Grand Island Anzeiger. (Grand Island, Nebraska) 1889-1893, April 08, 1892, Image 7

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    Die Grundmühle.
Ltiminalroman v. Friedrich Inkobsen
»Von seiten des Mädchens allerdings
nicht. Aber Anhalten thut Kriegsn.
Nun wird er beiseite geschafft-«
»Das ist ein Zusall.«
»Pah! Der Alte ist gut mit dem
Obersörster bekannt, da wird so ’was
gemacht.«
»Alle der Alte will auch nicht ?«
»Der erst recht nicht. Das Mädel
würde am Ende schon mürb-, der Sel
ling ist ja ein hübscher Kerl, aber der
Alte hat vor dem Schwiegersohne ein
wahres Grausen.«
Jetzt mischte sich der junge Gutsbe
sitzer in’s Gespräch.
»Ich kann’ø dem Vater nicht ver
denken; Selling hat etwas in seinem
Wesen ——- na, ich will nichts sagen.
Erweisz doch, wie schlecht seine Aus:
sichten stehen, und dennoch läuft er Tag
siir Tag nach Rosenhain hinüber und
streicht um das Dorf wie der Fuchs unt
den Bau.«
»Er will das Mädchen eben auch tei
snem andern gönnen und ist so eifersiich
tig wie ein Türke.«
Rosenhanii
Zutkt zweitenmale an diesen Vormit
tage horchte der Amtsrichter in seiner
Fensternische aus, aber er hütete sich,
durch irgend eine Bewegung sein Jn
teresse an dem Gei räch zu verrathen.
Der Gntsbesiher nhr fort:
»Noch vor einigen Tagen begegnete ich
ihm aus dem Wege dorthin, oder viel
mehr begegnet bin ich ihm eigentlich
nicht, sondern er ging on mir vorüber.«
»Sie hatten doch nichts aus dem Hierb
holz, Herr Wagner?« fragte der Wirth
mit schlauem Angenzwinkern.
»Das just nicht; aber ich brachte mein
Gewehr in die Stadt zum Büchjemna
cher, und in einem königlichen Forst be
gegnet man nicht gerne mit dem Gewehr
in der Hand einem Reviersörster. Es
war just am Ausgang des Holges, wo
der Weg aus die Heide mündet und dann
links nach Rosenhain und rechts nach
Schönborn führt, da hörte ich jemand
mir entgegenkommen. Jch trat hinter
einen Baum und ließ die Person
boriiberz es war der Selling, ich habe
ihn deutlich an den Silberbeschlägen sei
ner Büchie erkannt, denn es ging schon
aus den Abend«
»Und da machte er wirklich nach Ilio
senhain hiniiber?«
»Vermnthlich; was wollte er sonst in
der Ecke; sein Revier erstreckt sich nicht
so weit. Uebrigens habe ich mich nicht
weiter um ihn bekümmert, es geht mich
ja nichts an.«
»Wann war dass-« fragte Bäcker
meister Schulze.
»Warten Sie ’mal. Heute haben
wir Montag, also süns Tage zurück -
richtig, am verflossenen Mitwoch ist es
gewesen, Abends se zwischen sieben und
acht Uhr.«
»Dann kann es Selling nicht gewesen
sein,« entschied Meister Schulze.
»Sie sagten doch, Herr Wagner, dasz
Sie das Blitzen der Silberbeschliige
am Kolben seiner Biichse gesehen hät
ten?«
»So deusich wie ich Sie sehe, Mei:·
ster Schulze.«
»Na, nud am folgenden Tage, also
am Donnerstag, war Selling ja bei mir
und sagte, man habe ihm am Nachmit
tag zuvorseine Büchse mit dem Silber
beschlag gestohlen. Sie wissen ja doch,
das hängt mit der Mordgejchichte in
der Grundmiihle zusammen. Am Ende
ist es gar der Klaus Merten gewesen,
den Sie gesehen haben, Herr Wagner,
denn der hat die Büchse ja doch ge
stohlen.«
Aber der Gutsbesitzer schüttelte den
Kopf.
.
»Es ist Selling gewesen, das kann ich
beschwören. Er trug ja die grüne Uni
sortn, und sein schwarzer Bart ist auch
nicht zu verleniien.«
»Na, Kinder,« meinte der Wirth,
»streitet euch nicht darum. Es ist ja
lchließlich einerlei, ob’s der Selling war
oder nicht; ich habe eben srisch ange
stochen.«
Anitsrichter Stein kam in einer selt
samen Stimmung vom Frühschoppen
heim.
Er hatte im Laufe einer halben
Stunde mancherlei erlebt, wag ihm zu
denken gab, was ihn bedenklich machte
und ihm schließlich das Blut siedend
heiß zum Herzen trieb.
Da war zunächst das sonderbare Be
nehmen Sellingo.
Daß der Neviersiirster offenbar einen
Widerwillen vor dem Betrachten der
Büchsenkugel an den Tag gelegt hatte-,
erschien uicht gar so sehr auffällig.
Es giebt viele kräftige Männer, die
nicht ohne Schaudern einen Gegenstand
betrachten oder berühren können, welcher
als Werkzeug eines Verbrecheno gedient
hat; warum sollte Selling nicht auch zu
siillåg zu diesen zählen?
uffiilliger schon war es, dass der
Reviersörster am Donnerstag Vormittag
kurz bevor er nuss Amt ging, dein
Bäckermeister Schulze mitgetheilt haben
sollte,daß Klaus Merten sich in der
Gegend befinde, während er hiervon
aus dem Amtsgeriehte nichts wissen
wollte; allein Schutze konnte sich auch
eirrt haben, vielleicht hatte jenes Ge
spräch mischen ihm und Selling doch
später stattgefunden
Nun aber kam ein höchst- wichtiger
nnkt.
Sellin hatte mi- Bestimmtheit be
hauptet, aß die mit Silber beschlagene
s se ihm am verflossenen Mittwoch
its ittags oder gegen Abend ans der
Wohnung gestohlen worden sei; diese
lBüchse war auch in der Heidebuche ans
Igesnnden worden, und dennoch« wollte
lder Gutsbesitzer Wagner den Revier
sförster Mittwoch Abend zwischen sieben
»und acht Uhr im Besitz eben dieser
sBüchse gesehen haben.
Hier waren nur drei Möglichkeiten
)vorhanden; entweder hatte Wagner sich
Iin derPerson oder im Aussehen der
fBüchse geirrt, oder Selling besaß noch.
»eine dritte Büchse, oder —- s—— er hatte
fgelogem
Die zweite Möglichkeit wies der Rich
ter sofort von der Hand; bei der Be
sichtigung der Wohnung des Revierför
sters hatte er eine zweite Büchse nichts
bemerkt, und Selling selbst hatte z s
Protokoll gegeben, daß er nur zweis
Büchsen besitze, in dieser Beziehung»
konnte er keine Unwahrheit riskiren, dal
ihm dieselbe zu leicht hätte nachgewiesen
werden können. ll
Warum a o te er denn überhaupt
lügen? W
Stein sah keinen vernünftigen Grund
hierzu ein; und so blieb er denn bei der!
unsicher-en und unwahrscheinlichen Lin-s
nahme stehen, daß Wagner sich ebenso
gut geirrt habe, wie Schulze sich geirrts
baben sinnte——es gab am Ende viele
grüne Röcke und schwarze Bärte, und»
vom Erkennen der Gesichtsziige hatte
jener ja gar nicht geredet.
Der Amtsrichter ertappte sich hier bei
dem Bestreben, den Untersuchungsrich
ter möglichst schnell abzuftreifen, um mit
desto größerem Eifer den Liebhaber,
und zwar einen eifersüchtigen Liebhaber,
spielen zu können.
Was wollte Selling in Nosenhain?
Er stellte dort einem Mädchen nach:
dieses Mädchen hatte einen Vater-, wel
chen man« als »Der Alte« bezeichnete,
und dieser Vater hatte einflußreiche Ve
kanntschaft mit dem Oberförster und
wollte Selling nicht als Schwiegersohn.
Es bedurfte keines bedeutenden Aus
waiids von Scharssinn, um zu errathen,
daß nur Pfarrer Bode und dessen Toch
ter gemeint sein konnten.
Jeder Bauer hätte es sich wohl zur
Ehre angerechnet, einen königlichen Re
vieriöster als Schwiegersohn zu erhal
ten; außer dem Pfarrer aber befand
sich kein gebildeter Mann ini Dorfe·
Einmal auf dieser Fährte, glaubte
Stein auch Aufklärung über andere
Punkte zu erhalten, welche ihm bis jetzt
dunkel und auffällig gewesen waren.
»Er gönnt sie keinem Anderen,«
hatte einer der Gäste am Stammtisch
gemeint.
Es war nicht nnwahrscheinlich, daß
ein zwecklofer Neid dem Charakter des
Revierfiirsters entsprach; der Mann
sah so finster nnd verschlossen aus, als
gönne er keiner Menschenseele etwas
Gutes.
So erschien es wenigstens dem Amts
richter jetzt, nachdem sein Verdacht ein
mal rege geworden war; früher wäre
er kaum anf diese Beobachtung ver
fallen.
Unter diesen Voraussetzungen war
die Scheu des Pfarrers vor einer Ver
öffentlichung der Verlobung erklärlich;
Selling verlies; ja am ersten Oktober
die Gegend, warum sollten um dieser
kurze-u Frist willen noch peinliche Er
örterungen hervorgeruer werden ?
Freilich, so schlimm war die Sache
wohl nicht, dasz ihretwegen eine form
liche Maskerade aufgeführt wurde, aber
das lag einmal in dem sonderbaren und
iibertrieben ängstlichen Charakter des
Pfarrers Bode, diesem Umstand brauchte
nicht weiter nachgegrlibelt zu werden.
Um in allen diesen Dingen volle
Klarheit zu erhalten, schrieb Stein ei
nen Brief an seine Braut
Er gab seiner Sehnsucht Ausdruck,
erwähnte die dringende Nothwendigi
keit, allerlei wichtige Sachen zu bere
den, und bat schließlich um eine Zusam
menkunft.
An diesem Punkte angelangt, legte
er seine Feder hin uad sann nach.
Der Pfarrer durfte natiirlich von
diesem Zusammentreffen nichts ersah
ren, er hätte dasselbe in seiner bekann
ten angftlichen Weise hintertrieben.
Es mußte also ein Ort »außerhalb
des Dorfes und doch nahe genug bei
demselben gefunden werden, um Annae
Abwesenheit nicht auffällig erscheinen zu
lassen.
Zu diesem Behufe erschienen die
Schwedensteine bei der Schönhecke am
angemessensten.
Die Schönheeke war ein kleines, aus
höchstens hundert alten Kiefern beste
hendes Gehölz am Saume der zwischen
Schönborn und Nosenhain befindlichen
seide; es lag auf einer kleinen Erhö
iing kaunieine Viertelstunde von No
senhain entfernt und bot nach allen
Seiten hinreichende Gelegenheit zur
Rundschau. Wer aber selbst nicht ge
sehen werden wollte, der brauchte sich
nur in den Schuh der sogenannten
Schwedenfteine zu begeben. Dies waren
etwa ein Dutzend größere und kleinere
Felsblöeke, welche mitten im Hölzchen
auf der Spitze des Hügels im Kreise
lagerten und einer kleinen Anzahl Per
sonen hinreichenden Schutz gewährten
Wahrscheinlich hatte sich dort in alten
Zeiten ein Schöppenstuhl befunden-—
Der Amterichter kannte den Platz,
sein zukünftiger Schwiegervater hatte
ihm denselben gezeigt, als beide an
jenem Morgen nach der Mord-acht das
Dorf verlie .—
Ellso morgen Nachmittag um fiinf
Uhr bei den Schwedensteinen in der
Schönheclr. s .
Stein sandte den Brief durch einen
zuverlässigen Boten nach Rosenhaln
und hatte an demselben Abend eine zu
sagende Antwort
Or hätte gerne eine frühere Stunde
bestimmt, aber seine Geschäfte ließen
es nicht zu, und die Entfernung betrug
über zwei Stunden.
Am Nachmittag des folgenden Tages
verließ der Amterichter gegen drei Uhr
die Stadt.
Das Wetter hätte für eine Zusam
menlunft mit der Geliebten im Freien
günstiger sein können; es wehte ein
kalter, feuchter Wind und trieb schwere
Wollen über den Himmel; aber wenig
stens fiel kein Regen.
Stein wickelte sich fest in feinen
Herbstmantel und schritt munter aug,
die Hoffnung auf einen baldigen Kuß
von frischen, warmen Lippen wärmte
sein Blut und trieb ihn rasch vorwärts-.
Um den Weg machte er sich keine
Sorge; wenn er sich gerade in nord
westlicher Richtung hielt, dann konnte er
selbst im Walde schwerlich irre gehen,
und der Wald nahm ihn bald aus.
Da raschelte es im Gebüsch, und ein
Mann trat auf den Pfad. Es war
Selling.
Der Amtsrichter wäre heute jedem
anderen lieber begegnet als gerade die
sem Manne; er wollte auch mit einem
raschen Gruß vorübergehen, aber der
Revierförster gesellte sich zu ihm und
ging, ein gleichgiltiges Gespräch begin
nend, nebenher.
Schon dieser Umstand erschien dem
Richter auffällig. Selling hatte bisher
in geflissentlicher Weise das Bewußtsein
seiner geringeren Stellung bitont, er
hatte sich niemals gesellschaftlich heran
gedrängt, sondern im Gegentheil eine
übertriebene Bescheidenheit an den Tag
gelegt, und jetzt geberdete er sich plötzlich
wie ein alter Bekannter und schien die
einsilbigen Antworten seines Begleiters
gar nicht in ihrer ablehnenden Bedeu
tung zu verstehen.
Noch auffälliger aber war sein son
stiges Gebahren und Aussehen. Konnte
man ihn sonst schon blaß nennen, so
war er heute erdfahl; war er sonst
wortkarg und ruhig, so schwatzte er
heute allerlei unklares Zeug und gerieth
dabei häufig in solchen Eifer, daß er
ein paarmal stehen blieb und an dem
Riemen seines Gewehr-es riß; dann
aber lies- er wieder jedesmal sofort die
Hand sitilen und wandte den Kopf zur
Seite.
War der Mann betrunken?
Endlich erreichten sie den Saum des
»Waldes, wo sich der Fußpfad trennte,
zum rechts über die Heide nach Schön
Iborn, links ebenfalls über die Heide nach
Rosenhain zu führen.
Selling war bis hierher niitgegangen,
ohne einen Grund anzugeben, ohne nur
zu sagen, wohin er denn eigentlich
wolle.
Nun blieb er stehen, blickte dem
Amtsrichter scharf in das Gesicht und
sagte langsamer.
»Sie wollen gewiß nach Schönborn
zu Ihrem Freunde, dem Herrn Pfarrer
Harima-in; da hätten Sie einen näheren
Weg gehabt-«
Er hatte bei diesen Worten seine
Biichse von der Schulter genommen und
stützte sich auf den Laus
Dem Amtsrichter stieg langsam das
Blut zu Kopf; erst belästigte ihn dieser
Mensch, den er seit gestern unaussteh
lich sand, und setzt wollte derselbe ihn
auch noch ausforschen.
Er hatte ein fcharfes Wort auf der
Zunge, und Selling nahm langsam sein
Gewehr unter den Atm; da überkam
den Richter plötzlich ein sonderbarer, fast
unheimlicher Gedanke.
Es war it,in, als suche Selling eine
Veranlassung zum Streit herbeizufüh
ren; das Lacheln, welches jetzt aus sei
nen Lippen lag, war gar zu höhnisch
und herausfordernd. Und der Mann
stand ihm, dein Wassenlosen, mit der
geladenen Büchse gegenüber!
Das war ja eigentlich ein wahnsin
nigertiiedanle, dessen Stein sich bei
ruhigerer Ueberlegung geschämt haben
würde; aber gerade in diesem seltsamen
Augenblick vermochte er ein gewisses
Gefühl des Unbehagens nicht zu be
meistern Er wandte sich daher ohne
Entgegnung ab, grüßte flüchtig nnd
entfernte sich nach rechts zu über die
Heide.
Er wußte, daß nach etwa fünf Mi
nuten ein Hohlweg kommen mußte, auf
welchem er ungesehen die entgegenge
sehte Richtung einschlagen, und, wenn
auch etwas verspätet, die Schweden
steine in der Schönhecke erreichen
konnte.
Mehr als einmal regte sich iu thn
Hder Wunsch,,den Kopf zuriickziuoenden,
sum festzustellen, ob Selling noch immer
saus demselben Platze stehe; er hatte das
bestimmte Gefühl, daß deni so sein
müsse-, und dass jener auch seine Viichse
Hin derselben unschliissigeu, halb nach
lässigen, halb drohenden Stellung hatte,
’aber er bezwang tapfer diese sonderbare
Neigung und erreichte in wenigen Mi
nuten den schiitzenden Hohlweg.
Als er von dort aus, hinter einem
Busch versteckt, hervorlngte, war Sel
ling verschwunden.
Zwischen den grauen Steinen des
alten Gerichtggebäudes sasz Anna Bode
und lugte ins Land.
Die Sehnsucht nach dem Geliebten,
die Ungeduld, zu erfahren, welche Dinge
er mit ihr bereden wollte, hatten sie
nicht ruhen lassen; nur noch eine Woche
brauchte ins Land zu gehen, dannkonnte
zer frei und offen mit ihr verkehren-—
-was mochte ihn bewogen haben, auf
Jdiese geheimniszvolle und romantische
Zusammenlunst zu drin en?
Da sah ihr scharses uge einen Mann
am Waldeösaum entlang schreiten; un
willkürlich hüllte sie sich fester in ihren
ranen Mantel nnd duckte sich hinter die
schühenden gleichsarbigen Granitblbckq
da51war nicht der sehnsüchtig Erwar
tete -
Aber«dann flog sie wieder mit einem
leichten Schrei empor, hinter ihr knackten
dürre Aeste, und gleich darauf fühlte
sie sich von starken, treuen Armen um
»schlungen.
I »Wie hast Du mich erschreckt !« sagte
sie tiesaufathmend nach der ersten Be
griißung, »ich hatte Dich von jener
Seite nicht erwartet. Und dannglaubte
ich schon, daß Du überhaupt nicht lum
men würdest.«
s
i
»Eine unliebsame Begegnung hat
mich aufgehalten,« entgegnete Stein be
gütigend, »und sie trägt auch Schuld,
daß ich auf krummen Wegen zu »Dir
komme, Anna.«
»Eure unliebsame Begegnung?«
fragte das Mädchen ängstlich, ,,doch
nicht etwa«---«
»Es war der Revierförster Selling,«
sagte er, fie scharf anblickend.
,,Selling·? O mein Gott, der! Was
haft Du mit dem Manne, Arthur ?«
»Ich, Kind? Nun, bis jetzt eigent
lich nichts· Aber ich spüre die größte
Lust, etwas mit ihm auszumachen.
Die Stimme des Amtsrichters klang
so scharf und gereizt, daß Anna Bode
verwirrt aufblickte.
Dann trat sie einen Schritt zurück
und entgegnete gekränkt:
»Du hegst irgend ein Mißtrauei:,
Arthur, und ich habe Dir doch wahrlich
keinen Grund dazu gegeben. Hast Du
mich hierher bestellt, um mir weh zu
thun ?«
Stein beachtete die letzten traurigen
Worte nicht.
»Keinen Grund ?« sagte er heftig.
»Ist Dein scheues Benehmen, ist die son
derbare Laune Deines Vaters kein
Grund? Ich bin als ein ehrlicher,
offener Mann zu euch gekommen, und
ihr behandelt mich, als sei es eine
Schande, mit mir zu verkehren! Muß
ich mich nicht heute wie ein Verbrecher
herschleichen, bloß um meine Braut zu
sehen, die mir doch von Gottes und
Rechts wegen gehört ?«
Anna Bode entgegnete kein heftiges
Wort. Sie setzte sich nur wie erfchöpft
auf einen Stein und raffte die Kleider
zusammen, dabei warf sie einen bitten
den Blick auf den erregten Mann.
Stein setzte sich neben fie, und die
Berührung ihres Körpers übte einen
beruhigenden Einfluß auf ihn aus; er
nahm die Hand des Mädchens und küßte
sie.
Nach einer kleinen Pause sagte Anna:
»Es kann «.-.icht mehr verborgen blei
ben: Du mußt irgend etwas erfahren
haben, und die Ungewißheit regt Dich
auf. Tit hast ganz recht, niifztrauisch
zu werden« Also höre zu.«
Stein beugte sich gespannt vor, da
bei glitten seine Augen über den be
wachsenen Hügel in die Ferne, und er
sah etwas, das ihn seltsam durchzuckte,
aber er schwieg.
»Selling verfolgt mich,« sagte Anna,
»Er liebte mich, vielleicht haßt er mich
jetzt; wer kann das wissen, wer kann in
diese düstere Seele blicken!«
,,Vor einiger Zeit-ich war erst kurz
zuvor aus Berlin zurückgekehrt«-- machte
er mir einen förmlichen Antrag. Er
hatte schon früher unverhohlen sein Jn
terefie für mich an den Tag gelegt, und
mein Vater schickte mich deßhalb fort.
Der finstere Mann flöszte mir immer
eine seltsame Abneigung ein, und als
er nun mit einem Antrag vor mich hin
trat, fühlte ich ein förmlicheg Grausen.
Jch tvar ja schon Deine Braut, Arthnr.·«
»Und als ich ihm mit einein entschie
denen Nein antwortete, mit einem Nein
ohne Angabe der Gründe, Arthur, da
erkannte ich, wie berechtigt meine Ab
neigung gewesen war.«
»Er brach in einen furchtbaren Zorn
ans-; er sagte, daß ich ihn mit meiner
Weigernng zu einem elenden Menschen
machen würde, er schwor, daß es sein
und mein Untergang fei, wenn ich bei
meinem Nein beharre. O Arthur, er
sagte noch viel mehr. Ich tvürde es
Tir nicht mittheilen, aber nun mnfz ich
es, damit Du Dich in Acht nimmst. Er
sagte-, ich liebe einen anderen,fonstkonnte
ich nicht grausam sein, aber wenn er
jemals diesen anderen entdecke, dann---«
Das erregte Mädchen vermochte nicht
aietter zu sprechen, die Schrecken der
Erinnerung überwaltigten fie, und sie
brach in Thränen aus.
Stein nahm sie in seine Arme und ver
fnchtesiezu trösten, aber ihm selbst war es
beklommen zu Muth.
Das Bild, welches er vor einigen Mi
nutengesehen, flüchtig, wie einen Blitz
vom Himmel, dieses Bild trat wieder vor
feine Seele.
Vielleicht fünf bis sechs-hundert Schrit
te von der Schönhecke entfernt lag ein
kleines Gebüschzdasselbe war nach allen
Seiten hin frei nnd konnte von- Walde
aus in wenigen Minuten erreicht wer
den.
Hinter diesem Gebüsch hatte der
Amtsrichter den Kopf eines Mannes
und den Lauf einer Büchfe bemerkt, und
zwar gerade in demselben Augenblick,
als Anna mit ihrer Erzählung begann;
jetzt war nichts mehr zu sehen, aber wer
sich auch dort verborgen hielt, er konnte
fein Versteck noch nicht verlassen haben,
denn in diesem Falle hätte das offene
Feld ihn nothwendig verrathen müssen.
Lag Selling dort auf der Lauer?
Die Dämmerung begann schon her
abzusinkem und der Wind wehte immer
heftiger von jener Seite, wo das er
wähnte Gebüschlag. Zwischen demsel
ben und den beiden einsamen Menschen
befand sich die größte der Felsplattem
fie war auf die f male Kante gelehnt
und bot fast in anneshvbe Schup·
,,Laß uns hier Plah nebnten,« fagte
Stein hastig zu Anna; »der . Wind
trifft Dich nicht so heftig.«
»Wie Du willst,« entgegnete das
Mädchen arglos.
Der Amtsrichter setzte sich neben sie;
er athmete beruhigter aus; für den
Augenblick war wenigstens nicht zu be
fürchten, sie befanden sich beide in einer
Art Festung und vermochten jede Ge
sahr zu erkennen, welche sich von irgend
einer Seite herannahte.
Gesahri »
Anna Bade schien ahnungslos zu
sein; sie hatte ihre augeanickliche Er
regung bemeistert und fuhr nun ge
lassener fort:
»Die Unterredung hatte mitten auf
der Heide stattgefunden; der Revier
sörster war mir gesorgt, als ich meinen
allwöchentlichen Gang in die Grund
mühle machte. Sosort nach meiner
Heimiehr theilte ich dem Vater Sellings
Worte mit; ich verschwieg ihm nur die
gegen meine eigene Person gerichteten
Drohungen; meine Hauptsorge galt
Dir. Wer thäte auch wohl dem wehr
losen Mädchen ein Leid an — Mann
gegen Mann, darin liegt die Gefahr.
»O, hätte ich doch damals alles ver
:schwiegen, Arthuri Du hast meinen
iBater kennen gelernt, Du weißt, wie
längstlich er ist, wie wunderlich Jn
seiner ersten Aufregung wollte er unsere
jVerlobung auflösen; er meinte, es sei
!besser, ich bliebe ledig, als daß ich vor !
zeitig durch ein Verbrechen zur Wittwe
swiirde '
,,Endlich gab er meinen Bitten nIh
und bewirkte bei dem Obersörster Sel
lings Versetzung, und zwar zum erstenj
Oktober. Da kam Deine plötzliche Be-!
rufung als Richter nach Hagenburg. s
»Was dem alten Manne unter an-f
deren Umständen eine Freude gewesen;
wäre, das wurde ihm jetzt eine Quall
neuer Sorgen. Sein ganzes Bestrebens
richtete sich nunmehr aufden einen Punkt, s
unsere Verlobung bis nach Sellings;
Fortgang geheim zu halten. Du weißt,;
in welcher förmlichen abenteuerlichen
Weise er diesen Zweck erreichte. -
»Dabei weigerte er sich hartnäckig,
Dir den Grund seines Benehmens mit
zutheilen; »Dein Bräutigam ist jung,«
sagte er, »und Selling ist jung«; das
möchte ein Unglück geben.
»Wie oft habe ich gefürchtet, Arthur,
Du könntest die Sache falsch auffassen;
es lag ja zu nahe, an eine Abneigung
meines Vaters zu denken, an seinen
Wunsch, unsere Verlobung aufzulösen;
Du bist ruhig geblieben; Du hast Dich
stillschweigend dem Unbegreiflichen ge
fiigt, aber ich, Liebster, ich litt unsäglich
unter diesem Zwang. Nun ist alles
klar, wenn auch wider den Willen mei
nes Vaters, und es schadet auch nichts
mehr, denn Selling geht ja in den nächs
zsten Tagen fort, weit fort, hoffentlich
um niemals wieder in unser Schicksal
einzugreifen.«
» »Hossentlich!« entgegnete Stein leise
und drückte dem Mädchen die Hand.
Der Wind wehte ihm das Wort vom
Munde, es war, als nehme er die Hoff
nung mit sich, um nur eine bange, düste
re Sorge zurückzulassen
Anna schauderte zusammen.
»Es wird kühl und dunkel, Kind,«
sagte nach einer stummen Pause der
Amtsricyter, »ich-will Dich bis ins Dorf
begleiten.«
Damit erhob er sich und blickte rings
umher.
Die Dämmerung war zu weit vorge
schritten, um die nächsten Gegenstände
deutlich erkennen zu lassen, die ferneren
waren schon im heraufsteigenden Herbst
nedel verschwunden
Stein nickte zufrieden; das war ein
grauer, mitleidiger Mantel, unter dessen
Schutz er das Mädchen ungefährdet
heimbringen konnte, und er drängte tun
niehr ungeduldig zum Aufbruch.
Sie verließen den Hügel und die
schilt-enden Tannen; sie gingen dicht
neben einander auf dem schmalen Fuß
pfad, welcher sich weithin sichtbar durch
die kahlen Stoppelfelder schlangelte;
es strich wohl ein aufgescheuchtes Reb
huhn an ihren Füßen vorbei, und vom
Walde klang der heisere Schrei des
Uhu herüber-aber kein Laut einer
Menschenstimme belebte die Einsamkeit,
die Flur war ringsum tvie ansgestorben,
und das junge Paar athinete förmlich
aus, als das Läuten der Vetglocke im
Dorfe den Bann brach.
»Hier müssen wir auseinandergehen,«
sagte Anna, »oder« —- ein plötzlicher
Gedanke leuchtete in ihren Augen aus
—----»kannst Du bei mir bleiben? O, bitte,
thue es, man wird uns doch schon« bei
sammen gescheit haben, es ist nun einer
lei.«
Eine versteckte Angst lag in ihren
Blicken, eine Sorge, welche sie offenbar
nicht aussprechen i.:ochte; aber Stein
schüttelte den Kopf.
»Es geht nicht, mein Mädchen, ich
habe nicht für Vertretung gesorgt, aber
sei nur ruhig, ich bleibe aus der Land
straße und meide den Wald.
So schieden sie von einander.
Der Aiutsrichter hatte den ehrlichen
Willen, sein Versprechen zu halten,
aber zuvor trieb es ihn unwiderstehlich,
das geheimniszvolle Gebüsch zu unter
suchen; es lag nicht weit ab von seinem
Wege, und es war immerhin besser,
einer Gefahr entgegenzugehen, als sie
hinter sich im Rücken zu lassen.
(Fortsetzung solgt.)
Ja St Cl)arles, Mo» gerieth
das Courthaus in Brand und bevor
das Feuer gelöfcht werden konnfg waren
so viele Arten und Documente des
iConntys zerstört, daß der Verlust fast
unersedlich ist.
Hinter den Indus-m
Wie bekannte Bühnenkiinstler ihre
Mußestunden ausfüllen, davon giebt
M. Stücker in den «Münch. N. N.«
mancherlei zum Besten. Von Bühnen-.
großen ist hier die Rede, von jenen, zu
deren künstlerischen Talenten sich die
’klingenden Talente gesellen, nicht von
dem nomadisirenden Völkleim das
nothgedrungen seine Zuflucht von der
Kunst zum Handwerk nimmt. Hier
muß der König von gestern heute wol
lene Jacken flicken, die Herzogin verfer
tig Geflechte aus Haaren, der Krösus
schreibt Theaterrollen aus« Ein Freund
von mir kannte einen Komiker, der in
seinen Mußestunden für Geld Meer
schaumpseisenköpfe anrauchte, und einen
.Heldenspieler, der Vogelbauer verfer
ti.gte. Der berühmte Tenorist Rubini
aber, der noch kurz vor oen Tagen sei
nes höchsten Glanzes Theaterschneider
war, hat eine Liebhaberei für dieses
Handwerk sein ganzes Leben hindurch
bewahrt, und selbst in den Jahren, wo
er Einnahmen wie ein Fürst hatte und
der verhätschelte Liebling aller Damen
war, soll er seine Kostüme nicht allein
in eigener Person verfertigt, sondern
sogar dies ohne allen Rückhalt bekannt
haben.
Vielsach allerdtng süllen die Büh
nenkiinstler, sobald sie die Staffeln des
Ruhmes erklommen haben, ihr Muße
stunden durch eine Beschäftigung aus,
welche ihnen erft möglich geworden ist,
nachdem die Noth aus ihrer Nähe ge-«
wichen. Die Rachel kannte kein größe
res Vergnügen, als Geld zu zählen.
Die glitzernden Goldstücke übten auf sie
einen geradezu bestrickenden Reiz. Da
bei spekulirte sie an der Börse und war
in den Kursen so sattelfeft, wie kaum
ein Bankier. Emil Devrient gefiel sich
in der Rolle eires Burgherrn. Er
zeigte dabei so viel Vornehmheit und
liebenswürdige Herablassung, als ob er
niemals eine andere Beschäftigung ge
kannt. Man hätte glauben mögen,
daß er aus langer Ahnenreihe hervor
gegangen sei.
Aehnlich füllt Marie Geiftinger die
Pausen zwischen kihren einträglichen
Gastspielen aus. Auf Schloß Rasten
seis, einem überaus romantisch gelege
nen Sitz in Kärnthen, waltet sie als
Herrin. Die ausgelassene ,,Schöne
Helena« führt hier als Sammlerin von
Kunstsachen ein zurückgezvgenes Leben.
Vogl, der Tenorist der Hofbühne zu
München, verwendet alle seine Sorgfalt
auf die Landwirthschast. Auf feinem
Gute am Starnberger See waltet er in
hohen Stiefeln und Lodenjacke recht und
schlecht wie ein Ackerer. DerJTenorist
Anton Schott ist ein vorzüglicher Fisch
züchter; als er nun bei einem Gaftspiele
in N önigsberg deu »Mansaniello« zum
Entzücken aller Kunstfreunde gesungen
s hatte, ging er gleich darauf in eine Sit
Jzung des dortigen Fisck)ereivereins, um
ieinen Vortrag über die Einbürgerung
des amerikanischen Schwarzbarsches in
europäischen Gewäfsern zu halten.
Die verstorbene Galltneyer beschäf
tigte sich in ihren freien Stunden vor
wiegend mit literarischen Arbeiten. Sie
war im Innern eine fromm-beschau«biche
Natur —- trotz ihres Subrettenberufs
und ihres leichten Blutes. Keine Pro
cession, an der sie sich nicht betheiligt
hatte. Jhr College Matras, auch einer
» der Komiker aus der Glanzzeit der öfter
jreichischen Volksbühne, ist wahnsinnig
sgewordetn Die Muße, welche sein
svöllig untnachteter Geist gefunden hat, g
s füllt er damit aus, daß er Teller wäscht
iuud Charpie zupft. Die Galltneher
Tbesuchte den ihr einst so nahestehenden
JFreund kurze Zeit vor ihrem Tode im
errenhaush und der Eindruck, welcher
»sich iht darbot, soll so niederschmetternd
Tauf sie gewirkt haben, daf- sie der Welt
Jvollends den Rücken wandte.
Auf dem Ohio - Danipfer ,,Golden
Rule« fand neulich bei C a rr o ll t o n
iu Kentucky eine Meuterei statt. Der
zweite Steuermann Barney Bondurant,
welcher ftellvertretungsweife die Füh
rung des Dampfers übernommen hatte,
behaudelte feine Leute schlecht und ließ
sich neulich beikonimen auf die Neger
Mafou, Carter unda Oimnis mit einein
tinüttel dreinzufchlageu. Die übrige
Manufchaft nahm für die drei Mißhan
delten Partei und verlangte von Bon
durant die Eiuftellung aller Feindfelig
leiten. Ale- er jedoch von Neuem be
gann, Simms zu mißhandeln, wurde er
von feinen Leuten in feine Kajüte ge
sperrt und bis zur Ankunft des Schiffes
in Cincinnati darin gefangen gehalten.
Nach dem Landen dafelbft beantragte
die Mauufchaft bei dem Bundesgericht
die Ausdftellnng eines Haftbefehls gegen
VonduranL
M.
Der Groeer Jamesd W. Clarke aus
Sheldon in Ohio gerieth am 12.
März mit feiner ihm erft vor vier
Wochen angetrauten Frau und feinem
Schwiegervater J. L. Dhers in Streit,
verkaufte feinen Antheil an der von ihm
und Edward Brown betriebenen Gro
eerh für fünfhundert Dollars an feinen
Theiihaber und verjuckte das Geld in
New York, fo daß er heute fo arm ift
wie eine Kirchenmaus Jüngft wurde
er von feinem Schwiegervater telegra
phifch nach Haufe gerufen; wenn i m
diefer aber nicht auch eine Eifenba -
fahrkarte fendet, fo muß er die zwifchen
ihm und feiner Frau liegenden 1500
Meilen zu Fuße zurücklegen.
JnDunbar, Pa., wurden die in
dem Schachte der Hill Form - Grube
gefundenen 23 Leichen der am Is.
Juni 1890 verungltlaten Bergleute b
erdigt.