Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 05, 1896, Sonntags-Blatt., Image 14

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    iKenntrzieumks Smmr.
Damens-e von Il. W hildevknnon
Jedermann kannte Kommerzien
tath’5 Granatr. Das »Jedetmann»
beschränkte sich natürlich auf die 5000
Einwohner von Windheim, einem
Städtchen, das in einem kleinen Für-l
stenthmn des großen Deutschlandsi
liegt. Also Jedermann in Windheimf
kannte Kommerzienrath’s Granated
Aber es war auch leine gewöhnliche
Granate, wie man sie wohl öfter auf
Schreibtifchen als Briefbeschweter oder
als Aschenbechet erblickt, o nein, diefe
Granate hatte ihre Geschichte und des
halb wat sie dem alten jovialen Kom
merzienrath Braune sozusagen an’s
Hekz gewachsen.
Friß Braune’s,Aeltester, war als
Einjähriger beim 34. Regiment 1870
mit in’s Feld gezogen und hatte die alte
deutsche Stadt Straßburg dem Reiche
zurückerobert; zu diesem Schlusse tam
man wenigstens wenn man den alten
Braune erzählen hörte. Nachdem die
Geschüße der Belagerer ihre unheil
bringende Todesboten reichlich über
die unglückliche Festung ausgestreut
hatten, und die wenig energischen Aus
siille der Belagerten stets zurückgewie
sen waren; nachdem in den Tagen
vorn 23. bis zum 26. September Bre
sche gelegt war in dem Hauptwall Von
astion 11 und 12, und am 27. Sep
ember die deutschen Soldaten von den
Lausgriiben das Erscheinen der weißen
Fahne aus dem Münster mit freudigem
Hurrah begrüßt hatten, nachdem ferner
die Besaßung mit dem tapferen Gene
ral Uhtich an der Spitze an Gene
ral Werber und dem Großherzog von
Baden vorbei in Kriegsgesangenschast
gezogen war. standen die Thore von
Straßburg den Deutschen offen.
Fritz Braune zog es im ersten freien
Augenblicke nach dem alt-ehrwürdigen
Münster, das unter dem Kugelregen
nicht verschont geblieben war. Der
Dachstuhl war weggebrannt, ein Stück
der Giebelfacade war weggerissen, und
mehrere Kugeln hatten ihn durchlöchert.
Dort hatte Fritz eine Granate gesun
den, sie von einem Artilleristen entladen
lassen und nach Hause geschickt.
Nun stand sie in ber besten Stube
von Kommerzienrath's, gewöhnlich auf
einer Konsole neben dem anderen
Stück, aus das der Kommerzienrath
stolz war, einer Uhr im Rototostyle
unter einer Glasglocke. Diese war ein
Geschenk des damaligen Landessiirsten
an den Großvater des Kommerzien
rathes, und als sichtbares Zeichen der
»Wer-höchsten Huld Seiner hochseligen
Durchlaucht'« an den seligen Großva
ter stand sie in hoher Achtung.
Aber wenn die Pendule höheren Re
spekt einslößte —- größeres Interesse
nahm doch die Granate in Anspruch.
Es fand keine Gesellschaft bei Kommer
zienrathssstatt, ohnedaßdasmörderische
Geschoß herumgereicht, bewundert und
seine Geschichte erzählt worden wäre.
Der alte Braune war der sriedsertigste
Mensch, den man sich nur deuten konn
te. Blut zu sehen war ihm unange
nehm, und eine Schießwasse hätte er nie
in seinem Hause geduldet, aus Angst,
daß sie einmal aus Versehen losgehen
und Jemand verwunden könnte.
Schießwaffen thäten das stets, behaup
tete er. Aber wenn er seinen Gästen
die Granate verführte, hätte man mei
nen können, er wäre der blutdürstigste
Kriegsmann. Daß er die Konstruk
tion der Granate aufs Genaueste stu
dirl hatte, braucht wohl taunt gesagt
zu werden· Und die Belagerung von
Straßburg konnte er schildern, als ob
er selbst mit dabei gewesen wäre. Er«
führte seine schaudernden Zuhörer»
vom Ziehen des Belagerungsgürtelss
-« durch nächtliche Flammen-Were durch»
gemeine, slüchtige und völlige Sappen,
über Lünetten und Bastionen, durch
die zerschossenen Mauern, durch ausge
brannte Straßen, vorbei am botani
schen Garten wo Grab an Grab sich
reihte, zur evangelischen St. Thomas
tirche, wo die Deutschen Dankgottes
dienste feierten, und zuletzt bis in den
Münster, wo die Geschichte mit dem
" Finden der Granate endigte.
« Während der Erzählung ging die
j , berühmte Granate, die den Straßbur
« get Münster zerschossen hatte, von
d zu hand, und wenn sie die ge
«rige Bewunderung eingeerntet
hatte, wanderte sie wieder aus ihren
Ehrenplan zurück zu ihrer alten Freun
1 dir-« der Rololouhr. Manchmal wurde
’ sße aber auch von Rath-den« der einzi
gen Tochter des Hauses, ganz respekt
ivng in die Ecke gestellt. Es war
einmal so, die junge Generation hat
Lock uichttstneht Agtung und es wäre
W · aune on zuzutrauen ge
Usph daß sie sogar dann- dieselbe
IWiloßgkett an den Tag gelegt
M wenn das Geschoß eine von je
nen historischer-i Gmaten gewesen
wäre, die bei Gravckotte um König
Wilhelm gesaqu sind. Wo hin du hin,
du gute alte Zeit! Vielleicht spannt es
gar noch dahin, daß man die Könige-.
Und Fürsten auch nur als Menschen
von gewöhnlichem Fleisch und Blut
ansicht; wenigstens bei Käthe Braune
lag der Verdacht nahe, daß sie von ih
rem hans und an ihn mehr dachte, als
an ihren allerdurchlauchtigsien Lan
desfiirsten
Aber ehe wir von Käthchen s Hans
reden, müssen wir uns ein wenig mit
dem Siatklub beschäftigen, zu dem
Kommerzienraths gehörten. An zwei
Abenden jeder Woche, Montag und
Donnerstag, war Skaiabend, und diel
Sitzung fand der Reihe nach in den
Behausungen der zugehörigen Faun-I
lien statt. Es waren selbsiredend nur»
die pitzen der Gesellschaft denen der!
Zuit itt zu diesem exllusiven Zirlel ge
statiet war
Außer Kommerzienraths waren da’
vertreten der Herr Ghmnasialdirettor;
und seine Gattin. Er war ein tüch-.
tiger Schulmann und hatte das Wind
,heimer Ghmnasium, das unter denis
früheren Direktor etwas verlottert:
war, wieder in die Höhe gebracht. Die»
»Disziplin gab der militärischen bei-’
nahe nichts nach, und der leichtsinnigste
sPrimaner zitterte, wenn der Tyrann
;wie sein Spottname lautete, das Klas
ssenzimmer betrat. Gerecht war er
aber auch von rückfichtsloser Strenge
gegen Faulheit und Leichtsinn Der
einzige Mensch beinahe, vor dem er Re
spekt hatte, den alten Griechen Plato
und ein paar ähnliche Ehrenmanner
ausgenommen« war seine Frau, eine
kleine hagere Person mit scharfer
Stimme und spiher Nase. Sie hielt
die Zügel des Hauseegirnents straff,
und manche ergötzliche Aneldote tur
firte unter den Gymnasiasten, wie der
gestrenge »Thrannus direx« unter ih
sren energischen Händen weiches Wachs
;.wurde Jm Statllub wafder Herr
Direktor die Seele und höchste Autori
tät
Ein eifriger Spieler war auch der
Herr Oberpfarrer. Und warum sollte
er auch nicht; es lasteten auf ihm so
viele Amtsarbeiten während des Ta
ges, Berichte an die verschiedenen Be
hörden, Theilnahme an allen möglichen
und unmöglichen Versammlungen
Schulinspettionen u. s w. und er war
so viel Scheerereien und Aerger ausge
setzt, daß er sich am Abend wohl einen
erquickenden Skat gönnen durfte
Auch der Postdirettor und der Bau
rath waren regelmäßige Theilnehmer
am Statabend. Der letztere war na
mentlich groß in Leichenteden'« und
oft hatten die Anderen schon wieder die
Karten zum neuen Spiel fertig in der
Hand, während er sich noch immer nicht
zufrieden geben konnte und sich erregte
über einen vermeintlichen oder wirt
lichen Fehler, den einer der Spieler
verbrochen hatte. »Er hätte das zu
geben miifsen, und ich hätte in der hin
terhand gestochen und meine lange
Flöte gespielt und dies gethan und
das gethan." Aber wirklich un
angenehm konnte er werden, wenn
ihm selber Jemand einen Feh
ler nachweisen wollte. Dann kam
es wohl vor, daß er voller Wirth die
Karten wegwarf, seinen Hut nahm
und fortlief. Am nächsten Statabend
war er jedoch pünktlich wieder zur
Stelle.
Eines der jüngsten Mitglieder des
Statklubs war Käthchen’g Hans,
oder um ihm seinen vollen Titel zu ge
ben: Herr Reserendar Dr. jur. Hans
Schulze. Eigentlich berechtigte ihn
weder seine gesellschastliche Stellung
noch sein Alter zu einein Platze in die
ser würdigen Gesellschaft; aber der
alte liebenswürdige Amtsgerichtsrath
dessen Liebling er war, hatte ihn ein
geführt und brachte ihn wgelmäßig
mit oder schickte ihn als seinen Stellver
treter, wenn ihn fein Rheumatismus
zwang zu Hause zu bleiben. Um ihn
nicht zu beleidigen, nahm man auch den
jungen Mann gut auf, zumal dieser
ein ausgezeichneter Spieler war.
Als er zum ersten Male bei Kommer
zienraths zum Statabend war, hatte
er Mithe kennen gelernt, die zuweilen
als dritter »Mann« aushalß wenn ge-J
rade einer fehlte. Jhr Vater behaup-i
tete freilich, daß sie gewöhnlich ihren:
Partner mit Nennen oder Sieben ab
speise und dafür der Gegenpartei Zeh-;
nen wimrnle, und daß sie weder Trüm- ;
pfe noch Stiche zähle; aber Hans spielte
besonders gern mit ihr. Die jungen;
Leute hatten sich fast beim erstenmai.s
Sehen in einander verliebt. Sie hat-l
ten sich ihre Liebe gestanden und Rath-J
chen hatte ihrem Hans nicht verhehlt,
daß es schwere Kämpfe kosten würde,
ihres Vaters Einwilligung zu erlan
gen. Der alte Braune hatte einen ge
wissen Dünkel und Ahnenftol3. Er
hielt etwas aus seine Vorfahren. und
nachdem seine beiden Jungen standes
getniißig eheirathet hatten, wie er ez
nannte, w ’nschte ernunauchseineTock
ter in einer hossiihigen Familie unter
zubringen. Oossiihig aber war dont
Schulze’i Familie ganz und gar nicht.
Sein Vater war ein Kleinbauer, der
sich nur so gerade durch's Leben durch
schlagen konnte. Nie wäre ihm der
Gedanke in den Kon gekommen, daß»
sein hans ein «Studirter« werdens
könne. Schneider oder Schuster sollte»
der Junge werden, da er zum Bauer
nun doch einmal nicht zu passen schien.
Da war »der Pfarrer des Ortes auf
den geweckten Jungen aufmerksam ge
worden, hatte mit den alten Schulze’5
gesprochen und sich vor der Hand erbo
ten, ihrem Sobne Privatunterricht zu
ertheilen Hans lernte fleißig und
wurde, als er sich zur Aufnahmepriif
ung auf dem Gyninasium meldete, so
gleich in die Obertertia ausgenommen.
Mit Hülfe von Stipendien und Pri
vatunterricht an jiingere Mitschüler
half er sich durch das Gymnasium und
aus ähnliche Weise durch die Universi
tät, bis er endlich sein Examen machte.
Man war schon aus der Universität
aus den strebsamen und talentvollen
jungen Mann aufmerksam geworden
und gab ihm nun Geiegenheit. stets
in der Lage zu sein, seinen Unterdalt
zu verdienen. Jetzt war er dem alten
Gerichtsrath in Wingheim beige« eben
worden und hatte sich, wie wir ge eben
haben, in die Tochter des reichen Korn
rnerzienraths Braune verliebt, er, der
arme Neierendar mit nichts als einer
ungewissen Zutunst vor sich.
Aber morgen ging er hin zum alten
Kommerzienrath und hielt um die
Hand seiner Tochter an. Das war er
seiner Ehre schuldig. Mochte dann
tommen was ,wolle. So tröstete er
sich. als er wieder einmal zum Stat
abend zu Kommerzienraths ging.
Es war eine stattliche Versammlung
heute, die meisten Mitglieder waren an
wesend, draußen trachte und tnactte es
vor Frost. aber. desto molliger war es
in der warmen Stube neben dem alt
modischen KachelHem der von der da
nebenliegenden Stube aus, und durch
eine lurze Mauer mit ihr verbunden
war. Braune hatte eben einen kleinen
Vortrag gehalten iiber den indirekten
Breschenschuß, der bei der Belagerung
von Straßburg zum ersten Male pral
tische Verwendung gesunden hatte und
dabei die Granate herumgehen lassen.
Da siel sein Blick aus die Uhr.
»Was, schon halb Neun, da wird’s
ja aber höchste Zeit, daß wir anfangen;
bitte um Entschuldigung meine Herr
schasten, daß ich Sie so lange aufge
halten habe.« "
Es siel ihm nun nachträglich erst
aus, daß der-Oberpsarrer schon seitmin
bestens einer halben Stunde kampf
bast gemischt und abgehoben und abge
hoben und gemischt hatte. .
»Bitte, Käthchen, stelle schnell die
Granate wieder weg.«
Käthe stellte sie in der Eile hinter
den Osen aus die Verbindungsmauer
und bald war alles in eisrigster Arbeit·
Käthe und Hans waren durch’s Loos
an densele Tisch gekommen, aller
dings nicht ohne Nachhiilse von Hans.
Ein Glück war’ö nur. daß der dritte
Mann der alt-e Amtsgerichtsrath war,
der höchstens behaglich schmunzelte und
sich nicht im Geringsten ereiserte, wenn
die Unachtsamleit der Beiden auch noch
so seltsame Böcke schoß. Am Neben
tisch gings lebhast zu. Da waren
der Bæurath der Oberpsarrer, der
Ghmnasialdirektor und der Kommer
zienrath zusammengewürfelt worden.
Der Direktor tonnte den Baurath nicht
leide-n wegen seiner Leichenreden, und
dem Oberpsarrer war er ein Greuel,
weil er so entsetzlich fluchte wie ein Un
terossizier. « »
An diesem Abend hatte der Baurath
Pech, entfesliches Pech. Erstens bekam
er überhaupt tein Spiel in die Hund«
und wenn er doch eins bekam, ging ein
Anderer höher; wenn er aber dennoch;
spielte, ging er sicher rum. Dazuz
mußte et noch die höhnenden Bemer-;
langen der Mitspielet mit in den Kaqu
nehmen. Kaum that er den Mund
auf: »Wenn ich noch den zweiten Buben
gehabt hätte« oder ein ähnliches
»Wenn«, so fielen mindestens zwei An- !
dere ein: »Ja, wenn meine Großmut
ter Räder hätte etc.« Und da soll der
Mensch nicht einmal fluchen? »Him
mellreuz — —- Ach so! Bitte um Ver
zeihung, Herr Oberpfarter.« ’
Aber endlich hatte er ein Spiel, das
lonnte ihn ein wenig herausreißem ein
Eicheln mit Vier. Da konnte doch
wohl leiner drüber. Aber sich ja nichts
merken lassen· Mit seiner bärbeißigftenl
Miene forderte er den Oberpfarrer
auf: »Sie reizen!«
» !" begann dieser.
»Bist-ei fangt’s an.«
»Zwölf!«
« daj.«
,,A Vierzehn!«i
«Natitrlich!«
« nzig?«
al«
aden l« !
«
: « und nzig·i«
. Wann Mk W«
»Schon lahm gelaufen, here Ober
pfarretTi Wollen Sie etwa noch etwas
sagen, here Direktor i«
»Na, dreißig will ich mal sagen.«
«hab’ ich selbst«
»Dann Vierzig.«
Der Bauraih war noch sehr sieges
gewiß: «Vierzigisi si«
»Auch Fünfzig?«
Es wurde ihm schon unheimlich,
aber noch konnte er«s aushalten.
»Sechzig?«
Auch das hatte k? noch, ek zitterte
schon vor Wuthz er wußte ja nun
schon ziemlich gewiß, daß er sein Spiel
nicht behielt. Und als der Direktor
nun mit dem unschuldigften Gesicht
,,Fiinf und Sechzig« ankündigte, da
schleuderte er erbost die Karten auf den
Tisch: »Da soll doch gleich ein
Don s ——.«
Bumm!!! ging s da auf einmal, als
ob eine Kanone im Zimmer losge
schossen würde, und ein Klirren wie
non zerbrochenem Glas folgte. Sämmt
liche Lampen erloschen und Jud-raben
ichwarze Nacht umgab die entsetzten
Spieler-, die sich in der Finsterniß
iaum zu rühren wagten.
Jn der Dienstbotenstube hatte man
den Knall auch gehört und bald erschien
Marie aus der Schwelle, die brennende
Lampe in der Hand. Was der Gesell
schaft zuerst in die Augen fiel, war
Käthe, die Zuflucht an Hansen’s Brust
gesucht hatte, der sie zu trösten ver
suchte. Die Beiden schienen ihre Um
gebung ganz vergessen zu haben und
sahen auch nicht, wie der Kommerzien
rath, der unter den Tisch Ietirirt war.
mühsam aus seinem Versteck wieder
emportauchte. Endlich wurden sie sich
über ihre Situation klar· Und da faßte
hans einen verzweifelten Entschluß
Angesichts der ganzen Gesellschaft trat
er mit dem erröthenden Mithchen an
der Hand vor den Kommerzienrath
der aussah, als möchte er am liebsten
sofort wieder unter den Tisch triechen
und hielt in aller Form um die Hand
seiner Tochter an. Athemlose Span
nung! Die Explosion war beinahe
ganz vergessen. Selbst der Direktor,
der seine Karten noch trampfhaft in
der Hand hielt, um ja nicht um seinen
«Grand ohne Viere« zu kommen,
schielte herüber.
Was wollte der alte Braune thun?
Alle hatten gesehen, wie seine Käthe
mit dem jungen Manne einig war.
Sollte er sich und seine Familie all dem
unausbleiblichen Klatsch aussetzen?
Sollte er seinem Stolze das Herzens
gliick seiner Tochter zum Opfer brin
gen? Sollte er einen gebildeten jun
gen Mann nicht als Schwiegersohn an
nehmen wollen, blos weil derselbe von
niedriger Hertunst war? Das war
doch schließlich das Einzige, was er
gegen die Parthie einzuwenden hatte.
So warf er denn seinen Stolz über
Bord und ertheilte mit möglichst guter
Miene und würdevoller Haltung sei
nen väterlichen Segen.
Aber die Explosion? Wie war die
entstanden? Ganz ausgetlärt tonnte
sie nicht werden. Washrscheinlich war
in der Granate die Ladung nicht gänz
lich entfernt worden. Jn der großen
Hiye hatte sich der Pulverriietstand ent
zündet und ein Stück von dem Geschoß
abgesprengt. Durch den starlen Luft
druck waren die Lampen ausgelöscht
worden, einige Fensterscheiben waren
zersprungen, und das abgesprengte;
Stück der Granate, ebenso respektlos»
wie Küthchen Braune, war auf die Ro-J
totouhr gefallen und hatte die Glas-T
gloele zerschlagen- »
»Das Alte stürzt, es ändern sich die?
Zeiten, und neues Leben blüht aus dens
Ruinen,« detlamirte der Oberpfarrer,
der mit Vorliebe citirte. .
,,Und nun, meine herrschaften, las
sen Sie uns in's Speisezimmer gehen
und eine Bowle improvisiren zur Ver-s
lobungsfeier von Käthchen Braune und;
De. Hans Schulze,« schlug der Kam-J
merzienrath vor. ;
»Und mein Grand ohne Viere?«s
fragte der Direttor. der noch immer’
am Tische saß und mit seinen Karten
liebäugeltr. «
v
Edelmuxh der Baker«
Jn englischen und englisch-ameri
lanischen Zeitungen wurde gerade in
den allerleyten Tagen wieder über
»Mir-te und Grausamkeit« der Buren
geschiknpst und getobt. Warum? Weil
einer der gesangenen englischen Ber
schwöret, Frev. Gren, sich im Gesäng
niß zu Pretoria in einem Wahnsinns
ansalle mit einem Nasinnesser den
hals abgeschnitten hat. Aber was tön
nen dafür die Buren? Jn dem Berichte,
welcher diesen Selbstrnord meldet, wird
gesaxzt daß zu derselben Zeit wieder
zwe Gesungen-s wegen Kränllichleit
en Messchast aus seeien Fuß ge
sät wurden. Die Schuld am Tode
GreW laslet wahrlich nicht aus den
-
Bureru sondernan Denen, welche ihn
r Betheiligung an der schändlichen
rschwörung verlettetent
Englische und leider auch englisch
ameritanifche Lümmel machten sich
Monate lang ein Geschäft daraus, die
Buren als rohe, harte Kerle zu ver
schreien. Seither hat aber die Welt
eine Menge Beweise dafür erhalten,
daß in diesen holländischen und nie
derdeutschen Afrikanern, auch in den
niedersten derselben, ein humaner ed
ler Sinn herrscht. Davon erhält man
jeht einen neuen Beweis.
Die Freibeuter-Bande, welche unter
Dr. Jameson in die Südafrikanische
Republik einbrach, bestand bekanntlich
zum großen Theile aus Englandern
der vornehmsten Art. Darunter be
fand sich auch ein militiirischer Spröfz
ling des alten englischenGrafenhauses
Coventry. Das Weitere ersieht der
Leser aus folgendemBriefe, welchen der
Earl of Coventrv von seinem Sitze
Croonre Court in England aus an
Präsident Krüger gerichtet hat:
»Euer Gnaden! Unter Gottes
Schuß ist nun mein Sohn, der Mavor
E. F. Eoventrv, hier eingetroffen. Er
lag mehrere Wochen als Berwundeter
im Krankenhaus von Krügersdorp und
spricht mit größter Dankbarkeit von
»der Güte und Aufmerksamkeit Jhrerx
iLeutr. Sobald das Gefecht vorbei!
’war, haben sich dieselben in der Thatl
folg kdecmiithigk Feinde bewiesen. unt-s
jmein geliebter Sohn ist von ihnen so
sliebevoll und zart behandelt worden,i
Hals ob er zu Haufe bei feinen Eltern
Igetvesen wäre. Lady Coventry und ich.
Jerlauben uns daher, Eure Gnaden
hiermit zu ersuchen, für Jhre Lands
leute unseren innigsten Dank entgegen-»
zunehmen für alle die große Güte, dies
unserem Sohne erwiesen wurde. Nie-I
mais —- desfen seien Sie versichert —--»
wird die Erinnerung daran aus tin-J
sereni Gedächtnisse schwinden. Sollten :
Euer Gnaden England besuchen, so?
hoffen wir Jhnen persönlich danken zu?
iönnen.« I
Das haus Eoventrh schuldet aber;
den Buren nicht nur Dank für die hu-l
mane Berpflegung seines SprößlingTz
sondern auch dafür, daß sie auf jedes
Bestrafung desselben von ihrer Seites
verzichteten und es England überließen,
ihn wegen seiner Betheiligung an dem;
schändlichen Freibeuterzuge zur Sie-l
chenschaft zu ziehen
Und welche Großmuth übt Präsi
dent Krügen indem er die tückischen
Verschwörer und Hochverröther von
Johannesburg zu verhältnismäßig
für sie so leichter Buße begnadigt!
Ameisen nudvlsummi Ambi
entn.
«--—
«Gummi arabicum« wird vorzugs
weise auf dem asritanifchen Festlande
gewonnen, den Namen »Arabicum«
erklärt man sehr einfach dadurch. daß
dieses Erzeugniß früher nach den aka
bischen Häfen verschifft wurde. Am
meisten betheiligt an der Gummier
zeugung find die oftafritanischen Sied
penländer, die Gebiete des oberen Nil
und verschiedene größere Stromgebiete.
Während der Trockenzeit lassen ver
schiedene baumartige Atazien das
Gummi bald in wallnuß- bis faustgro
ßen Kugeln bald in langen, bernstein
gelben Zapfen austreten, ungefähr so,
wie es gelegentlich unsere Kirschbäume
und Aprilosenspaliere zu thun pfle
gen Das Einsamrneln geschieht durch
arme Eingeborene, die Waare wird in
Säcken ver-packt, auf dem Rücken der
Kameele nach dem nächsten Küstenplatz
und durch europäische Dampser weiter
befördert.
Vielleicht die Hälfte des in Ostasri
la gewonnenen Gummi stammt von
der Ssassar-Alazie, welche Schwein
surth unter dem wissenschaftlichen Na
men ,,Acacia sistula« beschrieb. Der
dünne, mit glatter, grüngelber Rinde
übertleidete Stamm erhebt sich zu einer
Höhe von 7——-8 Metern, ist im Gegen
satz zu anderen Aladien gar nicht oder
nur wenig getheilt und läßt ziemlich
rechtwinllig biegsame. loclere Zweige
abgehen. welche mit fingerlangen. el
senbeinweißen Dornen bewehrt sind
Die Ssosiar-Aiazie gedeiht nur an
Standorten mit genügender Boden
seuchtigteit. Jn den Galeriewäldern
längs der Flüsse und Ströme bildet sich
neben Dulunpalmen und Tarnariöien
ausgedehnte Bestände, tritt aber nicht
selten in die ossene Steppe über, um
bald kleinere Gruppen, bald eigentliche
Waldpartieen zu bilden. Während
sonst die ostasrilanischen Waldungen
von dem betäubenden Lärm einer bun
ten nnd vielgestaltigen Bogelwelt er
siillt sind, herrscht hier lautlose Stille;
die Weidethiere vermeiden die genannte
Atazie ängstlich —- nur der schwarze
Anwohner macht sich darin zu schassen,
indem er mit seiner langen Lanze die
Gummizavsen ansticht nnd herunter
holt. Die Erklärung dieser aufsallens
den Erscheinung ist sehr einfach. Jede
Atazie beherbergt regelmäßig eine
Truppe schwarzer Ameisen, die nach
Tausenden zählt. Allzeit kampfbereit,
stützen sich diese Thierchen aus jeden
Angkeiset, um ihn mtt ihren Bissen zu
belästigen und zu verwunden. Es ist
gleichsam eine Meute zur Berti-ewig
ung, welche die Atazie in ihren Dienst
genommen, und die dabei gut gedeiht.
So allein wird erklärlich, daß dieser
Bau in nächster Nähe der menschli
chen nsiedlungen sich behauptet, wo
sonst Ziegen, Schafe und Kameele alles
Erreicht-are abweiden —«— alle diese Ge
schöpfe wissen aus Erfahrung. daß die
so geschätzte Gllmmiatazie ein »Noli
me tangere« bedeutet· Es leuchtet ein,
daß die bissigen Ameisen dem Men
schen einen großen Dienst erweisen; sie
erhalten mit det Alazie auch ihr werth
volles Etzeugniß. Wohl Wenige den
ken daran, wenn sie einen Briesum
schlag sorgfältig verschließen, daß die
Wahrung des Briesgeheimnisses in len
ter Linie durch die Ameisen ermöglicht
wird.
. .,.--. —.---—-.0
Ein endiahrhundertliches Ver
gnligen
Die neueste Verriiätheit, die Paris
beschäftigt ist nach der »Voss. Ztg.« das
Unternehmen eines gewissen Durand,
der sich im Zustande des Gehängtseins
zur Schau stellt und in diesem Zustande
dreizehn Tage und Nächte angeblich
ohne Unterbrechung ausharren will.
Dieser Durand war früher Anstreicher
geselle in Marseille. An schwerer Hy
sterie leidend, pflegte er mitten in sei
ner Arbeit plötzlich in lataleptische
schlasähnliche Zustände zu verfallen«
und tagelang zu schlafen. Er lam aus
den richtigen Hhsteriter-Gedanlen, aus
seiner Nerventrantheit Kapital zu
schlagen. Er unternahm es, in einem
Marseiller Bergniigungslolal 28 Tage
lang unbeweglich aus einer Säule zu
stehen, und er führte, von einer wirt
samen Auto-Suggestion unterstii t,
diesen Vorsatz auch aus. Dieses Krak
stiick hatte angeblich die seltsame Folge,
Durands Körperlänge um voll 5 Cen
timeter zu vermindern. Die Vermi
nerung seiner Gestalt ärgerte Durand,
und um seine frühere Größe wieder zu
erlangen, verfiel er auf den Einfall,
sich fiir die Zeitdauer von 13 Tagen
aushängen zu lassen. Zum Schauplatz
dieser neuen Heldenthat wählte er ein
Tingeltangel von Montmatre. Jn ei
nem Raume. der durch einen grünen
Vorhang vom allgemeinen Saale ge
trennt ist, baumelte der Kerl thatsäch
lich an einem Strick, der an einem
Haken der Decke befestigt ist. Natürlich
ist die Schleife ihm nicht um den hats
gelegt, da er sonst von den 13 Tagen
derPriifung nicht IszSetunden überlebt
hätte, sondern sie ist ihm hinter Kinn
und Hinterhaupt geführt, wahrschein
lich mit unterstützenden Schleifen un
ter den Armen, obschon diese nicht deut
lich sichtbar sind. Der Raum ist näm
lich in ein günstiges halbduntel ge
hüllt, theils um den Anblick schauer
licher zu machen, theils um kleine Knif
fe zu verbergen. Das Hängeverfahren
ist in der Heiltunde nicht unbekannt.
Man hängt Kinder bei Verlriimmun
gen der Wirbelsäule, um ihnen einen
Gipspanzer um den Oberleib zu legen,
man"hängte bis von drei Jahren häu
fig Nücienmartsleidende. was aber seht
wieder in Abnahme gekommen ist« Al
lein es handelte sich immer nur um eine
ganze lurze Zeit, und iiber die Wir
kungen dreizehntägigeu Hängens aus
den Organismus sehlt es an allen Er
fahrungen. Angel-lich halten zwei
Aerzte fortwährend bei Durand Wa
che. Er nimmt nichts zu sich als einen
unbelannten -braunen Traut, wahr
scheinlich eine Opiumtinttur in Wein.
Jn der Nacht wird zeitweilig eine Lei
ter herangeriickt, aus die er seine Füße
stützt, um ein wenig vorn Hängen aus
zuruhen, losgehalt soll er jedoch nicht
werden. Die Musil die aus dem haupt
saale zu ihm dringt, scheint bei ihm Be
wegungstriebe auszulösen, die er nicht
hemmen kann. Wenigstens sieht man
manchmal seine Gliedmaßen zum
Rythmus der Musik zucken. Der An
blick, den der Mensch an feinem Stricke,
mit geschlossenen Augen, geöffneten
Lippen, fahiem Galgengesicht und häu
fig zappelnden Beinen in dem beschat
teten Saale bietet, ist abscheulich. Aber
die Pariser finden ihn reizvoll und
strömen in hellen Haufen in das .-e
clercqsche TingeltangeL um sich gegen
geringes Eintrittsaeld ein wonniges
Grufeln zu verschaffen.
-
—...—-—-- ..- - —-».«—.-..
Auf Abs-hing.
Liruteuant: »Ich komme heute, Sie
um die Band ihrer Tochter zu bitter-,
Beet Tommerzienrqihl«
Eier (im Bauptbnch ein come
qnssch qgend): »Zum größten Theil ha
ben Sie sie aber schon, Herr Betaut-«