Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 05, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    M um Diesitsädchew
Humokeske von B. lW. Zell.
»Nein, es ist nicht mehr zum Aushab
ten mit diesem Mädchen!« Mit diesem
« Stoßseufzer sank Frau Doktor Braune,
ganz erregt und verärgert aus der Küche
kommend, erschöpft aus einen Stuhl.
»Hab’ nur Geduld Mama.« tröstete
.Ella, die älteste Tochter. ,,Bald ist ja
« die-Zeit überstanden und von dem neuen
Mädchen verspreche ich mir, ihren Zeug
nissen nach zu urtheilen, das Beste.«
Frau Doktor richtete sich neubelebt em
por.
»Auch ich. Schon, daß es keine Berli
nerin ist, beruhigt mich. Die Berliner
Mädchen leisten jetzt wahrlich an Unver
schämtheit Unglaubliches Jch kann den
Tag nicht erwarten, an dem unser neues
Mädchen anzieht und wir diese impertis
nente Mamsell Minna los werde.«.«
Nach Verlauf einer Woche war der so
herbeigewünschte Tag erschienen und
Minna zog ab; die Ersehnte freilich war
vorläufig noch nicht da, sondern hatte
durch eine fast unleserliche Karte mitge
theilt, daß sie erst zwei Tage später zu
ziehen könne, da die Reise einen Tag er
forderte und sie vorher noch zu ihren
Eltern aus’s Land fahren und sich dort
verabschieden müsse. Als die beiden schwe
ren Tage überstanden waren, erhob sich
eine neue Kalamität: das Mädchen muß
te vom Bahiihos abgeholt werden, denn
wie sollte sie sich, wildfremd und uner
fahren, in dem Höllentrubel eines welt
städtischen Centralbahnhofs zurechtsin
den?
Herr Doktor mußte also das Kurs
buch studiren und seine Hausehre machte
sich aus, den weiten Weg zum Bahnhof
einzutreten
Nach drei Stunden kam sie zurück,
matt, nervos, abgehetzt. Sie hatte vier
Züge aus dem Osten abgewartet, sämmt
liche weibliche Jnsassen der vierten Wa
genklasse liebevoll gefragt, ob sie sich
vielleicht bei Frau Doktor Braune als
Mädchen für Alles vermiethet hätten
immer dasselbe negative Resultat!
»Aber jetzt in der Mittagszeit kom
nien wieder zwei Züge, da mußt Du hin,
Ella.«
»Aber Mamal«
»Weißt du vielleicht andern Rath?
Soll das arme Ding gleich ibei ihrer An
kunft Bauernsüngern in die Hunde sal
len?«
Dagegen ließ sich nichts sagen und
gehorsam machte sich das Töchterlein aus
den Weg, unt nach einigen Stunden in
gleicher Verfassung und gleich resultat
los, wie vorhin die Mutter, heimzukeh
ren.
Abends erschien wie gewöhnlich Ella’s
Verlobter, um mit der Familie den Thee
zu nehmen.
»Das neue Mädchen noch nicht hier ?«
fragte er verwundert, als er Mama in
der Küchenschürze erblickte.
»Nein, aber Du mußt gleich zur Bahn,
lieber Ernst ——gerade jetzt kommen wie
der Züg e.« !
Ella war wüthend und ihr BrautigamI
sah nichts weniger als entzückt aus. Da
es aber sein Grundsatz war, es mit der»
Schwiegermania nie zu verderben, nahm!
er schnellstens seinen Hut und ging. »
Die Stunden verrinnen Ernst er
scheint nicht. Ella sitzt im Erler nnds
weint vor Aerger. Endlich, wenige MH
nuten nach zehn, stürmt der Abgesandte
die Treppen hinan-natürlich allein.
,,Keine Spur von einem Mädchen aus
Gollub, Martia-, « berichtet er »Hab’
wie ein Detektiv herumgesragt——2llles
vergebens Um Mitternacht soll aller
dinæs noch ein Zug kommen «
arl ist der Sohn des Hauses und
seines Zeichens Primaner. Er ist em
pört über die Zumuthuug, der neuen
Riese wegen-bei ihin heißen alle Mäd
chen Riese-seine Nachtruhe opfern zu
sollen, aber Mama befiehlt und da ist
nichts zu machen. Wüthend zieht er um
halb Zwölf los, um gegen Zwei zurück
zusehen-allein -
Am nächsten Morgen ruht Frau Dot
tor nach der zerstörten Nacht und allein
Strapazen etwas länger als gewöhnlich.
Da tönt draußen rasendes Klingeln,
Frau Doktor fährt aus. Gleich darnach
steckt Ella den Kopf zur Thitr herein:
»Das neue Mädchen, Mania.«
»Gott sei Dann-«
Die Hausfrau hastet in die Kleider-s
und stürmt in die Küche »Aber liebes
Kind— wir haben sie seit drei Tagen er- T
wa«rtet—
»Hab’ ich Zug versäumt-und noch- (
mal Zug versäumt—aber alle Arbeit
nachholen!« !
Frau Doktor betrachtet nun die neues
Gehälsin näher. Eine kleine dralle, baue
rische Gestalt mit zinnoberrothen Backen
nnd strohgelbem Haar, bat-, festgeflochten,
sich wie angefleht mn den Kopf legt. Der
nzug buntscheckig, armselig und vor
süudsluthlich, almobisch-—nein, nett und
entsprechend sieht das neue Mädchen
durchaus mcht auöl Dennoch ist ihre
eatzsckt
»So lieb’ ich es, « meint sie zu ihrer!
Tochter, die ganz niedergeschlagen drein
schaut bei dein Gedanken , welch einen
Eindruck diese unkultivirte Zofe auf
Fremde machen wird. »Fein wird sie
schnell genug werden. Nun Dienstbuch
uud Papiere«— wendet sie sich wieder;
Izunt Mädchen. »Und wie heißen sie ei
amtlich-ich konnte den Namen nicht
ientziffern »
»Pelagis Przybvcztz «
Mutter und Tochter staunen sich sprach
los an und machen garnicht erst den
»Versuch, den Familiennamen ftiit feinen,
deutschen Lippen unmöglichen Zisch- und
Nießlauten auszusprechen Aber der Var
nahnie —,,wir können Sie in keinem Fall
Pelegia nennen,« entscheidet endlich
Frau Doktor. »Ich werde Sie in Ma
rie umtaufen. »Das Mädchen, das au
genfcheinlich das klare Hochdeutich nur
schwer versteht meint »Kascha« wart
ihr lieber.
»Gut denn, Kascha klingt wenigstens
originell.«
Ell-i aber findet »Kafcha« schauder
haft und macht sich ein Vergnügen da
raus, die neue Duenna den ganzen Vor
inittag recht schwungvoll »Pelagia« zu
benamsen. Karl spricht, als er Mittags
aus der Schule kommt, einfach nur von
,,Rieken«, die er übrigens gräulich fin
det und der Doktor erklärt bei der Heini
kehr, es fiele ihm nicht ein, sich fortwäh
rend an neuen Namen die Zunge zu
zerbrechen, für ihn heiße das Mädchen
Minna, wie das frühere. So hat denn
Pelagia Przybycrcz vier Rusnainen, aus
die sie übrigens fänimtlich hört. Sie ver
steht nichts, weder die Zimmer zu reini
;gen. noch zu scheitern und zu pupen oder
den Tisch ordentlich zu decken -voin Ko
chen garnicht erst zu reden
Nach Verlauf der ersten Woche ist
Frau Doktor sehr niedergedrückt, ihre
TTochter erschöpft von all’ der ungewohn
ten Arbeit, nur der Hausherr hat seine
gute Laune nicht verloren —tvas Wun
der auch! Er selbst hat eben unter der
Mädchenkalainität nicht zu leiden. Wenn
er nur das Spotten lassen wollte, denkt
seine geplagte Gattin, aber er läßt’s
eben nicht.
»Ja, liebes Kind, es ist wirklich et
was Schönes um so ein unverdorbenes
Geschöpfchen vom Lande,« witzelt er eben
wieder »Man kann Dir wirklich gratu
liren zu Deinem guten Griff-ich findet
übrigens, daß diese Pelagia- Minna- Ka
schasRieke sich schon außerordentlich in
den acht Tagen kultivirt hat.«
; »Nicht wahrs« fragte Frau Doktor
;eisrig, absichtlich den Spott überhörend.
MJn ihrer äußeren Erscheinung ist sie
)ganz verwandelt, ich habe ihr allerdings
viel abgelegtes Zeug schenken müssen«
Dabei klingelt sie, damit Kascha den
Kassee bringe. Sie erschien nicht,auch aus
wiederholtes Glockenzeichen und geduldi
ges Warten zwischen jedem derselben.
Frau Doktor eilte endlich in die Küche
Ivoiii Madchen keine Spur. Aber da,
itvelch ein brenzlicher Geruch iin Vor
slur—sie hastet zur Mädchenstube und
reißt sie aus— richtig gefunden! i
Hell lodert hier der Spiritus empor,i
»Pelagia·Rieke« steht mit glühenden
Wangen davor und wühlt mit der noch
glühenden Brennscheere im strohgelben
Haar, dies halb versengend, halb zu
wuchtigeu Ringeln kräuselnd die ihr
Schlönglein gleich über das erhitzte
Gesicht fallen.
Doktor Braune wollte sich todtlachen,
als etwas später ein schlangenumringel
tes, halb versengtes Meduseiihaupt sich
zur Thür hereinneigt und fragt: Soll
ich jetzt Kassee bringen?«
s Am nächsten Tage aber lacht er nicht.
LSiesta haltend, liegt er halb träumend
zaus dem Ruhebett in seinem Zimmer.
die Augen geschlossen oder auch sie dann
und wann gedankenversoren durch sein
ibehagliches kleines Reich schweifen las
send. Plötzlich aber zuckt er zusammen
und öffnet sie groß und weit. Ja, was
ist denn dao——träuint er wirklich? Er
springt auf und eilt zu dem Postament in
der Nische, aus dem sein Stolz nnd täg
liche Augentveide, die Venus von Milo,
genau nach dem Original im Louvre,;
wenn auch in verlleinertem Maßstabe ge
formt, sich erhebt. Da er sühlt und hört
und sieht, träumt er also nicht, sondern
ist völlig wach—und völlige Wahrheit ist
es, daß die Venus vor ihm ohne Kops
;dasteht!
i Er läutet Sturm. Erschreckt eilen
TFrau und Tochter herbei und schauen
sprachlos aus die enthauptete Göttin, zu
welcher er in schmerzlicher Erregung hin
weist.
»Mein Gott, wie konnte das gesche
hen? Gehen böse Geister um in unserem
Hause ! « ruft endlich Frau Doktor außer
sich. Ella aber flüstert ahnungsvoll nur
das eine Wort: »Pelagia«!
Und nun erscheint auch die Holde und
fragt unschuldsvoll: »Hm sich vielleicht
Herr geklingelt?«
»Ja, ja, jal« schreit ihr der Doktor
entgegen: »Haben Sie etwa hier den
Mord aus dein Gewissen, liebliche Min
u-Rieke?« ·
Kascha versteht diese Ausdrucksmise
war nicht, weiß aber genau, um was es
Ich handelt und en egnet mit derselben
harmlosen Mhl chlein
»Gott ja, —-hab’ ich heut früh mit Be
sen bischen on Puppe do ge stoßen
wuppdich gleich Kopf ab! Aber schod’t
doch nicht —alte, kopntte Puppe ohne
Arme-is sich kein gtosz Unglück, wenn
auch Kopf wintich «
Einige Tage noch der Enthonptung
der Venuis kommt die Herrin eines Mor
gens in die Küche und findet sich über
strömt von einein wundervollen Duft,
mit der die Lust nnd alle Gegenstände
unt sie her durchtkäntt schienen Sie steht
verblüfft, Unheil ahnend, denn dies ei
genartig berauschende Aronm kennt sie
;nnr zu gut-es ist lkissp til-me, das neue
jParsiini das Ella neulich von ihrem;
Verlobten als Vielliebchen empfangen.’
IIst e- möglich sollte die untultivikte;
Kascha sich bereite so weit entwickelt ha- s
den daß sie dies Odeur von Ella e Toi
lettentisch entwendet und ungenirt ver
braucht bat? -
.,Gekanst hat sich Pelagia— drübens
in Apteie sich gekauft, « tönt der Duenna j
Stimme. »Fränlein riechen immer so;
sein und da ich nehmen Fläschchen von
Tisch und zeigen drüben in Antele undi
blossagen Das! Und gleich ich krie
gen.« —
Abends siht Ella mit ihrer Handar !
beit im Wohnzimnier, den Verlobten er-1
wartend. Die Thürglvcke tönt draußen. s
Sie erinnert sich plötzlich, daß es zu Pe Z
lagia s Besonderheiten gehört, das An- Z
zünden der Fluranipel regelmäßig zu
verpas« en und da sie fürchtet, es könne
auch heute der Fall sein, ergreift sie die
Lampe und öffnet die Thür zum Bor
fliir. Richtig, alles dunkel. Und in der
Dunkelheit dort am Eingang, die ihrer
Lampe Schein nun plöhlich durchdringt
—aber nein, jetzt nicht mehr! Denn die
YLampe liegt im nächsten Moment zer-l
schmettert am Boden und mit lanteins
Ausschrei stützt Ella ins Zimmer Hin-i
rück
Die Mutter erscheint. s
»Um Gatteswillen was.ist denn ge- i
schehen2——hier Alles im Dunkeln-ichs
höre Dich schluchzenttE Die energische
»Frau hat schon nach den Streichhölzernl
;,getastei ein Licht stammt ans
s ,,Laß das Licht, Martia-ich schäme!
mich zu Todes«
»Aber so sprich doch-was ist Dir be
gegnet?«
»Ich kam dazu, als—als——Ernsi un
ser Mädchen im Arm hielt und-tüßte.«
»Unglaublich—-—Du fieberst.«
Und nun erscheint der Genannte selbst,
ganz verblüsft und verstört um sich bli
ckend.
»Ja, ich biit’ Euch um Alles in der
Welt, was geht denn hier vor?«
»Das möcht ich Sie fragen, mein
Herr-TI« sragt die Doktorin mit vernich
iendem Hohn
»Mehr-li- »mein Herr-»F Ja, haben
tvir denn Alle den Verstand verloren?
Ich klingele draußen, höre Frauenkleider
rauschen, mann öffnet, ich erkenne am
lris hinric- -,Dttft daß Ella selbst es Ist
und schließe sie in meine Arme-Da steht
sie plötzlich drüben im Schein der Lam
pe vor mir und ich erkenne entsetzt, daß
ich Eure lächerliche Nimm-Riese mit ei
nem Kuß begrüßt habe «
. Am andern Tage inserirte Frau Dok
tor Braune eines neuen Madchens we
gen. Bedingung: »Keine Unschuld vom
Lande«
m«.———«
Ein Lob in’s Völtetdiatium.
Von Friedrich Dernburg
Man hat in Frankfurt den Jahres
tag des Frankfurter Friedens gefeiert.
Wenn dieses tin de sieclc bei seinem
demnächstigen Uebertriit in das Gen-ei
sene sein Abgangszeugniß eriheilt be
kommt, so wird manches darin zu lesen
sein, worüber die Weltgeschichie ihten
ohnehin schon start wankend gewordenen
JKops schüttelt. Eine gute Nummer ist
iian gesichert: »Im Friedenhalten gut.«
Nein —- ,,sehr gui.«
Daraus können wir alle stolz sein, wir
Zeitgenossen Denn der Frieden bleibt
nicht von selbst, er muß an einer dünnen
Strippe immer festgehalten werden.
Ein Augenblick des Leichtsinns und der
Unausinertsamteit—-und weg ist er.
Nicht nur das Kriegsühren ist heute ein
Kunstwerk, auch das Friedenbewahren
ist eins, in mancher Beziehung sogar
ein größeres.
Ein Krieg entscheidet sich in einein
Fetdziig durch eine organisirte Macht.
Am Friedenhalten arbeitet, noch mehr
als die organisirte Diploinatie, die ge
sammte Masse der betheiligten Natio
nen.
Jn dieses Lob kann man Deutsche
und Franzosen gleichmäßig einschließen,
ioenn sie sich auch ganz verschieden be
noin en haben, —- ein jedes Volk nach
seine angeborenen und eingelebten Arn
Der Deutsche ist nach nnd nach nicht
nur in der Politik, sondern namentlich
auch iin Weltgeschäft der Nationen, die
beides lange sür sich in Anspruch ge
noininen hatten, ein sehr gestiechteter
Tot-current geworden. Die Stiinine
X
der Nationen sagte ihni nach, daß hinter
seiner harmloe naiven Miene ein unge
mein großes Quantiim Verfchlagenheit
stecke —- jg daß diese Naioetät im Gan
zen iind Großen nur die Deckung sei,
vinter der die Verschlagenheit mit iitn
so größerer Kraft nnd Sicherheit arbei
ten lönne. Von unserem früheren
sprichwörtlichen Joealienins ist außer
halb der schwarz weiß rothen Grenz
Tpiahle nicht mehr viel die Rede. Jn
sunfereni Verhalten gegen Frankreich in
Idiefen fünfnndzivanzig Jahren lag je?
Ebenfalls nichts, was diesen Ruf verän
jdern kann.
; Der Verlauf des großen Krieges
hatte die Franzosen in ihren besten wie
in ihren schlimmsten Empfindungen
ktödtlich verletzt; ein leidenschaftlicher
Han flammte bei ihnen auf, nicht niir
gegen Deutschland als politische Orga
nifation, sondern gegen die Nation als
solche, gegen jeden einzelnen Deutschen.
Selbst der Anblick eines Deutschen, der
Ton seiner Sprache war ihnen uner
iräglich geworden; nur im Zwang än
ßerster Nothwendigseit erschien ein
zranzoie aus deutscheni Boden. Wir
haben wie nach einer gemeinsamen Ver
abredung gethan, als merkten wir von
dem allen gar nichts. Wir fuhren sort
nach Frankreich zu gehen, namentlich
nach Paris und der Rinier-a, wie frü
her.
Bei der großen Ansstellng im Jahre
1889 sah ich die Umgebung des in Rai:
neu liegenden Schlosses von St. Cloud
von siiigeiiden und lärnienden Deutschen
belebt, als gälte es einem Schüpensest in
upolda
Wir lasen die Romane der Franzosen
weiter, übersetzten ihre Schauspiele.
lansten ihre Waare, ahmten ihre Moden
nach, als läge überhaupt gar nichts
zwischen ung. Jede Gelegenheit, die
sich zu bieten schien, mit einem großen
Schritt adgeschnittene Verhältnisse in
einzelnen kleinen Faden wieder anzu
spinnen, haben wir wohl oder übel sorg
sältig benutzt.
Aus alles andere waren die Franzo
sen gefaßt. Aus unseren Ueberniuth,
unseren Haß, unsere Verachtung — aber
sdaraus nicht. Zuerst empörte es sie, es
fsteigerte ihren Zorn; dann erstaunten
zsie über diese gleichmlithige, nun-schüt
stertiche »Gutmüthigteii«; —- dann sin
gen sie an, sich daran zu gewöhnen, und
schließlich begannen sie, uns sogar hier
und da nachzuahmen. Einzelne Fran
zosen wagten sich wieder über denNhein
Erstaunt berichteten sie nach Hause, oasz
ihnen nichts Unangenehnies begegnet
sei, im Gegentheil — daß man sie mit
einem gewissen Vorzug behandelt habe.
tDarin Samen ihre Maler, ihre Gelehrten
Fund Künstler — zuerst verstohlen, dann
jiniiner kouragirter und dichter; im ver
siossenen Winter hatten wir gleichzeitig
zwei oder drei sranzösische Theatertrup
pen in Berlin.
Und wir lächelten freundlich weiter.
Manchmal machte ein Franzose, durch
unser harmloses Auftreten verführt, uns
den naiven Vorschlag, Elsaß-Loihriu
gen zurückzugeben und dann gerührt
einander in die Arme zu sinken. Aber
auch dann lächelten wir «blog, wie wenn
man einer schönen, liebenswürdigen
Frau mit Bedauern« etwas abschlagen
muß. »Es thut uns unermeßlich leid;
sonst Alles, was Sie wollen,—aber das
geht aus tausend Gründen nicht.«
An guten und schönen Worten aber
haben wir Frankreich gegenüber nichts
gespalt. Darin waren wir groß- —un
iibertrefflich waren wir. Die Franzo
sen waren ja fein genug, einzusehen, daß
es nur Worte waren, die absolut zu
nichts verpflichteten, —- aber sie waren
einmal den Kultus der »was sonstwie-«
des schönen Klanges, der ritterlichen
Aeußerlichieit und wie gegen ihren Wil
len ging ein leiser Zug der Befriedigung
über ihr verärgertes Gesicht.
War es die deutsche Presse, die diesen
Ton angeschlagen und ausgebildet hat,
oder ist er ihr von dem Strom der alls
gemeinen Meinung suggerirt worden?
Es ist schwer, das auseinander zu wir
ren —- aber auch unnbthig Genug,
daß Presse und allgemeine Meinung sich
in dieser Vollsdiplomatie vollständig
deckten.
Und auch unsere günstige Dis-leim
tie ging den gleichen Weg. Am Anfang
hielt es Fürst Bieniarcl für nöthig, noch
hier und da den bekannten kalten Was
serftrahl nach Paris zu dirigiren. Aber
nach und nach ist unsere Diploinatie im
mer höflicher, immer zuvorioinniender
gegen Frankreich geworden· Sie ist
die höflichste Diploniatie der Welt, sie
bat immer eine lleine Gesälligleit be
reit. Und selbst wenn sie hier und da
einen kleinen Stoß zu versetzen hat,
steckt die eiserne Faust sorgfältig ver
packt in eine-n dicken Ueberzug von
Baumwolle. Die deutsche Diplamatie,
das dürfen wir ihr und uns heute ge
stehen, hat musterhaft agirt. Meri
tutirdigl Und es sind doch nicht lauter
Tayllerands, die in ihr arbeiten. Aber
»das Desstn ivar at.
ä Eines ist dabei natürlich zu kurz ge
ltil-innen- der humor, die satire tin
Völkerlebeu das kranc parier, wie es
»die Franzosen nennen — naisenilich bei
uns. Was hat der alte Iris —- seiner-;
zeit der typischste aller Deutschen —- da
rin Alles geleistet! Seine Zunge war
mindestens gegen seine Gegner io schars
wie sein Schwert, und er that ihr nicht
den mindesten Zwang an. Sein Wort
von den drei Untetröckem mit denen er
Krieg führe, das er in unzähligen bas
Hhasten Wendungen variirie, hat in Ver
sailles, in Schönbrunn und Moskau
nicht minder verdrossen, als die Nach
richten von den Niederlage-n ihrer Ar
meen. Sicher ist ihm sei-i Wiy auch
theuer zu stehen gekommen; aber sein
grimmiger, niederdeutscher Humor hat
ihn bei seinen Landsleuten erst so
recht zur volksthiinilichen Persönlichkeit
gemacht und den Volksgeist veranlaßt.
ihn in zahllosen Legenden nachzudichtem
Jn Frankreich ist der Napoleonlultus
in der Literatur mit einein Mal wieder
hoch gekommen; er iiiuß daher auch in
dein allgemeinen Bewußtsein Widerhall
gesunden haben. Hat Jemand jemals
von einem Witz, von einer humoristi
schen Anwandlung Napoleons gehört?
Sein Pathos war großartig, stilvoll,
poetisch Aber immer aus dem Kothurn
—- das ermüdet aus die Länge, schmeckt
nach der Mache, nach der Theaterschule
Talmas. Die beiden Jtaliener —- Na
poleon und der Papst-haben sich, als fie
sich in Fontainehleau begegneten, richtig
durchschaut, und in den Worten, die sie
sich gegenseitig zuzischten-— coininediante,
tragedinnte — auch richtig charakteri
sirt· Aber an diesem Pathos berau
ichen sich die Franzosen immer von
Neuein, es scheint ihnen durch so viel
Jahre der schrecklichsten Kriege nicht zu
theuer bezahlt, dies blutgetriinite Pa
thos. Man muß eben mit den Fraii
zosen in ihrer Sprache zu sprechen
wissen.
Von allen Europäern versteht das ini
Augenblick am besten-der deutsche
Kasser. Die Franzosen haben zu ihm
ein persönliches Verhältnis gefunden,
und von allen Deutschen ist er vielleicht
zur Zeit der am wenigsten Undeliebie
in Frankreich. So ist er nicht nur durch
seine äußere Stellung dazu berufen, an
dem Gedenltag des Frankfurter Frie
dens das Wort vor den beiden Natio
nen zu führen.
Fünfundzwanng Jahres Frieden mit
Frankreichs Das ist in der That ein
Tag, an dem man sagen muß: Siehe
still und sei dankbar. Wer häiiedas.
gedacht. Und wenn es nicht absolut geii
wiß wäre, man würde heutzutage noch
die Möglichkeit bezweifeln
Die Franzosen im Jahre 1871 gesZ
mahnten an die Spieler, die an derz
Börse unglücklich spekulirt haben undi
ein furchtbares Geschrei auffchiageihs
weil sie angehalten werden, ihre Dissens
engen zu bezahlen. Sie selbst natürlichs
hätten ohne den mindesten Skrupel ih
ren Gewinn —— das tinte Nheinuler —
eingeftricheii. Auch nicht eine Stimme
hätte sich dagegen erhoben. Da sie
aber bekahlen mußten, wurden sie ethisch
und moralisch, wie andere in gleicher’
Lage. Jch fürchte, daß auch das letztes
Wort der Börsengefetzgedung des deut- ;
schen Neichstags darauf hinauslaufiJ
Ader unsere Bankiers sind verschwie-;
geiie Leute, und nur ausnahmsweifes
blamiren iie einen oder den anderen ih- »
rer reichstiiglichen Ktienten durch einens
kleinen Rechnungsauszug aus der Ver-;
gangenheit. . I
Der Spieler, der verloren hat, tröstet
sich regelmäßig mit deni Wort: duel
nächste Mal geht e besser An diesem
Trost haben die Franzosen siinsiind s
zwanzig Jahre gezehrt Man iniiß im l
mer daran denken und nie davon spre- !
chen hatte sie Gambetta belehrt. Dieses
Weisheit ihres großen Tribunen habend
sie nur zur Halite befolgt; sie haben!
stets daran gedacht und immer davonk
gesprochen, vielleicht sogar mehr davon!
gesprochen, als daran gedacht. Ders
Würfelbecher stand immer aus demj
Tisch, aus dem die eisernen Wursel sal-:
len sollten. Ost genug wurde damit
getlapver!; im entscheidenden Augen
bltck wurde er aber itnnier wieder aus
den Tisch gestellt. Das Spiel erschien
doch nicht sicher genug, der Einsatz tvar
zu hoch, und die Erfahrung hatte sie ge
lehrt: wer verliert, bezahlt. Denn so
sind zu allen Zeiten die lriegerischen
Differenzen ini Vollerleben liquidirt
worden« und nach aller Voraussicht
wird ei- auch in Zuluttst so sein« Das
einzig Richtige ist daher, keinen Krieg
anzuian en.
Zum "riegsühren ehdrenintmerztvei.
Fast alle modernen Friege sind so ange
sangen worden, daß beide Theile ihn
wollten. Der Klügere Borsichtigere
Mächtigen tann viel thun, den Krieg
zu vermeiden Wer das in den leyten
sünsundzwanzig Jahren gewesen ist —
Franlreich oder Deutschland —- will ich
nicht untersuchen. Aus verschiedenen
Motiven sind fie schließlich zum gleichen
Ergebnis gekommen. such im Voller
lebeit ist es wie bei deni Einzelnen, daß
alles daraus ankommt, sich gute Oe
tvohnheiteit anzuerziehent
Jahren wir also sort. . . .
Mitteliilterliilier Adelshoihiiiiith.
Aus Budapest, 8. Mai, schreibt man:
Die Gemahlin des Ministerprtisidenten
Baron Banssh ist während der Nile-int
umssesttage an einer Halseniztindiing
,,erlranlt«. Dieses AnginosFieber bil
det den ledhastest erörterten Gespräche
stoss in der gesamiiiteii Hosgesellichcist
und weit darüber hinaus. Denn alle
Welt weiß, was die Ursache der Erkran
tung, oder richtiger gesagt: der Krank
nieldung gewesen ist. Kaltherzigstes
Standdoruntheil und jene Grausamkeit,
die aus den Höhen« der Gesellschaft ge
rade bei den Damen leider so ost zu sin
den ist, hoben die Gemahlin des Mini
sterpräsidenten gezwungen, sich zurückzu
ziehen. Baron Banfsy selbst gehört dem
ältesten magharischen Adel an, aber sei
ne Giittin lann sich keiner adeligen Ab
lunft rühmen. Sie stammt von bürger
lichen Eltern. So ehreniverth diese Ab
stammung auch sein mag, das ist ein
Verbrechen, sitr das in gewissen Kreisen
und bei solennen Gelegenheiten keins-Isar
don gegeben wird. Der Ministerpräsis
dent steht schon kraft seines Unites bei
den Milenniunissesten des Hoses stets in
erster Reihe und seine Gemahlin hat da
durch den Vortritt vor vielen Damen
der Aristotraiir. Für den »Enipsang bei
Hose«, der dieser Tage die Räume der
Osener Burg mit dein höchsten Glanz
ungarischer Adelsherrlichteit füllte, stand
der ersten Frau des Staates manche
lränlende Jgnoriruiig, manche abweisen
de Miene in Aussicht, und to zog sie
sich denn eine osfizielle Halsentzitiidung
zit, ja man spricht davon, daß Frau Ba
ronin Banssh vielleicht die hauptstadt
oder wohl gar Ungarn sür längere Zeit
zu verlassen gedenkt. Aehnlich ist der
Standpunkt, aus dein der weibliche Hoch
adel gegenüber der gleichsalls bürgerli
chen Gemahlin des HandelsniinistersDr.
Daniel steht, aber hier ist die Sache lan
ge nicht so aussallend, wie bei der Frau
des Ministerpräsidenten, umsomehr, als
die Politik diesem Verhalten gegenüber
der Baronin Baiissh nicht ganz sei-ne
steht. Noch zittert in einein großen Thei
le der ungarischen Astolratie der Jn
griniin nach, von dein die Magnateiige
sellfchast iiber die von der liberalen Var
iei nach lan en Kampsen errungene Ci
villehe ersüåt war. Die Partei des Gra
sen Ierdinand Zichh, die einen stattlichen
Theil des Gotha’scheii Almanachs dar
stellt, ist im Reichstag und endlich sogar
iiii Magniitenhaiiie unterlegen, aber aus
dein spiegelnden Parlet der Cereinoniens
säle sithli sie sicheren Boden unter den
Füßen. Worüber heute ganz Budapest
wache ist nicht die Rache des Löwen,
sondern die des Skorpions, aber eine
Rache ist es doch!-—Wie weit ist doch
manchmal der Adel davon entsernt, wirt
lich edel zu sein!«
Benutzung der Erdwärmr.
Eine wichtige Aufgabe für die Jn
genieure der Zukunft wird darin be
stehen, ein Bohrloch von etwa 2 bis 3
eng-l. Meilen tief in die Erde zu treiben,
um die Jnnenwürme der Erdtugel aus
zunutzen. Man behauptet, daß die Er
reichung einer solchen Tiefe recht wohl
mit den Maschinen und Methoden des
»ioinmenden« Techniters möglich sei.
200 Grad Celfius warmes Wasser, das
durch dertartige Tiefbohrung zu ge
winnen wäre, würde nicht allein als
HeizinitteL sondern auch als Kraft
quelle vielseitig zu verwenden sein.
Jmmer zur Verfügung stehendes bei-«l
ßes Wasser würde natürlich wesentlich
billiger sein als tünstlich erhitztes. Mit
Herstellung des Bohrloches wären alle
Unkosten zu Ende. Die Röhren wür
den, wenn sie gut sind, unbegrenzt
lange halten, und da die Vorräthe der
Natur keine Erschöpfung befürchten
lassen, müßte dies Verfahren die größ
ten Vortheile bieten. Können wir
durch genügend tiefe Bohrlöcher einen
fortwährend fertigen heizapparat ber
stellen, so wäre eine ernste Frage des
Bikltserlebens in befriedigendster Weise
ge ö t·
Hartgefrsttetr
Richter: »Sie geben also zu, Ihren
Wohlthäter bestohlen zu haben- Schä
tnen Sie sich nicht, einen Mann, der sich
so warm Ihrer angenommen, der— —-«
Angeklagten »F bitt’, err Richter,
tverden’s net feutintentqlii t«
Unter Ehesnännern.
»Meine Frau hat sich vergangenen
Sonntag in der Kirche io erkåltet, daß
sie heute noch kein Wort sprechen Iann.«
»Donnertvetter, in welcher Kirche war
dass-«
W-—-—...»
VomRegenindteTrauir.
- Dante: »Mein herr, ich bitte unt Ih
ren Schut. Jener Zudringliche ver
folgt mich fortwährend-«
rr: »Bitte sehr! Wenn ich Ihnen
er gefalle -«