Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 29, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    Dann unter sich.
Nur langarn riiexte die gewaltige
Kette von Wagen vor dem Pottale der
Philhatmonie vorwärts, immer wieder
durch neue Gefährte ergänzt und in’s
Unendliche verlängert Eine größere
Menschenmenge ais sonst drängte sich
zufammen, um dieAusfieigenden zu be
trachten, eine Menge, die auch in ihrer
Zusammensetzung sich anders ais ge
wöhnlich zeigte: junge elegante Herren,
die Vände in den Uebetziehertafchen,
den Hut aus der Stirne zurückgesent,
wie in der Stimmung nach einem gü
ten Diner, alte Herren mit würdigen
Augengliiferm ’den hals gegen die
Wintertälte im faltigen Foulard ge
borgen. Hin und wieder fah man ein
"ffnetes Notizbuch, einen thatenlu
si; gezückten Bleiftifh
»Wie reizend!«——,,Alle Wetter, ganz
famos.« —- ,,Ein entzückendet kleiner
mit-s« —.— .
— .- — s-·
Ul- vle Junge-» Dame vie Yroychle
verlassen, hatte sich ihr langer Abend
mantel um den Griff der Wagenthür
gewiclelt —-— einen Augenblick stand sie
da in der ganzen dustigen Pracht ihres
Schmetterlingsgewandes, den gaffen
den Blicken p isgegeben, und erntete
alle die Bewun rung ein, die bei den
andern, bis zu den Ohren in ihre Bur
nusse gehüllten Frauengestalten, die
hastigen Schrittes die Garderobe zu ge
winnen trachteten, nicht anzubringen
gewesen war.
Schnell gab sie ihren Mantel ab und
im nächsten Augenblick befand sie sich
mitten im Saale, in der bunten,
sehn-ätzenden, lachenden, singenden,
wirr durcheinander sluihenden Menge
—- in Wahrheit wie ein armse, kleiner
Schmetterling, der vom Winde willen
los weitergetrieben wird. Das also
war das berühmte Costiimfest des Ver
eins Berliner Künstlerinnem das seit
Wochen in Künstlerinnenlreisen jeden
Gedanken beherrschte, das man gesehen
haben mußte, wenn-man mit der Kunst
auch nur die geringste FühlunO besaß;
dieses Fest, das alles vereinigte, was
als Berliner Malerin oder Bildhauerin
einen Namen besaß oder zu erringen
hoffte; das, und dies war bielleicht die
Hauptursache seiner Berühmtheit, nie
mals durch die Anwesenheit eines
Mannes entweiht werden durfte. Hier
sollte bewiesen werden, daß sich intel
ligente Damen auch unter sich sehr
wohl zu arniisiren verständenl
Der kleine Schmetterling, in Wirk
lichkeit Nellh Barnelow, angehende
Malerin in den ersten Stadien der
Entwickelung, amiisirte sich einstweilen
nur sehr mäßig, das ganze lam ihr
recht sinnlos vor. Zwar war sie sicherl
viele gute Bekannte, Ateliergenossin
nen und Pensionöfreundinnen vorzu
iinden, das ganze v. Wangen’sche Pen
sionat, dem auch sie angehörte, war
dort, jede Dame aber war einzeln hin
gethren und ohne von dem Costüm der
anderen zu wissen, damit die Ueber
raschung doppelt groß sein sollte. Ob
gleich niemand mastirt war, machte
das Ausfindeniivvn Bekannten unter
den Tausenden von Menschen große
Mühe.
Dort wandelte der Doge von Bene
dig, im rothen, schleppenden Gewande
das energisch geschnittene, dunkeläugige
Gesicht, von weißen Locken umrahmt.
—- eine bekannte Porträtmalerim dort
die schöne Schotteniönigin im schwe
ren, weißseidenen Hinrichtungålleide,
ein Perlenviadem über der bleichen
Stirn, —- die Gattin eines berühmten
Bildhauers, beide aber viel zu hoch und
erhaben, sich ihnen zuzugesellm Und
weiter zog es an ihr vorüber, in vor
nehrn echte Prunlgewänder gehüllt,
Gewänder, die ihre Geschichte hatten«
die in früheren Jahrhunderten aus tö
niglichen Schultern gelegen, und nun
in die Ateliers, zur Ausstattung der
Modelle übergegangen waren, — aber
auch in ebenso echte Lumpen gekleidet:
italienische Briganten, Savoyarden
s jungen und deutsche Handwerksbur
schen von einem schauderhasten Redis
mus; historische Berühmtheiten und
. wunderbare Phantasiegebilde, Ritter
und Edelfräulein, Mönche und ernste
Klostersrauen, Angehörige aller Natio
nalitäten neben echt Berliner Gigerln
nnd Ossiziesken Daneben auch aller
lei Zeitgemiiße3: Qatao und Gesund
heitslassea Liebi «’s Fleischextract, den
Oberkörper von gerjetannten grauen
Ernte, mit dem blauen Namenszug
umschlossen, und endlich sogar Prof4
Königen mit seinen X-Strahlen unt
der AllerweMcamera, sehr gesiirchtet·
den »e: sieht den Menschen durch unt
.dnsh.«
»Meine-r Outteroogeh kennst Du
Uns sichtli« Die drei Müden-Möb
sich untereinanderzum Verwech
« ähnlich, versperrte-i der jungen
M rnit ihren Riesensächern M
Osa- ch Dich- mich solltest M
missimi erkennen, erst heute Mor
QUI Ost Du im Atelier mit mir gespro
chen — Edith von Werner.« Und wäh
rend Nelly noch überlegte, wie es mög
lich gewesen« dasz aus der Malerin mit
den beinahe classisch regelmäßigen Zit
gen sich diese rothbäutige Tochter Ja
pans, mit allen Eigenthiirnlichieiten ih
rer Rasse, den geschlitzten Aeuglein,
den aufwärts gerichteten Brauen, dem
straff emporgekämmten Haar habe ent
wickeln können, waren die Drei schon
wieder in dem Gewirr untergetaucht.
»Schatzerl, so allein? Wie kann das
einem so reizenden Mädel wie Dir pas
siren!·' Dabei legte sich ein »Am: um
ihre Taille, sodaß die schönen durch
sichtigen Schmetterlingsflügel in Ge
fahr geriethen, und ein rothgeschrnink
ter Mund drückte einen derben Kuß auf
ihre Wange. Entsetzt rang sich has
junge Mädchen aus der Umarmung des
weißbaurnwollenen Pierots los, des
sen scheußlich bemaltes Gesicht unter
dem brennend rothen Haarschopse Isie
gar frech anstarrte, und klammerte sich
an den Arm eines eben vorübergehen
den Engländers. Im ersten Schreck
hatte sie vergessen, daß der, vor dem sie
floh. wie der, an den sie sich schiedsri
chend wandte, ihresgleiches seien"««·-—
Damen.
Mit dieseri Erkenntnis karn aber
plöslich die echte Faschingsfröhlichkeit
über sie. An dem Arm des Pseudo
Engländers, der ihre zierliche Gestalt
um Haupteslänge überragie, fühlte sie
sich wohl und geborgen; mit i m durch
kreuzte sie kühn die Menge. etzt war
ihr auch der Zufall hold, sie traf mit
ihren Genossinnen aus dem Wangen’
schen sPensionat zusammen, es gab ein
freudiges Vergnügen, ein gegenseitiges
Bewunderu. Da war die muntere
Ameritanerin Kate Sparling als Wi
ckelkind, das weiße Steckkissen mit rosa
Schleifen geschlossen. die gewaltige
Milchflafche in beiden Händchem die
russische Aristokratin Souja leistete
im blauen, kurziirmlichen Katuntleid
chen, mit der weißen Latzschiirze Wär
terinnendienste. Zwei andere Pensio
närinnen waren als Gigerl und Ma
trose, eine fünfte als Lotosblume er
schienen. Alle waren aber darin einig,
Deß die kleine Nella, das »Nesthiikchen«,
als Buttervogel in ihrem gelben Gase
kleidchen mit den ausgeklebten schwar
zen Sammetaugen, dem schwarzen;
Sammetmieder nnd den kleidsamenj
Fühlhörner-n auf dem piianten dunklen ;
Kopfe dieallerhiibscbeste sei, das »füsze-«
sliesskleine Thierchen,« das sich denken
a e.
Man wurde auseinandergerissemiras
sich wieder, die Paate wechselten und
schließlich fanden sich doch immer wie
der dieselben zusammen, auch Nelly
und ihr langer Engländer. Schön war
er eigentlich nicht zu nennen, in seinem
schlasrockartigen, großiarrirten Ulster,
dem schleierumwundenen grauen Cy
linder, dem mit sehr großen und dun-·
leln Sommersprossen gesptenielten
Gesicht, einem selbst siir englische Ver
hältnisse enorm langen, röthlichen Ko
telettenbade und den blauen Augen
gliisern. Dagegen war der dunkle, tiefe
Ton seiner Stimme bestrickend. waren
seine Manieren distinguiri, feine Art,
Nelly den Arm zu bieten und sie awa
liermäßi sorgsam durch das Gedxäm
ge zu ge eiten. unvergleichlich, gerade
zu qei71;t«. Nelly vergaß wiederum fast,
daß sie es mit einer Dame zu thun
habe; wie eine Vision zog eine ziemlich
Anzahl junger Lieutenanis und Künst
ler, fiir die sie in der letzten Zeit »ge
schwärmi« hatte, an ihrem geistigen
Auge vorüber —- aber die Wagschule
neigte sich zu Gunsten ihres jetzigen
Euvaliers
Die Luft des Abends steigerte fich zur
Tollheit: ,,Kühner toird jetzt jeder
Schäfer, fanfter jede Schäferin" — alle
die Pseudo-Maler, -Offiziere, -Gigerl"
hatten sich in ihre Rollen ganz einge
lebt, rauchten mit oerblijffender Selbst
verständlichteit Cigarretien und leifte
ten das Erstauniichste an Courrnache
rei. —Dort erschien Pfarrer Äneis-, ge
folgt von feiner barfiißigen Gemeinde
Seine Füße waren »mastirt«, d. h. die
schmalen Mädchenfüßchen steckten in
mächtigen Futteralfüßen aus Papier
machee. Seine Anhänger trugen
Strümpfe und Schuhe in den Händen.
Das Gigerl fchlenkerte fein fchwarz
und roth geringelten Strümpfe und die
spitzen Lackschuhe an dein Ren-unmit
itoch einer alten Jungfer diente ihre»
Fußdekieidung als Quafte des Son-!
nenschirrns Beständig walteie desj
tHerrn Pfarrers Gießkanne ihres Am
es
Jeyt nahten fich zwei fromme Kapu
ziner, —- ge eniiber der Sittenverderb-;
niß eines iinftlerinnenfeftei erfchien
einer wohl Zute wenig Juni den Ver-:
farnrnelten Vergehen vor uhalteu »
Merkwürdigerweise richtete terms-I
zinade HERR-i die lig ien Sah-;
ringen des ereins feil-st, en die her
renlosigkeit des heutigen Festu. In
anmuthiger Wechfelrede tönte es her
über und hinüber.
l l
«
,,Ein schönes Weib, das sieht kein Mann-«
»Ist wie ein Buch, draus niemand lesen
kann-·
«Ein Kunstwerk ist’s, in einen Schrein ge
schlossen-·
»Ein edler Wein, vom Kenner nicht genos
en «"——
»Aus schönes haus, mit sestverschlosfnein
Thor.«—-— -
»Ein Paradies, wo steht der Cherub vor.«—
»Glaubt Jhr frommen Brüder
nicht,« meinte Nelly, »daß wir uns heu- ;
te so köstlich amüsiren wie nur je? Wirj
zeigen. daß Damen unter sich geradej
am vergnügtesten sind, daß sie die dum- ;
men Männer gar nicht nöthig haben.«s
»Weise gesprochen« bemerkte ani
Stelle der Kapuziner der EngländerJ
»das Weib soll des Mannes entrathenj
können —- so heißt ja wohl das cito-i
derne Schlagwort. Unser entzückendesl
Künstlerinnenseft bedeutet einen Meri-l
stein in der Mancipation der Frau,j
einen gewaltigen Schritt vorwärts.3
Wie schade nur, daß die Herren der
Schöpfung in ihrer gottesjämmerlicheni
Eitelkeit nicht an die Echtheit des Ver- ;
gniigens ohne sie selbst glauben wollenj
—- jainmerschade, daß es ganz- ausge-;
schlossen ist« daß sie sich je davozi über-.
zeugen.« l
«Doch nicht,« sagte die Kleine ge
heimnisvoll, und rängte sich enger an
ihre Begleiterin, « ch will Dir’z erzäh
len. Aus dem ledien Feste vor zwei
Jahren, d. h. ich selbst war nicht dabei,
ich war damals noch gar nicht in Ber
lin, soll es doch vorgekommen sein.
Zwei Herren von der Presse. Man hat
eö schließlich daran gemerkt, — den
Rest sliisterte sie dein »Englishnian«
in’S Ohr.
»Wahrhastig9«
»Verbiirgt wahr, aus Ehre!« Und
als wenn der Zufall i r zu Hülfe korn
tnen wolle, die Möglichkeit dieses Un
erhörten zu beweisen, erhob sich nicht
fern von dem Paar ein wüster Lärm.
Alles drängte nach der einen Saat
thiir. Rufe der Entrüstnng wurden
laut, Fragen, was denn eigentlich ge
schehen sei. Achselzucten, unbestimmte
Antworten. Ein Herr habe sich einge
schlichen, aber man habe Lynchjustiz gi
iibt, mit Schimpf und Schande sei er
soeben an die Lust befördert worden.
Unerhörti Empörendl Aber wer denn?
Ach der Scheit. der so sonderbar bis
sast zu den Augen vermummelt gewe
sen sei. Ach der! Natürlich! Alle Welt
wollte von nun an gleich anfangs Arg
wohn geschöpft haben. Uebring ein
bekannter Maler, der zum Stizziren
hergekommen sei. Die Güte der Sitz
zen habe ihn denn auch verrathen. Die
Güte der Stizzend Auch das noch!
Als wenn wir nicht verstanden, ebenso
gut zu skizziren!
Nellrfö englische Genossin führte sie
zur Seite. «Abscheulich! Es giebt in
»der That nur ein« Mittel, uns diesen
unerwiinschten Herrenbesuch vom Leibe
zu halten."
« »Und das wäre?« I
. »Man giebt den Frechlingen einfach
»den Eintritt freil«
s »pho!« »
« -·.· « -«---·
»Das Will UlllYl Isgcll Ullclllgcilll O,
im Gegentheil, man stellt ihnen Billets
» zur Verfügung« das Stück hundert
iMarh meinetwegen zu irgend einem
stoohlthiitigen Zweck, und tein Herr
Jwird uns mehr belästigen. Keiner hätte
Tdann nöthig, als Musikant oder als
lKellner verlleidet hier einzudringen,
Jsreilich wäre es noch ein Stück Roman
tik weniger, an der wir so wie so teinen
Uebersluß haben. Aber nun müssen
.wir uns aus den überstandenen Schreck
ersrischen, hier ist gerade eine aller
liebste, himmlische kleine Nische. Kell
ner, eine Flasche Seit!«
Ein Unheimliches Gefühl kroch bei
diesem Akt unerwarteter Generosiiiit
Ner an’s Herz. Jhre Begleiterin, mit
der sie sp oft cordial verkehrt hatte, war
sicherlich eine anerkannte berühmte
Malerin, daß sie die elenden Silber
linge, mit denen Malerinnen in der
Regel sehr geizen müssen, so verfehlen
dern konnte Sicherlich eine ganz be
rühmte Malerin, —- vielleicht Frau
Begas- ParmentiFX Oder Frau So
phie Koner? Den Ton wechselnd und
aus dem traulichen Du in das Sie ver
sallend, sagte sie zaghaft: Jch glaube,
es ist nun genug des Maösnscherzeg——
würden Sie mir nun noch als beson
deren Beweis Jhrer Güte Jhren Na
men nennen, gnädige Frau-oder gnä
diged Fräulein?« ·
»Mit Vergnügen, mein allerliebster
Schmetterling; fest und sitt ewige Zei
ten Dein getreuer Lord AlcocL Bei
der Echtheit jeder meiner 999 Som
mersprossen sei es geschworem Aus
Dein Wohl! Auf die Befestigung des
deutsch- -englischen Bündnissei, der
Staaten und —- zweier Personenk« Ein
Kuß brannte aus ihrer hand, der ihre
Wättglgen in etwas beschwichtigtr.
Frau oner oders rau Legal-Par
mentier würden das Znicht thunt Zu
gleich kam ihr ein erleuchtete-.- Gedanke·
«8eige rnir Dein Stizzenhuch, das
l «1
dort aus Deiner Brusttasche ragt, mein
Trautet,« sliisterte sie. " «
»Nicht doch, es verlohnt nicht, denn
es ist ganz leer-«
»Wenn es leer wäre, würdest Du es
doch nicht bei Dir.siihren,'« beharrte sie,
»gieb also her-«
»Wie Du weißt, gehört ein Stizzen
huch zur Ausriistung des reisendenT
Engländers, selbst wenn er nicht zeich-;
net.« z
»Ich sah Dich aber vorhin zeich-J
nend." , l
»Also erlanntl Nun Du wirst Dich;
über meine Kunstfertigkeit gut» lustig
machen."
»Wir wollen es darauf ankommen
lassen.«
Mylord ösnet das unberührt neue
Stizzenbuch, legte es aus den Tisch und
hielt es mit seiner elegant behandschuhs
ten Rechte sesi. »Nun, hatte ich nicht
recht?«
Ja, was sich dort aus der vollgezeich
neten Seite offenbarte, war in der That
eine greuliche, dillettantenhaste Stri
chelei. Zeichnungen einzelner Figsen
in der Art des lleinen Morih, jedoch
nicht des genialen, von dem Talent
Oberliinder’s inspirirten, sondern ei
nes beliebigen, echten, dummen, kleinen
Dorsbuben. —- Nellh wurde mit einem
Male sehr vergnügt, nachdem das Ge
Zspmsi de- Vekiihmtheit ihm Gestirn
tin sich versliichtigt hatte. Zutraulich
erzählte sie von ihrem Daheim, ihren
Eltern und Geschwistern und dem net
ten Hause, das sie in der Provinz be-;
saßen. von ihren Aunststudien in Ver-l
lin. reilich war sie nicht gerade daraus»
angewiesen, ihr Brot selbst zu verdie-;
nen,»aber Papa meinte, bei drei Mäd-J
chen sei es doch gut, wenn eine etwas
Rechtschassenes lerne, denn man könne«
in- heutiger Zeit doch nie wissen, wie es
komme, und die Männer seien rar.?
Damit nun ihr Studium nicht allzu;
theuer werde, habe sie sich aus Blumenä
und Stillleben verlegt —- Hermine von«
Preuschen habe ja bekanntlich auch nach
nur dreijährigem Unterricht in diesem
Fache aus eigenen Füßen stehen können.
Und wenn sie, Nella Barnelow, nun
auch leine Preuschen sei, so habe ihre
Lehrerin, Frau von Sievers, ihr doch
viel Muth gemacht. Jetzt male sie an
einem Stillleben, das diese ihr zusam
mengestellt: neue Heringe aus einem
Holzbtett und Pelllartosseln, wunder
voll geplatzt, in einer grasgriinen Fa
henceschiissel. Mhlord müsse mal kom
men, es anzusehen; schon ietzt sei es
Tzum Anbeißen.
l Nun sollte auch die Gefährtin von
fsich erzählen, behauptete aber, niemals
Fetwas Erzählenswerthes erlebt zu ha
;,ben viel lieber höri sie Nellh zu« Und
Hder lleine Schmetterlin schwatzte mun
jter weiick. Rings um die beiden her
um saßen ruhende und trinkende Grup
pen, plaudernd, lachend, zärtlich wie
die Turteltauben. Ein langer Jn
crohable hielt eine üppige Carmen um
faßt, das Gigerl kniete vor dem Babh
und zog seine händesammt der Milch
kfcqsche innig an vie Brust
»Wenn doch nun endlich mal
bischen umgiinglicher,« schmollte Nelly,
»nimm Deine abscheuliche Silberpap
pel alt und zieh die garstigen hand
schuhe aus, die Du den ganzen Tag aus
lden Händen gehabt hast. Sieh, ich ha
lbe meine langen schwarzen Schmetter
lings andchuhe längst abgelegt.« Da
Ihei suchte sie, der Andern den , ut
dont Kopie zu nehmen, und mit san ter
Gewalt deren Handschuhe auszuan
psen; Mylord aber wehrte es mit ern
lster Entschiedenheit ab. Er mhrte es
Iauch ah, als sie wiederum das Sitzzen
duch errisiz zum Schutze versuchte et,
es in die Tasche zu stecken. - Aber Nellh
hielt es fest
«Laß sehen, da hinten ist etwas ge
schrieben —- was sür eine famose
l Haut-schreien
- Rein Jndöcretiom Kleine. Es ist
lnichts sür Dich«
! Jch will’ö lesen, ich will daraus er
tsesm ob Du mir gut bist, mein süßer,
süker Lord Alcock.«
. »Ich bin Dir gut —- von ganzem
!Herzen.«
»Aus Ehrenwort?«
»Ja, aus mein Ehrenwort«
»So gied mir zur Bekräftigung ei
nen schönen Kuß!«
Jhre Augen leuchten, ihre Lippen
blühen ihm entgegen.
Da geht es wie ein Ruck durch die
Gestalt Mylords, seine Wangen röthen
sich unter den Sommersprassen. Wie
var etwas Entsetzlichem streckt er ab
wehrend die hände aus. »Unrnöglich.«
«Unntöglich? Wiss-It Nun erst
rechtl« —- und »das Unvergleichltche,
hier ist’s gethan,« zwei weiße Arme
Lchlingen sich um seinen Nacken, zwei
smae totlte Lippen presse-I sich hetzbslt
aui die feinen. —- »k
Måu späterer Stunde als ant Morgen
jenem Künstlertnnensefte war es
wohl kaum jemals tn dentPenitpnat der
Frau von Wangen Tag geworden.
Aue Wen schlief die tu deckt-cum Mak
e
c l
gen hinein, am ausdauerndsten aber
wohl das »Nesthiikchen«.
Zuerst hatte sie sich schlaflos auf ih
rem schmalen Pensionsbette hin und
her geworfen. Die Eindrücke des Festes
wirkten noch nach, noch immer sah sie
das Durcheinander, hörte die Musik,
besonders aberbeunruhigte sie der un
vermittelte brüske Ausbruch Mhlords
nach ihrem kindischen Ausse. War sie
zu weit gegangen? hatte sie die Unbe
kannte, für die sie im Laufe des
Abends eine so fchwiirmerische Sympa
thie gefaßt hatte, durch ihr stürmifches
Vorgehen berlehti
Als sie sich, die Letzte, an dem inzwi
schen wieder abgeriiumten Kasseetische
etc-sand, machten sich neben ihrer ein
sa en Tasse ein Blumenstrauß und ein
Brief breit, ein Blumenstrauß so aus
gesucht prächtig, wie er selbst im Wan
gen'schen Pensionat, in dem umworbene
russische und amerikanische Erbinnen
hausten, etwas besonderes war. Das
Schreiben schien auffallend groß und
enthielt etwas Bartes, Glattes.
Die Potographie im Kabinetformat
stellte einen hübchen, jungen Mann
dar, mit duntlen Augen, intelligenten
Zügen und kleinem schwarzenSchnurr
bart —- siir Nellh einen durchaus Un
bekannten.
Dagegen erschien ihr die handschrift
des Briefes bekannt, wie kürzlich erst
gesehen. Jn dem Schreiben stand
folgendes zu lesen: -
»Mein gnädiges FräuleinP
»Die Zeilen, die ein bekannter Unbe
tannter, Lord Alroch an Sie richtet,
werden selbst einem berufsmäßigen
Federmenschen, den eben dieser Beruf
zu einem nicht mehr zu sühnenden Ber
gehen trieb. schwer. Vielleicht ist Ih
nen das Wort »Journaliftenwahnsinn«
bekannt, die Bezeichnung jener Manie
des Schriftstellers alles sehen, alles-er
-leben zu wollen, um über alles nur
aus eigener Anschauung berichten zu
tönnen. Dieser Wissensdrang ließ mich
in die carrirte Haut des Lord Alcoct
schlüpfen, mein Gesicht mit geiben
Sommersprossen. meine Augen mit
blauen Brillengliisern und meinehiinde
mit ockerfarbigen Glacees bedecken. Je
ne Aufzeichnungen, die Sie in meinem
Stizzenbuch fanden, enthalten den
Festbericht für meine Zeitung, die JhH
nen heute Abend zugehen wird. H
»Ich habe gegen Sie, mein gnädiges·
Fräulein, gesündigt , habe von deri
Ahnungslofen empfangen, was ich
nicht zurückgeben kann, ohne dabei wie
derum hinzunehmen und wiederum zu
sündigen. Wenn aber eines Sie über
Jhre Gaben trösten kann, so lassen Sie
es jene Antwort sein, die ich Jhnen auf
Jhre Frage gab: Jch bin Dir gut —
von ganzm«.s)erzen.- Für die Plötzlich
teit dieses Empfindens, das eine einzige
Ballnacht, das aber auch Jhr unbefan
genes Sichgeben zur Entfaltung brach
te, hat unser größter Seelentenner die
Formel längst zuvor gefunden: das ift
nicht Lieb', die plötzlich nicht gekom
men. .
Es würde mir ein Leichtes sein. von
jetzt ab auf alltäglichem Wege Ihre
Bekanntschaft zu suchen; nichts könnte
Jhnen dabei verrathen, mit wem Sie es
zu thun haben. Mir selbst aber würde!
jenes Begegnendie Schamtöthe in's-i
Gesicht jagen, in der Erinnerung an·
einen Kuß, der nicht mir galt. Lasseni
Sie die Blumen, lassen Sie mein Bilds
inir mich sprechen, versuchen Sie es, ob
Sie von dem edlen Lord Alcoet auf den
dargestellten schlichten deutschen Ne
dakteur so viel Interesse übertragen
können, als nothwendig ist, um Sie
seine nähere Bekantschaft wünschen zu
i ssen. Dann schreiben Sie ihm nur
d e Worte: »Komm-In Sie!" — sie sol
len Sie zu nichts verpflichten.
Dr. Paul Mertens.«
Der Brief war lang genug, um Nellyl
eine ganze Stufenleiter der verschieden- (
sten Gefühle erklimmen zu lassen:«
maßlose Ueberraschung, Schreck, Ein-l
pörung, Scham, geschmeichelte Titel-i
teit und abermaligen Unglauben, undl
dann noch etwas anderes-, für das sie!
einstweilen noch keinen Namen hatte,i
das aber pticlelnd und reizvoll und ei
gentlich doch ein wenig süß war. Jrn
Laufe des Tages, während Nelly sichs
schließlich noch an das Stillleben mitj
den Heringen und den Pelltartofselnt
begeben hatte und sich halb geistesab-(
wesend bemühte, die blauen Lichter ausl
den heringsrücken recht »piiant« aus
zusehen begann dieses «Siiße«« über’
die anderen Empfindungen zu siegen-«
bis schließlich nichts als ein großes«
jubelndes und·noch erwartungsvollesi
Glücksgefiihl übrig blieb. Jhtewar zu;
Muthe nzie Einem Hinde, das man unsi
erwartet überreich beschenkt hat und’
dem man noch detlicheres versprochen«
Mit der lehten Abendpost erschien
denn auch unter Kreuzband der ver
heißene Bericht. Des ganzen Wangen’
schen Pensionates war in liebenswür
diaer Weise gedacht worden, mit ganz
besonders zarter und unanffälligq
I—
huldigung jedoch des kleinen, gelben ,
Buttervo els
Rellh altete das Blatt zusammen
und legte es unter ihr Kopftissen, als
wenn es ihr solcherart eine gute Einge- «
bung bringen müßte. Und es war, als
oh von den noch nach feuchter Bruder
schwarze riechenden Lettern eine eigene
Suggeftion ausgehe. Wieder floh die
Kleine der Schlaf, wieder umwogten sie s
die Bilder des gesteigert Abends. Sie j
hörte eine Stimme, deren tiefer Wohl
laut sie sofort bestochen hatte, salfeine
große Gestalt, die ihre zierliche gerade "
so weit überragte, daß die S ulter
ihrem Köpfchen einen bequemen uhe-«
play bot, fühlte einen- warmen Hände
druck, ein paar Lippen, die sich den ih
een zwar entzogen, und die den
noch —- -—- —- ’
Plötzlich fand sie sich im Nachtge —
wande vor ihrem winzigen Schreib-.
tische sihend, der aus feinen geschweifte
Roccocobeinen recht altersschwach da
stand. Bot ihr brannte die Stearin
terzez ihre hand suchte lange in dein.
Vorrath von elegantem Briefpapier,",
der ihr zur Verfügung stand, um dann
ein langgestreckteg, rosa und griin tri
sirendes Kärtchen zu wahlen, neuest
Mode Loi Fallen Sie glaubte ihr Her
schlagen zu hören, als sie die Adresse
schrieb, ihre Hände zitterten, sie wußte
nicht, ob vor Kälte oder vor Aufregung, -
und plötzlich, ohne daß sie es ilar ge- I«
wollt, standen sie da aus dem kleinen
gärtchen die großen Worte: »Kommen T
ie» «
Beruhigt iroch die Schreiberin wie- , -
der in s Bett und schlug die Decke dicht «
um sich. Nach zwei Minuten war sie
fest eingeschlafen, ein erwartungsvollesf
Lächeln auf dem rosigen Kindergesichh ,
Humotiltifrljeg.
—
Jmmerderselbr.
Professor der Mathematik ( im Re
stanrant, im Begriff das Lokal zu
verlassen, zu dem ihn bedienenden Kell
ner): »Bitte, Manch reduziren Sie
doch einmal die Entfernung zwischen
mir und meinem Hut ans Null!«
« —.-.........—.....-»»»-..
Sachtednrch.
Hen- »Aber wie können Sie nur so
gegen den Laternenpsahi antennen? Ha
ben Sie ihn denn nicht gesehen?«
Student: »Er —- erlanden Sie ’mat
—- ich sah zwei — und wollte so sachte
wi n dnt .«
z sche ch «
Malitiös.
Fräulein Calte Kokette): Heute srng
ich Ihren Freund, den Herrn Grad
meyer, wie alt er mich schätze. Was
glauben Sie, daß er antwortete ?«
Herr: »O, dem trau’ ich zu, daß er
,,sünszig Jahre« sagte!«
Aue einem.Roman.
Das Mittagmahl ging in dumpfem
Schweigen vorüber. Der Gane vers
zehrie seine Sappe, aß den Braten nnd
trank dazu eine Flasche Wein, ohne ein
einziges Mal den Mund zu össneii.«
Gitter Rath
Diensimädchem «Msrgen sonnt-« nicht,
Fritz — wik habe Mich-«
Soldai: »Aha, da haft Du leine
Zein
Dienftmädchem »Das schon, Fritz-—
aber morgen kocht die Frau!«
sp— »sp« » www .--....
Modern.
Sie: » ber, Mann, bist Du endlich
fertig? D denlsi wohl, ich will in dem
3(.n)-Mari-Kostüin, das Du mir gelaqu
haft, im Hause versauern!«
Er: ,,Einen Augenblick, liebes Weib
chen! Jch will nur nach die Franien von
den Dosen schneiden!«
Empfehlungsbriei eines
Theater-Direktore.
»Den Ueberbringet dieses Schreibens
kann ich Ihnen nur bestens empfehle-is
er spielt Hamlet, Wallensiein, Narziß
und Stat, am bestenaber lesietes!«
W-«-—.-.«.-... - .-.-.---«
Schlußfolgerung.
Fräulein Un einein anderen)- »Ge
siern fragte mich der reizende Neure
nant, der bei uns wahrn, über meine
Freundinnen aus« Ich erzählte auch
von Diel
Zweites Fräulein- »Nun, und was
hast Du gesagt?«
Ersted Fräulein- »Ich schilderte Dich
als sehr seistreich -——«
Zweitei Fräuleins ,,Psuil Da wird
et glauben, ich sei haßlichl«
.Jm0egentlpeil. .
A.: »Nimm Sie denn gar nicht le
ten Glänbigekn etwas entgegenkom
men?«
B.: »Im ·0egenil)eil, ich verstecke
mich vor ihnen.«