Ins der Wolga. Slizze von Wlati uir Koroleiita 1. Mit einem tiefen Seufzer betrat Dmi ttij Parsentjewitsch das Oberdeck des Wo dampsers. Der Tag neigte sich, die pnne hing über den bewaldeten Bergen des Users. Ruhig und"maje stätisch lag der Fluß da. Aus weiter Ferne ertönte der Pfifs eines Dam psers. Aus den Flößen wurden Feuer angemacht — die Holzflößer tochten sich ihr Abendbrot. Eine große, schwere Barke bewegte sich so unmerklich vor wärts, daß sie still zu stehen schien. Zwei kleinere, Bord an Bord gelettet, ireuzten leise sich schaukelnd die spiegel glatte Wassersläche, und nur ihr Wi derschein erzitterte und bewegte sich über der blauen Tiefe. Als die Wasserstu che des Dampfers, breit aus einander laufend, die Wiederspiegelung erreichte. wurde sie zerstört und verlor sich. Es sah aus, als würde ein Spiegel plöhlich zerschlagen, als bewegten sich und gli tierteii seine Scherben im Auseinander fallen . . . . »Schön, Grunja?« sagte Dmitrij Parsentjewitsch, neben seiner Tochter Platz nehmend. »Ja,« antwortete sie kurz. Das Mädchen war dunkel gekleidet. Ein in die Stirn gezogenes Tuch beschattete ihr blasses, junges Gesichtcheii; ihre großen Augen blickten träumerisch und gedankenvoll «Die hauptsache ist immer Zufrie denheit und Ruhe,« versehte Dinitrij Parfentjewitsch, der immer gern Mo ral lehrte. Auch sein eigenes Leben neigte sich, und ihm schien nichts schöner als die Ruhe bei einem scheidenden Tage. Nur Ruhe und Gebet — nach der siindlichen Unruhe und Ermüdung . . . Gott gebe keine neuen Wünsche- Gott bewahre vor neuen Versuchen. »Nicht wahr, Grunja?« Dinitrij Parsentjewitsch blickte seine Tochter an und schien ihr eine Meinungsäußerung entlocken zu wollen. »Ja,« antwortete das Mädchen. Aber ihre Augen blickten unverwandt in die goldige Ferne, auf die sich lang sain in bläuliche Nebel hüllenden Ver ge, als suchten sie irgend etwas. Auch unter dem Publikum des Oberdecks war es still geworden. Hier und da hörte man einzelne Worte, sah man, wie sich jemand an einem Tischchen an schickte, Thee zu trinken. Auf dem Hin terdeck befand sich eine Gruppe Tata ren, die, aus Astrachan !oinniend, sich in die Heimath begaben. Es war ein Greis mit drei Söhnen. Den vierten, seinen Liebling, hatten sie in der frem den Stadt begraben miissen. Man wußte nicht, woran Achrnesjan er krankt war; er hatte ungefähr eine Woche darnieder gelegen und war als dann verschieden. »Alles, wie Allah will,« sprachen die harten, sinsieren Züge des Alten, der nun noch der Mut ter daheim die Trauertunde vom Tode des heißgeliebten Sohnes bringen mußte. Rings umher athmete alles Ruhe und Frieden, und in diesem Augenblick ahnte Dniitrij Parfentjewitsch nicht« daß ihm dieser stille Abend noch neue Unruhe bringen könnte. « 2. Nicht weit von ihnen aus dem Oder deck hatte sich eine Gruppe von Passa gieren niedergelassen; da waren einige Holzhauern von Unschu, eine behäbige, gutmüthige Bürgersfrau, ein alter Mann aus dem niederen Bürgenstan de. Den Mittelpunkt dieser Gruppe bildete augenblicklich ein Schiffstellner dritter Klasse, ein junger Bursche in ei nem abgeriebenen und settigen Rock mit der Plalat-Nummer 2. Ueber die Schulter hing ihm eine Serviette, deren er sich mit gleichem Erfolge bediente, ob es begossene Tische zu saubern oder Giäser auszuwischen gab. Eben trug er ein, besetztes Theebrett übers Ober deck, die Ellenbogen weit vorgestreckt, mit den Augen vorsichtig vor sich hin und auf den Fußboden blickend. Nach dem er das Theebrett niedergelegt, den Staub vom Tischchen mit der Serviette entfernt hatte, begab er sich zur Gruppe feiner Landsleute. Aus dem äußersten Ende einer Bank Platz nehmend, setzte er das früher begonnene Gespräch fort. »Seht, in diesem Fall, meine ich,« vefette er im Tone vollster Ueberzeug ung, »bekreuzigt man sich mit der Faust, so hilft eö auch. So: Jm Na men des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen. Und es ist vollständ’ einerlei, es hilft. Was meint ihr « Er blickte dabei seine Zubörer so an, wir ein Mensch, der ein schwer zu lö fendei Räthfel ausgegeben hat« Mit der Faust, sagt Dai« erstaunt einer der nschaschen Händ-irde- st « « - . u · , nd un vorwurfsvoll schüt te Leute ihre Köpfe. Der Bür ger spendete sich streng an den Burschen. »Nun, laß das lieber. Du vergißt Dich gegen Gott . . · .« »Wie dass« »Nun fo, daß Du Dir eben erlaubst, mit der Faust das Kreuzeszeichen zu machen. Das ist nicht möglich. Das kann nie helfen.« Der Bursche maß die Zuhörer mit fröhlich triumphirendem Blick und war eben im Begriff, die Lösung des Mith sels zu geben,als an einem Tischchen ein Herr ungeduldig mit dem Löffel ans Glas schlug. , Der Ke net fchnellte empor. Jm Augenblick war er am anderen Ende des Oberdecks, ergriff die Theetannen, lief zur Maschine und zurück, stellte sie auf, entfernte den Staub, lief nach unten, brachte das Gewünfchte, fchlängelte sich durch die Reihen der Tischchen, wäh rend das von ihm begonnene Gespräch unter dem erregten Publikum fortge« setzt wurde. »Nun, er hat eben keine Vernunft!« fagte der Bürger. »Furchtbat unverftändig,« fügte die Alte mitleidig hinzu. »Der Kleine hat uns etwas aufge bunden, was soll man da fagenl« i »Wie foll das zugehen, mit der ; Faust . . . . Das tann niemals helfen." - Nach und nach wurde die allgemeines Meinung bekräftigt, bis sie euvgittigs fesiiigvdz » 1 »unmoguch, horte manp plötzlich einige Stimmen. »es ist eine Frechheit weiter nichts» »Wie kann man nur ..... « »Wie kommt er auf so etwas?« »Aber so hört doch, « unterbrach sie der Bursche, plötzlich aus der Luke auf tauchend. »Es braucht keine Frechheit zu sein. Bei uns auf der Tuchfabrihsj wo ich lebte war ein Knabe. Neulichs ergriff ihm die Maschine alle fünf Fin- - ger: weg waren sie! Er behielt keinen ’ nach. Nun stellt euch vor, was soll der Knabe da machen, wenn ihm nur ein Stumpen geblieben ist . . . .« Das Publikum Mie. I »Wo willst Du hinaus?« IDas ift eben die Sache Seht Brü- F der wie. .Wenn sich dieser Knabe nun mit der linken Hand bekreuzigt.. z »Ach was was Du da erzählst ": wehrte der Bürger mit einer Handbe- s wegung ab. »Mit der linken Hand ist es nicht möglich» »Nun, und mit der rechten wie sollk er da die Finger zusammenlegen—nur ein Stummel!« »Das ist es eben, triumpirte der « Schiffslellner. k Nun begann das Interesse für die Frage allgemein zu werden. Die näch sten Passagiere horchten aus die wei-. teren verließen ihre Plätze und näher-H ten sich dem Sprecher. Sogar ein jun ger Handelsmann, der eben am Ihre-z tisch mit irgend einem dicken Herrn sehr « eifrig über Politik geschwatzt hatte,war F so niidig, die schlaue Aufgabe feiner Ananerlsamkeit zu würdigen· " Er« klopfte mit dem Theelöffel und winkte· den Burschen zu sich heran. »He. Bedienten Wie viele von uns? eh . . . Wie Du sagst, mit dem Stum mel?« »Wir so unter uns, Herr, wir spre chen nur fo für uns.« »Nein, aber schlau, nicht waer« wandte sich der Kaufmann an den di-«« tken Herrn. Der dicke Herr antwortete unverständlich weil er im Augenblick mit feinem Butterbrod beschaftigt war ’ Nur die Tataren waren auf dem Hinterdeck sitzen geblieben, ohne sich am i allgemeine Gespräch zu betheiligen Sie schwiegen meift, ab und zu hörte man; sie kurze Bemerkungen in ihrer Mutter sprache machen. 3. Dmiirij Parfentjeroitsch stellte sich wie ein Schlachtroß aus« das den ersten Trompetenstoß Vernimmi. Grunja blickte noch immer auf den Fluß und die fernen Verge, jedoch ohne daran zu denken. Obgleich sie nicht einmal den-: ; Kopf nach dem Redenden umwandte, . war es leicht zu bemerken, daß das Ge- — xplräch ihre ganze Aufmerksamkeit fes e te. Drnitrij Parfentjetvitsch blickte sie von der Seite an. Einstmals, früher, hätte sie sich unbedingt an ihn gewandt I mit der zutraulichen Frage: wie ist das, Münchens est aber schien es, als ginge sie die einung des Vaters nichts an. Er schien ein wenig zu warten, aber fie fragte ihn nicht, nur ihre großen Augen richteten sich voll Mitleid aus die Menschen, die, von dunklen wei feln umfangen, sich unnützerwei e in vergeblichen Reden iiber Anstößigeö in Glaubenssachen ergingen. - Er erhob sich und trat zu den Reden den. Seine große, hagere Gestalt in feinem Anzuge alten Schnitteö, sein strenger Ernst erregten sofort die allge inreine Aufmerksamkeit Jrgz hr’seid rrn Mii« fragte Dmii· krijJ arsentjetvitsch » Jea, ben,seer Kaufmann Weil ehen Sie» der Meine sagt, er könne sich niit Faust bekreuztng F J »Ich weiß, erzähle nicht unnüt. Der Kleine ist ein Dummhpr .Das ist es ja,« fliisterte jemand sigchtsam uns allen ist es unbegreif i .« »Das ist wahr . . . . Jhr versteht es nicht. Wenn man aber die Frage richti entscheidet, das heißt, nach der Schri und nach den Lehren zuverlässiger Männer-, so ist die Sache ganz einfach.« Die Gruppe der Zuhiirer vergrößerte sich mit einem Male. Nun folgten schon alle voll Interesse den Worten der erha ben und ruhig daftehenden Greises. Drnitrij Parfentjewitsch ließ sich durch die allgemeine Aufmerksamkeit nicht irre machen, denn sie war ihm nichts Neues. Nur eine einzige Zuhiirerin nahm vor allen anderen sein ganzes Jntrefse in Anspruch —- Grunja. Er liebte die Tochter auf seine Weise, und sein strenges, hartes Herz that ihm weh bei ihren unermüdlichen Zweifeln, bei ihrem betiimmerten Blick. Er wünschte ihr leidenschaftlich jene wohlthuende Ruhe, der sein eignes Herz schon so nah war. Der Widerstand aber, den sie fortwährend seinem Einfluß entgegen segte, weckte in seiner strengen Seele eine ganzen Sturm zurückgehaltener Wuth, die alsdann im Kampf mit der Liebe zur Tochter gewöhnlich stärker war. Grunja saß regungslos auf ihrem Plah und folgte gespannt dem Ge sprach ».Vort,« klang die feste Stimme des Vaters zu ihr hinüber, »die Sache ist so: Wenn er die Finger verloren hat, so kann er nichts dafür. Das heißt, Gott hat es zugelassen, sein Wille! Nun kann abek der Mensch nicht leben ohne das Zeichen des Kreuzes. Ohne Kreu zeszerchen ist er schlimmer als ein Un gläubiger, ein Tatar. Da er sich mit der rechten Hand belreuzigen muß« »Nun li« »So muß er,« schlo Dmitrij Par sentjewitsch stockend, » ornuß er die Finger in Gedanken zusammenlegen, nach den Lehren der heiligen Väter.« Ein Seufzer der Erleichterung und Freude ging durch die Menge. »Ach, Kaufmann, danke . . . .« »Ja Gedanken! Das ist das rich tige.« »Jn Gedanken —- weiter nichts.« »So· das hilft dann gewiß . · . .« Dmitrij Parsentjewitsch sah sich nach seiner Tochter um. Was war ihm diese Billigung, dies Lob der fremden Leute! Aber sie, sein Kind, sah leich gtltig vor sich hin, als wären die oeden gesprochenen Worte des Vaters ihr et was längst Bekanntes, was aus ihre verwirrte, ermattete Seele nicht den ge ringsten Eindruck machte. Finsier zog derAlte dieAugenbrauen während die erregte Menge sich in wei tere Meinungsäußerungen über Glau benssachen ergings. Man sah manch blihendes Auge und nicht selten geschah es, daß Jemand vor Eifer mit der Faust aus den Tisch schlug. Und der Dampser trug, bedächtig die dunkelblaue Fläche des Wassers thei lend, dies Häuflein hart miteinander streitender Menschen immer weiter fort, und die ausgeregten Stimmen fanden einen Widerhall in den lehmi gen Abhängen der Bergseite derWolga. Datrat ein steiler Berg zurück, der die Biegung ver-deckt hatte, und gab die Aussicht in die Ferne frei. Die Sonne schwebte als rothe Kugel dicht über dem Wasser, und wie mit leichten Flügel-« schlägen, der Abendschatten flog von Osten her die Dämmerung über diej Wiesen, holte das Schiff ein und brei-; tete sich immer mehr und mehr iiber das ! Wasser. l i 4. Plötzlich erhob sich die Gruppe der schweigsamen Tataren von ihren Plä tzen auf dem Hinterdect und begab sich gleichmäßigen Schrittes aufs Oberdeck. Dort angelommen, zogen sie ihre lan gen Röcke aus und breiteten dieselben auf den Boden. Sie entledigten sich ih rer Pantoffeln und traten alsdann an dächtig aus die ausgebreiteten Kleider. Der Widerschein der untergehenden Sonne spielte auf ihren ernsten Gesich tern. Jhre hohen Gestalten hoben sich scharf vom hellen Himmel ab. »Sie beten,« sagte Jemand leise, und einige Passagiere, die sich von den Streitenden getrennt hatten, näherten sich dem Geländer. Jhnen folgten an dere; nach und nach hörte man auf zu streiten. Die Tataren standen mit blinzeln den Augen und hoch herausgezogenen Brauen da und es fah aus, als erhöhen sie sich im Geiste in jene Höhe, wo eben die lehten Strahlen des Tageslichtes erstarben. Ab und zu ließen sie ihre aus die Brust gepreßten hände sinken, legten sie an die Knie und senkten die Köpfe mit den Schassrniihen tief, tief. Dann erhoben sie sie wieder und reckten ihre hör-de zum Licht empor. Ihre Lippen fltisterten die Worte ei nes unverständlichen und den anderen Leuten unbekannten Gebetj. »Seht auch --« sagte ein Bauer und f verstummte unentschlofsen, ohne feine Gedanken auszusprechen. »Jhre Ceremonien erfiillen auch die —« versette ein anderer. »Ja, die beten auch-« Alle Tataren fielen plöslich nieder, mit den Stirnen den Boden berührend, und standen dann schnell auf. Die drei jungen nahmen ihre Röcke und Pantof sein und kehrten zu ihren früheren Plätzen auf dem Hinterdecl zurück. Der Greis blieb allein. Er fette sich nieder auf seine unter aeschlagenen Beine, seine Lippen regten sich und auf dem hübschen Gesicht mit dem weißen Bart lag ein sonderbarer, ergreifender Ausdruck; ein Gemisch von tiefem Leid und von Ergebung in einen höheren Willen. Seine Hand hielt einen Rosentranz Siehst Du, auch ein Nosentranz,« bemerkte Jemand von den Zuschauern »Ein eifriger Alter.« »Das ist des Sohnes wegen. .Der Sohn starb in Astrachan, « erklärte der Kaufmann der zusammen mit den Ta taren die Wolgareife unternommen hatte. »Och-cho-cho. ..« seufzte Jemand philosophisch. »Jeder Mensch will sich retten. Keiner will verloren sein, wer er auch sei, selbst ein Tatar —« anwischen hatte die Dämmerung so zugenommen, daß es schwer zu unter scheiden war, wer da sprach. Kein Ge sicht war mehr zu erkennen, nur die ein zelne Gestalt des betenden Greises hob sich deutlich iiber dem Wasser ab. Er schautelte sich langsam vorwärts und rückwärts »Papachen!" sagte eine leise Stim me. Grunja rief ihren Vater. Dmitrij Parfentjewitsch ging zu ihr. »Aber Papachen!« »Was willst Du, mein Kind?« Das Mädchen verstummte auf einen Augenblick, zum betenden Andersgliiu bigen hinüberschauend alsdann er tönte ihre junge, unsichere Stimme durch die Stille. »Nun . . . . was soll man jetzt den ken: hilft dieses Gebet?« Grunfa hatte leise gesprochen, den noch hatten alle sie gehört; es war, als ob ein leiser Luftng übers Oberdeck ging, und in mehr als einer Seele fand die Frage des blassen Mädchens ein Echo: »Hilft es?« Alle schwiegen« . Unwillliirlich f sahen sie empor zum blauen Abendhim ! mel, als wollten sie dem unsichtbaren Fluge jenes fremden, unverständlichen, ! aber so inbrünstigen Gebets folgen. ; »Wie kann man glauben, daß es nicht hilft« «hörte man eine weiche, ; gutmiithige Männerstimme sagen. »Ich Idenle doch, man betet zu Niemand sonst i als zu Gott. " T »Alles gilt ihm, dem Vater. Siehst ; Du, man sieht gen Himmel« i »Wer weiß, wer weiß . . . .«« hörte man nachdenklich sagen. »Ach, schwer zu verstehen-die Wege Gottes« Auf dem Schiffsschnabel knurrte der Klobem eine Laterne flog wie ein gol dener Stern auf die Spitze des Ma stes; eine Welle fpritzte im Dunkeln auf, der Pfiff eines entfernten Dam pfers durchbrach die Stille über dem Wasser. Am Himmel eralänzten im mer mehr und mehr helle Sterne und leife sanl die Nacht herab auf die Wie sen« Berge und Schluchten der Wolga. Und Grunja schien es, als fragte die Erde traurig den Himmel, aber — der schwieg geheimnißvoll . . . . Dmitrij Parfentjewitfch fchwieg gleichfalls. Es ift möglich, daß er fiir einen Augenblick dasselbe empfand, was Grunja. Doch plötzlich fiel es ihm ein, daß man eine fremde Religion nicht loben dürfe, ohne sich dadurch an der eigenen zu vergehen, und feine strenge Stimme störte den Zauber des Augenblick:« »Nun, lomm nach unten, Grunja. . . Komm. Was soll man hier machen. Diese Leute sind gottlos. Sie geben nur Anstoß . . . .« Das Mädchen erhob sich, ohne zu widersprechen s-—-.-O O--—- « Wenn iuan Strotnvittwer ist. Nach einer französischen Idee von Max Schoenau. Die fchöne, fchlanle Frau hatte sich weit hinausgelehnt aus dem Kupeefen fter, um noch einmal zärtlich seine Land drücken zu können. »Vierzehn age muß ich Dich nun allein lassen, Hans, vierzehn lange Tage soll ich Dich nicht sehen. Wenn ich nur meinem herzen folgte, würde ich sofort wieder aussteigen und hier bleiben.« »Sei nicht Kindifch, Anna, Deine Mutter erwartet Dich in München und zwei Wochen sind ja auch leine Ewig keit. Dann lomtnei nach und wir fahren zusammen in ie Ver e.« »Natürlich, Dir wird die rennung viel leichter! Wenn ich nur wüßte« was Du Abends immer treiben wirst!« »Aber liebei Kind«Du machst Dir ganz unniihe Sorgen. Du weißt ganz genau wie solide es beim Pilsener her Ihn und vor Allem weißt Du, daß ich lieb habe, nur Di alleinf ,,Tnd Du wirst mir chreibeni« Tit glich." JAber teine Postiarten!« »Nein, nein, mindestens vier Seiten täglich.'· Sie drückte gerade noch einmal ört iich eine Hand, als er etwas unfanit bei eite geschoben wurde und eine ju egndlich frische Stimme neben ihm sag te: Sie verzeihen gütigst, aber Sie ver sperren die Kupeethiir vollständig und es ist die höchste Zeit, daß ich einsteige. Jn zwei Minuten geht der Zug ab·« Hans dreht sich etwas geärgert um, als sein zärtliches »Abschiednehmen sos jäh unterbrochen wurde, und erblickte einen blutjungen Menschen von viel leicht zwanzig Jahren. dem kaum ein blonder Flaum auf der Oberlippe sproßte· Hastig drängte sich der junge Mann in das Kupee hinein, legte seinen Handtosfer in das Gepiickneß und trat dann gleichfalls an’s Fenster, um sich von der Dame zu verabschieden, die mit ihm gekommen war. Sie war ein al lerliebstes. blondes Persönchen mit la chenden blauen Augen, die teck und of- . fen in die Welt blickten ,,Du schreibst mir natürlich täglich, Lieschen,« rief der junge Mann aus dem Kupeefenster. »Selbstverständlich, Fritz. Täglich mindestens vier Seiten. Du aber auch was?« »Natürlich, Lieschen. Jch fürchte nur, Papa wird mich fürchterlich unter die Fuchtel nehmen. Er ist wüthend, daß ich durch’ö Referendenexamen ge fallen bin.« Du bist ein so netter Junge, Du wirst ibn schon wieder gut stimmen, Friß Außerdem schadet es Dir gar nichts, wenn Du mal vier Wochen ar-; betten mußt. « i Noch ein Händedruck und Fritz beugte sich tief hinab, um auf die schwar en Nähte auf dem weißen Handschuh sei-i ner kleinen Freundin den letzten zärt-! lichen Kuß zu drücken. Auch Hans reckte « sich in die Hohe um die Fingerspitzen; seiner Frau zu küssen. Dann pfiff die Dampfpfeife der Lotomotive schrill auf und langsam»setzte»»t:i·cbl der Zug in er ; wegunn. »Aus Wieoetirhenz Ruh Wiedersehen!'« klang es hinüber und : herüber und zwei weiße Taschentüchers wehten dem Zuge nach, bis eine Bieg- « ung des Geleises ihn endlich den Blicken ? der Zurückbleibenden entzog. 7 Lieschen tuvfte sich mit dem Taschen tuch ein paar Mal leicht auf die Augen, vielleicht weniger um ihre Thriinen, als um einige ausquellende Schweißperlen zu trocknen, dann wandte sie sich leich ten Schrittes dem Ausgang des Bahn hofs zu. hans folgte ihr gefentien Hauptes, aber seine Gedanken fol ten dem Zuge, der ihm die Frau entfüsrtr. Dasein Blick nachdentlich zu Boden ge richtet war, mußte er, als Lieschen ei nige Schritte vor ihm die Bahnhofs treppe hinabstieg, trotzdem fast wider seinen Willen bemerken, daß ihre Füß chen in den hohen braunen Knövfftie feln ungewöhnlich zierlich und hübsch geformt waren. Als sein schönheits liebendes Auge dann fast unbewußti zollweise höher schweifte, ionftatirte er nicht ohne ftilles Behagen, daß die jun- E ge Dame da vor ihm elegante seidene j Jupons trug, daß ihre Taille zum Um- T spannen war und daß auf ihrem breit randigen Strohhut mehr Rosen blüh-: ten, als in eineni der üblichen Berlinerk Borgärten selbst in guten Sommern zu , finden sind. Das Bild der Gattin be- ; gann in Hans Herz leicht zu erblassen; —- sie mußte ja auch schon in Lichter- i felde sein, tröstete er sich » und unwill- I türlich beschleunigte er feinen Schritt,; um die Kleine einzuholen. Mitten auf; dem Astanischen Platz kam er an ihrs vorüber, aber sie hatte ihren hellens Sonnenschirm auf espannt und er be-« tam von ihrem Ge icht nur ein rundlichl geformtes Kinn mit einem Grübchenj darin, zwei rothe, lächelnde Lippens und ein teckes Stumpfnüschen zu sehen. : Das Alles war wie in einen leichten ; Duft von Parnia-Veilchen getaucht, « und Parma-Veilchen waren von jeher fein Lieblingsparfiim gewesen. Er verlangsamte wieder seine Schritte und ließ die junge Dame vorü ber, um sich noch länger an dem zier lichen, toietten Figürchen erfreuen zu tönnen. SiegingdieKiiniggrätzerstraße hinunter, dein Potsdamer Bahnhof zu und dann durch die Bellevuestraße in den Thiergarten ein. Und Hans trot tete in einer Distanz von fünf Schrit ten nachdentlich hinter ihr her. Er ge dachte seiner vereinsamten Wohnung, wo ihn weiter nichts als ein mürrisches, häßliches Dienstmädchen erwartete, und ihm graute vor dem Alleinsein, an das er überhaupt sehr wenig gewöhnt war. » Um in ein Restaiirant zu gehen, war es noch viel zu früh, und auch das übliche Getlatsch am Stammt che inzwisc iis, das er jeit allen all- hatte aus uchen können, hatte n ts Verlockendes iir ihn. Und wenn er sich sagte, daß er niui volle vierzehn T e so allein sein sollte, er, dein das . usammensein und die Unterhaltung mit einer Frau « — zur unentbehrlichsten Lebensgewohn- « heit geworden war, dann raute ihm noch mehr und sein Auge ; weifte im- - mer sehnfiichtiger zu dem chlanien Zi giirchen hinüber, das wiegenden Gan ges vor ihm einherfchritt. So ging es eine ganze Weile auch noch durch die grüniiberdachten Alleen des Thiergartenö hindurch, die zu»diefer Stunde von promenirenden Parchen und spielenden Kindern nur allzu belebt waren. bang fand die Sache für einen Mann in seinen Jah ren aber zuletzt doch zu dumm und be fchlosz, ihr lurzer hand ein Ende zu machen. Als die junge Dame daher jetzt in einen stilleren Seitentve einbog, zog et sich mit einem kühne uck den Hut fchräg in die Stirn und einige ra fche Schritte brachten ihn neben die Erfehntr. »Entfchuidigen Sie, meine Gnädige, aber ich halte es für beide Theile fiir angenehmer, wenn wir diesen Spazier gang, der fich doch ein wenig auszudeh nen scheint, neben einander und nicht hinter einander fortfetzen,« sagte er und zog den höflich den Hut. Jhr Auge maß ihn ziemlich hoch müthig von oben bis unten und sie er widerte liihlc ,,« ch bedarf teiner Be gleitung, mein err, ich finde meinen Weg schon allein.« Hans aber blieb ihr hartnäckig zur Seite und meinte: »Wir sind Beide in derselben traurigen Lage, Fräulein Lieschen . . Mit erftauntem Aufblick unterbrach fie ihn: »Woher wissen Sie meinen Namen?« ,,Bom Anhalter Bahnhof aus. Jch ftand an demfelben Coupee, vor dem Sie sich von Jhrem Bräutigam so zärt lich verabschiedeten.« »Ach richtig,« fagte Lieschen und ein leichtes Lächeln spielte um ihren Lip pen. »Sie nahmen ja auch gerade Ab schied. Bermuthlich von Jhre Gat tin?« »CUIIUI"9I« »Eine so hübsche Frau! Und sie schü men sich gar nicht?« d »Selbstverständlich! Aber trotz em ..... « »Da Sie bemerkt haben, wie zärtlich ich mich verabschiedete, werden Sie wohl einsehen, daß Ihre Versuche durchaus . . . .« »Bitte, Fräulein Lischen, sagen Sie das nicht. Sie stehen jetzt allein, genau so wie ich. Sie bedürfen des Trostes und ich suche ihn· Was ist natürlicher, als daß wir uns zusammensinden, um uns das Trennungsweh zu verkürzen und weniger fühlbar zu machen ?« Sie mußte laut auslachen, mit so drollig ernster Miene hatte er das ge sagt. »O diese Männer,« rief ste, ,,sie sind doch einer wie der andere!« »Haben Sie mit Jhrem Fritz auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, Fräulein Lieschen?« fragte er ruckend »O leineswegs,« wehrte sie ab, »aber nach Allem, was man so sieht und hört, glaube ich wirklich, daß auch ihm nicht weit zu trauen ist.'« So kamen die beiden Verlassenen immer intimer in’s Gespräch. Lieschen hatte längst ihren Sonnenschein zuge macht und ans konnte nun immer wieder entzückt in ihre blaue Augen sehen. Es dämmerte bereits, als sie am Neuen See aus einer einsamen wei denüberhangenen Bank zu lurzer Rast sich niederließen. Und als sie dort sa ßen und aus die stille Fluth blickten. über die nur noch hin und wieder leise ein Kahn glitt, da fanden sich plötzlich ihre Lippen wie unwillkürlich zu lan gem Kusse. Plötzlich machte Lieschen sich los und lachte hell auf. Erstaunt fragte Hans: »Was ist Ihnen?« »Nichts, nichts. Mir fuhr nur ein Gedanke so durch den Kopf.« »Bitte, sagen Sie mir, woran Sie dachten, Sie müssen es mir sagen! . . .« »Wenn Sie es durchaus wollen! Jch dachte, es wäre doch zu drollig, wenn gerade jetzt Jhr Gattin und mein Bräutigam im Zuge nach München sich gerade so küßten, wie wir es es eben ge than haben!« Hans wollte mit einstimmen in ihr lustiges Lachen, aber es war ihm doch merkwürdig unbebaglich zu Muthe. Thatsache ist, dasz er das neckischeFriiuss lein Lieschen seit jene Abend nicht wie dergesehen, sondern aß er wirklich »se den Tag vier volle Seiten an seine Frau nach München geschrieben hat, . bis er ihr vorgestern endlich nachreisen konnte. Er war glücklich, daß seine Strohwitiwerzeit vorüber war. Unangenehm. A.: »Ist Deine Braut wirklich so sehr s chwerhiirig?« B.: »Leider. Wie ich ihr meine Liebe erklärte, hab’ ich so schreien müssen, daß rnir gleich die ganze Nachbarschaft gra tultrt hatt« —...—-.»—..... .«...-..—.—-.·.-· Juristisch ausgedrückt. rau: »Dieser Brief zeigt uns Ma kna s Ankunft an.« D Fichtm »Der mit dem Strafmit a .