Die Grundmühle. Ltiminalroman v. Friedrich Inkobsen »Von seiten des Mädchens allerdings nicht. Aber Anhalten thut Kriegsn. Nun wird er beiseite geschafft-« »Das ist ein Zusall.« »Pah! Der Alte ist gut mit dem Obersörster bekannt, da wird so ’was gemacht.« »Alle der Alte will auch nicht ?« »Der erst recht nicht. Das Mädel würde am Ende schon mürb-, der Sel ling ist ja ein hübscher Kerl, aber der Alte hat vor dem Schwiegersohne ein wahres Grausen.« Jetzt mischte sich der junge Gutsbe sitzer in’s Gespräch. »Ich kann’ø dem Vater nicht ver denken; Selling hat etwas in seinem Wesen ——- na, ich will nichts sagen. Erweisz doch, wie schlecht seine Aus: sichten stehen, und dennoch läuft er Tag siir Tag nach Rosenhain hinüber und streicht um das Dorf wie der Fuchs unt den Bau.« »Er will das Mädchen eben auch tei snem andern gönnen und ist so eifersiich tig wie ein Türke.« Rosenhanii Zutkt zweitenmale an diesen Vormit tage horchte der Amtsrichter in seiner Fensternische aus, aber er hütete sich, durch irgend eine Bewegung sein Jn teresse an dem Gei räch zu verrathen. Der Gntsbesiher nhr fort: »Noch vor einigen Tagen begegnete ich ihm aus dem Wege dorthin, oder viel mehr begegnet bin ich ihm eigentlich nicht, sondern er ging on mir vorüber.« »Sie hatten doch nichts aus dem Hierb holz, Herr Wagner?« fragte der Wirth mit schlauem Angenzwinkern. »Das just nicht; aber ich brachte mein Gewehr in die Stadt zum Büchjemna cher, und in einem königlichen Forst be gegnet man nicht gerne mit dem Gewehr in der Hand einem Reviersörster. Es war just am Ausgang des Holges, wo der Weg aus die Heide mündet und dann links nach Rosenhain und rechts nach Schönborn führt, da hörte ich jemand mir entgegenkommen. Jch trat hinter einen Baum und ließ die Person boriiberz es war der Selling, ich habe ihn deutlich an den Silberbeschlägen sei ner Büchie erkannt, denn es ging schon aus den Abend« »Und da machte er wirklich nach Ilio senhain hiniiber?« »Vermnthlich; was wollte er sonst in der Ecke; sein Revier erstreckt sich nicht so weit. Uebrigens habe ich mich nicht weiter um ihn bekümmert, es geht mich ja nichts an.« »Wann war dass-« fragte Bäcker meister Schulze. »Warten Sie ’mal. Heute haben wir Montag, also süns Tage zurück - richtig, am verflossenen Mitwoch ist es gewesen, Abends se zwischen sieben und acht Uhr.« »Dann kann es Selling nicht gewesen sein,« entschied Meister Schulze. »Sie sagten doch, Herr Wagner, dasz Sie das Blitzen der Silberbeschliige am Kolben seiner Biichse gesehen hät ten?« »So deusich wie ich Sie sehe, Mei:· ster Schulze.« »Na, nud am folgenden Tage, also am Donnerstag, war Selling ja bei mir und sagte, man habe ihm am Nachmit tag zuvorseine Büchse mit dem Silber beschlag gestohlen. Sie wissen ja doch, das hängt mit der Mordgejchichte in der Grundmiihle zusammen. Am Ende ist es gar der Klaus Merten gewesen, den Sie gesehen haben, Herr Wagner, denn der hat die Büchse ja doch ge stohlen.« Aber der Gutsbesitzer schüttelte den Kopf. . »Es ist Selling gewesen, das kann ich beschwören. Er trug ja die grüne Uni sortn, und sein schwarzer Bart ist auch nicht zu verleniien.« »Na, Kinder,« meinte der Wirth, »streitet euch nicht darum. Es ist ja lchließlich einerlei, ob’s der Selling war oder nicht; ich habe eben srisch ange stochen.« Anitsrichter Stein kam in einer selt samen Stimmung vom Frühschoppen heim. Er hatte im Laufe einer halben Stunde mancherlei erlebt, wag ihm zu denken gab, was ihn bedenklich machte und ihm schließlich das Blut siedend heiß zum Herzen trieb. Da war zunächst das sonderbare Be nehmen Sellingo. Daß der Neviersiirster offenbar einen Widerwillen vor dem Betrachten der Büchsenkugel an den Tag gelegt hatte-, erschien uicht gar so sehr auffällig. Es giebt viele kräftige Männer, die nicht ohne Schaudern einen Gegenstand betrachten oder berühren können, welcher als Werkzeug eines Verbrecheno gedient hat; warum sollte Selling nicht auch zu siillåg zu diesen zählen? uffiilliger schon war es, dass der Reviersörster am Donnerstag Vormittag kurz bevor er nuss Amt ging, dein Bäckermeister Schulze mitgetheilt haben sollte,daß Klaus Merten sich in der Gegend befinde, während er hiervon aus dem Amtsgeriehte nichts wissen wollte; allein Schutze konnte sich auch eirrt haben, vielleicht hatte jenes Ge spräch mischen ihm und Selling doch später stattgefunden Nun aber kam ein höchst- wichtiger nnkt. Sellin hatte mi- Bestimmtheit be hauptet, aß die mit Silber beschlagene s se ihm am verflossenen Mittwoch its ittags oder gegen Abend ans der Wohnung gestohlen worden sei; diese lBüchse war auch in der Heidebuche ans Igesnnden worden, und dennoch« wollte lder Gutsbesitzer Wagner den Revier sförster Mittwoch Abend zwischen sieben »und acht Uhr im Besitz eben dieser sBüchse gesehen haben. Hier waren nur drei Möglichkeiten )vorhanden; entweder hatte Wagner sich Iin derPerson oder im Aussehen der fBüchse geirrt, oder Selling besaß noch. »eine dritte Büchse, oder —- s—— er hatte fgelogem Die zweite Möglichkeit wies der Rich ter sofort von der Hand; bei der Be sichtigung der Wohnung des Revierför sters hatte er eine zweite Büchse nichts bemerkt, und Selling selbst hatte z s Protokoll gegeben, daß er nur zweis Büchsen besitze, in dieser Beziehung» konnte er keine Unwahrheit riskiren, dal ihm dieselbe zu leicht hätte nachgewiesen werden können. ll Warum a o te er denn überhaupt lügen? W Stein sah keinen vernünftigen Grund hierzu ein; und so blieb er denn bei der! unsicher-en und unwahrscheinlichen Lin-s nahme stehen, daß Wagner sich ebenso gut geirrt habe, wie Schulze sich geirrts baben sinnte——es gab am Ende viele grüne Röcke und schwarze Bärte, und» vom Erkennen der Gesichtsziige hatte jener ja gar nicht geredet. Der Amtsrichter ertappte sich hier bei dem Bestreben, den Untersuchungsrich ter möglichst schnell abzuftreifen, um mit desto größerem Eifer den Liebhaber, und zwar einen eifersüchtigen Liebhaber, spielen zu können. Was wollte Selling in Nosenhain? Er stellte dort einem Mädchen nach: dieses Mädchen hatte einen Vater-, wel chen man« als »Der Alte« bezeichnete, und dieser Vater hatte einflußreiche Ve kanntschaft mit dem Oberförster und wollte Selling nicht als Schwiegersohn. Es bedurfte keines bedeutenden Aus waiids von Scharssinn, um zu errathen, daß nur Pfarrer Bode und dessen Toch ter gemeint sein konnten. Jeder Bauer hätte es sich wohl zur Ehre angerechnet, einen königlichen Re vieriöster als Schwiegersohn zu erhal ten; außer dem Pfarrer aber befand sich kein gebildeter Mann ini Dorfe· Einmal auf dieser Fährte, glaubte Stein auch Aufklärung über andere Punkte zu erhalten, welche ihm bis jetzt dunkel und auffällig gewesen waren. »Er gönnt sie keinem Anderen,« hatte einer der Gäste am Stammtisch gemeint. Es war nicht nnwahrscheinlich, daß ein zwecklofer Neid dem Charakter des Revierfiirsters entsprach; der Mann sah so finster nnd verschlossen aus, als gönne er keiner Menschenseele etwas Gutes. So erschien es wenigstens dem Amts richter jetzt, nachdem sein Verdacht ein mal rege geworden war; früher wäre er kaum anf diese Beobachtung ver fallen. Unter diesen Voraussetzungen war die Scheu des Pfarrers vor einer Ver öffentlichung der Verlobung erklärlich; Selling verlies; ja am ersten Oktober die Gegend, warum sollten um dieser kurze-u Frist willen noch peinliche Er örterungen hervorgeruer werden ? Freilich, so schlimm war die Sache wohl nicht, dasz ihretwegen eine form liche Maskerade aufgeführt wurde, aber das lag einmal in dem sonderbaren und iibertrieben ängstlichen Charakter des Pfarrers Bode, diesem Umstand brauchte nicht weiter nachgegrlibelt zu werden. Um in allen diesen Dingen volle Klarheit zu erhalten, schrieb Stein ei nen Brief an seine Braut Er gab seiner Sehnsucht Ausdruck, erwähnte die dringende Nothwendigi keit, allerlei wichtige Sachen zu bere den, und bat schließlich um eine Zusam menkunft. An diesem Punkte angelangt, legte er seine Feder hin uad sann nach. Der Pfarrer durfte natiirlich von diesem Zusammentreffen nichts ersah ren, er hätte dasselbe in seiner bekann ten angftlichen Weise hintertrieben. Es mußte also ein Ort »außerhalb des Dorfes und doch nahe genug bei demselben gefunden werden, um Annae Abwesenheit nicht auffällig erscheinen zu lassen. Zu diesem Behufe erschienen die Schwedensteine bei der Schönhecke am angemessensten. Die Schönheeke war ein kleines, aus höchstens hundert alten Kiefern beste hendes Gehölz am Saume der zwischen Schönborn und Nosenhain befindlichen seide; es lag auf einer kleinen Erhö iing kaunieine Viertelstunde von No senhain entfernt und bot nach allen Seiten hinreichende Gelegenheit zur Rundschau. Wer aber selbst nicht ge sehen werden wollte, der brauchte sich nur in den Schuh der sogenannten Schwedenfteine zu begeben. Dies waren etwa ein Dutzend größere und kleinere Felsblöeke, welche mitten im Hölzchen auf der Spitze des Hügels im Kreise lagerten und einer kleinen Anzahl Per sonen hinreichenden Schutz gewährten Wahrscheinlich hatte sich dort in alten Zeiten ein Schöppenstuhl befunden-— Der Amterichter kannte den Platz, sein zukünftiger Schwiegervater hatte ihm denselben gezeigt, als beide an jenem Morgen nach der Mord-acht das Dorf verlie .— Ellso morgen Nachmittag um fiinf Uhr bei den Schwedensteinen in der Schönheclr. s . Stein sandte den Brief durch einen zuverlässigen Boten nach Rosenhaln und hatte an demselben Abend eine zu sagende Antwort Or hätte gerne eine frühere Stunde bestimmt, aber seine Geschäfte ließen es nicht zu, und die Entfernung betrug über zwei Stunden. Am Nachmittag des folgenden Tages verließ der Amterichter gegen drei Uhr die Stadt. Das Wetter hätte für eine Zusam menlunft mit der Geliebten im Freien günstiger sein können; es wehte ein kalter, feuchter Wind und trieb schwere Wollen über den Himmel; aber wenig stens fiel kein Regen. Stein wickelte sich fest in feinen Herbstmantel und schritt munter aug, die Hoffnung auf einen baldigen Kuß von frischen, warmen Lippen wärmte sein Blut und trieb ihn rasch vorwärts-. Um den Weg machte er sich keine Sorge; wenn er sich gerade in nord westlicher Richtung hielt, dann konnte er selbst im Walde schwerlich irre gehen, und der Wald nahm ihn bald aus. Da raschelte es im Gebüsch, und ein Mann trat auf den Pfad. Es war Selling. Der Amtsrichter wäre heute jedem anderen lieber begegnet als gerade die sem Manne; er wollte auch mit einem raschen Gruß vorübergehen, aber der Revierförster gesellte sich zu ihm und ging, ein gleichgiltiges Gespräch begin nend, nebenher. Schon dieser Umstand erschien dem Richter auffällig. Selling hatte bisher in geflissentlicher Weise das Bewußtsein seiner geringeren Stellung bitont, er hatte sich niemals gesellschaftlich heran gedrängt, sondern im Gegentheil eine übertriebene Bescheidenheit an den Tag gelegt, und jetzt geberdete er sich plötzlich wie ein alter Bekannter und schien die einsilbigen Antworten seines Begleiters gar nicht in ihrer ablehnenden Bedeu tung zu verstehen. Noch auffälliger aber war sein son stiges Gebahren und Aussehen. Konnte man ihn sonst schon blaß nennen, so war er heute erdfahl; war er sonst wortkarg und ruhig, so schwatzte er heute allerlei unklares Zeug und gerieth dabei häufig in solchen Eifer, daß er ein paarmal stehen blieb und an dem Riemen seines Gewehr-es riß; dann aber lies- er wieder jedesmal sofort die Hand sitilen und wandte den Kopf zur Seite. War der Mann betrunken? Endlich erreichten sie den Saum des »Waldes, wo sich der Fußpfad trennte, zum rechts über die Heide nach Schön Iborn, links ebenfalls über die Heide nach Rosenhain zu führen. Selling war bis hierher niitgegangen, ohne einen Grund anzugeben, ohne nur zu sagen, wohin er denn eigentlich wolle. Nun blieb er stehen, blickte dem Amtsrichter scharf in das Gesicht und sagte langsamer. »Sie wollen gewiß nach Schönborn zu Ihrem Freunde, dem Herrn Pfarrer Harima-in; da hätten Sie einen näheren Weg gehabt-« Er hatte bei diesen Worten seine Biichse von der Schulter genommen und stützte sich auf den Laus Dem Amtsrichter stieg langsam das Blut zu Kopf; erst belästigte ihn dieser Mensch, den er seit gestern unaussteh lich sand, und setzt wollte derselbe ihn auch noch ausforschen. Er hatte ein fcharfes Wort auf der Zunge, und Selling nahm langsam sein Gewehr unter den Atm; da überkam den Richter plötzlich ein sonderbarer, fast unheimlicher Gedanke. Es war it,in, als suche Selling eine Veranlassung zum Streit herbeizufüh ren; das Lacheln, welches jetzt aus sei nen Lippen lag, war gar zu höhnisch und herausfordernd. Und der Mann stand ihm, dein Wassenlosen, mit der geladenen Büchse gegenüber! Das war ja eigentlich ein wahnsin nigertiiedanle, dessen Stein sich bei ruhigerer Ueberlegung geschämt haben würde; aber gerade in diesem seltsamen Augenblick vermochte er ein gewisses Gefühl des Unbehagens nicht zu be meistern Er wandte sich daher ohne Entgegnung ab, grüßte flüchtig nnd entfernte sich nach rechts zu über die Heide. Er wußte, daß nach etwa fünf Mi nuten ein Hohlweg kommen mußte, auf welchem er ungesehen die entgegenge sehte Richtung einschlagen, und, wenn auch etwas verspätet, die Schweden steine in der Schönhecke erreichen konnte. Mehr als einmal regte sich iu thn Hder Wunsch,,den Kopf zuriickziuoenden, sum festzustellen, ob Selling noch immer saus demselben Platze stehe; er hatte das bestimmte Gefühl, daß deni so sein müsse-, und dass jener auch seine Viichse Hin derselben unschliissigeu, halb nach lässigen, halb drohenden Stellung hatte, ’aber er bezwang tapfer diese sonderbare Neigung und erreichte in wenigen Mi nuten den schiitzenden Hohlweg. Als er von dort aus, hinter einem Busch versteckt, hervorlngte, war Sel ling verschwunden. Zwischen den grauen Steinen des alten Gerichtggebäudes sasz Anna Bode und lugte ins Land. Die Sehnsucht nach dem Geliebten, die Ungeduld, zu erfahren, welche Dinge er mit ihr bereden wollte, hatten sie nicht ruhen lassen; nur noch eine Woche brauchte ins Land zu gehen, dannkonnte zer frei und offen mit ihr verkehren-— -was mochte ihn bewogen haben, auf Jdiese geheimniszvolle und romantische Zusammenlunst zu drin en? Da sah ihr scharses uge einen Mann am Waldeösaum entlang schreiten; un willkürlich hüllte sie sich fester in ihren ranen Mantel nnd duckte sich hinter die schühenden gleichsarbigen Granitblbckq da51war nicht der sehnsüchtig Erwar tete - Aber«dann flog sie wieder mit einem leichten Schrei empor, hinter ihr knackten dürre Aeste, und gleich darauf fühlte sie sich von starken, treuen Armen um »schlungen. I »Wie hast Du mich erschreckt !« sagte sie tiesaufathmend nach der ersten Be griißung, »ich hatte Dich von jener Seite nicht erwartet. Und dannglaubte ich schon, daß Du überhaupt nicht lum men würdest.« s i »Eine unliebsame Begegnung hat mich aufgehalten,« entgegnete Stein be gütigend, »und sie trägt auch Schuld, daß ich auf krummen Wegen zu »Dir komme, Anna.« »Eure unliebsame Begegnung?« fragte das Mädchen ängstlich, ,,doch nicht etwa«---« »Es war der Revierförster Selling,« sagte er, fie scharf anblickend. ,,Selling·? O mein Gott, der! Was haft Du mit dem Manne, Arthur ?« »Ich, Kind? Nun, bis jetzt eigent lich nichts· Aber ich spüre die größte Lust, etwas mit ihm auszumachen. Die Stimme des Amtsrichters klang so scharf und gereizt, daß Anna Bode verwirrt aufblickte. Dann trat sie einen Schritt zurück und entgegnete gekränkt: »Du hegst irgend ein Mißtrauei:, Arthur, und ich habe Dir doch wahrlich keinen Grund dazu gegeben. Hast Du mich hierher bestellt, um mir weh zu thun ?« Stein beachtete die letzten traurigen Worte nicht. »Keinen Grund ?« sagte er heftig. »Ist Dein scheues Benehmen, ist die son derbare Laune Deines Vaters kein Grund? Ich bin als ein ehrlicher, offener Mann zu euch gekommen, und ihr behandelt mich, als sei es eine Schande, mit mir zu verkehren! Muß ich mich nicht heute wie ein Verbrecher herschleichen, bloß um meine Braut zu sehen, die mir doch von Gottes und Rechts wegen gehört ?« Anna Bode entgegnete kein heftiges Wort. Sie setzte sich nur wie erfchöpft auf einen Stein und raffte die Kleider zusammen, dabei warf sie einen bitten den Blick auf den erregten Mann. Stein setzte sich neben fie, und die Berührung ihres Körpers übte einen beruhigenden Einfluß auf ihn aus; er nahm die Hand des Mädchens und küßte sie. Nach einer kleinen Pause sagte Anna: »Es kann «.-.icht mehr verborgen blei ben: Du mußt irgend etwas erfahren haben, und die Ungewißheit regt Dich auf. Tit hast ganz recht, niifztrauisch zu werden« Also höre zu.« Stein beugte sich gespannt vor, da bei glitten seine Augen über den be wachsenen Hügel in die Ferne, und er sah etwas, das ihn seltsam durchzuckte, aber er schwieg. »Selling verfolgt mich,« sagte Anna, »Er liebte mich, vielleicht haßt er mich jetzt; wer kann das wissen, wer kann in diese düstere Seele blicken!« ,,Vor einiger Zeit-ich war erst kurz zuvor aus Berlin zurückgekehrt«-- machte er mir einen förmlichen Antrag. Er hatte schon früher unverhohlen sein Jn terefie für mich an den Tag gelegt, und mein Vater schickte mich deßhalb fort. Der finstere Mann flöszte mir immer eine seltsame Abneigung ein, und als er nun mit einem Antrag vor mich hin trat, fühlte ich ein förmlicheg Grausen. Jch tvar ja schon Deine Braut, Arthnr.·« »Und als ich ihm mit einein entschie denen Nein antwortete, mit einem Nein ohne Angabe der Gründe, Arthur, da erkannte ich, wie berechtigt meine Ab neigung gewesen war.« »Er brach in einen furchtbaren Zorn ans-; er sagte, daß ich ihn mit meiner Weigernng zu einem elenden Menschen machen würde, er schwor, daß es sein und mein Untergang fei, wenn ich bei meinem Nein beharre. O Arthur, er sagte noch viel mehr. Ich tvürde es Tir nicht mittheilen, aber nun mnfz ich es, damit Du Dich in Acht nimmst. Er sagte-, ich liebe einen anderen,fonstkonnte ich nicht grausam sein, aber wenn er jemals diesen anderen entdecke, dann---« Das erregte Mädchen vermochte nicht aietter zu sprechen, die Schrecken der Erinnerung überwaltigten fie, und sie brach in Thränen aus. Stein nahm sie in seine Arme und ver fnchtesiezu trösten, aber ihm selbst war es beklommen zu Muth. Das Bild, welches er vor einigen Mi nutengesehen, flüchtig, wie einen Blitz vom Himmel, dieses Bild trat wieder vor feine Seele. Vielleicht fünf bis sechs-hundert Schrit te von der Schönhecke entfernt lag ein kleines Gebüschzdasselbe war nach allen Seiten hin frei nnd konnte von- Walde aus in wenigen Minuten erreicht wer den. Hinter diesem Gebüsch hatte der Amtsrichter den Kopf eines Mannes und den Lauf einer Büchfe bemerkt, und zwar gerade in demselben Augenblick, als Anna mit ihrer Erzählung begann; jetzt war nichts mehr zu sehen, aber wer sich auch dort verborgen hielt, er konnte fein Versteck noch nicht verlassen haben, denn in diesem Falle hätte das offene Feld ihn nothwendig verrathen müssen. Lag Selling dort auf der Lauer? Die Dämmerung begann schon her abzusinkem und der Wind wehte immer heftiger von jener Seite, wo das er wähnte Gebüschlag. Zwischen demsel ben und den beiden einsamen Menschen befand sich die größte der Felsplattem fie war auf die f male Kante gelehnt und bot fast in anneshvbe Schup· ,,Laß uns hier Plah nebnten,« fagte Stein hastig zu Anna; »der . Wind trifft Dich nicht so heftig.« »Wie Du willst,« entgegnete das Mädchen arglos. Der Amtsrichter setzte sich neben sie; er athmete beruhigter aus; für den Augenblick war wenigstens nicht zu be fürchten, sie befanden sich beide in einer Art Festung und vermochten jede Ge sahr zu erkennen, welche sich von irgend einer Seite herannahte. Gesahri » Anna Bade schien ahnungslos zu sein; sie hatte ihre augeanickliche Er regung bemeistert und fuhr nun ge lassener fort: »Die Unterredung hatte mitten auf der Heide stattgefunden; der Revier sörster war mir gesorgt, als ich meinen allwöchentlichen Gang in die Grund mühle machte. Sosort nach meiner Heimiehr theilte ich dem Vater Sellings Worte mit; ich verschwieg ihm nur die gegen meine eigene Person gerichteten Drohungen; meine Hauptsorge galt Dir. Wer thäte auch wohl dem wehr losen Mädchen ein Leid an — Mann gegen Mann, darin liegt die Gefahr. »O, hätte ich doch damals alles ver :schwiegen, Arthuri Du hast meinen iBater kennen gelernt, Du weißt, wie längstlich er ist, wie wunderlich Jn seiner ersten Aufregung wollte er unsere jVerlobung auflösen; er meinte, es sei !besser, ich bliebe ledig, als daß ich vor ! zeitig durch ein Verbrechen zur Wittwe swiirde ' ,,Endlich gab er meinen Bitten nIh und bewirkte bei dem Obersörster Sel lings Versetzung, und zwar zum erstenj Oktober. Da kam Deine plötzliche Be-! rufung als Richter nach Hagenburg. s »Was dem alten Manne unter an-f deren Umständen eine Freude gewesen; wäre, das wurde ihm jetzt eine Quall neuer Sorgen. Sein ganzes Bestrebens richtete sich nunmehr aufden einen Punkt, s unsere Verlobung bis nach Sellings; Fortgang geheim zu halten. Du weißt,; in welcher förmlichen abenteuerlichen Weise er diesen Zweck erreichte. - »Dabei weigerte er sich hartnäckig, Dir den Grund seines Benehmens mit zutheilen; »Dein Bräutigam ist jung,« sagte er, »und Selling ist jung«; das möchte ein Unglück geben. »Wie oft habe ich gefürchtet, Arthur, Du könntest die Sache falsch auffassen; es lag ja zu nahe, an eine Abneigung meines Vaters zu denken, an seinen Wunsch, unsere Verlobung aufzulösen; Du bist ruhig geblieben; Du hast Dich stillschweigend dem Unbegreiflichen ge fiigt, aber ich, Liebster, ich litt unsäglich unter diesem Zwang. Nun ist alles klar, wenn auch wider den Willen mei nes Vaters, und es schadet auch nichts mehr, denn Selling geht ja in den nächs zsten Tagen fort, weit fort, hoffentlich um niemals wieder in unser Schicksal einzugreifen.« » »Hossentlich!« entgegnete Stein leise und drückte dem Mädchen die Hand. Der Wind wehte ihm das Wort vom Munde, es war, als nehme er die Hoff nung mit sich, um nur eine bange, düste re Sorge zurückzulassen Anna schauderte zusammen. »Es wird kühl und dunkel, Kind,« sagte nach einer stummen Pause der Amtsricyter, »ich-will Dich bis ins Dorf begleiten.« Damit erhob er sich und blickte rings umher. Die Dämmerung war zu weit vorge schritten, um die nächsten Gegenstände deutlich erkennen zu lassen, die ferneren waren schon im heraufsteigenden Herbst nedel verschwunden Stein nickte zufrieden; das war ein grauer, mitleidiger Mantel, unter dessen Schutz er das Mädchen ungefährdet heimbringen konnte, und er drängte tun niehr ungeduldig zum Aufbruch. Sie verließen den Hügel und die schilt-enden Tannen; sie gingen dicht neben einander auf dem schmalen Fuß pfad, welcher sich weithin sichtbar durch die kahlen Stoppelfelder schlangelte; es strich wohl ein aufgescheuchtes Reb huhn an ihren Füßen vorbei, und vom Walde klang der heisere Schrei des Uhu herüber-aber kein Laut einer Menschenstimme belebte die Einsamkeit, die Flur war ringsum tvie ansgestorben, und das junge Paar athinete förmlich aus, als das Läuten der Vetglocke im Dorfe den Bann brach. »Hier müssen wir auseinandergehen,« sagte Anna, »oder« —- ein plötzlicher Gedanke leuchtete in ihren Augen aus —----»kannst Du bei mir bleiben? O, bitte, thue es, man wird uns doch schon« bei sammen gescheit haben, es ist nun einer lei.« Eine versteckte Angst lag in ihren Blicken, eine Sorge, welche sie offenbar nicht aussprechen i.:ochte; aber Stein schüttelte den Kopf. »Es geht nicht, mein Mädchen, ich habe nicht für Vertretung gesorgt, aber sei nur ruhig, ich bleibe aus der Land straße und meide den Wald. So schieden sie von einander. Der Aiutsrichter hatte den ehrlichen Willen, sein Versprechen zu halten, aber zuvor trieb es ihn unwiderstehlich, das geheimniszvolle Gebüsch zu unter suchen; es lag nicht weit ab von seinem Wege, und es war immerhin besser, einer Gefahr entgegenzugehen, als sie hinter sich im Rücken zu lassen. (Fortsetzung solgt.) Ja St Cl)arles, Mo» gerieth das Courthaus in Brand und bevor das Feuer gelöfcht werden konnfg waren so viele Arten und Documente des iConntys zerstört, daß der Verlust fast unersedlich ist. Hinter den Indus-m Wie bekannte Bühnenkiinstler ihre Mußestunden ausfüllen, davon giebt M. Stücker in den «Münch. N. N.« mancherlei zum Besten. Von Bühnen-. großen ist hier die Rede, von jenen, zu deren künstlerischen Talenten sich die ’klingenden Talente gesellen, nicht von dem nomadisirenden Völkleim das nothgedrungen seine Zuflucht von der Kunst zum Handwerk nimmt. Hier muß der König von gestern heute wol lene Jacken flicken, die Herzogin verfer tig Geflechte aus Haaren, der Krösus schreibt Theaterrollen aus« Ein Freund von mir kannte einen Komiker, der in seinen Mußestunden für Geld Meer schaumpseisenköpfe anrauchte, und einen .Heldenspieler, der Vogelbauer verfer ti.gte. Der berühmte Tenorist Rubini aber, der noch kurz vor oen Tagen sei nes höchsten Glanzes Theaterschneider war, hat eine Liebhaberei für dieses Handwerk sein ganzes Leben hindurch bewahrt, und selbst in den Jahren, wo er Einnahmen wie ein Fürst hatte und der verhätschelte Liebling aller Damen war, soll er seine Kostüme nicht allein in eigener Person verfertigt, sondern sogar dies ohne allen Rückhalt bekannt haben. Vielsach allerdtng süllen die Büh nenkiinstler, sobald sie die Staffeln des Ruhmes erklommen haben, ihr Muße stunden durch eine Beschäftigung aus, welche ihnen erft möglich geworden ist, nachdem die Noth aus ihrer Nähe ge-« wichen. Die Rachel kannte kein größe res Vergnügen, als Geld zu zählen. Die glitzernden Goldstücke übten auf sie einen geradezu bestrickenden Reiz. Da bei spekulirte sie an der Börse und war in den Kursen so sattelfeft, wie kaum ein Bankier. Emil Devrient gefiel sich in der Rolle eires Burgherrn. Er zeigte dabei so viel Vornehmheit und liebenswürdige Herablassung, als ob er niemals eine andere Beschäftigung ge kannt. Man hätte glauben mögen, daß er aus langer Ahnenreihe hervor gegangen sei. Aehnlich füllt Marie Geiftinger die Pausen zwischen kihren einträglichen Gastspielen aus. Auf Schloß Rasten seis, einem überaus romantisch gelege nen Sitz in Kärnthen, waltet sie als Herrin. Die ausgelassene ,,Schöne Helena« führt hier als Sammlerin von Kunstsachen ein zurückgezvgenes Leben. Vogl, der Tenorist der Hofbühne zu München, verwendet alle seine Sorgfalt auf die Landwirthschast. Auf feinem Gute am Starnberger See waltet er in hohen Stiefeln und Lodenjacke recht und schlecht wie ein Ackerer. DerJTenorist Anton Schott ist ein vorzüglicher Fisch züchter; als er nun bei einem Gaftspiele in N önigsberg deu »Mansaniello« zum Entzücken aller Kunstfreunde gesungen s hatte, ging er gleich darauf in eine Sit Jzung des dortigen Fisck)ereivereins, um ieinen Vortrag über die Einbürgerung des amerikanischen Schwarzbarsches in europäischen Gewäfsern zu halten. Die verstorbene Galltneyer beschäf tigte sich in ihren freien Stunden vor wiegend mit literarischen Arbeiten. Sie war im Innern eine fromm-beschau«biche Natur —- trotz ihres Subrettenberufs und ihres leichten Blutes. Keine Pro cession, an der sie sich nicht betheiligt hatte. Jhr College Matras, auch einer » der Komiker aus der Glanzzeit der öfter jreichischen Volksbühne, ist wahnsinnig sgewordetn Die Muße, welche sein svöllig untnachteter Geist gefunden hat, g s füllt er damit aus, daß er Teller wäscht iuud Charpie zupft. Die Galltneher Tbesuchte den ihr einst so nahestehenden JFreund kurze Zeit vor ihrem Tode im errenhaush und der Eindruck, welcher »sich iht darbot, soll so niederschmetternd Tauf sie gewirkt haben, daf- sie der Welt Jvollends den Rücken wandte. Auf dem Ohio - Danipfer ,,Golden Rule« fand neulich bei C a rr o ll t o n iu Kentucky eine Meuterei statt. Der zweite Steuermann Barney Bondurant, welcher ftellvertretungsweife die Füh rung des Dampfers übernommen hatte, behaudelte feine Leute schlecht und ließ sich neulich beikonimen auf die Neger Mafou, Carter unda Oimnis mit einein tinüttel dreinzufchlageu. Die übrige Manufchaft nahm für die drei Mißhan delten Partei und verlangte von Bon durant die Eiuftellung aller Feindfelig leiten. Ale- er jedoch von Neuem be gann, Simms zu mißhandeln, wurde er von feinen Leuten in feine Kajüte ge sperrt und bis zur Ankunft des Schiffes in Cincinnati darin gefangen gehalten. Nach dem Landen dafelbft beantragte die Mauufchaft bei dem Bundesgericht die Ausdftellnng eines Haftbefehls gegen VonduranL M. Der Groeer Jamesd W. Clarke aus Sheldon in Ohio gerieth am 12. März mit feiner ihm erft vor vier Wochen angetrauten Frau und feinem Schwiegervater J. L. Dhers in Streit, verkaufte feinen Antheil an der von ihm und Edward Brown betriebenen Gro eerh für fünfhundert Dollars an feinen Theiihaber und verjuckte das Geld in New York, fo daß er heute fo arm ift wie eine Kirchenmaus Jüngft wurde er von feinem Schwiegervater telegra phifch nach Haufe gerufen; wenn i m diefer aber nicht auch eine Eifenba - fahrkarte fendet, fo muß er die zwifchen ihm und feiner Frau liegenden 1500 Meilen zu Fuße zurücklegen. JnDunbar, Pa., wurden die in dem Schachte der Hill Form - Grube gefundenen 23 Leichen der am Is. Juni 1890 verungltlaten Bergleute b erdigt.