Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 03, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    »F
Statt-umli.
—
Von Edmondo de Amici5.
tSchlußJ
Die drei Briganten lachten.
»Aber das Schönste ist,« sagt-e der
eine, »daß er nicht spricht. Was wird
es sein«-Z Hochmut«h.2"
»Bescheidenheit,« sagte der andere
mit einem flegelhaften Lachen«
»Furcht,« fügte der Anführer hinzu.
Der Karauiniere schüttelte den Kopf,
wie um Nein zu sagen.
»Ah! Nein?« tief der Brigant
aus« indem er auf die Füße sprang.
uNun werden wir sehen.« Und dann,
zu den bei-den Gefährten gewandt, mit
entfchlossener Miene: »Diese: sollte it
gend einen Befehl überbringen, um uns
im Neste auszuhebem Wir haben schon
zu viel Zeit verloren. Lassen wir ihn
ausspeien.«
»Lassen ivir ihn ausspeien,« antwor
tebetän die anderen, indem sie sich erho
Der Karwbinsiere schüttelte den Kopf,
Kopf wie einer, der sagt: »Ich bin de
reit.« Die drei Briganten pflanzten
sieh vor ihm auf. Wer in diesem Au
blicke den jungen Mann beobachtet
Mie, der auf seinem Wachposten stand,
. .hätte gesehen, wie er zitterte gleich ei
nem Blatte und sich umwandte, um es
nicht sehen zu müssen, ganz allmälich
mit fchreckensbleichem Gesichte. Der
Anführer bemerkt-e es und winkte ihm
mit einer gebieterischen Geberde, sich
um seine Pflicht zu kümmern; dies-er
nah-m feine frühere Stellung wieder
em.
»Also,« begann dann der Anführer,
indem er sich an den Karckbiniere
wandte, mit einem Tone, der kein wei
teres Zaudern zuließ, »woher bist Du
gekommen?«
Der Karadmiere zog die Brauen zu
sammen, heftete den Blick starr und
durchdringend auf den Briganten, der
einen entschlossenen Willen als den sei
nen verrietb, und antwortete nicht.
Der Brigant gab ihm, ohne ein Wort
weiter zu sagen, einen so gewaltigen
Faustschlag unter das Kinn, daß man
ein Krachen hörte, wie wenn er ihm die
Zähne zertrümmert hätte. ,,Wirst Du
nun antworten ?«
Der Karahiniere senkte das Haupt
und ließ das Blut, mit dem sein Mund
sich füllte, abfließen. Dann richtete er
die Augen wieder auf das Gesicht des
Briganten mit einem Ausdruck unent
wegten Stolzes, und machte ein Zeichen
der Verneinung.
Der Brigant biß sich auf die Lippen
und taufchte mit den beiden Gefährten
ein gezwungenes Lächeln aus; dann
griff er mit aller Ruhe in seine Tasche,
holte ein Messer heraus, öffnete es,
knüpfte das Hernd des Karahiniere auf
und setzte ihm die Spihe der Klinge auf
die Fontanelle der Kehle. sDas Opfer
machte ein-e trampfhafte Bewegung, wie
wenn die Klinge schon eingedrungen
wäre. »sich-te Furcht!« murmelte der
Brigant und ließ das Messer langsam
und leicht vom Hals bis zum Gürtel
hinabgleiten, wie wenn er es auf einem
Tische thäte, um ein-e Linie einzuschmi
den. Auf der Brust des Unglücklichen
erschien ein langer rather Streifen wie
der Schnitt eines Rasirmessers, der fo
fort unterdenBlutstropfen verschwand
die daraus hervorquollen; und Tropfen
flossen hinab wie Thränen unter die
Kleider und darüber, bis zur Erde.
»Ah!« schrie mit bestialifcher Stim
me der Anführer, »f«cing·-st Du an, es zu
sehen? ?«
»Siehe, wie es läuft!« sagte der an
dere. .
Der jugendlicher Brigant bedeckte
das Gesicht mit den Händen.
«Sprichst »Du nun ?" fragte der An
führer wieder.
Der Karabiniere sah das Blut her
· vortropfen, dann erhob er das Haupt,
schaute dem Anführer fest ins Gesicht
und mit dem nämlichen Ausdrücke wie
vorher derneinte er durch ein Zeichen.
Die drei Peiniger sahen sich ins Ge
sicht mit mehr Staunen als Zorn in den
Mienen
»Aber willst Du denn sterben ?«
brüllte mit einem-male der Anführer,
indem er sein Gesicht so nahe an das des
starabintere brachte, daß er es fast be
rührte, und die offene Hand in der
Nähe seiner Wange schüttelte; »Gehst
Du nicht« daß Du hier bist, in unseren
Händen, allein, und daß wir Dir den
sauch ausschliden »sama« rote einem
Wirt Auf was has-It Du den-n?
M man zu Deiner Befreiung kommt?
Serse doch etwa-! Laß Deine Stimme
Meer-. Bringe wenigstens ein Wort
herant«
Der Karabiniere vablieb stumm.
Er rissen von einem Wuthanfall er
hob ver der Brignuten das Messer
Wr der Anführer hielt ihn am Arm
- mit den Worten: ,Rtcht das
erl« --- W packte er ehre Flinte
—- «Uese muss er erproberM Und dir
Waffe von der Erde erhebend, stieß er sie
mit solcher Kraft ihm auf die Füße, daß
die Knochen trachten; der Bedauerns
weihe stieß ein-en gellend scharfen Klage
laut aus und ziog sich ganz zusammen
tvie von Epilepsie ergriffen. Aber zu
gleicher Zeit stieß er. indem er aus dem
Schmerze neue Kraft erschöpfte, den
verwundet-en Fuß aus die Erde und
schrie brüllend: »Nein!«
Die Briganten ergriffen ihn alle brei
am Halse und waren daran, ihm die
Aug-en aus dem Kopfe zu reißen, als
der junge Mann, der auf Posten stand,
durch den Schrecken den er nicht mehr
bezähmen konnte, kühn gemacht, mit der
Stimme und dem Antlitz eines Rasen
den schrie: ,,Tödtet ihn doch auf ein
mal! Schießt ihm eine Flintenladung
in den Kopf! Wozu ihn so lange lei
den lassen?"
Die drei Briganten, mehr durch seine
Kii heit als durch feine Worte be
.tro sen. wandten sich nach ihm, um ihn
ivoller Verblüsfung zu betrachten; aber
: die Verbliiffung währte nur kurze Zeit.
HDer Anführer sprang aus den tolltüh
snen Mann zu und gab ihm einen Faust
jschlag in den Nacken, daß sein Kopf auf
den Fels stieß. Der junge Mann. ganz
ibetäubt, nahm seine frühere Haltung
itvieder ein ohne ein Wort zu sagen; aber
Ein dem nämlichen Augenblick noch, als
er einen Blick den Bergabhang hinab
warf, machte er eine leichte Bewegung
des Staunens, ibeugte sich noch mehr
nach vornen, und blieb unbeweglich
mit starrem Blicke. Der Anführer der
Briganten bemerkte es nicht und wandte
sich wieder zu feinem Opfer.
Er war todtenbleich knirschte mit
den Zähnen und zitterte; seine Gefähr
ten schauten ihn zagend an. Er legte
eine feiner plumpen hände auf das
haupt des Karabiniere, erhob die an
dere drohend mit ausgerecktem Zeigesin
ger und murmelte, ihn schief anschau
end, rnit vor Zorn erstickter Stimme:
»höre, Dir ist in einer unglückseiigen
Stunde der Gedanke gekommen mit
mir den Starrtops spielen zu wollen . .
Du weißt nicht, wer ich bin . . .Bor mir
standen schon Leuten die Haare zu
Berg, die mehr Mth hatten wie Du . .
Du hast teiren Begriff davon, was ich
fähig bin, Dich leiden zu lassen . . . Jch
bin fiihig, Dich bis morgen mit Dolch
stichen zu quälen, ohne Dir das Leben
zu nehmen . . . Dich so weit zu bringenl
daß Du nicht mehr die Gestalt eines
Menschen hast . . . Dir die Augen aus
dem Kon zu reißen . . . Du weißt, wie
es den anderen ergangen ist . . . Stellt
mich nicht aus die Probe . . . sage, was
Du sagen sollst, bevor mir das Blut zr
Kopfe steigt.
Bei den letzten Worten nahm er dir
Hand von seinem Kopf-e, betrachtete sie
es waren Haare daran. Aergerlick
warf er sie ihm ins Gesicht, und sie blie
ben am Munde hängen. Um sich diesei
zu entledigen, spukte der Karabiniers
aus. Die Briganten faßten dies als
als ein Zeichen der Verachtung auf uni
hielten sich nun nicht mehr. Alle dre
stürzten sich mit einem Wuthschrsei au
ihn; das Haupt vorgebeugt, die Au
gen verdrehend, warfen sie sich auf ihr
wie drei Raubthiere und begannen mi
den Dolchspitzem mit den Fingernii
geln, mit den Zähnen, mit den Knieen
mit den Füßen ihn zu peinigem wii
thend, aber stillschweigend; bald hiel
der eine, bald der andere ein wenig insne
um Akhem zu schöpfen; einer sagte zun
andern: »Gemach!« — um sich gegen
seitig zu erinnern, daß sie ihn nicht töd
ten toollten; und sie traten ihn, brach
ten ihm kleine Stiche bei, bissen; Bluts
tropsen, hemdenfetzem Haarhiischel fie
len zur Erde. Man hörte nur der
schwachen Athem der drei Henkerstnechi
te, das Geräusch der Dolche, die an ein
ander siießem das matte Seufzen desi
Opfersz sie waren blind, trunken, ver
thiert; sie schienen nicht mehr drei Men
schen zu sein,«sondern ein Ungeheuei
mit drei Leibern, angeklammert an ei
nen Menschen; sie boten dem Augt
alles das dar, was Raserei, Gemein
heit und Grausamkeit Schreckliches ha
ben können.
»Ti5dtet ihn noch nicht!« begann nur
der junge Mann wieder voller Angst zu
schreien, indem er sich eiligst balsd ge
gen die Briganten, bald gegen die Ebem
hin wandte, indem er die Stimme meha
und mehr erhob, wie um ein nahen
deö Geräusch zu übertönen —- »tödtet
ihn noch nicht! Wartett Er wird alles
sagen! Wenn ihr ihn tödtet, werdet
ihr nichts erfahren! Versucht es noch
einmal! Er hat ein Zeichen gemacht
daß er sprechen will! Tödtet ihn het
nachi Jch werde ihm einen Dolchstok
in das Herz geben« wenn ihr es nicht
thut! Mut die Dolche weg! Ridt ihn
mir mit den Dolcheni Seht ihr denn
nicht, daß er Mi«
Ohne mit feinem Schreien aufzuhib
ren, warf er einen Blick hinaus, . ganz
nahe aulf den Fuß des Bollwerisx dann
sprang er in dIeMitte der Uinzäunnng
- änderte mit ehren-male den Ausdruc
seines Wtk und seiner Stimme, in
dem er mit einem Ton unaussprechlicher
Verachtung schrie:
»O Feiglingel Drei gegen einen
Sterbenderi!"
»Hol Dich der Teufels« brüllte der
Anführer, auf ihn zudringend, den
Dolch gegen ihn erhoben.
»Es ift zu spät!« antwortete dieser
mit einem Freudenfchaner; nnd indem
er auf den Eingang deut-ete, rief er:
»Da stehl«
Jn dem nämlichen Augenblick, als
die beiden anderen Briganten, gewarnt
durch die Worte des jungen Mannes,
in aller Eile einen weiten Mantel auf
das Opfer warfen, und während der
Anführer zur Flintse griff, um sich
dem geheimnißsvollen, nahenden Feinde
entgegen zu werfen, ließ sich plötzlich
ein Getöse von Schritten, Waffen,
Stimmen hören, blisten Bajonette und
Flintenrohre vor dem Eingange, über
den Felsblöcken, auf der Höhe des Fel
sens, stürzte ein Trupp Karabienieri
herein, der blitzschnell alle, die er inner
halb des Walles fand, umgab, über
wältigte, entwaffnete und zur Erde
warf. Es folgten einige Augen-blicke
der Stille, während welcher man nur
die raschen und schweren Athemziige der
keuchenden Karabinieri hörte.
Helft dem Sterbendenl« schrie mit
einenrnrnale der junge Briganst, der
ebenfalls wie die anderen auf den Knie
en lag, die Hände auf den Boden ge
stützt, unter dem Vajoneite eines Kara
biniere
«Welchem Sterbenden?« fragte der
Hauptmann, indem er vorwärts schritt,
flaudig und athemlos
»Dort in der -Ecke!« antwortete der
junge Mann, mit dem Finger hindert
tend. Alle wandten sich, um zu sehen,
aber keiner entdeckte etwas.
«Unter dem Mantel!« wiederholte
öder Brigant
Der Hauptmann, von den Blicken al
ler-begleitet, näherte sich der Hütte, er
griff den Mantel und wars ihn zur
Erde Ein allgemeiner Schrei des Ent
setzeiis hallte beim Anblick des Größ
»lichen wider." Der unglückliche Ge
fangene, aus der Ede knieend, die Hän
de auf dem Rücken, das Haupt auf die
Brust herabhängend, war ganz voll
blauer Flecken voll Wunden und voll
Blut, das aussah, als sei ihm die Haut
abgezogen worden; er macht eine An
strengung den Kopf zu erheben.
»Bindet ihn sofort los-T« rief der
Hauptmann. »Gebt ihm zu trinten!«'
Drei Karabinieri eilten herbei, ban
den ihn los, setzten ihn nieder und be
gannen die Verwundiingen zu prüfen;
die anderen, blind vor Zorn, schlugen
die Briganten mit ihren Flinteirtolben
»Die Waffen nieder!« schrie der
Hauptmann. Dann wandte er sich an
den jungen Mann: »Sprich Du!"
Der Karabinierie, der ihn hielt, ge
« stattete ihm, sich zu erheben.
- »Wann wurde dieser Mann gesan
gen?'« fragte der Hauptmann, »sag di·
Wahrheit, bevor Du stirbst.«
H »Diese: Mann,« begann der junge
Brigant mit betiimmerter Stimme
- noch zitternd vor Angst und Schre
T cken . . . »Dieser Karabiniere. . . sie ha:
s ben ihn heute morgen gefangen....
« sie haben ihn hierher geführt . . . sie ha
, beii ihn gebunden...ioollten, er sollt
- sprechen . . er sprach nicht . . . sie spran
: gen auf ihn, ich habe es gesehen. Mein
, Gott, mein Gott!«
" »Aber iver bist denn Du?« rief dei
Hauptmann, indem er ihm den Hut
- vom Kopfe riß.
- Alle drei wandten sich herum unt
« tiefen: »Eine«Frau!«
s »Ja,« schrie diese wie kniest-, »ich
: bin eine Frau... sie haben mich ge
- raubt . . . es sind vierzehn Tage her . ..
- sie setzten mir das Messer an die Keh
s le . . . haben mich mit sich geführt . . ..
s Aber ich habe meine hände nicht mit
: Blut befleckt, ich schwöre es! Jch be
- gleitete sie nur, damit sie mich nicht
tödteten. Jch bin aus Sau Sol-ern
: bin eine arme Bäuerin . . .«
»Warum hast Du nicht einem von
Fässer einen Schuß in den Kopf gege
. »Ich habe den Mut nicht gehabt, sie
hätten mich gefoltertx man muß sehen·
was sie thun . ..Jch glaubte närrisch
- werden zu müssen . . . Wenn ihr gesehen
- hättet. . . Aber er« — und sie deuten
aief den Verwundeten —- »er ist ein
Gott gewesen, er hat alles erduldet . .«
- er hat kein Wort gesagt, tein Wort.
»Schlepsn die seigen Hunde zu den
Füßen ihres -Opferö!« schrie der haupt
mann.
Die Karabinieri schleppte-n die Bri
. ganten oot den Verwundetm dessen
Kopf mit einein Lappen verbunden war«
der das Gesicht bedeckte.
»Ich-bin hier,« rief sder hauptmann
irdeni er sich zu dein Ungliiiuichen neig
te, welcher wieder Zeichen des Bewußt
seins zu geben begann; »Du bist ge
rettet, Dir bi inmitten Deiner Ge
fährten! Fa e Muth! Sieh' Deint
? Mörder knieen vor Ditt«
Der Karabisniere erhob tangsain den
Kopf und schüttelte sich. Das-m streckte
er eine Hand aus, legte sie aus das
lDaupt des Brigantensührers, zog sie
zurück, lächelte mit blutigem Munde,
streckte den Kopf vor und spukte ihm
ins Gesicht.
»Was ist dass« sragte der Haupt
man-n indem er etwas Weißes und Wei
ches aufhob, das, wie er zu sehen ge
glaubt hatte, aus dem Munde des Un
glücklichen gesallen war.
»Die Antwort . . an . . den Oberst,«
antwortete der Berwundete mit nur
noch schwacher Stimme.
»An den Oberst von San Severot
Meine Antwort? Die ich Dir heute
morgen gegeben?«
Der Karabiniere nickte.
Der Hauptmann sprang aus ihn zu,
legte einen Arm um ihn und küßte ihn
aus die Stirne; dann sprang er aus
die Füße und ries seinm Soldaten zu:
«Neigt euch svor diesem Tapfern, Kin
der! Er brachte dem Oberst meinen
Brief, welcher unsern Ausbruch anzeig
te, sowie die Zeit und Richtung unseres
Marsches; wenn die Briganten ihn la
sen, waren sie in Sicherheit; er steckte
ihn in den Mund und sprach nichts,
um sich nicht zu verrathen und duldete
die Folteraualen stillschweigend Es
ist ein Held! Ein Märtyrer! LEr ist
eine große Seele!"
»Ja,« tiefen alle Karabinieri zusam
men mit einem Tone. der aus der Tiefe
des Herzens kam.
»Küßt ihm die Füße, ihr seigen Hun
de,« ries der Hauptmann den Brigan
ten zu.
Diese, wie Schlangen aus der iErde
hinschleichend, tüßten einer nach dem
andern die Füße des Verwundeten.
»Hauvtmann!« ries dann die Frau
indem sie ihn msit den Augen einer
Wahnsrnnigen ansah; »ich tonnte ein
Warnungszeichen geben, als ihr ta«met,
und that es nicht . . . ich ließ euch kom
men . . . Gewährt mir zum Lohne eine
Gunst . . . Jch bin eine verlorene Frau
. . . . ich kann nicht mehr nach hause zu
rück...Laßt mich mit diesen da er
schießen««
»Nein,« rief mit äußerster An
strengung der Verwundete.
Alle wandten sich um.
»Jhr,« fuhr der Unglückliche mit hei
serer Stimme fort, seine blutige hand
der Frau entgegenstreckend, »Ihr müßt
ein Wert der Barmherzigkeit khlm.«
»Welches-? Sagt! Mein Gott!
Jch bitte Euch darum um des Himmels
willen!« rief die Frau, indem sie sich
mitrfczesalteten Händen zu seinen Füßen
wa ·
»wenn vegtenenz" . . . murmeire oer
Unglücklichr.
»Wohin?« fragte die Frau.
,,Ueberall?«
Alle schauten sich verwundert an.
»Was wollt Jhr sagen?« fragte die
Frau wieder.
»Ihr habt sie nicht alle gesehen, meine
Wunden,« antwortete der Karabiniere
»Seht her!"
Und er erhob das Taschentuch, wel
ches seine Stirn bedeckte. Alle näherten
sich besorgt, schauten und stießen einen
herzzereiszenden Schrei voll Mitleid
und Schrecken aus. Der Unglücklicht
war blind.
»Zum Tode!« heulten dann alle Sol
daten, indem sie die Briganten mit den
Füßen stießen. Der Stimme des
Hauptmann-s gelang es nicht, den Lärir
zu beherrschen. Die Karabinieri stürz
ten hinaus-, indem sie in ihrem eiligen
Laute die Mörder niederwarsen.
»Wer-da Ihr . . . dieses Wert . . . dei
Barmherzigkeit thun?" fragte dei
Verwundete die Frau, als sie allein
waren.
Jene erthob die Augen gen Himmel
und sagte: »Mein Leben gehört Euch.«
Dann drückten sie sich die hande, unt
eine lrachende Salve. welche im Thale
abgeseuert wurde, schien den edelsmni
gen Bund zu begrüßen, welche seit zehn
Jahren die mitleidwolle Frau mit dein
Helden verbindet.
-.—« »wi.».-«-.- . . » .«.--...
ertscher Trost.
Von Hugo Klein.
Die alte Generalin hatte wieder ih
ren Jour. Den Himmel Dant! Jn
talten, trübseligen, regnerischen Früh
lingstagen bot ihr behaglichen wohl
durchwiirrnter, mildbeleuchteter kleiner
Salt-n wirklich ein erquicken-des AsyL
Letse und doppelt behaglich summte der
Samotvar. Die Nichte der hanssrain
die schöne Baronin, tredenzte den Ther.
wobei »die plastisch entzückenden Formen
ihrer weißen Gan-d vortresslich zur Gel
umg kamen. Jch dachte an englische
Riemann deren hell-innen diese häus
liche Beschcks nng zu so vielen Erobe
rnngenverhi t. Die Tassen sogen das
seine Parsiitn der Sand an und der
Thee mundete wie noch nie.
- Es waren die gewohnten Gäste des
Mses »du nnd noch einige junge Da
men, die wir zmn ersten Male sahen
und welche sich sriistelnd um den Kamin
skUppkrten Man sprach dieses Mal
über ein Buch des Vor-le ers der Kaise
rin Elrsabeth, Dr. Cri omainoch das
die schöne Van der hohen Frau qui
Rats-u beschreibt. Mit rührenden Wor
ten schildert der Verfasser die ewige
Trauer der Fürstin, die den Tod des
zzcirtlich geliebten Sohnes nicht ver
; schmerzen kann, und toie sie des Abends,
Hin den Dämmer-stunden, zwischen den
lweiten Säulen des Peristyls wandle,
Hwährend ihre Gedanken weit iiber die
Yblaueu Berge hinausfliegen.
; »Die Einsamkeit ist eine schlechte
zTrösterin«, sagte eine bekannte junge
zDichterin mit dunklen, schmachtenden
IAu n. »Ich habe, so jung ich bin, schon
Evie Kummer im Leben gehabt. Jn
ZFällen eines großen Schmerzes treibt
Tuns der erste Impuls stets dahin,
uns in der Einsamkeit zu vergraben.
die Menschen oder wenigstens die Be
kannten zu fliehen und nur unserem
Leide zu leben. Es ist jedoch ein wah
res Unglück. wenn man solchem Im
pulse folgt. Man spinnt sich förmlich
mit dem Schmerze ein, wie ein Seiden
wurm in feinem Cocon, und so dünn
und traumhaft auch der einzige und
alleinige Gedantenfaden sei, den wir
immer um uns hüllen, zum Schlusse
stecken wir in dem undurchdringlichen,
festgeschlossenen Gehiiuse, ohne Licht
und Luft, zum Erstickem wie eine
Puppe, die sich häuten muß, um wieder
zum Leben gelangen zu können. Jn
gewissem Sinne muß das auch der
Mensch. Er wird in herben Schmer
zenstagen gewöhnlich ein Anderer in
seinem seelischen Leben und Charakter
und macht den Versuch einer neuartigen
Existenz Jedenfalls findet man in der
Einsanuleit nur den Trübsinn zum Ge
nossen, und idas ist ein schlechter Bera
ther . .. Reden wir lieber nicht davon
» . Jm Trubel des laut-en Lebens, in
Gesellschaft, bei Arbeit und Zerstreu
ung gelangt man dagegen viel leichter
über das Leid hinweg, so groß es auch
sei. Zwar ist uns die ganze Komödie
herzlich zuwider, eine Pein, die uns
größer Hin-in als jede andere; wenn wir
uns aber nur irgend einer noch so mächti
gen Beschäftigung und dem gewohnten
Versteht hingeben, wird es doch lauw
möglich sein, immer nur an dem trauri
gen, quälerischenGedanlen zu spinnen
wie dies sonst geschieht. Die Haupt
sache ist das Ver-gessen — wenn aucl
anfangs nur auf Minuten und Stun
den ——« in der Einsamkeit findet es sur
aber nicht einmal auf Setundenl Mai
ist »der Erinnerung preisgegeben, die er
barmungslos ist und mit schönen Bil
dern vielleicht noch mehr quält als mi
häßlichen. Und in peinlichm Phonta
fien verirrt sich der Geist —- es ist en
wahres Wunder, wen-n er wieder au
den rechten Weg findet!« ·
»Damm sieht man offenbar soviel
närrische Menschenl« sagte die alte Ge
neralin. »Die Zeit der Wunder is
vorüber.«
t »Er-ten wahren und wirklichen Uo
fter habe ich kennen aelernt,« saate eii
hoher Ministeriatbeamter, desse1
freundlich strahlendes Gesicht das in
nerliche Vergnügen an den Freuden die
ser Welt verrieth. »Das ist der Wein
Wie oft hin ich der Einsamkeit ent
flohen, weil ich dachte. verrückt werdei
zu müssen! Wie oft stürmte ich it
Thränen aus dem Hause! Nur hinaus
auf die Straße, unter Menschen! Dani
setzte ich mich an einen Gasthaustisd
und beaann zu trinken. Und nach de
ersten Flasche sah ich schon Alles in an
dereni Lichte, wurde heiter und leichtei
Muthes-. Jch glaube, es ist die rascher
Bluicirkulation. die der Wein herbei
aefiihrt und welche das Wunder voll
brinat ———«
»Darmn sieht man offenbar so viel
Leute mit rascherer Blutcirtulationt
fiel »die schneidiae alte Dame vom Haus
- wieder ein. Und ihre Gäste lachten.
l »Wir lachen«, nahm da eine junge
tzarte Blondine das Wort, eine blau
läugige Polin, die in zweiter Ehe seh
lgliicktich mit einem Rittrneister verhei
rathet war, »aber die Sache ist seh
ternst Jn Wahrheit muß sich Jede·
glücklich schätzen, der in bösen Kummer
tagen irgend einen Trost findet, unt
schöpfe er ihn auch aus dem Weinglase
Denn nichts schwerer als das! Alli
Trostworte, und wären sie noch so herz
iich, klingen wie Phrasen. Und wem
sich fiir Einen doch ein Trost bietet, s
ist für Den- wirklich ein Wunder ge
schehen. Mir ist das einmal recht tla1
und tehendig geworden in einem schwe:
ren A - endlicke meines Lebens —-«
Erzählen Sie! Erzähten Sie!« rie«
man von allen Seiten, all die schön(
Frau tnnehielt.
»Nun wohl, es sei«, sagt-e sie. »Mein
Geschichte ist to auch so ziemlich bei
kannt, und ich vermthe keine besonderer
Geheirnntfse. Mein erster Gatte versies
mich, ging mit meinem Vermögen unt
einem anderen Weibe nach Amerika
In der Aufregung jener Tage verfiel iel
in ein hihiges Fieber und schwebt
wochenlang zwischen Leben uird Tod.
Endlich siegte meine gesunde Natur.
Aber die Genesung ging sehr langsam
sdon Statten und ich swar so schwach,
daß ich das Bett nicht verlassen konnte.
Urwergeszlich wird mir nun ein Abend
in meiner Kranierrstube bleiben. Jch
erwachte aus einem unruhigen, quälen
den Schlummer. Als ich die Augen
ossiiete, fiel meiin Blick zufäll« auf die
Barmherzige Schwester, die mich
pflegte und am Fußende sdes Bettes saß.
Jch hatte sie Uvch nicht genauer betrach- .
tei. Es war eirt Weib Von etwa vierzig ,
Jahren, fruhzzeitig gealtert, mit man-«
chen Futchen im Gesichte. Was mir in -
jenem Augenblicke an ihr plöhlich aus- -
fiel und meine Gedanken beschäftigte, »
war ein Ausdruck absoluter Gleichgül
tigieit und unerschiitterlicher Ruhe in -
dem Gesichte dieser Frau. Die hat
schon viel Leid gesehen, dachte ich bei
mir, und die empfindet gar nichts mehr
für ihre Kranken. Und es lockte mich,
mit ihr darüber zu reden
»Wie lange pflegen Sie schon
Kranke?« fragte ich sie.
»O lange, beinahe schon zwanzig «
Jahre.«
»Da waren Sie schon Zeugin vieler
traurig-er Dinge!« fuhr ich fort.
,,Ja,« erwiderte fie. »Jn der Kran
tenstube spielt sich nicht viel lustiges ab.
Und mii der Zeit wird man wirklich
abgestumpft, ganz und gar abge
stumpft. Man sieht so uielGram, daß
Einen selten mehr etwas ergreift. Aber
manchmal geschieht es doch · . . So auch
unliingst, bevor ich zu Ihnen tam.«
»Was war das?« fragte ich neu
gierig.
»Den-ten Sie«, erzählte die Wörtc
rin, »ein junger Mann, ein halbes
Kind, suchte sich zu tödten, weil ihn ein
Mädchen abgewiesen hatte. Er schoß
sich eine Kugel in die Brust.«
»Ach!« rief ich aus.
»Es war wirklich herzzerreißend zu
sehen«, berichtete die Frau weiter, »wie
der Arme dalag. Die Kugel war glück
licherweise an einer Rippe abgeprallt;
aber bis man sie fand, bis man sie her
auszog! Undsder Blutverlust und das
Wundsieber! Er war schrecklich herab
gekommen. Und ein so hübscher Junge!
Er mochte wie Milch und Blut gewesen
sein, ganz mädchenhaft, und hatte so
gutherzige blaue Augen und ein so net
tes Schnurrbärtchen « man war ver
sucht, zu denten, Jede müsste sich in ihn
" verlieben-«
»Blieb er am Leben ?« fragte ich.
,,J·a,«« erwiderte sie. »aber es dauerte
H doch rang-, bis sie um inss Richtige
" brachten. Und dann nahm seine Her
T zensgeschichte eine seltsame Wendung.«
Die Sache begann mich zu interessi
i ren und ich bat die Schwester, mir auch
’ das Weitere zu berichten. Sie berich
tete nach Frauenart sehr umständlich,
aber es- war doch Alles auch sehr lehr
reich —- es betrifft merkwürdigetweise
jenes Kapitel des Trostes, von dem wir
eben sprachen. Die Wärieriii begann
I also
»Als der Aermste so weit war, daß
man mit ihm wieder über die unglüc
- liche Geschichte reden konnte, suchten ihn
seine Angehörigen zu trösten. Erst lam
· der Vater heran. « ,,Also, die Marie
- ist’s, die Du so liwst?" fragte er. »Ja,
die Maria« —— »Na, da hättest Du die
Sache nicht so tragisch nehmen sollen.«
— »Aber Vatert« —-— »Was ist? Die
Liebe noch nicht geheilt?« ——— »Nein." —
»Nach einem solchen Aderlaß«, sagte der
k derbe Alte unerschiitterlich, »solltest Du
»die Sache nüchterner betrachten. Jch
tenne Marie nnd weiß, was sie werth
ist. Zwar was Uebles tann ich ihr nicht
nachsagen. Die Fehler, die sie hat,
- theilt sie mit vielen Mädchen. Die
Meisten lieben Putz und Unterhaltung
und suchen einen reichen Mann; einen
reicheren, als Du bist. Freilich — muß
man sich gerade unter diesen Eine aus
wäshlen?« Der junge Mann wehrte
wieder gequält und vorwurssvoll ab,
doch liesz sich der Alte dadurch nicht be
irren. »Du hast Dich in das Lärvchen
vergasst«. sagte er. »Das ist Geschmack
sache. Doch ich will nichts mehr reden,
oder, besser, ich will später mit Dir ernst
über die Sache reden, wenn Du sie mit
lühlem Blute betrachten wirst. Wer
soll Dir die Wahrheit sagen, wenn nicht
Dein Vaters Heute steht die Sache
sehr gut siir sDich. Du hast in aller
Form einen Korb bekommen Jch sage
Dir, mein Junge, Du weißt gar nicht,
was siir ein Glückspilz Du bist!« Da
mit ging der Alte ..... Nach dem Va
ter tam der ältere Bruder herbei. Auch
ein sehr hübscher Mann, aber der stin
gere war sympathischen »Gott sei
Dant," sagte er, »daß wir Dich her
ausreißen konnten! sDu bist ein wah
res Kind, hanc, daß Du Dich eines
- Mädchens willen tödten wolltest. Das
kommt daher, dass Du alle Dinge zu
ernst nimmst. Du mußt etwas lusti
gere Gesellschaft suchen, als bisher,
nicht so viel stusdirem nicht so viel ar
beitenl Ich habe mir vorgenommen,
Dich künftig unter meine Fittige zu