Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 21, 1896, Sonntags-Blatt., Image 14

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    Ins der Wolga.
Slizze von Wlati uir Koroleiita
1.
Mit einem tiefen Seufzer betrat Dmi
ttij Parsentjewitsch das Oberdeck des
Wo dampsers. Der Tag neigte sich,
die pnne hing über den bewaldeten
Bergen des Users. Ruhig und"maje
stätisch lag der Fluß da. Aus weiter
Ferne ertönte der Pfifs eines Dam
psers. Aus den Flößen wurden Feuer
angemacht — die Holzflößer tochten
sich ihr Abendbrot. Eine große, schwere
Barke bewegte sich so unmerklich vor
wärts, daß sie still zu stehen schien.
Zwei kleinere, Bord an Bord gelettet,
ireuzten leise sich schaukelnd die spiegel
glatte Wassersläche, und nur ihr Wi
derschein erzitterte und bewegte sich über
der blauen Tiefe. Als die Wasserstu
che des Dampfers, breit aus einander
laufend, die Wiederspiegelung erreichte.
wurde sie zerstört und verlor sich. Es
sah aus, als würde ein Spiegel plöhlich
zerschlagen, als bewegten sich und gli
tierteii seine Scherben im Auseinander
fallen . . . .
»Schön, Grunja?« sagte Dmitrij
Parsentjewitsch, neben seiner Tochter
Platz nehmend.
»Ja,« antwortete sie kurz. Das
Mädchen war dunkel gekleidet. Ein in
die Stirn gezogenes Tuch beschattete
ihr blasses, junges Gesichtcheii; ihre
großen Augen blickten träumerisch und
gedankenvoll
«Die hauptsache ist immer Zufrie
denheit und Ruhe,« versehte Dinitrij
Parfentjewitsch, der immer gern Mo
ral lehrte.
Auch sein eigenes Leben neigte sich,
und ihm schien nichts schöner als die
Ruhe bei einem scheidenden Tage.
Nur Ruhe und Gebet — nach der
siindlichen Unruhe und Ermüdung . . .
Gott gebe keine neuen Wünsche- Gott
bewahre vor neuen Versuchen.
»Nicht wahr, Grunja?« Dinitrij
Parsentjewitsch blickte seine Tochter an
und schien ihr eine Meinungsäußerung
entlocken zu wollen.
»Ja,« antwortete das Mädchen.
Aber ihre Augen blickten unverwandt
in die goldige Ferne, auf die sich lang
sain in bläuliche Nebel hüllenden Ver
ge, als suchten sie irgend etwas. Auch
unter dem Publikum des Oberdecks
war es still geworden. Hier und da
hörte man einzelne Worte, sah man,
wie sich jemand an einem Tischchen an
schickte, Thee zu trinken. Auf dem Hin
terdeck befand sich eine Gruppe Tata
ren, die, aus Astrachan !oinniend, sich
in die Heimath begaben. Es war ein
Greis mit drei Söhnen. Den vierten,
seinen Liebling, hatten sie in der frem
den Stadt begraben miissen. Man
wußte nicht, woran Achrnesjan er
krankt war; er hatte ungefähr eine
Woche darnieder gelegen und war als
dann verschieden. »Alles, wie Allah
will,« sprachen die harten, sinsieren
Züge des Alten, der nun noch der Mut
ter daheim die Trauertunde vom Tode
des heißgeliebten Sohnes bringen
mußte.
Rings umher athmete alles Ruhe
und Frieden, und in diesem Augenblick
ahnte Dniitrij Parfentjewitsch nicht«
daß ihm dieser stille Abend noch neue
Unruhe bringen könnte.
« 2.
Nicht weit von ihnen aus dem Oder
deck hatte sich eine Gruppe von Passa
gieren niedergelassen; da waren einige
Holzhauern von Unschu, eine behäbige,
gutmüthige Bürgersfrau, ein alter
Mann aus dem niederen Bürgenstan
de. Den Mittelpunkt dieser Gruppe
bildete augenblicklich ein Schiffstellner
dritter Klasse, ein junger Bursche in ei
nem abgeriebenen und settigen Rock mit
der Plalat-Nummer 2. Ueber die
Schulter hing ihm eine Serviette, deren
er sich mit gleichem Erfolge bediente, ob
es begossene Tische zu saubern oder
Giäser auszuwischen gab. Eben trug
er ein, besetztes Theebrett übers Ober
deck, die Ellenbogen weit vorgestreckt,
mit den Augen vorsichtig vor sich hin
und auf den Fußboden blickend. Nach
dem er das Theebrett niedergelegt, den
Staub vom Tischchen mit der Serviette
entfernt hatte, begab er sich zur Gruppe
feiner Landsleute. Aus dem äußersten
Ende einer Bank Platz nehmend, setzte
er das früher begonnene Gespräch fort.
»Seht, in diesem Fall, meine ich,«
vefette er im Tone vollster Ueberzeug
ung, »bekreuzigt man sich mit der
Faust, so hilft eö auch. So: Jm Na
men des Vaters, und des Sohnes, und
des heiligen Geistes, Amen. Und es ist
vollständ’ einerlei, es hilft. Was
meint ihr «
Er blickte dabei seine Zubörer so an,
wir ein Mensch, der ein schwer zu lö
fendei Räthfel ausgegeben hat«
Mit der Faust, sagt Dai«
erstaunt einer der nschaschen
Händ-irde- st «
« - . u ·
, nd un vorwurfsvoll schüt
te Leute ihre Köpfe. Der Bür
ger spendete sich streng an den Burschen.
»Nun, laß das lieber. Du vergißt
Dich gegen Gott . . · .«
»Wie dass«
»Nun fo, daß Du Dir eben erlaubst,
mit der Faust das Kreuzeszeichen zu
machen. Das ist nicht möglich. Das
kann nie helfen.«
Der Bursche maß die Zuhörer mit
fröhlich triumphirendem Blick und war
eben im Begriff, die Lösung des Mith
sels zu geben,als an einem Tischchen ein
Herr ungeduldig mit dem Löffel ans
Glas schlug. ,
Der Ke net fchnellte empor. Jm
Augenblick war er am anderen Ende des
Oberdecks, ergriff die Theetannen, lief
zur Maschine und zurück, stellte sie auf,
entfernte den Staub, lief nach unten,
brachte das Gewünfchte, fchlängelte sich
durch die Reihen der Tischchen, wäh
rend das von ihm begonnene Gespräch
unter dem erregten Publikum fortge«
setzt wurde.
»Nun, er hat eben keine Vernunft!«
fagte der Bürger.
»Furchtbat unverftändig,« fügte die
Alte mitleidig hinzu.
»Der Kleine hat uns etwas aufge
bunden, was soll man da fagenl« i
»Wie foll das zugehen, mit der ;
Faust . . . . Das tann niemals helfen." -
Nach und nach wurde die allgemeines
Meinung bekräftigt, bis sie euvgittigs
fesiiigvdz » 1
»unmoguch, horte manp plötzlich
einige Stimmen. »es ist eine Frechheit
weiter nichts»
»Wie kann man nur ..... «
»Wie kommt er auf so etwas?«
»Aber so hört doch, « unterbrach sie
der Bursche, plötzlich aus der Luke auf
tauchend. »Es braucht keine Frechheit
zu sein. Bei uns auf der Tuchfabrihsj
wo ich lebte war ein Knabe. Neulichs
ergriff ihm die Maschine alle fünf Fin- -
ger: weg waren sie! Er behielt keinen ’
nach. Nun stellt euch vor, was soll der
Knabe da machen, wenn ihm nur ein
Stumpen geblieben ist . . . .«
Das Publikum Mie. I
»Wo willst Du hinaus?«
IDas ift eben die Sache Seht Brü- F
der wie. .Wenn sich dieser Knabe nun
mit der linken Hand bekreuzigt.. z
»Ach was was Du da erzählst ":
wehrte der Bürger mit einer Handbe- s
wegung ab. »Mit der linken Hand ist
es nicht möglich»
»Nun, und mit der rechten wie sollk
er da die Finger zusammenlegen—nur
ein Stummel!«
»Das ist es eben, triumpirte der «
Schiffslellner. k
Nun begann das Interesse für die
Frage allgemein zu werden. Die näch
sten Passagiere horchten aus die wei-.
teren verließen ihre Plätze und näher-H
ten sich dem Sprecher. Sogar ein jun
ger Handelsmann, der eben am Ihre-z
tisch mit irgend einem dicken Herrn sehr «
eifrig über Politik geschwatzt hatte,war F
so niidig, die schlaue Aufgabe feiner
Ananerlsamkeit zu würdigen· " Er«
klopfte mit dem Theelöffel und winkte·
den Burschen zu sich heran.
»He. Bedienten Wie viele von uns?
eh . . . Wie Du sagst, mit dem Stum
mel?«
»Wir so unter uns, Herr, wir spre
chen nur fo für uns.«
»Nein, aber schlau, nicht waer«
wandte sich der Kaufmann an den di-««
tken Herrn. Der dicke Herr antwortete
unverständlich weil er im Augenblick
mit feinem Butterbrod beschaftigt war
’ Nur die Tataren waren auf dem
Hinterdeck sitzen geblieben, ohne sich am i
allgemeine Gespräch zu betheiligen Sie
schwiegen meift, ab und zu hörte man;
sie kurze Bemerkungen in ihrer Mutter
sprache machen.
3.
Dmiirij Parfentjeroitsch stellte sich
wie ein Schlachtroß aus« das den ersten
Trompetenstoß Vernimmi. Grunja
blickte noch immer auf den Fluß und
die fernen Verge, jedoch ohne daran zu
denken. Obgleich sie nicht einmal den-:
;
Kopf nach dem Redenden umwandte, .
war es leicht zu bemerken, daß das Ge- —
xplräch ihre ganze Aufmerksamkeit fes
e te.
Drnitrij Parfentjetvitsch blickte sie
von der Seite an. Einstmals, früher,
hätte sie sich unbedingt an ihn gewandt I
mit der zutraulichen Frage: wie ist
das, Münchens est aber schien es,
als ginge sie die einung des Vaters
nichts an.
Er schien ein wenig zu warten, aber
fie fragte ihn nicht, nur ihre großen
Augen richteten sich voll Mitleid aus
die Menschen, die, von dunklen wei
feln umfangen, sich unnützerwei e in
vergeblichen Reden iiber Anstößigeö in
Glaubenssachen ergingen.
- Er erhob sich und trat zu den Reden
den. Seine große, hagere Gestalt in
feinem Anzuge alten Schnitteö, sein
strenger Ernst erregten sofort die allge
inreine Aufmerksamkeit
Jrgz hr’seid rrn Mii« fragte Dmii·
krijJ arsentjetvitsch
» Jea, ben,seer Kaufmann Weil
ehen Sie» der Meine sagt, er
könne sich niit Faust bekreuztng
F J
»Ich weiß, erzähle nicht unnüt. Der
Kleine ist ein Dummhpr
.Das ist es ja,« fliisterte jemand
sigchtsam uns allen ist es unbegreif
i .«
»Das ist wahr . . . . Jhr versteht es
nicht. Wenn man aber die Frage richti
entscheidet, das heißt, nach der Schri
und nach den Lehren zuverlässiger
Männer-, so ist die Sache ganz einfach.«
Die Gruppe der Zuhiirer vergrößerte
sich mit einem Male. Nun folgten schon
alle voll Interesse den Worten der erha
ben und ruhig daftehenden Greises.
Drnitrij Parfentjewitsch ließ sich durch
die allgemeine Aufmerksamkeit nicht
irre machen, denn sie war ihm nichts
Neues. Nur eine einzige Zuhiirerin
nahm vor allen anderen sein ganzes
Jntrefse in Anspruch —- Grunja. Er
liebte die Tochter auf seine Weise, und
sein strenges, hartes Herz that ihm weh
bei ihren unermüdlichen Zweifeln, bei
ihrem betiimmerten Blick. Er wünschte
ihr leidenschaftlich jene wohlthuende
Ruhe, der sein eignes Herz schon so nah
war. Der Widerstand aber, den sie
fortwährend seinem Einfluß entgegen
segte, weckte in seiner strengen Seele
eine ganzen Sturm zurückgehaltener
Wuth, die alsdann im Kampf mit der
Liebe zur Tochter gewöhnlich stärker
war.
Grunja saß regungslos auf ihrem
Plah und folgte gespannt dem Ge
sprach
».Vort,« klang die feste Stimme des
Vaters zu ihr hinüber, »die Sache ist
so: Wenn er die Finger verloren hat,
so kann er nichts dafür. Das heißt,
Gott hat es zugelassen, sein Wille! Nun
kann abek der Mensch nicht leben ohne
das Zeichen des Kreuzes. Ohne Kreu
zeszerchen ist er schlimmer als ein Un
gläubiger, ein Tatar. Da er sich mit
der rechten Hand belreuzigen muß«
»Nun li«
»So muß er,« schlo Dmitrij Par
sentjewitsch stockend, » ornuß er die
Finger in Gedanken zusammenlegen,
nach den Lehren der heiligen Väter.«
Ein Seufzer der Erleichterung und
Freude ging durch die Menge.
»Ach, Kaufmann, danke . . . .«
»Ja Gedanken! Das ist das rich
tige.«
»Jn Gedanken —- weiter nichts.«
»So· das hilft dann gewiß . · . .«
Dmitrij Parsentjewitsch sah sich
nach seiner Tochter um. Was war ihm
diese Billigung, dies Lob der fremden
Leute! Aber sie, sein Kind, sah leich
gtltig vor sich hin, als wären die oeden
gesprochenen Worte des Vaters ihr et
was längst Bekanntes, was aus ihre
verwirrte, ermattete Seele nicht den ge
ringsten Eindruck machte.
Finsier zog derAlte dieAugenbrauen
während die erregte Menge sich in wei
tere Meinungsäußerungen über Glau
benssachen ergings. Man sah manch
blihendes Auge und nicht selten geschah
es, daß Jemand vor Eifer mit der
Faust aus den Tisch schlug.
Und der Dampser trug, bedächtig die
dunkelblaue Fläche des Wassers thei
lend, dies Häuflein hart miteinander
streitender Menschen immer weiter
fort, und die ausgeregten Stimmen
fanden einen Widerhall in den lehmi
gen Abhängen der Bergseite derWolga.
Datrat ein steiler Berg zurück, der die
Biegung ver-deckt hatte, und gab die
Aussicht in die Ferne frei. Die Sonne
schwebte als rothe Kugel dicht über dem
Wasser, und wie mit leichten Flügel-«
schlägen, der Abendschatten flog von
Osten her die Dämmerung über diej
Wiesen, holte das Schiff ein und brei-;
tete sich immer mehr und mehr iiber das !
Wasser. l
i
4.
Plötzlich erhob sich die Gruppe der
schweigsamen Tataren von ihren Plä
tzen auf dem Hinterdect und begab sich
gleichmäßigen Schrittes aufs Oberdeck.
Dort angelommen, zogen sie ihre lan
gen Röcke aus und breiteten dieselben
auf den Boden. Sie entledigten sich ih
rer Pantoffeln und traten alsdann an
dächtig aus die ausgebreiteten Kleider.
Der Widerschein der untergehenden
Sonne spielte auf ihren ernsten Gesich
tern. Jhre hohen Gestalten hoben sich
scharf vom hellen Himmel ab.
»Sie beten,« sagte Jemand leise,
und einige Passagiere, die sich von den
Streitenden getrennt hatten, näherten
sich dem Geländer. Jhnen folgten an
dere; nach und nach hörte man auf zu
streiten.
Die Tataren standen mit blinzeln
den Augen und hoch herausgezogenen
Brauen da und es fah aus, als erhöhen
sie sich im Geiste in jene Höhe, wo eben
die lehten Strahlen des Tageslichtes
erstarben. Ab und zu ließen sie ihre
aus die Brust gepreßten hände sinken,
legten sie an die Knie und senkten die
Köpfe mit den Schassrniihen tief, tief.
Dann erhoben sie sie wieder und reckten
ihre hör-de zum Licht empor.
Ihre Lippen fltisterten die Worte ei
nes unverständlichen und den anderen
Leuten unbekannten Gebetj.
»Seht auch --« sagte ein Bauer und
f
verstummte unentschlofsen, ohne feine
Gedanken auszusprechen.
»Jhre Ceremonien erfiillen auch
die —« versette ein anderer.
»Ja, die beten auch-«
Alle Tataren fielen plöslich nieder,
mit den Stirnen den Boden berührend,
und standen dann schnell auf. Die drei
jungen nahmen ihre Röcke und Pantof
sein und kehrten zu ihren früheren
Plätzen auf dem Hinterdecl zurück. Der
Greis blieb allein.
Er fette sich nieder auf seine unter
aeschlagenen Beine, seine Lippen regten
sich und auf dem hübschen Gesicht mit
dem weißen Bart lag ein sonderbarer,
ergreifender Ausdruck; ein Gemisch
von tiefem Leid und von Ergebung in
einen höheren Willen.
Seine Hand hielt einen Rosentranz
Siehst Du, auch ein Nosentranz,«
bemerkte Jemand von den Zuschauern
»Ein eifriger Alter.«
»Das ist des Sohnes wegen. .Der
Sohn starb in Astrachan, « erklärte der
Kaufmann der zusammen mit den Ta
taren die Wolgareife unternommen
hatte.
»Och-cho-cho. ..« seufzte Jemand
philosophisch. »Jeder Mensch will sich
retten. Keiner will verloren sein, wer
er auch sei, selbst ein Tatar —«
anwischen hatte die Dämmerung so
zugenommen, daß es schwer zu unter
scheiden war, wer da sprach. Kein Ge
sicht war mehr zu erkennen, nur die ein
zelne Gestalt des betenden Greises hob
sich deutlich iiber dem Wasser ab. Er
schautelte sich langsam vorwärts und
rückwärts
»Papachen!" sagte eine leise Stim
me. Grunja rief ihren Vater. Dmitrij
Parfentjewitsch ging zu ihr.
»Aber Papachen!«
»Was willst Du, mein Kind?«
Das Mädchen verstummte auf einen
Augenblick, zum betenden Andersgliiu
bigen hinüberschauend alsdann er
tönte ihre junge, unsichere Stimme
durch die Stille.
»Nun . . . . was soll man jetzt den
ken: hilft dieses Gebet?«
Grunfa hatte leise gesprochen, den
noch hatten alle sie gehört; es war, als
ob ein leiser Luftng übers Oberdeck
ging, und in mehr als einer Seele fand
die Frage des blassen Mädchens ein
Echo: »Hilft es?«
Alle schwiegen« . Unwillliirlich
f sahen sie empor zum blauen Abendhim
! mel, als wollten sie dem unsichtbaren
Fluge jenes fremden, unverständlichen,
! aber so inbrünstigen Gebets folgen.
; »Wie kann man glauben, daß es
nicht hilft« «hörte man eine weiche,
; gutmiithige Männerstimme sagen. »Ich
Idenle doch, man betet zu Niemand sonst
i als zu Gott. "
T »Alles gilt ihm, dem Vater. Siehst
; Du, man sieht gen Himmel«
i »Wer weiß, wer weiß . . . .«« hörte
man nachdenklich sagen.
»Ach, schwer zu verstehen-die Wege
Gottes«
Auf dem Schiffsschnabel knurrte der
Klobem eine Laterne flog wie ein gol
dener Stern auf die Spitze des Ma
stes; eine Welle fpritzte im Dunkeln
auf, der Pfiff eines entfernten Dam
pfers durchbrach die Stille über dem
Wasser. Am Himmel eralänzten im
mer mehr und mehr helle Sterne und
leife sanl die Nacht herab auf die Wie
sen« Berge und Schluchten der Wolga.
Und Grunja schien es, als fragte die
Erde traurig den Himmel, aber — der
schwieg geheimnißvoll . . . .
Dmitrij Parfentjewitfch fchwieg
gleichfalls. Es ift möglich, daß er fiir
einen Augenblick dasselbe empfand, was
Grunja.
Doch plötzlich fiel es ihm ein, daß
man eine fremde Religion nicht loben
dürfe, ohne sich dadurch an der eigenen
zu vergehen, und feine strenge Stimme
störte den Zauber des Augenblick:«
»Nun, lomm nach unten, Grunja. . .
Komm. Was soll man hier machen.
Diese Leute sind gottlos. Sie geben
nur Anstoß . . . .«
Das Mädchen erhob sich, ohne zu
widersprechen
s-—-.-O O--—- «
Wenn iuan Strotnvittwer ist.
Nach einer französischen Idee von Max
Schoenau.
Die fchöne, fchlanle Frau hatte sich
weit hinausgelehnt aus dem Kupeefen
fter, um noch einmal zärtlich seine
Land drücken zu können. »Vierzehn
age muß ich Dich nun allein lassen,
Hans, vierzehn lange Tage soll ich Dich
nicht sehen. Wenn ich nur meinem
herzen folgte, würde ich sofort wieder
aussteigen und hier bleiben.«
»Sei nicht Kindifch, Anna, Deine
Mutter erwartet Dich in München und
zwei Wochen sind ja auch leine Ewig
keit. Dann lomtnei nach und wir
fahren zusammen in ie Ver e.«
»Natürlich, Dir wird die rennung
viel leichter! Wenn ich nur wüßte« was
Du Abends immer treiben wirst!«
»Aber liebei Kind«Du machst Dir
ganz unniihe Sorgen. Du weißt ganz
genau wie solide es beim Pilsener her
Ihn und vor Allem weißt Du, daß ich
lieb habe, nur Di alleinf
,,Tnd Du wirst mir chreibeni«
Tit glich."
JAber teine Postiarten!«
»Nein, nein, mindestens vier Seiten
täglich.'·
Sie drückte gerade noch einmal ört
iich eine Hand, als er etwas unfanit
bei eite geschoben wurde und eine ju
egndlich frische Stimme neben ihm sag
te: Sie verzeihen gütigst, aber Sie ver
sperren die Kupeethiir vollständig und
es ist die höchste Zeit, daß ich einsteige.
Jn zwei Minuten geht der Zug ab·«
Hans dreht sich etwas geärgert um,
als sein zärtliches »Abschiednehmen sos
jäh unterbrochen wurde, und erblickte
einen blutjungen Menschen von viel
leicht zwanzig Jahren. dem kaum ein
blonder Flaum auf der Oberlippe
sproßte· Hastig drängte sich der junge
Mann in das Kupee hinein, legte seinen
Handtosfer in das Gepiickneß und trat
dann gleichfalls an’s Fenster, um sich
von der Dame zu verabschieden, die mit
ihm gekommen war. Sie war ein al
lerliebstes. blondes Persönchen mit la
chenden blauen Augen, die teck und of- .
fen in die Welt blickten
,,Du schreibst mir natürlich täglich,
Lieschen,« rief der junge Mann aus
dem Kupeefenster.
»Selbstverständlich, Fritz. Täglich
mindestens vier Seiten. Du aber auch
was?«
»Natürlich, Lieschen. Jch fürchte
nur, Papa wird mich fürchterlich unter
die Fuchtel nehmen. Er ist wüthend,
daß ich durch’ö Referendenexamen ge
fallen bin.«
Du bist ein so netter Junge, Du
wirst ibn schon wieder gut stimmen,
Friß Außerdem schadet es Dir gar
nichts, wenn Du mal vier Wochen ar-;
betten mußt. « i
Noch ein Händedruck und Fritz beugte
sich tief hinab, um auf die schwar en
Nähte auf dem weißen Handschuh sei-i
ner kleinen Freundin den letzten zärt-!
lichen Kuß zu drücken. Auch Hans reckte «
sich in die Hohe um die Fingerspitzen;
seiner Frau zu küssen. Dann pfiff die
Dampfpfeife der Lotomotive schrill auf
und langsam»setzte»»t:i·cbl der Zug in er ;
wegunn. »Aus Wieoetirhenz Ruh
Wiedersehen!'« klang es hinüber und :
herüber und zwei weiße Taschentüchers
wehten dem Zuge nach, bis eine Bieg- «
ung des Geleises ihn endlich den Blicken ?
der Zurückbleibenden entzog. 7
Lieschen tuvfte sich mit dem Taschen
tuch ein paar Mal leicht auf die Augen,
vielleicht weniger um ihre Thriinen, als
um einige ausquellende Schweißperlen
zu trocknen, dann wandte sie sich leich
ten Schrittes dem Ausgang des Bahn
hofs zu. hans folgte ihr gefentien
Hauptes, aber seine Gedanken fol ten
dem Zuge, der ihm die Frau entfüsrtr.
Dasein Blick nachdentlich zu Boden ge
richtet war, mußte er, als Lieschen ei
nige Schritte vor ihm die Bahnhofs
treppe hinabstieg, trotzdem fast wider
seinen Willen bemerken, daß ihre Füß
chen in den hohen braunen Knövfftie
feln ungewöhnlich zierlich und hübsch
geformt waren. Als sein schönheits
liebendes Auge dann fast unbewußti
zollweise höher schweifte, ionftatirte er
nicht ohne ftilles Behagen, daß die jun- E
ge Dame da vor ihm elegante seidene j
Jupons trug, daß ihre Taille zum Um- T
spannen war und daß auf ihrem breit
randigen Strohhut mehr Rosen blüh-:
ten, als in eineni der üblichen Berlinerk
Borgärten selbst in guten Sommern zu ,
finden sind. Das Bild der Gattin be- ;
gann in Hans Herz leicht zu erblassen;
—- sie mußte ja auch schon in Lichter- i
felde sein, tröstete er sich » und unwill- I
türlich beschleunigte er feinen Schritt,;
um die Kleine einzuholen. Mitten auf;
dem Astanischen Platz kam er an ihrs
vorüber, aber sie hatte ihren hellens
Sonnenschirm auf espannt und er be-«
tam von ihrem Ge icht nur ein rundlichl
geformtes Kinn mit einem Grübchenj
darin, zwei rothe, lächelnde Lippens
und ein teckes Stumpfnüschen zu sehen. :
Das Alles war wie in einen leichten ;
Duft von Parnia-Veilchen getaucht, «
und Parma-Veilchen waren von jeher
fein Lieblingsparfiim gewesen.
Er verlangsamte wieder seine
Schritte und ließ die junge Dame vorü
ber, um sich noch länger an dem zier
lichen, toietten Figürchen erfreuen zu
tönnen. SiegingdieKiiniggrätzerstraße
hinunter, dein Potsdamer Bahnhof zu
und dann durch die Bellevuestraße in
den Thiergarten ein. Und Hans trot
tete in einer Distanz von fünf Schrit
ten nachdentlich hinter ihr her. Er ge
dachte seiner vereinsamten Wohnung,
wo ihn weiter nichts als ein mürrisches,
häßliches Dienstmädchen erwartete, und
ihm graute vor dem Alleinsein, an das
er überhaupt sehr wenig gewöhnt war. »
Um in ein Restaiirant zu gehen, war es
noch viel zu früh, und auch das übliche
Getlatsch am Stammt che inzwisc
iis, das er jeit allen all- hatte aus
uchen können, hatte n ts Verlockendes
iir ihn. Und wenn er sich sagte, daß
er niui volle vierzehn T e so allein
sein sollte, er, dein das . usammensein
und die Unterhaltung mit einer Frau
« —
zur unentbehrlichsten Lebensgewohn- «
heit geworden war, dann raute ihm
noch mehr und sein Auge ; weifte im- -
mer sehnfiichtiger zu dem chlanien Zi
giirchen hinüber, das wiegenden Gan
ges vor ihm einherfchritt.
So ging es eine ganze Weile auch
noch durch die grüniiberdachten Alleen
des Thiergartenö hindurch, die
zu»diefer Stunde von promenirenden
Parchen und spielenden Kindern nur
allzu belebt waren. bang fand die
Sache für einen Mann in seinen Jah
ren aber zuletzt doch zu dumm und be
fchlosz, ihr lurzer hand ein Ende zu
machen. Als die junge Dame daher
jetzt in einen stilleren Seitentve einbog,
zog et sich mit einem kühne uck den
Hut fchräg in die Stirn und einige ra
fche Schritte brachten ihn neben die
Erfehntr.
»Entfchuidigen Sie, meine Gnädige,
aber ich halte es für beide Theile fiir
angenehmer, wenn wir diesen Spazier
gang, der fich doch ein wenig auszudeh
nen scheint, neben einander und nicht
hinter einander fortfetzen,« sagte er und
zog den höflich den Hut.
Jhr Auge maß ihn ziemlich hoch
müthig von oben bis unten und sie er
widerte liihlc ,,« ch bedarf teiner Be
gleitung, mein err, ich finde meinen
Weg schon allein.«
Hans aber blieb ihr hartnäckig zur
Seite und meinte: »Wir sind Beide in
derselben traurigen Lage, Fräulein
Lieschen . .
Mit erftauntem Aufblick unterbrach
fie ihn: »Woher wissen Sie meinen
Namen?«
,,Bom Anhalter Bahnhof aus. Jch
ftand an demfelben Coupee, vor dem
Sie sich von Jhrem Bräutigam so zärt
lich verabschiedeten.«
»Ach richtig,« fagte Lieschen und ein
leichtes Lächeln spielte um ihren Lip
pen. »Sie nahmen ja auch gerade Ab
schied. Bermuthlich von Jhre Gat
tin?«
»CUIIUI"9I«
»Eine so hübsche Frau! Und sie schü
men sich gar nicht?«
d »Selbstverständlich! Aber trotz
em ..... «
»Da Sie bemerkt haben, wie zärtlich
ich mich verabschiedete, werden Sie
wohl einsehen, daß Ihre Versuche
durchaus . . . .«
»Bitte, Fräulein Lischen, sagen Sie
das nicht. Sie stehen jetzt allein, genau
so wie ich. Sie bedürfen des Trostes
und ich suche ihn· Was ist natürlicher,
als daß wir uns zusammensinden, um
uns das Trennungsweh zu verkürzen
und weniger fühlbar zu machen ?«
Sie mußte laut auslachen, mit so
drollig ernster Miene hatte er das ge
sagt. »O diese Männer,« rief ste, ,,sie
sind doch einer wie der andere!«
»Haben Sie mit Jhrem Fritz auch
schon schlechte Erfahrungen gemacht,
Fräulein Lieschen?« fragte er ruckend
»O leineswegs,« wehrte sie ab, »aber
nach Allem, was man so sieht und hört,
glaube ich wirklich, daß auch ihm nicht
weit zu trauen ist.'«
So kamen die beiden Verlassenen
immer intimer in’s Gespräch. Lieschen
hatte längst ihren Sonnenschein zuge
macht und ans konnte nun immer
wieder entzückt in ihre blaue Augen
sehen. Es dämmerte bereits, als sie
am Neuen See aus einer einsamen wei
denüberhangenen Bank zu lurzer Rast
sich niederließen. Und als sie dort sa
ßen und aus die stille Fluth blickten.
über die nur noch hin und wieder leise
ein Kahn glitt, da fanden sich plötzlich
ihre Lippen wie unwillkürlich zu lan
gem Kusse.
Plötzlich machte Lieschen sich los und
lachte hell auf. Erstaunt fragte Hans:
»Was ist Ihnen?«
»Nichts, nichts. Mir fuhr nur ein
Gedanke so durch den Kopf.«
»Bitte, sagen Sie mir, woran Sie
dachten, Sie müssen es mir sagen! . . .«
»Wenn Sie es durchaus wollen! Jch
dachte, es wäre doch zu drollig, wenn
gerade jetzt Jhr Gattin und mein
Bräutigam im Zuge nach München sich
gerade so küßten, wie wir es es eben ge
than haben!«
Hans wollte mit einstimmen in ihr
lustiges Lachen, aber es war ihm doch
merkwürdig unbebaglich zu Muthe.
Thatsache ist, dasz er das neckischeFriiuss
lein Lieschen seit jene Abend nicht wie
dergesehen, sondern aß er wirklich »se
den Tag vier volle Seiten an seine
Frau nach München geschrieben hat, .
bis er ihr vorgestern endlich nachreisen
konnte. Er war glücklich, daß seine
Strohwitiwerzeit vorüber war.
Unangenehm.
A.: »Ist Deine Braut wirklich so
sehr s chwerhiirig?«
B.: »Leider. Wie ich ihr meine Liebe
erklärte, hab’ ich so schreien müssen, daß
rnir gleich die ganze Nachbarschaft gra
tultrt hatt«
—...—-.»—..... .«...-..—.—-.·.-·
Juristisch ausgedrückt.
rau: »Dieser Brief zeigt uns Ma
kna s Ankunft an.«
D Fichtm »Der mit dem Strafmit
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