Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 28, 1896, Sonntags-Blatt., Image 13

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    kgxiehte Kunigunde der diiinonischen
walt der Pennts nnd Pussucht zu
« überlieferm Rein, etwas gan Beson
deres, etwas Upartes, etwas tnniges
mußte es sein, das Kunigunde’s herz
entzücken sollte. Aber wie er auch grü
belte, was er auch ers ann, nichts tonnte
-, . , keine volle Billigting finden; hier war
- Kostenpunth dort die Nützlichkeit
s- des Gegenstandes und hier wieder def
sen Annehmlichkeit ein inderniß. Und
s dabei standen die We hnachten ganz
dicht vor der Thür, nur noch zwei Tage
trennten ihn von dein hohen efte. Und
, auch der Wein weigerte sich rtnäckig,
j- seine lpriichwörtliche·Schuldigteit zu
« thun, die «ungfräuliche Gottheit blieb
standhaft einen spähenden, sehnsüchtig
suchenden Blicken verschleiert. Muth
lvs schlich er von dannen. Boreas fegie
ihm die heiße Gluth von der Stirn und
es wollte ihm fast scheinen. als ob der
wilde Geselle ihm beständig: »Wäh
nachten! Es ist da! Kunigunde!« in’s
Ohr zische und höhnisch dabei lache.
Fröstelnd zog er den Rvcktragen höher
und besliigelten Schrittes eilte er seinen
Penaten zu
fDes Schlüsselloches län liche Spalte
war nach einigen vergeht chen Versu
chen bald gefunden und sein treuester
Freund, der » austnecht'«, öffnete ihm
narrend die forten seines Heilig
thunis. Eiligst kleidete er sich aus,
wickelte sich bis an die Nasensvisze in die
Bettdecke ein und sanft schnarchend
ruhte er bald in Morpheus weichen Ar
men.
Als er am nächsten Morgen erwachte,
rieb et sich die Augen, eilte zur Wasser
slafche und wollte soeben zum zweiten
Male den blintenden Becher füllen, als
er sich plötzlich verwundert umblickte
und die einzelnen Beftandtheile seiner
unggesellenwirthschaft aufmerksam
trachtete. Aber dort war nichts zu
sehen; Alles war noch unverändert, wie
er es am Tage vorher verlassen hatte.
Er hatte also nur geträumt; ja, jetzt
erinnerte er sich ganz deutlich, es war
nur ein Traum gewesen, aber ein süßer,
beglückender. Die Götter, die ihn beim
Un arwein so schmählich im Stich ge
la en, führten ihn im Schlaf in ein
großes, weites Gemach. Es war sein
Gemach. Auf einem Stuhl drüben am
Fenster lag ein prächtiger Damenhut
mit langer Straußenfeder und zartem
Spitzenschleier von feinstem Gewebe;
hier waren waltende Gewänder ausge
breitet; vorn Kamin her schwebte ein
Mantel heran, aus welchem seine Ku
nigunde ihn freundlich lächelnd an
schaute. Kurz, der Traum zauberte ihm
alle die vom vorigen Abend in Vor
schlag gebrachten tausenderlei Sachen
vor die Seele; Armbänder, Ketten, Uh
ren, Kochofen und duftige Spitzenge
webe. Jn der Mitte des ZimmerH aber
hing von der Decke herab ein mit einem
rosenrothenTuche seinem Auge verhüll
ter Gegenstand, der sich langsam und
feierlich bei den Klängen himinlischer
Musik dein Teppich näherte, während
eine, mit durchsichtigem Silbergewande
umgürtete weibliche Gestalt vom Ka
minsiins hernieder-stieg Wiinderlieblich
war sie anzuschauen, die Jungfrau, und
auch ihr Antlitz wollte ihm nicht ganz
unbekannt erscheinen. Ehe er aber auf
merksam die Züge studiren konnte, sah
er, wie die Erscheinung mit der tlassiich
geformten Hand die rothbehauchte Hülle
erfallte, sie langsam hinwegzog und
dann mit der Rechten aus den im Son
nenlichte funkelnden Gegenstand deu
tete. Staunend und zugleich freudig
überrascht erblickte Eduard eine —
Nähmafchine.
MkIs
«.-c,.«,t.t.!.--I EIN-«- h
th ciuc Icuqlltususuu« Akt-? tvue
das Richtige, das Aparte, das Sinnige,
das er so lange vergeblich gesucht. Das
war das Agebinde, welches die Königin
seines Herzens entzücken mußte. Wo
war wohl das Angenehme mit dem
Nützlichen schöner gepaart! Jetzt ionnte
seine Braut, seine junge Gattin, nicht
allein ihre eigene, sondern auch andere,
später etwa nothwendig wendende Gar
derobe mit eigener Hand anfertigen,
und das mußte ihr zweifellos ganz be
kondere Freude machen. gar nicht zu re
en von der bedeutenden Ersparnisz, die
dadurch ermöglicht wurde. Die Mächte
hatten gesprochen und Eduard beeilte
sich- dem Gebote Folge zu leisten
heiterm Sinnes schritt er die Straße
entlang und begrüßte leutselig und
freundlich den dicken Kapellmeister, der
seines schlecht angebrachten Scherzes
halber schon Abbitte bei ihm batte thun
wollen. Dazu aber blieb leine Zeit,
denn Eduard entschuldigte sich hastig
und verschwand vor den Augen des ver
wundert Nachbliekenden hinter den ele
ganien Spiegelscheiben des renommir
testen Nähmaschinen - Etablissements.
Schnell ward er mit dem Berliiuser
bandelseinigx er erstand die beste Ma
schine und hinterließ die Adresse seiner
Braut, bei welcher das Prachtstiick am
heiligen Abend« am nächsten Tage, ab
gelieseet werden sollte.
Ordenttich erleichtert fühlte er sich,
daß noch Alles so zeitig zum glücklich
sten Abschluß getommen war und mit
dem Gefühl doppelter Befriedigung
umarmte er an jenem Abend seine Ku
H
nigunde, die betrübt schon sich selbst für
die Ursache seiner Verstimmung gehal
ten hatte.
Ungeduldig eilte er am Weihnachw
abend der Wohnung seiner Braut zu.
Es»war spät geworden; dringende Ge
schafte hatten ihn übermäßig lange an
sein Bureau gefesselt; der Zeiger
näherte sich schon der neunten Stunde,
als er den Hausflnr betrat, auf wel
chem ihm die Kleinen mit Peitschen,
Trompeten und sonstigen Marterin
strumenten freudestrahlend entgegeneil
en.
Und jetzt kam die Reihe an ihn. Ku
nigunde überreichte ihm mit würdevol
ler Verbeugung ein großes Etuis und
ein geheimnißvoll aussehendes Säck
chen. Eine große prächtige Meer
schaumpfeife, eine selbstverfertigte Ci
garrentasche und eine kleine Ladung
Tabat und Cigarren kamen zum Vor
schein. Die kleine Emma schleppte die
unvermeidlichen Pantoffeln herbeiz.
Paul verehrte seinem zukünftigen
Schwaaer eine elegante Petzkappe und
Emil händigte dem glücklichen Eduard,
dem vor Rührung und Dankbarkeit die
hellen Thriinen in die Augen traten,
im Namen des ganzen Hauses, eine
kostbare goldene Uhr ein. Nein, das
war zu viel! Womit hatte er das ver
dient? .
Es dauerte geraume Zeit, ehe er sich
zu fassen vermochte; endlich sprang er
auf und begann, den Inhalt der tiefen
und zahlreichenTaschen seines umfang
reichen Ueberziehers und seines Rockes
vor den Augen der jubelnden Kind-s
auszubreiten Da waren Bücher, Peit
schen, Puppen und allerlei Spielzeug;
den Herzenswunsch eines Jeden hatte er
so weit wie möglich befriedigt
Der Hausherr füllte die Punschglä
ser, man stieß fröhlich auf allseitiges
Wohl an und rückte die Sessel dicht an
den Ramim um den Rest des Abends
in lebhafter Unterhaltung zu verplau- -
dern.
ossnznssvhs III-IF- m«n«I-m«f k-v
stutzt-n über das Glas hinweg ihren
Brautigam an und ein leichter Schat
ten des Unmuthes huschte über ihr zar
tes Antlih. Aber auch Eduard wars
hin und wieder einen bang sragenden
Blick· aus seine Braut und ärgerte sich
im tiefsten Schreine seines Herzens,
daß sie auch mit keiner Silbe ihrer
Freude oder wenigstens ihrem Mißfal
len über sein Geschenk Ausdruck ver
lieh. Fra »e·n mochte und wollte er nicht,
dagegen aumte sich sein Stolz mächtig
au ; soviel Takt sollte sie doch besitzen,
so dachte er bei sich, auch ohne direkte
Aufforderung das veinliche Schweigen
zu brechen. Die Eltern versuchten ge
schickt durch munteres Geplauder und
zahlreiche Späße die sich der Beiden be
machtigten Mißstimmung zu verscheu
chen, aber vergebens; Kunigunde wur
de nur noch schweigsamer und kämpfte
sichtbar mit den emporsteigenden Thra
ne.
Aber war sie denn nicht seine süße
Braut? Er wollte ihr entgegenkam-.
men als der Klügere nachgeben und sei- E
nen dummen Stolz überwinden. i
»Und Dir hat mein Geschenk gar tei- :
ne Freude bereitet?« fragte er mit ’
schwach vibrirender Stimme, in der »
sich eiu leichter Borwurs vernehmbar .
machte. :
»Dein Geschent?« entgegnete sief
feuchten Auges und völlig erstaunt. ?
»Du spottest; Eduard ; ich verstehe
Dich nicht!« Und sie wandte sich ab,
um schluchzend an der Mutter Brust
sich auszuweinen. .
Was war das? Sie hatte nicht em- L
pfangent Das Geschäft hatte die Ab- «
lieserung der Maschine vergessen? Un-i
möglich! i
Aber leider war es nur zu wahrt
Eine kurze Auseinandersetzung genügJ
te, den wahren Thatbesiand festzustellen I
und Kunigunde, die er über die Natur;
des Geschenkes natürlich noch völlig im s
Dunklen ließ, damit zu trösten, daß ihrs
nun die Freude für den nächsten Mor- ;
en vorbehalten werden müsse· Aller?
ESchmerz war selbstverständlich s ogleichs
vergessen; sie war wieder die liebende,
hingebende Braut und Eduard that ihrJ
im nnern sreudige Abbitte dafür, daß ;
er e der Undankbarkeit sür sühig ge-;
halten hatte. Sonst aber sah es ziemss
lich bedenklich in seinem Jnnern aus«
es kochte und brodelte wie in einemi
hexenlessel und in seinem Hirn treuz
ten sich die blutdürstigsten Gedanken,
wie er morgen früh den armen Versäu
ser begrüßen, mit welchen höflichleits
sormeln er ihm unter die Augen gehen·
wollte. heute wäre der vorgerückten
Stunde halber ein Gang in das Ge
schäft verlorene Mühe gewesen, aber
morgen, ja, morgen! Es war aber auch
zu schändlich; die ganze Weihnachts
sreude war ihm verdorben!
Gegen Mitternacht eilte er stürmisch
seiner Wohnung zu. aber lein Schlas
senkte sich aus seine milden Augenlider.
Beim ersten Morgengrauen kleidete er
sich hastig an und mit Niesenschritten
eilte er dem Geschäftshause zu, um die
Schale seines Zornes über den Böse
wicht auszugieszem der ihm die Freude
vergällt und die Nachtruhe geraubt
hatte. Aber das Geschöstslokal war
»
noch verschlossen und die schneidende
Kälte zwang ihn, einer Schildwache
gleich vor der Thür mit den großen
Glastaseln im raschen Tempo aus und
ab zu gehen. Endlich gegen zehn Uhr
schlich langsam ein Diener des Hauses
herbei und theilte ihm mit, des Festta
aes halber bleibe das Geschäft ges chlos -
sen; wenn er aber jenen Verläuser zu
sprechen wünsche — er hatte den Na
men genannt — so müsse er sich schon
nach dessen Wohnung bemühen.
Kochend vor Wuth langte Eduard
dort an und nachdem er seinen verhär
teten Aerger in einigen derben Höflich
liten Lust gemacht hatte, theilte ihm der
junge Mann gelassen mit, daß seinem
» Austrage aus’s Gewissenhasteste ent
isprochen worden sei. Zur Beltäftig
» ung seiner Worte eilte er mit ihm zum
ILaden zurück und hier war aus den
ZBüchern ersichtlich, daß die Maschine
zur gewünschten Zeit an dem bezeich
neten Orte vom Agenten des Geschäfts
hauses abgeliefert wurde.
Eduard wußte nicht mehr, wo ihm
der Kopf stand; aber was sollte er
thun? Ob seines unziemlichen Beneh
mens sich entschuldigend, stürmte er
weiter, um den Agenten, dessen Woh
nung man ihm angegeben hatte. aufzu
suchen. Auch dieser bestätigte die be
reits gemachten Mittheilungen und er
klärte sich bereit, ihm das Haus zu zei
gen, in welchem er am vorigen Abende
die Maschine abgeladen hatte. »
Ja, es war wirklich das richtige
Haus und fremde Leute wohnten nichts
darin! Die Geschichte wurde immer
räthselhafter, immer unausllärlicher.
Rathlos standen Beide im Hausslur,
und auch Kunigunde’s Mutter, die
mittlerweile sich ihnen zugesellt hatte,
wußte nicht, was sie dazu sagen sollte.
Ganz verwirrt aber wurde sie, als auf
die weitere Frage der Agent die Mit
theilung machte, ein junges Mädchen
habe die Maschine in Empfang genom
men und gesagt, es sei Alles in Ord
nung. Das war denn doch stark; Ku
nigunde hatte doch nicht etwa —— aber
nein! Das war ja undenibart
Mlc slcy Das Idch noch llullilll UND
starr vor Staunen einander anblickten,
öffnet sich die Hausthür und im Rah
men erschien Marie, das schmucke
Dienstmädchen mit einem Korbe voller
Gemiise am Arm.
»Da ist sie; der habe ich gestern die
Maschine über eben!« rief freudig
überrascht der geni. »Haben Sie nicht
gestern Abend eine Nähmaschine von
mir erhalten?"
»Gewiß,« erwiderte das Mädchen
unbefangen, »ich erwartete sie schon seit
acht Tagen."
»Sie erwarteten sie? Das muß wohl
ein Jrrthum sein! sie war ja gar nicht
fiir Sie bestimmt. Wie konnten
Sie ——?«
»Nicht fiir mich bestimmt? Und Sie
sagten mir doch, Eduard Schultze sei
der Absender!«
»Ganz richtig! aber Sie vermuthen
doch wohl schwerlich, daß der junge
Herr hier Jhnen eine Nähmaschine als
Angebinde schenken werde?"
»Der junge Herr, der Bräutigam
unseres Fräuleins!« lachte sie laut auf
,,Nein, in der That, von der Seite er
warte ich freilich nichts. Aber mein
Bräutigam theilte mir vor einigen Ta
gen mit s-— doch halt! ich werde Sie
gleich überzeugen.«
Marie eilte davon und kehrte bald
mit einem Briefe zurück, den sie der
Frau des Hauses überreichte und in
welchem ihr Bräutigam s— gleichfalls
ein Eduard Schultze —— ihr mittheilte,
daß er ihr im Laufe der Woche als
Weihnachtsgeschenl eine Nähmaschine
schicken werde.
»Nun, zweifeln Sie noch?« fragte sie
und daß ich unter solchen Umständen
die Maschine nicht herausgebe, werden
Sie wohl nicht minder erklärlich fin
den.«
·-.- «- -«...a ·:. tx--..- -..c
s!lccllus, Uu ILUUU cp stuurz uus
weiß, und dagegen ließ sich in der That
wohl schwerlich streiten. Die Verwi
ctelung der Umstände war wirklich eine
merkwürdige und Eduard, der vor lau
ter Aufregung fast sprachlos geworden
war, wußte doch ganz bestimmt, daß
es tein Traum gewesen war, daß er die
Maschine mi blantem Golde erworben
hatte, und daß sich die Quittung noch in
seiner Brieftasche finden lassen müsse. s
Hier, da ftand es jedenfalls deutlich
genug geschrieben, daß Eduard Schulze
am dreiundzwanzigsten Dezember die
Maschine Nummer eintausendneun
hundertundneun durch Erlegung des
vollen Betrages läuflich an sich gebracht
hatte. Er überreichte die Quitiung dem
Agenten, der rasch die Zeilen überflog
und mit einem Lächeln der Befriedig
ung auf seinem breiten, glatt rasirten
J Gesichte das Mädchen höflich ersuchte,
« ihm gütigst mitzutheilem welche Num:
« mer in die Platte der von ihr in Ein
" pfang genommenen Maschine eingegra
ben sei.
; Die Nummer stimmte genau mit der
L in der Quittung verzeichneten überein
! und eine genaue Untersuchung der Bü
j cher des Geschäftshauses ergab, daß tei
kne zweite gleiche Nummer einen Na
J
Iger derselben zu machen. Jn seinem
« Sinn für das Prattische aber hat er sich
menövetter Eduard zu einer Nithmcpl
schine berechti te
Marie mu te sich wohl oder übel in
das Unvermeidliche fügen und das mit
solcher Siegesgewißheit vertheidigte
Streitobjett auslieserm sie vergaß
zwar einige Thränen ob des herben
Verlustes, doch auch diese sollten m we
nigen Tage darauf getrocknet werden.
Der schwer geprüfte Eduard sitzt jetzt
als glücklicher Gatte im warmen Nest
und lacht noch recht häufig mit seiner
Kunigunde iiber die fatale Geschichte.
Seit jener Zeit aber überwacht er stetsx
in höchsteigener Person die Abliefer-i
ung der Geschenke, wenn er es nicht vor
ziehen sollte, sich selbst zum Ueberbrin
noch nicht im Geringsten geändert. Er
denkt heute noch genau ebenso wie da
mals, und dazu hat er auch jetzt viel
leicht ein vollkommenes istecht. s
—-— —--O. —
Abschied.
Von K. S. Baranzewitsch.
Ek- regnet Die Abenddämmerung ist «
hereinge rochen. Sonst tiefe Stille, nur .
zuweilen von dem Geträchz der Raben
unterbrochen. Vom Walde her dringts
das Wiehern eines Pserdes und kaum
hörbar das Knistern des Lagerholzes.
Nun verstummen auch diese Laute. Am
Waldessaum erscheint die Gestalt eines -
jungen Mannes. Er trägt Jagdmützel
und Stulpenstiesel. Er schreitet vor
sichtig weiter, sieht sich dabei immer um «
und betritt den Bahndamm am Wal
dessaum Er ist schlank, etwas über?
Mittelgröße, und obwohl sein Gesicht
etwas verlebt aussieht, findet man dochj
Spuren von Schönheit darin. Zwischen
den regenglitzernden Schienen, die sich
in der Nebelserne verlierei, ist er stehen
geblieben und späht in die Weite i
Die Bahnstrecke durchschneidet den
Kiefernwald mit einem schmalenj
Durchgange, nur rechts und hinter dem «
Hügel hat man einen Ausblick auf die
Dächer der Häuser-, und von der an
deren Seite erblickt man die Umrissel
des Bahnwärterhäuschens. Aus die
sem hat lange das zusammengetniffene!
graue Auge des jungen Mannes ge- l
ruht, endlich tlärt sich sein Gesicht auf,t
denn dort im Gemiisegarten hat er eine
weibliche Gestalt erspäht,die«e-1s·rig mit
einer wartenaroeit beschäftigt mu
»Aha!« ruft der junge Mann und
schreitet schnell über den Bahndamm
und den lehmigen Weg hinab. ,,Zums
Teufel, der Boden ist glatt!« Vorsich-;
tig drängt er sich durch die nassen Zwei- I
ge und geht nach der Richtung zu, wo er z
das weiße Tuch erblickte. Dort findet!
er ein hübsches achtzehnjähriges Mäd- z
chen, das damit beschäftigt ist, Kar-r
toffeln auszugraben und zu samman
»Als sie den jungen Mann erblickt, er-!
köthet sie und vertieft sich doppelt eifrig?
wieder in ihre Arbeit. E
»Guten Morgen, Tanja!« rust der
junge Mann, indem er näher tritt. Das »
junge Mädchen sieht sich scheu um und
sagt leise: »Guten Morgen, Wladimirz
Nikolajewitsch!« Der junge Mann,f
der unterdeß über die Umzäunung ges;
sprungen, reicht ihr die Hand. »WasZ
haben Sie? Sind Sie mir böse, daszk
Sie mir die Hand nicht geben?« s
»O nein, aber sie ist voll Erde,« ant- l
wartete verlegen das Mädchen. »
»Bah, Kleinigkeit! was thut das?.
Na, wollen Sie sie mir gedeiht-« Ohne «
die Antwort abzuwarten, ergreift er die
Hand des Mädchens, welches über undj
über roth wird. An den Boden bli-H
elend, flüstert sie: »Ich glaubte nicht, Z
daß Sie doch kommen würden!« !
»Haben Sie denn unsere Abmackpz
ung vergessen? Sie wissen ja doch, ichl
reis e heute Abend!« F
Während es in ihrem Gesicht zuckt,«
hebt sie den Blick an ihm empor, und et- «
was Flehendes liegt darin. »Ich hoff- i
te . . . Sie würden --—- —- ——doch noch;
etwas —- — —- wenigstens einen Tag?
— —- —— bleiben . . . nicht so schnell;
fort ehen . . .« flüsterte sie mit zittern- s
der Stimme !
»Wozu das Ausschieben!« erwiderte P
er verdrießlich »Ob heute oder mor- i
gen, das bleibt sich doch gleich, da es«
einmal sein muß, was?« Fragend
blickt er das junge Mädchen an. Es
antwortet nichts und tritt nur etwas
zurück. »Und dann dies fürchterliche
Wetterl« fügt er hinzu und blickt genT
himmel. »Nichts als Regen! Es ists
zum Tollwerden. Sehen Sie mich
nur einmal an, wie naß ich bin.«
» »Das Wetter ändert sich, der Regen
hat ja schon nachgelassen.«
»Nein, Tanja, ich reife bestimmt, das
sind alles trügerische Hoffnungen«
»Mit welchem Zuge?« --—-- »Ich glau
be mit No· 6. Er geht um 10 Uhr.«
»Na.« —--—— »Ich bin gekommen, um Ab
schied zu nehmen. Dort in der Lich
tung wartet mein Wagen.«
Beide stehen stillschweigend da. Der
Ausdurck ihrer Gesichter scheint zu sa
gen, daß noch sehr viel Wichtiges auf
ihrem Herzen laste. Sie blickt zu Bo
den. Er hat die Schaufel ergriffen, sie
J
in dfie Erde gestoßen und stützt sich da
rau .
»Es ist abgemacht, Tanitschta. der
Sommer st vorbei, ich muß reisen,« be
innt er »Erinnern Sie sich noch, wie
fch chön es im Frühling war . . . unsere
Spaziergänge . . . dort am Hügel?«
Heftig arbeite ihre Brust und die abge
arbeiteten Hände zupsen unruhig am
Kleide. »Ich weiß ja nicht, ob Sie mir
das nachfiihlen,« ruft er begeistert,
»aber es war doch herrlich diesen Som
mer! Jch werde etwas haben, woran
ich in Petersburg denken werde! Dies
herrliche Fleckchen Erde da! Sehen Sie
doch nur diesen prachtvollen Sonnen
iuntergang.«
Jm Westen hatte sich die Sonne den
Weg durch die Wolken abwärts gebahnt
und goldig deren Ränder gesäumt.
Alles lebte noch einmal auf, silbern er-?
glänzten die Pfützen auf den Feldern,
die nassen Sträucher schüttelten sich
frilihlich und schüchtern sangen die Bä
ge .
»Ich nehme Viele Skizzen von hier
mit,« sagte der junge Mann. »Herr
liches Material! Das Bild wird groß
artig! Ach, aber ich vergaß Jhnen zu
sagen, wer die Hauptfigur bildet .....
Na, ahnen Sienichts?« Das junge
Mädchen blickt scheu zu ihm auf, als sie
aber seinem strahlenden Blick begegnet
schlägt sie erröthend die Augen nieder.
»Er-rathen Sie es nicht! Nun, kurz ge
sagt, auf dem Bilde werden . . . Sie ge
malt sein.«
,,Jch?« Gliihende Röthe überzieht
wieder ihr Gesicht.
»Dachten Sie es anders-? Nicht um-i
sonst habe ich mir so viel mit Jhremi
Vildniß zu schaffen gemacht. Stellen’
Sie sich nur ’malvor: Ein herrlicher
Frühlingsmorgen bei Sonnenaufgang,
die Sonne beleuchtet die Geleife, Jhr
Häuschen, die Telegraphendrähte, Al
les, Alles Dort Jhr Gärtchen mit dem
blühenden Flieder, Sie unter derHaus
thür auf den Stufen, wissen Sie, wie
damals, als ich hier ankam und Sie
traf?.. Doch warum dies Erröthen?
Sie waren ja so bezaubernd in Ihrem
einfachen Morgenkleidchen.. «
»Bitte, bitte, nein, Waldimir Niko
lajewitsch.«
sk:.. s-..«.-;- O-«l»... ....i.-..(.-:.c.« n
HIOI OUUILY OUWLII UUIILLULIU,I Ilco
»Nein, gerade fo. . . so ist es künst
lerisch. Jhre ausgelösten Haare, und
dann ringsum Jhr ganzes Reich: En
ten, Hühner, Gänse. Alle öffnen sie
verlangend die Schnäbel und um
drängen Sie, damit sie etwas von Ih
nen bekommen . . . Einige sind sogar
aus Jhre Schulter geflogen. Mit ei
nem so glücklichen, sorgenlosen, zufrie
denen Gesicht werfen Sie ihnen Hände
voll Futter zu. Und dies Bild voll stil
len Glückes wird betitelt sein: »Ein
glücklicher Wintel«. Nun, wie gefällt
Jhnen diese Idee? Aber glücklicher,
zufriedener muß Jhr Gesicht aussehen,
als eben jetzt. Fehlt Jhnen oder den
Ihrigen etwas, Tanja? Wie geht es
der Mutter?«
»Mutter ist wohl.« —— »Aber Sie?
Was ist Jhnen ?«
»O, nichts, Waldimir Nikolaje
witsch!« Noch tiefer ist der Blick des
Mädchens gesenkt, aber er merkt nichts
und redet ruhig weiter.
»Gelänge mir doch dieses Bild! Ach,
den richtigen Ton zu finden, es muß ja
Alles in Lichterstrahl gebadet sein, ja
die Beleuchtung . . . .« Die Mütze ab
nehmend, fährt er sich durch das Haar.
»Es zieht mich mächtig nach Peters
burg. Fort muß ich, denn nur dort kann
ich arbeiten. Jm Sommer, da streift
man überall herum, macht Stizzen,
merkt sich die Farben, aber zur Vollen
dung des Bildes fehlt die Sammlung.
Jn der Erinnerung empfindet man
dann Alles nach. Das muß Peters
burg geben, dort werden die Nerven
angeregt. Waren Sie schon in Pe
tersburg?«
,,Nein,« sagte sie leise. »Es ist wohl
sehr groß?«
»O, es ist sehr schwer zu beschreiben.
Leben, Bewegung ist dort. Alles, Al- »
les, was Kunst, Wissenschaft auszu
weisen haben, ist dort vertreten. Da
sind Theater, Konzerte, Ansstellun
gen-. . . Sinnend blickt er in die
Nebelferne, dort liegt sein Petersburg,
die lärmende, lustige Großstadt! Und
er wird dort bald ankommen, von der
Landluft gestärkt und erstischt, mit
vielen Plänen, und dann kommen die
vielen Tage des Schaffens, der Sou
pers, der lustigen Freunde· Dort ver
geht ein Tag wie eine Stunde. Heitere
Frauen, Genossen, Lektiire, geistreiche,
anregende Gefpräche über die Kunst,
dann wieder angestrengte Tage der Ar
beit, nach der es ihm jetzt in allen Fin
gern juckt und durch alle Glieder ver
langend zuckt.
Das junge Mädchen seufzt. »Dort
. lebt man wohl lustig?« fragte sie.
i »Was? Ach, Sie meinten . .. .
E Was fiir eine Frage! Und vor allen
. Dingen, man ist dort Niemand Rechen
sschast schuldig. Keiner kümmert sich
um den Anderen. Man kann sich völ
lig absondern und kommt doch wiede1
mit einer Masse von Menschen zusam
men, die das große Rad des Weltge
triebes durch einander . . .« Jäh bricht
er ab und zündete sich eine Cigarette an.
Es ist i m eingefallen, daß das Mäd
chen do nicht versteht, was er spricht.
»Um es kurz zu machen, was man will,
Niemand kümmert sich, so wie hier, um
den Anderen.«
»Ach, wie s chön!« rief das Mädchen.
»Hier spionirt Alles. Sehr schlecht sind
j die Menschen hier!«
I »Nicht schlecht, Tanja, nur entsetz
lich beschränkt«
»Nein, nein, schlecht, sehr schlecht!
Neulich, als wir spazieren gingen . . .«
»Na, was denn?«
,,Traf uns die Müllersfrau, so ein
häßliches Weib, das immer in Unfrie
den mit ihrem Manne lebt . . . .«
»Ich erinnere mich nicht mehr.
Aber, was ist mit ihr?«
»Sie hat gleich der Mutter gesagt:
Jhre Tochter geht mit einem Herrn spa
zieren. — Und dann hat das schlechte
Weib noch gelogen . . . solch ein Ge
schwätzt . . . .
»Was hat sie denn gelogen ?«-—«Daß
wir . . . .« —- ,,Ja, was denn, was
denn ..... ?«
»Daß wir. . . Beide Arm in Arm
gegangen seieii!«
Gelassen zuckt er die Achseln, thut ei
nen Zug aus der Cigarette und sagt:
»Gott, das ist nicht so schlimm, nur
beschränkt. Der Teufel hat uns gerade
diese Müllerin in den Weg geschickt!
Was sagte Jhre Mutter?«
»Mutter war sehr böse. Jch dürfe
Sie nie wieder sehen! Ach, wenn Sie
wüßten . . . aber nein, ich . .« Verlegen
zupfte sie am Saum ihres Kleides.
»Ach, nun wird es mir klar, warum
Sie nicht an den Saum des Waldes ka
men!« Er wirft die Cigarette weg und
runzelt die Stirn. Jetzt erst kommt es
ihm in den Sinn, daß die harmlosen
Spaziergänge dem Ruf des Mädchens
schaden konnten. Aber ihn traf doch
kein Vorwurf. Er war nur freundlich
zu ihr gewesen, so wie man es immer zu
hübschen Mädchen ist, aber Tanja ist ja
nicht zimperlich, sondern schlicht und
natürlich. Den Künstler hatte sie be
geistert inmitten ihrer Gänse und En
ten und in ihrer ländlichen Umgebung.
Er blickte das junge Mädchen mit mög
lichst ruhigen Blicken an. »Das thut
mir leid, Tanja, diese Klatscherei. Ver
zeihen Sie mir. Nur eine Närrin konnte
aber auch Anstößiges in unseren Spa
ziergängen finden. Nun werden Sie
»J- kq-»;«kt»-02 ZU O»i.»-.ct- «
.»....g»...» »«.....» . . .
Das Mädchen hebt plötzlich ihre Au
gen mit einem brennenden Ausdruck zu
ihm auf. »Ach nein, sie ist keine När
r1n. Sie ist schlecht. Was geht das sie
an? Warum hat sie geklatscht2 — Ach,
Wladimir Nikolajewitsch, Sie haben
mir von Petersburg erzählt . . . O,
könnte ich nur einen Tag dort leben,
ganz unbemerkt, daß Niemand über
mich reden könnte! . . . . Nun aber gehen
Sie fort, und hier wird der Schnee fal
len, die Wölfe werden heulen, Niemand,
mit dem man sprechen, kein Buch, das
man lesen kann . . . und Alles spionirt.
Was wird mit mir? Was soll ich an
fangen? . . Sie verbirgt das Gesicht
in ihre Hände, und ihre Stimme bricht
unter dem heftigen Schluchzen.
»Nicht doch, Tanja, beruhigen Sie
sich! Sie haben doch auch, ehe Sie mich
kannten, gelebt und nie geklagt, wenig
stens mir nicht . . . Warum denn jetzt?«
Sie entfernt die Hände vom Gesicht,
und aus ihrem Blick spricht es klar und
deutlich zu ihm. Alle Wetter, sie liebt
mich! sagte er sich. Na, so mußte es ja
kommen! Einen Augenblick überrie
selt es ihn wonnig, dann aber kommt
die Furcht vor den Folgen. »O, wie
leid thut es mir!« murmelte er, zu Bo
den blickend, »aber das hätte ich nicht
gedacht, und ich bedaure, daß . . .«
Sie erräth das unausgesprochene
Wort, wendet sich ab und flüstert:
»Wladimir Nikolajewitsch, Sie haben
Recht . . .. reisen Sie, bitte, reisen Sie
noch schneller . . . Alles ist Vorbei . . .«
Er hat seine Selbstbeherrschung wie
dergewonnen, hebt den Kopf, zieht seine
Uhr und sagt besorgt: »Ohn, schon so
spät! ich erreiche den Zug kaum noch
. . . Aber Tanja, sagen Sie, ist es denn
so . . . ?«
,,Gehen Sie... gehen Sie doch , ..
Sie verpassen den Zug,« hastet sie sie
; bernd.
,,Leben Sie denn wohl, Tanjat . . .«
Er will ihre Hand ergreisen, sie aber
entzieht sie ihm und wendet sich ab.
Wladimir geht denselben Weg zu
rück, den er gekommen, bei der Unzäu
nung bleibt er ein paar Minuten sin
nend stehen, dann rasst er sich aus und
eilt weiter. Tanja steht noch auf dem
selben Fleck, das Gesicht in den Händen.
Die Sonne ist längst unter, der Regen
hat aufgehört Der Garten, das Ge
hölz sind in Nebel gehüllt. Im Wär
terhäuschen ist Licht angezündet Eine
kleine Gestalt eilt rasch bis bis zum
Bahndamm, bleibt in einiger Entfer
nung stehen und ruft mit heller Kinder
stimmet »Tanja, Tanja! Schnell,
schnell nach Hause! Mutter hat schon
- geschulten! . . .«