Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 03, 1896, Sonntags-Blatt., Image 13

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    Du brauchst Zerstreuung
Un tungz das vertreibt die dum
men irden. Wir werden schor
mach-in Jch will Dich mit einiger
dachtet-sen bekannt machen, Junge
da Du alle Zierpuppen der Welt ver
en itvirstl« Und »der arme Bursche
wurde ganz roth und sagte nur: »Mir
gestillt Keine in der Welt wie diesel«
« »Pauernseld hatte doch recht«, sagte
ern junger Literat, als die schöne Offi
ziersgattinin ihrer Erzählung einen
Augenblick innehielt. »Er definirte die
Liebe als die »Caprice auf Diel«
»Wenn man es recht bedentt", sagte
dte alte Generalim so ist es fiir einen
Mann wirklich leicht, sich über gewisse
Dinge zu trösten. Der Vater war ein
ganz gescheidter Mann. Der Bruder
war ein nicht minder gescheidter Mann,
ober auch lockere Grundsätze zu haben
schien. Und die Mutter? Erzählte die
Barmherzige nichts von der Mutter-«
· LI- doch", sagte die Dame und nahm
thre Geschichte wieder aus. »Die Mut
ter war, wie mir die Wärterin berich
tete, ganz verzweifelt, als das Unglück
geschah. Dann weinte sie mit dem
Sohn und er mußte ihr Alles haarklein
erzählen; wie es gekommen, daß er sich
in die Spröde verliebte, wie sie ihn im
mer sester mit ihren Netzen umspann,
um ihn dann zu verlachen. Sie regte
den Kranten mit ihren Thriinen und
ihrer Entriistung so aus, daß ihr die
Wärterin wiederholt vorstellen mußte,
sie gesährde das Leben ihres Sohnes.
Und jeden Sturm schloß sie mit den
Worten: »Gräme Dich nicht, mein
Kind, sie war Deiner nicht werth!««'
»Auch die Mutter hatte Recht!« fiel
hier die schöne Baronin ein.
»Gewiß, sie hatten Alle recht«, fuhr
die Erzählerin fort. »Aber dem armen
Jungen war mit leiner ihrer Reden ge
holfen. Zum Glück war ein Schwester
chen da. sie tam zuletzt. »Es war ein
junges Mädchen von vielleicht neunzehn
bis zwanzig Jahren«, sagte mir die
Barmherzige Schwester, »mit einem
hübschen ganz unbedeutenden Gesicht
chen. Nur swenn sie lächelte, so wars
als tin-gelten sich ein paar seine, tleirre
Schlönglein um ihren Mund, und in
diesen anmuthigen Schlangenlinien lag
so viel Schelmerei, wie sich mit Worten
gar nicht schildern läßt. Auch sie ließ
sich Alles erzählen und besonders die
Werbungsscene genau schildern. »Und
sie hat Dich lachend zurückgetviesen?«
fragte sie dann den Bruder. --- »Ja.«
—- »Und dann gingst Du hin und
wolltest Dich todtschieszen?" —« ,,Ja.«
— »Weißt Du, Hans«, sagte die
Schwester, »das war recht thöricht von
Dir. Das Mädel hat Dich recht lieb
. gehabt, ich bin davon überzeugt Wel
ches Miidel hatte einen hübschen Jun
gen, wie Du bist, nicht liebt Und wenn
ein solcher will, tann er sich immer sei
nen Schatz erringen.« -—— »Aber sie hat
mich doch zurückgewiesenl« —-— »Das
hat nichts zu sagen, das war eine
Laune, ein Ansall von Mißmuth. Viel
leicht hat ihr die Schneiderin gerade ein
neues Kleid verdorben « vielleicht
wurde ein Ball abgesagt, aus dem sie
glänzen wollte « vielleicht trug sie
zu,enge Schuhe ·—--- wer lann da wissen,
welche dumme Ursache im Spiel-e war?
Mein Gott, ein junges Mädchen tann
bald etwas verstimmen. Und warum
soll sie ihre Verehrer nicht ein Bischen
zappeln lassen? Warum soll sie gleich
die Waisen strecken? Besonders wenn
sie sieht, das-, der Freier närrisch ver
liebt ist und nicht von ihr lassen tann?
Jch bin sicher, wenn Du eine Stunde
später wieder angeiragt hattest, so
würde sie Ja geiaat hab-Ul«
»Das Mädel war das Gescheidtesie
unter Allen«, sagte die alte Generalin
lachend. »Und was sagte der verliebte
Jüngling aus ihre Rede-l«
»Wie die Wärterin bemerkte, strahlte
sein Gesicht vor Wonne. »Du glaubst,
Pesterchery Du glaubst wirtlich«t««
ri er seelenvergniigt. »Ja, ja«, erwi
derte sie, »und tausendmal ja. Und so
bald Du so weit- genesen bist, dasz Du
das Bett verlassen tannst, soll sie Dcr’s
selber sagen, ich will ssie herbringen!«
»Das wahklrznei«, schloß die Barm
herzigr Schwester ihren Bericht. »Eh(
eine Woche vergangen, war der jung·
Mann gesund und hatte das Bett ver
lassen. Jch tonnte meiner Wege gehen
Als ich die Treppe hinunterstieg, an
ade das Schwesterchen mit einem an
en jungen Mädchen heraus. Du
Breite war so roth wie Blut und trug
einen Strauß Rosen, und die hand, du
sie hielt, zitterte. Das mußte ksie gewe
sen sein. Und richtig habe ich diese«
Tage gehört, daß der junge Mann dt
Korbsvenderin geheirathet hat« Das
war der Bericht der Barmherziget
er.«
»Und dieser hat Sie so wunderba
getriisteti« svagte die alteGeneraltn di
Frau des Ritttnetstert.
«Retn', erwiderte die Dame, »da,
war es nicht« Jch muß sogarsagen
daß die Geschichte in meiner damal get
-«Stimmung einen unfreundlichen Ein
. druck auf mich machte. Es ist manch
. mal so beim Anblick fremden, wunder
baren Glückes, wenn wir vom Schmerze
niedergebeugt sind. Namentlich ver
droß mich, ich weiß nicht, weshalb, der
Strauß mit den Rosen. Und als meine
Warterin schwieg, sagte ich nur trübe:
»Das ist ja ein ganzer Roman. Die
Rosen duften wohl berauschendz doch
wie schnell welken tsie dahint«
Da schien die Gestalt der armen
Wärterin zu wachsen, sie erhob rasch
den Kopf. ich sah, daß ihr Auge fun
kelte, wie im Zorn. Aber meine kläg
liche Erscheinung entwaffnete sie wohl.
Sie fentte das Haupt aus die Brust und
sagte milde: »Nun sind Sie wieder bei
Ihren traurigen Gedanken; und ich
wollte Sie erheiternt Ja, die Rosen
welken, es ist wahr. Aber schickt der
liebe Gott nicht immer neue? Sie tön
nen ja noch hoffen! .. . . Denken Sie
doch, daß manche Menschen um Sie
leben, die all-e Hoffnung begraben ha
ben, lange, lange schon . . . Das ist das
Schlimmste!«
Ich kann nicht sagen, wie mich diese
Worte erschiitterten. Sie richteten mich
auch mit einem Male auf und boten
mir Trost! Die Hoffnung, ja wohl!
jdie zauberten die Worte der Barmher
i
zigteit wieder herbei. Jm Nu über
tblickte ich das ganze traurige und zer
trümmert-e Leben der Aermsten. Wie
groß stand ich sdoch ihr gegenüber da.
die ich noch die Hoffnung hatte! Ich»
beugte mich weit vor, um noch tiefer ins
ihrem Auge zu lesen. Sie saß aberj
wieder im Schatten, und ich sah nur an
der Bewegung ihrer Lippen, daß sie be
tete. Ihre abgemagerten Hände dreh
ten den Rosentranz.«
»Ja, das war ein Wunder des Tro
stes, das an »Sie herangetreten ift,«
sagte die alte Generalin. »Aber dieses1
Wunder ist nicht so selten, wie Sie;
glauben· Aus dem größerm fremden:
Unglück schöpfen wir gar oft Trost fiirs
unser eigenes, kleineres. Aber es bleibt ;
eine traurige Sache und ist nicht beson- ;
ders schmeichelihaft siir dis Menschen
;herz.«
Draiiiatitchen Unterricht ertheilt.
)
L »Warum geben Sie nicht dramati
schen Unterricht ?«
Daran hatte er noch gar nicht ge
dacht.
E Er war mit seinen Ersparnissen nach
kBerlin gekommen, um das Kunstleben
idet Großstadt auch einmal aus der
,Hiihe der Saison kennen zu lernen
Da er das seinen Wiinschen auch nur
einigermaßen entsprechende Engage
ment nicht sand, mußte er sich schon mit
dem Gedanken vertraut machen, diesem
Winter ganz aus Eigeneim zu le
1ben. Beim lleberziihlen seiner Baar
7schajt stellte sich aber heraus, daß es
dazu kaum reichte. Und da hatte Je
.mand diese Frage an ihn gerichtet.
Das war eine gute Idee und mit sei
ner Gewissenhaftigkeit wohl zu verei
nen. Jri acht bis zehn Monaten konnte
Ter begabte Schüler schon flügge machen,
und so viel, wie nöthig war, sein Kapi
tal zu ergänzen, ließ sich auf die Art
leicht erwerben. Die Stunde drei
Mart, gewiß eine bescheidene Forde
rung, jeden Tag nur eine Stunde, das
machte —— 30 mal 3 gleich 90 ——— sagen
wir nur sechs Monate lang ——— schlecht
gerechnet 500 Mark Zuschuß, damit
ließe sich auskonimen. Er miethete sich
in Rordost ein hübsches, großes Zim
mer; durch eine spanische Wand war
fiir Zchlascabinet gesorgt —- er tonnte
Besuch empfangen. Ein Schildchen
lhatte er sich angefertigt, schwarze, glän
Yzende Buchstaben, sauber aufgeklebt:
Dramatischen Unterricht ertheilt C.
Schlönglein Das hing aus dem
Hausslur in der Einwohnertasel und
machte sich nicht übel.
Es fehlte nur an Schülern
Und siehe da, sie kamen.
Gleich am zweiten Tade; er studirte
gerade, welches Theater er heute als
Freiberger unsicher machen sollte, da
klopfte es·
»Herein!«
Eine dicke Frau mit braun und
grün getviirfeltenUmschlagtucherschien.
An der Hand führte sie ein junges,
. häßliches Mädel.
, »Juten Morjen! Bin ich hier recht
i bei »den Herrn, wo sor’s Theater-—
»Ganz recht, mein Name ist Schlang
lein.«
»-Na, siehste, Male? Jct habe ne
- tleene Pliittanstalt in de Prinzenaller.
! J bin ja man ’ne janz einfache Frau«
e aber mit seine Kinder will man doch
t seine höher ’raus. Je nachdem! Da
i is nu met Mächen —s— steh’ doch jrade
damit daß der herr ooch sieht, was
jormeb hiische Fijur daß Du hast —
meine Anialie, die will nu mit aller Je
swalt unter’s Theater jehn!'«
»Mit Sie denn Talent?« .
«Je nachdem —- das is ja nu Gen
wosor daß Sie sorjeii sollen. Sehn-se
zu hause macht se ja allerhand Faxei
Ost-s
Ist-Cos
un smit sde ngen kann se tlappern, dc
is ’t Ende von weg: aber man week
doch nich, ob das doll jenug for der
Vieh-ne is. Da muß es doch sckn —
sv U —- hwfte Mcht ist-W
»Freilich, ganz leicht ist die Sache
nicht; wenn Ihre Tochter ebenso spricht
wie Sie-—
»Nu, so schlank mit de Zunge is se
natirlich noch nich. Vor allen Dingen
möchte ick erft wissen, wat die Geschichte
tosten tann.'«
»Sie -verpflichten sich vorläufig zu
ichr nichts. Wen-n Jhre Tochter tein
alent zeigt, wäre es ja Unrecht, Jhnen
IOeld awbszunehmen Jch berechne im
Uebrigen die Stunde anit drei Mart.«
: ,,Js-nich billigt Vorläufig möchte ick
ihr mal jede Woche eene Stunde neh
men lasse-n; aber Sie thun et ooch for
eene Mtart fufzig.«
»Liebe Frau —«
,,Un denn besorjen Sie se bald ’ne
Stelle, sdaß se unter Leite kommt. Wis
sen Se, so macht se doch keene Bekannt
Tchaft, aber bei’s Theater —- und denn,
so feine Schamgsonettens, so französi
sche, die müssen Sie fe beibringen, oder
ge nachdem!«
Adieu!«
,,Mart fufzig is iwoll zu wenig?
Jott, fechs Mart der Monat —
,,Adieu!!«
»Na, un ick plätt’ Jhnen ooch!«
»Adieu!!«
»Joit, dhun Se man nich so, Jhnen
wer’n fe ooch an die Keefetifte knab
bern! Komm, Male!«
Nein, auf die Art wollte er sich nicht
einen Pfennig verdienen! Diese Zu
muthung — Vorbereitungs - Kursus
für Tingeltangelt es ist empörendt
Nach einer Stunde klopfte es wieder.
Ein junger Mensch meldet sich. Er
hat schon auf Liehhaberbiihnen gespielt
und so Etwas wie Routine erworben;
jetzt will er Berufsschauspieler werden.
Er ift wirklich nicht ohne Talent die
Erzählung des Mortimer —- Jch zählte
zwanzig Jahre —- taan er wie am
Schnürchen und zeigt die Gabe, seine
Rede natürlich zu steigern. Aber er hat
vorläufig noch lein Geld — die Eltern
wollen erst »die Ueberzeugung gewinnen,
ob was aus ihm werden kann, und
dann das bedungen-e Honorar zahlen.
Jn zwei Monaten müßte sich das ja
zeigen.
Der Lehrer ift nicht abgeneigt Die
einzige Auslage, die er zu machen hat,
besteht in Zeit, und daran fehlt es ihm
nicht.
»Und, Herr Professor, wie wär es
denn mit einem kleinen Stipendium?'
I »Stipendium? Was verstehen Sie
darunter?«
. »,Nun eine kleine provisorische Un
terstiitzung, damit ich hin und wieder in
ICafeS verkehren taan und in Künstler
tneipen das bildet dacht«
»Ach und die soll ich Jhnen —- —
J »Meine Eltern werden natürlich spä
» ter -—««
. Adieu!«
! »Jn einigen Monaten muß es sich
«
l
) . . .
! ,,Bedaure kehr, adieu!«
! »Na denn nicht«
Schlänalein ift wieder allein. Ja,
was glauben denn die Leute? So ein
iBummelfritze —- der —
; »Herein!«
j Ein hochgetvachtener Bierziger, nicht
·modern, aber peinlich sauber gekleidet,
den Bratenrock bis iuim schneeweißen
Stehlragen zugetnöth schiebt einen 5
bis 6jähriaen Jungen mit blonden
Locken vor sich herein.
Was soll das nun wieder?
Der Fremde nimmt mit Wiirde
Platz.
»Ich sehe an Jhrem Blick, daß Sie
erstaunt sind; ein so jun-ges Geschöpf
— aber es ist ein Wunderlinsd!«
Er spricht langsam, jedes Wort ab
wägen«d. Er hat rothe Haare, der
schmale Schnurrbart ist schwarz ge
färt; es giebt seinem Gesicht etwas
Unehrliches.
»Sie haben wohl lein Klavier zui
Hand?" —- er sieht sich um — »auch
keine Geige? die hätten wir eigentlich
mitbringen lönxnen —«
Schlänglein wurde schon ungedul:
dig, der Mensch brauchte so· viel Zei1
slir die ohnehin überflüssigen Worte.
»Mein Herr, das wäre unnöthig ge
wesen —««
»Sie glauben mir auch so —- natür
lich; Theodor, singe dem Herrn etwai
vor.«
Ehe Schlänglein es verhindert
konnte, begann der Kleine mit bemer
tenswerther Sicherheit zu lräshen, einig
Lieder trnd Opernstellen, nicht übe
zwar, aber zu welchem Zweck?
»Mit Gesangsstudien besasse irl
mich leider überhaupt nicht.«
»Er kann auch detlamiren!«
Wie eine ausgezogene Uhr produzirt
das Wunderkind sich auch in diese
Form. Ohne Ausdruck, aber lmit über
, raschend richtiger Betonung.
, »Großars’g, was? Ueber den Prei
i wollen wir schon einig werden. Ja
denke, dreißig Mark pro Monat für’s
Erste —«
»Die Summe ——«
»Ist Jhnm zu hoch?« Also —- sage-N
wir —- zwanzigt«
»Was, ich foll? —«
»Sie zahlen mir vorläufig zwanzig
Mark und Alles für den Knaben frei
—- Reife — Hotel —- als Jmsprefario
verdienen Sie
Schlänglein kribbelte es in den Fin
gern: »Sie find-vollständig im Jer
thum —- ich unterrichtse nur Erwachsene,
nehme —- verftehen Sie? nehme 50
Mark für die Stunde! Derartige Ge
schäfte mache ich überhaupt nicht!
Adieu!«
Der Wuiwdervater ließ sich nicht heir
ren: Ausnahmsweife — zehn Marti»
nein? Aber, mein Herr, Sie stoßen;
Ihr Glück mit Füßen von sich; ich
kann doch nicht ganz umsonst— l
»Ich bedaure wirklich —- Sie be
mühen sich ganz umsonst, asdieu!«
»So — na, das ift etwas Anderes-l«
Er ging, Gern Knaben wieder vor sich
herfchiebeiid; an der Thüre drehte er
fich noch einmal um:
»Weil Sie es find, also sagen wir,
ganiz umfoniftl --— nein? Dann — gehe;
-— ich—«— zu— Jhrem —- Konkiirren-T
ten! —
Schlänglein hat nie erfahren, wer
dieser Konkurreni war Aber am an
dern Tage las man an der Einwohner
iafel nur: C Schlänglein: verschwun
den ivar das: Dramatifchen Unterricht
ertheilt— RudolfRetty.
Japans nioderne Ciriilifatioiil
—- l
l
i
I
c
)
Unter all’ dem neumodischen Ge
fchreibfesl über Japan und die Japaner
leuchtet wie eine Perle eine tleine
Schrift hervor, die Dr. L. LönIholm,
Professor an der kaiserl. Universität
zu Tokio, im Selbstverlag herausgege
ben bat und die er durch ·die Roß-berg
fche Hofbuchhandlung in Leipzig ver
treiben läßt. Er nenint seine Arbeit
,,Japan’s mode-me Civilisation, ein
Beitrag zur ostasiatischen Frage.« Wir
haben bereits bei seiner früheren Veröf
fentlichung des Verfassers bemerkt, daß
eine warme Theilnahme an der Ent
wicklung Japan’s wo er Ziun schon seit
sechs Jahren »den Reis des Landes
ißt«, Löntholm die Feder fiiihrt und daß
diese Empfindung ihn in eine polerni
sche Richtung treibt, die bei der Beur
thesilung seiner Ansichten in Betracht ge
zogen werden muß. Die Schrift Lön-»
holms theilt diese Subjektivität übri-?
gens mit fast allen neuern Veröffent
lichungen, denen darum zu thun ist, die
Forderungen, die Japan in seinen Ver
trags-Verhandlungen msit den Mächten
ausfstellt, zu fördern oder zu hemmen;
die Objektivität Karl Rathgens, dessen
Buch ,,Jsapan’s Volkswirthschaft und
Staatshaushalt« grundlegend bleiben
wird, ist seit-dem nicht wieder erreicht
worden. Æer die ausgesprochene Par
teistellung, die Löwholm verficht, thut
der Beachtung, die seine Sachkenntniß
ali- juristifcher Beratber und Lehrer der
Japaner sowohl wie seine mit persön
lichen Beobachtungen und Erfahrungen
durchwebte Darstellung verdient, keinen
Abbruch, und es ist ihm in seinem klei
nen Werkchen in der That gelungen,
eine Lücke auszufüllen und ein kurzes
aber klares Gesainmtbild der japani
schen Lebensverbältnisse zu entwersen.
Nach seiner kurzen geschichtlichen Ein
führung und ein-er Kennzeichnung der
Civilisationsstuse des heutigen Japans
führt der Verfasser uns Idas politische,
gefellschaftliche sund gewenbliche Leben
des Landes in einzean Aufsätzen vor,
in denen er die staatliche Verfassung,
Heer und Marine, die Finanzen, Han
del und Industrie, Schifffahrt, Eis-en
bahnen, Post und Teiegraphen, Land
wirthschaft, Verwaltung, die Polizei,
Gesundlxitspfleige Rechtspflege, Ge
fängnisse-, Erziehungswesen und Presse
in knappen Zügen charakterisirt. Wir
geben einzelne Abschnitte daraus wie
der.
Die wirthschaftliche Gefahr, die uns
in Ostaisien droht, beurtheilt der Ver
fasser foigewdermafzem »Wenn un
ser-m Handel überhaupt eine Gefahr
von den Ostasiaten droht, so kommt sie
nicht so sehr von den 40 Mill. Japa
nern als von den 400 Million-en Chi
wesen. Der Chinese hat alle Anlagen
s zu einem erfolgreichen Kaufmann unsd
ist fchon jetzt im ganzen Osten, auch in
Japan, der gefährlichste Konkurrent
- des Europäers Wenn China sich die
- materiellen Errungenschaften der ento
- päischen Völker zu eigen macht, so ist die
komnverzielle Vorherrfchaft der Chin
sen auf den Märkten Ostasiens nur
noch eine Frage der Zeit. Der japani
sche Kaufmannsstand ist noch erst in
der Entwickelung begriffen, und hat
. noch nicht entfernt die gleiche Bedeutung
für »das nationale Leben wie etwa der
deutsche oder englische »Merchant«. Der
,,Akindo« — Händler — nahm von
altersber in Japan eine sehr niedrige
Stellung ein; er stand noch unter dem
Bauern und »dem Handwerker, und der
Samurai behandelte ihn mit der tief
sten Verachtung. Ein Stand, dessen
erstes Ziel Gelderwerb ist, shat in einem
Feusdalstaat keinen Platz. Selbst ge
genwärtig Isind die Spuren seiner
frühem Stellsung noch nicht ganz ver
wischt. sDie Arbeitslöhne sind in Ja
’pan niedrig, aber doch nsicht so niedrig,
als man in Europa gewöhnlich glaubt.
So beträgt jetzt in Tokio der tägliche
Loh-n eines Handarbeiters 33 Sen (1
Sen jetzt gleich 2 Pfennigen), ein-es Zie
gelarbeiters 55—60 Sen, eines Zim
mermanns 50—55 Sen, eines Mau
rers 65——70 Sen, ein-es Miattenmachers
50 Sen u. s. w. Die Löhne im Lan-de
sinid freilich nicht unerheblich geringer.
Sehr schlecht bezahlt sind noch die Ar
beiter in den Spin·nereien, nämlich 25
Sen für männliche, 15 Sen für weib
liche Arbeiter. Die Befürchtung »wel
che man in Europa hegt, daß Japan
mit seinen Ibilligen Arbeitskräften Eu
ropa in der industriellen Entwicklung
den Rang ablaufen werde, ist nicht be
gründet. Abgesehen davon, daß der
Unterschied gar nicht mehr so groß ist,
hat man dabei außer Acht gelassen,
daß der japniische Arbeiter wenig-er Ta
gewerk leistet und nicht so ausdauernd
ist, als sein seuropäsischer oder vielmehr
nordeuropäischer Genosse, und daß er
zwar für manche Industrien hervor
ragend, für andere aber weniger brauch
bar ist. Es wird sich deshalb auch zu
Nutz und Frommen beider Theile eine
Arbeitstheilung anbahnen. Was der
Japaner besser liefern kann, werden wir
von ihm, und was wir besser liefern
können, swird er Von suns kaufen. Unsd
je tüchtiger der japanische Arbeiter
wird, je mehr er durch den Welt-verkehr
moderne Bedürfnisse kennen lernt, desto
höher werden sein-e Ansprüche steigen.
Die billige Kuli-Arbeit wird aufhören,
da die Leut-e mit dem Anwachsen der
Industrie eine bessere »und lohnendere
Beschäftigung finden werden. Ein
schlimmer Fehl-er des japanischen
Handwerkers der »Gegen-wart ist feine
grundsätzliche Unpünsltlichkeit Er
will durchaus nicht anerkennen, daß er
verpflichtet ist, die bestellt-e Arbeit auch
wirklich an dem vereinbarten Zeitpunkt
abzuliefern Er verspricht bei der
Uebernahme der Bestellung aus Höflich
teit alles, was man von ihm berlan-gt,
aber er ist dann sehr erstaunt, wenn
man die Erfüllung des Versprochsenien
fordert. Die Fremden finden sich phi
losophisch in das Un»abwen-sd7bare, denn
wird man -nervös, so macht man die
Sache dadurch nur noch schlimmer
Einer meiner Bekannten setzte eine
Strafe von F) Sen auf jeden Tag Ver
spätung, ist aber, als er dann wirklich
M Sen abzog in den Ruf eines »Wa
rui hito«, schlechten Menschen, gekom
men, fiir den Niemand mehr arbeiten
will.«
Besonders interessant ist gerade im
gegenwärtigen Augenblick, wo ja auch
Deutschland mit »dem Anschluß des
Hansdelsvertrags auf seine eigene Ge
richtsbarteit, wenn vielleicht auch unt-er
gewissen Vorbehalten, verzichtet hat, die
Darstellung der japanischen Rechts
pflege. Da heißt es: »Die japanische
Civilprozeßordnung wurde so genau
der deutschen nachgebildet, daß man sie
beinahe eine Uebersetzung nennen könn
te. Man darf thatsächliich ohne Ueber
treibung sag-en, daß gegenwärtig aius
der lansgen Jnseltette von Riutiiu bis
hinauf zur Grenze von Kamtschatka
deutsches Civilprozeßrecht gilt. Eine
jwunlderbare Erscheinung in der Welt
Igeschichtet Es spricht sehr für iden
hohen Werth dieses in Deutschland jetzt
so start angefochten-en Gesetzwerkes, daß
es bei einem Antipodenvsolke unter ganz
verschiedenen Lebensverhältnissen so
schnell Wurzel fassen und sich so
lebenskräftig entwickeln konnte. Die
gleichen Bahnen geht das vom Rostocker
Prof. Dr. Rößler abgesaßte japanische
Handelsgesetzbuch. Auch dieses ist sei
nem System nach deutsch, wenn es auch
manche englische und franszösische Ele
mente in sich ausgenommen hat. Eben
so ist der neue Entwurf des Civilgesetz
buchs dem deutschen System viel näher
getreten Die engere Conumission be
steht aus drei juristisch hervorragenden
Gelehrten, nämlich sden Professoren N.
Hozrimi. Tomii.und Ume. Besonders
der allgemeine Theil und das Forder
ungsrecht lehnen sich eng an den zweiter
Entwurf des deutschen Gesetzbuchs an
Mit der Einführung des bürgerlichen
Gesetzbuchs »und des revidirten Stras
gesetzbuchs ldas jetzt von einem beson
deren Ausschuß umgearbeitet wind, is
das große, von der japanischen Re
gierung unternommsene Gesetzgebungs
wert in der Hauptsache vollendet. Wi·
ich schon in meiner früheren Arbeit übe«l
Japan erwähnt halbe, können die mo«
dernen Gesetze Japans im allgemeiner
als genügende Unterlage siir eine gut
Rechtsprechung betrachtet wenden. Ju
stiz rund Verwaltung send völlig voi
einander getrennt. Die Verfassunq
und Organisation der Gerichte ist ge
regelt in dem nach deutschem Muster
ausgearbeitet-en Gerichtsversassusngsge
setz. Darnach gibt es lAmtsgerichte,
Landgerichte, Oberlandesgerichte und
das Reichsgericht in Totio. Die Zahl
der Amtsgerichte beträgt 299, der
Landgerichte 48, »der Oberlawdesgerich
te 7. Die Amtsgserichte sind mit Ein
zelrichtsern besetzt, die übrigen Gerichte
sind Kollegialgexichte Die Zuständig
keit in Civilsachen zeigt fast gar keinen
Unterschied vom deutschen Gesetz, nrit
sder einzigen Ausnahme, daß gegen die
in der Berufuwgsisnstanz erlassenen,
nach deutschem Rechte unanfechtbar-en
Entscheidungen der Landgerichte nach
japanischen Recht noch Revision an das
Oberlasnsdesgericht zulässig ist. Die
Zahl der Richter am Reichsgericht be
trägt 81, san den Obevlandesigserichten
106, an den Landgerichten 472 und an
den Amtsgerichten 676. Die Zahl der
Rechtsantwälte im ganzen Lande be
trägt 1410, ein-e niedrige Zahl, die sich
alber hinlänglich daraus erklärt, daß
die Bauern Japans noch nicht von der
Prozeßsucht der europäsischen Lan«db-e
völlerung ergriffen sind. Jch fürchte
fast, daß die Gegner Japans daraus
ein Argument gegen die Civilis.ati«ons
fähigkeit der Japaner herleiten werden.
Die Anstellung der Richter erfolgt auf
Lebenszeit, sie beziehe-n ein sestes Ge
halt nud können nur usnter gewissen ge
setzlichen Voraussetzung-en " abgesetzt
werden. sDie Versetzung dagegen ist
schon zulässig, wenn irgendwo im Lande
eine Stellung gleicher Art frei ist, als-o
thatsächlich unbeschränkt Das Min
destgehalt des Richters ist 480 Yen (un
gefähr 2000 M.,) unsd das Gehalt des
Reichssgerichtsprässidenten 6000 Yen
(25,000 M.). Ein-e Richterstellusnsg be
kleiden kann rnur, wer die vorn Staate
vorgeschrieben-en zwei Prüfungen be
standen hat. Zwischen der ersten und
zweiten Prüfung müssen mindestens
drei Jahre inneliegen. An die Stelle
der ersten Staatspriifung kann die Ab
gangspriifung der Universität tret-en.
Daß der japanische Richter als genü
gen-d befähigt zur richtigen Anwendung
der modern-en Gesetze angesehen werden
muß, habe ich schon »in einer früheren
Schrift über Japan ausführlich darge
legt. ·
Wie die Rechtspflege sind auch vie
meisten iibrigen Staatseinrichtungen
Japans dem deutschen Vorthilide nach
gebildet oder doch in ihrer Gestaltung
stark von ishim beinflußt worden. Das
erstreckt-sich bis auf die Polizei hinab,
deren vortreffliche Organisation dem
fremd-en Besuch-er Japans sofort i-n’s
Auge fällt. Auch sie ist das Wer ein-es
Deutschen, des Berliner Polizeishaupt
mansns v. Höhn. Zum Schluß ein
lustiges Beispiel dafür, mit welch mu
sterhafter Gewissenhaftigkeit der japa
nische Schutzmann ziu Werke geht. Dr.
Löniholm schreibt: ,,Vor Jahren bestand
die deutsche Colonie in Tokio aus fast
sechszig meist akedemisch gebildete-n Mit
gliedern, die in dem geistvollen damali
gen deutschen Gesandten Dr. -v. Holle
ben ihre natürliche Spitze san-den. Zsu
dieser Zeit herrschte ein frisches, fast
ftudentifches Leb-en in der Colonise, und
die Stunden, in denen sich die Deut
schen trennten, warens oft bedenklich
spät. Ein-er von ihnen pflegt-e regel
mäßig allein zu Fuß nach Hause zu
gehen, und dieser Fuß war oft recht
schwankend. Er kam aber immer glück
lich heim. Eines Abends mochte er doch
zu viel desGutsen getihanhaben unsd schlief
unterwegs unter den Matussubäurnen
der Shogunfeste ein. Ein Polizist famd
den Schläfer, hob ihn auf, setzte ishn be
hutsam in eine Kuruma und fsuhr ishn in
seine Wohnung, die der Schlaftrusnksene
glücklicherweise noch anzugeben ver
mochte. Dort lieferte er den inzwischen
fest eingeschlsummerten Fremdling an
den Koch des Hauses gegen Empfang
schein ab. Dieser merkwürdige Schein
hatte, wie später festgestellt wurde, etwa
folgenden Wortlaut: »Hier-mit betenne
ich, Sanjiro Matsuoksa, daß heute früh
4 Uhr 15 Minuten mein Danna (Herr),
der Deutsche A. B» von dem Polizei
mansn Jiro Ohta in triunkienem Zu
stande, aber sonst wohlbethalten an mich
richtig abgeliefert und von mir in Em
pfang genommen worden ist. Totio.
im 22. Jahre Meiji, am 10. Tage des
erst-en Monats. Sanjiro Matsuoka.«
(Stempel.) Erinnert das nicht an die
schönen Zeiten des deutschen Studen
tenlebenst Kein Heidelberger Nacht
wächter hätte besorgter sum den Musen
sohn der Neckarstadt sei-n können als
dies-er brav-e Polizeimann ldes fernen
» Ostens sum den Fremdling, der die Ge
bräuche Altheidelberg’s in die Stadt
» der Shogune zu Vserpflansen sich so er
; folgskeich bestrebt hatte. und da wirft
; msan dem Japaner Fremden-baß vori«
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—- Man schätzt, daß zur Zeit etwa
. 18,000,000 Stimmgeber im Lan-de le-.
- ben, davon werden aber höchstens 75
Prozent stimmen. Bei der letzten Prä
; sisdentenwahl wurden 12,110,636
- Stimmen abgegeben.