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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Aug. 21, 1896)
Weiße Rosen. Von c Deimholzk »Bist Du beseit, Nur-ir ,,Ja, Mama, sogleich«, rief als Ant wort aus obige Frage eine helle Kna benstimme vom Garten her. Die zierliche, schlanke Gestalt einer Dame in lichtgrauem Seidentleide mit leichtem Spitzenumhang um die Schul tern, ein kleines Spißenhiitchen auf der vollen, aschblonden Haarfrisur, ging wartend in der mit Rosen und Cletna tis umrankien Veranda aus und nieder. Baronin von der Linden hatte schöne, shmpathische Gesichtsziige, denen in die sem Augenblick ein wunderbar inniger Glücksausdruck ausgeprägt war. Die in mildem Strahl leuchtenden grauen Augen richteten sich nach dem in uppiger Pracht blühenden Rosenbeet des Gartens. aber nicht, um sich an die ser Blumenfchönheit zu erfreuen, son dern um den Bewegungen eines hochge wachsenen, kräftigen Knaben zu folgen, der beschäftigt war, einen argen Raub unter den duftenden Blüthen anzurich ten. Jeßt fügte er noch einen Tusf weißer Rosen zu dem Strauß in seiner linken hand und eilte nun geradewegs der Veranda zu, die Stufen derselben, immer zwei auf einmal ersieigend. »Berzeihe, »chere Maman«, daß ich Dich so lan e warten ließ«, entschul digte er sich öhlich, »doch als Du vor hin tiefst, war der Strauß noch unvoll ständig — wenn es Dir jetzt genehm wäre?« Er machte vor seiner Mutter eine echte Tanzftundenverbeugung und reichte ihr dann ritterlich den Arm. — Sie schritten die Treppe hinab, durch den im Nachmittagssonnenschein dalie genden Garten, bis zur Eisenpforte in dem hohen Mauerwert, das die Be sißung einfriedete. Nun gingen fie langsam, angeregt plaudernd in der schönen uralten Lindenallee weiter, auf der einen Seite mächtigen Waldbe stand, auf der anderen wogende Gemi deselder, die dem in wenigen Wochen be ginnenden Schnitt entgegenreiften. Auf einer kleinen Bodenerhöhung lag hinter ihnen Schloß Linden, ein einfacher, feudaler Herrener der durchaus nichts Schloßartiges an sich hatte, mit seinen langgestreckten zweistöckigen Seitenflii geln und dem etwas vorspringenden Hauptbau, mit niederer. unförmiger Kuppel gekrönt, die bereits jetzt schon durch die mächtigen Baumriesen der Allee gedeckt wurde. Rudolf von der Linden, der da so sorgsam s eine kleine Mama führte, hat te Nichts zu eigen von ihr, als die großen, klaren, grauen Augen, die bei ihm im Feuer froher Jugend leuchteten. Sonst glich er ganz seinem Vater, dem früheren Oberst. Aber Oberst von der Linden war auch als behäbiger Ritter gutsbesitzer noch eine auffallend schöne» Erscheinung, und bei seinem Sohnes waren bereits Anzeichen eines solchenH Erbtheils bemerkbar. Jn dem Jung-; lingsgesicht lag schon jetzt neben derJ noch vorhandenen kindlichen Weichheitj ein Zug von Energie und Thatlraft. I »Und Du meinst, Mama, ich werdet auch einige alte Freunde wiedersehenss Aber sie gin en doch alle so rosig fort im i vorigen Ja re?« I »Und mußten dann wieder hinein in J die Enge, den Schmutz, die Armuth be- d drückter Familienverhältnissex wenni dann ein Jahr um ist, sind sie eben sol weit, wie wenn sie zum ersten Male zu Z uns gekommen,« ergänzte die Baroninx leise seufzend. E »Wie Du Dir das Alles zu Herzen nimmst, mein Mutting,« sagte Rudi weich, die Hand seiner Begleiterin sanft ftreichelnd, dann fuhr er scherzend fort: »Ich glaube, der Papa hat damals ein sehr gutes Werk gethan, als er Dich gleich vom Kriegsschauplatz aus heira thete, wer weiß, ob Du es lange ausge halten, »Schwester« zu sein, ob Du nicht schon« —- er sprach das traurige Wort nicht aus, sondern schluckte es Irampfhaft hinunter. »Es mag schon s ein, mein Sohn, daß ich nun nicht mehr unter den Lebenden weilen würde, tknå es MEde trocle so kl« « au oes reun in gkirig M des Vaters Liebe. Aber als die Tochter des Oberstabsarztes Geldner hätte ich mir nicht Begehrens wertheres denken können, bis 771a bis eben Dein Vater kam, da freilich« — Die Baronin hielt glücklich lächelnd inne. » » « »O, Mütterchen, und wie schon tst’s so geworden!« ergänzte der Knabe en ihusiastisch, seiner Mutter Arm sanft M den seinen pressend. « »Da wir le« am tel, —horch — ,« rief di ebhaft, seine Ungart unwillkürlich etwas beschleu n d. · « der IM- aui zweigtz sich 1et ni- Deg seitwärts durch Inn ba · durch-an Wiesen, we hier die ) » »- s««-ssnss-.u. n einer ziem, « en iFtsmilihsmunklar-trage ein W Bot weri. G war wo eine gute halbe Stunde m W Linden entfernt, ( l 1 aber höchstens zwei Minuten vorn Walde, der sich noch manche Meile weit drüben, liings der Landstraße entlang MJU diesem Seitenweg bogen Mutter und Sohn ein, um der Ferientolonie, die hier schon seit einigen Jahren unter dem gütigen Schuhe der Baronin ihr Heim hatte, einen Besuch abzustatten, den ersten in Rudi’s Ferienzeit Das einstöctige, grunumranlte Häuschen lag vor ihnen, da hinten aus der Wiese, zwischen srischgemiihtem Gras spielten die Kinder, ihr Lachen, Singen und Jauchzen schallte bis hier her, wo sonst tieser Friede zu herrschen schien. Auf der Bant vor der Thür, im Schatten hoher, schöner Nußbaume, saß eine Schwester in ihrer einfach Klö sterlichen Kleidung und zog emsig Na del und Faden durch das grobe Leinw zeug, welches vor ihr aus dem runden Holztische ausgethiirmt lag. Reben ih rem Platze stand ein Fahrstiihlchen, und darin ruhte, durch Kissen gestützt, ein etwa zwölsjiihriges Mädchen. Das erschreckend blasse, eingefallene Gesicht chen, umrahmt von den schwarzen, lockigen Haaren, die sessellos aus die Schultern herabsielen, lag müde in den buntgewürselten Kissen und die über natürlich großen Augen, dunkelblau, von tiefem, unergründlichem Schmelz, waren emporgerichtet m das leise, flü sternde Laub der Bäume. Die mage ren Hündchen lagen gesaltet ausder Decke, die man über den kleinen, schwa chen Körper gedreitet; das Bilderbuch war ihnen entglitten und aufgeschlagen bis an das Fußende des Wagens ge rutscht. Wie angewutzelt stand Rudi, als er des kranken Kindes ansichtig wurde, sein Blick hing wie gebannt an diesem rührenden Leidensgesichtchen, und erst die Stimme seiner Mutter und die der ISchwester brachten ihn wieder zu sich I Er stand dicht am Fahrstuhl, den «Rosensirauß in der Hand. Da richte ten sich die Augen des hlassen Mäd Ichhäns von der Himmelshöhe voll aus n »Rosen — ach Rosen —" tam es leise jubelnd iiber die schmalen Kinder k lippen. f »Hast Du Rosen gern?« sragte er, zdie Blumen so haltend, daß sie ihren ; Dust einathmen konnte. I »So sehr, so sehr —" antwortete sie Hsast leidenschaftlich, und die Augen liihten aus einmal in begehrlichem er, wie die Wangen sich farhten mit kleinen, rothen Fieber-stecken »Welche von diesen Rosen magst Du am liebsten —? Die rothen hier — ja? Sieh, wie Sammet sind sie anzu schau-III ,,Uch nein — davon thun die Augen so weh die leuchten so, — die weißen hier —- o, die weißen ——« Sie deutete auf einen entzückenden Zweig schneeweißer Rosen, der zwei vollerblühte Blumen und mehrere, ganz matt gefärbte Knospen trug. »Der Strauß ist eigentlich für Schwester Martha, aber ich will bitten, daß sie Dir den weißen Rosenzweig schenkt, ja —-?« »Schenke Du ihn mir —'« flehte sie leise. »Ich will’s, hier nimm ihn!« Sie streckte die Händchen darnach aus, und er legte die dustende Gabe hinein. »Nun muß ich aber gehen und mich bei Schwester Martba entschuldigen«. Er sah bei diesen Worten nach der Bank hin, aus der neben der Schwester feine Mutter Platz genommen hatte. Beide schauten aus ihn, sie mußten den kleinen Vorgang mit den Rosen beobachtet ba ben, denn um Beider Lippen schwebte ein Lächeln, welches jedoch bei der Ba ronin den mitleidigen Zug nicht ganz verbergen konnte, der aus ihrem milden Antlih lag, als es sich dem tranken Kinde wieder zuwandte Und Rudi erhielt von Schwester Martha lächelnd Absolution siir seine kleine, eigenmächtige Handlungsweise und kehrte ungeachtet der lockenden Spiele der anderen Feriengenossen zu seinem Plage neben dem Fahrstuhl zu riick. Er lehnte sich an den Stamm des Rußbaurnes und da bemerkte er, wie sich seine neue kleine Freundin mit den Dornen den Finger geritzt, so daß er blutete; sie wollte es wohl nicht sehen lassen und verbarg das verwundete Glied unter der einen vollerbliihten Rose. Aber der Knabe, dies gewahrend, nahm ihr den Zweig aus der Hand und begann die Dornen vom Stiel zu ent fernen. Ein Blutsleck aus dem einen weißen Blüthenblatt kennzeichnete die Stelle, wo das arme verwundete Fin gerchen sich hingeslitchtet· · »Wie heißest Dut« sragte er bei sei ner Arbeit. «Minchen Lorenz —« gab das Mäd chen leise und schiichtetn zur Antwort. «Minchen —- Mtnna — das klin t häßlich — obgleich Minna ja auch klasstscher Name ist —-« stigte er in sei ner ganzen Chiana astenwiirde bin u. «Jch werde Dich ie nennen, Mig non —- ja —i« Bist Du’s zufrieden?U »Minnie —- Mi non —« wiederhol te sie zaghaft, in üßem, tindlichveri wundertem Tonsall —- »ja, das ist hübsch. seht hin-W- , »Auch echt gothisch,'.· meinte er erklä rend; aber Minnie verstand ihn natür lich nicht. Das war ihm übrigens auch gleich, er wollte hier auch übrigens ar keine Schulweisheit zum Besten ge en, fon dern mit ihr plaudern, nur um ihr lie bes Stimmchen hören zu- tönnen, das so leise melodisch wie ein Silberglöctchen klang, wie die schöne ciselirte Glocke aus Schloß Linden. Die Dornen waren vom Rosenzweig entfernt, er nahm ihn und legte ihn be hutsam in die schwarzen Locken seiner neuen kleinen Freundin. Wie ein Engel sah sie aus, wie ein lieblicher, vertlarter Gottesengel. Er stand ganz verzückt und schaute sie an, und darüber mußte Minnie lachen, ach, so herzlich, wie nur glück liche Kinder lachen tönnen. Und noch einmal lachte sie so," als nach etwa einer Woche, in der Nudi sie täglich besucht hatte, dieser in Beglei tung eines Dieners lam, der sie nach dem Schloß fahren sollte, in des Kna ben Vaterhaus. Die Baronin gab ihren tleinen Pfle ebefohlenen ein Fest im Lindener start und ihr Sohn hatte als Entschä digung für die arme liebeMinnie, die doch nie mitlaufen könne, wenn ihre Gefährten sich diesem Vergnügen hin gaben, eine Fahrt durch die Gemächer des Herrenhauses erbeten. Langsam fuhr er selbst sie nun von Zimmer zu Zimmer, von Saal zu Saal und war selig über das Entzücken sei ner kleinen Freundin, die sich in ein Märchenschloß verert glaubte. Ader allmählich wurde Minnie stiller und stiller und so müde von all’ dem Schauen; die Abendschatten begannen sich auch schon zu regen, und die lühle Abendluft war Gift für das schwache, trante Geschöpfchen, das jetzt nach der vielfachen freudigen Aufregung fast wie leblos in den Kissen ruhte. Jhre Reise durch das Schloß war he endet. und Rudi schob den Fahrftuhl wieder durch die Gänge des Gartens. Am Rosenheet machte er halt und legte in die hände seiner »kleinen süßen Braut«, wie er sie liehtosend nannte, ei nen herrlichen Strauß weißer Rosen. Und Minnie küßte die Rosen, aber un ter dem Hauche ihres Mundes färbten sie sich plötzlich blutroth, und blutroth sickerte es weiter in breitem Strom bis auf die Wagendeele, so daß Rudi vor Entsetzen laut auffchrie. Wenige Tage nach dem schönen Fest, das so traurig geendet, hatte in der fröhlichen kleinen Gesellschaft der Ferien-Colonisten der Tod seine dunk lenFittiche über all’ die Jugendlust ge breitet. Jn dem einen Zimmer des grünumraniten Häuschens lag Minute ruhig und still in der unheimlichen Um armung des düsteren Engels, ein glück seliges Lächeln aus den wachsbleichen Lippen, denen vor wenigen Minuten der letzte warme Lebenshauch entflossen Die noch nicht ganz erlalteten Händ chen hielten trampfhast einen weißen Rosenzweig umklammert, ohne daß diesmal ein rather Blutstropsen da runter hervorbringen konnte. Am Bett stand Schwester Marthen die Hände betend gesaltet — sie weinte. dies Kind hatte sie am liebsten gehabt. Da öffnete sich leise behutsam die Thür, und Rudi stand aus der Schwel le, wie immer, wenn er seine Minnie besuchen kam, weißeRvsen in der Hand. Zum ersten Male in seinem jungen Le ben umrauschten ihn die Schauer des Todes, er wagte kaum zu athmen. Nun stand er an der Freundin Lager und schaute mit entseyten Augen aus die kleine Mädchenleiche, die so lieblich in ihrer Todesstarre dalag. Und da übertam ihn ein großer, tie fer Schmerz, er fühlte, daß in seinem Jnnern eine klanavolle Saite gerissen. daß er Minnie geliebt hatte mit seiner aatizen unaesiiimen, heißen Knaben liebe. und sich iiber die Todte weisend, brach er in sassungsloses Schluchzen aus. Als der erste elementare Schmer zensauöhruch vorüber, nahm er die mit gebrachten Rosen und schlana sie seiner kleinen todten »Braui« durch die schwarzen Locken. Ueber den Lindner Friedhof schritt an einem herrlichen Juniabend ein jun ges, schönes Menschenpaar dahin. Der zherr und die Dame kamen von der :Grabiapelle des Barons von der Lin den, der nun schon seit zwei Jahren dort in der familtengruft den ewigen »Schlas schlie . Sein einji Rudols mit seiner lieblichen Bran Wien dem todten Vater einen Besuch til-gestattet Langsam ingen sie durch die Grä berreihen, Be de allein aus dem stellen weise recht wüsten Todtenseld Aus irgend einem Gebüsch arm in letsen, IWdenTZnen die Nach all ihr Lied, L 1 angeregt durch die etliche Stille ringsum, und in des attlichen Man nes Armen fand sich plösltch das blon de Mädchen gefan en, durch seine Zärt lichkeiten und Kii e. Als sie sich jett lachend zurückbog blieb sie mit dem Haar an Dornen hängen, denn sie hatte den lästigen Hut schon lange vom Kopfe genommen und an den Arm geschoben «O, weh!« rief er dedauernd und spran herzu, um sie aus so unfreiwil liger åefangenschaft zu befreien. Alsi es ihm gelungen deutete er auf den At tentiiter, einen schönen, weißen Rosen strauch, der, in üppiger Blüthe stehend, s; ein halbverfallenes Grab mit feinen Zweigen fast ganz bedeckte. »Ich glaube diesen Rosenftrauch ha- « be ich einst gepflanzt, " meinte er sin nend, indem er die Zweige zur Seitez bog. Und nun ra te aus der Umschlin gung derselben ein kleines holztreuz hervor, auf dem durch jetzt freilich schon verrostete Nägeltöpfchen, aber dennoch erkennbar der Name: »Minna Lorenz" zu lesen stand, darunter die Jahreszahll 1883. »Ja, so ist es," bestätigte er, »als Knabe von fünfzehn Jahren pflanzte ich ihn unter Beihilfe unseres Gärt ners, der auch jenes Kreuz angefertigt hat.« Er ließ die Zweige wieder zurückglei ten, sie schlan nen sich liebevoll wie dor dem um das reuz. »Eine Kindheitserinnerung, Radi, o, bitte, erzähle sie mir,« bat das reizende Wesen an seiner Seite, mehr innig, als neugieri . sollst sie erfahren, Liebling,« antwortete er sinnend und brach einen köftlichen Rosenzweig »Eigentlich darf man keine Blumen von Gräbern pflücken, aber diefe Rosen sollen mich daran emahnen, daß ich den hügeL an dem te wachsen, von nun an in Obhut nehmen werde, er soll ge pflegt werden wie andere liebe Gräber. Und wenn Du, meine Edith, erst den wahren Grund weiß. wirft Du die Erste sein — wie ich Dich lenne nach Deinem lieben, frommen Gemüth ———i und die Vergessenheit von diesem Hügel bannen. Und nun komm; auf dem heimwege zu Mama will ich Dir die tleine Ge s chichte meiner einzigen Knabenliebe er zählen, aus der in Deiner Nähe meine einzige Mannesliebe erblüht ist«! -—--———-———-.-O.-O.--s —--- -- « Die Pandorabüchie. Aus den Erinnerungen eines eDeutsch Ame— rilpnerQ Von Paul Julius Jmmergrün. »Nun geh’ dochGeorge, und hilf Dei ner Großmutter bei’rn Umziehen!« Es war nun schon zum dritten oder vierten Male, daß meine Mutter diese Mahnung an mich richtete. Jch hatte immer nur mit einem Achselzucten ge antwortet; diesmal aber war ein so bittender Klang in ihren Worten, daß ich einer regelrechten Antwort nicht mehr ausweichen mochte. »Mutter,« erwiderte ich, »warum tann denn die alte Frau nicht bleiben, wo sie ist! Es ist nun schon das vierte Mal im Jahre, daß sie ihre Wohnung wechselte; ich hab’ jedesmal einen Tag Arbeit dabei eingebüßt. Das habe ich endlich satt." »Sprich nicht so von der Großmut ter, Kind! Sie ist ali, hat ihre achtzig Jahre schon auf den Stücken« »Ja, wenn sie nicht so ei ensinnig dazu wäre und Alles nach i ren ver rückten Einfällen ausgefügrt haben wollte, so ließ ich mir's no gefallen; aber es ist geradezu eine Plage, ihr be hiilslich zu sein.'« »Alle alten Leute haben ihre Lau nen, Kind, und die jungen Leute müs sen sich ein wenig davon gefallen lassen. Wir werden ja auch einmal alt." Daß wir einmal alt werden, begriff ich schon; daß man im Alter aber auch nothwendig närrisch sein und seine Launen haben müsse, wollte mir nicht einleuchten. Und so sah ich denn auch nicht ein, daß man sich von einer alten, launenhaften Frau Alles gefallen las sen miisse; denn ein gut Theil ihrer Latinen hatte ich bereits geduldig ertra gen. Meine Mutter machte trosz ihrer idealen Auffassung des Alters densel ben Jdeengang gehabt haben; denn ehe Loh noch etwas erwidert hatte, fügte sie inzu: »Vergiß auch nicht, George, daß die Großmutter vermögend ist. Du willst Dich tin nächsten Herbst mit der Frida verheirathen, und wird sie wohl auch et was filr Dich thun, was Dir sehr zu Statten kommen tönnte.« Das Zog nun schon weit besser bei mir. D e Großmutter war allerdings Pia und wieder auch einmal gut e aunt, besonders wenn sie Gelegen t fand, die Fite Laune tn origineller Weise uidiuck zu bringen. Die M« lichkeih in der von der Mutter erw baten se als guter Gentu- der Familie zu zeigen, war daher keines wegi ausgeschlossen, zumal sie mir bei verschiedenen hülfeleistungen des Oes teren die Bersicherun gegeben hatte, daß ich doch eigentlich r sie Sprosse ihrer ganzen Nachkommenschaft sei. Und so beschloß ich denn, i r auch dies mal noch beim Umziehen hülslich sein, um sie wenigstens bis zum Heresi n der guten Meinung, die sie von mir hatte, zu belassen. Als ich am anderen Morgen in aller Frühe in ihrer Wohnung ankam, saß die Großmutter bereits aus einem Hau fen alten Hausgerümpels, daß in Bar rels, Boxes, Koffer, Kisten und Kasten« zusammengepackt übereinander aufge thiirmt war. Die Großmutter war eine hohe, auf fallende hagere Figur, nicht viel mehr als ein mit Haut überzogenes Knochen geriist. Das mit unzähligen Falten ge- I zeichnete Antlitz besaß als Uederbleibsel E ehemaliger Schönheit nichts mehr alsl die grauen Augen, die von ihrem ju gendlichen Feuer wenig eingebüßt hat ten und manchmal bei der geringfiiJ gigsten Veranlassung hell aufleuchtetemi Das Kinn war soz, der Mund fest ges; schlossen, was ni t nur aus festen " Charakter, sondern ebensowohl auf Ei- « gensinn schließen läßt. Jhr Haar war as chgrau, und um es zu verbergen, hatte die alte Frau es vorne mit einer Fülle falscher londer Liiclchen bestreit. Den Kopf bedeckte ein sonderbares, ganz mit chwarzem Crepe überzogenes Ge stell, das sie ihren Bonnet nannte. Sie war in diesem Augenblicke vollständig reiseferti , wie fast immer, wenn man sie antraf. »Guten Morgen, Großmutter!« trat; ich -ihr mit dem freundlichsten Gesichte entgegen. . »Diese verfluchten Carleuie haben alle den Teufel in sich,« rief sie, ohne erst meinen Gruß zu erwidern. »Der Eine ist wie der Andere. Sitze ich da seit einer Stunde und warte auf den Menschen. George, mein Junge, es ift nur gut, daß Du da bist. Gelt, Du läss’st Deine Großmutter nicht im Stich. Jetzt geh' gleich und engagire ei nen anderen Carman; aber sag ihm gleich, daß ich nicht mehr wie zwei Dol lars zahle, hörst Du, nicht mehr als zwei Dollars. Die Burschen sind un verschämt und besonders dann, wenn sie es mit einer alleinsiehenden Frau zu thun haben.«« Jene ging der Tanz rog. Aue un annehmlichteiten, die ich nun schon so häufig mitgemacht hatte, und die mir den Umzug der Großmutter als eine Höllenaual erscheinen ließen, wieder holten sich auch diesmal. Dieser Zank mit den Hausbesitzerm sowohl in der neuen als in der alten Wohnung, die ses Hadern und Feilschen mit den Car leuten, von denen heute sogar zwei vor der Thür erschienen und fast mit einan der in’s Handgemenge lamen, bis der erstere mit einem derben Fluch gegen die alte Hexe wieder abzog; dieser Radau mit den helfenden Ar itern, wenn et-. was von dem alten Gerümpel zerbrach oder an den unrechten Platz gestellt wurde —-— es wollte gar lein Ende neh- . en. Als der Wagen endlich vollge-j g packt stand, brach plötzlich ein heftiges Gewitter los; es siel ein Platzregens mit solchen Wassermassen, als sollte die : Sintfluth eine neue Auslage erleben.; Das lam Alles so unerwartet, dasz derj Carmann nicht einmal mehe Zeit sand, ? zum Schutz der Möbeln ein wasserdich- « tes Tuch iiber den Wagen zu spannenJ Zum Glücke grollte der Donner unaus- ! hörlich, so daß die Berwiinschungen der E Großmutter ihm unverständlich blie-! ben. Als der Schauer vorüber ways hatte sich auch der Zorn der Alten ge legt, und die Sonne schien sreundlichi wie zuvor auf das Jnventarium der! Großmutter herab, das sich nun ohne weitere hindernisse in Bewegung setzen konnte. Jch beschloß, mich zu Fuße . durch einige Seitensiraßen nach der neuen Wohnung hindurchzuwinden, hatte meine Rechnung aber ohne die Großmutter gemacht. »He, Geor e,« ries sie, »Du wirst Dich gesälligt hinten im Wagen aus die slache Kiste setzen. hier, nimm die Blechbiichse und die Uhr in die Hand. hörst Du, gied aus beides wohl Acht, besonders aus die Blechbüchse. Na, hörst Du, Zunge, besonders aus die Büchse.« nd dabei blinzelte sie ei gentbiimlich mit den kleinen grauen Augen« »Aber, Großmutter » — ———« «Keine Einwendungen! Entweder thust Du, was ich Dir sage, oder Du bleibst ganz hier und gehst nach Haus« Damit kletterte sie bereits vorne zum Wagen hinaus, um bei dem Carman ih ren Sih einzunehmen. Auch dieser brachte Einwendungen vor. «Madarne, es ist tein Brauch —- -——« »Ach was, Brauch oder nicht Braucht ch will wissen, wohin Sie meine Sa bringen,« schrie die Großmutter ihn an. Nun fegen die Pferde an, und vor wärts ng’i die holMge Straße ent lang. Zettel-Leu aus einen Knie die Met, au anderen die Blechbitchsr. D e Uhr- enirte mich weni er, als diese verwunsxte Blechbtichse. s wird zum Berftändniß des Weiteren not wendigp sein, den geschätzten Leser mit d eser al ten Schatteke etwas näher bekannt zu machen. , , Man denke sich also eine alte verbli chene Botanisirbiichfe, welche, so weit die Farbe sich noch erkennen ließ, einst gelb und mit allerlei grünen Arabesken verziert gewesen war. Jn ihrer Glan - zeit war sie Eigenthum meines Umwä vaters, eines deutschen Professors ge wesen. Danach gelangte die Büchse in den Besitz meines Großvaters, der Apo theter war, der brachte sie mit anderen Habfeligkeiten nach Amerika. Bis da hin hatte die Büchfe ausschließlich na turwissenschaftlichen Zwecken gedient. Als dann aber der Großvater gestor ben tvar und die Großmutter über den Nachlaß verfügte, ward der ehemalige - Pflanzenbehälter deren beständiger Reisegefährte. Da die Alte eine zahlreiche Familie hatte von welcher die meisten Glieder in meinem Baterstädtchen ansäfsig waren, und die alte Dame da u eine unermüd liche Wanderlust besa , so sah man sie, die Büchse über die Schulter gehängt, tagtäglich durch die Straßen wandern. Jn der Büchse führte sie die verschie denartigfte Dinge von der Welt mit sich; alle nur namhaften Patentmedi zinen in fester und flüssiger Gestalt, Knöpse und Bandagen in jeder Form · und Größe, Nadeln und Zwirn, hin und wieder auch etwas zu naschen fiir die Kleinen, die sich ihren Launen zu « fügen wußten. Mein seliger Vater s nannte die Büchse einst cherzhaft die » Pandorabiichfe. Der Name gefiel uns ; Kindern ganz besonders; wir plauder- 1 ten ihn aus auf der Straße und in der Schule, und so dauerte es gar nicht lange, bis die alte Scharteke in der ganzen Stadt als Pandorabüchse be kannt war; und meine Großmutter hieß von jeßt an nur noch »die Frau mit der Pandorabüchse". Die Alte durft sich schließlich nur auf der Straße sehen lassen, so liefen die Kinder in hel len Haufen nach und johlten ein Spott lied, das irgend ein Spottvogel auf die Großmutter und ihre Büchse zusam mengereimt hatte. d- « auch roir wrojzrmoer hatten unter dem Gesvötte viel zu leiden. Nichts in der Welt war uns daher verhaßter als die Pandorabiichse der Großmutter. Sie wußte das, und nun hatte sie die Malice, mir das verhaßte Ding zum Halten aus den Schooß zu geben. Jch musterte die Situation von allen Sei ten; aber es sand sich nirgends ein ge eigneter Platz, die Bächse anzubringen, und ließ ich sie los, ward sie unter allen Umständen vom Wagen geschleudert. So wünschte ich nur, daß tein Bekann ter des Weges kommen möge; denn ich war ein junger angesehener Mann, ge hörte Klubs und Vereinen an und hatte einen großen Kreis von respeltablen Bekannten. Kaum war der Wunsch gedacht, als meine Großmutter ries: »Du, George, drüben aus dem Sei tenweg steht ein junger Mann; ich glaube-, es ist ein Betannter von Dir. fDer würde uns gewiß ein wenig hel en." Richtig, aus dem Seitenwege ging Fritz Lehmann, erster Tenor des Ge sangvereins »Fidelia«, dem ich eben falls angehörte. Lehmann war mein Schultamerad gewesen und einer von denen, die mich am meisten wegen der Pandorabiichse geneckthatten. Er durste mich jetzt aus keinen Fall damit sehen. Aber was thun? Jch wandte mein Ge sicht nach der entgegengesetzten Seite, in der hoffnung, nicht sosort erkannt zu werden; da vernahm ich wiedr die treischende Stimme der Großmutter: »Say, junger Mann —-— junger Mann ——- —«« Das brach den letzten Strohhalm meiner Hoffnung, den ich in meiner Scham umtlammert hielt. Scham und Zorn beherrschten mich jetzt in solchem Grade, daß ich nichts mehr von dem, was ich that, hätte abhalten können. Jch ergriff, indem ich die Uhr zwischen den Knieen festhielt, mit beiden Händen die verhaßte Büchse und schleuderte sie im weiten Bogen über die Straße, so daß sie ohne viel Geräusch in die mit Wasser gesüllte Gosse fiel. Da schwamm nun die Pandorabiichse aus dem Gewiisser, wie weiland Noah’s Arche, rasend schnell dahin, und ich gab jetzt teinen Deut mehr darum, wo die alte Scharteke schließlich landen und in wessen Hände sie gerathen werde. Als ich wieder auszublicken wagte, war mein Freund Lehmann von der Bild sliiche verschwunden; er hatte wahr scheinlich in eine Seitenstraße einge lentt, um den Zurusen meiner Groß mutter zu entgehen Endlich an etommen in der neuen Wohnung, un nachdem sich beim Ab laden und der Anordnung des Wer-ble ments noch einmal all das Geziint vom Mor en wiederholt hatte, war es Aben geworden. Es dämmerte be- «« reits, als sich die Großmutter, anschei- · nend müde« in ihren Schaulelstuhl nie- «." derließ und einePrise aus ihrer Schild vlattdose nahm. . »Weil, well, George,« sagte sie, «wtr «