Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 19, 1896, Sonntags-Blatt., Image 16

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    Vor Diim
Aus den Erinneruugen eines deutschen
Ofsiziers.
Bin sitheuu Caedte
Es war zu Anfang des Jahres 1871.
Mitten in Frankreich standen die deut
schen Heere, mit Sieg unsd Ruhm hat
ten sie das Land durchzogen, gefangen
lag »das soanzötsvsche heer im deutschen
Lande, gefangen der Frankenkaisez
und der deutsche Waffenruhm Hang
über Land und Meer! Nur noch in
einzelnen Provinzen wogte der Was
fenkamps; ganz besonders war es der
Süden Frankreichs der zum letzten
Male. was er noch an Kraft besaß, jetzt
zusammengeroer hatte, um im erbit
terten Kampfe, im Kampf bis aufs
Messer-, doch noch etwas von dem alten
Ruhme zu retten!
Bot Dijon, dem zweiten Paris,
Hand zu dieser Zeit, Ende Januar, eine
deutsche Brigade dem itatienischen
beiden Garibaldi gegenüber, der es
unternommen hatte, dein Frankenvolke
feine hülse anzubieten, und der hier
vor Dijon ein den Deutschen an Zahl
vier-such überlegenez, aber zusammen
gelaufenes heer um sich geschaart hielt.
—- Man wollte diesem frei-willig zuge
sogenen ausländischen sheros die deut
sche Tatze zeigen troh seiner Uebermacht,
und ihn in engsier Umavmung festhal
teiå in zdem selbst gewälnten Gefang
. ni e. (
Es warder Abend des 21. Januar!
—- Bom frühen Morgen schon hatte der
Kampf gewiithetl Erbittert waren die
beiden Gegner aufeinander gestoßen,
und das Schlacht-seid war bedeckt mit
Todten und Verwundetm Leichte
Schneeflocken hatte der Himmel hernie-«
hergesandt auf »die Stätte des Leides
und der Schmerzen," die Wunden zu
kühlen und die Todten einzubetten.
Endlich war der Abend hereingebro-"
chen und hatte dem Kampfe ein Ende
gemacht. Auf dem Schlachtfelde selbst,
kaum eine Stunde von den Mauern der
Stadt entfernt, biswatirte die deutsche
Scham-, während der Gegner ssich in der
Stadt verschanzt shivlt Gegen Abend
hatte der Schneefall nachgelassen, die
volleMondscheibe war an dem düsteren
Himmelsgewölbe emporgestiegen und
beleuchtete weithin Odas weiße Leichen
tuch, das der Himmel seinen gefallenen
Söhnen gespendet hatte. Endlich war
der letzte Schuß verhallt, endlich war
Ruhe —- entsehensvolle Stille ringsum,
rund die Truppen zogen «sich zur gemein
samen Nachtruhe zusammen.
Zu der deutschen Brigarde gehörten
zwei Batterien ein-es Pommerischen
Regiments, bei welchen zwei Freunde
als Offiziere standen, ldie sich auf der
Rriegssschule treue Kamerad- und
Waffenbriiderschaft gelobt hatten.
Beide hatt-en als junge Offiziere den
Krieg mitgemacht, und der Zufall hatte
es gefügt, daß die Batterien, welchen sie
angehörten der.Brigade zum Zuge ge
gen Dijon zugewiesen wurden. Heute
waren die Batterien vereinzelt im Ge-1
fecht-e gegen den Gegner verwendet wor- .
den, denn während die eine im Süden
die große Hauptstraße den deutschen»
Truppen deckte, war die andere Bat-;
terie seitwärts im Gelände aus-f einer;
An«höhe, näher zur Stadt heran, wälz
read des heftigen Angrifer thätig ge
wesen — So tam es, daß die erste Bat
terie früher in’s Biwal einriickte, um
nach dem heißen Tage die fiir Mensch
und Thier nothwendig-e Nachtruhe zu
halten. War tddch morgen ein neuer
Kampf zu erwarten, man wollte dem
Gegner hier auf dem Schlachtfelde wie
der enstgegesntreten —- Doch Mancher
fehlte, der am Mor en noch in Jugend
lraft und Jungenämuth in’s Gefecht
gezogen war; jsa Viele —- Viele —
fehltenl —- Gelichtet waren die Reihen
der Mannschaften, der Unteroffiziere,
der Osffi-ziere; Viele lagen unter der
weißen Schneedecke gebettet, gefallen im
Kampfe für das Vaterland! Nur
langsam fügten sich tdie Glieder der ein
zeln-en Truppen zusammen. Nun end
lich kam auch die zweite Batterie auf
der Straße herangezogen, um Seite an
Seite mit der Schwester-Damen die
Nachtruhe zu halten. —- Gespenstisch
iangsam kam in dem Mondlichte der
Zug der Geschiihe näher und näher —
neit bebender Scheu erwartet von einem
Offizier der ersten Batterie — von
Georg —, welcher,kvor seinen Geschü
hen stehend, den Antonius-enden entge
gM’sch- H
»Wie langsam, wie langsam sie her
ankommen,« sprach er vor sich hin, »es
dauert Eine Ewigkeit!«
Man sah Ihm an, wie ihn die Erns
unsg, die Ungewißheit quälte!
»Ich halte es nicht mghk aus, ich muß
ihnen entgegent« tief er und lief in der
Richtung der Straße vor.
Athemloi sam et zu den Ankömm
1W, und rief dem Fishterdej ersten
Geschüdes ist
»We) isi Lieutenant Gersdorf?"
»Lieutenant von Gersdorf,« sagte
der Unteroffizier, ,,ist gefallen! Gerade
als wir abfuhren, traf ihn eine Kugel (
Dort oben auf dem Hügel, da liegt er!«f
»Todt!« schrie Georg und hob die
hände zum himmel, »todt, Wem-r
Werner todt!« —- Ein tiefes Stöhnen
entrawg sich seiner Brust, er lehnte sich
in stummer, verzweHlunxgsvoller Qual
an einen Baustanrin der Straße. —
Vorbei an ihm zog die lange Reihe der
Geschütze und Wagen dem Lager zu
Vor der Mitte der aufgefahrenen
Geschütze saß auf einem umgestiirzten
Eimer der Hauptmann und Führer der
ersten Beitterir. Er hatte sich fest in sei
nen Mantel gehüllt, und hielt sich zwi
schen Wachen und Träumen, um jeden
Zeit fertig zu sein zum Aufbaich'gegen «
einen Ueberfall oder jedwede Tücke des
Feindes. Während er so vor sich hin
ftarrte, fiel plödlich der Schatten eines
Mannes in das Monlicht vor ihm; er
blickte auf und sah vor sich Geopg,den .
jüngsten Offizier seiner Batterie. Ens
staunt sah er in das verstörte Gesichth
seines Lieutmants, schnell erhckb er sich
und trat auf ihn zu· s
»Was giebt s, was ist geschehean
fragte et dringend
»Nichts, was die Batterie angeht,«
erwiderte Georg, bemüht, seine Erre
gung nicht in seiner Stimmer zu ver- I
rathen, »ich habe nur eine Bitte, einei
!
l
Bitte für mich«
»Was ist Jhnen mir?"
:Jch wollte um einige Stunden Ur-:
taub bitten. »
,,,Urlaub Unlauh?« wiederholte derx
hauptmann in höchstem Erstaunen.;
»jeßt, hier auf dem Schlachtfelde, Ur-;
lauh?« I
»Mir für einige Stunden, für zwei Z
bis drei Stunden!" .
Und weshalb? Was haben Sie
vor? —- Jch hin ganz erstaunt, wass»
kann Sie bestimmen -——« ;
Geng trat näher an ihn heran und
sagte mit behendet Stimme:
»Sie haben wohl schon gehört, Herr
Hauptmann, daß Lieutenant Gersdorf!
gefallen ist —- dort drichen aus detnj
Weinber gshiige sk« l
«,gAh« riefge der Hauptmann ,Siej
sind Freunde, man nannte sie ja im
mer: die UnzertrennlichenL Und nuni
— wollen Sie? —- Gehen Sie den Ge- ;
danken aus, den Ihr jugendliches
heißes Blut erzeugte, ein Ding der Un- j
möglichleit, Sie wollen dorthin —- wol-T
len zu ihm?« s
»,Ja « sagte Georg bestimmt, ich
muß— ?
»Unmöglich,« unterbrach ihn der!
hauptxnann und legte voll MitgesiihH
die band auf die Schulter des jungeren
Kameraden. »Unmdglich, lassen Sie(
ihm dort seine Ruhe, er ist gefallen irnj
Kampfe, gefallen für das Vaterland, ;
was könnten Sie ihm jetzt dort nützen ?« E
»Wenn er noch nicht todt wäres« rief ,
Georg Massen Sie rnich gehen, habeni
Sie Mitleid Jch fühle, ich weiß nie!
mehr im Leben werde ich froh werdens
wenn ich jeßt nicht dorthin tann, wenns
ich ihn nicht noch einmal s-rhe!« i
Bewegt fah ihm der Hauptmann in s;
Gesicht und ickgkk »Es geht nicht! Jchg
weiß, was Sie fühlen, wie Siei
die Freundschaft, die Liebe zu dem Ka- i
meraden bewegt und treibt; ja, lassen
ZSie es mich Jhnen aussprechen, Sie
stehen hoch m meinen Augen« Sie selbst
wissen, wie ich Sie achte und schätze, oft «
genug hahe ich es Jhnen gezeigt! "
Georg, ja daß ich Sie liebe wie einen
jjingeten Bruder, und ich flehe zum-.
gnädigen Geschick, daß einst mein Kna
be, der jetzt sdes Vaters zu hause ent
behrt. Jhnen gleichen möge in fester
Sinnesart und in männlichem Stolze,
doch dies Ihnen zu gewähren, steht
nicht in meiner hand! Nicht mir, nicht
Jhnen gehört Jhr Leben, wir-schulden
es dem Könige, dem Vaterlande, dem
wir uns zugeschrooren haben! —- Nicht
leichtsinniger Weise dürfen wir es auf
das Spiel seyen, wir müssen es ansspas
ten für den Kampf, für die Entschei
dung!—— —Der Gang aber zu jener Höhe.
die jeßt m den händen des Feindes ist,
hieße hrLeden nnniih ruhmlos opfern
onlichem Interesse! Ja, in der
Schlacht mdgen wir den Tod finden,
wenn wir ihn selbst in das Herz des
Feindes tragen! Jeder Mann zählt km
Felde dopwlt, unid ein kühnes her, wie
Sie es hosißem ist tausend wert ! —
Rein, Georg, ich sann diese Verantwor
tung nicht aus mich nehm-en, stehen Sie
ah zu bitten!«
Ein dumpfe-: Klingelaut drang ausj
des Brust des Lieutenants, er sah bilfe- ,
suchend m dke Augen seines Vorgefey-E f
ten.
»Ich habe mir das Alles schon selbst;
gesagt, aber unvsonst. Ruh-los treibti
mich mein Sinn im Lager wart-sey ich?
finde keinen Frieden mein Leben bang,5
wenn ich ihn nicht noch einmal seh-U
Auf der Krisgäschule haben wir unsj
trene Waffenbrüxdetschaft gesehm-seen I
jetzt ist an mir, sie einzulöfen er etwas-z
tet wich, passen Sie mich gehen! Jch
»komme wieder, in zwei Stunden bin ich:
»zuriick!« -
i »Oder nie!'·
» »Wie soll ich Ihren Sinn erweichen,«
Irief verzweifelt Georg. «Lassen Sie
Fsich an Jhren Sohn erinnern, ihm wün-«
ifche ich, daß er ein-it einen Freund sin
Iden möge, der zu ihm halte in Freud
kund Leid, in Schmerz und Tod, der ihn
aussuche, wenn er unter Todten, noch
lebend, sich nach einem freundlichen
Blick sehnt! — Jch weiß, läge ich dort
drüben. zum Tode getroffen, Werner
fwäre gekommen durch Tod und »durch
)
Gefahr!« .
; »Sie machen mir das Herz weich, Sie
kverftehen zu sbittenl — So gehen Sie!
EJch will die Verantwortung auf mich
nehmen! Jch hoffe, Sie wer-den zurück-;
stehrem der Ewige wish Sie beschützen!
»Ich glaube noek an Wunder. und Iderj
kalte Gott lebt noch! Gehen Sie, GeorgJ
Haber seien Sie vorsichtig! Gott mit»
Jthnen und kommen Sie zurückl«
E Er zog-den Offizier in herzlich-r Erq
Iregung zu sich heran und-küßte ihn auf
"die1Stirn
» Dankbar drückte ihm Georg die
Hand, dann verschwand er schnell hinter
den Gefchiitzem Hier rief er nach fei
.nem Burschen Der tom herbei und
hörte mit Erstaunen den Befehl seines
Herrn, von dem Mantel die blanten
Knopfe abzutrennen Verwirrt sah er
ihn an, als habe er ihn nicht verstanden.
»Du sollst die Knöpfe adschneiden,««
wiederholte Georg.
»Die Knopfe?« (
»Ja. beeile Dich! Sie könnten mich
verrathen hei dem hellen Mondlicht!«
»Den iLieutenant wollen fort? Jetzt
in der Nacht?« «
»Ja. Du hast swohl sehst-L Linne
nant Gersdorf ist gefa en, dort oben
liegt erl«
Milch, Herr Lieutenant, ich habe es
getht, aber er ist todt und den Hiigel
haben die Franzosen; OHerr Lieutenant,
gehen Sie nicht, es niiyt ihm ja doch
nichts!«
»Still! Jch maß! Jch will selbst
sehen, ob er todt ist! Bin ich in zwei
Stunden nicht zurück, dann bin ich auch
gefallen. und dann, Heinrich, bist Du
mein Erhe, Du weißt, ich stehe allein!
Viel ift es nicht, aber Alles, was der
Koffer enthält, ist Dein! Du hast mir
treu gedient und weer Du dann heim
tehrst auf das Bauerngut Deines Va
ters unld Du führst Deine Braut als
Frau in die Wirthschaft, dann packe den
Koffer aus und erinnere Dich dabei an
Deinen Lieutenant im Kriege! Hier
nimm,« er riß ein Blatt aus seiner
Brieftafche und schrie-h einige Worte
daraus, »mein Testament, damit es Dir
Niemand streitig macht-—nun, so nimm
doch!"
Er steckte ihm den Zettel gewaltsam
in die Hand. Der treue Bursche zit
terte vor Erregung am ganzen Körper,
noch hatte er keinen der blanien Kniipfe
abgelöst. Jeyt hat er:
»Nehmen Sie mich mit, Herr Lim
tenant. Zwei vermögen doppelt so viel
als Einer, nehmen Sie mich mitl«
»Nein! —- Jch habe Niemand aus der
Welt, ich kann schon abtommenl Auch
würde Dir der hauptmann keinen Ur
laub geben, das darf er nicht! —- Wie
tin-geschickt Du Dich heute anstellst, gieb
hier das Messer!«
»Ach, Herr Lieutenant,« flehte Hein
rich
»Schweig! Jch will!« rief Georg.
Kerzengserade stand der Bursche vor
seinem herrnz seine zittern-den Finger
lösten in Eile die hlanten Knöpfe von
dem Mantel und er reichte diesen dem
Ossfizier dar. Georg zog ihn an, setzte
die Feldnriitze auf, steckte den Revolver
in die Tasche und schnallte den Säbel
fester um die Hüften. Dann gab er
Heinrich die band und sagte:
»Leb’ wohl! Vielleicht komme ich
wieder, aber nicht ohne ihn! Watte
nicht auf mich. lege Di hin und
schlafe!« Dann schritt er e« ig davon
Schaurig war den Weg! Der helle
Mondschein hatte sich voll auf den blen
denden Schnee gelegt; von der weißen
Unterlage hob sich das weite Schlucht
feld grauenhaft nnd entietlich ab. Wie
in einer Laterna magiea storrten ihm
die fett so stillen und doch so beredt zeu
genden Opfer des Schlachtfeldeö entge
gen. Uebereiniander und durcheinander
lagen die vielen Leiche-n rings um ihn
her, in jeglicher Stellung, wie sie der
Tod getroffen hatt-e! Hier hob ein
Leichnam noch jetzt die starren Hände
zum Himmel, dort kniete ein Dritter
nnd hielt noch in den Händen das abge
fchossene Gewehr dicht vor dem Gesicht.
Zerbrochene Fuhr-werte, Räder-. Pferde
körper, Alles lag im wirren Durchein
ander über das Feld zerstreut; mberi
Alles lag still und regungslos auf und
in der weißen Schnee-decke, Und der
Mond hielt treue Leichenwacht bei den
gefallen-en Söhnen der beiden in ge
genseitigem Haß entbrannten Völker
schalten
Schnell war Geoeg über das Feld ge
schritten; jetzt sah er die Vorpoften der
eigenen Truppen vor sich, gab Losung
und Feldgeschkei und trat nun aus dein
äußersten Kreise der eigenen Bedeckung
heraus Er stand am Fuße des Wein
betghiigels, ·der sein Ziel war, und sah
drüben am jenseitigen Abhange die Ba
jonette der französischen Posten irn
Mondscheine dlihem
Hier stand er einige Minuten still
und athrnete tief auf; die Erwartung
ließ sein Herz so stürmisch schiagen, als
wolle es die Brust zersprengen, aber mit
gswaltsamerEnergiedriickte er das wal
lende Blut zurück; er mußte und wollt-.
ruhig und besonnen sein. Mit schar
fem Auge til-erblickte er den Hügel, um
die Stellung zu erforschen, wo die Bat-«
terie im Kampfe gestanden hatte Deut
lich hatten sich die Räderspuren der Ge
schiihe in der Schneedecke erhalten, und
er zählte diese Spuren. .
»Zwischen diesen Geleisen muß er;
liegen wenn ich ihn finde, was der
Himniel geben möge!« sprach er vor sichs
hin; dann sah er noch einmal scharf zu
den französischen Posten diniibet«
wickelte den Mantel fest um sich, tin-d
den Obertörper auf die Hände nieder
bengend, schickte er sich an, still und ge
räuschlos den Hiigel hinauszutlimmemj
Mühsam war es, die Hände erstarr
ten ihm in dem losen Schnee und asus
dem hartgesrotenen Erdboden, ost glitt
er zurück aus der steilen, glatten Bahn,
aber er ttallte seine Fingerniigel in den
harten Erdboden, um sich Halt und
Stütze zu geben· — Auch galt es, die
feindlichen Posten im Auge zu behalten,
si
spähenden Feindesauge zu entdecken. —s
Doch der eine Wunsch, in dieser Stunde
das hdchste was sein Herz erfüllte, dort- ;
hin zu kommen, wo er den Freund zu?
finden hoffte, hätte ihn zu Allein, aucht
zum scheinbar Unmöglichen befähigt, ———«
und so hatte er denn triechend denj
Gipfel des Hügels erreicht. —
Wiederum sah er sich lebend in derJ
Umgebung von stillen, starren Kamera- ’
den, todten Artilleristen, die bei ihren
Geschützen — treu ihrem Schrvure —
gefallen waren. Näher und näher kam
er der Stelle, iwo sein Freund liegen
mußte. Seine Brust teuchte vor inne
jrer Erregunsg, er sah, er vernahm, er
ysiihlte Alles, was um ihn herum war —
diese ganze grauenvolle Todtenstille —
srnit doppelter Sinnesschärfe· Er stützte
idie Arme auf den Erdboden und hob
sden Oberlörper höher empor, um eine
Hoeitere Umfchau zu halten, ließ doch;
das Mondlicht Alles um ihn deutlich!
i
genug erkennen.
»Da liegt er!«
Jeyt war er heran, er berührte mit
den händen die Füße des Körpers sei
nes Freudes, die ihm zugewandt lag-en.
Nun tonnte er sein Antlitz sehen. Aus ,
dem Rücken lag Wrrner. das Gesicht
nach oben gekehrt, mit unbeweglichen
Augen aufwärts in das Mondlicht
Tftarrend Da bemerkte Georg, wie die
Brust des Wunden leise athmete, hastig
lehnte er sich über ihn, der die Hände
fest auf eine Schußtvunde in der Seite
gepreßt hielt. —- Er legte seine heißel
Wange an das Gesicht des.Freundes.i
um es zu erwärmen, da hörte er ihn
leise utid mit Anstrengung sagen:
»Georg? — Dankt Jch wußte, Du
würdest kommen, ich wartete auf Dich
—- nun sterben!«
,,Nein'«, rief leise Georg, »Du darfst,
Du sollst nicht! Jch trage Dich von
hier, Du wirst gerettet, Du darfst nicht
sterben, Werner!«
,,Georg«, flüsterte der Verwundete,
»ich habe Abschied genommen von der
Wett! Vater, Mutter —- Schwester!
—- Dort oben dem Mond und den Ster
nen habe ich’s gesagt, die sehen aus sie
herab, wie auf mich! — Nur Dich,
Georg, Dich wollte ich noch einmal
fehen, Dir noch ein-mal dansien stir Dei
ne Treue! Weißt Du noch, aus der
Kriegsschule —- nun bist Du da; im
mer wenn ich Dich brauchte, warst Du
da! —- Leb wohl, Georgi«
«Rein, nein«, rief dieser außer sich,
»ich lasse Dich nicht, ich ringe Dich dem
Tode ab!«
Gewaltsam nahm er die Hände des
Freundes von ver verletzten Seite und
legte sie sest um seinen Nacken; er selbst
schloß seine Arme um den Verwunde
ten, und mit übermenschlicher Kraft
suchte er rückwärts denselben Weg zu
rückzngleiten mit der Last in den Ar
men.
Und es gelang. Langsam, um den
Wunden möglichst zu schonen, der be
sinnungslos an seinem halse hing, war»
er zutückgsewichen bis zum Fuße dess
hiigels, und nun stand er wieder in der
schilt-enden Kette der eigenen Borpostem
s-— hier machte er einen kurzen Halt,
und seste sich, behutsam seine Last tra- .
send, auf einen Stein der Straße, um
auszuruhen, dann erhob er sich wieder
und schritt etli davon, um dem Vet
tvnndeten so s nell als möglich hülfe
im Lager zu schaffen. Er bog jetzt von
der Straße ab, quer über das Schlacht
selo aus die lagernde Trupp-e zu. Plötz
lich fühlte er, wie sich Werner regte, er«
hörte ihn leise seufzen.
»Hast Du große Schmerzen? Soll
ich etwas still stehet-V
»Nein, nein,« sliisterte der Ver-wun
dete, »wir ist wohl. O, sieh dort«, er
streckte sich an der Gestalt des Freundes
empor, »der Vater, die Mutter, sie win
.len,sie wehen mit denSchleiern! Schwe
ster, singe es noch einmal, ich hatte einen
Kameraden — Georg, Georg!«
Ein tieses Ausstöhnen, dann sanl er
an der Gestalt des Freundes leblos zu-«
s-ammen. — Ein gewaltiger Schmerz
erfaßte Georg. Jn namenlosem Weh
stand er still und hielt rathlos den Kör
per des Freundes in seinen Armen.
Sein Blick starrte zum Himmel, zum
Mondlicht empor.
s ,,Todt! Nichts bleibt mir aus der.
)Welt! —- Was ich liebe, wird mir ge-·
Inommem Eins-am bin ich, wieder
E alleint«
) Er löste den leblosen Körper sanft
svon seinem Halse, legte ihn auf dieI
IScheaveae und druckte dem Freunde
Hdie Augenlider zu. ;
Dann nahm er den Körper wieder inj
seine Arme und trug sihn zum Lager;
hinüber «
Mit Ungeduld wurde et dort erwar
tet Der hauptmann wie der treue
Heinrich hatten oftmals ihre Blicke iiberl
die mondbeschienene Fläche des Feldes
sanoeifen lassen voller Unruhe »und Eos
wartung Nun trat der Ersehnte end-;
slich in den Gesichtskreis des haupt
manns, der ihm freudig entgegenkam.
; »Da sind Sie, Georg! Geloht sei
?Gott, und heil und unverse rt«i«
; »Ja ja, « sagte Georg ster, »was
isollte mir auch schaden! Doch hier —
ier lebte noch als ich ihn fand; ich hoffte
Zihn zu retten, lurz vor dem Lager
starb er!«
»Wie sriedvoll wie glücklich er aus
Isieht, " fiel ihm der hauptmann in die
Rxade »Leicht muß sein Tod gewesen
sein So war Jhr Weg nicht umsonst,
;und das Andenken an diesen Tag wird
Ihnen hoch stehe-Il«
Georg sah auf den Todten und sagte
leise: »Wald kommt der Morgen, ich
will ihn begraben. Wer weiß, wie
lange uns der Feind noch Ruhe gönnt!«
«3uerst ruhen Sie ausf« mahnte der
Hauptmann.
»Ich fühle nichts!« erwiderte Georg
mit wehem Ton in seiner Stimme
»Nichts habe ich gethan. Was ich that,;
war umsonst. Lassen Sie es mich nun
zu Ende führen, ihm die letzte Ruhe-I
stätte bereiten-« !
Er wandte sich und ging mit seiner
Last den Geschützen zu. Freudig lami
ihm heinrich entgegen; doch Georgl
wintte ihm, ruhig zu sein, und legte den
Todten neben sich zur Erde
,,,Schnell schaffe zwei Spaten und
Haan von den Geschützen wir wollen1
ihn .degraben, der Tag ist nicht mehrj
ern «
Eilig lief Heinrich, das Befohlene zul
holen, und tam zurück. 1
»Nun komm! Dort an der Straße
zwischen den drei Bäumen wollen wir]
ihn begraben« den Platz findet man im
mer wiedert«
Still machten sie sich an die schwere
Arbeit. Endlich war die Grube fertig,
das Grab bereit.
»Geh’ zurück, Heinrich, das Uebrige
besorge ich.«
Der Bursche ging langsam zum La
Georg kniete vor dem Todten nieder.
Behutsams nahm er ihn dann in die
Arme, stieg mit ihm in das Grab und
Elegte ihn sanft auf den Boden nieder.
Dann schwang er sich hinauf und deckte
ihn vorsichtig mit der aufgefchaufolten
Erde zu. —
Der Morgen war unterdessen herauf
getom.men, und als er Abschied nahm
von dem Grabe, hörte er schon einzelne
Gewehrfchiisse herüberfchallen, die Kom
mandorufe zum Fertigmachen, zum
Aufhruch in die Schlacht, und er eilte
dem Lager zu!
Wieder wogte der erbitterte Kampf
auf der Schlachtfeldebene. hin und
her schwantte das Glück. heiß wurde
auf beiden Seiten um -die Krone des
Sieges gerungen! Verzweier mehrten
sich die französischen Bataillone, sie
wollten die Stadt nicht den händen des
verhaßt-n, überall siegreichen Feindes
überlassen. Aber zähe hielten die Deut
sche-n fest, was sie hatten. Schritt um
Schritt drangen sie unswiderftehlich vor,
unbekümmert darum, wie der Tod die
kleine Zahl der Kämpfer immer mehr
und mehr lichtete. Seite an Seite mit
dem Bataillon gingen die Batterien
vor, unaufhörlich rollten die Geschütz
donner, tönte der hurrahruf der stür-·
menden Schnar, zurück zwang sie die
franziisischen Truppen, und als die
Sonne sich dem Untergang neigte, war
Diion genommen, in den Händen der
Deutschen slag die-Stadt, und in eiligem
Marsche flohen die auseinanderge
fprengten hausen des italienischen-Füh
rers in die sichere but der nahen Berg
siädte von Burgund.
Vor den Mauern lder Spdt sammel
ten sich die siegreichen Truppem um,
wenn Alles beisammen, was übrig und
lebend geblieben war. den Einzug in die
besiegte Stadt zu halten. Während der -
Kommandeur wegen der Uebergabe der
Stadt unterbandelte, benutzten die
Truppen die Zeit, soweit es anging. um
ihre Berwundeten und Todten zu sam
mein.
An dem Grabhii el zwischen den drei
Bäumen an der åttaße standen vor
einer frisch ausgeworfenen Grube die
drei einzig übrig gebliebenen Offiziete
der beiden Batterien, unter ihnen det
hauptinann Sie hatte-n die hean ab
genommen und schauten hinab aus den
Kameraden, den sie soeben dort hinein
ebettet hatten zur Seite seines Freun
s. hinter ihn-en stand Heinrich unsd
drehte in seinen Händen ein eilig aus
Baumstämmen mitStricken zusammen
gebundenes Kreuz; er hielt die Augen
nieder-geschlagen stand still und « re
gungslos und blickte aus seinen todten
herrn hinab, den er dort unten hatte
mit hineinlegen helfen zur lehren Ruhe.
s Jeßt sprach der Hauptmann:
»Ja, der Krieg verschlingt die Be
ssten; mit dem Ehrenzeichen, das sie sich
Inn heißen Kampfe für das Vaterland
erworben, auf der Brust, das Lorbeer
skeig in den Händen schweben sie iekt
Ivereint den seligen Gefild-en zu. Voll
Bewunderung, voll Stolz, daß sie zu
suns gehörten, blicken wir ihnen nach
sund preisen sie glücklich Jn der Blüthe
sder Jugend, in der Vollsten Kraft, un
getrübt den Sinn von Sorgen und
Mühen des Leidens, vereint in treuester,
in innigster Freundschaft bis in den
Tod und über den Tod hinaus, erfüllte
sich ihr Geschick! Jm Kampfe fiir das
Vaterland starben sic, die ehrende
sWunde auf der Brust! Schön war ihr
Leben, schön ihre htiiderliche Freund
schaft, ehrenvoll ihr Streben, doch am
sschönstem am ehrenvollsten war ihr
sTod, ihr Tod auf dem Schlachtfelde!
Wer weiß, was uns das Geschick noch
bringt, doch was es auch sei, schöner als
sie löniien wir nicht enden! Ja, das
höchste ist, für das Vaterland zu ster
ben.«
«A·menl« sagten leise die beiden an
deren Offiziere, dann griffen sie eilig
zu den Geräthschasten und füllten vdie
Grube! Ein hügel umschloß jetzt die
entseelten Hüllen.
Nun war das Grab gethiirmt und
der hauptmann sagte zu Heinrich:
»Wir gehen zu den Batterien, befe
stige das Kreuz auf dem Erdhaufen,
unser lehtes Liebes-seitdem bis ein wür
s sdiger Denkstein, den das Vaterland sei
snen Heldensöhnen spenden wird, an
seine Stelle tritt!"
s Mit zitternder Hand errichtete Hei-n
rich das Kreuz auf dem Etdhausen,
sdann sah er mit verstdrtem Blicke auf
sden Grabhügel vor seinen Füßen nieder
sPlötzlich schluchzte er laut auf mit aus
gedreiteten Armen wars er sich iisber das
sGrab, umfaßte es, und barg sein Ge
s·siclit in der lockeren Erde
s Da tönten helle Trompetenfanfarenl
JDie siegreichen Truppen reihten sich aus
sder Straße zum Einzuge in die gede
smiithigte Stadt. hastig erhob sich
sheinrich und eilte zur Truppe zurück.
sStolz und mächtig erklang der Mitv
riaruf, der deutsche Siegestlangl Von
s den Bergen hallte er wieder; er rief den
Todten das letzte Lebewohl zu und er
rief die Lebenden, theilzunehmen an der
Freude des Sieges, an dem Ruhme des
Vaterlandesl —
Energischet Bescheid.
Als der später berühmt gewordene
Naturforscher Hartmann in Jena stu
dirte, ging er eines Tages init mehr
eren Anderen nach Weimar, woselbst
gerade am hofe ein glänzendes Fest
ten waren im Part beisammen, und
hart-nann, der sich vor den übrigen
Studenten durch Schiinheit, saubere
Kleider und eine elegante haltung aus
zeichnete, zog die Aufmerksamkeit der
Großherzogin Amalie desondeks auf
sich. Mit einem Male tritt ein Kain
nrerdiener zu ihm. —- ,,Jl)re tiintgliche
hoheit,« redet er ihn an, »lassen Sie
durch mich fragen, ob Sie von Fami
lie find?« —- ,,Allerdinigs,« antwortete
hartknann kurz. —- ,,Und wohnt-« —
»Aus Gotha.« — Kaum hatte der
Kammerdiener die erhaltene Austunft
der Fürstin überbracht, als sie Hart
mann zu sich winkte. —- Nach einigen
verbindlichen Redensarten sagte sie:
»Aber mir ist teine adelige Familie
Jhres Namens in Gotha belannt.« —
,,Bon Adel bin ich auch nicht,« versetzte
hartrnanm allerdings aber von Fami
lie, wie Jhre lönigliche Dobeit mich ba
ben fragen lassen, denn wir sind zu
Hause unser fünfzehn Geschwister, und
das ist gewiß Familie genug.«