Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 02, 1894, Page 5, Image 5

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    Unschuldig verurtheilt.
Roman von gi. Mkadawm
Guts-sung )
Die Frau verschwand hinter einei
Seitentiziire Kurz daran ward diese
weit an gerissen nnd eine angenehme,
männliche Stimme fragte
«Wo ist der Heu-:- nosfenii ich nicht «
draußen? Mam, Matu,i wo ist Deine 1
Gustfteundschaft geblieben « I
Ein kleines, altes, gebe-untre Männ- i
then mit schneeweißen, flatteinden
Haaren nnd langem Bart trat zu mir
auf den Flut-.
»Treten Sie ein, n ein Ucir Tre
ien Sie ein. Ich emaile Zie schonj
ieit langer cit; nnr iiijtte ichiiicht;
sedachi, daß sie im Winter bei Wind !
und Schnee kommen würden. Ich habe
Sie im Sommer erwartet. Bald sah
ich Sie im Geiste, wie Sie aus stolze-m
Roß die Landstraße hinansprengten,
unt dann unter mein bescheidenes Dach
tt treten, ein anderes Mal wieder
rank nnd aus schweren Wunden blu
tend, und ich stellte co mir lebhast vor,
wie wir Sie wochenlang pflegten, biet
Sie esundeten, und ich wünschte mir
eine schöne Nichte, in die Sie sich ver
lieben tönnten. Sie haben lange aus
sich warten lassen, aber ich wußte mit
Bestimmtheit, daß Sie früher oder
später kommen würden. Treten Sie
ein, mein Herr-, Sie sind herzlich will
iommeni"
Ich richtete meinen Blick fragend
ans seine Schwester-, und ihr Gesichts
ansdruck sagte mir: »Gehen Sie auf
seine Ideen ein." So folgte ich denn
dem alten Mann in’o Haus. Der
Hund wich nicht von meiner Seite·
»Ihr-no hat Sie schon lieb gewon
nen, er geht nicht mehr von Ihrer
Seite. Sie werden sich wohl iiber sei
nen seltsamen Namen wundern? Aber
das ist ein Geheimniß. Wollen Sie
nicht Ihren Ueberrock ablegen? Er ist
ganz naß. Mai-h, dieser Herr wird
heute mit uns speisen !"
Wieder sah ich zu der Frau hinüber.
Leise kam es von ihren Lippen: »Blei
ben Sie.« sch war da in eine merk
würdige Gesellschaft gerathen und be
zweifelte nicht mehr, daß der Alte nicht
ganz klar im Kopfe war. Neugierig
betrat ich mit meinem Nastsreund ein
behaglich eingerichteteo Empfangszims
mer«
Ein helles Feuer brannte im Kantin;
ein großer karmesinrother Lehnsessel
nnd ein zierlicher niedriger Fauteuil
waren dicht an dasselbe gerückt.
Der Alte sank sofort in den Lehn
stuhl und schien mich im nächsten Mo
ment vergessen zu haben, erst als ich
mich in den eleganten Fauteuil nieder
lassen wollte, sprang er ans und rief
laut:
»Nicht dorthin! Pier er, mein lieber «
Herrl« und dabei drli te er mich mit
einer Kraft, die ich ihm nicht zuge
muthet hätte, in seinen Lehnstuhl.
»Dieser gehört siir einen Engell"z
sagte er, aus das zierliche c«.-·JtiihlchenI
deutend. »Ihr eine Märtyrerinl Ent
schuldigen Sie meine Barschheit, aber
Niemand dars dort Platz nehmen, als
mein Engel l«
Er brachte siir sich einen anderen
Sessel herbei, wandte jedoch keinen
Blick von dem Fauteuil
.ech sehe sie ost darin sit-ens
spra rlzn sich selbst, »ich sehe ihre
wundervol en Augen, ihre Märchen
attgen, ich höre ihre Silberstimmel
Sie wird vielleicht doch noch eines
Tages da sihenl Sie muß lotnmen!«
Während er mit sich selbst Zwie
sprache hielt, sah ich mich neugierig in
dem Gemach um· Es machte sast den
Eindruck einer Musikinstrumentenhandi
lang, denn an einer Wand stand ein
Flli el, an der entge engesetzten eine
gro Zimmerorgel; äiiolinem Man
dol nen, Guitarren und sonstige Jn
strttrnente waren in allen Winkeln aus
gestellt
«Sind cie Musiker von Berus?«
wagte ich zu s.ragen
»Nein, nein « wehrte er ab. »Diese
Instrumente sind noch von Niemandem
berührt worden; sie sind sur meinen
Engel bestimmt, siir das schönste Weib
aus Erdenl»
Ich streckte meine Hand nach einer
Violine aud; er machte eine Bewe
gung, als ob er mir sie entreißen
wollte, doch überlegte ersieh d offenbar
nndlehnte sich matt in seinem Sessel
zurück.
lifMinnen Sie spielen-« fragte eri
e e.
»Oui« antwortete ich und fuhr tniti
dem Bogen über die Saiten. Sie
waren verstimmt. Nachdem ich sie ge
stimmt, spielte ich Mendelsohns »Lie
der ohne Wortc.«
Die Wirkung, welche mein Spiel
ans ten Alten ausübte, überraschte mich.
zsit-erst schien eeihtn nnsagbake Pein zu
reiten, ieine Glieder guckte-» sein
Gesicht net-zerrte sich wie unter eine-n
großen Seelenschntekz, Zchweißpcklen
traten auf seine Stirne und er wurde
lei nblaß. Nach und nachiedoch kam
wie r Farbe und Leben in seine Wan
gen, seine Au en funlelten wie Sterne,
er richtete se ne zusamtnengebrochene
Gestalt anf, iein ganzes Wesen drückte
Verzückung aus.
«Fiins Jahre, fiinf lange Jahre
Zabe ich die göttliche Musik vertnißtl
einen Ton gehört. O, wie schon, wie
erhebend das klingt und doch nicht so
seelenvoll wie von tin-. Es ist nicht ihr
weicher Strich! Singen Sie auch,
mein Den-W
Ach beiabte ·ee.
»Singen Sie etwas, tch bitte Sie
darum. Sie machen einem alten
Manne, der seit siin Jahren kein Lied
aus einer menschlichen Kehle gehört
hat, eine große Freude. Ich hatte nicht
gedacht, daß ich einer anderen and.
als der meines Engels gestatten würde,
das Klavier zu berühren. Bitte, bitte,
singen Sie etwas. »
Ich nahm vor dem Flügel Platz nnd
sang das alte, schöne itied »Annabel
Lee." Als ich schwieg, bemerkte ich,
daß mein Gastfreimd sein Gesicht mit
beiden Händen bedeckt hatte nnd still.
var sich hinweinte·
Nach einer Weile begann er mit
trostloser Stimme: ;
»Man hat mir sie entrissen und sie»
an einen Ort gebracht, der schlimmer;
ist ale das Grab! O, mein Gott. wie»
konntest Du ein so herrliches Geschöpr
erschaffen und das zugeben? Das;
schönste Weib der Erde eingeschlossen
an einem Ort, der schlimmer ist als
das Grab!"
Wie ein Blitz durchzuckte mich jetzt
der Gedanke, daß er von meinem Liebs ;
ling sprach, daß der elegante Fauteuil
vor dem stamin und die unbeniitzten
Instrumente ihrer harrten, daß der
Alte sie geliebt habe wie einst sein
Perr fie geliebt und daß er sein Ein
iedlerleben führte, seitdem das Gesetz
sie verurtheilt hatte.
»Sie fingen sehr schön,« sagte er,
eine Bewegung bemeisternd, »aber
hrer Stimme gleicht nichts! Haben
Sie schon einmal die berühmteste San
gerin der Welt fingen hören. «
»Ja, die Adeiine Patti."
»Eine Sängerin, die sich fiir Gold
gern läßt und nach dem Beifall der
enge gei3t!" meinte er verächtlich.
»Ach, Sie müßten die Sängerin horen,
die mir den Sinn berückt hat, ihre
Stimme macht lachen und weinen zu
gleich; wer sie einmal gehört hat,
wird sie nie wieder vergessen und dabei
ist sie schön wie keine! Warten Sie,
bis Sie einmal Miß Moore singen ge
hört, dann erst werden Sie wisfen,
welche Wirkung ein Lied aus uüb
vermag, und Sie werden alle rima
dannen der Welt verlachen!"
Mein Herz pochte zum Zerspringen
bei dem Gedanken, daß mir dieser alte,
halbverriickte Mann bei meinem schwie
rigen Unternehmen helfen könnte. Jch
beherrschte mich und fragte ganz unbe
fangen
,,Und wann kann ich sie hören?«
Er erbleichte.
«Stille!" slüsterte er. »VieleLso"gel
sterben in der Gefangenschaft vor
Sehnsucht nach Freiheit, andere ver
lieren ihre Stimme, sobald sie in
einen engen Käfig gesperrt werden,
wieder andere schlagen sich die Flügel
wund-— sie können Hilda ietzt nicht
singen hören, aber," dabei erhob er sich
von seinem Sit-, trat ganz dicht an
mich heran, legte seine Hände auf
meine Schultern und fliifterte mir in’o
Ohr: »Sie werden eines Tages ihre
Stimme hören und dieser Tag wird der
sein, an welchem ich alles erische von
mir werfe. Wenn sie auch nicht mehr
zu mir kommt, ihre Stimme sollen
Sie dennoch horen!"
kc—-- -—4 .- !I-—-- kn-?..-I.7I-s
UUIIUUIILIO OIL Ist-ble OLIUUJZ
fragte ich seltsam erregt.
Ein schmerzliches Zucken huschte iiber
sein Antlitz und es dauerte eine Weile,
ehe er mit zitternden Lippen antwor
teie:
»Ich weiß nicht, ob es mir noch in
diesem Leben vergönnt sein wird, sie
zu sehen, aber das weiß ich, daß ich mit
dem Klang ihrer wunderbaren Stimme
im Ohr von dieser Welt in die jen
seitige hinübergehen werde.«
Er verfiel nach diesen Worten in
ein stumpses Hinbriiten und ich hatte
Zeit, meinen Gedanken Audienz zu
ertheilen.
Ich war nunmehr iiberzeugt, daß
der fehlende Phoiiograph sich in seinem
Besitze befand, ob mir das aber auch
aus die Spur des wahren Mörders ver
helfen lonnte, war freilich eine andere
Frage. Erost hatte zu Lebzeiten seines
Gebieters wahrscheinlich seine Leiden
schaft siir dessen Seiretarin niederge
kiimpst, und, als er ihn todt sah, war
sein erster Gedanke, sich des Instru
mentes zu bemächtigen, das die
Stimme seines sdals wiederzugeben
vermochte. Aus seinen Reden ging
deutlich hervor, daß er es bislang kei
nen Ton hatte reproduziren lassen und
damit bis zu seiner Todesstunde war
ten wollte.
Wir wechselten kein Wort mehr,
bis Marh uns zum Speisen ries. Ich
versuchte es, mich damit zu entschuldi
gen, daß Herr Crost mich noch zu
wenig kenne-. Er ließ mich jedoch nicht
ausreden und sagte vorwurssvoll :
»Ich habe Sie seit Jahren erwartet
und jetzt wollen Sie nicht einmal
meine Einladung zum Speisen anneh
men? Daraus wird nichts, nennen Sie
knir Ihren Namen, ich habe ihn verges
en.«
Ich Heute mich vor.
»Lionel Tickenson,« wiederholte er
lächelnd. »Nicht wahr, Many, ich habe
Dir oft genug erzählt, daß ich Lionel
Dickenson erwarte? Und Du wolltest
mir nicht glauben, daß er kommen
werde. Jch muß vom stelle- eine
Flafchc guten Weines herausholen; seit
fünf Jahren habe ich keinen Tropfen
getrunken-«
Er eilte and dem Zimmer und ich
wandte mich an feine Schwester
»Was soll ich thun'.-«
»Bleibt-n Sie,« bat diese. »Wenn
Sie einen Funken Gefühl in Ihrem
Perzen haben, vpfern Sie einem
wergeptiiften, alten, fchwachfinnigen
S ann einen Abend. Vor fiini Jahren
schickte er nm mich-sich lebte bis dahin
m meinem kleinen Häuschen aus dem
Lande-damit ich ihm die Wirthschaft
führe. Sie haben doch sicherlich von
dem Bromleh - Halt - Mord gehört?
Mein unglückliche-r Bruder liebte die
wegen vorfätzlichen Mordes vernrt eilte
Sekretiirin seines verstorbenen ebie
terd nnd seitdem diese nach Widelands,
dem LandeeverbrechersJrrenhause, ge
bracht wurde, zog er sich von der Welt
zurück und siihrt hier ein einsames
Leben. Wenn Sie ihm den Abend
schenken können, so bleiben Sie, viel
leicht wird ihm ein neues Gesicht wie
der Interesse am Leben einfliißen."
»Wal« er immer so—fo eigenartig?«
fragte ich.
»Nein; sein Sinn hat sich dum
nebelt, seit Miß Moore des «- ordes
schuldig erklärt wurde. Wollen Sie
hier bleiben«."-"
»Seht gerne !"
seh speiste mit dem alten Mann
und seiner Schwester, aber das Gespräch
gerieth bald in’d Stockcn, denn keiner
von den Beiden wußte, was in der
Welt vorging und der Alte interesfirte
sich auch gar nicht dafür.
Da ich hungrig war, schmeckte mir
das einfache, aber gute Mahl vortreff
lich und ich beglückwünschte mich zu der
Idee, hierhergelommen zu sein. Ich
war auf der richtigen Fährte und nahm
mir vor, diese gedudlig und energisch
wie ein Jäger zu verfolgen. Während
mich diese Gedanken erfüllten, wurde
an der Gitterthüre die litingel gezo
gen. Marh sprang auf, eilte hinaus,
nnd kam bald darauf mit einer schlan
len, eleganten und schönen Dame u
rück, die sie mir als Frau Towlinson
vorstellte.
Die Genannte verneigte sich tadel
los, schien 1edoch durch meinen Anblick
überrascht. Sie trat sofort auf den
Alten zu, legte ihre beiden weißen
Hände auf seine Schultern und sagte
»Heute bin ich zufrieden mit Ihnen,
Steve; jetzt ist das Eis gebrochen und
Sie haben einen Freund zu Tisch ge
beten. Zch hoffe, daß dies in Zukunft
jeden Abend geschehen wird und daß
Sie bald wieder der Alte sein werden!"
Jhre Stimme und ihr Wesen waren
bestrickend, während sie sprach.
»Nein, nein, Julia," entgegnete
er, ihre Hand streichelnd, »ich mag von
der Welt nichts mehr wissen, sie ist
falschl Diesen Herrn habe ich seit
fünf Jahren crwartet.«
»Fiinf Jahres-» rief sie und sah mich
dabei verständnißvoll lächelnd an. »Das
ist eine lange Zeit! Ei, Herr Dicken
son, welche Entschuldigung sonnen Sie
dafiir angeben, meinen Freund so lange
warten gelassen zu haben·.-«
»Die beste von der Welt: Ich wußte
nicht, das; er mich erwartete, sonst wäre
ich schon längst gelommen."
Sie war wirklich ein reisender
Weib, und ich machte meinem Lieblin
im Stillen Vorwürfe, sie berichte -
lichen That verdächtigt zu haben. Nein,
MrtL Towlinson würde unter keinen
Um tänden einen Mord begehen, dazu
mli te man aus anderem Stoff gemacht
lein. Diese schlankem weißen Hände
waren nicht mit Blut befleckt!
«Wisien Sie, Juliu, ich dachte mir
immer, ein Unfall wiirde ihn Unter
mein Dach bringen," begann jetzt der
Alte und schien ärgerlich, daß dies nicht
der Fall gewesen. »Er hat mir vorhin
ein Lied gesungen
Sie verfiirbte sich ein wenig und
blickte besorgt auf ihren Freund:
»War ers klug von Ihnen, Musik zu
hören?" fragte sie vorwurssvoll und
streichelte dabei seine Schulter-. »Hm
Sie das nicht noch trauriger gestimmt,
Siebel-»
»Nein," entgegnete er leise. »Es
war wie ein Klang aus der Vergangen
heit, aber nicht so iiisz; nichts auf der
Welt kann so süß fein wie ihre
Stimme. Fetzen Sie sich, Julia, und
essen Sie mit una. Es ist eine kalte
Nacht und Sie hätten heute nicht kom
men sollen-·
Sie nahm ihren Hut ab, wars ihn
aus den nachsten Stuhl, strich sich mit
der Hand iiber ihr volles Haar und
rückte dantfan den Tisch heran.
»Die Nacht hatte noch viel kalter
und stürmiicher sein müssen, um mich
daran zu verhindern, Sie heute zu be
suchen. Wissen Sie, was flir ein Tag
heute ist, Sterns-«
,,Nein,« entgegnete er barsch. »Für
mich find ietzt alle Tage gleich. Nur
wenn der Wind manchma den Klang
des Glockenspiels zu uns herübertreibt,
weisz ich, daß ein ag ist, den die Leute
Sabbath nennen. Ich verftopfe mir
dann in der Regel die Ohren, damit
ich das Geläute nicht höre. Wozu ist
der Sabbath gut? Es kann ja leinen
Gott geben, sonst hätte er nicht zulaf
ien können, das; mein Engel von der»
Welt abgeschlossen werde-C i
»Sllll, still, Siche! Es gibt eitlen j
Gott, und er ist sehr gut und gerecht! J
Sie sollten sich nicht die Ohren ver-i
stopfen, wenn Sie die Glocken hören, s
die zu seinem Lade ertönen. Soll ichs
Ihnen sagen, nselcher Tag heute ist?
Ihr (s)ebnrtetag!« So suchte sie ihni
von seinen diisteren Gedanken abzuleu
ken.
»Ein schrecklichen ein unglücklicher
Tagl» jammerte er. !
»Nein, nein, ein glücklichek!" rief
sie voll Erbamien. Sie sah in diesem
Augenblick niie einSinnbild der Weib- s
lichkelt ane. »Das Eis ist heute gebro- »
chen und Sie haben sich endlich ents!
schlossen, einen Jhres Geschlechtes zu
empfangen. Sie sollen sehen, wie bald
Sie wieder Freude am Leben finden
werden! Ich habe Ihnen ein Geschenk
mitgebracht, Stene.«
»Das txt sehr freundlich von Ihnen,
Juliu- a er Geschenke können mich
nicht mehr erfreuen. Wissen Sie,
welche Gedanken mich heute beschäftig
ten?«
»Wie soll ich das?"
»Ich habe mir gesagt, daß ich sie
hätte retten können. Neulich las ich
eine tsieschiihte und in dieser beging
die Heldin irgend ein Verbrechen,
wenigstens wurde sie dessen beschnldigt.
Ein Jüngling, der sie liebte, nahm
alle Schuld auf sich, stellte sich dem
Gericht nnd biißte die Strafe für sie.
Weshalb habe ich das nicht gethan? Jn
dem Buche endet Alles sehr gut, die
Unschuld beider kommt an den Tag nnd
der Veritrtheilte heirathet das Mäd
chen. Jemand anders hatte das Ver
brechen veritlit, Jemand, an den Nie
mand gedacht. Warum habe ich mich
nicht siir Mis; Moore geopfert?"
»Das hiitte nichts geniitzt," sagte sie
traurig. »Die einzige Möglichkeit, ihr
Leben zu retten, war, sie siir anzurech
tunggfähig zu erklären. Doch hier ist
mein Geburtstagsgeschenh Steve."
Sie reichte ihm ein winziges Pack
chen. Er streifte das Papier ab, jede
Farbe wich aus seinem Gesicht, dann
driickte er seine Lippen auf den kleinen
Gegenstand in feiner Fand
»Mein LieblingN liisterte er zärt
lich. »Mein Liebling! Julia, Sie
brechen mein Herz mit dieser Gabe-.
O, mein Engel, mein armer, geopfer
ter Engel, was können wir fiir Dich
thunI-"
Er legte ein kleines, vorzüglich aus
geführteo Miniaturbild Mis; Moore’s
auf den Tisch, neigte sich darüber und
küßte es wiederholt. Mir kochte das
Blut bei diesem Anblick und ich mußte
meine Selbstbeherrschung ausbieten,
um mich nicht zu verrathen.
»Ich werde den ganken Prozeß noch
einmal studiren, ich muss auf den wirk
lichen Thäter tommen," fuhr der Alte
klagend fort. »Ich und mein Herr,
wir Beide waren in Sie verliebt,
Julia, ehe der Engel zu uns karn. Er
ätte Sie auch sicherlich zu seinem
eibe gemacht; er sagte ed mir an
demselben Tage, an welchem .« ilda bei
ans einzug. Als er jedoch die e kennen
lernte, dachte er nicht mehr daran, Sie
zu heirathen. Hätte Hilda nicht Ihren
Lebendwcg gekreuzi, vieles wäre anders
geworden. Oft wunderte ich mich dar
über, daß Sie so gar nicht eisersiichtig
waren, Julia!"
»Nein, ich war es wirklich nicht,»
entgegnete sie mit treuherzigemLächelm
»denn ich liebte das Mädchen vom ersten
Augenblick, wie jeder, der es kannte,
es lieben niuszte!«
) »Herr Gret) hiitte Sie zu seiner Uni
versalerbin gemacht," fuhr er, seinen
Gedanken weiterspinnend, fort, ,.er
sagte es mir selbst."
» Jch bin keine Mammonsanbeterim «
entgegnete sie in dem weichen, rnit
leidigen Tone, den sie anschlug, wenn
sie mit dem Altensprach »Siewissen,
Steue, daß ich bei Lebzeiten unseres
braven Herrn mehr Geld hatte, als ich
verbrauchen konnte. Sie tniissen die
Mörderin schon in jemand Andereni
suchen als in mir!« .
Ich nruttte dte Sanftmuth und Ge
duld dieser Frau bewundern; jede An
»dere an ihrer Stelle wäre zum Minde
lsten ärgerlich geworden über die nicht
’mißzuverstel)enden Anspielungen des
Alten« Freilich war ee ein Halbver
rückter, der den Verdacht aussprach, aber
kränkend blieb dieser dennoch.
»Jn Jhtten?" wiederholte er ganz
verwirrt. »Was fällt Ihnen ein,
Julia, Sie habe ich keinen Augenblick
verdachtigtt Frauen sind manchmal
eifersitchtig und lieben den Reichtl)um."
»Mehr gesprochen, alter Freund;
studiren Sie nur den Prozeß recht,
recht aufmerksam und wenn Sie etwas
entdecken, was zur Befreiung des armen
Mädchens fuhren kannte, werden Sie
mich zu einem gliictlicheren Weibe
machen als ich ed heute bin!"
Sie stürzte ihr schdngeformtes Haupt
mit der Hand und versank in tiefe
Gedanken. Ihr Gesicht verwandelte
sich ganz merkwürdig, es sah kummer
voll, alt und fast häßlich aus. Tiefe
Linien zogen sich um die Augen und
Lippen, ja selbst ihre Gestalt schien in
sich zusaunuenzusinten. Ich machte
heute zum zweiten Mal dem Mädchen,
das ich über Alles liebte, Vorwürfe,
diese Frau angetlagt zu haben. So
sah das bosc Gewissen nicht aud!
Mein Verdacht gegen Croft nahm
immer mehr zu. Meiner Ansicht nach
hatte Dieser den Mord aus Eifersucht
begangen, den Verdacht mit der den
Geistes-kranken eigenen Verstellungss
kunst von sich sern zuhalten gewußt
und heuchelte heute Bedauern, die
Schuld nicht aus sich genommen zu
haben.
Frau Towlinsan saszte sich bald, die
Sorgensalten verschwanden ebenso
rasch wie sie gekommen aus ihrem Ge
sicht, die Schnnheit——und sie besaß
eine merkwürdig sesselnde Schönheit
—gewann wieder die Oberhand.
»Unser ganzes, langes Gespräch ist
siir Sie wohl ,griechiseh?’" wandte
sie sich lächelnd an mich.
»Sie haben, wie ich ans demselben
entnommen, von einein geheiinniszvols
len Mord gesprochen. Es ist merkwür
dig, das; solch’ grusclige Themata die
meisten Menschen zu imeressiren ver
niögen!«
Sie siihrte ihr Weinglav zum Munde
nnd leerte eö schliirfend.
»Es handelt sich um den sensationel
len BromletyHall-Mord, der uns sehr
nahe geht nnd der Ihnen sicherlich
auch zur Genüge bekannt ist.«
Ich verneinte dies, was sie sehr zu
iiberraschen schien.
»Wer ungefähr fünf Jahren sprach
man monatelana in aanz England von
.nichts Anderem Die osfentltche Mer- l
nung hielt das Urtheil der Jury flir
ungerecht und achtbare Männer der
besten Gesellschaftokreise boten der
Angeklagten, die, wie auch ich überzeugt
bin, ungerechter Weise verurtheilt
wurde, Her-, und Hand zum ewigen
Bunde an."
»Vor fiins Jahren befand ich mich
in lDeutschland und deshalb mag mir
der Prozeß entgangen sein. Würde es
Sie zu sehr ausregen, wenn Sie mir
davon erzählten?" fragte ich mit er
heuchelter Zagl)aftigkeit.
Sie warf einen fragenden Blick auf
den Alten
»Erzählen O sie ihm, ;ulia, er soll
wissen, wie es die ganze Welt wissen
sollte, welche Ijkärtyrerin mein Engel
if.»
Frau Towlinson ertziilsltc mir die
ganze Geschichte genau so wie ich sie
in den Akten gelesen.
I Während sie von dem fehlenden
Phonographen sprach, beobachtete ich
den alten Mann und bemerkte, daß er
wie ein Espenlaub zitterte.
»Wenn Sie sich an jenem verhäng
nißvollen Morgen nicht oerspätet hät
ten, würden Sie Herrn Grey vielleicht
noch lebend gefunden haben,« sagte ich,
als sie geendet.
»O, nein; wenn dein so wäre, würde
ich mir Zeitlebens Vorwürfe machen.
Die Aerzte ionstatirten, daß er s on
viele Stunden todt gewesen sein mü fe,
als ich ihn sand."
»Und Sie glauben, daß die unglück
liche junge Dame unschuldig ist?"
»Ich glaube es nicht, ich weiß es
bestimmt! Unser Freund hier hat
Recht, sie ist eine Märtyrerin," ent
egnete sie mit tiefem Ernst. ,,Doch
Ietzt mus; ich heim, Siebe-«
Ich erhob mich ebenfalls und fragte,
ob ich sie begleiten dürfe.
»Wenn es Ihnen nicht zu weit ist,"
meinte sie lächelnd. »Ich wohne am
Siußell Square."
Als ich bemerkte, daß auch ich in
jener Gegend wohne, nahm sie meine
Begleitung an. Wenn ich ein wenig
eitel wäre, wiirde ich sagen, daß Frau
Towlinson Gefallen an mir gefunden.
Wir verabschiedeten uns von Crost
und seiner Schwester und mußten bei
den versprechen, bald wieder-zukommen
Meine Hand drückend, flüsterte mir der
Alte in’s Ohr:
»Eines Tages, ich hoffe, es wird
nicht mehr lange dauern, werden Sie
die schönste Ztinime der Welt hören."
Der Schnee fiel noch immer dicht,
als wir aus dein Hause traten, und lag
fußhoch in blendender Weiße auf der
Erde. Ich reichte Frau Towlinson Inei
nen Arm und sie nahm ihn dankend an.
Auf dem Wege erzählte ich ihr, wie
ich in Crofts Haus gekommen.
»Sieh in einer solchen Nacht zu ver
irren, und dann noch einem Geistes
lranken tsiesellschaft leisten zu müssen,
ist mehr als schwache Nerven vertragen
konneni Aber nicht wahr, Sie werden
ihn gelegentlich wieder besuchen? Der
Aerniste ist sehr zu bedauern !«
»Nicht so sehr wie das arme Mäd
chen!" sagte ich und ich selbst wunderte
mich über die Wärme meines Tone-T
Sie sah mich prüfend an.
»Ich glaube, wir sind alle drei zu
bedauern-»der Eine mehr, der Andere
minder; der Eine leidet offen, der
Andere in tiefstem Herzen. Bedenken
Sie doch, daß der Kummer den armen
Crost um seinen Verstand gebracht
hat.«
»War er früher nie geisteskrank?"
fragte ich heute schon zum zweiten
Male.
,,Nein!« lautete die Antwort. »Nur
der Gram und die Einsamkeit haben
ihn verrückt gemacht. «
»Liebte er das MadchenP"
,.Ja!«
Ich fand es nicht gerathen, noch län
ger bei dem Gegenstand zu verweilen,
und begann von anderen Dingen zu
plaudern. Wir legten den Rest des
Weges in angeregter Stimmung zurück.
Als ich mich vor ihrer Thüre empfahl,
reichte sie mir die Hand und lud mich
ein, sie auch einmal zu besuchen.
»Hier nnd da thut einem jungen
Manne ein Plauderstitndchen mit einer
reiferen Frau sehr gut. So oft Sie
sich einsam fiihlen, Ihrer Vergniigun
gen nnd Freunde iiberdriissig sind,
besuchen Sie mich. «
Ich versprach es und verließ sie mit
einem warmen Händedruck Ich war
wohl meinem Ziel um keinen Schritt
näher geriickt, freute mich aber doch mit
dem Erfolg des heutigen Tages. Die
Abschiedeworte Erostcz klangen in mei
:nen Ohren fort.
Eines Tages werden Sie die
» schönste Stimme der Welt hören!»
7. Kapitel.
Zu jener Zeit ging es in meiner
Kanzlei noch jctns stitl zu. Mein Schrei
ber konnte stundenlang damit zubrin
gen, das Zchrciljpult tnitseinem Feder
ntesscr 3n ;c1·sclwitzcln. Hätte ich nicht
Privatocnnogen besessen, so wäre ich
danmlis nicht in det Lage gewesen, so
.viel Zeit auf die Eifotschung des ge
hcininiswoltcn Wien schen Moich zu
verwenden; so aber dnistc ich mir das
’crlanbcn
i Nach riiflichcr Ueberlcgnng und
nochmaligein Studium der Akten be
schloß ich, auch dem smnptvertheidigcr
Mist Moorch nicincn Besuch abzustat
ten. Er hatte während dieses merkwür
digen Prozesscs alle Zeugen wiederholt
personlich vernonnnnn was er sonst den
jüngeren Mitvcrtheidigcrn überließ.
Ich wußte-, wie kostbar die Zeit des
berühmten Advokaten war, wie selten
er auch nur streuwerböre mit den be
daraus, daß er für diese Klientin eins
mehr als gewöhnliches Interesse gebebt
haben mußte-. Ich bat ihn schrifti ,
mich am folgenden Morgen um ha b
neun Uhr empfangen zu wollen.
Zur anberaumtcn Stunde begab ich
mich in seine Wohnung Ich hatte das
Tagebuch zu mir gesteckt, um es Mr.
Huzzle mit der eingeklebten Eintragung
zur Ansicht zu unter-breiten
Ein Weib, das getreue Ebenbild
meiner eigenen Aufwärterim sehr alt,
sehr kurzatlfmig, aber sehr sauber und
hoflich, öffnete auf mein Klopfen die
Hausthüre
»Sind Sie Herr Dickenson?" fragte
sie mit einem Knir.
Ich bejahte.
»Dann bitte ich, einzutreten. Herr
Huzzle wird sofort erscheinen."
Wir durchschritten einen langen
Gang, dann ein großes Bibliothets
A
lasfenden Zeugen anstellte und folgerte " ’ «
« e
simmer und gelangten in ein geräu
miges, mit auserlesenem Geschmack
eingetichtetes Speisezimmer, das eine
prächtige Aussichtan den TemplesPark
und das Themseufer bot. Der Tisch
war fiir zwei Personen zierlich gedeckt.
Jch trat an’s Fenster und versank in
den herrlichen Anblick. Als ich mich
endlich umwandte, hatte Herr Huzzle
bereits geräuschlos das Zimmer be
treten.
»Guten Morgen, Herr Dickensonl
Sie sind pünktlich, das gefällt mir,"
sagte er, mir freundlich die Hand
reichend. Er war ein Mann in den
besten Jahren; seine vollen, runden
Wangen strotzten von Gesundheit und
die Augen blickten fragend, wie die
eines Kindes, in die Welt· Der Bau
der Nase und Stirne bekundete den be
deutenden Menschen. »Nicht wahr, eine
herrliche Aussicht von diesen Fenstern
aus? Aber Sie müssen mich einmal
im Hochfommer besuchen, da ist sie noch
viel malerischer und imposanter. Doch
jetzt bitte ich, Platz u nehmen, und
mit mir zu frühstii en. Ariel wird
sofort erscheinen.«
Ich wandte ein, daß ich bereits ge
friihstiickt hätte.
»Das thut nichts, ein Mensch wie
Sie verträgt auch ein zweites Frühstück.
Ariel ist eine Meisterin im Rosten der
Hammelnieren ! «
Er berührte eine silberne Tisch
glocke und Ariel, das alte Weib, brachte
keuchend ein großes Tablette herein,
auf dem melfrereszitgedeckte Schüsseln
und eine große Kasseekanne standen.
Die gerofteten Nieren waren in der
That vorzüglich, wie Alles, was ausge
tischt wurde-. Wir plauderten während
des Essens iiber Dinge von allgemei
nem Interesse
(Foi·tsetzung solgt.) l
Babv war krank, wir gaben ihr Gast-ritt
Iis sie ein Kind war, tief sie nach Castorisz
Sie wurde ein Fräulein, und hielt zu Castor-M,
Uls sie Kinder hatte, gab sie ihnen ccfivriw
EV. 11. ’l’lt()mps()n.
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