Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 14, 1896, Sonntags-Blatt., Image 14

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    Sonnenschein
« l
Sitzze von Jerome K. Jerome. Autorifirte
Uebersesunq von Iris Länder.
ich schienen idie Ibeiden einzigen in der
Stadt gebliebenen Michenitglieder zu
sein. Er saß am offenen Fenster, die
»Juki« aus den Knien, ohne darin zu
vtiefen. Jch riickte meinen Stuhl etwas
näher szu ihm hin unsd sagte:
»Guten Morgen.«
Er unterdrückte ein Gähnen und
entgegnete:
»’n Morgen.« Die damalige Mode
verlangte gerade »das erste Wort zu der
fchl-uclen; er Zwar stets korrekt
»Scheint fo,« war die Antwort; da
zu werden«, fuhr ich fort.
Stint fo«, war die Antwort; da
nach wandte er den Kopf zur Seite und
schlon die-Augen«
Ich isah ein, daß er keine Unterhal
tung wünschte, »was smich aber nur in
meinem Entschluß, ihn dazu zu zwin
gen, Wirtin IJch wollte die uner
schiitterliche Ruhe, mit sder er bsieh zu um
geben wußte, Edurchbrechenx so nahm ich
denn alle Kraft zusammen und ging an
Idie Arbeit.
»Famoses Blatt, die Times«, be
tgann ich.
»Gwiß«, bestätigte er, mir das er
wähnte Blatt reichend, »wollen Sie
nicht ilafeni« -
Jch hatte mit Absicht einen Anflug
von Humor in meine Stimme gelegt, in
der hoffnung, ihn dadurch zu reizen;
ask-er er verharrte in derselben biasierten
Ruhe. « .
Jch sträubte mich heftig,feine8eitung
anzunehmen, atber er versicherte mir,
immer mit der gleichen mit-den Stimme,
daß er genug gelesen habe.
Jchsdarvlte ihm in ganz übertriebener
Weise, ·da ich annahm, ldaß ihn jede
Uebertreibung ärgern müßte.
»Man sagt'« ,fuhr ich fort, »einen
Leitartikel der »Times« zu lesen, sei
eben so sviel werth, iwie eine Aufsatz
stunde.«
»So sagt man«, bestätigte er ruhig;
»ich für meine Person nehme keine
Stunden.«
Die »Tirnes«, das sah ich ein, war
kein ergieksiges Thema. Jch zündete
eine Cigarrette an und meinte, er sei
Wohl Jäger? »Er-gab ldie Thatsache zu,
obgleich er mir hätte widersprechen
missen, aber er schien selbst dazu zu
bequem zu sei-n.
»Ein imeilemveiter Marsch durch
Sumpf und Morast, in Gesellschaft
von vier verdrossenen Männern in Jä
gertracht und von mehreren Ibetrütbt
aussehen-den Hunden; mit einem schwe
ren Gewehr iiiber der Schulter, nur zu
dem Zweck, ein Paar Hühner zu tödten,
» lvie man für 10 Ibis 12 Shilling über
all kaufen Kann-, das scheint mir,« sagte
K- Hn gar keinem Verhältniß zu einan
r.
m-’i- s« -»,-- « .
(
Es war gegen Ende-August Er und
JW Klale ullkVllllDlg UND klcss
»Aus-gezeichnet, ganz ausgezeichnet!«
kdaibei hätte ich ihm einen »Schlag geben
mögen; aber 1das hätte ishn vielleicht
ganz vertrieben. Ich fragte ihn, ob er
sich für Rennen interestsirr.
- Er entgegnete, daß es ihn langweile,
. täglich vierzehn Stunden über Pferde
reden zusmüssen, unsd daß er es aus die
ssem Grunde auf-gegeben habe.
»Sie treiben Fischfang ?« fragte ich.
«Dazu Obesaß ich niemals genug Fan
Htcksie·', gaid er mir zur Antwort.
»Sie reisen viel?« ideharrte ich.
Er schien einzusehen, daß er isich sei
nem sS icksal beugen müsse, denn- er
wandte Dich mit rssisgnirtem Gesichts
ausdruck zu mir.
Meine Mutter behauptet noch heute,
ein so viel fragentdes Kind, wie ich es
gewesen, sei ihr nie wie-der sbegegnetx ich
halte fürs meine größten Tugenden
Wissensdrang und Aus-dauer.
»Ich würde mehr reisen«, entgegnete
er, »wenn ich einen Unterschied zwischen
Oden verschiedenen Erdtheilen entdecken
Meiji«
»Schon Cmtralerika v-e)ersncht?'« .
»Ein oder zwei Mal;« antwortete
er; »eö erinnert mich immer an» New-»
Andean Grikheres Schloß Tder Kö-«
nige in der Nähe von London.)
»Ein-in ?« meinte ich.
»Dein Unterschied mit einigen
Straßen von New York oder San
ancijem
»Den -Nordpol?« versuchte ich zum
Dritten Max I cht
M i niema s gan errei ",
« er zurück. »Ur-n Da unt kenne
. EIN iEiklsfttjktågmachte Ihnen
M.·e «tn ei er«.
J Hcer keingnxzmrfdie Inn-zu h
RW uns Me« mit
- isueiteetkberdie Junenstdaz Spie
: s. Hunde, Bitten-tut nnd Berlei
M. Ich few ihn Eiter Alles unter
Miet- nnd MWÆRMSQ .
»Sie mren einst Muts meinte
Drin sesngcvsdie Wenanneen»-disi
l Al
sie anfingen. sich setber ernst zu nehmen.
Jetzt finde ich sie albern.«
O I If
Im Laufe des darauffolgeden Herb
ftes fah ich Oden« »Helf-retten Billy" öfter,
da wir Beide häufige Giifte einer sehr
liebenswürdigen Wirthin waren, und
er gefiel mir je t besser. Er swar ein
niihlicher Gese chafter. Jn-Modefra
en brachte man nur ihm blindlings zu
Pol en,«um ificher zu gehen. Man wußte,
das sein Kragen der Sitz seiner Kra
vatte und das Muster tseiner Strümpfe
stets, ovenn nicht nach allerneuester
Mode, so doch mindestens korrett seien,
und in gesellschaftlichen Fragen swar er
als Fuhren Freunsd und Philosoph
einfach eine unschäsbareAutoritiiL Ers
kannte jeden Menschen, der irgendwie;
zur Gesellschaft zählte, twußte einem sdiei
Vergangenheit jeder Frau zu erzählen
und die udunsft jedes Mannes anzu-;
deuten. r kannte ganz genau das Lo
kal, in dem die jehige Gräfin von Gieri
leman oor ihrer Heirath als Sängerin
aufgetreten Eva-r, und führte Jeden, der
es wünschte, in sdas ent1egene Case, wo
Sam Smith, der Bruder Edes weltbe
rühmten Romanziers Smith-Strat
ford, ein unphoto-graphirtes, uninter
viewtes, ruhig-es Leben als Obertellner
führte.
Mit gleicher Sicherheit konnte er die
Schu marte jedes Modeartickels sroie
den reis jeder iniden leßten zehn Jah
ren geschaffenen Grafschaft angchen.'«
Kur-zum, er swar ein »Mann fiir W
Ies«, der nach sdem Essen eine vorzüg
(iche Gesellschaft swarz dagegen vermied
man es, ihn in den frühen Morgen
Ostrinden zu sprechen.
OSoTbeurtheilte ich ihn, bis er sich ei
nes schönen Tages verliebte, oder wie
Teddy Tidmarfh, der uns die Neuig
"keit brachte, ssich aus-drückte, »von Gerda
Looell tax-ern -l«ieß.«
»Es isft die rothhaarige««,·fiigte»Te7ddy
erklären-d hinzu, um Fsie von " ihrer
Schwester, die seit Kurzem ..gOl-)b:onsd«
vom-, zu unterscheiden.
»Ganz Looell!« rief der Kapitän
aus. »Ich bade doch immer gehört, daß
die Lovell’s keinen Pennh -besiiszen!«
»Von ihrem Vater gewiß nicht, das
weiß ich befiirnmst«, erklärte Tedth der
eine Stellung in einem Geschäfte be
kleidete, von- der er niemals sprach und
der die Offenheit selber in Bezug auf
die Verhältnisse anderer Leute war
»Da isst gewiß irgend ein schwirre
fleischpötelnder oder diamantengrabew
der Orstel in Ufriia oder Amerika auf
getaucht,« meinte uniser Senior, oer
Raspitäm »und Bin hat davon Wind
Kämmen denn der ist ein schlauer
Wir ranien aue innerem-daß joich ein
Grund vorliegen müsse, obgleich Gerda
Lovell gerade das Mädchen war, wel
ches Göttin Vernunft tdie frei-lich in
diesen Sachen meist nicht zu Rathe ge
sogen wird) zur Gattin unseres »bla
sierten Billh" bestimmt haben mochte.
Das Tageslicht evar ihr nicht gün
stig, aber bei Abendgesellfchaftem wo
die Beleuchtung richtig ausgetliigelt ist,
konnte sie noch sehr vortheilhaft aug
ssehein Sie swar auch an ihrem besten
»,,bea-u jour« nicht schön zu nennen, aber
Esel-Ist an ihren unioortheilhaftesten Ta
gen zeichnete sie stets ein Distinguirte3,
vornehmes Wesen aus-, Dank welchem
Isie nie unbemerttsbleiben konnte; außer
dem kleidete Tsie sich in geradezu vollen
deter Weise. Was ihren Charakter an
betraf, so war sie. die typische »Salon
xdaine«, stets liebenswürdig und unauf
T richtig.
f Ihre Religion bezog sie von Ken
tsingtson nnd ihre Moral von Manfair,
währen-d sie ihre litterarifcheii Wissens
schiitze Mudie Chekannteste Leihbiblio
thek in London) und ihre tiinstterischen
lOder Grosvenor Gallerh verbannte Mit
bei größten Gewandtheit entwickelte sie
ihre festen Ansichten über Philosophie
Phikantropie nnd Religion, wobei man
bemerken konnte. baß ihre Ideen stets
bie moderntften waren-, und daß ihre
Meinung immer rnit »der Dessenigen
übereinstimmte, init beni ·sie gerade
sprach.
Die illeiiie Mis. Bund, die Gattin
bei bekannten Malers, hatte einem be
benteriben Sehr-Wellen der isie um eine
Schilderung ber Mtesien Miß Lovell
bat, sple nworkti
»Sie ist ein Men, bei das Leben
keine größere: reube als die Einla
bimg einer-Ists bringen könnte, und
kein größeres Leid, als ein unt-leibh
meåchsagkkleibf s
and die es Urtheil seinerzeit
Mo izutvckfeifin wie grausam; Eber
kennen wir-Wen ehe-i einem-vers «
· beglitckv schte den hlasierten z
y, oder —- iriii feinen Spitzen-wen
fallen iszu Lassen —- ben has-ehrbaren
Sir Miit Sees Moos Stanleh
Dichten bei unserem risse-ten niem
inenteesem welches »sich Hufa ««g vor
dem Eingange des Micotel ereigs
nete indem ich bie bei solchen Anliissen
Wiesen Weisen gwanthte
»ReseWMäi-chm,« W- ich- »Sie
sind ein Glückipilz, Billyl«
l Ll
Er aber nahm diese hohlen Worte
ganz ernst, rot-bei er, swenn mich nicht
das elektrische Licht täusschte,- erröthete,
und antwortete Whask
»Sie wird nen aber noch besser ge
fallen, swenn ie sie erst richtig kennen
lernen; sie ist so verschieden von ande
ren Frauen. Kommen Sie morgen
Nachmittag zu ihr; ich stverde Sie an
melden, sie swird sich sehr freuen. Korn-»
men Sie gegen vier.« !
Um zehn Minuten nach fünf ließ ichs
mich beiMiß Lovell melden; Bin war
bei ihr. Sie empfing mich mit einer
leichtenVerlegenhei-t, die ihr eigenthiim
lich, aber nicht schlecht stand. Sie
dantte mir sfiir meinen Besuch, den ich
aus eine halbe Stunde ausdehnt« nach
Ablaussdieser Zeit wnvde die Unterhal
tung schlepp-»in einige meiner geist
reichstenBemerkungen wurden gar nicht
«beachtet, ich erhob mich als o, um aufzu
brechen. Bin that desgleichen, da er
mich sbegleiten wollte.
« Wären die beiden Liebes-lenke ge
.iwöhnlichen Schlages gewesen, so hätte
’ich ihnen Gelegenheit zu einein zärtli
chen Abschied gegeben, aber in dein Falle
der ältesten Miß tLoIvell und sdes hoch
ehrbaren Sie William Drahton hielt
ich tsolche Taktik siir überflüfsig. So
wartete ich, ibis Este tsich die Hände ge
schüttelt hatten, und ssiieg dann mit
Vin gemeinsam die Treppe hinab.
’ Unter angekommen, rief Bin plötz
lich aus:
»Einen Augenblick, bitte«, und lief
wieder hinan-f, gleich drei Sinken mit
einem Schritt nehmend. Einen Au
genblick später kam er zurück, seinen ge
wöhnlichen, nonchalanten Gesichtsaus
druck tragend.
»Vetgaß meine Handschuhe oben«,
erklärte er mir, seinen Arm in den mei
nigen schiebt-ird, »ich lasse immer meine
Handschuhe liegen!«
Jch erwiderte nicht, daß ich ihn selber
sie bereits oben hatte einstecken sehen.
sc II It
Jn den nächsten drei Monaten sahen
lwir Billy selten, aber der Kapitäm der
gern den Chnischen spielte, meinte, daß
wir nach der Hochzeit reichlich einschif
digt werden würde-n
Zur Dämmerstsunde sah ich einmal
zwei Gestalten, die ich fsiir sdie eder älte
sten Miß sLovell und unseres dldsierten
Billh hielt, aber da sich die Beiden eng
umschlungen hielten und der Ort der
Handlung Vatiersea Part, aslso keine
sashionable Gegend war, mußte ich
mich wohl geirrt haben.
Aber eines Wbend tras ich sie im
Adelphiädeater alsv Zuhörer eines
Tsentimentalen Melodtasmas. Jm er
sten Zwischenatt sssuchte ich ssie aus untd
begann sdie Unterhaltung damit, mich
über sdas Stück lustig zu machen, wie
das Jeder im »Adelphi« thut. Ader
Miß Looell sbat mich ganz ernsthaft,
ihre Aufmerksamkeit"" nicht abzulenten,
und Villy wollte durchaus mit mir
darüber ernstlich distutiren ob ein
Mann so gegen die Frau, die er liebe,
handeln diirse, wie es Will Terris fo
eben aufderlBühne gethan. iJch verab
schiedete rnich schnell Oon ihnen, wie ich
glaube, sehr zur Zufriedenheit aller Be
.theili«gten.
I Sie heiratheten bald danach. Aber
sin einem Punkte hatten wir uns geirrt:
Tie ibrachte Bin kein Vermögen rnit in
die sEhex indesz Beiden schien sein nicht
allzugroßes Vermögen-Zu genügen, um
sich ein behagliches Heim, unweit von
Victoria-Station, einzurichten. Sie
lebten nicht asus großem Fuße, doch so,
daß sie überall waren, iwo «-man« ge
sehen werden muß, und ssich während
der »Season« eine Miethsequipage
hielten.
Die hochehrenwerthe Mrö. Drahton
war um cvieles hiibscher und frischen als
es sdie älteste Miß Lovell gewesen, ungd
da sie deren Chic in der Totlette be
wahrt hatte, stieg ihre soziale Stellung
rapide. Eilly begleitete sie überall hin«
und schien stolzer aus ihre Erfolge, als
sie oLilien « ’
Man erzayue qiq «I»ogat, daß er sel
shet ihre Kastüme entswiirsfex jedenfalls;
sah ich ihn häufig vor den Schaum-z
stern der großen Modabazare steheni
und die Mög-stellten Schähe ernstlich
studirem
Die Praphezeiung des Kapitiins
traf nicht ein: der blasierte Bin —
wenn man ihn noch so nennen konnte —
besuchte asueh nach seiner Heirath den
Kuh nur höchst seiten.
Mr ward ich, sdem er und, wie er
vorausgesagt hatte, seine Frau immer
besser gefieten, ein häufiger Saft bei ih
nen. Jhre si-hige Gleichsilligieit ge
gen alle brennen-den Tagme stach
vortheikhaft von des tieme Wi
tigieit anderer Lan-dann Salonj ah.
Jn ihrem »kleinen Demütig-Roma in
Eatrm Naiv hieit main ei nicht der
Mühe »wer-th, vsich über die uwftewlichen
Verdienste von Geer-ge Meredith oder
George R. Simi zu ethiyeu unsd hätte
an jedem Miwoch·Nachntittag dem-it
Adieu unkb Atshur Rchrtö mit der
gleichen ruhigen LiebenMed« seit, wie
jeden anderen Wucher, begrii t. hätte
L
ich mein ganzes Leben in so philisiröser
Ruhe verbringen müssen, dann wäre ich ;
ihrer wohl shald überdrüssig geworden.
so aber evsrischte tsie mich sunsd zog mich -
immer wieder an.
Ein Monat nach dem anderen ver
ging und mir schien es, ais schlossen sich
mein Freund Bin und seine junge
Frau immer inniger aneinander an.
Eines Abends lam ich etwas früher als
gewöhnlich und sand, als mir der Be
diente diesThiire «desWohnzi1nmers öff
nete, dieses noch unerleuchtet; in dem
ungewissen Dämmerlicht unterschied ich
zwei sich umschlingen-de Gestalten auf
dem Sosa. Jch evwog schnell die Chan
cen schleuniger Flucht, aber sie hatten
spmich schon eintreten hören und bewill
jlommneten mich nun in großer Bele
)genheit. Dieser kleine Zwischensall be
swirlte ein stillschweigendes Ein-verneh
men zwischen uns, so daß sie von nun
an vor mir etwas weniger Komödie
spielten, als vor Anderen.
Bei meinen Beobachtungen fand ich
bald heraus, daß die Liebe sich aus der
ganzen Welt in gleicher Weise äußert,
just, als lehrte der Knabe Amor, ohne
mit den Fortschritte-n »der Kultur zu
rechnen, noch heute den jungen Stu
denten sowohl wie den »fi-n de siecle«
Menschen, die minderm Frau« sowohl
wie die kleine Pupmacherin dieselbe
Lehre, die er vor drei- und viertausend
Jahren Griechen und Römer lehrte.
II I· O
r
So ging der Sommer zu Ende, der
Winter kam und ging, und immer
leich blieb isich Idas stille Glück in Enton
Zion-, von dem kein Fremder eine Ah
nung hatte. Da, gerade zu Beginn der
Land-mer Season, als Einladungens zu
Diners, Bitllen und Sonn-ers, zu »At
homes« und mitsrtaiischen Soireen
von Jllen Seiten regneten wurde Billy
tran .
Unglücklichenweise kleidete gerade die
diesjährigeMåde die junge Mrs.Dray
ton so gut,-wie seit Jahren nicht. Billh
und sie waren seiner Zeit wochenlang
bei der Arbeit gewesen, die Kostiisme zu
entrversem xvon denen jedes einzelne, ein
Kunstwerk in sich, Aussehen erregen
Toiletten, Alles lag und hing in schön
ster Auswahl in Mrs. Drahton’s Tot
lettenzimmer, allein diese hatte zum er
stenmal in ihrem Leben rein Interesse
dafür.
Ihre Freunde bedauerten idiese Wen
dung der Dinge aufrichtig, denn die
Geselligteit war Billhs Element und
in der Gesellschaft war er ein interes
santes unsd nükliches Glied. Ader es
lag, iwie sLadh Gswer sagte, für Mes.
Billh nicht die Nothwendigteit vor, sich
seiiyst lebendig zu begraben; sdas twiirde
ihm nichts nützen und nur Anstoß erre
gen.
So folgte denn Mes. Draht-im oh
gleich es ihr ein Greuel war, Ladh Go
vwers Stimme, opferte ihre Neigungen
auf dem sozialen Altar, zog die neuen
Teiletten iider ihr wundes Herz und
ging in Gesellschaft
Doch ihre Triumphe der früheren
k Jahre wiederholten sich nicht. Jhr klei
Ines Geplauder schrumpfte so sehr zu
Isammem daß man es allgemein be
ilächelte ihr deriihmtes Lachen wurde
kmechanisch Sie lächelte kaum zu den
Hbesten Wihen eines Millionärs und
gethan zu »der Weisheit eines Herzogs.
" Man fand, sie sei eine ausgezeichnete
Gattin, aber schlechte «Salondame, und
beschränkte seine Theilnahme aus Kar
ten, die nach dem Bafinden des Herrn
Gemahl-Z fragten.
Und sdasiir war Mrs. Drayton dank
bar, denn Billy’s Zustand verschlech
terte sich mehr und mehr. In der
Schattenxwelt, in der sie lebte, aoar ihr
Gatte und die sLiede zu ihm das einzig
Wirt-liche.
Verstand xsie es zwar nicht, ihn selber
zu pflegen, so cwar es ihr doch ein Trost,
thei ihm zu sein und ihm Gesellschaft lei
sten zu «tiinnen.
inEll-er Billy selber grämte sich dar
r.
l
»Ich wünschte, Du gingest mehr
aus«, pflegte er zu sagen; »Ich komme
mir immer so egoistisch vor, Dich hier
in diesem öden, skleinen hause gefangen
zu halten. Und außerdem —- wird
man Dich vermissen, man wird mir
zürnen, daß ich Dich der Gesellschaft
entziehe.«
BillW große Welt- und Menschen
lenntniß verließ ihn, nie iman sieht, da,
two sie seine Frau betraf. Er hätte es
nimmer geglaubt, wie man ssich in Ge
sellschaften amiisiren könne, »welche seine ·
Gäattin nicht mit ihrer Anwesenheit be
e rie.
»Ich bleibe lieber beiOir mein Oerz«,
lautete dann stets die Einer «es
macht mir kein Ver iigem allein aus
zugehen. Du mußt chnell gesund wer
den, dann gehen wird wieder zusam
mein'
Eines Abend-sahen als Mri. Dran
ton in ihrem einsamen Wohnzimmer
sinnend am Kaminfener saß, kam die
Pflegerin zu ihr hinein und sa te:
»Mönnten Sie nicht heute Wen-d aufgein
bit zwei Stunden ausgehen Mrz.
I
l I—
Drei-tout Ich graue-z e- wüm dem
Verrn sehr lieb sein,« er deunruhigt sich
dariiben daß Sie seinetwegen sum jede
Zerstreuung kommen; und gerade jetzt«,
— die Schwester zögerte ein mais —
.gerade fest muß er unbedingte uhe
haben.«
»Ist es schwächer geworden, Schwe
steti«
»Nun, triistiger jedenfalls nicht, gnä
dige Frau, und swir müssen suchen ihn
zu erheiiern.«
Die junge Frau erhob fich, ging an
das Fenster und blickte eine Weile
schweige-nd in die dunkle Nacht.
Endlich sagte sie, sich mit einem
schwachen Lächeln umwendend:
« »Aber wo soll ich hingeben, Schwe
ster? Ich habe keinerlei Einladung.«
»Können Sie nicht eine ersinden?«
fragte die Pflegerim »Es ist jeht erst
sieben U r. Sa niSie, »Sie gingen zu
einer A ndgese schaft, mon der Sie
früh zurücktommen würden. Kleiden
Sieifich an, sagen Sie ihm dann Adieu,
und kommen Sie um elf, als kämen
Sie soeben zurück, noch einmal in fein
Zimmer."
»Mus; ich, Czchscvefteria
»Ich denke, es ist das Richtiar. gnä
dige Frau. Versuchen Sie es.«
Mrs. Drayton wollte das Zimmer
verlassen, wandte ssich aber an der Thiir
noch einmal uni:
»Er hat so scharfe Ohren, Schwe
ster; er wier auf das Schließen der
Hausthiir und das Vorfahren des Wa
gens passen."
»Das werde ich besorgen; ich werde
denWagen auf dreiviertel acht bestellen.
Dann fahrsen Sie bis zur nächsten Ecke,
steigen dort aus und kommen zurück
Jch werde Ihnen ganz leise die Thüre
öffinen.«
»Un-ddasNachhauseJkommen2-’« frag
te idie Andere.
,,Einige Minuten vor elf müssen Sie
aus dem hause schlupfen und an der
Ecke swieder in »den Wagen steigen.
«Ue«berla.ssen Sie das nur mir.«
Eine halbe Stunde später betrat
Mrs. Drayton im kostbaren, jin-neun
besetzten Gesellschaftstleide das Kran
kenzimmer ihres Gatten. Glücklicher
irveise war das Zimmer nur schwach er
leuchtet, denn sonst hätte der arme Billv
sehen müssen, daß sdas Antlitz seiner
Gattin nicht war, twie iman es sonst zu
Gesellschaften »auf-setzt«.
»Die Schwester erzählt mir, daß Du
heute Abend zu Grenioilles swillstx das
freut mich so sehr. Es hat mich zu sehr
«be«tiimmert, Dich die Saison hier ver
trauern zu sehen,« sagte er.
Er ergrist ihre Hand und bewun
derte ihre ganze Erscheinung
»Wie hiishsch »Du aussiehst, mein
»Lieb! »Wie isie mir Alle fluchen müssen,
daß ich biiser Osger die schöne Prinzessin
so lange gefangen haltet Jch werde es
niemals wagen, Ihnen rvieder unter die
Augen zu treten.«
Sie lachte, erfreut über seine Worte,
und antwortete:
»Ich wer-de nicht lange bleiben, denn
ich muß doch sehen, swie es meinen Jun
gen geht. Wenn Du nicht brav gewesen
bist, gehe ich nicht wieder fort:
Sie küßte ihn und ging. Um elf
Uhr lehrte sie zurück. Sie erzählte ihm,
wie vorzüglich sie tsich unterhalten habe,
und renvmmirte ein wenig mit ihren
eignen Evsolsgen Die Pslegerin berich
tete ihr, daß Billy heute ruhiger gewe
sen sei, als seitTagen. Sowurde denn
die Komödie täglich wiederholt. Ein
mal lbeskuchte isie, tin einem Kostiim von
Nedserm ein Frühstück, ein andermal
ging sie zu einem Ball in einer Toilette,
»die Wirth wus Paris ldazu gesandt
hatte, ein ldrittesmwl besuchte ssie eine
»At Itzt-sie's oder ein Coryert etc. Vorü
bergehende blieber lhiiufig stehen, wenn
sie eine hochelegante tDaime emit ver-wein
ten All-SM, einem lDIehe gleich, in ihr
eigenes Saus schlürfen-them
Eines T es hörte Iichlin einer Gesell
schvsst iiher te sprechen.
»Ich thielt ssie immer für herzlos,«
swgte eine Dame, »aber doch sün ver
nünftig. Man erwartet ja nicht, daß
eine Frau Ihren Mann- sliebt, aber lsie
braucht es tdvch nicht so völlig iihersehen
zu wollen, daß er san Sterben iliegt.«
Ich schiitzte Weisheit ans sder
Stadt vor und erkundigte mich nach der
Ursache dieser Worte, fdie rnir verschie
dentlich bestätigt Weiden.
Mir-r hatt-e zwei this drei sMe thin- »
tereinarnder ihren n var dem Hau
se halten schen, ein« rer hatte sie «
sintsteigem ein Dritter sie gerächt-nn
men iu. s. ev.
føsichSermte mir ldas nicht mit ihrem
igen Wesen, wie lich ei kannte, in
Einklang Ihrirtgen und ging den nächsten
IM F- chr. «
«Sse Mmirsewtdie Wäre »
»Ich sahISieckvmnm,« sprach sie lei- ·
se. Ren-meet Ae hier herein, aber
bitteres-Ue e.« Jchssiosgte ihr und sie
schloß ldie »T« iir. Sie war ki« einem
insgeschiiittenmSedewsleId, suntelnde ««
Brit-rasten im W. Meine Blicke
hegten Isie schon Ohne-Worte .
Sie lachte bitter. .
.Jch soll heut-M rn der Qpee
sein,« irkliirte tsir. »Weil S»·Ik HÄ- B
wenn Sie ein paar Minuten sur mich
« ' Lachen« ·
ch erwiderte maß ich zu «emsm
Piaewesstiindchen gekommen sek, M -
da. in M nur von einer Straße-nier
torne erhellten Zimmer, erzählte sie nrir
Allei. Zeile t versagte Ihre Stimme,
sie WSULM auf kdie bloßen Arme
ten-d sweinte Bitte-lich. Jchnvandte mich
schweigend ab und blickte aus dem Fen
ster. -
»Ich finde mich seldsi so lächerlich,«
sagte sie wann, »sich loie Wen trocknend
und zu mir tretentd. »Alle Ahn-de
sitze ich so angezogen hier im dunk
len Zimmer. Ich Fürchte ich bin eine
schlechte Schauspiel-tin aber mein or
mer Billy sist zu schwach, um »das sehen
können. Jch enziilsiewm ldie gröb
Kn Lügen, swaskdie Leute mit Alles ge
sagt haben-, was ich sagte und wie man
meine Toiletien betmndortr. Wir ge
siillt Ihnen diese?«
Als Antwort gebrauchte ich das Pri
vilegium eines Fusan-den
»Es ist mir lieb,daßSie nicht schlecht
von mir denken,« entgegnete lsie, »Man
hält «s o viel von Ihnen. Es »wer-den JO
nen seltsame Dinge zu Ohren iommsnsz
es freut mich, daß Sie wissen, iva Sie
davon zu halten halten«
Jch mußte London wieder verlasseer
und währenddessen stan Mlly.
Man erzäkiiste !sich, daß soine Frau .
von eine-m Balle Molt werden mußte
unid idaß sie erst in Odem Augenblick des
Todes ankam. Zu ihre Entschuldiaung
sagten ihre »Freunde«, daß das Ende
Ganz plötzlich gekommen sei. Ein paar
Tage danach sbesuchte ich Mrs. Dran
ton. Ich Edsutete an, was man »sich Af
ies erzähle, nnd bat tsie um die Erlaub
niß, die Wahrheit enkdiillsen zu idiirfern
»Ich möchte es -n-icht,«· aab sie mir
bistan zur-Antwort »Es ist« ais ent
biille man »der Welt sein inneriies Le
ben.«
»Aber,« wandte ich ein, »man wird
den-ten, daß ——'«
Sie unterbrach mich.
»Komm es wirklich darcrus an, was
die Welt von mir weintts«
Jn «der That, ein beme.r-kenswerther
Ausspruch aus kdem Munde Mrs.
Draytons. loer sgvbomm Miß Lovell.
Zuuftsitteii beim Biere.
Wie alle echte-i Deutschen, waren in
früheren Zeiten mich ldie Dunst-genossen
visit einem rechtschessenen Durste be
gabt, ten-muri aus der Herberge zu lö
schen reichlich Gelegenheit sank-d- Das
»Voll«tr-inlen« wurde vom Fürsten bis
Hisni Handwerker weidlich betrieben iud
war unter Umständen sogar eine Gh
renspfilicht Da die Wust-r ledig-sich
als Ausmilnrltsorte für Fremde galten,
unid es Bierwirtihschafteiir wie sie jetzt
iin Ueberflsuß vorhanden MI, noch
nicht gab, indem das Schar-steckst vors
drauberechtigten Büngevn much der
Reihenfoige ausgeübt wurde, fand sich
jedes Handwerk in seiner Herberge, die
Meister auch in der ihn-en refervirten
Zunststuibe der Ruthsleller zum Tranke
ein. Auf der Herberge trank man wus
großen zinnernen oder bupfernen Kan
nen, die sinit Schauniiinzen und Ase-kin
-l"ichern behängt waren und »Willtoni
mein« lhießem weil sie den- zugereistesn
Gesellen zuerst gereicht zu werden pfleg
ten. Sie kreisten an Tder Tafel imd »die
Ganzen und Halbon«, weiche nrtan sich
durasus zutraut, hielten sost das Dop
pelte und Dreifache gegen »die, welche
sich jetzt die Studmten vor und nach
lonenieri-. Freiiiich war das Bier leich
ter ais heutzutage unsere Doppelt-here
aber vordem schr geschätzt Wer so
viel Bier auf deri Tisch vergaß, »daß er
es nicht mit sder M, oder unter den
Tisch, daß er es nicht smit dein Fuße
oder dem Hut-e bedecken "toii«nte, oder
wer eine Manne ohne Erlaubniß vorn
Tische trug. wurde zur Stmfe gezogen.
Der Trunk sollte auch imit Muße mitd
Behagen genossen werden, deshalb nicht
stehen-d oder mit übergchäivgtem Man
tel, ,,irhiie Zacken, oan Rucken misd
Bartrvischeri«, gdie unteren drei Rock
tnöpse Hagel-rissest und ohne sich auf die
bund oder denbe zu stüseir Das
Triirigesäß ldurfte nur mit der rechte-n
M gefaßt werden und Nimm-v die
Mr sich zur-sichert ilassent Das Voll
trisnien Wtöe man «mch;ttrg:;ln ais
Metze-its mai«, rund "e« ein
tretenWItion bezeicksietm die Tuch
macher (1490) durch »den heiligen
Ulrich orinrfoii«, kvre Schuhmacher
[1465) mit »ein Bockfell zerreißen«, die
Mrkler (1563) mit »Aus Schäntlyier
euriickgebsn«, die Sei-let (1549) mit
»sich-o weran ern-d else treffe-ist Wer
sich falsch ausdrückte, Mußte eine Geste
stvase wiegt-m »welche die chrlme Gesell
schaft vertrimt —- Das »Tai-attein
Ien«, wie man sdas wish-keins des
Dreißigjiichrigsn Krieges uns-gekom
iieiise Tabatruucheci munte, wurde noch
l655 streng verboten, war aber bereits
iu Anfang des 18. Mrhuniderts beim
dont-wert gestattet wird auch in den-.
herbei-gen erlaubt