Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 29, 1896, Sonntags-Blatt., Image 9

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    « j
zi « Der Lieb-sug.
humoresle von Ludwig Einer-.
Die junge Frau saß sinnend am
Fenster und blickte hinaus aus denGar
ten, wo doch nicht viel Anziehendes zu
sehen war. Die Sonne schien sich zwar
alle Mühe zu geben, aus den schwarzen
Sträuchern, die ihre dünnen Strahlen
gar erbärmlich in die Lust streckten,
einiges Grün zu ziehen, aber vergeblich,
und das Gras mit seinem deranglrten
grünen Kleide sah so recht mürrisch
und übelgelaunt zu den seeundlichen
Strahlen der Frühlingssonne aus.
Die hübsche lleine Frau, die ihr blond
aelocktcs Köpfchen - in die Hand ge
fiüht hatte, schien es auch mit ihrem
aus dem Fenster-schauen nicht sehr
ernst zu meinen, denn sie suhr plöhlich
aus ihrer bisherigen haltung wie er
schrocken aus, als ihre Augen dort un
ten einen wirklichen Vorgang wahr
nahmen.
»Pinscher, du greuliches Vieh!" rief
sie laut, »willst Du wohl! Da tobt er
wahrhaftig über meine hyacinthen hin-s
weg und jetzt purrt er an meinen Cro-’
ins herum, warte!«
Sie wollte jäh ausspringen, liesz sich
aber sogleich aus ihren Stuhl zurück
fallen und blickte tiefsinnig durchs
Fenster.
?
Drunten tm Garten todte ein strap
piger Köter herum und schien sich be
sonders auf jenem Fleckchen sehr wohl
zu fühlen, wo die grünen Spitzen der
hyaeinthen und die ersten blassen Cro
tug aus dem schwarzen Erdboden her
vorschauten. Der Hund« theils Pudel,
theils Sind theils Pinscher," von je
dem etwas-nnd von allem nichts, machte
ungelente, tappige Sprünge, die auf
nicht mehr allzubliihende Jugend
schließen ließen, grub mit feinen lang
behaarten Pfoten an den zarten
Pflänzchen herum und wühlte seine
Schnauze in das Erdreich. Als er sich
nun aber auf den Rücken warf, alle
Viere der liichelnden Frühlingsfonne
entgegenstreckte und sich auf den müh
sam gezogenen Lieblingen der jungen
Frau mollig herumwälzte, dNoard es
ihr zu viel. »Es ift ncht mehr zu er
tragen mit dem Unthier!« sagte sie un
geduldig, erhob sich langsam und drück
te auf die KlingeL
»Jagen Sie den Hund aus dem Gar
ten," sagte sie zu dem- eintretenden
Dienstmiidchen. fügte dann aber gleich
hinzu: »Das heißt locken sie ihn mit ei
nem Stückchen Fleisch fort in’s hauf
und -—— nun er mag in der Küche blei
ben." -
Dann bersant sie wieder in ihr vor
heriges Sinnen
»Ich muß mir ja alles gefallen las
sen, Rücksichten auf den bund nehmen.
Dieses Scheusal, das-« ich am liebsten
längst dern Abdecker übergeben hätte,
aber ich muß es ja ertragen!« seufzte
sie.
Das war nun das erhosste Gtua
ihrer jungen Ehe.
Gott« wenn sie zurück dachte, noch vor
einigen Monaten die glückliche Braut-i
zeit, wo sie es nicht erwarten konnte,
daß Walter aus der Stadt hinüber
kam, wo sie in seiner Gesellschaft sich
selig und geborgen siihlte, schöner ais
bei ihrer Mutter und wie sie drängte
und hastete, d sz die Hochzeit gemacht
und der haustand endlich begründet
wurde, um siir immer mit ihm vereint
zu sein. Und nun, schon nach wenigen
Monaten eine Entsrerndung. eine
Spannung zwischen ihnen, deren her
kunft sie sich eigentlich nicht erklären
konnte, und die doch vorhanden war.
Sie liebte ihren Walter noch ebenso
wie damals, gewiß, und sigbrachte ihm
auch jetzt das Opser, den schrecklichenl
hund, seinen Liebling, mit aller nur;
möglichen R"cksicht zu behandeln, wenn!
sie ihn auch am liebsten ermordet hätte,’
den griisztichen Nöten Aber jetzt war
es eben ein Dosen das sie brachte und
damals war ei so leicht gewesen.
« Als sie sich erst genau tennen gelernt
hatten und dann versprochen waren,
als er auf dem Gutshos erschien als
ständiger Gast am Sonntag und hin
und wieder auch in der Woche. da war
sie so liebevoll daß sie selbst den alten
bund streicheln und liebkosen konnte,
den sie bisher immer gehaßt hatte, der
ihr zuvor ein Greuel gewesen war, hatte
er ihr doch einmal ihr neues hellblaues
Kleid durch seine riipelhasten Sprünge
verdorben ein anderes Mai ihre liebste
tleine Kane todtgebissen und sich stets
unniitz gemacht, im Haus« im hof, im
Garten, daß man mit dem Gedanken
umgin , ihn aus irgend eine Weise fort
zuscha sen. Da tam der Walten und
tote sie nach einem Gegenstand suchte,
an dem sie das Ueber-naß von Zärtlich
teit oerwerthen konnte. das sie dem
Geliebten nicht geben konnte, s— das
ging doch damals noch nicht — den
hund liebtoste und sah, wie sich Walter
sosort mit dem Thier ausreundete. wie
er ihre Zärtlichkeit gegen Pinscher noch
weitaus iiberbot und wie sich- der hund
an ihn anschloß, da empfand sie auch
fast so etwas wie Liebe fiir die strap
pige Bestir. Wenn sie sie ftreichelte, so
war es ihr, als streichelte sie seine Liebe
von dem rauhen Fell herunter und neh
me sie fiir sich selbft in Anspruch. Pin
scher diente fast als Vermittler ihrer
Zärtlichleitstorrefpondenz.
Jn jener Zeit war sie sogar eifer
füchtig auf den hund. Wenn Walter
ihn bei Tisch an sich lockte, um ihm ei
nen Leckerbissen zuzuschieben, so be
schied sie das Thier sofort zu sich- um
ihm einen noch größeren Happen zu ge
ben und hatte sie es an sich gelockt, fo
bot Walter alles auf, um es an sich zu
gewöhnen, alle Ungezogenheiten wur
den dem Hund vergeben, er galt als ein
geheiligtes Thier.
Einmal freilich hatte sie der alte
Schäfer-Johann gewarnt. Er wollte
gesehen haben, wie Walter dem hund
heimlich ene Fußtritt verseht und dabei
einen Fluch sausgestofzen hatte: »Wenn
doch der Teufel das alte Unflath holte,'«
sollte er gesagt haben, und vor einem
solchen Mann, der das fertig brachte,
warnte sie der Alte. Aber sie glaubte
es nicht. Einmal liebte der Walter den
Hund zu sehr, und dann hatte der
Schäfer-Johann von jeher seinen
Narren an dem Hund gefressen und
wollte ihn gern geschenkt haben. Sie
hatte Walter nicht einmal über diesen
Fall befragt, weil sie einfach nicht da
ran glaubte.
Uclllki kam ch Dochzcll, Ullc Wust
verlangte, daß Pinscher, »Ellh’s Lieb
ling·' wie er sagte, mit in das junge
heim einzog Sie hätte gern protestirt,
denn sie war ein wenig eifetsiichtig aus
den Hund. »Ellh’s Liebling« hätte
richtiger »Walter’s Liebling« gelautet.
Die Männer sind nun einmal Egoisien.
Aber weil er es so gern wollte, und weil
der Hund als Postillon d’Arrnour ih
rer ersten Brautzeit nach quasi ein Hei
ligthum war, hatte sie mit großer —;
ein llein wenig erheuchelter —- Frem
digleit seinen Wunsch unterstützt.
So war das Unthier in’s Haus ge
kommen. Anfangs hatten sie Pinscher
auch beide sehr verzogen, und sie be
sonders hatte es gern gethan; sie that
ja Alles, was ihrem Walter lieb war,
—- sogar die Schleifensammlung, die
sie in seinem Arbeitszimmer entdeckte,
in der sie auch eine ihr abhanden ge
lommene Schleise wiederfand und an
die sich ihr doch ernste Gedanken tniips
ten, wenn also selbst dieie Neliauen,wa
rum sollte sie nicht da auch seinen Lieb
ling Pinscher lieben und das Thier,daz
immer ungezogen und argerlicher wur
de, nicht mit der Rücksicht behandeln,
die sie allen zugestand.
Aber als die Flitterwochen vorüber
waren und die ersten tleinen Enttiiusch
ungen des Ehelebens sich fühlbar mach
ten, der-wurde es immer schwerer, den
unausstehlichen struppigen Röter noch
gern zu haben. Dennoch steigerte sie
womöglich ihre Zärtlichkeit in demselq
ben Grade,w wi, esie merkte, daß feine
Liebtosungen g gen das Thier von Tag
zu Tag zunahmen· Darin wenigstens
wollte sie es an nichts sehlen lassen,
denn sie liebte ihren Walter nach wie;
vor.
Aber wie vielen Aerger mußte siei
hinunterfchluetem wie manches mais
seinen bund heraus-lügen damitWalteri
sich nicht über die Unarten seines Lieb
lings grämte zum Beispiel als das
Thier die beiden Krametgvögel gefres
sen hatte, die von Mittag nachgeblieben
waren und auf deren Genuß zum
Abendessen der junge Ehemann sich so
sehr gefreut hatte. .
Und doch hatte das alles nicht gehin
dert, daß die Spannung austam, die
ihnen beiden schon seit einigen Tagen
das Leben oerbitterte, nicht nur ihr ge
rade jetzt, sondern auch ihm, das mertte
sie wohl. Sie mußte es tragen, still
und geduldig und den Aerger über den
hund dazu. Sie wollte ihm auch heute
gewiß nicht die Unart Pinschers mel
den, obgleich sie an ihren Pflänzchen
hing, die der Köter so mißhandelt hatte,
genau so sehr hing, wie er an dem
ftruppigen —
- »Berpammr —- ach ou ueoes Uner
chen, na so tomm’ Pinscher, wo ist denn
der gute Pinscher, na bist du da, ja bist
du da« —- hörte sie fest aus dem Flur
Walter’s Stimme durchse t mit lau
tem Gebell von dumpfen önen, die
offenbar von den Sprüngen des »guten
»Pinscher« herrührten
Ja, immer der gute Pinscher—dieses
iunausstehliche Bestie.
; Da trat der junge Ehemann ein,
umbellt und umsprungen von dem
iHund, ging aus seine kleine Frau zu
Eund küßte sie sanst itnd tiihl aus die
Stirn.
»Guten Tag, Elln, was machst Du?«
z tlang seine alltägliche Begriißung
"Dann setzte er sich und beschäftigte sich
mit dem guten Pinscher, während Elly
ihrerseits den Hund lockte und hät
schelte, bis das Mädchen lam und mel
delte, es sei angerichtet
Walter bot seiner Frau den Arm an
und siihrte sie in das behaglich erleuch
tete- Eßzimmer.
Er sagte nichts und sie sagte nichts.
Nur einmal wies er den gar zu unge
stiiin an ihm empor springenden Hund
.mii einem sanften Wort ab, und da
die Herrin ihn nicht weiter beachtete, lief
Pinscher spornstreich ins Nebenzim
mer, um sich zunächst nicht mehr bli-.
cten zu lassen.
Elly hatte den Hund nur deshalb
nicht beachtet, weil sie innerlich den Ge
danken erwog, eine Aussprache mit
Walter zu suchen, ihn zu fragen, was
er sür einen Groll in sich berge, denn die
drückende Atmosphäre des gegenseiti
gen Ausschweigens war ihr peinlich.
Aber sie brachte nichts weiter heraus
als die Frage:
»Hast Du Aerger im Bureau ge
habt, Walter?«
»Nein, nicht mehr als gewöhnlich,
wie kommst Du darausZE
»O ich dachte nur.«
Dann schwiegen sie wieder-, bis plötz
lich vom Nebenzimmer her ein Geräusch
kam, ein Bumßen und Stoßen, daß
b « e sich umsahern Pinscher war un
te s Sopha gekrochen und konnte os
;senbar nicht wieder heraus. Zu glei
Jcher Zeit sprangen beide auf, um dem
lieben Thier zu hilfe zu kommen, aber
da hatte sich Pinscher mit einem Ruck
befreit, stieß mit seinem Hintertörper
ansetne Etagere, daß eine Vase aus
Delster-Porzellan auf das Parquet
des Estrichs stürzte, und rannte wie be
sessen in’s Eßzimmer.
»O Gott, die schöne Vase,« rief Elly
jammernd und sammelte die Scherben.
vom Boden auf ,aber ihr Gatte hörte
nicht, sondern sehte dem hunde nach,
der einen Fetzen von lachsfarbener Sei
de im Maul hielt. Mit einiger Mühe
hatte ihm Walter die Beute» abgejagt
und hielt eine zerrissene Schleife in der
Hand, als Elly mit der zerbrochenen
Vase heraustrat.
»Was ist denn hast« fragte sie.
»Nichts!" stieß er hervor, aber fin
sterer Zorn lag auf seiner Stirn.
»Hör’ mal Walter,« sagte Elly sich
setzend und Muth fassend, »ich möchte
Dir etwas sagen.«
»Ich Dir auch, liebes Kind,« erwi
derte er sehr schroff. »Ich habe nun
lange genug Geduld gehabt, aber was
zu viel ist, ist zu viel! »Schon in un
serer Brautzeit habe ich das Unglück
ertragen und das denkbar möglichste an
Liebenswiirdigteit geleistet, ich habe
Deinen Liebling mit in die Ehe ge
nommen weil ich sah, wie Du an ihm
hingst. Aber Du thust ja auch rein
gar nichts, um ihn zu erziehen. Nichts
ist vor ihm sicher. Sieh« einmal diese
Schleife,« polterte er weiter, ohne in
seiner Erregtheit auf seine Frau zu ach
ten, »ich denke Du kennst sie, sie ist von
Dir. Seit meiner Studentsizeit habe
ich mir eine Sammlung angelegt von
Schleifen, die ich Schwestern und
Freundinnen mit vielem Geschick ent
wenden-, abgeschlossen wurde sie mit
dieser, die von Dir stammt und mir die
werthvollfte von allen ist. Nun kommt
mir der Köter darüber. Seit Tagen
vermisse ich diese Schleife, schon hatte
ich Dich gewissermaßen in Verdacht,
denn du hast ja kaum noch etwas an
deres im Kopf als Deinen hund, diese
elende Bestir. Nun entdecke ich, daß er
sie mir weggeholt, dort unter’s Sopha
getragen und so zugerichtet hat. Das
ist der Schluß. Jetzt ist es aus,.einer
lei wo er bleibt, aber der Köter wird
abgeschafft."
»Gott sei Dann- hauchte Frau
Ellh, und ein Stein schien ihr vom
Herzen zu fallen.
»Was?« fragte der Gatte betrof
sen und trat einen Schritt zurück, »das
sagst Du, wo ich Deinen Liebling —«
Jetzt mußte Ellh unwillkürlich la
chen. »Meinen Liebling? Jch habe
das Vieh schon vor unserer Verlobung
nicht sehen können, nur aus Rücksicht
gegen Dich und die Liebe, die Du dem
Hund stets erwiesen hast, bin ich auch
freundlich gegen ihn gewesen —- und
jegt nennst Du ihn meinen Liebstng
»Na, da hört denn doch Verschiede
nes ans. Mit Fußtritten habe ich den;
Köter behandelt, wenn Du nicht zuge
gen warst, und nun soll ich ihn noch gar
geliebt haben ?«
»Siehit Du,« sagte sie, sich erhebend
und ihp beide Hände aus die Schultern
legend, »das tomrnt, wenn man Heim
lichteiten hat«
»Du meinst die Schleifen?«
»Nein, die hast Du so unachtsam
herumtreiben lassen, daß ich sie längst
kenne, und da ich mit meiner eigenen
vermißten Wiedersehen feierte, war ich
beruhigt. Abes der hund. Nun, thu’
mir bitte den Gefallen und schasse ihn
auch wirklich ab.«
»Ellh!« ries er und schlang die Arme
um seine Frau, »isi denn das thatsäch
lich Dein Ernst?«
»Wir haben uns Beide nichts vorzu
wersen. wir haben Beide recht start ge
heucheit mit unserer Liebe zu dem Vieh.
I
h
Die Bewöllung der letzten Tage, di«
mich sehr unglücklich gemacht hat, wirk
lich seht, ist die gerechte Strafe. Abe1
nun alle Heimlichkeiten fort —
- »Du hast Rechi!« sagte er glücklich
»Und so soll es auch künftig imme1
fein!«
ME—
Ein königlicher Schriftsteller.
Nachdem der jent ermordete Perser
liinig Nassr-ed-din Berlin besucht
hatte, erkor sich ihn der dortige Ecken
steher-,,Wiy« zum Opfer. Er wurde
als vertörvertellnreinlichkeit hingestellt«
sollte seine von Oammelfett triefenden
Finger am Staatstleide der alten Kai
serin Augusta abgewischt haben und
dergleichen mehr. Die Unreinlichleit
beschränkte sich aber darauf, daß die für
seine Tafel bestimmten Thiere, den
Speifegefeßen der mohamedanischen
Schiiten-Kirche gemäß, in dem von ihtn
bewohnten hause geschlachtet werden
mußten. Hochgebildete Deutsch-Ameri
kaner, wie hermann Raster, die da
mals in Berlin den schönen und pein
lich säuberlichen Mann sahen, erklär
ten jene Eckensteher-,,Witze«, »die sogar
jüngst noch nach dem tragischen Tode
Nassr-ed-dkn’s in vereinzelten deutsch
amerikanifchen Blättern wiedergetäut
wurden für höheren oder vielmehr nie
deren Berliner Blödsinn.
Seine drei europiiischen Reisen
machte Nassr-ed-d« aus Wißbegierde;
er hielt es für seine flicht von Europa
zu lernen, um dann das Gelernte auf
seine Reformpolitik im verlotterten
Perseritaate und namentlich auf die
von ihm so sehr gehobene und verschö
nerte Stadt Teheran anzuwenden.
Die Schriftwerte aber. in welchen er
diese Reisen beschrieben hat sind in ih
rer Art Meisterwerke. Ein deutscher
Kenner schreibt über sie:
»Man hat es da mit keinem jener
Bücher zu thun, wie solche die moderne
»Reise-Literatur« dutzendweise hervor
bringt. Keine Reflexionen, keine un
nützen Vergleiche—nichts als Beschrei
bung und Beranschaulichung. Was
das Auge sieht, was das Ohr hört, das
wird geschrieben. Nassr-ed-din war
ein feiner Beobachter. Mit der Ge
nauigkeit eines niederländischen Ma
lers notirte er Alles, was seinem Blicke
auffiel. »Und er sah viel. Es ist mög
lich, daß die Objektivität feiner Dar
stellung in der durch seine Stellung ge
botene Diskretion begründet ist. Nie
mals ließ er sich von dem Gegenstande
seiner Betrachtungen hinreißen. Jn
dieien Werken, die zwei stattliche Bän
de füllen würden, giebt es nur wenige
Stellen, wo er aus der gewöhnlichen
Ruhe des tühlen Beobachters heraus
iritt: die Beschreibung der Ruinen von
BahnlomdieSchilderung des-Stadtvä
des von KonstatUinopeL und die Klage
über das verwahrlofte Grab des gro
ßen Dichters Saadi, des persifchen
Anakreon, das sind stnlistische Mu
fterstiickr. Der Werth dieser Berichte
fand auch die gebührende Anerkennung.
Die geograv ische Gesellschaft in Pe
tersburg z. . ernannte den König
Nassr-ed-din zu ihrem wirklichen Mit
gliede und ließ aus seinen Werten
Auszijge in Uebersetzung anfertigen,
welche von Ethnographen vielfach be
nützt werden«
Weit bestimmter als in seinen Reise
beschreibungen tritt die Individualität
des Persertönigs in seinen Gedichten
hervor. Er ist in ihneri sowohl ein
einschneidender Satyriter als ein ge
siihlvoller Lhriter und wird in der an
bedeutenden Talenten so reichen und
namentlich auch von Deutschen so sehr
gewürdigten poetischen National- Li
teratur des Landes Persien oder Jran
stets eine ehrende Stellung einnehmen.
Zuerst als Probe eines seiner satyri
schen Epigramme, dessen tnappe poeti
sche Form aber im Deutschen nur in
Prosa wiedergegeben ist. Nass r ed- din
verfolgt in seinen Satnren mit beißen
dem Spott in Persien Alles was nicht
mit dem Zeitgeiste schreitet besonders
auch geistig nicht ftrebsame Hosleute
Seinem mit der euroväischen Wissen
schaft nicht gleichen Schritt haltenden
Leibarzte widmete er ein Epigramm
folgenden Jnhaltsz
»O Du des Sultans Hatim-el-Mo
nialit (Leibdoctor)! Plato ist ein
Stümper Dir gegenüber, Aristoteles
ein JgnosinL Doch ich will meinen
Unterthanen Deine geistige Macht nicht
vorenthalten: Nimmst Du Jemanden
in Behandlung, so weißt Du Mund
nicht vom Ohr zu unterscheiden Nie
darf man ein Mittel von Dir nehmen
ohne den Koran befragt zu haben. ok
man nicht das Leben dabei ristirt
Wenn Jemand von Deiner Hand ge
heilt wurde, so ist es Gott, der dem
selben ein zweites Leben geschenkt hat
Und verdient ein solcher Gelehrte1
nicht daß ihn der Schah (König) mi
den höchsten Gunstbezeugungen über
häuft?«
Jn seinen lyriichen Gedichten vol
Gefühl und Kraft besingt Nassr-ed-dii
J
mit sprachlicher Meisterschast besonders
- die Liebe. Davon folgende uns vor
s liegende Probe in deutscher Uebersetz
ung, welche zwar nicht vollständig die
. tunstvolle Form des Originals, wohl
« aber seinen Sinn wiedergiebt.
»Nicht zum Thor des Paradieses
Sehne ich mich einzugehen,
Alle anderen Wünsche schweigen,
Seit ich, Holde, Dich gesehen.
Warum sprichst Du nur beständig
Vom Gewissen, Schöne, Reine?
Keine Schuld drückt mein Gewissen,
Außer meiner Liebe — keine!
Wer sich Deinen Sklaven nennet,
Neidet Fürsten nicht die Throne;
Seufzend schlepp’ ich Deine Fessel,
Und ich trage Jran’s Krone!«
Etwas vom Kasser.
Jm vorigen Jahre hätte Europa ein
gubiläum feiern können: Das erste
assehaus im Occident wurde »vor 250
Jahren in Venedig eröffnet« In Kon
stantinopel, das aber damals noch ganz
zum Drynt gerechnet werden mußte,
war das erste öffentliche »Eafe« aller
dings bereits ziemlich ein Jahrhundert
früher, nämlich 1551, eingerichtet wor
den. Und die Sitte des Kasseetrinkens
überhaupt scheint in Perfien wie auch in
Abvssinien, dort wo die in unsern Ta
gen soviel umstrittene Kolonie Erythräa
der JtaHener liegt, schon vor einem Jahr
tausend üblich gewesen zu sein.
Nachdem durch jenes erste abendlän
dische »Ease«« zu Venedig die Sitte des
Kasseetrinkens in Europa allgemeiner
bekannt geworden war, erfolgten in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten die
Gründungen öffentlicher Kasseehäuser in
einigen Siädten Englands (Oxsord
1650, London 1652). Frankreichs
(Marseille 1659, Paris 1671), schließ
lich auch-in den siebziger und achtziger»
Jahren des siebzehnten Jahrhunderts-l
in Deutschland (Hamburg 1679, Wien
1683; Nürnberg und Regensburg
1686). Auch Berlin kann in diesem
Jahre ein Kassee-Jubiläum feiern, denn
hier entstand das Kassehaus vor 175
Jahren: unter der Regierung König
Friedrich Wilhelms l. wurde es 1721
eröffnet.
Der Nachfolger Friedrich Wilhelms l.,
der alte Fritz, war ein Gegner des neuen
Genußmittels, aber nur aus finanzpoli
iischen Rücksichten. Es ging ihm zu viel
Geld siir dieses ausländischeGewächs aus
dem Lande. So machte der wirthschaft
lichejKönig denKaffeehandel zum Staats- I
monopol, gebot, daß nur der Adel, die
höheren Beamten und Geistlichen gegen
sogenannte ,,Brennscheine« ihren Kafsee
selbst rösten durften, während alle ge
ringeren Unterthanen ihn aus den
StaatsiKaffeebrennereien beziehen und
dort sechsmal theurer als beim Kaus
mann den ungebraunten bezahlen musi
ten. Dennoch wurde schon unter seiner
Regierung das Kasseetrinlen wenigstens
iii den besser situirten Familien allge
mein, in den unteren Klassen und auf
dem Lande allerdings erst in den ersten
Jahrzehnten unseres Jahrhunderts
Seitdem ist der Kassee nicht nur das
vollsthiimliche Genußniittel, sondern ge
radezu ein Vollsiiahruiigsmiitel gewor
den« Am meisten in den Niederlanden,
deren Kolonien ja zu den Hauptexport
ländern des Kassees gehören. Dort kam
in dem Zeitraum von 1880 bis 1884
aui den Kopf der Bevölkerung ein jähr
licher Kasseeverbrauch von 9,4 Kilo
gramni, mehr als doppelt soviel wie in
dem benachbarten Belgien, das nächst den
Niederlanden verhältnismäßig den mei
sten Koffer konsuniirt, indem aus den
Kopf der Bevölkerung 4,47 Kilogramm
entfielen. Dann folgen die Vereinigten
Staaten von Nordamerika noch mit 4,02
Kilo, Norweg-n mit 3,65, die Schweiz
mit 322, Schweden mit 2,93, Däm
mart mit 2,83, Deutschland mit 2,44
Kilo pro Kopf. Weniger als 2 Kilo wer
den verbraucht in Frankreich, nämlich
1,7l, und gar weniger als ein Kilo in
Oesterreich-Ungarn ((),92), Jtalien
(0,49), Großbritannien (U,41), Spani
en (U,23) und Russland (nur (),07 ).
Der geringe Kasfeeverbrauch in Eng
land und Rußland ist dadurch bedingt,
daß in diesen Ländern statt des Kassees
viel mehr Thee getrunken wird, der ja
ähnliche Eigenschaften hat.
Seit zehn Jahren hat nun der Käf
feeverbrauch in fast allen Ländern abge
nommen; nur in Schweden, Frankreich,
Jtalien und Spanien ist eine geringe
Zunahme zu konstatiren. Das liegt aber
nicht etwa daran, daß die Bevölkerung
sich dem Kassee abgewandt hätte. Es
liegt vielmehr daran, daß infolge der
wiederholten schwachen Erntcn nnd der
damit in Verbindung stehenden Preis
» steigerung yr Kassebohnem sowie der
: erhöhten oder neu eingesiihrten Zölle
große Schichten der Bevölkerung sich ge-—
zwangen hen, ihren Verbrauch an
Bohnenla einzuschränken Da fie aber
nicht gewillt waren, das täglich gewohn
te Quantum des mit Recht so beliebten
Getränlesherabzuminderm so griffen se
zu dem Auskunftsmittel, das ihnen eine
täglich an Ausdehnung und wirthschasts
licher Bedeutung wachsende Jndustrie an
die Hand gab: zu den sehr viel billigeren
Surrogaten und Kasseegewiirzen. Zwi
schen beiden muß man allerdings einen
sehr erhrelichen Unterschied machen. Die
Kasseegewiirze sindZusittze, die die schätz
bare Eigenschaft haben, daß sich mit ih
nen eine gleich grosze Menge gleich guten
Kassees «aus einer wesentlich geringeren
Menge Bohnen herstellen läßt. Die Sar
rogate dagegen sind Ersatzmitteh die an
Stelle des Kassees ein anderes minder
werthiges Produkt setzen. Ein solches
Surrogat—und keines der besten-ist z.
B. die Zichorie.
Zur Beurtheilung der behuss Verbes
serung des Kassees angewandten Zusätze
ist zweierlei zu wissen nöthig, erstens, wie
sie sich zum Wohlgeschmack und Wohlge
ruch, zweitens, wie sie sich zur physiologi
schen Wirkung des Kassees verhalten.
Selbst bester Kassee kann durch unzweck
mäßiges Rösten viel von seinem Wohlge
ruch und Dust verlieren; ein gutes Zusatz
mittel wirkt hier immer verbessernd. Be
kanntlich verliert der Kassee sehr leicht sei
ne aromatischen Bestandtheile, die dann
durch Zusätze ersetzt werden. Ferner dür
sen dieZusätze nicht diewohlthätigen phy
siologischen Wirkungen aus das Central
nervensystem schwächen» Man könnte na
türlich auch Gewürze bereiten, die den
Geschmack eines jeden andern Ksasfees
hervorrusen. SolcheGewürze können in
physiologischer Beziehung noch die wohl
thatige Nebenwirlung ausüben, daß sie
den Verbrauch einer so großen Menge
von Bohnenkassee, also den Genuß des
zu starken Kassees verhindern, der be
kanntlich von sehr schädlichen Folgen b
gleitet werden kann. Der Zusatz ver
schasst den Liebhabern starken Kassees
Geschmack und Dust desselben, ohne die
physiologische Wirkung des Ausgusses
über Gebühr zu erhöhen. Was von den
Zusätzen gesagt wird, gilt jedoch keines
wegs von den Surrogaten. Bor- Simo
gaten soll man sich hüten, sie haben keine
der belebenden und wohlthätigen Wir
kungen des Kaffees.
-—.— -----——-— —
Srharse Kritik.
Virginie Dejazet, die berühmte fran
zösische Schauspielerin, hatte in einem
Stücke eine Wäscherin darzustellen und
in dieser Rolle eine ganze Weile aus der
Bühne zu hantiren. Zu dem Behuse
nahm sie bei ihrer Wäscheren Waschun
terricht nno schickte derselben dann neben
einem anständigen Honorar ein Freibil
let zur ersten Vorstellung des betreffen
den Stückes. Am Tage nach der Ausfüh
rung erschien die Wäscherin bei der De
jazet, um sich sür das Honorar und das
Freibillet zu bedanken. »Nun, wie wa
ren Sie denn mit mir zufrieden, liebe
Hubert?« fragte die Künstlerin. Die
Frau zupste verlegen an der Schürze und
schwieg. »Nun? habe ich etwa meine
Rolle nicht gut abgefaßt? War ich nicht
die richtige Wäscherin vom Montparnas
se?« fragte die Dejazet. »Gewiß, Ma
demoiselle, aber—« »Nun aber? Gewiß
habe ich Ihre Lehren vergessen und mich
atn Waschsasse ungeschickt benommen?»
»Oh, nein, ganz und gar nicht! Keines
» meiner Mädchen wäscht, wringt und plöt
tet besser wie Mademoiselle, aber man
tann eben nicht Alles aus einmal verlan
sgen.« »Nun, Madame Hubert?« »Ja,
»sehen Sie, wenn ich es suei heraussagen
darf-die Wäsche war zu blau.« Die
iKünstlerin lachte herzlich und that bei
Iden späteren Vorstellung weniger Neu
s blau in die Wäsche.
————— --.0.— -—-— —
Kleiner Jrrthum.
Der berühmte Arzt Dr. Renard in
Paris rühmte sich gegen feine Bekannten
nnd Kranken eines besonderen Scharf
blicks. Einst fand er bei einem Kranken
desuche einen alten Herrn, der mit dem
Patienten ruhig Piquet spielte. »Was
thun Sie hier, mein Herr?« sagte Re
nard zu ihm. Gehen Sie nach Haufe,
lassen Sie sich eine Ader öffnen; Sie
haben leinen Augenblick zu verlieren.«
Der erschrockene Mann ließ sich sofort
nach Hause nnd in’s Bett bringen. Re
nard folgte ihm, ließ ihm drei bis vier
Mal hintereinander zur Ader, dann ein
Brechmittel nehmen und sand ihn immer
schlimmer. Am dritten Tage wurde der
Bruder des Kranken vom Lande gerufen.
Man sagte ihm, sein Bruder sei im
Sterben. Der Gernfene eilte schnell her
bei zum Krankenlagerz daselbst fand er
den Arzt vor. »Um Gottes willenl«
sprach der Herbetgeeilte zu Jenem, »was
fehlt denn meinem Bruder?« »Er hat
einen Schlagansall gehabt,« erwiderte
Renard, »ohne es zu wissen. Es war ein
Glück, daß ich ihn zufällzg fand und es
an seinem lchiefgezogenen Munde ent
deckte.« »Mein Gott l« rief der Bruder
des vermeintlich Sterbenden aus-, ,,inein
Bruder hat schon seit sechzig Jahren ei
nen schiefen Mundl« »Warum hat man
mir dies nicht sriiher gesagt?« antwor
tete Renard, »so hätte ich viele Mühe
nnd er unnütze Kosten erspart-«