, im Wald, IV ACFID Ihm Zeis
gen . . .i ichaueri schon, dsß Fk ZWEI
nent werd’n möcht'! BegreisPsY « «
Die zwei gingen bergan, der Knecht.
einen Ländler pfeisend, den sie heute
Abend zum Tanz ausgespielt, der Gen
darm ein paar Schritte hinter ihm, I
das Gewehr »in der Balanz" in der
Rechten tragend, wie ein Jäger, der je- !
den Augenblick bereit ist, es zu verwen
den. Hier und da rief er dem Verbre
cher mit einem kurzen Worte zu, wie er
gehen solle: nicht so rasch, oder rascher
und welche Pfade, Denn er mußte wei- ’x,»«
tere Wege wählen, die im ; reien gin- i
gen, nicht zwischen eng aneinanderste- i
bendem Gebüsch oder an bewachsenen
Abhängen. (
»Plag’ di net, Gendarm,« sagte der
Gefesselte gemiithlich; ,,i pasch' dir net
ab, schon aus Dank net! Derfchlagen
und dertret’n bätt’n mi die da unten.«' i
Der Bursche sagte das in so spötti
schem Tone, daß der Gent-arm doppelt
auf der hut war, Antwort zu geben.
Er war nur ein Mensch; trotz dem
»Dienste« auch nur ein Mensch, dem
das Blut in Wallung gerathen konnte
Das verdroß den Anderen, der ge
nau wußte, daß er sich sorglos schon
etwas herausnehmen durfte und daß
eigentlich der Bewafrrete hinten der
Wehrlose war.
N
»Wegen aner Kellnerin!" begann er
wieder. »Js leicht viel schad’ um so a
lei t’s Frauenzimmer!«
a war's dem Gendarmn, als ob
ihn wer an der Gurgel fasse. Lust hött'
er gehabt, das Gewehr in die Schlucht
hinunter zu werfen, in der das Wasser
rieselte und dem da vorn die Schellen
abzunehmen —- ,,So, jetzt sind wir
gleich, Mann gegen Mann! Sag’s noch
ein Mal!'
Der Knecht fuhr fort: »Sollt’ gar
leine Straf d’raus g’setzt sein, auf das,
was ich ’than hab’. Weg’n so an’ Al
lerwelis-Weibsbild!«
,,Schweig!« befahl der Gendarin mit
rauher Stimme.
Wenige Schritte waren sie nur mehr
von der Stelle entfernt, wo der schmale
Pfad hart, an dem senkrecht abstiirzen
den Gestein hinlief. Wenn sie nur da
schon vorüber wären! wünschte der
iGendarm den sinsteren Gedanken weh
lrend. Wenn der nur nicht in dem Ton
weiterredete! Denn ein Tritt, ein lei
ser Stoß nur — und das Lästermaul
verstummte —- fiir ewig
Der Voranschreitende ahnte nicht,
daß sein Leben an einem Haare hing.
»Zum Fensterln war i ihr recht, aus’n
Tanzboden war i ihr net sein genug,
da hätt’ s’ den hanilichen Liebhaber
oerleugn’t . . . .
Wenn er nur nicht weitersprechen
würde, nur so nicht!
»Schaun aus’n Weg!« leuchte der
hinter ihm. »Aui’n Weg sollst D’
schauen!«
So lamen sie vorüber und beide wa
ren der Gefahr entronnen·
Das, was noch folgte, überwand der
Gendarm leichter. Ein Stich, ein
Schuß, das ist doch eine ganz andere
Sache: dazu reißt einen die Versuch
ung nicht so leicht.
Als er beim Poitm-Commando an
gelangt war, da erstattete er stvantrn
und fest, wie das Realement ei vor
schreibt, den knappen Bericht:
) »hei- toachtmeinek, ich meid- ge
s bot-samst- daß its einen Mörder einge
bracht hast«