Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 11, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    ,-Omeletts«
Eine Gaunergeschichte von Lars Dillina.
W dem Völnischen übersetzt von G. Ven
i « witz.
Hans Nilsen mit dem Beinamen
»Omelette« hatte verschiedene Stellun
gen gehabt.
Er war Barbier ehilse, Kolporteur,
Jäger und herrfcha tlicher Diener ge
wesen
Ja, er hatte sogar ein Tebut auf dem
Theater gemacht, indem er einen feinen
rn in einem Salonstiick gab und mit
riiulein Johanfen, welche eine feine
me darstellte, im Hintergrunde der
Bühne spazieren ging.
Jetzt kam Hans Nilsen aus der Bes
serungsanftalt wo es recht langweilig
est·
Deshalb wollte er sich ein bischen zer
streuen und als er sah, daß im Tivoli
Mastenball angekiindigt war, beschloß
er, den Ball mit seiner Anwesenheit zu s
beehren. «
Aber —- tse so vielen anderen Sterb
lichen in diesen schlechten Zeiten, fehlte
es auch ihm an Geld.
Aus diesem Grunde nun begab er sich
auf den Markt, wo er sich mit dem
Portemonnaie einer Dame versah.
Hieran ging er in ein Mastengar
derobegeschäft, dort borgte er sich eine
alte Ofsiziersmiitze und einen dazu pas -
senden Mantel, und nachdem er in ei
nem Barbierladen sich einen stattlichen
Schnurrbart hatte auftleben lassen und
seinem Gesicht durch Schminte der
Ausdruck eines Betruntenen verliehen
worden war, bot er vollständig den An
blick eines verabschiedeten —Offiziers.
Indessen war es noch zu zeitig, um
schon zum Balle zu gehen, und er spa
zierte deshalb ein Stück im Pakt um
her. Bei dieser Prornenade erhielt er
plöylich einen freundschaftlichen Schlag
aus die Schulter.
. Unser ,,Omeletie", der oft die schwere
Hand der Polizei auf seiner Schulter
gefühlt hatte, wandte sich erschrocken
um
Vor ihm stand ein junger Osfizier
und trotzdem es bereits dunkel war,
merkte Hans Nilson dennoch, daß der
selbe ziemlich benebelt war.
»Ist das nicht Lieutenant Hausen,
mein alter Freund?« fragte der Of
sizier, »höre mein lieber Junge, willst
Du mir wohl eine große Gefalligleit er
weisen?«
»Mit Vergnügen« erwiderte »Es-me
lette« gefaßt.
«Siehst Du, ich bin zu heute Abend
bei meinem Onkel, dem Bureauchef
Bläkmeyen eingeladen Er ist ein
Hagestolz und wohnt ganz allein auf
einem bsvn Gebüschen umgebenen Platz
bei Hägdehaugen. Er ift sehr reich und
ich werde ihn beerben· Aber die Sache
verhält sich nun fo, daß ich in diesem
«"«««3nftande mich nicht vor ihm zeigen will,
denn ich befinde mich in einem Zustande
—- ———! Jch habe den ganzen Tag ge
sessen und kalten Punfch getrunten.
Willst Du ihm daher aus-richten, daß
ich heut Abend auf der Wache oder zum
Ausriicten kommandirt sei —- vder et
was Aehnliches. Er bat nicht die leiseste
Spur siir militärische Angelegenhei
M.tl .
»Das will ich besorgen, aber Du
thäteft am Besten, nach Hause zu gehen
und Dich zu Bett zu tegen," ,,murmelte
«Omelette«. welcher inzwischen f eine
Geist-es egenrvart vollständig wieder er
langt atte.
»Das will ich thun. Gute Nacht,
Pausen, und besten Dank für Deine Ge
älligteit.«
»Keine Ursache, zu danken,« versetzte
«Omelette« und ging nach Hägdehau
gen hinunter, nachdem er die Adresse
des Bureauchefs erhalten hatt-.
Bureauchef Blätmeyer saß am ge
decktenT ische und wartete auf seinen
Neffen.
Seine Haushiilterin hatt-: Zahn
schmerzen bekommen und war zu Bett
gegangen
Es läutete.
Der Bnreauchef schloß auf.
»Bist Du da, mein Junge? Aber
was sehe ich, ein fremder Herri«
»Ja, Jhr Reff-e schickt mich k,:r, um
Ihnen zu melden, daß er so betrunken
fei, daß er nicht zu Ihnen kommen
könne Sie möchten aber mich statt sei
ner mit dem Abendbrot bewirthen «
»Mit Vergnügen,« antwortete Blät
meyer zwortommend und geleitete un
««Omelette in’3 Zimmer hinein.
us Niisen warf Offiziermantel und
he ab.
»Sie ßnd xa nicht in voller Uni
sure-Z« «
»Nein,0 darum würde es am besten
few, wenn wir die Thür zuschlössenX
weint-e »Omk·ette ungenirt und steckte
Des Schlüssel ne die Tasche. .
. Las-u Sie uns nun zu Tische ge
U. Sie eutschesldigen doch, wenn ich
Bett Trich abnehme. Es ist so lä
Mit-n speisen«
srmueseki besann sich recht un
WITH ev M
»Aber sind Sie denn nicht Lieute
nant?«
·,Nein, das war nur ein Fastnachts
sicheer sagte Hans Nilfen und nagte
vergnügt an einer Gänsekeu1e. «
»Aber woher kommen Sie denn ?"
»Ich? Jch komme aus der Besser
ungsanftalt, ich bin heute von dort aus
gerissenA
Blätmeyer sprang auf.
»Ertrage es mit Fassung, Onkel, «
sagte» Omelette« und legte eine alte Pi
stole, welche zu feinem Koftiime gehörte,
auf den Tisch »Laß uns gute Freunde
sein.«
Der Bureauchef setzte sich erbleichend.
Nachdem man — jedenfalls »Ome
lette« —- gut gegessen und getrunken
hatte, äußerte dieser, während er mit
der Pistole spielte: »Hören Sie,
Bureauchef, möchten wir nicht Röcke
und Westen tauschen?« Der Bureau
chef, ein kleiner, alter, schwächlicher
Mann, fah ein, daß jeder Widerstand
fein Leben gefährden würde und zog ge
horfam Rock und Weste aus.
»Sie können ja die Uhr und die an
dern Kleinigkeitem die sich noch in den«
Taschen vorfinden darin liegen lassen
Jch werde damit vorsichtig umgehen
Hier hängt Jhr Ueberzieher, der mir
auch passen wird, und Jhr Flauschhut
dazu. Es ift ganz merkwürdig« wie gut
uns beiderseitig unsere Kleider passen
Wir find wie fiir einander geschaffen,'«
meinte «Omelette«, nachdem et die ver
.schiedenen Kleidungsstiicke angelegt
« hatte.
»Aber es ist wahr, ich foll heut
Abend noch auf den Ball gehen und
ch kein Geld dazu. Du mußt
mir ei ige Schillinge leihen.«
»Ich besitze nicht mehr Geld, als was
sich in meinen Taschen befindet,« seufzte
der Buteauchef, mehr todt als lebendig.
»Warte nur, hier ist gewiß der Kom
modenschliissel, hier in der Westenta
sche Nun wollen wir in der oberen
Schuhladev nachsuchen. Fafele mir nur
erft keinen Unsinn vor, Onkel. Du sehst
ich habe die Pistole bei der Hand. «
Nachdem er sich mit einer Masse
blanier Goldstücke versehen und eine
von des Bureauchefs Cigarren ange
zündet hatte, welche er dem Etui aus- der
Brufttasche entnommen hatte, ging er.
»Gute Nacht, Onkel, und vielen
Dank für den heutigen Abend! Du
darfst Dir nicht die Mühe geben, mich
zu begleiten, ich kann ganz gut hinter
mir zufchließen,« sagte er, verschloß die
Thiir von außen und steckte den Schlüs
sel in feine Tasche.
Der Bureauches sank halb ohnmiich
tig auf ein-en Stuhl und »Omelette"
schlenderte gemächlich der Stadt zu.
Bald wintte ihm Tivoli’s erhelltesPors
tal.
Er ging hinein. -
Nun hatte er nicht mehr nöthig, sich
zu mastiren Er war ja fein angezogen
und vornehme Herden gehen niemals
oerkleidet auf den Maskenball.
Dort herrschte Frohsmn und Heiter
Leit.
»Omelette« hatte viel Geld m der
Tasche Und knüpfte daher viel Bekannt
schaften an.
So traf er mit der ,,Feöniain der
Nacht« zusammen, die er mit einem
halben Beafsteal und einer Flasche Bier
traitirtex mit dem »Herzog von Man
tua« trank er Branntwein und in Ge
sellschaft von zwei florentinischen Blu
menmädchen und einem Matroseri ge
noß er einige Toddy’å und ein Paar
Flaschen schwedischen Banlo.
Die Folge davon war, daß er ver
gnügt wurde, sogar sehr vergnügt und
dabei ebenso vergnügt, als außeror
dentlich übermüthig.
Als er indessen in einem solchen An
fall von Uebermnth der »Großherzoain
von Gerolftein« eine leere Flaf che an den
polizeilichen Verordnungen, weshalb er
Kon warf und einem Konstabler eine
Halbe bairisches Bier anbot, ging dies
zu weit. Die Konktabler trinken näm
lich niemals öffentlich halbe Flaschen
Bier, außer bei Voltsaufläufen und
dann geschieht es auf öffentliche Ko
sten. Man fand darum in »Omelette’s«
Benehmen einen Widerspruch gegen die
polizeilichen Verordnunge, weshalb er
auf die Hauptwache geführt wurde. Er
zeigte sich darüber sehr aufgeregt.
» Als man seinen Rock untersuchte,
z fand man ein Visitenlarten-Etui in
seiner Tasche. Dasselbe war mit zier
Jlichen lithographirten Karten gefüllt:
Benedittus Blälmeyer,
Bureauchef.
»Es ift schrecklich," meinte der
- Rathsdiener. »wenn ein Mann aus bes
seren Ständen sich nicht feiner zu be
nehrnen weiß, als sich solchen Rausch
anzutrinlern so daß er schließlich auf
die Wachtsinbe gebracht werden muß."
Jn weichen hatte Tags darauf der
wirtl Patente-des den Sachverhalt
bei der Polizeibehörde gemeldet und
»Vorhin« wurde dern Oberhaupte
derselben vor-geführt . —
Djeser Herr erkannte ihn augenblick
. Jus-ebene- Qmequches,« kiek
er anz, »der-»in a »Organe« -
Dann fügte er hinzu:
«Quel bmit pcmr une Welette!"
Und hierauf schaute er sich rings im
Kreise seiner Untergebenen um und
lachte herzlich, und die Konstabler und
das übrige Personal verstanden nun,
daß das Oberhaupt der Polizei eine
witzige Bemerkung gemacht habe, des
halb lachten sie auch herzlich, obgleich
ihnen der Sinn derselbei nicht recht klar
war. »
,,Onrelette« wurde zum Zuchtbaus
verurtheilt
»Aber es war ja nur ein gemind
licher kleiner Scherz,« äußerte er. »Es(
ist schlimm wie streng die Leute bierj
find und wieviel Wesen sie von Unbe
bebentenden Sachen machenf
— --—-———4 O-———- —
Der alte Onkel.
Von Jnlia Hartman.
Endlich verließ die kinderreiche Fa
milie das Koupee; Gottlobi Die tor
pulente Frau mit dem quietsenden Wi
ckeltind im Arm und die abweselnd sich
zankenden, oder gierig an ihren But
terbroten schmagenben drei anderen
Bälge. Toni Helmer atbmete auf und
rüste sich in ihrer Ecke behaglich zu
re t.
Der Zug hielt fiinf Minuten an der
» kleinen Station,-—Niemand wollte ein
; steigen in den warm gepolsterien Wagen
f zweiter Klasse, —- und jetzt folgten noch
; fünf weitere Staiionen und dann noch
keine gräßliche Omnibusfahrt bis zum
ILanbgut HohenwaldeS Toni gähnte
; und schüttelte sich schnaubend vor Lan
geweile, —- sie haßte langes Alleinsein,
F und plauderte so unsiiglich gern« —
l natürlich aber nur mit netten, artigen
i Leuten! Käme nur Jemand!
Das Signal zum Weiterfahren war
k schon ertönt, da schwang sich ein großer
« schlanker Herr aufs Trittbrett, bog den
Kopf mit forschender Neugier zur offe
nen Koupeethiit hinein — einen Mo
ment dararif war die Ecke« Dido-bis
nicht mehr leer.
Sie erwiderte freundlich den Gruß
des Fremden und schaute dann ange
x legenilich zum Fenster hinaus. Aber
die Sonne strahlte ihr gerade in das
etwas erröthete Gesicht und so drehte
«· iie den Kon zur anderen Seite;—-blöde
! war Toni tein bischen, im Gegentheil
—- aber das Gefühl, fehr genau be
trachtet zu werden« tann das tilhnfte
Wesen etwas befangen machen.
»Darf ich Jhnen ein Schliickchen an
bieten, Fräulein ?«
Toni fuhr erstaunt herum und blickte
in ein Paar große, heitere blitzende Au
gen von ganz durchsichtig arzurblauer
Farbe, dann auf einen gutmüthig lä
chelnden Mund, der von einem mai-tin
lisch geschwungenen dunkelblonden
Schnurrbart halb beschattet war und
beim Sprechen starke glänzend weiße
v Zähne sehen ließ·
Z »Welch’ ein stattlicher schöner
; Mann!« dachte Toni iiberraschth Nicht
smehr ganz jung, aber so frisch. so
Ischneidig, — ganz anders wie der fade
Kurt Linden, dieser langbeinige, fern-—
melblonde, gigerlhafte Landjunier, von
idem sie sich nun schon ein halbes- Jahr
« lang, in Ermangelung von etwas Bri
7ferem, hatte den Hof machen lassen!
Leichter grauer grünbordirter Jagd
anzug, zerdrücktes weiches Filzhütchen
mit hoher Reiberfeder geschmückt der
braune Teint, die kräftig gebogene Na
se —— natiirlich ein Waidman::, aber ein
nobler, feiner! Was bot er ihr denn an
. in dem blinkend geschliffenen Litor
«glas? Es roch furchtbar start.
»O, ein fanroser alter Cognac!«
»Dann sehr!'« Toni reichte mit
tbränenden Augen das fchnell geleerte
Gläschen zurück und hielt sich kampf
haft den Mund zu, um einer-. Huftenreiz
zu unterdrücken.
»Wir-hin geht die Vergnügunggrcier
Darf man das Ziel erfahren schönes
Fräulein?« frug der Herr mit so war-:
nein, verbindlichein Interesse, daf; sich
Jsoni unwillkürlich acschrneicheli fühlte.
Sie konnte diesen Klang ganz genau
i von dem tecken Ton vorwiyiger Neugier
s Unter-scheiden er gefiel ibr ausneh
mend, und ihr siebzehnjähriaes Herz
pochte mit freudig erregten Schläaen
Die unüberleate tindliche Butter-ens
z ’e«·iale·«t, die sie bisher in ihrem fried
j i-:s!len Dasein auf dem Lande meist
, ganz gefabrlos geübt, drängt-: sich ihr
, auf die Lippen; der ftarte Cognae tiatte
f ihren angeborenen dreisten Uebermutb
? gestachelt Sie dachte nicht daran. daß
Iibr alantes Gegenüber ein tout-frem
: der ensch lei, der ihr noch nicht einmal
seinen Namen genannt — nein, das
war wieder die echte Toni Helmer, an
der all’ die unzähligen elterlichen Rü
gen, alles Ermabnen zur weiblichen
Zurückhaltung und klugen Vorsicht stets
wirkungslos abaeprallt, auf deren
überfprudelndes Temperament auch die
zwölf Monate lang ertragene lehrhafte
Zucht in einein Pensionaie nicht den ac
»eir:äfteu dämmenden Einfluß geübt
be .« .O, eine Vergnügungsreifet«
rief sie mit entsekter Sei-erde. indem sie
die kleinen Hände nachdeiicklich zufam-f
Deutschl-H
»Ach, du lieber Gott!" Halb erstaunt,
halb belusttgt hafteten des Mannes
Blicke auf dein jungen blühenden Ge
sicht. Die sirahlenden schwarzbrauneii
Augen unter den feinen Brauen. die
eine reine weiße Stirne überwölbte, das
Stumpfnäschem der winzige trotzige
g chiirzte Mund gewährten zwar einen
reizenden Anblick, — es lag aber doch
etwas gar zu Unbändiges in der Art
und Weise, wie die junge Dame wäh
rend ihrer lebhaften Worte das Mohn
rosenhiitchen von den Flechten riß und
sich wie verzweifelt mit dem braunhaa
rigen Käpschen gegen die Polsterlissen
zurückwars.
»Jn die Verbannung werde ich ge
schickt, zu einer schrecklich lorretten tu
gendhaften alten Tante, von der ich
feine Manieren, ordnungsvolle Haus
haltung und altbackene Ruhe und Wür
de lernen soll! Tante Lucie ift ganz
nett und lieb, wisse Sie, aber ein schreck
lich unmodernes pedantisches Frauen
zimmer; wenn die mich nur ansieht,
bleibt mir das Wort im Halse stecken
Ivor lauter Respekt Immerhin wäre
es ein paar Monate bei ihr auszuhaL
ten, denn sie haben dort die herrlichsten
Obstgiirten und Tante LuciensTöchter
chen und Eingemachtes suchen ihres
Gleichen; aber gerade dieses Jahr hat
die Sache ihren besonderen Haken.
Da ist nämlich ein Onkel ausgetaucht,
Maina s Stiefbruder, der vor Kurzem
aus Amerika tam und jetzt ständig in
Hohenwalde hausen will. Sehen Sie,
eine alte Jungfer mag ich ganz wohl
leiden, wenn sie so ist wie Tante Lucie
—- ja willich, es verlohnte sich der Mii
he, ihr in Manchem nachzueifern —
aber ein Junggeselle, so ein verschros
benet, launenhafter, griesgrämi er
Kerl, der nur so eilig ist, weil er sich
wahrscheinlich zu viel Körbe gesammelt
hat und dann aus Zorn darüber die
jungen Mädchen verächtlich behandelt
und wie ein hölzerner Schulmeister mit
ihnen spricht —- so ein trockenen spott
siichtiger Hagestolz ist mir ein Gränel!
Jch lenne die Sorte ganz genau, in der
,.Gartenlaube" war nämlich einer be
schrieben —- na, und Onkel Erich muß
nur wenig iiinger wie Tante Lucie sein,
wenn er 15 Jahre lang jenseits des
Oceans gewesen ist und sich dort Dol
lars erworben hat. Bitte, glauben Sie
wohl, ich ließe mir von Onlel Erich im
poniren? Mama und Papa haben ge
stern Abend noch davon gesaselt, von
seiner »großartigen« männlichen Ener
gie, die würde mich zu zügeln verstehen!
Und sie sollten mich doch kennen, daß ich
mich von gar Niemand hosineistern lasse.
Warum lächeln Sie denn, mein Herr!
Ach, Sie halten mich wohl fiir recht un
bändig? O nein, ich bin nur arg ver
wöhnt worden und hasse jeden Zwang«
und wenn Eltern ihre Kinder halt sc
schlecht erziehen, dann geschieht es ihnen
ganz recht —- wenn —
,.Das ist wahr, ja gewiß, das ist
wahr, — dann ist die natürliche Folge.
daß ein solches Kind später von ande
ren Leuten erzogen werden muß. —
Ganz richtig! Jhre Eltern handeln
vielleicht sehr weise, daß sie ihr Töchter
chen in noch jugendlichern Alter einer
strengeren Hand übergeben!«
»Aber mein Herri« — Toni Helmer
war starr über dirse unerwartete Unter
brechung. Wie mit Blut über ossen im
Empfinden einer peinvollen un s chreib
lichenBeschämung, blickte sie ihrem Rei
segefährten in’s Gesicht. Sie sah indess
ein gleichmiithig gütiges Lächeln-aber
einen räthselhasten Ausdruck in den
azurblauen Augen. Ein betlemmendes
Gefühl machte sie verstummen; ein
plötzliche-LI- Ahnen davon, daß sie sich un
passend benommen, daß sie eigentlich
ein sehr thörichtes tindisches Geschöpt
sei, übertam ihre Seele —- und die Ent
»»pörung über die empfangene Zurecht
weisung wollte zu ihrem eigenen Er
staunen nicht aufslammen, wie sonst bei
jedem tleinen Anlaß daheim. »
»Nun also, mein Fräulein, Sie rei
sen, wie ich vernahm, nach Hohenwaldez
ich bin noch über drei Stationen Jbr
Gesährte und fühle mich verpflichtet
über Jhr Wohl zu wachen. Schauen
Sie mich gesälligst an, Sie sind in eini
gen Augenblicken abwechselnd blaß und
roth geworden, ich vermuthe, daß Sie
Hunger haben."
»Ich esse nie etwas!« stieß Toni jetzt
hestig hervor. Die eigenthiimliche pro
tegirende Art dieses fremden Herrn
fing an, sie doch zu reizen. Uebrigens
hatte er nicht Unrecht; sie gedachte eben
faktisch mit Bedauern des delitaten
Schintenbrödchenö, das sie in der Aus
regung des Abschiede von den Jhren
einzupacken vergessen hatte. Jm Kampf
mit den verschiedenartigsten aus sie ein
stiirrnenden Empfindungen, schielte sie
doch verstohlen nach dem angebotenen
Leckerbissen.
Wahrhaftig Sandtörtchen, die sie so
leidenschaftlich gerne aß! Wie kam nur
so ein Jägerjmann zu Sandtörtchen!?
—- Mit verschiirnt gesliistertern Dank
ließ sie es zu, daß ihr der fremde here
den ßtnen Kuchen in Seidenpapier ge
hüllt aus die Kniee te — gan als
verstünde sich das von elbtt —- un alt
er in Betrachtung der Mchen vor-Mer
ssliegenden Landschaften vertiest schien,
s handelte sie m grellstem Widerspruch zu
ihrer vorhin aufgestellten Behauptung
und verzehrte mit größtem Behagen
das duftende Gehört Nebenbei betrach
tete sie mit steigender Bewunderung,
mit einem ganz neuen noch nie gekann
ten innigem Entzücken das edle Profilz
ihres Reisegefährten. i
Hat’s geschmeckt, Fräuleinchen? Ja,
meine Schwester versteht so Iwaö Sie
ist ein musterhaftes Weib in jeder Hin
sicht, nicht blos im Törtchenbacken!«
sagte der Fremde nach einer Weile, in
mildem liebenswürdigem Ton. »Aber
merkwürdig« —- fügte er dann nach
dentlich hinzu, »wie Sie, so gehe auch
ich gerade momentan einer sehr unge
wissen Zukunft ent egen o Das tücki
sche Schicksal harrt hrer in Gestaltei
nes unangenehmen alten Junggesellen
Ontels, dor dessen griesgrämigen Lau
nen Sie sich jetzt schon fürchten, und ich
— was denten Sie wohl, was mir die
allernächste Zeit Schreckliches bringt?
Da wird mir eine junge Dame, ein
Stiefnichtchen, jählings über den Hals
gesandt, ein teckes vorwitziges Gäns
chen; das soll ich ein wenig kurz halten,
damit ihm der tlebermuth nicht über
den Kopf wächst, und meine treffliche
Schwefter will mir helfen dabei. Ja,
das wird ein Kreuz geben für mich ern
sten Mann, der seine Geschäftsforgen
und Arbeiten hat, und nur gediegene
ruhige Gesellschaft gewohnt ist! Aber«
—- fuhr er fort, indem er eindringlich
in des Mädchens weit geöffnete aufge
regten Augen schaute, — »Sie waren ja
auch so offen gegen mich-— ich muß Ih
nen gestehen, die übernommene Aufgabe
interessirt mich doch ziemlich ftari. Da
wurde mir zu den vorigen Weihnachten
ein Bildchen geschickt nach Rio de Ja
neiro, ein Konterfei dieses unartigen,
tollen Nichtchens -— ach, welch’ ein her
ziges liebes Gesichtchenl Jch habe mich
ganz vernarrt hinein, trotzdem ich mit
meinen 37 Jahren über die heißblütige
Jugend hinaus bin, und das Original
ihm genau gleicht, wissen Sie, das Ori
ginal — nach dessen Anblick ich mich
nun schon monatelang gesehnt —
Der Fremde brach plötzlich ab, stand
auf und lehnte sich weit zum Fenster
hinaus. Bei der jähen Bewegung glitt
ein Gegenstand aus seiner Nocktasche
geräuschlos zu Boden.
Das in hülsloser Verwirrung wie er
starrt dasitzende Mädchen bückte sich me
chanisch darnach. Das elegante Notiz
buch war nicht geschlossen, beim Aufhe
ben entfiel seinen Blättern eine Photo
graphie. — Ein über-lauter Aufschrei
— der Herr fährt erschrocken vom Rou
peefenster zurück. Toni Helmer steht
am ganzen Körper zitternd da und bin
det ihr Mohnrosenhiitchen. Sie greift
wie betäubt nach ihrer Reisetasche, ih
lrem Schirm, tastei nach der Raume
tbür —
»Um'"g Himmelswillem Kind, Toni,
Du stürzest hinaus-, liebes Herzen-»Und
ich bitte Dich« — die Worte versagen
dem großen starken Mann, er umfaßt
die leichte Gestalt und reith sie heftig
von der bereits offenen Thür zurück,
und das behende Mädchen fühlt sich fest
an seine Brust geschmiegt und weint.
Aus der Bant liegt das Notizbuch
und das Bild der lecken vorlauten Toni.
»Q, Onkel Erich! OnlelErichl Wie
bin ich Dir so guts«
Woher kommt es nur, dasz Toni’s
iibermiithiger Hindertnund sonst nichts
hervorbringt?
Herr Erich Hohenwalde streicht sanft
über das braune Köpfchen, von welchem
der Hut herunter esallen und biegt
dann das glühende Zlntlitz seiner Stief
nichte zu sich empor.
Da lächelt sie, nicht wie ein gedanken
los muthwilliges Kind, nein, glückselikx
oerheißunasvoll wie ein liebendes Weid.
»Was wirst Du nun mit dem Gäns
chen anfangen?« sliisterte sie mit fast
demiithiger Zärtlichkeit
»Der griesgrämige Junggeselle wird
es gehörig hofmeistern und lieben, lie
ben aus iinmer!" llingt die jubelnde
Antwort zurück. »O, tvelch’ reizende
Fahrt nach Hohenwalde, tleine, anat
tige, süße Toni! Was wird Schwester
Lucie sagen! Wie wird sie sich freuen!«
— OOO
Vor den Geschworenen·.
Eine Geschichte aus Ramänien von Marco
Brociner.
Vor zehn Jahren hatte sie ihn zum
ersten Male gesehen. Sie war dazu
mal noch ein Kind, taurn neun Jahre
alt. Aber ihr war, als wenn es estern
gewesen wäre, so sehr hatte si ihrer
Erinnerung jener Moment eingeprägt,
als vor der in eitel Gold und Silber
strahlenden Bilderwand, die das Schiff
des Dorftirchleins vom Allerheiligsten
trennte, der junge Pape Damasltn er
schien. Der sah ganz anders aus als
der frühere greise, zitterige Seels or
des Städtchens. ine schlanke, lr s
tige Gestalt in einem wundersam lis
ernden.Ornat. Stolz wie ein Hättst
stand er da, das edelgeschnittene,» b ehe
Antlti m einein kurzen Vollbart ein-.
ge aßt, die langbewimperten Augen
ülle bis zu den Schultern heradwal
end. Und wie herrlich klang seine
Stimme, wie reich und voll! Diese
Stimme hatte sie später gar ost ver
nommen, da der junge Pope jeden
Sonntag im Herrenhos erschien. Er
plauderte sehr gerne mit dem alttlugen
Töchterlein des Gutsherrn, das so wild,
so trotzig war, aber still, scheu wurde,
wenn seine hohe Gestalt nur austauchte
Und als er einige Monate nach jenem
Sonntag, da sie ihn zum ersten Mal ge
sehen, einen Avschiedsbesuch im Herren
hos machte und ihr bei dieser Gelegen
heit einen Kuß aus die Stirn drückte,
da hatte sie sogar bitterlich geweint.
Eine Zeitlang noch hatte sein Bild in
der Seele des Kindes gegautett, dann
Fhend die dunklen Locken in üppiger
s verdärnmerte es allmälig.
Sie hatte seither nichts mehr von
ihm gehört, seine Existenz fast völlig
vergessen, als vor mehreren Wochen
sein Name nach Jahren zum ersten
Male wieder an ihr Ohr schlug. All-e
Welt sprach von ihm, von dem schönen
Popen Damaskin, der ein furchtbares
Verbrechen verübt, ein Weil-, seine Ge
liebte, ermordet hatte. Und sie wußte
mehr als alle Andere. Jhr Gatte war
ja der Staatsanwalt, der die Unter
suchung geleitet und nun vor den Ge
schworenen die Anklage vertreten sollte..
Sie hatte mit fieberhaster Spannung
alle Phasen der Untersuchung verfolgt.
Sie wußte, daß der Mörder einsilbig,
verschlossen war, daß er mit wenigen
kurzen Sätzen die That eingestanden
und daß er nur den einen Wunsch heg
te, so rasch als möglich den verdammen
den Wahr-sprach der Geschworenen zu
vernehmen. Auch sie hatte mir nerv"o·
ser Unruhe den Verhandlungstag er
wartet. Nun war er endlich ange
brachen.
Madame Helene Dan, die Gattin
des Staatsanwalies, war eine volle
Stunde vor Beginn der Verhandlung
erschienen, hatte aber bereits den Saal
dicht besetzt gefunden. Die vornehmste
Damenwelt war darin vertreten. Ei
nen Popen, einen schönen Popen, der
noch überdies Mönch war, als Mörder
eines geliebten Weibes vor den Ge
schworenen zu sehen, das war ein selte
nes, sensationelles Schauspiel, das
Emotionen versprach! Helene. die ihr
Gatte am Arm führte, begrüßte lächelnd
einige Freundinnen und unterhielt sich
mit ihnen unbefangen eine Weile, bevor
sie sich aus dem Sitz niederließ, den ihr
Mann für sie in der ersten Bank des
Zuschauerraumes reservirt hatte. Herr
Dan, ein dünnes Männlein mit einem
blonden Spitzbiirtchem strahlte förm
lich vor Glück. Er war erst seit Aur
zem zum Staatsanwalt ernannt wor
den. Heute bot sich ihm zum ersten
Male Gelegenheit, vor dem Publikum
zu sprechen und noch dazu in einer so
aufregenden Affaire. Und er konnte
überdies seine oratorischen Künste vor
einem auserlesenen Damenpublitum
spielen lassen! Er hatte denn auch eine
glänzende Rede ausgearbeitet, die er zu
Hause seiner Frau bereits vorgetragen.
»Wirst fehen,« sliifierte er ihr zu, ich er
ringe heute einen großen (Lrsolg.« Dann
zog er sich zurück, um gleichzeitig mit
dem Präsidenten und den Beisitzern des
Gerichtshofes einen solennen Einzua in
den Saal zu halten. Für zwölf Uhr
Mittags war der Beginn der Verhand
lung anberaumi. Es fehlten nur noch
wenige Minuteen bis zu dieser Stunde.
»Die Damen wurde ungeduldig. Das
Gewoge der lachenden, plaudernden
Stimmen wuchs. Aus einmal wurde
es still, dann ging ein Flüstern und
Raunen durch den Raum. Der Ange
klagte war, von zwei Soldaten flantirt,
eingetreten. Sein Aeußeres entsprach
nicht ganz den gehegten Erwartungen.
Das war nicht der schöne, lebenslu
stige Pape Damastin, von dem man
sich allerhand galante Abenteuer er
zählte. Er sah etwas verwahrlost aus.
« Er schritt gebückt, mit schlotternden
tBeinen zur Antlagebant, wo er, das
FHaupt tieft zur Brust gesenkt, nieder
lglitt Helene war bei seinem Anblick
zusammengezuckt. Sie betrachtete ihn
gespannt. War das derselbe Mann,
Ider einstmals in der Seele des Kindes-v
ein teimendes Liebesgesühl erweckt hat
te. Allmiilig, während sie forschend
seine Ziige studirte, erkannte sie in sei
nem sinsteren Profit das einstige bleiche,
edel geschnittene Antlitz des jungen Po
pen. Damaskin saß regungslos da. Er
erhob sich mechanisch. als der Gerichts
hof eintrat, er schien kaum zu beachten,
was sich weiter abspielie und verblieb
auch in seinem dumpfen Trübsinn, als
die Verlesung der Anklageschrift be
gann. Es war ein langathmiges
Schriftstück. Das Publikum lang
weilte sich. Leises, dann immer kräfti
ger anschwellendes Geplauder über
tönte die Stimme des Vorlesenden. Da
bat der Präsident freundlich lächelnd
die Damen, sich ruhig zu verhalten.
Das Wort Damen schien den Popen
Damaskin aufzuriitieln. Er hob das
daupt und streifte das Publikum mit
einem raschen Blick. Ueber-all Frauen
töpfe, überall Frauenaugem die ans Ihn