»Noch ist die blühende Zeit«. Novellette von Paul BUT-. Nachmittag vier Uhr. Fräulein Lina Hellwigs Privatf»hu le wurde geschlossen. Die zehn kleinen Mädchen liefen jubelnd nach Haufe. Und die Inhaberin und einzige Lehr erin des kleinen Instituts war allein. Sie öffnete alle Fensterflügel, daß die lachende Junisonne in breiten Wogen hereinfluthete, dann nahm sie ihre paar Lehrbücher und ging hinaus in den Garten, wo die alte Hanne, ihre treue Magd, bereits den kleinen Kaffeetifch gedeckt hatte. Es war ein wunderherrlicher Juni tag. Der kleine Garten stand in üp piger Blüthe, und süßer Düfte war die Luft voll. Ermüdet und abgespannt ließ fichdas Fräulein in den Korbftuhl nieder und gab frch der wohlverdienten Ruhe und Erholung hin; wie träumend schloß sie einen Augenblick die Augen. Und ein lauer Windhauch kam und wehte ihr Kühlung zu und fpielte schmeichelnd und tosend mit den blon den Löckchen, und ganze Wogen schwe rer Düfte wehte er heran, denn die Ro fen standen in der ersten Blüthe. Ein Lächeln flog über ihr jugend liches Gesicht. ein stilles, glückselig zu friedenes Lächeln und leise, fast haa chend, flüfterte sie: »Noch sind ja die T e der Rosen.« a kam die alte Hanne und brachte den Laffen »Fräuleinchen,« begann sie, »der herr Amtrnann war da, er wollte um halb fünf Uhr wiederkommen.« Das Fräulein fuhr leicht zufammen, aber sie beherrfchte sich und meinte dann leichthin: »Es ist gut, Hanna, wenn der Herr Amtmann kommt, dann führe ihn hierher, er wird wohl das Schul geld für fein Mariechen bringen wol en.'« Die alte Hanne niate nur, aber ganz heimlich lächelte sie doch, —- sie wußte, Peshalb der Herr Amtmann so oft am. Als Fräulein Lina wieder allein war, stand sie aus und ging hin und her, um ihre Ruhe wiederzufinden Fast hörbar laut klopfte ihr Herz. Sie ahnte, was der Amtmann heute wollte. Längst hatte sie es ja gemerkt, daß sie ihm nicht gleichgültig war. Sei ne vielen Bes uche, für die er immer einen neuen Vormund ersonnen hatte, feine vielen kleinen Aufmerksamkeiten und Artigleiten, — oh, sie wußte genau, was er nun von ihr wollte, denn gestern schon hatte er Andeutungen gemacht. Ganz ruhig überlegte sie nun —- — Er war sechsunddreißig Jahre. Sei ne Verhältnisse waren glänzend. Aus ( der ersten Ehe war nur ein Kind, ihre Schülerin Mariechen. Er war ein stattlicher Mann, gutherzig und gebil det, und er liebte sie«. Das alles wußte sie. Er war eine sogenannte glänzende Partie für sie, das arme Lehrfriiulein. die allein und verwaist dastand. Tau sende beneideten sie um dies Glück. Und dennoch krampste sich ihr Herz zusam men, wenn sie daran dachte, daß sie Tei ne Frau werden sollte. Sie liebte einen anderen, aber dieser war drei Jahre jünger wie sie, und er schien es noch immer nicht zu merken, wie innig sie ihn liebte. Wieder schloß sie die Augen und träumte ein paar selige Minuten von ihrer Liebe, — und wieder lam der laue Windhauch und wehte ihr Düfte, süß und schwer, entgegen, —- und wieder sliisterte sie leise: »Noch ist die blühende it « Da hörte sie die Gartenpforte knar ren. Schnell richtete sie sich auf. Er kam. Jeßt galt es, start zu s ein. Langsam und ties grüßend kam er näher. »Und ich störe Sie auch nicht, liebes Fräulein« »Gewiß nicht, herr Amtrnann. Viel leicht trinken Sie noch eine Tasse Kassee mit mir?« »O, Sie sind sehr liebenswürdig Fräulein-« Sie nahmen gegenüber Platz. Die alte hanne brachte noch eine Tasse. Dann redeten sie ein paar Sätze über leichgiiltige Dinge. Jeder wollte vor II andern seine innere Erregiheit derbergen. Und dann plötzlich trat ei ne Pause ein, s etundenlang und s chwüL «Jeßt, jetzt!« dachte sie nur, Jetzt würde er s prechen.« Und richti - fest begann er, in lut n GENIUS ziigernd, fast stockend. xtbemlos hörte sie ihn an. Liebes Fräulein, ich kann leine schürten Worte drechseln, —- Sie selbst werden ja längst gemerkt haben, was Sie mir sind, —- na, und jeßt bitte ich Sie herzlich-st, werden - Sie meine sent-. - da d - III-Munzin- sp exk vie ZEme Ists-je Wert-M " war ur . III-Lunis verlegen wie ein ckfisch s aß Da begann er wieder und diesmal schon mit mehr Sicherheit: «Sehen Sie, liebes Fräulein, ich weiß ja, daß ich Ih nen das himmelhoche Glück der stür menden Jugend nicht mehr bringen kann, ich weiß ja auch, daß ich ein alter Egoist bin und nur an mich zuerst den ke, aber glauben Sie mir, Fräulein Li na, ich werde Jhnen das Leben so leicht and angenehm machen, daß Sie doch glücktich werden, und ich will ja nur ein wenig don Jhnen geliebt werden, nur ein Bischen Sonnenschein s ollen Sie in mein einsames Leben bringen« Bit tend sah er sie an. Und jeßt fand sie Worte. »Lieber Herr Amtmann, — ich weiß nicht was ich Ihnen sagen soll, — das Alles kommt so plötzlich, so unvorherge sehen über mich —« »Aber liebes Fräulein,« sprach er be stürzt dazwischen, »Sie haben nie ge merkt, wie lieb ich Sie gewonnen ha beli« Nun schämte sie sich ihrer Notblüge. Sie wurde wieder roth und die Verle genheit nahm zu. Endlich aber raffte sie sich aus, gab ihm die Hand und s igte mit zitternder Stimme: »Ich bitte Sie, lieber Herr Amtmann, lassen Sie mir Zeit, —- ein paar Stunden, —- einen Tag, —- ich bitte Sie darum!« Schwermiithig nickte er nur Dann, mit einem verlegenen Lächeln, antwor tete er: »Ich werde warten, bis Sie mich rufen, Fräulein Lina." Dann ginF er grüßend fort. ls sie allein war, athmete sie aus, wie befreit. —- Nun war es vorüber. Jm Grunde that er ihr ja leid. Aber wenn schon sie ihn auch gern leiden mochte und ihn hoch schätzte, sein Weib werden konnte sie nicht, gewiß nicht! Denn Liebe empfand sie keine fiir ihn. Jetzt war sie wieder ganz frei. Sie lachte ordentlich laut auf, blos um sich lachen zu hören., Und dann freute sie sich über ihr lustiges Lachen« Sie sang und sang immerzu. Und die lauen Winde wehten wiederum endlose Wo gen süßer Düfte heran und wiederum sang sie — diesmal aber laut und fröh lich:—-—»Noch ist ja die blühende Zeit-J Um sechs kam ihr Freund, der Pro kurisi Walter. Wie immer brachte er auch heute einen Strauß duftendtr Ro sen mit. cacheno fprangihm oag grauem entgegen: Etwas Neues habe ich iür Sie, here Walter!« rief sie. Erstaunt kam er näher und sah sie fragend an. «Rathen Sie einmal!« »Ja, das ist nicht so leicht« liebes Fräulein.« »Sie werden mich verlieren,« rief sie scherzend. »Fräulein Lina —« Und übermüthig lachend sprach sie weiter: »Ja, ja, ich habe einen Antrag bekommen, eine glänzende Partie! Na, was sagen Sie jetzt?« Jn athemloser Spannung beobachtete sie die Wirkung ihrer Worte. Er aber stand da, stumm und bleich, und fah sie fragend an. Endlich fragte er: »Und haben Sie ja gesagt?« »Nein,« sagte sie nur, über und über erröthend. »Ach, ich danke Jhnen, Fräulein Li na!« rief er da jubelnd aus-, reichte ihr beide Hände hin und sah sie rnit lodern den Augen an. Zitternd fragte sie: »Und ich sollte Nein s agen?« Er nickte nur, aber zu leich auch riß er sie an sich, nahm ihren benden Kör per in feine Arme und küßte sie auf den Mund und auf die Augen mit wilden glühenden Küssen. Und glückselig la sie in seinen Ar men und vergaß A es, Alles rings um, —- nur den Duft der blühenden Rosen empfand sie noch immer, wonnig und wohlig. Sie waren verlobt stillschweigend Am nächsten Tage schrieb sie dem Amtmann einen lieben, zartfühlend ge haltenen Brief, und damit war der Ge danke an den lieben Herrn für immer vergessen. Eine wonnevolle it begann. Je den Tag kamen die iebenden zufam men. Und mit jedem Tag wurde das Glück schöner und größer. Endlich wurden Pläne für die Zukunft ges macht. Er beschloß, daß sie nach der Haupt stadt ziehen wollten, dort sei ihm eine Stellung angeboten, die ihm ein dop pelt so hohes Einkommen dachte, als er hier bezog. Und zwar wollte er sogleich dahin übersiedeln, damit er sich einleben könne in seine neue Stellung, um dann wenn er firm sei, sie nachkommenzu lassen. Dann sollte Hochzeit gefeiert werden. Natürlich war sie einverstanden Sie liebte ihn mit so ganzer Hingebung daß sie in Alles einwilligte, was er vor schlug« « So W er eines Tages fort nach der Hauptstadt. Und sie blieb allein. Trübe Tage begannen nun. An fangs kam re elmäßig jeden dritten Tag ein Or für sie. Und alle Briefe waren mit warmen Sie-Motten ge « fchrieben Dennoch aber merkte sie. daß l- I die neue Stellun ihm gar nicht behag te. Er fühlte si nicht nur nicht wohi, sondern er war einfach enttiiufcht Man hatte ihm Hoffnungen gemacht, die nie erfüllt werden konnten. Eines Tages gab er die Stellung auf, da er die end lofen Schikanen des Chefs nicht länger mehr ertragen konnte. Und nun mußte er eine Stellung annehmen. die ihm noch weniger Einkommen bot, als er ei früher in der kleinen Stadt hatte, nur um fein Dasein zu friften. An eine Heimath war somit vorerst nicht zu denken. Sie war betrübt, aber sie ertrug auch das, denn ihre Liebe ließ teinen Zweifel an feinem Worte aufkommen. Und dann wurden feine Briefe im mer seltener. Er habe fo viel zu thun, er sei todtmatt, wenn er heimkomme, und viele andere Ausreden erfand er. So ver ing ein Jahr. Seine achrichten wurden immer spärlicher, oft kam wochenlang kein Brief. Längft war das Jnnige, Liebe volle einem kühlen, gefchiiftsmäßigen Tone gewichen, oft auch wurden kurze Worte eschrieben, Klagen über Zwang und Fe el und versteckte Sehnsucht nach der verlorenen Freih eit. Ohne Kla elaut, mit stiller Resigna tion ertrug te Alles. Längft hatte sie gefühlt, daß er ihr verloren war. Nun fühlte sie erft, daß sie zu alt für ihn war. Und dann eines Tages tam der Brief, in dem er sie bat, ihm fein Wort iu rückzugeben, —- er könne ihr Schicksal nicht an das feine fesseln, denn er sei nicht im Stande, ihr eine forgeniofe und gesicherte Zukunft zu bieten. Da gab sie ihn frei, mit liebevollen Worten nahm sie Abschied von ihm. dantte ihm für alles Gute und für all die Liebe, die er ihr geschenkt hatte, und wünschte ihm Glück für die Zukunft; nicht ein Wort oder einen Vorwurf hat te sie für ihn, sie felbft nahm alle Schuid auf sich· « L mi- -e.-- L-- m-:-: t».t e--.. h- r-..i ask UUSS Ukc VIII-I IUSI IUUC, UU IIIII sie zusammen und weinte und schwitz te und versank in dumpfes, stundenlan ges Brüten, — sie hatte ihre Jugend, ihre Hoffnung, ihr Glück, ihr Alles, Al les begraben; —- noch immer blühten die Rosen, noch immer war die Luft voll von süßen schweren Düften ihr aber hatten sie ausgeblüht, ihr waren die Tage der Rosen dahin, vergangen, gewesen. — Stille, trübe Tage begannen jetzt sür sie. Doch nie kam ein Wort der Klage iiber ihre Lippen. Tapfer ertru; sie ihr selbstgewähltes Loos. hr einziger Trost war ihre Arbeit. hren kleinen Schülerinnen war sie nicht nur die Lehrerin, sie wurde ihnen eine liebe mütterliche Freundin. Da erkrankte einmal das kleine Ma riechen, des Herrn Amtnranns Tochter Der Vater war untröstlich. Er that. was er konnte, seinen Liebling zu ret ten. Auch eine barmherzige Schwester sollte kommen, die Kleine zu pflegen. Mariechen aber, an die liebevollr Fürsorge Fräulein Linas gewöhnt. wollte nur diese um sich haben. Und so kam das Fräulein in das Haus des herrn Amtmanns. Bange schwere Wochen vergingen. Der Vater und das Fräulein durch wachten manche furchtbare Nacht am Lager der kleinen Schwerkranken. Als aber die ersten jungen Lenz-s sonnenstrahlen kamen, war Märiechen gerettet. Und in dieser Zeit der Angst und der Sorgen war auch das Fräulein dem Amtmann näher gekommen, und als er jetzt noch einmal seine Werbung wieder holte, da sagte sie nicht mehr nein, s on dern wurde sein liebes Weib und der Kleinen eine treue, fürsorgende Mut ter. . . Und als die Tage der Rosen wieder kamen, da hatte die Welt drei glückliche zufriedene Menschen mehr. Die Ulmer Dogge. Eine Skiye von Paul Margueritte Isariss Intorisirte Ueberskfung von Als. Oöyr. Großvater Dechappes hatte sich be quem in das wappengeschrnückte Erst-ol ster des eleganten Landauers zurückge lehnt, aber eines besoan Wohlbeha gens schien sich der al e Herr trotzdem nicht zu erfreuen, denn die innere Un ruhe, in deren Bann er ganz sichtlich stand, malte sich nicht nur in dem trarnnfhaften Jucken der zahlreichen Runzelrh die einem Gesicht das An sehen eines ängstlich in die Luft schnap pernden Kaninchens gaben, sie verrieth sich auch in dem zitternden Ton der Stimme, als er schüchtern zu stottern begann: »die-Die Pferde laufen aber recht schnell.'· Herr de eul, Dechappes’ Schwieger fohn, war seiner Frau einen bezieh ungsvollen Blick zu, unterdrückte ikn aufsteigendes Lächeln und lispelte: »Ja, feilich, sie greifen tüchtig aus«, um dann mit erhobener Stimme hinzuzu sehem »Na bei der-n sicheren Wege hat das ja übrigens keine Gefährl« Der bestimmte, leicht ironisch ge färbte Ton des jungen Mannes ver sehlte indessen die beabsi tigte Wirkung ganz und gar; denr a ten Vern war tros- der beruhigenden Versicherung sei nes Schwiegersohnes nun einmal nicht recht geheuer zu Muthe, und in dem trü ben Wasser seiner schmutziggrauen Au en spielte sich nach wie vor das unsicte lockern quälender Sorge und An st. Vom Scheitel bis zur Sohle blitzt-Auges und geschniegelt, mit ausgesuchtestem Geschmack gekleidet, machte der Greis, der die fein dehandschuhten Hände artig gefaltet hielt, ganz den Eindruck eines alten Kindes, dessen körperliche Pfle e zuverlässigen Leuten anvertraut ist Und mit dem Kinde hatte er auch die Schwächen und Fehler gemein: die lü sterne Naschhaftigieit, das lächerliche Furchtgefiihl, die knabenhaste Eitelkeit und die kindische Sucht, hin und wieder ein ganz klein wenig zu flunkern und zu lügen. Sein persönliches Wobibefin den ging ihm über Alles in der Welt. Er wollte nur immer gehätschelt sein und hielt eifersiichtig darauf, daß man es ihm gegenüber an schuldiger Rück sicht und Aufmerksamkeit nicht fehlen ließ, dafür konnte man von dem Alten aber auch Alles erlangen, wenn man ihm nur gehörig zu schmeicheln ver stand. Den ruhigen, zielbewußten Egoismus und die umständliche Für sorge fiir die werthe eigene Persönlich keit hatte die Tochter vom Vater geerbt. Die hübsche Dame, deren Formen frei lich schon etwas stark zu werden began nen, trug auf den graziösen Schultern das kotette Köpfchen eines niedlichen Ziervogels, und die blühenden Farben des Gesichts ließen daran schließen, daß seine Besitzerin der Diät- und Er nährungsfrage die gehörige illustriert samkeit zu Theil werden ließ. Die jun ge Frau, die in lässiger Haltung zur Seite des Greises saß und eifrigvdaraus UIUUWL Nilus-, lylclll dlclllwclh Ullc Uslclll Raffinement der welterfahrenen Mode dame gekleideten Körper eine möglichst bequeme Lage zu geben, wandte ihr lächelndes Gesicht ihrem Gatten Zu, dem sie aufrichtig Dank dafür wußte, drß er sie zur Gräfin gemacht und ihr dadurch die Möglichkeit geboten hatte. in der vornehmen Gesellschaft das Bürqerrecht zu erwerben. Der ehemalige Zuckerfm brikant Dechappes durfte sich schon den Luxus gestatten, einen Theil feines be trächtlichen Vermögens darauf zu der wenden, sich einen gräflichen Schwie gersohn zu tausen, der nebenbei noch Kavallerieoffizier war und sich als fol cher nach Menschenmöglichteit ruinirt hatte. »Priichtiges Wetter heute!« schnarc te Herr de Feul, feine Frau zärtlich an blickend und den aufgeztvirbelten Schnurrbart und den turzgebnltenen Vollbart ftreichend, den er sich battt stehen lassen, nachdem er in das Tit-il verbältniß übergetreten war. Der stattliche, boch ewachsene Mann mit dem ener ifchen apf des bewähr ten, in allen « atteln gerechten Soorts man bezeugte feiner Frau stets und überall den Takt und die galante Auf merksamkeit eines Gatten, der berechtig ten Grund bat, all’ feine Lieben-Stank digkeit aufzubieten, um für feine klei nen Eheftandssünden und schwierigen finanziellen Arangernents gegebenen Falls milde Beurtheilung und geneig tes Gehör zu finden. Denn in feinen pekuniären Nöthen war Herr de Feul anz und gar auf die Güte und Gnabr feiner Frau angewiesen, die vermöge ihres Geldbewilli ungsrechtes den Herrn Gemahl am Fängelbande leitete; und wenn sie ihres Kafsieramtes auch nicht gerade als tleinliche Knauferin waltete, so geschah es doch auch oft ge nug, daß Herr de Fenl in feinen Geld nöthen bei feiner Gattin ieine Hülft sand; aus der anderm Seite verstand sie es allerdings auch wieder vortreff lich, gelegentlich mit vollen Händen zu geben und den Herrn Gemahl durch aufmerksame Erfüllung feiner stillen Wünsche sur die ritterliche Art, die er ihr gegenüber beobachtet, entsprechend zu belohnen. So hatte sie erfi jün st wieder die vielbewunderte Ulmer ogge Dragg, den Lieblingshund des Fürsten Wer fchoiow, um hohen Preis ungetauft um Herrn de FeuL der Dragg »iir fein Leben ern sein eigen genannt hätte, eine befgondere Freude zu machen. Mit woblgefälligen Blicken beobachtete sie die ele anten Bewegungen des prächti aen Täeres das den Musen mit gewal tigen Sätzen umkreiste, ald den Pfer den vorausgaloppirte, bald wieder zu rüekiagte, mit lustigem Gebell on den Gäulen in die Höhe sprang und, auf die Gefahr hin, unter die Hufe zu gerathen, nach dem Zaumzeug schnappte, zum nicht geringen Verdruß des Rats-Herz der feine Liebe Noth hatte, das feurige Gespann zu zügeln, und der sich In fei ner ohnmächttgen Wuth mit dem Ge danken tröstete. dem Hunde nach der Rllckkehr eine gehöriae Tracht Priigel zu verabfolgen, eine Absicht, die übri ens auch in der Idee unansgefiihrt glitt-, weil dem thatenluftlgen Manne ans dem KutsW noch rechtzeitig einsiei, daß die Dogge erst dieser Tage einem Stallburschen, der sie zu schla gen gewagt den Arm total zersleischt hatte. Da —- der hu—und w— wird die Ps—pserde noch scheu m—machen!« stammelte Herr Dechappes in seiner Herzensangst. Der hinsällige Greis sah sich in allen Ecken und Enden von allerlei Gefahren bedroht. Kaum daß; er im Wagen Platz genommen, um sei-s ne tägliche Spaziertahtt zu machen, soi beschlich ihn auch schon die Furcht, es könnte sich unterwegs einer jener Un sälle ereignen, die mannigfache Ver drießlichteiten und Geldopfer im Ge folge haben. Die bange Sorge vor Räubern und Mördern ließ ihn des Nachts kein Auge schließen, und wen der Kamin nur ein wenig tauchte. so genügte das vollkommen, um den Alten in’s Bockshorn zu jagen. Die Attentnte der Anarchisten hatten vollends oazu beigetragen, die tindliche Furcht des Greises in's Ungeheure zu steigern und seine ohnehin schwache Gesundheit zu untergraben Diesmai hatte es Herr de Feni gar nicht mehr der Mühe werth gehalten, dem alten Hasensuß ein Wort der Be ruhigung zu sagen; als er indessen be merkte daß seine Frau mit allen Zei chen lebhafter Unruhe nach vorwärts sah, wandte auch er den Kopf, um nach dem Hunde Umschau zu halten, der juftj in diesem Augenblick mit wiithtndem Gebell aus der Straße dahinstiirrnte.. Der Kutscher, dem es nicht entgangen war, daß die Dinge da vor ihm eine böse Wendung zu nehmen drohten, lex-te sich mit aller Kraft in die Züge-L um seine Pferde zu einer ruhigeren Gang art zu zwingen. » cost-» S- Oft-us mäcbss GL- aus«-RGO ab, Dagg zurückzurufen. Die grausam sten Ziichtigungen, an denen es ihr Herr nicht fehlen ließ, hatten nicht ver mocht, die unbändige Wildheit der Dogge zu brechen, die auch heute wieder wie stets den Gehorsam verweigerte Wochenlang war das Thier ruhig und zutraulich wie ein Schoßhiindckieii, dann aber verwandelte es sich urplötz lich in eine wilde Befrie, die in den Hüh nerstall einbrach, um dort ihre Mord gier nach Herzenslust zu befriedigen. Gegen Bettler und alleLeute, dir in zer lumpten, abgerissenen Kleidern umher girigen, zeigte Dragg indessen aiich in seinen guten Tagen stets eine unüber windliche Abneigung »Dragg!« schrie der Gras mit Auf bietung seiner ganzen Lungentrast auf’s Neue, und mit wahrer Sie-tor siimme setzte er erregt hinzu: »Den Stock weg, weg mit dern Stock! Der Hund wird Jhnen sonst an die Kehle springen! Hierher Dragg! Willst Du wohl hersomment'« Dem Kutscher war es endlich gelun gen, die Pferde zum Stehen zu brin gen, er und die drei Jnsassen des Wa gens starrten entsetzt aus das Dra:na, das sich vor ihren Augen abspielte. Ein alter Bettler, der sich beim Herannaben des Wagens vom Wegrande erhoben hatte, um die Herrschaften um eine mil de Gabe zu bitten, hatte Dragg’s Wirth erregt. Mit weitgeöffneteni Rachen, dessen schneeweißes Gebiß sich von dem bluthrothen Hintergrunde scharf abhob, den sehnigen, schlanten Körper zum Sprunge zurückgebogen, kauerte die Dogge zähnesletschend und heiser heu lend vor ihrem Opfer. Herr de Feul hatte gerade noch Zeit, den Wagenschlag aufzureißen und mit erhobenem Spa zierstock auf die Straße zu springen. Auf dem erdfahlen Gesicht des Bettlers, einer entträsteten, in staiibbedeckte Lumpen gehüllten Greisengestalt, mal ten sich alle Schecken der namenlosen Angst; ungeschickt suchtelte er nsit sei nem Stecken in der Lust herum und sei nen behenden Lippen entrang sich ein unverständliches Wortgestamme!. das den schmutziggrauen Bollbart in regel mäßigem Rhythmus aus der eingefalle nen Brust tanzen ließ. Die Dogge mochte wohl ahnen, daß man dabei war, ihr die sichere Beute zu entreißen; sie spürte lauen den Stock des Herrn auf ihrem Rücken, als sie auch schon mit ei nem gewaltigen Saße dein Alten an die Kehle sprang. Herr de Feul hatte den Hund am Halsband gepackt und schrie wie beses sen: »Jvieph! Joseph!« » Allein der Kutscher, der fürchtete, daß seine unruhig den Boden stampfenden Pferde in dein Augenblick durchgehen würden, in dem er die Zügel aus der Hand ließ, wußte sich selber weder zu rathen noch zu helfen und blieb wie an gewurzelt aus dein Bocke sitzen. Dragg schien die Schläge, die s ein Herr hagel-z dicht aus seinen Rücken niederfallen ließ, gar nicht zu fühlen, er hatte den Bettler niedergeworsen und machte sich daran, den Unglücklichen mir seinen furchtbaren Zähnen zu bearbeiten Der. Alte wagte keinen Laut svon sich zu ge-, ben; das todtenblasse Antlitz immpr hast verzerrt. glotzte er mit weitausge-; risse-ten Augen voll Entseßen die erst barmngslos ausihn eindringende Be stie an. Herr de Feick würgte den Hund nQ Wir und, trachtet www I Anstrengungen, ihn zurückzureifzenx das gellende Kreischen ferner Frau, das klägliche Wimmern des Großvaters ; und die Bemühungen des Kutschen-» der « seine lieheRoth hatte, die durch den Tu mult scheugemachten Pferde am Durch gehen zu hindern, das Alles trug nicht wenig dazu bei, die Erregung des Gra fen zu steigern. « ,,Dragg!« brüllte er keuchend Zum leßten Male, während die Adern auf feiner Stirn bedenklich anschwollrn. Der Verzweiflungsschrei des Grafen mochte wohl dem Bettler erst die ganze Größe der Gefahr zum Bewußtsein ge bracht haben, denn das Gesicht des am Boden Liegenden verzerrte sich plötzlich im Todestampfe und von den lrampfss haft net-drehten Augen war nur noch das Weiße zu sehen, das verglaft in’s Leere stierte. Jm ersten Schrecken ver meinte de Feul auch nicht anders, als " der Ungliickliche hätte den Geist aufge- " geben. Hall- sinnlos und schäumend vor Muth erinnerte er ch erst jetzi, daß ja sein Stock einen toßdegen barg. Jm Handumdrehen war der Degen her ausgerissen und Von wahrer Mordlust ergriffen stieß de Feul die scharfe Klin ge zu wiederholten Malen dem rasenden Thiere in den Leib. Das laute Sei-mer zensgeheul des zu Tode verwundeten Hundes brachte den Grafen vollends außer Fassung, er lannte sich vor Muth nicht mehr und stieß zu, wohin er im mer traf. Ein warmer Blutstrom cr goß sich über denKörper des alten Bett lers, der noch immer leblos dalaaff und bespritzte Herrn de Feul’s Hände und Füße. — Dem larnienden Kampiqetimmel war ein langes Schweigen gefolgt. Dragg lag röchelnd unsd czuckend am Boden. Der Kutscher hatte die Pferde glücklich zur Ruhe gebracht, er war Vom Bocke heruntergeilettert und stand jetzt mit offenem Munde verlegen neben sei nem Herrn. Frau de Feul, die mit ent Esetzten Augen das gräßliche Schauspiel sbetrachtetr. lag leichenblaß im Wagen lausgestreckt und schien einer Diinin Jcht ’nahe, während das Gesicht des alten Dechapves den starren Ausdruck und die rothviolette Färbung eines vom Schlagslufi Getroffenen zeigte. Herr de Feul sah seinen rothgesiirbten Degen an, ohne recht zu wissen, wie Or ihn vom Blute siiubern sollte: er reichte ihn Joseph, der eine Handvoll Gras aus-riß und die Klinge damit abwischte. Der Bettler war langsam wieder zur Besinnung gekommen; ohne sich vorn Erdboden zu erheben, liesz er seine er staunten Blicke im Kreise herumschwei sen und suchte sich vergeblich von den Geschehnissen Rechenschaft abzulegen. Grade jetzt durchlief ein leichtes Jucken den langgestreckten Körper der Dogge; die zitternden Flanlen, die sich in flie gender Hast auf und nieder bewegten, hoben sich noch einmal, uin dann kraft los zusammenzufallem Dragg war todt! Der Anblick seines sterbenden Hundes hatte die Wuth de Feul’s zu neuer Flamme angefacht. »Sie elendet Lumpenlerl!« schrie er den erschrockenen Bettler an, ,,niit Ih rem verfluchten Kniivpel haben Sie den Hund nur gereizt. Was? Sie— wollen am Ende wohl noch einen großen Mund haben? Wie? Als ab ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hättet Jch hätte nicht iibel Lust, Sie dem Gendarmen zu übergeben! Mit solch einem rohen Tagedieb soll-te man gar nicht viel Federlesens machen! Unds zu denken, daß ich Jhretwegen solch ei nen Hund hinschlachten mußte, einen Hund, der weiss Gott hundertmal so viel werth war als Jhr anzes jämmer liches Leben! Ja, ja, e brauchen mich nicht so erstaunt anzusehen-l Sie sind ein arbeitsscheues Subjekt und eii al ter, ungeschickter Töldel obendrein!« Seine Aufregung legte sich indessen ein wenig, als er wischen dein eöffne ten Hemde des Czreises das lut he merkte, das aus einer glücklicherweise nicht tiefen Wunde arn Halse hervor sickrrtr. »Sie können übrigens von Glück sa gen, daß Sie der Hund nicht bei leben sdigein Leibe aufgefressen hat!'« fuhr sHerr de Feul ruhiger fort. » hr arm E.seliger Körper wäre gerade e n Bissen . Tsiir einen seiner hohlen Zähne gewesen! sJiihlen Sie irgendwo Schmerzen? Hö »ren Sie nicht-i Jch frage, ob Ihnen ietwas weh thut?« Der Alte schwankte zwischen der Lust, ein Klagelied anzustimniem und der Furcht,, dasiir von Neuem ange fchnauzt zu werden. Er hatte eben erst von Gendatnien sprechen hören, einer Menschengattung, mit der er, wenn es irgend anging, nichts zu thun haben wollte. Fiir den Augenblick schien es ,also doch wohl gerathener, den Mund zu halten, wenn er sich auch in der Sache selbst ganz unschuldig fühlte. Er hatte doch wahrhaftig nichts gethan, was den Hund veranlassen konnte, ihm san die Gurgel zu springen! Das konnte wirklich kein Mensch behauptent Herr de Zeul war an den Wagen »schlag heran etreten und bemerkte trau irige »Nein, iesethhund solch ei