Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 10, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    Lederstrrmpf.
t Von meinem Fenster aus sehe ich
T r die Dächer weg in einen iherrliche-n
. tten. Besonders im Mai ist der A-»
Uick betauschend schön. Die weißen;
ern-d rothen Blüthen der Kirsch- und
Psinsichbäusme heben sich prächtig von
M fangen Grün ab, und dieses wie
der von dem dunklen Hintergrunde der
Kiefernhakde die sich weithin erstreckt.
Mitten ismGarten steht aus einer kleinen
Anhikhe eine Gruppe ivon Schwarztan
sen und Birken, die das ganze Bild mit
Quem shellgriinen Lasusb an den tief
herabhängendensweigen beleben. Wenn
die Sonne unter-gegangen ist, ver
, schwinden die Farben, nnd man sieht
sur die sest nmrissenen Wipsel der Kie
Yz fetntsich vorn Nach-thili abheben.
Aber andere Schönheiten bieten sich
dar, »die der helle Tag mit seinem wir
«" ten Geräusch nicht duldet. Von fern
, Zwar shört man noch in bestimmten
« wischenrämnen das Brausen der Ei
errbahnziige, und hin und wieder tönt
J aus einem der Nachbarhöfe eine Men
-«« i chenstirnme oder das Bellen ein-es Hun-i
. s herauss. Aber dann ist es ganz still(
f und das geheimnißvolle Schweigen der(
Nacht hüllt Alles ein. Jn ruhig-er
T Nach-i strahlen die Sterne und die gan- i
FeWeltscheint entschlusmmert wie in
Dornröschens Schloß. Aus einmal
sird diese erhaben-e Stille durch lang
-«.»;, Mgmh sehnsüchtig-e Töne unterbro
. Das ist der Nachtigall Gesang
Dann belebt sich die sduntle Welt um
sich herum mit allerlei lieben Gestal
., sen, nnd in der Erinnerung seiere ich
frohe und ernste Feste des Wieder
f sehens.
Am liebsten taucht mein Blick in
solcher Stunde in die ferne Vergangen
«t meines Lebens, und in stillen
räumen ziehen Bitt-er ans meiner
äurgendgeit noch einmal an mir vorü
Wieder bin ich der ausgelassene
Knabe, dem stein- Zaun zu hoch sund kein
Graben zu breit, und stolz höre ich auf
den Namen Untas, den mir mein-e
Freunde einstimmig zuertannt haben.
Und aus dem Schatten tritt eine selt
same Gestalt hervor, mit langen grau
en haaren und seiner großen goldenenj
Brille, hinter der ein paar düstere Au- ;
gen funkeln. .
Oh, Lederftrumpfl Ja, es ist »der
Ute Lederstmmpf selbe-et Er trägt im
Ier noch sein dunkekbraunes Um-»
Ichkagetuch über der Schulter und die
ofze schwarze Tasche an der Seite.
der Hand hätt er allerdings nicht
die nie sehtende Büchse, sondern nur
ein harmloses Schmetteriingånetz.
Seine Beine find bis zu den Knieen mit
dunkelbraunen iedevnen Gamaschen be
kleidet. Darum nannten wir ihn spöt
tisch Lederstrumpf.
Wir begegneten ihm häufig aus un
sern Streiszügen in der Umgegend
Ehrlich gesagt, wir fürchteten uns vor
ihm, denn er sah immer so finster aus«
nnd wir dämpften unsere Stimmen,
wenn wir ihn in den Büschen erblickten,
wo er aus Jagd ging.
»Du, Unka5,« sagte eines Tag-s
mein Freund Fritz hiervius zu mir,
«möchtest Du »dem wohl ein-mal allein
begegan«
»Du würdest Dich wohl fürchten,
große Schisange?" erwiderte ich.
»Pah, fürchten! Die große Schlan
ge fürchtet sich nie. Soll ich ihn ’mal
rufen?«
Und als ich damit einverstanden
war, sehte er bei-de Hände an den Mund
und rief erst leise und schüchtern, dann
immer lauter: «Lederstrumps! Leder
emmpfx« · - , »
Zuletzt rief-en twir Beide um Die Wet
te. Aber Lederftvmnpf kehrte sich nicht
daran, und triumphirend sahen wir
sue-s ob amtierer Heldenthat an. Dieser
same blieb an ihm haften; wer und
Das der Mann aber war, wußten wir
t.
Einige Zeit dara-uf.ging er an un
. em Fenster vorüber. ,, Liebe Mut
,« tief ich, ,,-da geht ja der Leder
stwmpf!«
Meine Mutter fah ihn Und sagt-e:
»Ich dachte mit gleich, daß Jhr den
meint. Der arme Mensch! Jhr werdet
ihn doch nicht ärgern?"
»Was ift mit ihm, Muttee?'· fragte
ich neu-gierig.
»Nicht, nichts, mein Junge, das ist
nichts fiir Dich!«
; »Wuch, Mutter, ich möchte es gerne
k? wissen«
Es »Der Mann ift sehr unglücklich-«
sagte meine Mutter. »Der Mann ist
Its-ast«
»Er sieht doch aber ganz gesund ans
-d läuft den ganzen Tag draußen
. . m. Wie kannv er da krank fein?·'
- »Er ift krant,« sag-te meine Mutter
T e ernst und küßte mich auf die
» tim. ,.Laß Dir das gesagt sein, und
zu, daß Ihr ihm nichts in den
t«
Im andere-n Tag hatten wir uns ei
" M stoßasrtigen Uchetfall der Huronen
L
ausgedacht, die in der Nähe des Tars
stiches ihr Lager ausgeschlagen hatten.
Es war nicht leicht, unbemerkt heran
zukommen, und ich hatte es übernom
men, durch den Torsstich zu schleichen.
Zwischen den mit Wasser gefüllten
Torslöchern waren schmale Streifen
stehen geblieben, die mit Gras und
Bachbun gen bewachsen waren.
Diesen Streifen glaubte ich trauen
zu können. Bei einem unvorsichtigen
Tritt riß der trügerische Mantel Bach
bungen und ich lag bis unter die Arme
im Wasser. Nachdem ickxxnich von der
Ueberraschung erholt «hate, machte rnir
der Unsall zuerst Spaß; als ich aber
heraus-zukamen suchte, entdeckte ich zu
meinem Schrecken, daß der Rand über
all abbröckelte, wo ich san-faßte Da
fing ich an zu schreien. aber Niemand
antwortete. Meine Freunde mußten
zu weit entfernt sein. Amgstvoll sah
ich mich um und erbiickte Lederstruinps,
der mit schnellen Schritten sheraniam
«Breite die Arme aus« Junge,« rief
er, »und halte Dich ganz stillt« s
Vorsichtig kam er aus dein schmalen
Pfade so nahe heran, daß er mir den
Reis-en Ides Schrnetterlingneßes reichen
konnte. Langsani zog er mich dann so
weit heraus-, daß ich wieder feste-n Bo
den unter den Füßen spürte. Als ich
ganz draußen war und nun meine
moorbedeckten schwarzen Beine sah,
sing ich laut zu weinen an.
»Nun, nun, mein Junge, es ist ja
weiter nichts,« sagte der Ledersirumpf
sanft und strich mir die Haare ans Der
xStirn »Man-» aber, daß Du rasch
fnach Hause kommst! — Glücklicher
Knabe,'« hörte ich ihn dann murmeln,
»ich sehe es -seinen Augen an, daß er
noch eine Seele hat!" «
»Ja- rannre Io schneu ich ronnre, nach
Hause. Als »sich meine Mutter von
ihrem Schreck erholt hatt-, tkußte ich
Alles noch einmal ausführlich erzählen.
Wie ich aber die That Lederstrumpth
zu rühmen begann, war ich nicht wenig
überrascht, als meine Großmutter mich
auf einmal unter-brach und meiner
Mutter eine große Standrede hielt,
was ich noch nie gehört hatte.
»Ich habe iDir ins-mer gesagt. Ju
liane,« sagte sie, »daß sder Junge noch
einmal Unglück bei seinem Heut-Mol
len haben wind. Nicht genug, daß er
in’ö Wasser fällt und beinahe ertriirtt,
nein, er muß auch noch smit diesem ge
fährlichen Menschen zusammen-kom
men, von dem Niemand weiß, was er
eigentlich treibt. Denn was sie erzäh
len, daß er seine Seele sucht, ist doch
Untsinn. Jch begreife nicht, daß man
solche Mut-schen nicht einfach ein
sperrt!«
Mir aber wurde von nun an aufs
Strengste verboten, mit meinen Freun
den je wieder außerhalb der Festungs
tkhore zu spielen. Wir hätten Platz ge
nug im Garten. So iam es, daß ich
mit Lederstrumps lange Zeit nicht mehr
zusasmmentam. —
sDie Jahre vergingen Die Zeit der
Judihnettämpfe war lange vorüber
und langsam und vorläufig noch wie
spielend trat der Ernst des Lebxnz an
mich heran. Der erste Liebesturnmer
machte mir das Herz schwer. Ach, sie
schien mir unerreichbar, und Keinem
durfte ich mein Leid klagen. Damm
ging ich, twenn der Abend herein-brach,
mutterseelenallein hinaus durchs That
irr das Festunsglaciå, setzte mich aus
eine Bank, die unter einem großen Flie
derstrauch stand, und träumte. Wenn
aber die Nachtigall zu schhaen begann,
weinte ich vor heftigem Schmerz. So
saß ich eines Abends »und hörte nicht,
daß Jemand (tam. Erst als er sich ne
ben mich sehte, sah ich auf. Es war
Ledetstrumps.
Ach, Ledersttumps!« rief ich über
rascht. Er war unverändert geblieben,
mir das Schmetterlings-sieh hatte er
nichtsbei sich.
Wiesen Namen have ich Truhe: ask
gehöri, jun-get Marm," sagte er zu mir
«EZ war eine Gefellfcheft wikder Kna
ben, die ihn riefen, wenthste mich sahen.
Aber ich war ihnen nicht biife darum·
Und einer war darunter, den habe ich
fes-at einmal aus dem Wasser heraus
geholt Der hatte eine Seele, ich fah
es in feinen Augen; aber sie gehörte
ihm, es war nicht vie meinige.«
»Der Knabe war ich,« rief ich, »und
ich kann »diese Gelegenheit nicht vor
ikbergehen ’liaffen, ohne das nachzuho
len, was der thärichte Knabe vergaß.
Sie festen fich fett-er einer Gefahr aus-,
um den unvorsichtigen Buben zu ret
ien, und er lief davon, sinke Ihnen zu
danken! Mein Dank ift nicht weniger
herzlich und aufrichtig. wenn er auch
um einig-e Jahre zu spät konnmt.« Ich
nannte ihm meinen Namen. Er drückse
mir lebhaft die Hand.
»Mein Name kann Ihnen gleich-gül
tig fein,« ern-idem er, ,.er bezeichnet ja
doch mir ein halbes Wesen. Darum
nennen Sie mich nur ruhig Leder
frvumpf. Ich sbiibe Sie dar-um« es ifi
ein lieber Klang fär mäch. Ach, mein
junger Freund, wie-Gange ist es her,
c
daß ich mit einem Menschen so viel ge
sprochen habet Seit meiner großen
Kantheit ist es heute das erste Mal,
und das ist viele Jahre her. Was bor
jdem -war, will ich Ihnen nicht serzählen;’
kaber ich war ein glücklicher Man-n. Ich.
hatte ein Weib und zwei Knaben. so;
wie Sie damals waren —- und sie star-;
—- ich glaube wenigstens, daß sie
starben. Asber wenn sie starben, dann
starben He in einer Nacht. Es muß
wol-l so gewesen sein, beinahe kann ich
mich daraus besinnen. Bestimmt weiß
ich mir noch, sdaß sich aus einem Trüm
merhaufen saß und mit zerrissenen und
verbrannten Kleidern verlohlte Balken
bei Seite schob, um tsie zu suchen. Als
ich nun wieder erwachte sagte der Arzt
zu der grauen Schwester-, die neben
meinem Bette saß: »So, nun ist das
Schlimmste vorüber, und er ist geret
tet!« Die Thorenl was niißte es
mir, wenn sie meinen Leib gerettet hat
ten, und dabei dulteten, daß mir vie
Seele sortslog. Zuerst glaubte ich, sie
hätten tsie nrir gestohlen als ich be
merkte, daß ich keine mehr hatte; aber
das war Unlsrnm was sollte Einer mit
zwei Seelen ansangsenl Dann fiel mir
ein, daß ssie als Schmetterling fortge
flogen sein könnte, und ich kaufte mirj
das Netz, um sie zu fangen-. Jch habej
viele iausewde gefangen, aber alle hat
ten idiese dummen Jnsettenaugen ausi
keinem ihrer Augen sah mich eine Seele
an. Und ich brauchte meine Seele! Wiej
tonnte ich alone Seele um Weib und
Kinder klagen, die ich verloren Hatte!
zDarum suchte ich sie, darum suche ich;
jsie noch! Aber ich werde sie nicht jin
! den den-n nun weiß ich, daß sie in einen
jVogel arschliipst ist daß eine Nachti
lgall meis- e Seele hat! Hören Sie!
I Er hatte sich halb aufgerichtet und
lljorchte mit vorgebeuatern Kopfe nach
dem Busche hin, in welchem die Nachti
gall mit heißer Inbrunst sang. Jch
saß gaan still da und riishrte rnich nicht.
Jch fürchtete mich. Der Mann war
also wahnsinnig das war seine Krank
heit. Gleich daran fuhr er fort, indem
er die Hand san meine Schulter legte:
»Sie werden mir nicht glauben, und
doch miissen Sie es. Hier sitzt Einer
neben Innen, der Keiner ist, eine leere
menschenähnliche Hülle. Einer, der le
ben muß und nicht stets-den kann, weil
er keine Seele hat. Ader auch Sie
können die Jhrsige verlieren, wenn Sie
nicht Acht geben. Nicht ani Tage, son
dern in der Nacht, in der langen ban
Hn Nacht! Darum sehen Sie ani
argen ja nach, ob Sie Jhre Seele
noch haben; am besten ist es; wenn
Sie gar nicht schlafen. Für mich ist es
ja zu spät; aber ich will das wenig
stens nachhvlesn, was ich zu lviel ge
schlafen hobe. Sie aber müssen wa
chen, wachen! Denn Jslynen möchte ich
das Elend ersparen, das ich tragen
muß. Vielleicht können Sie aber beten,
das ist auch sehr gut. Jch kasnn ez nicht,
ich kann nur suchen, ob ich sie nicht doch
noch finde!«
Er sprang auf und eilte fort· Jch
hörte den Eies unter seinen Füßen knir
fchien. Dann war Alles still, auch die
Nachtigall fang reicht mehr. Langsarn
stieg der Mond am Himmel auf, die
Bäume warfen lange Schatten auf die
weißen Wege. Die Thurme-he schlug
eins. Es war Zeit, nach Hause zu
geh-m
Ich habe ilen nicht nicht wieder-ge
sehen. Nach einigen Wochen erfuhr ich,
gäß der Nuhelose seine Ruhe gefunden
tte, .
Wirt-Häufig taucht lfeine Gestalt vor
mir aut, wenniich nächtlicher Stille
die Nachtwall bäte. Aus den holden
Tönen grünt mich die klagende Seele
des armen Lederstrunipf. .
Zigeuner-Rathe
Jn der Awndvämmerung überfiel
mich ein heftiger Regen. Es goß in
Strömen herab, den letzten Tages
schimmer verlöfchend. Neben unserem
e den, bolperigen Landwege rauschte
In Waldbache fein wildes Brausen
iibertiinte das Getöse, das die wieder
prasselnden Wasser-messen auf das
heraufgezogsene Dach meines alten
Reifekvagens verursachten
Trotz des warmen Mai-abends be
qsansn mich unter meiner Reisevecte zu
fröstrln.
»Schlag auf das Handpferd ein,
Eimmerich —- aleich werden wir von
undurchdringlicher Finsterniß umgeben
fein! Nimm die Züqu straff —- das
herrmäaus ten-n nicht sweit fein—!«
Mein Kutschen ein junger Deutsch
Un-ga-r, that wie ich ihm geheißen. Er
ickmalzte mit der Zunge. hieb auf die
beider-. kleinen. stauen Gäule ein. sdaß
sie mit den Hinterfiisisen ausfchluaem
erreichte. aber feine-n Zweck, denn sie fie
len in Galopp·
Bequem war das allerdings fiir mich
nicht« Auf dem ausqefalkrenm tautn
mit etwas Schotter bestreiten Weae fiel
die Kalesche Von einer Seite auf die an
der-e — ganze Stücke aufgeweichten
Moraftes flogen ineir in’s Gesicht, wr
welches ich den Zipfel meines Plaidö
hielt — asber wir tamen vorwärts.
Rechts und links flogen Tannen
victichte nnd alte Eichengruppen an uns
vorüber-um eine schmale Steinhriicke
passirt —- dann einige hundert Meter
einer hohen, mit spitzen Eiferme be
fetten Mauer-, nnd endiich hielt der
Wagen vor dem breiten Gitterthore.
IES war die höchfte Zeit gewesen.
Ganz plötzlich erhob sich ein heulen
der Sturm, der durch die breiten Alleen
und Taxushecken fuhr, die das Herren
haus umgaben.
Innerhalb der Mauer, nahe dem al
ten Portale, über dem in Stein gehauen
das Wappen der Gyertyan-Allnrassh
Katz befand »sich das Pförtnerhäusk
Man fchien nnich erwartet zu haben.
Ein breitfchnltriger Mann in lan
gem, grauem Paletot trat heraus, öff
nete das breite Giterthor und fragte
höflich:
»Herr Rechtsanwalt Doktor
Mark —?'«
»Das bin ich , mein Freund« ———
sagte ich und ibemiihte mich, mich aus
den nassen Umhiillnngen zu befreien
und sichtbar zu machen.
»Die Zimmer fiir den- Herrn Dai
tor ssind feit zwei Tagen in Bereitfchaft.
Der Her-r Graf find zwar noch nicht an
wesend im Schlosse, stommen aber spä
testens bis übermorgen zurück. Kut
fcher —- fahre lints herum um die Von
tainen und dann gleich bei der Rampe
vor!«
Zehn Minuten später war ich in ei
nem wohlvurchwärmten, eichen-holzge
tiifelten, geräumigen Zimmer installirt
Ein langer, hager-er, livrirter Die
ner mit einem wahren Diplomatenge
ficht und den geränfchlofen Bewegun
gen eines Angorataters bracht zwei
große, moderne Lampen, deren gelb
Ieivene Spitzenschirme den in fast puri
tanifcher, gediegener Einfachheit gehal
tenen Raum in mattes, freundliches
ILicht tauchten.
vor mir, aus dem mir der toftliche
Souchong entgegen duftete. Etwas ge
räucherter Lachs, frische Butter kaltes
Geflügel und ge- rösiete Brodichnitten
wurden aufgetragen —- ich griff wacker
zu, weil ich ehrlich hungrig geworden
Ab —! Da ließ sichs wohl sein.
Nachdem ich meinen Appetit hin
länglich befriedigt, nat-n ich eine gute
Ciaarre aus dem prächtigen Lavabe
bölter und blickte an den braunen, ge
schnitzten Wänden umher.
Es war offenbar ein Junggesellen
Speifezimmer, indem ich mich befand.
Außer einer Reihe hocharmiger Ses
sel, einem kostbaren Buffet uno ver-»
schiedenen Rauchgarnituren befanden
sich noch mehrere große Oelbilder da- «
rin: hier Männer in ungarischem Ga-»
lakoftiim, den Kalpal mit der Reiher
feder auf dem Haupte. den netzt-r
brämtrn Attila über sdie linke Schulter
geworfen, in der Faust oder an der
Seite die scharfgeschliffene Dank-see
nertlinsge — Männer iin weißen Allon
geperriicken, wie ssie die damalige Hof
etikette vorgeschrieben, alle aber mit
listigen-den schwarzen Augen, ins den
feingeschnittenen Gastchtsziigen Le
bensluft und Tapferkeit
»Es find die Ahnen des Herrn Gra
fen« — belehrte mich, tsichtlich stolz, in
einem so vornehmen hause angestellt zu
sein, der diplomatische Diener, welcher
eintrat und meinen Beobachtungen ge
folg two-r
Fund das Bildnis des Besitzers die
fes Schlosses, und feiner Familie —?«
JGraf Cgon Gyertyan-Allmasso ift
unverheiratbet —- feine einzige Schwe
ster starb als Priorin eines adeligen
Damenftisftes vor anebreren Jahren!«
Nachdem ich mich in gebährensder
Aufmerksamkeit diese mich sehr in
terfsirende Mittbeilung angehört, be
eilte ssich der Diener mir zu melden:
»Wenn dorther-r Doktor oor der
Rückkehr des there Grafen Einsicht in
die Æten des langjährigen Prozesses
zu nehmen wünschen — dieselben lie
zfien im Anbeitszimmer des herrn Gra
n —- —
Bald stand ein isikbernes Schreien-ZU.
(
Das kam mir erwünscht.
Vor einigen Monaten halbe ich das
Buteau und die gerichtliche Hinterbl
fensschaft eines älteren Kollegen, Dr.
Ligtwki. übernommen, Iher plötzlich am
Herzschlag verschieden-wein
Er war über dreißig Jahre der
Sack-verwaltet des gräflichen Haus-es
Gvettycen-Allmassy gewesen.
Der Schloßbekt hatte mich Meerka
pbisch gebeten. ihn auf ein bis zwei Wo
chen zu besuchen, um Ordnung in ver
schieden-e Angelegenheiten zu bringen,
die eines schneidigsen Avoolseen be
durstm.
Anwenblicklich handelte es sich um 40
och Wall-; endlich um eine Art Ge
bitgslchluchi, die zu dem Güter
complex der GnetlyaniAllmasiv ge
hörten, mid welche vor etwa acht Joh
L— A
ren ein neuer Nachbar, Baron Tilai
Esermanengyel, als ssein Eigenthum
retlaniirte.
Dem vorauseilenden Diener, welcher
eine der Lampen trug, ging ich nach.
Das Arbeitszimmer des Grasen war
ein achtectiger Dbumibau mit Balcon
nach dem uralten Parte zu. Man hörte
das Rauschen der Eichen
War der kleine Speisesaal fast ganz
ohne Mobiliar so machte das ,,«buen
retiro« des Schloßherrn fast den Ein
druck eines KünstlerMieliers
f Moögriine, goldgestickte Tabouretz
und Ottomanen anden überall umher;
herrliche Veneziasner Spiegel gliherten
zwischen riinem Evbeu und seltsamen
Schlingpflanzem da eine Vase aus
töstlichein Porzellan, dort eine solche
aus Onyx in der sarbenprächtig Bin-·
men sich wiegten.
Der breite Schreibtisch trug hohe,
silberne Arnilenchier, die einen fabel
unbOttoenanen standen überall umher;
ben mußten daneben die Schrei-baten
silien in Malachit und getriebener
Goldsassung
Aber es war nicht der Schreibtisch,
der mich interessirte. -
Drüben, nahe iden Baltonsthiiren,
gab es eine, mit grünem Sammt aus
geschlagene, große Nische, vor der eine
Stasselei ausgestellt war.
Eine große, mit Krokobilleber über
zogene Kassette mochte Palette, Bin-sei
unsd Farben enthalten —- aus der Staf
selei sbie hübsche Stizze eines rosenum
sponnenen Dorf-Kirchhofes mit der
Kapelle.
»Das war die G: äfin Jlta —- und
dies ist ein früheres Portrait des Herrn
Grasen.«
Der Diener hatte einen der Arm
leuchter angeziinbet und hielt ihn hoch,
Um mir das Betrachten der Gemälbe zu
erleichtern.
Neben einem jungen, schwarzhaari
gen, aber blauäugigen Mädchen im rei
chen Schmucke einer ungarischen Edel
dame vergangener Jahrzehnte das Bild
eines jungen Mannes in ben zwanziger
Jahren.· ·
Das keine, eoie Ema-r im Brenner
tel-Profil, von schwarzen Locken um
geben, in den Augen den lachendxn
Sonnenschein der Jugend.
Aber dort, rechts, neben dem vergol
deten Kantin, fesselt meinen Blick ein
Angesicht von berückender Schönheit
Ein junges Weib, groß, ebenniäszig
gebaut. mit goldschimsmerndem, melli
gem Braunhaar, dunklem Tenn, dich
ten, schwarze-n Brauen und Wimpern,
mit seltsam grün-grauen oder gerau
griinen —- nein, meet-blauen Augen —
ein vieldeutsanies Röthsel — —
Der Maler hatte sich dies mystische
Wesen in einem Felde von shochrothen
Mohndlurnen gedacht-das Feld ward
qom Asdent-roth seltsam beleuchtet, uns-n
der handbreite, schwarze Holzralpmen
der das Portrait zierte, umgab es wie
mit einem Trauerflor.
Und sda —- und dort, neben und un
ter dem großen Gemälde Studien und
Stizzen —- dassekbe interessante Weils
als Else über schimmerndern Waldbach
—- dann in einer weißen lSpitzenkode
zum Balle geschmückt —- nnd hier im
phantastischen Sonntagöpuye ein-et
Ziegeunerin.
Unleugbar —- der Gras war ein gro
ßes Talent.
Ich sah den Diener fragend an —
aber aus seinen schmalen, blassen Lip
pen erschien das allerverschwiegenste
Lächeln —- diesmal nannte er mir tei
nen Namen
,,Dahinter steckt ein Geheimnisz« —
sagte ich mir.
Es war seastig und unsreundlich in
dein so eleganten Zimmer. Jch zog es
vor, die betreffenden Akten in mein
Schlafgemach mitzunehmen
Aus einein unteren Fache des
Schreibtisches, das mir der Diplomw
tischezeigte entnahm ich das ziemlich
umsangreiche AlMiindeL
lBald saß ich in einem hohen, weichen
Atmsessel vor dein Kamine, in dem ein
paar Scheite guten Eichen-hohes aus
lärckerten und wohltge Wärme verbrei
« en.
Klatschend schlug der Regen an die
tleinen Busens-beiden —noch immer
swükhete der Orkan. —
Einen warmen Nachtstunk hatte
man mit gebracht und mich dann al
lein gelassen. Obwohl die Reis-e aus
der kleinen Komiiaisstadt hierher mich
ermüdet Hatte, griff ich nach den Pa
pier-ern getreu der Devise, die ich in mei
nem Bureau angebracht
,.Was Du heute kannst besorgen,
- Schiebe niemals ganz aus singe-W
Hm! Kosteniibersch:äae —- Grenz
markungen — Klage —- Gegenklage —
Gutachten in- der Sack-verständigen
Revkik —- Duplik — und hier —- —2
Wie kam das zwischen die staubigen
Akten?
Eine schmale, längliche Wappe; die
einige lose, beschriebene Blätter ent
hielt; oben-aus ein« gepreßtet Strauß
frischer Veilchen, fder meinen VII-den
r
entglitt. Als ich ihn vom Boden aushob,
bemerkte ich, daß auch ein Bild, ein
sAquarelL dabei lag. — —
Jenes Mädchen aus dem Wohnt-lu
menbeete — unverkennbar, hier bleich,
eten Kranz von weißen Rosen im haar,
aus dem Todtenlager —- todt «- die
Sarghullen verschwenderisch mit Ro
sen unsd Lilien liberstrent
Sollte ich diese Blätter nngelesen bei
Seite legen?
Sie waren von lrästi e Hand he
schrieben, und es zeigten - ch hie nnd da
Eigenthümlichkeiten in der Schrift, die
jeden Graphologen lebhast interessiren
mußten.
Ein wenig kämpfte meine männliche
Würde mit der Neugierde —- — und
wie meist im Leben das böse Prinzip
den Sieg davonteägt —- die Neugierde
behielt die Oberhand.
»Dir allein, Jlta, geliebte einzige
Schwester-, Dir soll meine Beichte gel
ten; was an mir Seltsames, Sinnes,
Sonderliches — warum ich die Men
schen geslohen und ruhelos seine Län
der durchjagt, darüber sollen diese
Blätter Dir endlich Ausschluß geben:
I Welch’ eine liebeleete, trostlose Jn
gend wir armen, reichen Girasentinder
derlebt — Du sweißt es selbst! Der Va
ter, ein sinsterer, sanatischer Politisler,
ist uns allezeit ein Fremder geblieben.
Die Mutter, stets träntlich und
bleich, hatte dem Ungeliedten nur ans
Beseht ihrer verarmten Eltern die
Hand gereicht. Noch heute steht das
milde, ver-blühte Anaasicht vor meinen
Anden, das ihre 28 Jahre Lägen
strafte, als sie uns starb.
.
Acon sllllolc Uns "MNMlslc lll ch
Fremde. Dich nahm ein Kloster auf —
mich drillten Gouverneur und bezahlte
Lehrer. Alk meine Talente wurden
unterdrückt; man versuchte aus jede
Weise den in mir wohnenden Gottes
funten zu derlöschen —- Priester sollte
ich werden« auf des Vaters Geheiß.
Tausend Fesseln- engten imich ein in
solchem Dasein-, und jeder New meines
kräftigen, jung-en Körpers bäusmte sich
aus gegen solche Gewalt.
Eines Tages entfloh ich meinen
Peinigern, nachdem ich eine Summe
Geldes aufgenommen, und enttam
glücklich auf einem Schiffe nach Au
stralien. Nicht lange bielten meine
Mitel vor —- aber einen Freund fand
ich in der Fremde, einen vortrefflichen
Maler, der mir seine Kunst mit Lust
und Liebe lehrte. ,
So griff ich zu Pinsel und Palette
und hatte Erfolge, die ich gewiß in mei
nem Vaterlande niemals errungen ha
ben würde. Die Noth lehrte mich beten
und arbeiten. Aus meiner Heimatl; em
pfing ich mehr als zehn Jahre teine
Kunde. «
Endlich ging ich nach Paris. Von
biet aus bemühte ich mich, nach den
Meinen zu forschen. Es gelang mir,
durch eine alte und treue Dienerin
unserer Mutter Nachricht zu erhalten.
Sie erschütterte mich tief.
Der Vater war aus der Wolfsjagd
mit dem Pferde gestürzt und ruhte be
reits lseit Wochen in unserem prächtigen
Erbbegräbniß; meine arme, geliebte
Schwester aber lebte noch zwischen den
Klostermauerm weil die beimath ishr
fremd geworden und Niemand da war,
ihr Schutz und Stütze zu sein.
I Mit dem nächsten Zuge verließ ich
Paris.
Auf Schloß Allmassy fand ich wenig
verändert —- obgleich meist fremde Ge
sichter. Zu meinem Erstaunen date sich
tetn Testament vorgefunden —- ich war
nicht enterbt, wie ich erwartet, und man
übergab mir das ansehnliche Vermö
gen.
Kaum war das nötbi ste geordnet.
so eilte ich zu Dir nach rag. Ach,
Jlta —- Schwester, erinnerst Du Dich
noch unseres Wiederfebens — und der
überströmensden Zärtlichkeit, mit der
wir Armen uns usmhalsten?
« Jch geleitete Dich sorgsam in die
Heimat-b und nahm eine warmherzige,
würdige Dame in unser Vani. Wir
lebten nur fiir einander, vermiedens die
Welt, und Frieden und Freiheit, die
«uns umwehten, oerschönten unsere
Tage.
s Allein — wir schienen für das Glück
nicht geboten!
Es konnte bei Deiner Jugend und
Schönheit nicht ausbleiben, daß die
adiige Nachbarschaft sich bat-D um uns
bemühte. Wir erhielten Besuche unsi
niußten, obwohl gezwungen, viesecben
ein-mal erwidern.
Unter Allen, die mir am lästigsten
. und unsympathischesten swakem ver
suchte der junge Milnn von Beschede
ein serbifchek Großgeunvbesißer, uns
seine Freundschaft ausgudrängen»
« Was ihm bei mir nicht gelang —
mein Vertrauen zu erwerben —- Dein
Iahnungslose3, junges Geiz stahl et tm
Fluge; mit seinen süßem gleiszneris
schen Worten, seinem inmitten Helden
mukbn feinen glühenden Geständnissen
bethökte et Dir Auge und Ohr —- mit