Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 19, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    »Er ist zu indolent, um sort zu
get-ein« sagte sie sich zum Trost. »und
Croßpapa giebt es nicht zu —- und ich
auch nicht« —- So lange sie Johann
Leopold als ihr sicheres Eigenthum be-«
trachten konnte, war er ihr mehr alsj
gleichgiltigx jetzt, da er Miene machte,:
sich ihr zu entziehen, wollte sie ihn um
jeden Preis festhalten und nicht nur
aus Berechnung. Heute hatte er zwar
ihr Entgegenkommen unfreundlich ab-?
· gewiesen, aber Eis schmilzt nicht beim
»ersten Sonnenstrahl, —- auch ihre Lie
Mswiirdigteit mußte wie die Sonne
durch die Ausdauer siegen. Wenn nur
erst der Doctor fort war —- seine schar
fen beobachtenden Augen waren ihr un
bequem.
Jshr Wunsch sollte schnell erfüllt wer
den; Ludwig reiste am folgenden Mor
gen ab Jn aller Frühe, während er
noch mit dem Einpacken beschäftigt
war, kann Johann Leopold in sein Zim
ster.
»Ich will nicht stören,« sagte er, in
dem er sich tu’z Sopha warf. »Aber
ih setze tuit den Minuten Jhres hier
feins; Sie haben mich verwöhnt, ich
Ist-de irnich nun doppelt einsam süh
Endo-is runzelte die Stirn.
»Sri"err Sie nicht so weichmüthig,«
Ke- er; .es taugt Ihnen nicht, —- wie
auss Wehen — Sie haben schlecht ge- ,
schlafen?« I
, »Ga: nicht« antwortete Johanns
Leopold.· Mach unserem Gespräch von ;
xstern Abend, nach dem Bescheid, denj
— ie mir auf meine Fragen gegeben . . .« i
»Sie verlangten Wahrheit,« fiel ihrnT
» Eudwi .in’s Wort, »und ich glaubte sie
Ihnen chnbdig zu sein.«
. »Das waren Sie « sagte Johann
Leopold; »ich Dante Ihnen dafür. aber
es wird mir schwer, enich damit abzu
sinden.«
Ludwig’s Lippen zuckten wie immer,
wenn est bewegt war, und eine Weile
stopft-er schweigend seine Sachen in die
Reisetnschem dann sagte er:
«Machen Sie schnell ein Ende — nur
- seine bit-then Maßregeln, kein Zögern,
wo das Messe-e nöthig ist." .
Johann Leopold strich mit müder
Ueber siiber Stirn und Augen. »Sie
WE- » es ist Zeit, daß ich thue,
Ists W doch gethan werben muß,«
Ists-Mit er.
ists-feste das einsehen, thun Sie’s
. M-— He —- diese Stunde noch!«
« Dies Ludvz »Sol! ich Jhnen helfen?
- ROHR würde es Ihnen leichter,
kenn ich mit dem Freiherrn spräche . .«
»«. Wer Leopold fuhr in die Höhe.
—x-Ikeiszzspeini« rief er die Farbe wech
selnd. »das muß ich selst thun — muß
»der A erst selbst im Klar-en fein·
Mr si danke Jhnen.« fügte er ruhiger
If- ; ·,,.und später bitte ich unt Ihre
— in anderer Weise. Jch darf
du«-auf zählen, nicht wahr?«
»Auf meinen guten Willen unbe
dingt,«-antstvortete Ludwig und drückte
die feine, blasse Hand, die ihm Johann
. Leopold.reichte. »Doch was will das
sagan —- ich liebe solche Versprechun
gen in’s Blaue nicht«
»So-bald als möglich sollen Sie das
Nähere hören. Ihr Schiff segelt arn
vierzehnten März —- Zeit vollauf, Alles
zn ordnen,« sagte Johann Leopold, in
dem er sich in die Sophatissen zurück
lehnte.
»Zeit vollauf, um in den alten
Schlendrian zurückznsallen,« dachte
Ludwig, aber er sprach es nicht aus
nnd schloß hastig den Rest feiner Hab
seligtetten in den Koffer und in die
Reisetasche..
Det Diener karn, um zu melden, daß
vorgesahten fei.
»Sie bleiben -l)ier,« sagte Ludwig in
Minnnten Tone, als Johann Leopold
aufstund »Der Morgen ist bitter kalt;
die Abhärtunsg. die ich Ihnen anrathe,
ist anderer A . Leben Sie wohll«
Sie schütte ten sich die Hände.
»Leben Sie wohl!« wiederholte Jo
hann Leopold und ehe er ein Wort des
»Dann-s hinzufügen konnte, machte sich
Ludwig los, und ging schnell aus«- der
Thüre, die er hinter sich zuzug.
Jedes Abschied-nehmen war ihm so
Pein-lich, »daß er im Familientreise die
Stil-Oe seiner Aufahrt verschwiegen
nnd erst spät Abends von Johann Leo
pold den Wagen zum Frühzuge erbeten
stxitte Dennoch sollte er dein Adieu
sagen nicht entgehen. Als er die erste
Etage erreichte, bat ihn die alte Chri
stian einen Augenblick im Wohnzirnmer
einzutreten, und zu seiny Ueberra
schung fand er, bis auf Johann Leo
, alle Familienmitglieder versam
melt; selbst Magelone hatte nicht ge
rn t, ssich auszuschließen
r Freiherr kam anit ausgestreckten
Händen an ihn zu. -
uLieber tor, Sie wollten sich fort
setlen,« sagte er; »das können wir
nicht dulden. Von Dankbarkeit zu
Drachen, ist nicht meine Sache, —- aber
IWH Sie wissen, was Sie mir, uns
M geleistet haben. Sie sind uns
Eed Morden und ich erwarte, daß Ste
Dönninghausen fortan im vollen Sinne
des Wortes als zweite heimath an
sehen. Sobald Sie von Ihrer Reise
zurücktommen, erwarten wir Sie.«
Darauf küßte er den jungen « cann,
wie er das beim Abschiednehmen von
seinen Angehörigen zu thun pflegte.
TanteThella wünschte ihm unter Unä
.nen glückliche Reise und wollte wissen,
iob er ordentlich gefriilystiickt hätte;
tMagelone reichte ihm lächelnd die Fin
hgerfpitzen und Johanna, die in Hut
Fund Mantel an der Thüre stand, er
!klärte, daß sie ihn bis Thalrode beglei
ten würde
! Mit aufleuchtenden Augen folgte er
pihr in den Corridor, aber als sie die
Treppe erreichten blieb er stehen undj
jfaßte ihre Hand. i
j »Liebe Johanna, ich danke dir —(
faher laß mich allein fahren« sagte er.
»Es ist nur verlangertes Abschied-ich
men, wenn du imich hegleitefi. Bleibe
hier — mir zu Liebe —- lehe wohl!
lebe wohll«
I Die lesten Worte hatte er kaum hör
sbar hervorgeftoßen Nun schloß er Jo
hanna in die Arme, drückte — zum er
isten Mai im Leben —- einm naß aus
ihre Lippen, einen langen, heißen Kuß,
der sie durchschauerte, und eilte, wah
rend sie noch wie im Traume dastand
die Treppe hinunter; im nächsten Au
geanick fiel lkachend der Wagenfchlag
zu und die Räder donnertemüher das
Pflafter des Hoer
: (FortseHu-nd folng l
i
Die Treue.
s
« Von c. cum-. '
Sie hatten ssich seit Jahren gekannt
ftin-d geliebt. Sie waren sogar schon
einmal verlobt gewesen; da traten;
zeoingende Verhältnisse zwischen sie.
Bei ihr nahm dieser Zwang die Gestalt
eines kränklichem egoistischen Vater-El
an; bei ihm trat er gebieterisch auf
als verzweifelter Kampf um’s Dafern
als elender Mangel an Geld.
Er retteie seinen Lebensmuth durch
eine Flucht hinüber in die neue Welt,"
wo er eine tüchtige Portion Fleiß nnd
Ausdauer (se«m einziges Kapitals bes
fer oerwerthen zu können hoffte als in
der alten. —- Sie blieb daheim und
pflegte abwechselnd ihren Vater und
ihre Erinnerung.
Seitdem waren sechs Jahre verflos
sen. san-d die Situation hatte sich geän
dert. Das, was die beiden einst ge
trennt -hatte, existirte nicht mehr. Der
alte Vater war dahingegangem wo er
keiner siweiteren Pflege bedurfte. Wal
ter, dein jungen Manne, waren die
schweren silbernen Dollars so über
reichlich zugeflogen, daß er sich nun in
der Lage befand, sich endlich von feiner
anstrengenden Thötigleit ausruhen zu
können und eine Reise nach seiner Hei
mathstadt zu unternehmen Er hatte
nun Zeit, alte Bekannte auszulachen
nnd alte Verpflichtungen zu erfüllen.
Das Wort »Verpflichtnngen« hat ei
nen herben, sreuntdlosen Klang. Es
klingt nicht wie: »Liebeözauber, Braut
ftand und ehliches Glücks und doch
bedeutete es in Walters Gedanken das
selbe. Der junge Mann besaß einen
durch-aus ehrenwertben Charakter-. Er
war treu und gewissenhaft lnach sei
ner eigenen Ansicht und auch in den
Augen der Welt); ein Mann, dem ein
Woribruch einem Verbrechen gleich
ggt Einst hatte er Anna heiß geliebt,
a r — —
! Ja, ja! Es ist so eine eigene Sache
imit verjährter Liebe!
Walter war nach B zurückgekehrt Er
.hatte seiner Freundin den ersten Besuch
Zsiir diesen Nachmittag angemeldet und
ischlenderte nun, da die Stunde dasiir
Tnahte, gemächlich durch die belebten
HStraßen der Stadt, seinem Ziele zu.
jUnterwegs betrachtete er mit hellen,
Zneugierigen Augen die ihm fremd ge
swvrdene Umgebung .
« Eine gewisse Neugierde bemächti gte
sich auch seiner, bei der Erinnerung an
Iseine Braut. Er freute sich das Mäd
;chen, welches er heirathen wollte, nach
Iso langen Jahren wiederzusehen
»Die liebe gute Anna,« sagte er sich,
,,tvie mag sie wohl fest aussehen? Ob
sie sich erheblich verändert hat? Nun
ja, jünger sind swir beide nicht gewor
den!«
Schmunzelnd stellte er sich vor ein
Schauserrster, dessen Hintergrund aus
einem riesigen Spiegel bestand und« sei
ne stattlicheFigur wiedergab. ;
»Na«, dachte et wohlgesällig, »mit?
mir steht es noch nicht so schlimm Vier
R ist just ein nettes Alter sür einen
ann; — sechs Jahr-e war ich »heil
ben«'; Anna muß jetzt uber dreißig
sein. Wieeh die t vergeht! Die gute
Armes esie wirklich noch rgecht
herzlich l bl«
Ei ist ein erhebend-ei Gefühl zu wis
sen- M- man rechtle M Mit
Isrosbem Versen schritt Wetter die Stra
ße entlang
Jest lane er an einem Fenster· vor
bei, sto- Gemiilsde zur Schau standen.
Wultee bkrch wiederum siehe und neu
sterte die zum Theil recht guten Bilder.
Seine Aufmerksamkeit wurde haupt
sächlich dicch das Bildniß eines schö
nen blonden Mädchens in weißem Klei
de gefesselt.
»Es ist, als sähe ich Ada Dalisax vor
:niir,« murmelte er und verlor sich in
»dem Anblick des reisenden Gesichts.
JWie ein Traum stieg die Erinnerung
»an eine Scrne aus der Vergangenheit
Jvor seiner Seele auf. Er saß beim
’Diner in einem eleganten Speisesaal,
Ineben der Schwester seines Kompag
inons «Wie verführerisch blitzten die
Ebraunen Augen seiner lieblichen Nach
ibarim wie schelmisch lächelte ihr rothes
iMiindchen Noch nie zuvor hatte die
jbesgehrte Erbin ihm so deutlich gezeigt,
;daß er ihr nicht gleichgiltig sei-»daß es
Hnur eines Wortes seinerseits-bedutste,
Juni sie als seine Braut an sich zu ists-.
sein« Die Versuchung war groß. Siesi
Twar jung, schön. reich, und sie liebte;
ihri; —- wäre er nicht eiti Thor, wenn«
er da nicht zugrissS Nach dem Dian
zog ihn Ada’s Buder bei Seite und
sliisterte ihrn zu: »Ich habe euch drob-s
achtet; ich darf wohl gratuliren, alte s
Junge?« —- - j
Und doch zögerte Walter nur mäh
rend der Dauer einer Minute; dann!
antwortete er mit fester Stimme: J
« »Ich habe dir nie von meiner Brautf
sergählt Jch bin seit Jahren schon ver- J
lo t.«·- . »
I Die Zeit ver-ging; Walter wurde
von der vorüberrilenden Menschen un
sanst gestoßen, während er traut-oder
lores das Bild anstarrte, das Aha ha
lisax so ähnlich sah. Endlich wandte
er sich mit einem Seufzer ab und setzte
seinen Weg fort·
»Schade, wirllich schade.« er sagte
die Worte nicht laut, er fühlte sie bloß.
E
Jn ein-ern behaglichen Wohnzimmer,
jdessen gediegene, aber nicht prunthafte
sEinrichtung von einer hellen, schirmlo
sen Lampe beleuchtet wurde, saß Anna
und wartete auf ihren Freund. Jn ih
ren sanften Zügen lag der Ausdruck
einer glücklichen Zufriedenheit Man
tonnte ihven guten Augen den Gedan
ten ablelen, daß nun die schwerste Zeit
bunt-täuspr die Sorgen, der Kum
mer hinter ihr lagen und sie einem
glücklichen Leben entgegenblicken durfte.
Kein Mel, tein Bedenken trübte das
Bild, welches sie sich von der Zukunft
machte; sie vertraute ihrem Walter
ihrem Bräutigam, von ganzem Versen
War er nicht sechs Jahre siang um ihret
willen anvermählt geblieben, und hatte
er ihr nicht seine ganze schöne Jugend
zum Opfer georachti War er nicht
jetzt, in diesem Augenblick, unterwegs
zu ihr, —- gewiß mit iehnsuchtsvollem
Herzen, und würden nicht vielleicht die
nächsten Minuten sie mit ihm vereint
sehen?
Sie malte sich aus wie er in S Zim
mer stiirzen und sie, die vor Freude
weinte. in feine ausgebreiteten Arme
schließen würde. Sie hatte bereits viele
Thränen in ihrem Leben vergaffen
aber diese sollten infolge allzugroßen
Glückes fließen.
Bei diesem Gedanken waren sie auch
schon da, die Thränen, rollten lang
sam über ihre Wangen herab.
Allein Waltet durfte nicht merlen,
daß sie geweint hatte, wenn es auch aus
lauter Glückieligteit geschehen war.
Schnell fuhr sie mit ihrem Battilttuch
über ihre Augen und trat vor den
Spiegel, um ihr Aussehen zu prüfen.
Ein zartes, feines Gesicht leuchtete ishr
aus dem dunkeln Hintergrund entge
gen, — ein Gesicht, dem die Kroaten
ftubenluft, die vielen durchmachten
Nächte die letzte Spur von Frische und
Jugendlichteit genommen hatten, wie
die Finsterniß allmälich einer Blume
die Farbe raubt.
Ja, sie mußte sich gestehen, daß sie
alt aussah, —— älter als ihre Jahre.
Mit einer ungewohntem fast furchtsa
men Regung von Eitelkeit. eilte sie an
einen Schrank und entnahm demselben
einen kleinen Lampenschirm aus ge
tniffenern rothen Seiner-papier, den sie
über diesLarnpenglocke zog.«
»Das verschönt ein wen-ig,« murmel
te sie leise.
Aber im nächsten Augenblick gewann
ihre etwas übertriebene Gradheit Und
Ehrlichkeit die Oberhand. Vor sich
selbst erröthend, nahm sie den hübschen
Schirm sorgfältig wieder ab, glättete
ihn und legte ihn in den Schrank zu
rück.
»Nein.« sagte sie laut, »-—— das war
schwach! Er soll mich sehen, wie ich
bin und nicht mit einer Illusion an
fangen, um morgen bei Tageslicht um
so mehr enttiinscht zu fein. Liebt er
xdoch mich und nicht mein Gesicht, ber;
JTheure!« J
Jeßt wurde die Glocke aezogenJ
Anna preßte die Hände ttampfhaft inl
einander. Nun war er da. und es
würde so kommen, wie sie es sich aufge
—c—·—"-"" f f- —
gemalt hatte. Gleich mußte er in’s
Zimmer stürzen. —- —
Asber ee stürzte nicht. Jm Gegen
theil, er öffnete gemächlich die Thü
und trat mit würde-vollem Lächeln ins
Gemach. Anna sah statt des bekann
ten blossen, feurigen Liebhabets einen
großen, starken Mann, mit dunklem
Voll-hart, der gemessenen Schrittes aus
sie zutrat ein Dand in tadellos Men
dem Handschuh ihr entgegenstreckte untd
sagte: —
»Na, guten Tag, liebe Ante-ji«
Dann standen sie und blickten stumm
einander an.
Der weltgewandte Mann und das
einfache, schüchterne Mädchen fühlten
sich beide von einer peinlichen Verlegen
heit ergriffen. Die vielen Jahre, in de
nen sie sich nicht gesehen, thiirmten sich
zwischen ihnen zu einer hohen Mauer
auf, die sie trennte, nnd sie hatten nicht
den Muth, eine Presche hinein-zuschw
gen, um zu einanderzu gelangen.
Da geschah etwa Landes« Alltägs
liches, Lächeeliches, das die Situation
erleichterte. « .
Er ries: »Die Lampe qualmt!«« z
Sie wandte sich mit den Worten
um: »Ach ja, du hast rechts« und eilte?
an den Tisch, um die allzu hohe Flam-?
me herabznichrasubem Dann lachten
sie Beide. Der Bann swar gehtochen,;
—- die Mauer fiel, — sie durften sich
niern —- —-— —
ie saßen zusammen aus. dem So
sa und blickten einander in die Augen«
während er von seinen Kämpfen und
Erfolgen erzählte. Sie unterbrach ihn
von Zeit zu Zeit mit theilnehmenden
Fragen. Noch war zwischen ihnen lein
Wort svon Liebe gefallen.
Zuerst hatte sie ein solches erhosst
und erwartet- aber zehn Minuten hat
ten genügt, um diese Hoffnung zu
Grade zu tragen.
Mit dem seinen Gefühl eines lieben
den Weibes hatte sie in sein Herz ge
schaut und dort, wie in einem ossenen
Buch, seine Gedanken gelesen. Sie
sühite daß er sie alt und well sand;
trotz seines lächelnden Mundes traf sie
der prüfende Blick seiner talten Augen,
—- dieser Augen, dieschon so ost sür sie
in heißer uth geslarnrnt, wie ein Mes
serftich in' »Verz. Sie überlegte nicht,
sie solgerte nicht, sie zog keine Schlüsse,
aber sie swußte trotzdem. Sie hatte
mit unerschütterlicher Gewißheit die
iThatssache erfaßt, daß er sie nicht mehr
Titel-te nie wieder lieben würde —
I Jn diesem Augenblick starb der letzte
IRest ihrer Jugend dahin, und mit ihm
schwand alles, was tdie Welt und das
, Leben für sie noch an Schönem und Be
glückendem barg. Nur ein Gefühl be
feelte sie noch und nahm, jeden anderen,
Gedanken verdrängend, ihr ganzes
Zein gefangen, —- nämlich das Bestre
ben, ihre Empfindungen nicht zu ver
Irathen, froh und glücklich zu scheinen
und den Schmerz zu verbergen, der sie
zu vernichten «drohte. Lachenden Mun
des folgte sie seinem Bericht und drückte
fin ihrem Wesen die Theilnahme einer
jguten Freundin aus.
z Und nun tarn für sie das Schreck
;liche, woraus sie jeyt nicht mehr gefaßt
Zwar: —- er sing an. zärtlich zu werden.
! Nur in ierZLersten Briesen war von
Iihrem Brautstanssd die Rede gewesen;
! später wurde diese Thatsache stillschwei
« gend als etwas Selbstverständliches an
denommery und dann waren es nur
jganz turze, nüchterne Briese gewesen,
Jwie zwischen obersliichlichen Bekannten.
EJetzt fühlte Walter die Verpflichtung
ials Ehrenmann« sein vor Jahren gege
ibenes Wort einzulüsen. Er wollte das
iMiidchen glücklich machen, sie tsür die
Ylange Zeit des treuen Harrens belohnen.
stät erwärmte sich an seiner Ausgabe, er
ziaßte ihre Hand und hat sie, den Tag
; der Hochzeit bestimmen. Er zog sie an
jsich und wollte sie küssen.
: Und sie, infolge jener unglückseligerh
snenentdeckten Gabe des Gedantenlesenå,
iwar sich bewußt, daß er in diesem Au
ngnbtict dachte: —
! »Was bin ich doch siir ein rechtschaf
»sener, edler Mensch; —- wte muß sich
Idie arme Anna »durch sotche Treue be
glückt fühlen!« —
; Mit beiden Händen stieß sie ihn von
zfrch und sant blaß urrd zitternd in die
Sosaecke zurück.
Walter glaubte zu träumen.
; »Aber, Anna,« rief er erschrocken,
»was hast du nur? Bist du mir denn
gar nicht mehr gut? Jch frage dich,
wann wir hochseit feiern wollen« und
stat; aller Antwort stößt du mich von
dir «
«Nein, nein,·' schluchzte das Mädchen
erregt, beide Hände vor das Gesicht
schlagend, — »ich sann deine Frau nicht
werdens« H
Dann, wie sie gewahr wurde, daß ers
ganz verblüfft dasah send sie anstarrte,;
als wäre sie von Sinnen. gewaan ste»
mit großer Anstrengung ihre Fassung
wieder.
,,Sei rnir nicht böse,« bat sie mit ei
nem matten Lächeln; »e« ift zu spät.
Jch bin eine alte Jungfer geworden
nnd mag nicht mehr ans heirathen
denken.'« «
»Anm,« rief er noch immer ungläu»
big, —- du liebst mich nicht mehrt« l
Sie zögerte; -:dann — l
»Meine Freundschaft wird Dir stets
bleiben, « sagte sie ausweichend, indem
sie ihm die schmale Hand hinftreckte:
»nicht wahr, wir bleiben Freunde?«—
Kurz daran verließ Walter das·
Haus. Sein Selbstgefiibl hatte einen
empfindlichen Stoß erlitten, doch sein;
Herz swar dabei nicht betbeiligt gewesen«
Er ärgerte sich, daß er von Amerita sgeq
kommen war, um sich einen Korb zu ho-’
len lind einen so unberechtigten, unbess
gründeien noch daz u -
»Eigentl)iirnlicher Geschenack,«
brummte er ärgerlich, »das Loos einer
alten Jungfer dein Leben an meiner
Seite vorzuzieheM Und ich Esel hätte
aus ihre Treue geschworen! Vielleicht
liebt sie einen andern! Da sage nur ei
ner, die Frauen seien das treuere Ge
schlecht. Na, mir-soll es recht fein!«
Er bestieg eine Droschle, zündete sich
eine Cigarre an und faßte den Ent
schluß, an Ada Halisox zu schreiben
und sie um ihre Hand zu bitten.
Wanst-Sonnenschein
Uooellette oon C. Merk t’l·llünchcn).
War das schon Und neu! Einmal
bei weitgeössnetem Fenster in behag
licher Ruhe zu sriihstiickenl Ganz lang
sam. Zeit zu haben, um sein Brödchen
einzutunlen, Stück sür Stück; dazwi
schen hinaus zu gucken aus den herr
xlichen blauen himmel über den
;Dächern. ·Einrnal ohne Eile! Jan
Tit-Ellen Bewußtsein der Feiertags-Frei
it. .
» An eine so schöne Frühstücksstunde,
wie an diesem Pfingstniorgen erinnerte
sie sich in ihrem ganzen Leben nicht.
ISonst mußte sie ja stets gleich fortda
Hsten in d« Schule; auch an den Sonn
ztagen. «u Ostern hatte es noch ge
!schneit. Und früher? Du lieber Hirn
mel! So lange ihre Mutter noch lebte!
TWaS würde die gute alte Frau gesagt
shatben zu solchem Nichtsthum zu solch
ssaulein Dreinschauenl Sie hatte ja
Innnier den Strickstrurnps in Händen
sgehabi. Nun ruhten die steiszigen, wel
! ten Hände siir immer. Mino war allein
sin der Welt seit dem Winter. Kein
sMensch trug, wie die tleine Volks-schul
slehrerin da oben in der vierten Stock
swohnung ihre paar Mußestunden her
sum-brachte
s Da sing plötzlich eine Amsel zu sin
sgen an, so lustig, so jubelnd, so malen
shaft übermüthigl Gerade vor ihren
sFenstem War das ein bescheidener
jBogelZ Jn der rußigen Dachrinne saß
Jer, vor ihren paar armseligen Blumen
stiickenl Ganz leise stand sie aus und
betrachtete den schwarzen kleinen Kerl,
»der solchen Frühlingsjubel in ihre
Seele hineinzauberte.
Ia, so ein Vogel, der hat’s freilich
gut! Hebt die Flügel —- huschs —- sort
war er! Schwebte dahin in die blaue
Lust, weit hinaus über das Häuserge
winlel in’s Freie, in’s Grüne . . .
Aber warum that si-e’s nicht auch? —
Das Fliegen mußte sie ja wohl bleiben
lassen. Aber eingesperrt war sie doch
»auch nicht. Es schien nur gar so fremd
Hund wunderlich, daß sie einmal an die
sseni Sonnentag ganz thun konnte, was
s sie swollte —
Eine Stunde später swanderte sie un
ter lnospenden Alleebäurnen auf einem
schmalen Fußpfade neben der Land
straße dahin.
I Sie war eine Strecke weit mit der
Pserdebahn gefahren. Die Stadt hatte
hier ein Ende. Nur vereinzelte Häuser
standen noch zwischen Getnüseaärten und
Baue-lägen Dann tam freies Land;
Wiesen und Blumen, weite Felder. und
dahinter standen blau und klar, niit id
rem alten zauberhasten Fernendust, die
schneeglitzernden Berge.
Mina stand still, erschrocken fast vor
Ldieser Schönheit, die ihr so nahe war,
sdie zsich gleich da draußen vor den nüch
sternen Stadtstraßen entsaltete, wie eine
liniirchenlsast reine, lichte Welt.
i Es war schon ganz friedlich einsam
um sie her. Heute ruhte alles Wagen
gerassel, dampstenteineFabrik-Schleie.
Radsahrer kamen auf der Landstraße
voriibergesaust. E’ner ries dem Mäd
chen von weitem » uten Morgen!" zu.
Sie ärgerte tsich im ersten Augenblick,
fand das keck und zudringlich. Aber
als sie ihm dem Kopf zuwendete, sah sie
in ein so vergnügtes srisches Gesicht,
daß sie den Gruß ganz heiter erwiderte.
Warum sollte man sich eigentlich nicht,
wie die Landleute, ein freundliches
Mttsagetn wennntanächdiekidmußen
We nete in dieser Dorsstille, an diesem
t« lchen Maientag?
Fast wie dem kleinen schwarzen Vo
gel schaute sie dem Rat-sahen nach.
heischt war er satt.
Oh, even-VI bei ihr auch langsamer
ging, reizend war es doch, dieses Dahin
marschirem einmal ganz fern-von den-.
täglichen, til-getretenen Trab. Sonst
lief fie ohnedies wie ein Rennbahn-.
pferdchen immer den gleichen Weg, —
heute einmal frei, planlos, nur fo in’s
Blaue hinein.
Ein Bauernwagen kam vorüber;
neben dem Pferd lief ein aitggelaffenez«
Fällen« das die dtolligfien Seiten
fprünge machte. Sonst Stille. Glo
ckengeläut von eines-n fernen Kirchlein
Letchengezwiifcher.
Plötzlich sah sie auf der fonan
fchienenen Landstraße einen dunklen
Fteck.
Was dort nur lag?
Sie ging rascher. Wahrhaftig ein
Menfchi Lang ausgestreckt unter dem
Allekbautw TEin , Betruntener am
Ende? . . . Arn hellen Morgen! —
Jhr grzute Da wollte sie lieber nicht
vorüber; «
Aber war das nicht ein umgefallenesk
Rad was da neben dem Baume zum
Vorschein ihm? Also ein Unfall? Un
williirlich lief sie nun. Schrecklich, wenn
es ein Verungliiclter, ein Schnitt-verw
ter wäre! Und weit und breit tein
Mensch, um zu shelfen, als sie ganz al
lein!
!
« Mit iingstlichen Augen trat sie näher. i
Ein langer, schlanler junger Mann,
»in seinem grauen Sportsanszug, im
Staub der Straße. Er war mit dem
»Kon an den Baum angeschlagen und- -
bewußtlos Nun erkannte sie das Ge
’sicht, so flüchtig sie es auch gesehen: es
war derselbe, der ihr vor kurzem so
lfriihlich"»guten Morgen« gewünscht. -
i Zum Glück glänzte dort m der Wiese
Lein Bach Sie besann sich nicht lange,
nahm die Ledetmiiha die ihm herabge
fallen war, rannte in das feuchte Gras,
und holte Wasser. Dann nehte sie ihm
die Stirne, das Haar.
Es dauerte nicht lange, so schlug er
die Au en aus« sah sich verwundert um.
»Gefallen? Donnertvetteei So was
idummesi Aber nur das Pferd war
daran schuld! Und der verdammte
Grabens«
Nun er kam er vollends zu sich und
sah das vor ihm stehende schlante Mäd
chen das ihn halb verlegen, halb be
sorgt anhlielte. mit scheuen, gut-mithi
gen Augen. Sie hielt nochdie Mühe in
den Händen, aus der nun das Wasser
tdurchtriiuselte unld bemühte sichebenmit
ihrem Tuch eine talte Compresse herzu
stellen.
»O —- gräuleini Dante herzlich.
Verzeihen ie nur, daß ich Jhnen da
so im Wege liege!". ·
Jst Ihnen besser?« frua sie freund
lich. »Haben Sie sich nicht sehr wehe
gethan ?«
Er fühlte seine Arme und Beine
»Zerbrochen ist nichts, Gott sei Dant!"
lachte er. »Mir ist’s nur ganz wirblig
im Kopf. Du lieber Himmel! und
smein Rad! Wenn das nur auch heil
geblieben ift!"
Sie half ihm, da er bei dem Versuch
sich aufzurichten, taumelte, die Ma
schine emporzuheben.
»Dante, dantet Nun .ltiegen Sie
auch noch Staubflecke an Jhr Kleid, um
meinetwillen! Schändlich! Aber froh
bin ich doch: das Rad scheint in Ord
nun
Kann ich nichts für Sie thun?"
sagte sie mit ihre sanften Stimme und
sah ihn ein wenig rathlos an, als er sich
von neuem schwindelnd an dem Baum
festhalten mußte. «Wasser vielleicht? . .
Wenn wir nur ein Glas hätten! Es
scheint ganz tlar zu sein in dem kleinen
Bache dorti«
»O einen Becher habe ich wohl. Aber,
daß Sie nun solche Mühe mit mir ha
beni«
! An den Baum gelehnt, schaute er ils-r
lnach, wie sie leichsiißig zwischen dem »
Hrischen Grün und en Blumen dahin ·
.eilte. Nun kam auch ein tleiner Junge
des Weges, im Feiertags-Anzug mit «
grellrothen Hasenträger ülher dem
ischneaveiszen Hemd.
,,Magsi eine Mart verdienen?« rief
der Radiahrer ihm zu und liesi das aus
der Tasche geholte Geldstiick in der
Sonne blitzen.
Der Kleine grinsie. »So nimm das
Rad dort und schieb’ es, wohin ich Dir
sage. Es wird sich wohl irgend ein
Haus sinden, in dem ich es lassen
iann.«
« »Nämlich, weiiersahren, das geht
nicht!« erklärte er dem mit dem gefüll
ten Becher zurückkehrenden Mädchen.
»Ich finde ja aus meinen Beinen kaum
noch die Balancr. Und wenn ich den
Baum loslasse, so sängt alles um michs
her zu schwimmen an· Mr ich sann
doch nicht wohl als Säulenheiliger hier
sieben bleiben.«
Er lachte iiber seinen unsichere-i
Schritt. Minna streckte erschrocken die
hand aus; sie meinte schon, er würde
wieder zu Boden schlagen. Er griff
auch krampshost nach der Stütze und
ilegte schließlich seinen Arm m den «
iihrem
E »Wollen Sie mich ein wenig führen,
Fräuleins Es wird gewiß rascher