Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 10, 1896, Sonntags-Blatt., Image 13

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    c 7
wahrem Schrecken sah ich Dich diesem
Heuchler verfallen.
Wende Dich nicht ab, Jlta — und
lasse die bitteren Thriinen nicht Deine
Augen verdunteln, wenn Du diese Zet
len liesest — Du hast ja so schwer Dein
Vertrauen gediißt.
Zu eben der Zeit, als Du mir Deine
Liebe zu Milan von Paschedow gestan
deft. hatte ich mich eines Abends aus
der Jagd verspätet. »Die Nacht brach
plötzlich herein, und schwere, schwarze
Gewittertvolten zogen, tiefhängend,
iiber den Wald und die Berge.
Ich befand mich auf meinem Grunsd
und Boden nnd kannte genau die Um
gebung Noch den Waldpfad hinab,
und ich mußte an der Wildschlucht sein,
in der sich eine Höhle befand Dort
konnte ich den Aufgang des Mondes
erwarten.
Noch war ich nicht unten, als der
Orkan und das Gewitter zu toben ·be
gonnen.
Da war mir plöylich als tsne in
den Aus-ruht der Elemente der schritle
Ton einer Geige hinein. Erstaunt
blieb ich stehen und lauschte. Mich an
Baumstämmen und Buschwert haltend,
gelangte ich in die Schlucht. Die lu-f
stigen Klänge der Geige führten mich
bald in die Nähe der Höhle. Ein son
derbares Schauspiel zeigte sich mir:
Auf einem hoch aufgerichteten Fasse
im hintergrunde des Baumes, den
dlendende Kieniaaeln erleuchteten,
stand ein alter Zigeuner, mit dem Fie
delbogen mächtig seine Geige bearbei
tend.
Um ihn bar tanzten jubelnd wilde
Gestalten, Männer und Weiber —
während ein Dutzend halbnackter Kin
der sich, an der Erde liegend, seitwärts
um einen Kessel schaarte, den eine alte
Frau bediente. Der Hunger und die
Erwartung sah aus ihren listigen Au
gen.
Yeicht itveit vom Eingang aver, vom
Kienspan grell beleuchtet, stand einsam
sund von den Anderen unbeachtet ein
Mädchen —- grofz, schlank und von
seltener Schönheit Der Teint, ob
wohl noch dunkel genug, war denoch
heller als der ihrer iigyptifchen Genos
fen, aufgelöst fiel das üppige, lange
Haar übe-r den Rücken hinab.
Was mich in tiefster Seele bewegte,
war der trostlose Ausdruck, mit dem
diese merkwürdigen brennenden Au
gen in den vvn Blitzen zerrissenen
Nachthimmel schauten.
Was mochte in sdiesem jungen, zu
allen Freuden des Daseins geschaffenen
Wesen vorgehe-it
Nachdem ich eine gute Weile die lar
menden Seenen in der Evdhöhle be
obachtet hatte, tündigte ich mit der mir
nothwendig erscheinenden Vorsicht den
Zigeuner-n meine Anwesenheit an, in
dem ich mich etwas vom Eingang der
Srdhödle entfernte, und irgend einen
Renten rief
Sie hörten mich endlich. Vonfichtig
und mißtrauisch tamsen lsie näher »- da
see jedoch einen einzelnen Mann sahen,
wurde ich gastfreundlich empfangen.
Nahrung Feuer unsd ein Lager erhielt
ich bald und Cardovilla —- so nannte
man »das schöne Mädchen, brachte mir
einen warmen Nachttrunt und ließ kein
Auge von mir.
Jm Morgengraum suchten meine
um mich desovgten Leute den Forst ab.
Als ich von »der Zigeunerbande mich
verabschieden wollte, bettelte Pettytarv,
ilyr Anführer, um hundert Sachen aus
einmal. Der schönen Cordvvilla zu
Setzt-e versprach ich, Mancharlei zu sen
Sie und ein Begleiter tamrn Abends
aufs Schloß und holten »das Zuge
fagte. Jhre teuchtenden halsbverschlei
erten Augen entflammten heiße Liebes
sehnsucht in meiner Brust. Die Bande
blieb in der Höhle und ich fand bald
Selegenkheit, Cardovilla da unsd dort
disk-zisch zis- sie-p
»Ich liebe Dich, —-- heiß und innigJ
Abgvtt meiner Seele« s— so tagte mit-;
das Mädchen —- »ach, könnte ich meiner I
Umgebung entfliehen. Meine Mutter?
war ein gestohlenes Pattbzietlind, und»
ich selbst hasse diese toll-den Gesellen, die;
mehr zu fürchten sind, als Du ahnst. —:
Wisse, man hat mich dem Den-iu, Ei
nem der Band-e, zum Weibe verspro
chen! Weigere ich mich, wird es mein?
Tod seini« !
Mit dem Küssen zärtlichstet Liebe!
beruhigte ich vie Gedugsngte. Wi: ver-;
obre-deleti, daß ich mit Carvovilla ent
fliehen. und sie zu meinem rechtmäßi
gen Weibe machen wolle. Den St.
Stefanstag, wenn Alle im wüsten Tau
mel sich drehen würden, hatten wir für
die Flucht ausersehen
Ich erinnere mich-der seltsam fragen
den Blicke, mit denen Du, geliebte
Schwester meine zunehmende Unruhe
betrachte-kein
Am andern M suchte ich die
Bande aus« Jch hatte sdie Absicht, Pet
tyfaw sei-n Gntelkintn Ladentisch te
geltecht obsolet-Mem In ver Dshle bot
Hch mit ein häßlicher Anblick: Männer
. und Frauen völlig berauscht, und unter
ihnen Milan von Poschedcs.v, der mit
roher Gewalt Liesbtosunsgen von Car
: dooilla erprefsen wollte.
Der Zorn unsd die Eifersucht ver
liehen mir Riesenträftr. sJch packte den,
der meiner teuschen Schwester Liebe be
saß und warf ihn in weitem Bogen aus
der Höhle. Knirschend vor Wuth kroch
er davon. »Das gedenst ich Dir!« fchr e
er und ballte mir drohend die Faust.
Als sämmtliche Bewohner der Höhle
in tiefern Schlummer lagen, schlichen
wir davon. Jch Kerl-arg Cardovilla im
kleinen Pavillon des wPartes zu wel
chem nur ich den Schlüssel besaß. Jn
fieberlyaften Eile traf ich alle Anstalten
zur Flucht Ein Reisewagen, tden ein
vertrauter Diener lenkte, stand bereit.
Mit dem frühesten Morgen lief ich
hinunter in den Part. Einer Ohn
macht nahe, taumelie ich zurück. Die
Thür des Paoillons war eingeschlagen
— das Häuschen leer.
Als habe er mein Kommen hier er
wartet, so fah ich Milan von Pofche
sduw an der Partmauer vorüberreiten.
»Das Vögelchen ist aus-geflogen!"
Er lachte scharf und gellend auf und
lgab seinem Pferde die Sporen, daß es
davon flog. Wie rasend stürzte ich zur
Wildschlucht —- —— die Zigeunerbande;
Iwar fort — von Cardovilla leine;
sSpun
T Wie ein Wahnwitziger durchsuchte ich
lmeilenweii die Gegend! Denn daß
man Cardotvilla gewaltsam davonge
schleppt, und der elende rachsüchtige
Milan die Hand dazu geboten, war bei
mit zur Ueberzeugung geworden. In
qualivollster Stimmung durchlebie ich
so drei Tage.
I
« Die Buchse im Urm. »das Mener zur
Seite, wanderte ich am vierten Morgen
in den goldenen Sonnenschein hinaus.
Da ssiel mein Blick auf die in den Sand :
am Rande des Waldbaches deutlich ge- i
drückte Fährte eines Hirsches, und ne
ben dieser Fährte sah ich die sest in« den
vom Regen nassen Sand gepreßten
Fußtapsen nackter Mensschmfüße.
Das schien mir seltsam. Der Jäger
erwachte in mir, und ich verfolgte diei
Fahrt-, hager-tun hegt-wo —- plötzrich,1
keine hundert Schritt von mir entfernt,J
sah ich einen starken, großen Sehnen-den s
dessen Geweiw ssich ins eine Gruppe
Krummholz ver-sangen hatte. «
Er lag mehr, als er stantd, und ans!
seinem Rücken —- groszer Gott! —- der
blutige, zerschundene Leichnam meiner
Cardovilla. Die Unmenschen, Bettv
lary unsd Genossen, hatten mit starken
Stricken die Abtriinnige ihres Stam
mes an das gesangene nnd wieder in
den Wald gesagte Thier gefesselt.
Eine tiefe Ohnmacht umnachtete
meine Sinne. - · .
Als ich wieder zu mir lam, lag ider
Hirsch halb verendet noch aus derselben?
Stelle. Jch zog mein Messer und gab
ihm den Fang.
Aus dem kleinen Dorflirchhose habe
ich Cardovilla unter weißen Rosenhü
schen begraben. Kein anderes Weib
wird mehr an ihre Stelle treten
Daß ich Milan von Poschesdow dann
gefordert und ihm den linlen Arm zer-;
schmettert habe, das ist Oir betannt.j
Sein Besitzthum gerieth unter den»
Hammer; um sich vor sder Armuth zu»
retten, heirathete er eine alte, reiche Ba
jarin.
Als-Du plötzlich in’5 Kloster zurück
slohest, meine Schwester, blieb mir
nicht Zeit, Dir meinen Schmerz und
das erlebte Leid «an31wertrauen. Jch
sthue es nun, nach vielen Jahren· Jch
iweisz, meine Jlla —- Du verstehst und
sbetlagst mich tief.
Das Leben hat siir uns Beide, Dich
unld mich, nur Dornen Und Disteln ge
habt. Mit innigem Kasse
Dein Bruder Egon.« —- ——
Jn sdiaser stürmischen Nacht mochte
ich teine Alten mehr lesen.
»Am Nachmittag des nächsten Tages
tasm Graf GnertnasnXelllmassy von sei
ner Busdaitester Reise zurück
Er glich nur noch dem Nest-hatten sei
nes Jugendbildes, das ich im Speise
zimmer gesehen: die Gestalt von hohem,
schlarften Wachse, ein« bleichestesichh
langen Idunstlen Vollbart und zwin
aensde Auge-n —- aber mit einem ganz
besonderen Stich in’s Trostlose.
-....-. ....... , .«..·.,.
Die Katastrophe auf dem Cho
dynfki.
Zu der entsetzlichen Katastrophe auf
dem Chodynssti-Felde, die so futchkbar
unerwartet ihren Schatten auf den
Glanz der Krönungsfesklichteiten warf,
entnehmen wir den ausführlicheren Be
tichten der Restdenzblättek und der
Moskauer Presse nachstehende Daten,
die einen Gefammtblick über den Ort
des Voltsestes und die näheren Um
stände der Ratsstropthe gestatte-m Wie
daraus zu ersehen.ist, sbefand sich der für
das Vobtsfkst bestimmte Theil des
ChodynstäsFetdes ungefähr gegenüber
dem WiiWalaiQ in dem das
I
Kaiservaar vor dem feierlich-en Krön
Angs- Einzug abgestiegen war; der
Feitplatz umsosyte einen Flächenrazi m
von 25, 000 Quadrai-Faden unid wurde
aus der einen Seite von der Weins-darg
Mosåtauev Chaussee, liwts von dem
Platz der ehemaligen Ansstellung von
1882 und aus der den bei den anderen
Seit-en von den unabsehbaren Rassenle
chen sdes riesigen Cshodynsli-Feldes »be
grenzt. Das sC«hodynssti-Feld, das
hinter dem Tswerschen Thor (Tiverstia
ja Sastawa) beginnt, ist ans der Seite
der Petersburg-Mostauer-·Ehaussee
von ein-er Reihe soon Landhäusern einge
säumt, welchen rsich sodann der große
Petrow’sli-Parl anschließt; im Süden
wird das Feld von dem Verbindung-s
zsweig der Petersdurger und Smolens
tet Eisenbahn abgeschlossen und zwi
schen diesem und dem Palais liegt der
Ren«nplatz und (l)art an der Chaussee)
der Platz der Aussiellung von 1882.
Das Cshodynsti-Feld dient im Sommer
als Lagerplatz und Manöverseld fiir
die gesammten Truppen des Moskauer
Militärbezirts und danach kann man
seine Größe beurtkyeilem Das Feld
stellt teine glatte Ebene dar; nament
lich die zu Chaussee unsd zum Festplatz
näher belegenen Theile des Feldes sind
von Gräben und Kanälen und förm
lichen Schluchten durchzogen. Eine
dieser Schluchten war auch die unmit
telbare Ursache der großen Katastrophe.
Dieser Vertiefung ist ca, 10——20 Fa
den breit und zog tsich ins-einer Entset
nusng von etwa 30 Faden svosn der Um
ziiunung des Festplatzes quer üsber das
Feld hin, aus dem die Volksmassen
-hierandrängten. Es ist möglich, daß
diese Schlucht die 2 Faden ties ist, noch
,aus dem Jahre 1775 stammt, wo gerade
lin derselben Gegend des Choydski-Fel- "
Fdes die Feier des Fruedensschlusses mit
den Türken (Kutschum- Kaisknardsch
HFriedem mit einem kolossalen Volks
seste begangen wurde. Wie die Histori
ter berichten. waren damals auf Cho
.dnns7ti-Felde riesige Teiche und KanäleT
gegraben, die das Schwarze und das
Asoiosche Meer darzustellen hatten und;
auf welchem Schiffe, Festungen etc. zu
sehen waren; es wurden hier -v:«rschie
dene Momente aus dem eben beendig
ien tiirtiichen Kriege veransschaulicht
Vielleicht stammt die Schlucht, von der
in den letzten 1.lnalücls-Botschasten die
IRede ist, noch aus jenen Zeiten.
: Das Volk hatte sich bereits am Frei
ziag Abend zu dem Fest, das am Sonn
labend urn JOUhr beginnen sollte,arnfges:
Imacht. Von allen Enden der Sattt und
Ider Umgebung, aus allen benachbarten
FIabrilen und Dörsern zogen die Mas
sen in di chten Schaaren, alle Cbausseen
und Landwegse überschwemmend, auf
das Feld und Hunderttausende ver
bracht-en die Nacht mit Weib und Kind
im Freien. Das ganze riesige Feld
war ein Lagerplatz geworden, »aus dem
Iunzahlige Feldfeuer brannten; von
Iallen Seiten ertönte Gesang, Harmo
nita -Spiel, Gelächter und heiteres Po
Itnliren tm Grünen Dieses Vollslager
iumgab von brei Seiten den eigentlichen
’Festplatz, der natürlich gesperrt war
und erst um 10 Uhr Morgens geöjjnet
Hverden sollte.
I Der Fest-plus umfaßt genau 25,000
sQuadrahFaden und uvar mit zahlrei
chen zum T«hei«l sehr hübschen- und effekt
vollen Gebäuden bedeckt An der Pe
tersburg-Moslauer Chausssee war dem
lPetrowtstisPalais gegenüber der tat
serlichesPavillan errichtet, ein wunder
hübscher, im altrussischen Stil gehalte
nerzweistöckiger Holzbau mit einem
Kuppeldach und seiner breiten, husbschen
Estrade im zweiten Stock. Von dieser
Estrade aus schaute das Kaiserpaar
mit seinen Gästen dem Vollsfeste zu
Rechts und lints ivom Kaiser-Padillon
erhoben sich szwei Tridünen mit je 400
resenvirten Plätzen sür die iibrigenf
Gäste und weitevhin zogen sich zwei rie-j
sstge Tridiinen mit je 4300 Plätzen fiir
das Publikum Diese Plätze wurden
verkauft Eine Log-e kostete hier 25»
bis 40 Nubel, ein Platz hinter den Lo
gen 10 RubeL weiter hin-Auf 2 bis 5
Rubei. Durch diese Trisbünen wurde
der Festutatz an der ganz-en Linie der
Chaussee abgeschlossen An der linslen
und an der rechten Seitenlinie des Fest
platzes zogen Jsich die Reihen der soge
nannten Buffetts hin, und zwar an der
linten, zur Stadt näher gelegenen Seite
Buffets für das Volk, das aus den
und an der entgegengesetzten Seite 50
Bufsetss für das Volk, das aus den
umliegenden Dörfern und Fabriten
heranziehen aviirdr. Diese Buffets wa
ren start gebaute hölzerne lBudcm in
welchem dte sitt das Vol-i bestimmten
tleinen Bündel mit der Festmahlzeit
ausgestapelt lagen. Zwischen den Bu
den befanden ssich die Eingänge zu dem
Festplay und aus den Buben-Oeffnun
aan ersielt jeder Msirende das Ge
schenk. Alle Baden befanden sich auf
beiden Seiten unter gemeinsamem
Dach. Was die viel-begehrten Bündel
anbetrtsst, so bestanden lsie aus einem
bannt-vaenn- faudigan Tuch, das in
H
der Mitte mit der Abbildung des Krean
unsd an den vier Ecken mit dem Reichs
wavpens verziert war; in dieses Tuch
war ein Weißbrod (1 Psunsd), z Pfund
Wurst, Z Pfund Nüsse und Konsett in
Extra-Bitten mit dem kaiserliche-n Mo
n«ogramn1, ein großer feffersluchen und
ein sehr bübisch-er etallbecher mit
Grimme-Schmuck in drei Farben einge
bunden; in jedem Bündel befand sich
noch eine kleine Broschüre mit dem
Programm des Festes wnd der Vorstel
lungen. Jeder Gast erhielt außer dem
Bündel noch eine Flasche Bier oder
Meth nach Wunsch, die er sich an einer
unabsehbar langen Kette der Bier- unsd
M«eth-Busfets holen konnte. Diese
Bier- und ITtltetlHBussets schlossen den
Festplatz von der vierten Seite asb. Auf
dem Festplatz selbst erhoben »sich dier
schön gebe-MS elegante Theater mit
offen-en Bühnen, -wo ununterbrochen
Vorstellungen gegeben wurden, ein rie
siger Ei rcus in der Mitte mehrere Klet
terstanaen und zahllose Karussels, Or
chester-Gnaden u s. w.
i bannte,
Um 4 Uhr Morgens war bereits auif
dem C«hodrynsti-«Fel"de Alles aqu den
Beinen und nun begannen die Hundert
tausende zum Festplatz chin svorzaedrim
gen. Je näher die Massen kamen, desto
dichter wurden die «Schaaren, und bald
begann das unbeschreibliche, entsesliche
Gedränge. »Es war namentlich furcht
bar auf der linken Seite von den
100Buffets H ter spielte sich denn auch
Idie beispiellosse Katastrophe a-b. Sie
Ipcustsirte zwischen 6 und 7 Uhr Morgens.
Kopf an Kopf, in fürchterlich-er Hitze,
entsetzlich drängend, sriictten die Hun
derttausende sheran unId nun mußten sie
c. 30 Faden von der Buden-Reihe ent
fernt, die bereits erwähnte zwei Faden
tiefe Schlucht passiren Wer hier fiel,
wurde sofort non »den Nachdrängsenden
unter die Füße getreten-—und die Men
schen fielen hier zu Hundert-en! Von
der 23. Bude befand sich zudem in der
Schlucht noch »ein tiefer breiter Brun
nen, der mit einigen Brettern zugse deckt
war, diejedoch bald eingedrückt wur-.den !
Dieser Unaliicksbrunnen wurde das»
Grab von 28 Menschen; zwei der Un-J
glücklichen wurden noch lebendig her-·l
ausgezogen, saber in Grauen erregendem «
Zustande. Viel-e stürzten übrigens nicht
nur von den Adhängesn der Schlucht,;
sondern wurden in dem bierstiinsdigen
Gedränge ohnmächtig; ssie war-en ret-;
tungslos sverloren. Arn meist-en sind
Frauen und Kinder verungtiictt; aber
auch baumlange, kräftige Männer fan
den in der entsetzlichen Enge den Tod.
Es kamen auch Fälle ganz wunderbar-er
Rettung bor. So waren z. B. Mann
und Frau an einer Stelle zu Tode er
drückt und unter idie Füße getreten,’
während ihr ivierjiihriges Töchtsercheti
auf den Köpf-en und Schultern der
Masse über die gesihrlichste Stelle hin
wegtam und unverletzt aedliseben ist!
»An den meisten Leichen ist der Erstick
ungstod zu tonstatiren. Die Leichen
wurden später, als gegen 8 Uhr die Po
lizei wieder Ordnuna geschafft hatte,
auf den benachbarten Waaanlsii-3’fried
hof übersü-,hrt wohin Tausende des
Vobkes szoasen, um Verwandte und Be
dke vermißt wurden, auszu
ksuchen
Unmittelbar svor den IBuben rnit denE
Bündeln spielte lsich ein-e neue Kam-!
strophe ab, Die zum Glück nicht so furcht-»«
date Dimensionen annahm, aber gleich
falls tvielen Hunderten das Leben ko-«
stere. Wie die »Pet. Gas« schreibt, pas
strte diese Zweit-e Kataltropkke nur, weil
sdie Beamten, welche die Bündel zu ver
theilen thattem Unter dem furchtbaren
Ansturni der Volks-messen nnd um die
Stauungen zu verhüten, die Bündel
nicht nur den Nächststehenden einstweil
etn, sondern in die Massen hineinzu
wersen begannen. Das Voll beganni
sich um die fliegenden Bündel zu reißen,l
;Vie1e bückten sich, Hm ein-Bündel auszu-;
Ishebem wurden uns-gestoßen und nieder--i
zgetretem und so bildeten sich schließlichs
Haufen von Leichen . . ..
Gegen 8 Uhr gelang eö schließlich,
Ordnung zu schaffen, und in oern Volk
selbst trat Der Rückschlag ein. Die Gier
war verraucht und zude. hatte die
Botschaft von dem entsetzlichen Unglück
bereits die ganzeMasse vuvchflogen und
nun machte sich Alles an die Rettung!
der Verlsetzten und an die Biergung der·
Leichen. Bis zum Nachmittage zogen
Sanitäts-Militär-Fnshren und Feuer
wehr-Wagen mit Berg-en von Leichen»
gom Fest-platzt zu dem Waganiki-Fried
of.
Bemerkenswerth ist es, nach der «Pet.
Gas.«, daß die ganze Katastrophe nur
auf einem sehr beschränkten Raum,
nicht auf der ganzen sLinie der Buben
paslsirte Sie spielte sich hauptsächlich
um den Brunnen vor der 28. Bude in
der erwähnten- Schlucht ab; hier kamen
ins kaum 15 Minuten Hunderte um«
während einige Faden weiter nur ein
mäßiges Gedränge herrscht-e und kein
Unglücksfall passirt ist.
Die Kunst- einen Gläubiger los
zuwerden.
»Klein-e Künste« sbetitselt sich eine
Plauderei im Neuen ,,«»Psest«er Journal«,
die den« kaum norhmendigsen Nachweis
führt, daß die Frau in gewissen Fines
sen des Lebens dem Manne überlegen
s.i, und u. A. folgende Episwde zum
Besten giebt: Wie eine Frau ohne alle
Vorstudien Gläubiger abzufertigen
versteht, wird ein Mann niemals zu
lStsna de bringen. Bei einer schönen
,und eleganten Dame meiner Bekannt
schaft hatt-e ich einmal Gelegenheit, eine
interessante tleine Scene zu beobachten.
Wir führten gerade eine sehr unter-halt
»liche Diskufsiom als das Stubenmäd
chen eintrat. »Was giebt ess« fragte
die Fr-au. ,, Der Wieinshändler ist
da —,,Schicken sSie ihn sort!«
—- »Nicht möglich Ersfagt, er sei schon
sviermal hier gewesen und gehe nicht
fort, bis. — »Gut, lassen Sie ihn
sei«n-tvet.en.« Ein kleiner, dicker Mann
mit turzgeschorenem lHaupte, stark ge
röthetem Gesichte und wüthigen Blicken,
eine Rechnung in der Hand, betrat das
Gern-ach.
; Die-Dame erhob sich nicht vorn Sitze.
«,,«Ach, Siesmd es, lieber Herr . . . . Gut,
daß Sie kommen, da brauche ich nicht
hinüber zu schicken. Der Arzt hat mir
nämlich guten, alten Vordeaux ver
schrieben, haben Sise so etwas auf dem
»Lager?«
s »Ich shätte schon, aber —« ,
; »Gut, so schicken Sie mir zur Probe
Zwölf Flaschem Und was ist denn mit
unsere-r Rechnung? Warum schicken
Sie uns nicht die Rechnung?«
»Ich war-schon svisermal hier -——«
»Ich habe teineRechnung zu Gesichte
bekommen-. Apropos, wer war die hüb
sche jun-ge«Darn-e, mit der wir Sie jüngst
gesehen hab-ens«
»Meine Braut —«
»Ah, Ihre Braut! Da haben Sie
wirklich einen guten Geschmack bekun
det! Ein reizen-des Mädchen, so ssittsam
und so bescheiden! IDas ist recht, daß
Sie heirathen. »Er-it jüngst tadelte es
eine meiner Freundinnen, daß sein se
scher Mann, wie Sie, ledig-bleiben will.
Ganz in der Ordnung, daß Sie auch
Jshre Meisterin gefunden haben. Sie
werd-en uns doch Jhre Frau vorstel
len?«
»Wenn Sie wünschen . . . . aber darf
ich nun bitten —- die Rechnung!«
»Ab, die Rechnung! Jch werde sie
durchsehen —« ·
»Ich brauche das-Geld sehr nöthig-«
»Sie brauchen das Geld, Sie Anm
siserl Geh-en die Geschäfte so schlecht?«
»Das gerade nicht, doch —«
»So hat es ja bis zum Ersten Zeit.
Oder besser, wir lassen die Sache bis
zum Halbjahresschluß. Und wenn Jchr
Bordeaux wirklich gut ifi, so können
Sie mir zwei Dutzend Flaschen schicken.
Griißen Sie mir Ihre Braut!«
»Wo sind wir g-eblicben?« fragte die
Dame, als sich der Weinshändler darauf
etwas verlegen und ärgerlich, doch unter
Bücllingen entfernt hatte. »Sie glau
ben also, daß man Bourget nur ver
steht, wen-n . . . .«
Nun zeiae mir » iner einen Mann,
der fähig wäre, einen erbosten Gläubi
ger so unbefangen, grsaziös, gutlaunig
nnd gründlich abzuthuin, wie diese
Dame, die nach der stören-den Espisode
sofort wieder mit aller Frische des Gei
stes die Diskusision ·ii-ber »die heiklen
Stellen des Bourget aufnahm·
Batnnin und Nikolaus-.
Jin dem jüngst veröffentlicht-en so
zial-politischen Vriesroechsel Michael
Vatuininks mit Alex-ander Herzen und
Ogsarjotv (6. Band »der Biibliotihsek rus
ssicher sTsenkiviirdigsteitem Stuttgart,
Cotta) ist auch ein Brief Batunin’s vom
8.1Deszember 1860 aus Jrkutsk abge
druckt, in welchem der russische Revolu
iionsär seine iErtliebnisse in der Peter
Vsaul’s-Fest·.1ng und in Schlüsselburg,
sowie seine merkwürdig-en Beziehungen
,zu Kaiser Nikolaus l· schildert. —
Nach dem DressdnerAufstande im Mai
1849, bei welchem der russsische Ver
schwörer eine sehr hervorragende Rolle
gespielt hatte, wurde er ergriffen und
Isaß danin idem August dieses Jahres
Tibis zum Oktober 1850 zunächst auf dem
Königstein, später in Prag und Olmütz
iin sehe sschrverer Kerkerhaft, bis its-n die
österreichische Regierung-, nachdem sie
ihn zum Tode verurtheilt -iyatte, der
russischen auSlieserte. »Im Mai 1851:
wurde ich nach Rußland in die Peter
·Paul’s-Fsestung gebracht,« schreibt
iBsatuniin in dem angeführten Briefe,
,on ich drei Jahre verbrachte. Etwa
Zwei Monate nach meiner Ankunft er
schien Obei mir Gras Orlow im Namen
des Kaisers: »Da Kaiser bat mich zu
Ihnen geschickt und smir aus-getragen,
Jshnen Folgendes zu sagen: »Sage ihm,
daß ee mir wie ein geistlicher Sohn an
seine-n aeistlichen Vater schreiben soll«
—- wollen sSie also schreiben?« Jch
dachte etwas nach und süberlegte, daß
ich bei ösentlicher Gerichtsverhandlung
meiner Rolle bis zu Ende treu bleiben
müßte ; aber szwischen vier Wänden. in
der Gewalt ein-es Bären, dürfe ich,
ohne mich zu schämen, 1die Formen milo
dern, unsd daher ersuchte ich um einett
Monat Frist, willigte dann ein unsd vevcs
faßte in der That ein-e sArt Beichte, ein«
wa in der Art boin Dichtung und Wahre
heit. Meine Handlungen warens übri
gens so offene, daß ich nichts zuber
jhehlen brauchte.
i Nach-dem ich dem Kaiser in gebühren
den Aus-drücken fiir seine leutselige Auf
merksamkeit gedanslt, fügte ich hin-zu
,,Majestät, Sie wollen, daß ich Ihn-en
meine Beichte niederschreibe, gut, ich
werde isie schreiben, aber Sie wissen
doch, daß bei einer Beichte Niemand fiir
fremde Sünde-n Buße thun muß. Nach
meinem Schiffbruch-e blieb mir nsur ein
Schatz, die iEhre usnd das Bewußtsein,
»daß ich Niemand ver-rathen, vder mir
vertraut hatte, und daher will ich Nie
mand bei Namen nen-n«en.« Darauf
schildert-e ich ihm mit einigen Ausnah
men mein ganzes Leben im Ausla«nsde,
mit allen Plänen, Eindrücken und Ge
fühlen, wobei es nicht ohne Iviele be
ilsehrende Bemerkung-en über seine innere
usnd äußere Politik abg-ing. — Mein
Brief, erstens im Bewußtsein meiner
scheinbar aussichtslosen Lage und zwei
tens in Anbetracht des energischen Eiha
rakters N»ikolai’s tberfaß-t, 'war sehr ent
schieden unld kühn, unld eben darusm ge
fiel er ihm. Und wenn ich ihm wirklich
für etwas dankbar bin, so ist es dafür,
daß ier nach Empfang meines Schrei
bens imir keine Fragen mehr stellt-M
Nach Herzen, sagte Nikolaus, nach
dem er Batunin’s Bericht gelesen: »Er
ist ein kluger, braiber Kerl, aber ein ge
fährlicher Mensch, man muß ihn hinter
Schloß und Riegel halten«
Backunsisn fährt sdann in seinem Briefe
über seine fern-even Schicksale fort:
,,Nachdem ich drei Jahre in der Peter
IPaul’s-iFest-un.g zugebracht, wurde ich
bei Beginn des Krieges im Jahre 1854
nach Schüsselburg gebracht, wo ich !wei
tere drei Jahr-e saß. »Ich bekam den
Musn dbrsasn-d, unsd alle sZähnse fiel-en lmir
aus. Schrecklich ist die lebenslängliche
Gefangenschaft, das Leben ohne Ziel,
ohne-Hoffnung ohne Jntersse hin-schlep
pen zu müssen! Sich täglich sagen zu
müssen: »Heute bin ich dummer ge
worden, und morgen werde ich noch
mehr «verdu"msmsen!« Wegen des schreck
lichen Zahnschmerszes der wochenlang
anhielt und wenigstenszwieimsal ism Mo
nat w-Eederkehrte, konnte ich weder bei
Ta gnoch bei Nacht schlafen, mir-b wasich
auch that, was ich auch las, sogar wäh
rend des Schlases wurde ich von einem
beunruhigenden Schmierzgefiihl in Herz
undLeber Von dersixensteegepeinilgk
ich sein ein Sklave, todt, Kadasvet Doch
verlor ich den Muth nicht; wäre in mir
das religiöse Gefühl noch Vorhanden
gewesen, so swäre es in der Festung
gänzlich sdsernichiet worden. Jch wünsch
te nsur Eines: unlversölhnlich und un
veräinidiert zu bleiben, ohne resignirt
zu wer-den, ohne mich so weit zu ernied
rigen, daß ich in irgendwelcher Selbst
tiiuschung Trost such-te; ich wünschte
nur, bis an mein Ende ganz und voll
das heilige Gefühl des Aufruhr-s zu be
wahren·««
Beim Tode Nikolaus I. scheint Ba
kusnin jedoch einer Selbsttäuschung
Trost gesucht zu halben, nämlich in der,
daß der neu-e Kaiser ihn bei der Krön
ung begnadigen werde. Alexander
ll. aber strich Ibei dieser Gelegenheit
eigenhändig den Namen des Verschwö
res aus der ihm Vorgelsegten Arme-stie
liste uind sagte zu sein-er Mutter, die ihn
um Begnadigung ihres Sohnes san
flehte: »So lange er lebt, Madame
wird er niemals frei sein.« Jn diesen
Punkte erwies sich sfreilich der Cear all
kein auter Prophet. Als er Bakunii
die Wahl zwischen fsernerer Festunsgss
haft und Ver-bannuna nach Sibiriesn
life, zögerte Jener kein-en Augenblick,
das Letztere zu wählen, und im Jalhsre
1861 aelang es ihm ohne große Gefahr
nnd Mühe, aus seinem ,,ern)-eiterten
Kerker«, trie Arnold Ruaze sich aus
driickte, zu entkommen.
Beißendes Bonmot.
»Sag’ mir aufrichtig, wie gefällt
Dir mein-e Büste2«
»Man ksakm wohl sagen, »Die
Büste«, aber nicht »Das sbiste!«
. -O—————-—-—
Auf dem Wasser.
Gr: »Wenn wir nicht im Boote wä
ren, würd-e ich Sie küssen!«
Sie: ,,Au-gensblicklich fahren Sie mich
a(n’s Land, mein Herri«
— ————————— M-- —-—--——
Uebereilung.
Gast (der aus eine-m Wirthshause
hin-ausgeworfen wird): »Ist das eine
Pressirerei.. . nicht ein«-mal Zeit hat
man, gute Nacht zu sagen!«