Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 04, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    »Noch ist die blühende Zeit«.
Novellette von Paul BUT-.
Nachmittag vier Uhr.
Fräulein Lina Hellwigs Privatf»hu
le wurde geschlossen. Die zehn kleinen
Mädchen liefen jubelnd nach Haufe.
Und die Inhaberin und einzige Lehr
erin des kleinen Instituts war allein.
Sie öffnete alle Fensterflügel, daß die
lachende Junisonne in breiten Wogen
hereinfluthete, dann nahm sie ihre paar
Lehrbücher und ging hinaus in den
Garten, wo die alte Hanne, ihre treue
Magd, bereits den kleinen Kaffeetifch
gedeckt hatte.
Es war ein wunderherrlicher Juni
tag. Der kleine Garten stand in üp
piger Blüthe, und süßer Düfte war die
Luft voll.
Ermüdet und abgespannt ließ fichdas
Fräulein in den Korbftuhl nieder und
gab frch der wohlverdienten Ruhe und
Erholung hin; wie träumend schloß sie
einen Augenblick die Augen.
Und ein lauer Windhauch kam und
wehte ihr Kühlung zu und fpielte
schmeichelnd und tosend mit den blon
den Löckchen, und ganze Wogen schwe
rer Düfte wehte er heran, denn die Ro
fen standen in der ersten Blüthe.
Ein Lächeln flog über ihr jugend
liches Gesicht. ein stilles, glückselig zu
friedenes Lächeln und leise, fast haa
chend, flüfterte sie: »Noch sind ja die
T e der Rosen.«
a kam die alte Hanne und brachte
den Laffen
»Fräuleinchen,« begann sie, »der
herr Amtrnann war da, er wollte um
halb fünf Uhr wiederkommen.«
Das Fräulein fuhr leicht zufammen,
aber sie beherrfchte sich und meinte dann
leichthin: »Es ist gut, Hanna, wenn
der Herr Amtmann kommt, dann führe
ihn hierher, er wird wohl das Schul
geld für fein Mariechen bringen wol
en.'«
Die alte Hanne niate nur, aber ganz
heimlich lächelte sie doch, —- sie wußte,
Peshalb der Herr Amtmann so oft
am.
Als Fräulein Lina wieder allein
war, stand sie aus und ging hin und her,
um ihre Ruhe wiederzufinden
Fast hörbar laut klopfte ihr Herz.
Sie ahnte, was der Amtmann heute
wollte. Längst hatte sie es ja gemerkt,
daß sie ihm nicht gleichgültig war. Sei
ne vielen Bes uche, für die er immer einen
neuen Vormund ersonnen hatte, feine
vielen kleinen Aufmerksamkeiten und
Artigleiten, — oh, sie wußte genau,
was er nun von ihr wollte, denn gestern
schon hatte er Andeutungen gemacht.
Ganz ruhig überlegte sie nun —- —
Er war sechsunddreißig Jahre. Sei
ne Verhältnisse waren glänzend. Aus
( der ersten Ehe war nur ein Kind, ihre
Schülerin Mariechen. Er war ein
stattlicher Mann, gutherzig und gebil
det, und er liebte sie«. Das alles wußte
sie. Er war eine sogenannte glänzende
Partie für sie, das arme Lehrfriiulein.
die allein und verwaist dastand. Tau
sende beneideten sie um dies Glück. Und
dennoch krampste sich ihr Herz zusam
men, wenn sie daran dachte, daß sie Tei
ne Frau werden sollte.
Sie liebte einen anderen, aber dieser
war drei Jahre jünger wie sie, und er
schien es noch immer nicht zu merken,
wie innig sie ihn liebte.
Wieder schloß sie die Augen und
träumte ein paar selige Minuten von
ihrer Liebe, — und wieder lam der laue
Windhauch und wehte ihr Düfte, süß
und schwer, entgegen, —- und wieder
sliisterte sie leise: »Noch ist die blühende
it «
Da hörte sie die Gartenpforte knar
ren. Schnell richtete sie sich auf. Er
kam. Jeßt galt es, start zu s ein.
Langsam und ties grüßend kam er
näher.
»Und ich störe Sie auch nicht, liebes
Fräulein«
»Gewiß nicht, herr Amtrnann. Viel
leicht trinken Sie noch eine Tasse Kassee
mit mir?«
»O, Sie sind sehr liebenswürdig
Fräulein-«
Sie nahmen gegenüber Platz. Die
alte hanne brachte noch eine Tasse.
Dann redeten sie ein paar Sätze über
leichgiiltige Dinge. Jeder wollte vor
II andern seine innere Erregiheit
derbergen. Und dann plötzlich trat ei
ne Pause ein, s etundenlang und s chwüL
«Jeßt, jetzt!« dachte sie nur, Jetzt
würde er s prechen.«
Und richti - fest begann er, in lut
n GENIUS ziigernd, fast stockend.
xtbemlos hörte sie ihn an.
Liebes Fräulein, ich kann leine
schürten Worte drechseln, —- Sie selbst
werden ja längst gemerkt haben, was
Sie mir sind, —- na, und jeßt bitte ich
Sie herzlich-st, werden - Sie meine
sent-.
- da d
- III-Munzin- sp exk
vie ZEme Ists-je Wert-M
" war ur .
III-Lunis verlegen wie ein ckfisch s aß
Da begann er wieder und diesmal
schon mit mehr Sicherheit: «Sehen Sie,
liebes Fräulein, ich weiß ja, daß ich Ih
nen das himmelhoche Glück der stür
menden Jugend nicht mehr bringen
kann, ich weiß ja auch, daß ich ein alter
Egoist bin und nur an mich zuerst den
ke, aber glauben Sie mir, Fräulein Li
na, ich werde Jhnen das Leben so leicht
and angenehm machen, daß Sie doch
glücktich werden, und ich will ja nur ein
wenig don Jhnen geliebt werden, nur
ein Bischen Sonnenschein s ollen Sie in
mein einsames Leben bringen« Bit
tend sah er sie an.
Und jeßt fand sie Worte.
»Lieber Herr Amtmann, — ich weiß
nicht was ich Ihnen sagen soll, — das
Alles kommt so plötzlich, so unvorherge
sehen über mich —«
»Aber liebes Fräulein,« sprach er be
stürzt dazwischen, »Sie haben nie ge
merkt, wie lieb ich Sie gewonnen ha
beli«
Nun schämte sie sich ihrer Notblüge.
Sie wurde wieder roth und die Verle
genheit nahm zu. Endlich aber raffte
sie sich aus, gab ihm die Hand und s igte
mit zitternder Stimme: »Ich bitte Sie,
lieber Herr Amtmann, lassen Sie mir
Zeit, —- ein paar Stunden, —- einen
Tag, —- ich bitte Sie darum!«
Schwermiithig nickte er nur Dann,
mit einem verlegenen Lächeln, antwor
tete er: »Ich werde warten, bis Sie
mich rufen, Fräulein Lina." Dann
ginF er grüßend fort.
ls sie allein war, athmete sie aus,
wie befreit. —- Nun war es vorüber.
Jm Grunde that er ihr ja leid. Aber
wenn schon sie ihn auch gern leiden
mochte und ihn hoch schätzte, sein Weib
werden konnte sie nicht, gewiß nicht!
Denn Liebe empfand sie keine fiir ihn.
Jetzt war sie wieder ganz frei. Sie
lachte ordentlich laut auf, blos um sich
lachen zu hören., Und dann freute sie
sich über ihr lustiges Lachen« Sie sang
und sang immerzu. Und die lauen
Winde wehten wiederum endlose Wo
gen süßer Düfte heran und wiederum
sang sie — diesmal aber laut und fröh
lich:—-—»Noch ist ja die blühende Zeit-J
Um sechs kam ihr Freund, der Pro
kurisi Walter. Wie immer brachte er
auch heute einen Strauß duftendtr Ro
sen mit.
cacheno fprangihm oag grauem
entgegen: Etwas Neues habe ich iür
Sie, here Walter!« rief sie.
Erstaunt kam er näher und sah sie
fragend an.
«Rathen Sie einmal!«
»Ja, das ist nicht so leicht« liebes
Fräulein.«
»Sie werden mich verlieren,« rief sie
scherzend.
»Fräulein Lina —«
Und übermüthig lachend sprach sie
weiter: »Ja, ja, ich habe einen Antrag
bekommen, eine glänzende Partie! Na,
was sagen Sie jetzt?« Jn athemloser
Spannung beobachtete sie die Wirkung
ihrer Worte.
Er aber stand da, stumm und bleich,
und fah sie fragend an. Endlich fragte
er: »Und haben Sie ja gesagt?«
»Nein,« sagte sie nur, über und über
erröthend.
»Ach, ich danke Jhnen, Fräulein Li
na!« rief er da jubelnd aus-, reichte ihr
beide Hände hin und sah sie rnit lodern
den Augen an.
Zitternd fragte sie: »Und ich sollte
Nein s agen?«
Er nickte nur, aber zu leich auch riß
er sie an sich, nahm ihren benden Kör
per in feine Arme und küßte sie auf den
Mund und auf die Augen mit wilden
glühenden Küssen.
Und glückselig la sie in seinen Ar
men und vergaß A es, Alles rings
um, —- nur den Duft der blühenden
Rosen empfand sie noch immer, wonnig
und wohlig.
Sie waren verlobt stillschweigend
Am nächsten Tage schrieb sie dem
Amtmann einen lieben, zartfühlend ge
haltenen Brief, und damit war der Ge
danke an den lieben Herrn für immer
vergessen.
Eine wonnevolle it begann. Je
den Tag kamen die iebenden zufam
men. Und mit jedem Tag wurde das
Glück schöner und größer. Endlich
wurden Pläne für die Zukunft ges
macht.
Er beschloß, daß sie nach der Haupt
stadt ziehen wollten, dort sei ihm eine
Stellung angeboten, die ihm ein dop
pelt so hohes Einkommen dachte, als er
hier bezog. Und zwar wollte er sogleich
dahin übersiedeln, damit er sich einleben
könne in seine neue Stellung, um dann
wenn er firm sei, sie nachkommenzu
lassen. Dann sollte Hochzeit gefeiert
werden.
Natürlich war sie einverstanden Sie
liebte ihn mit so ganzer Hingebung daß
sie in Alles einwilligte, was er vor
schlug« «
So W er eines Tages fort nach der
Hauptstadt. Und sie blieb allein.
Trübe Tage begannen nun. An
fangs kam re elmäßig jeden dritten
Tag ein Or für sie. Und alle Briefe
waren mit warmen Sie-Motten ge
« fchrieben Dennoch aber merkte sie. daß
l- I
die neue Stellun ihm gar nicht behag
te. Er fühlte si nicht nur nicht wohi,
sondern er war einfach enttiiufcht Man
hatte ihm Hoffnungen gemacht, die nie
erfüllt werden konnten. Eines Tages
gab er die Stellung auf, da er die end
lofen Schikanen des Chefs nicht länger
mehr ertragen konnte. Und nun mußte
er eine Stellung annehmen. die ihm
noch weniger Einkommen bot, als er ei
früher in der kleinen Stadt hatte, nur
um fein Dasein zu friften.
An eine Heimath war somit vorerst
nicht zu denken.
Sie war betrübt, aber sie ertrug auch
das, denn ihre Liebe ließ teinen Zweifel
an feinem Worte aufkommen.
Und dann wurden feine Briefe im
mer seltener. Er habe fo viel zu thun,
er sei todtmatt, wenn er heimkomme,
und viele andere Ausreden erfand er.
So ver ing ein Jahr.
Seine achrichten wurden immer
spärlicher, oft kam wochenlang kein
Brief. Längft war das Jnnige, Liebe
volle einem kühlen, gefchiiftsmäßigen
Tone gewichen, oft auch wurden kurze
Worte eschrieben, Klagen über Zwang
und Fe el und versteckte Sehnsucht nach
der verlorenen Freih eit.
Ohne Kla elaut, mit stiller Resigna
tion ertrug te Alles. Längft hatte sie
gefühlt, daß er ihr verloren war. Nun
fühlte sie erft, daß sie zu alt für ihn
war.
Und dann eines Tages tam der Brief,
in dem er sie bat, ihm fein Wort iu
rückzugeben, —- er könne ihr Schicksal
nicht an das feine fesseln, denn er sei
nicht im Stande, ihr eine forgeniofe
und gesicherte Zukunft zu bieten.
Da gab sie ihn frei, mit liebevollen
Worten nahm sie Abschied von ihm.
dantte ihm für alles Gute und für all
die Liebe, die er ihr geschenkt hatte, und
wünschte ihm Glück für die Zukunft;
nicht ein Wort oder einen Vorwurf hat
te sie für ihn, sie felbft nahm alle Schuid
auf sich· «
L mi- -e.-- L-- m-:-: t».t e--.. h- r-..i
ask UUSS Ukc VIII-I IUSI IUUC, UU IIIII
sie zusammen und weinte und schwitz
te und versank in dumpfes, stundenlan
ges Brüten, — sie hatte ihre Jugend,
ihre Hoffnung, ihr Glück, ihr Alles, Al
les begraben; —- noch immer blühten
die Rosen, noch immer war die Luft
voll von süßen schweren Düften ihr
aber hatten sie ausgeblüht, ihr waren
die Tage der Rosen dahin, vergangen,
gewesen. —
Stille, trübe Tage begannen jetzt sür
sie. Doch nie kam ein Wort der Klage
iiber ihre Lippen. Tapfer ertru; sie ihr
selbstgewähltes Loos. hr einziger
Trost war ihre Arbeit. hren kleinen
Schülerinnen war sie nicht nur die
Lehrerin, sie wurde ihnen eine liebe
mütterliche Freundin.
Da erkrankte einmal das kleine Ma
riechen, des Herrn Amtnranns Tochter
Der Vater war untröstlich. Er that.
was er konnte, seinen Liebling zu ret
ten. Auch eine barmherzige Schwester
sollte kommen, die Kleine zu pflegen.
Mariechen aber, an die liebevollr
Fürsorge Fräulein Linas gewöhnt.
wollte nur diese um sich haben.
Und so kam das Fräulein in das
Haus des herrn Amtmanns.
Bange schwere Wochen vergingen.
Der Vater und das Fräulein durch
wachten manche furchtbare Nacht am
Lager der kleinen Schwerkranken.
Als aber die ersten jungen Lenz-s
sonnenstrahlen kamen, war Märiechen
gerettet.
Und in dieser Zeit der Angst und der
Sorgen war auch das Fräulein dem
Amtmann näher gekommen, und als er
jetzt noch einmal seine Werbung wieder
holte, da sagte sie nicht mehr nein, s on
dern wurde sein liebes Weib und der
Kleinen eine treue, fürsorgende Mut
ter. . .
Und als die Tage der Rosen wieder
kamen, da hatte die Welt drei glückliche
zufriedene Menschen mehr.
Die Ulmer Dogge.
Eine Skiye von Paul Margueritte Isariss
Intorisirte Ueberskfung von Als. Oöyr.
Großvater Dechappes hatte sich be
quem in das wappengeschrnückte Erst-ol
ster des eleganten Landauers zurückge
lehnt, aber eines besoan Wohlbeha
gens schien sich der al e Herr trotzdem
nicht zu erfreuen, denn die innere Un
ruhe, in deren Bann er ganz sichtlich
stand, malte sich nicht nur in dem
trarnnfhaften Jucken der zahlreichen
Runzelrh die einem Gesicht das An
sehen eines ängstlich in die Luft schnap
pernden Kaninchens gaben, sie verrieth
sich auch in dem zitternden Ton der
Stimme, als er schüchtern zu stottern
begann: »die-Die Pferde laufen aber
recht schnell.'·
Herr de eul, Dechappes’ Schwieger
fohn, war seiner Frau einen bezieh
ungsvollen Blick zu, unterdrückte ikn
aufsteigendes Lächeln und lispelte:
»Ja, feilich, sie greifen tüchtig aus«, um
dann mit erhobener Stimme hinzuzu
sehem »Na bei der-n sicheren Wege hat
das ja übrigens keine Gefährl«
Der bestimmte, leicht ironisch ge
färbte Ton des jungen Mannes ver
sehlte indessen die beabsi tigte Wirkung
ganz und gar; denr a ten Vern war
tros- der beruhigenden Versicherung sei
nes Schwiegersohnes nun einmal nicht
recht geheuer zu Muthe, und in dem trü
ben Wasser seiner schmutziggrauen Au
en spielte sich nach wie vor das unsicte
lockern quälender Sorge und An st.
Vom Scheitel bis zur Sohle blitzt-Auges
und geschniegelt, mit ausgesuchtestem
Geschmack gekleidet, machte der Greis,
der die fein dehandschuhten Hände artig
gefaltet hielt, ganz den Eindruck eines
alten Kindes, dessen körperliche Pfle e
zuverlässigen Leuten anvertraut ist
Und mit dem Kinde hatte er auch die
Schwächen und Fehler gemein: die lü
sterne Naschhaftigieit, das lächerliche
Furchtgefiihl, die knabenhaste Eitelkeit
und die kindische Sucht, hin und wieder
ein ganz klein wenig zu flunkern und zu
lügen. Sein persönliches Wobibefin
den ging ihm über Alles in der Welt.
Er wollte nur immer gehätschelt sein
und hielt eifersiichtig darauf, daß man
es ihm gegenüber an schuldiger Rück
sicht und Aufmerksamkeit nicht fehlen
ließ, dafür konnte man von dem Alten
aber auch Alles erlangen, wenn man
ihm nur gehörig zu schmeicheln ver
stand. Den ruhigen, zielbewußten
Egoismus und die umständliche Für
sorge fiir die werthe eigene Persönlich
keit hatte die Tochter vom Vater geerbt.
Die hübsche Dame, deren Formen frei
lich schon etwas stark zu werden began
nen, trug auf den graziösen Schultern
das kotette Köpfchen eines niedlichen
Ziervogels, und die blühenden Farben
des Gesichts ließen daran schließen,
daß seine Besitzerin der Diät- und Er
nährungsfrage die gehörige illustriert
samkeit zu Theil werden ließ. Die jun
ge Frau, die in lässiger Haltung zur
Seite des Greises saß und eifrigvdaraus
UIUUWL Nilus-, lylclll dlclllwclh Ullc Uslclll
Raffinement der welterfahrenen Mode
dame gekleideten Körper eine möglichst
bequeme Lage zu geben, wandte ihr
lächelndes Gesicht ihrem Gatten Zu, dem
sie aufrichtig Dank dafür wußte, drß er
sie zur Gräfin gemacht und ihr dadurch
die Möglichkeit geboten hatte. in der
vornehmen Gesellschaft das Bürqerrecht
zu erwerben. Der ehemalige Zuckerfm
brikant Dechappes durfte sich schon den
Luxus gestatten, einen Theil feines be
trächtlichen Vermögens darauf zu der
wenden, sich einen gräflichen Schwie
gersohn zu tausen, der nebenbei noch
Kavallerieoffizier war und sich als fol
cher nach Menschenmöglichteit ruinirt
hatte.
»Priichtiges Wetter heute!« schnarc
te Herr de Feul, feine Frau zärtlich an
blickend und den aufgeztvirbelten
Schnurrbart und den turzgebnltenen
Vollbart ftreichend, den er sich battt
stehen lassen, nachdem er in das Tit-il
verbältniß übergetreten war.
Der stattliche, boch ewachsene Mann
mit dem ener ifchen apf des bewähr
ten, in allen « atteln gerechten Soorts
man bezeugte feiner Frau stets und
überall den Takt und die galante Auf
merksamkeit eines Gatten, der berechtig
ten Grund bat, all’ feine Lieben-Stank
digkeit aufzubieten, um für feine klei
nen Eheftandssünden und schwierigen
finanziellen Arangernents gegebenen
Falls milde Beurtheilung und geneig
tes Gehör zu finden. Denn in feinen
pekuniären Nöthen war Herr de Feul
anz und gar auf die Güte und Gnabr
feiner Frau angewiesen, die vermöge
ihres Geldbewilli ungsrechtes den
Herrn Gemahl am Fängelbande leitete;
und wenn sie ihres Kafsieramtes auch
nicht gerade als tleinliche Knauferin
waltete, so geschah es doch auch oft ge
nug, daß Herr de Fenl in feinen Geld
nöthen bei feiner Gattin ieine Hülft
sand; aus der anderm Seite verstand
sie es allerdings auch wieder vortreff
lich, gelegentlich mit vollen Händen zu
geben und den Herrn Gemahl durch
aufmerksame Erfüllung feiner stillen
Wünsche sur die ritterliche Art, die er
ihr gegenüber beobachtet, entsprechend
zu belohnen.
So hatte sie erfi jün st wieder die
vielbewunderte Ulmer ogge Dragg,
den Lieblingshund des Fürsten Wer
fchoiow, um hohen Preis ungetauft
um Herrn de FeuL der Dragg »iir fein
Leben ern sein eigen genannt hätte,
eine befgondere Freude zu machen. Mit
woblgefälligen Blicken beobachtete sie
die ele anten Bewegungen des prächti
aen Täeres das den Musen mit gewal
tigen Sätzen umkreiste, ald den Pfer
den vorausgaloppirte, bald wieder zu
rüekiagte, mit lustigem Gebell on den
Gäulen in die Höhe sprang und, auf die
Gefahr hin, unter die Hufe zu gerathen,
nach dem Zaumzeug schnappte, zum
nicht geringen Verdruß des Rats-Herz
der feine Liebe Noth hatte, das feurige
Gespann zu zügeln, und der sich In fei
ner ohnmächttgen Wuth mit dem Ge
danken tröstete. dem Hunde nach der
Rllckkehr eine gehöriae Tracht Priigel
zu verabfolgen, eine Absicht, die übri
ens auch in der Idee unansgefiihrt
glitt-, weil dem thatenluftlgen Manne
ans dem KutsW noch rechtzeitig
einsiei, daß die Dogge erst dieser Tage
einem Stallburschen, der sie zu schla
gen gewagt den Arm total zersleischt
hatte.
Da —- der hu—und w— wird die
Ps—pserde noch scheu m—machen!«
stammelte Herr Dechappes in seiner
Herzensangst. Der hinsällige Greis
sah sich in allen Ecken und Enden von
allerlei Gefahren bedroht. Kaum daß;
er im Wagen Platz genommen, um sei-s
ne tägliche Spaziertahtt zu machen, soi
beschlich ihn auch schon die Furcht, es
könnte sich unterwegs einer jener Un
sälle ereignen, die mannigfache Ver
drießlichteiten und Geldopfer im Ge
folge haben. Die bange Sorge vor
Räubern und Mördern ließ ihn des
Nachts kein Auge schließen, und wen
der Kamin nur ein wenig tauchte. so
genügte das vollkommen, um den Alten
in’s Bockshorn zu jagen. Die Attentnte
der Anarchisten hatten vollends oazu
beigetragen, die tindliche Furcht des
Greises in's Ungeheure zu steigern und
seine ohnehin schwache Gesundheit zu
untergraben
Diesmai hatte es Herr de Feni gar
nicht mehr der Mühe werth gehalten,
dem alten Hasensuß ein Wort der Be
ruhigung zu sagen; als er indessen be
merkte daß seine Frau mit allen Zei
chen lebhafter Unruhe nach vorwärts
sah, wandte auch er den Kopf, um nach
dem Hunde Umschau zu halten, der juftj
in diesem Augenblick mit wiithtndem
Gebell aus der Straße dahinstiirrnte..
Der Kutscher, dem es nicht entgangen
war, daß die Dinge da vor ihm eine
böse Wendung zu nehmen drohten, lex-te
sich mit aller Kraft in die Züge-L um
seine Pferde zu einer ruhigeren Gang
art zu zwingen.
» cost-» S- Oft-us mäcbss GL- aus«-RGO
ab, Dagg zurückzurufen. Die grausam
sten Ziichtigungen, an denen es ihr
Herr nicht fehlen ließ, hatten nicht ver
mocht, die unbändige Wildheit der
Dogge zu brechen, die auch heute wieder
wie stets den Gehorsam verweigerte
Wochenlang war das Thier ruhig und
zutraulich wie ein Schoßhiindckieii,
dann aber verwandelte es sich urplötz
lich in eine wilde Befrie, die in den Hüh
nerstall einbrach, um dort ihre Mord
gier nach Herzenslust zu befriedigen.
Gegen Bettler und alleLeute, dir in zer
lumpten, abgerissenen Kleidern umher
girigen, zeigte Dragg indessen aiich in
seinen guten Tagen stets eine unüber
windliche Abneigung
»Dragg!« schrie der Gras mit Auf
bietung seiner ganzen Lungentrast
auf’s Neue, und mit wahrer Sie-tor
siimme setzte er erregt hinzu: »Den
Stock weg, weg mit dern Stock! Der
Hund wird Jhnen sonst an die Kehle
springen! Hierher Dragg! Willst Du
wohl hersomment'«
Dem Kutscher war es endlich gelun
gen, die Pferde zum Stehen zu brin
gen, er und die drei Jnsassen des Wa
gens starrten entsetzt aus das Dra:na,
das sich vor ihren Augen abspielte. Ein
alter Bettler, der sich beim Herannaben
des Wagens vom Wegrande erhoben
hatte, um die Herrschaften um eine mil
de Gabe zu bitten, hatte Dragg’s Wirth
erregt. Mit weitgeöffneteni Rachen,
dessen schneeweißes Gebiß sich von dem
bluthrothen Hintergrunde scharf abhob,
den sehnigen, schlanten Körper zum
Sprunge zurückgebogen, kauerte die
Dogge zähnesletschend und heiser heu
lend vor ihrem Opfer. Herr de Feul
hatte gerade noch Zeit, den Wagenschlag
aufzureißen und mit erhobenem Spa
zierstock auf die Straße zu springen.
Auf dem erdfahlen Gesicht des Bettlers,
einer entträsteten, in staiibbedeckte
Lumpen gehüllten Greisengestalt, mal
ten sich alle Schecken der namenlosen
Angst; ungeschickt suchtelte er nsit sei
nem Stecken in der Lust herum und sei
nen behenden Lippen entrang sich ein
unverständliches Wortgestamme!. das
den schmutziggrauen Bollbart in regel
mäßigem Rhythmus aus der eingefalle
nen Brust tanzen ließ. Die Dogge
mochte wohl ahnen, daß man dabei war,
ihr die sichere Beute zu entreißen; sie
spürte lauen den Stock des Herrn auf
ihrem Rücken, als sie auch schon mit ei
nem gewaltigen Saße dein Alten an die
Kehle sprang.
Herr de Feul hatte den Hund am
Halsband gepackt und schrie wie beses
sen: »Jvieph! Joseph!« »
Allein der Kutscher, der fürchtete, daß
seine unruhig den Boden stampfenden
Pferde in dein Augenblick durchgehen
würden, in dem er die Zügel aus der
Hand ließ, wußte sich selber weder zu
rathen noch zu helfen und blieb wie an
gewurzelt aus dein Bocke sitzen. Dragg
schien die Schläge, die s ein Herr hagel-z
dicht aus seinen Rücken niederfallen
ließ, gar nicht zu fühlen, er hatte den
Bettler niedergeworsen und machte sich
daran, den Unglücklichen mir seinen
furchtbaren Zähnen zu bearbeiten Der.
Alte wagte keinen Laut svon sich zu ge-,
ben; das todtenblasse Antlitz immpr
hast verzerrt. glotzte er mit weitausge-;
risse-ten Augen voll Entseßen die erst
barmngslos ausihn eindringende Be
stie an. Herr de Feick würgte den Hund
nQ Wir und, trachtet www
I
Anstrengungen, ihn zurückzureifzenx
das gellende Kreischen ferner Frau, das
klägliche Wimmern des Großvaters
; und die Bemühungen des Kutschen-» der
« seine lieheRoth hatte, die durch den Tu
mult scheugemachten Pferde am Durch
gehen zu hindern, das Alles trug nicht
wenig dazu bei, die Erregung des Gra
fen zu steigern. «
,,Dragg!« brüllte er keuchend Zum
leßten Male, während die Adern auf
feiner Stirn bedenklich anschwollrn.
Der Verzweiflungsschrei des Grafen
mochte wohl dem Bettler erst die ganze
Größe der Gefahr zum Bewußtsein ge
bracht haben, denn das Gesicht des am
Boden Liegenden verzerrte sich plötzlich
im Todestampfe und von den lrampfss
haft net-drehten Augen war nur noch
das Weiße zu sehen, das verglaft in’s
Leere stierte. Jm ersten Schrecken ver
meinte de Feul auch nicht anders, als "
der Ungliickliche hätte den Geist aufge- "
geben. Hall- sinnlos und schäumend
vor Muth erinnerte er ch erst jetzi, daß
ja sein Stock einen toßdegen barg.
Jm Handumdrehen war der Degen her
ausgerissen und Von wahrer Mordlust
ergriffen stieß de Feul die scharfe Klin
ge zu wiederholten Malen dem rasenden
Thiere in den Leib. Das laute Sei-mer
zensgeheul des zu Tode verwundeten
Hundes brachte den Grafen vollends
außer Fassung, er lannte sich vor Muth
nicht mehr und stieß zu, wohin er im
mer traf. Ein warmer Blutstrom cr
goß sich über denKörper des alten Bett
lers, der noch immer leblos dalaaff und
bespritzte Herrn de Feul’s Hände und
Füße. —
Dem larnienden Kampiqetimmel
war ein langes Schweigen gefolgt.
Dragg lag röchelnd unsd czuckend am
Boden. Der Kutscher hatte die Pferde
glücklich zur Ruhe gebracht, er war Vom
Bocke heruntergeilettert und stand jetzt
mit offenem Munde verlegen neben sei
nem Herrn. Frau de Feul, die mit ent
Esetzten Augen das gräßliche Schauspiel
sbetrachtetr. lag leichenblaß im Wagen
lausgestreckt und schien einer Diinin Jcht
’nahe, während das Gesicht des alten
Dechapves den starren Ausdruck und
die rothviolette Färbung eines vom
Schlagslufi Getroffenen zeigte. Herr
de Feul sah seinen rothgesiirbten Degen
an, ohne recht zu wissen, wie Or ihn
vom Blute siiubern sollte: er reichte ihn
Joseph, der eine Handvoll Gras aus-riß
und die Klinge damit abwischte.
Der Bettler war langsam wieder zur
Besinnung gekommen; ohne sich vorn
Erdboden zu erheben, liesz er seine er
staunten Blicke im Kreise herumschwei
sen und suchte sich vergeblich von den
Geschehnissen Rechenschaft abzulegen.
Grade jetzt durchlief ein leichtes Jucken
den langgestreckten Körper der Dogge;
die zitternden Flanlen, die sich in flie
gender Hast auf und nieder bewegten,
hoben sich noch einmal, uin dann kraft
los zusammenzufallem Dragg war
todt! Der Anblick seines sterbenden
Hundes hatte die Wuth de Feul’s zu
neuer Flamme angefacht.
»Sie elendet Lumpenlerl!« schrie er
den erschrockenen Bettler an, ,,niit Ih
rem verfluchten Kniivpel haben Sie den
Hund nur gereizt. Was? Sie— wollen
am Ende wohl noch einen großen
Mund haben? Wie? Als ab ich es
nicht mit meinen eigenen Augen gesehen
hättet Jch hätte nicht iibel Lust, Sie
dem Gendarmen zu übergeben! Mit
solch einem rohen Tagedieb soll-te man
gar nicht viel Federlesens machen! Unds
zu denken, daß ich Jhretwegen solch ei
nen Hund hinschlachten mußte, einen
Hund, der weiss Gott hundertmal so
viel werth war als Jhr anzes jämmer
liches Leben! Ja, ja, e brauchen mich
nicht so erstaunt anzusehen-l Sie sind
ein arbeitsscheues Subjekt und eii al
ter, ungeschickter Töldel obendrein!«
Seine Aufregung legte sich indessen
ein wenig, als er wischen dein eöffne
ten Hemde des Czreises das lut he
merkte, das aus einer glücklicherweise
nicht tiefen Wunde arn Halse hervor
sickrrtr.
»Sie können übrigens von Glück sa
gen, daß Sie der Hund nicht bei leben
sdigein Leibe aufgefressen hat!'« fuhr
sHerr de Feul ruhiger fort. » hr arm
E.seliger Körper wäre gerade e n Bissen .
Tsiir einen seiner hohlen Zähne gewesen!
sJiihlen Sie irgendwo Schmerzen? Hö
»ren Sie nicht-i Jch frage, ob Ihnen
ietwas weh thut?«
Der Alte schwankte zwischen der
Lust, ein Klagelied anzustimniem und
der Furcht,, dasiir von Neuem ange
fchnauzt zu werden. Er hatte eben erst
von Gendatnien sprechen hören, einer
Menschengattung, mit der er, wenn es
irgend anging, nichts zu thun haben
wollte. Fiir den Augenblick schien es
,also doch wohl gerathener, den Mund
zu halten, wenn er sich auch in der
Sache selbst ganz unschuldig fühlte. Er
hatte doch wahrhaftig nichts gethan,
was den Hund veranlassen konnte, ihm
san die Gurgel zu springen! Das konnte
wirklich kein Mensch behauptent
Herr de Zeul war an den Wagen
»schlag heran etreten und bemerkte trau
irige »Nein, iesethhund solch ei