Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 27, 1900, Image 10

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    Hslrester-Abend.
vkllkttt boti S n t. S n b t m.
Nein, keine Reue! 3 mußte sein
Wer band an sein Eigenthum legte,
der war sein Feind, und wäre es auch
lein alter ffreund und Stubiengenotie,
der Assessor. Er liebte die es Weid
diese schöne exotische Blume, bis zum
Wahnsinn. . un sollte er sich gefallen
lassen, dasz sie mit dem Andern ver
liebte Blicke tauschte, ihr Mund dem
Andern lächelte und für ihn die weiben
Zähne Mischen ihren rothen Lippen
KrauSkorderiid blitzten? Nein, nein
vei! Er hatte das alle deutlich im
Spiegel gesehen vor einer Stunde.
Sie hatten nämlich Eylvefter ge
feiert. ES war eine aufgeräumte Ge
. -MHAaff. BiS Mitternacht wurde bei
SSeln und Gesang, allerlei Kurzwei!
getrieften: sie und der Afseffor gaben
den Ton an. Um ihn kümmerte sie sich
Kmm. Nur ein Mal trat sie heran
M er düster und einsilbig saß. und
sagte mit leisem Spott: .Thöricht, wer
nicht das Leben genießt, Freund! In
dieser Welt der Vergänglichkeit ift man
eben uur em Mal mng."
Brava, Circe!" rief der Assessor
linier ihr. S:e wandte sich so chnell
um, daß der goldene Pfeil aus ihrer
prachtvollen schwarzen Haarkrone siel
vielleicht war eö beabsichtigte
Coquetterie. Auch ihm war dieser goldene
Pfeil einft vor die Füße gefallen, und
er hatte ihn eben so eitrig aufgehoben,
wie jetzt der Assessor eS that. Vor
dem großen Spiegel, der faft eine
Hälfte der Wand einnahm, wollte sie
den Pfeil wieder einstecken. Der Asses
sn ergriff eine der koftbarften Steh
lampen. um ihr zu leuchten. Als ob
das nöthig gewesen wäre bei den
Strömen von Licht, die den Saal er
- hellten! Da stand sie in der schimmern-
den. mattaelben AtlüS Rode, die
schwarzen Haarwellen lose herabwal
-fcnd, daS weiße Antlitz mit den glün
zenden Zauberaugen ihrem Spiegel
bilde zugewandt vielleicht im Zweifel,
ob jenes nicht doch schöner wäre als sie
selbst. Und jetzt sah er jmes Aufblitzen
der Blicke: ihr Lächeln und sein freu
biaeS Errdthen.
In diesem Augenblick schlug es gerade
.Zwölf. Ein Jubel erhob sich, ein
Sturm von Glückwünschen. Der Cham
-toagner schäumte. Die Gläser klangen
Niemand achtete darauf, daß er .finster
w einer Ecke blieb. Doch Einer!
Der Assessor, stolz und strahlend in fei
nem Triumph über ihn. Er hielt sei
neu Kelch in die Höhe: Prosit Neu
jähr, alter Freund !"
Er aber regte sich nicht. Er schaute
dem Anderen in die Augen. Dieb!"
murmelte er nun zwischen den Zähnen.
Der Assessor verstand. Ruhig zog
- er sein Notizbuch hervor und kritzelte
auf eine Karte: Kein Aufsehen! Mor
gen Vormittag um Zehn im Tannen
Hain. Erwarte in der Frühe meine
Sekundanten."
Er mußte sort, sonst hätte er den
glücklichen Nebenbuhler mit einem
Fauftschlag niedergestreckt. Und sie?
Wie verwundert sie ihn anblickte mit
dieser heuchlerischen Kindermiene von
gekränkter Unschuld, recht zum Betrügen
geeignct!
Also dieser erste Tag im neuen Jahr
sollte sein letzter sein! Zu Hause siel
ihm ein. daß er an seine Mutter
schreiben könnte. Die arme Frau! Wie
oft hatte sie gefleht: Sei ein Mann
Werde deiner Leidenschaft Herr! Oder
gibst du das Mutterherz hin für eine
Circe?"
Er hatte es hingegeben, dies edelste
und treuefte aller Mutterherzen. Aber
das letzte Wort vor feinem Tode sollte
doch die Mutter haben.
In diesem Augenblicke tönte laut die
Hausglocke, noch ein Mal und zum
' dritten Mal. Sicherlich ein Straßen-
Jungenstreich ein frecher Sylvester
Mrz! Er riß das Fenster auf. Ist
der Herr Toctor zu Hause!" fragte un
ten eine ängstliche Stimme.
Jawohl. Was soll's?" -
.Ach verzeihen Sie ich war
schon bei drei Aerzten. Niemand zu
Hause. Erbarmen, kommen Sie!
Meine Mutter liegt im Sterben."
Warten Sie!" rief der junge Mann
herunter. Das Interesse des Arztes
war plötzlich in ihm rege. Er warf sei
nen Pelz über und stülpte die Mütze
auf. Kaum eine Minute, dann stand
er auf der Straße. Unwillkürlich schaute
er nach dem Wetter aus. Dar war eine
Angewohnheit von ihm. Ein dunkel
klarer Winterhimmel mit Millionen
von funkelnden Sternen und Licht-
stecken, die eine matte Dämmerung m
der stillen Nacht verbreiteten.
.Wohin?" fragte Doktor Günther
, geschäftsmäßig.
Eine weidliche Gestalt, ein großes
Umschlagtuch über den Kopf und
Schultern, trat aus dem Schatten des
Portals: .Die nächste Querstraße, ganz
am Ende, zehn Minuten weit. Ich
bitte, schnell!"
Sie lief mehr, als sie ging. Er hatte
Mühe. Schritt mit ihr zu halten, und
so warm wurde ihm dabei, daß er
seine Pelzmütze abnahm um seinen
heißen Kopf in der kalten Luft zu küh.
len. Sonderbar! Das wirkte wie ein
Niederschlag auf Fieberhitze. Seine
überreizten Nerven beruhigten sich: das
gesunde Alltagsleben mit seinen An
fordcrungen an seinen Verstand und
sein Pflichtgefühl, machte sich seit langer
Zeit endlich wieder bei ihm geltend.
Er kam sich vor wie ein andner
Mensch. Was vorhin sich abgespielt I
und was er mit einer A:t grausamer
Luft bei sich zu Hause noch ein Mal
nackaeledt hatte, däuchte ihm jetzt ein
wüster Shiveftertraum.
..Bitte, hier link! aus dem Hofe!"
ES war ein finsteres, unsauberes
HanS. in IdaS man ihn führte. Auf
dem Flur mit den kahlen, feuchtkalten
Fliesen brannte eine armselige Küchen
lampe. die mehr Qualm als Licht
gab: eS sah recht nach armen Leuten
aus. Die Lampe in der Hand stieg sie
voran eine knarrende Treppe hinaus.
so haftig. daß ihr daS Umschlagtuch
herunterglitt: ein blonder Haarknoten
an einem zierlichen Köpfchen kam zum
Vorschein. .Die arme Kleine!" dachte
der junge Mann nicht ohne Bitterkeit,
während ein anderes glänzendes
Frauenbild, im Rahmen von mattgel
dem AtlaS. sich ihm ausdrängte. Erst in
der Stube, vor dem ärmlichen Lager, bei
dem Anblick eines verfallenen Matronen
Antlitzes unter früh ergrautem Haar,
gewann die Wirklichkeit wieder Cder
Hand.
Er hob die magere Hand der Kran
ken. die schlaff auf dem Deckbett ruhte,
und zählte den Puls. Er fühlte die
Blicke des jungen Mädchens starr vor
Angst und Erwartung aus sich hasten
Er wandte sich zu ihr und sagte: ES
geht zu Ende." Gleich hinterher kam
er sich brutal vor. Er biß sich auf die
Lippe, um den Unwillen über sich selbst
zu unterdrücken. DaS Mädchen war
lautlos neben dem Bett hingesunken
Da lag sie, von stummer Verzweiflung
geschüttelt, die Hände der Sterbenden
aus ihren thrönenlosen Augen. Ob
die eS fühlte? Sie regte sich noch ein
mal, und ihr Antlitz verzog sich pein
voll. Der schon erlöschende Blick de-
lebte sich wieder: ein gurgelnder Laut,
Wort sich rang,
unterbrach den stillen TodeSkampf:
SylvefterAdend ". Tann ver
stummten die Lippen, ehe sie sich fchlie
fzen konnten, das Auge brach, und das
letzte Aufflackern einer qualvollen Erin
nerung blieb auf dem Todten Antlitz
haften.
DaS lunge Mädchen erschauerte und
ließ die erkalteten Hände sinken. Sie
stirbt!" hauchte sie.
Es war schon zu Ende. Der iunge
Arzt nahm das Umschlagetuch, welches
das Mädchen auf einen abgenutzten
Korbftuhl, den einzigen, der vorhanden
war, geworfen hatte, und breitete es
über die Todte. Dann wandte er sich
an die Trauernde: Fassen Sie sich.
Fräulein! Mich dünkt, in diesen, Leben
wären nicht die Dahingeschiedenen zu
beklagen, sondern die Hinterbliebenen
i?le macyie oen Ber ua. ncy zu er-
heben, aber eine Schwäche befiel sie.
Sie wäre hingefallen, wenn er sie nicht
gestützt und zu dem Korbftuhl geleitet
hätte.
Ihre arme Mutter ist gewiß von
chweren Leiden erlöst " fuhr er mitlei
big fort. Und Sie. . .nun. Sie wer
den es überwinden: Sie sind ja noch
omnq."
Sie brach in ein leiscS. krampfhaftes
schluchzen aus: der dumpfe Schmerz
von Tagen und Jahren, der nie zum
Ausoruch hatte kommen können, ver
langte endlich fein Recht.
Er wartete geduldig, bis sie sich aus
geweint hatte, und schüchtern die Auaen
zu ihm aufschlug Augen, ganz roth
und ge chwollen von bitteren Thränen!
Ich danke Ihnen. Herr Doctor!"
flüsterte sie mit einem Anflua von kind-
licher Zutraulichkeit. Ja, Mutter hat
viel ausgehalten, seit jenem entsetzlichen
Sylvester-Abend. Haben Sie vorhin
verstanden? In ihrem letzten Augen
blick dachte sie daran nicht an
mich die ich Niemand auf der Welt
mehr habe.
Ihre Stimme brach in neuem Wei
nen, und der junge Mann stand tief
ergriffen vor diesem lebendigen Bilde
hülfloseftcr Verlassenheit. Was hatte
sie in ihren jungen Jahren wohl schon
alles erduldet? Sorgen Gram und
Entbehrungen aller Art hatten jeden
Hauch von FrÜhlingsfrische und
bcnsfreudigkeit von ihr genommen
Er sah sich selbst daneben, und
Scham und Reue befielen ihn. Er, der
den aufreibenden Kampf um das nackte
Dasein nur vom Hörensagen kannte,
,ung, wohlhabend, gesund, auf der
Höhe des gesellschaftlichen Leben!
was hatte er aus sich gemacht? Einen
erbärmlichen Todes-Candidaten. nichts
Be eres als einen Selbstmörder! Und
dieses Mädchen? Ganz anderen Din
gen, als ihn je behelligten, hatte sie
Stand gehalten, und doch war ihre
Seele nicht unterlegen, auch jetzt noch
nicht, da ihr zarter Körper, erschöpft
und aufgerieben, unter der Last des
Elends zusammenbrach. Er aber hatte.
was für ein Leben hätte ausreichen
sollen, in ein paar Jahren vergeudet,
Seine Familie, die Liebe feiner Mut-
ter, feine Seele als ob das alles
nichts wäre, warf er es dem liebeä Gott
vor die Füße, um eines herzlosen, fchö
nen caocyens willen: AZaorucy, er
hate Grund, sich zu schämen vor diesem
armen Kinde.
Fassen Sie Vertrauen zu mir.
Fräulein," sagte er mild. Wenn
Ihnen Niemand näher steht, so schätze
ich mich glücklich, Ihnen helfen zu tön-nen."
Ihr trostloser Blick richtete sich auf
das Todtenlager. Ich.. ..bin ganz
allein. Wir lebten sehr zurückgezogen,
um Mutters willen," stammelte sie
matt. Wenn die paar MZbelreste nicht
ausreichen für die Begräbnißkoftcn,
dann weiß ich nicht.. .."
, Dafür wird gesorgt!" fiel er lebhaft
ein. Aber Sie. Fräulein? WaZ wer
den Sie nachher ansangen?"
C in einen Trenn geben, er-
widerte sie tonlos, während ihr bei
nahe die Augen vor Erschöpfung zu
sielen.
Er faßte ihre Hand, anz er
schrocken wollte sie ihm dieselbe entzie
hen; er ließ sie indeß nicht los. Ich
bin doch Arzt." sagte er entschieden
Ihr PulS ging so unregelmäßig und
schwach, daß er ernsthaft besorgt wurde:
wer weiß, wie lange daS arme Kind
nicht mehr regelmäßig geschlafen und
gegessen hatte!
Sie müssen vor allen Dingen etwas
Stärkendes zu sich nehmen. Ist hier
Keiner, den man für Geld und gute
Worte mit einer Besorgung betrauen
könnten? Sie?.. ..Nein, bleiben Sie
nur fitzen. Sie würden auf der Straße
umfallen. Ich gehe lieber selbst. In
zwischen öffnen wir hier das Fenster.
So armes Kind, Sie haben ja
nen wahren Schüttelfrost! Na, wir wer
den schon abhelfen."
Er zog feinen Pelz aus und deckte ihn
über das zitternde Mädchen. Sie fühlte
sich zu schwach, um sich dagegen zu
sträuben.
Ach. Herr Toctor. . ." murmelte sie
nur, wie Jemand, der nicht weiß, wie
ihm geschieht. -
Tann fiel sie förmlich in dem Korb
stuhl unter seinem Pelz zusammen.
kaum, dan ihr bleiches Nüschen und
eine ihrer kleinen dünnen Hände sieht
bar blieben.
Er ging eilig von bannen. Nach
kaum einer halben Stunde war er
wieder da. Er hatte Wein aus seiner
Wohnung geholt, und was er sonst noch
von Lebensmltteln in seinem Jung
gesellen-Haushalt vorfand. In seinem
Arbeitszimmer war bei dem Oeffnen
der Thüre Zugluft entstanden, weil er
vergessen hatte, "Z das Fenster zu
schließen. Ein Blätlchen auf dem
Schreibtisch war aufgeflattert und zu
Boden gefallen. Er hob es auf ein
Blick darauf, dann flog die Karte des
Assessors in den Papierkorb. Hohles
Pathos!" hatte er dabei gesagt, jetzt, da
er die Tragik des Lebens mit Augen
geschaut, in der dumpfen Stube, wo
die Armuth und der Kummer wohnten,
die der Tod nicht mitgenommen hatte.
als er eine Mutter von ihrer Tochter
trennte.
Wie leise er die Thüre auch hinter
sich zumachte, die arme Kleine schrak
doch zusammen, obgleich sie vor Mattig
keit eingeschlafen war. .Mutter!" rief
sie ängstlich. Dann besann sie sich. Sie
erkannte den Arzt, und der Ausdruck
von Furcht in ihrer Miene schwand
Ach Herr Doctor, Sie find wiederge
kommen?"
Freilich. Ich habe Ihnen Arznei
geholt." Er schenkte ein GlaS Wein ein
und half es ihr an den Mund: Tnn
ken Sie nur gleich! Langsam, so
Alles, wenn ich bitten darf. Es ift nicht
zu viel. Schön Nun, fühlen Sie
sich etwas besser?"
Sie nickte. Ihr bleiches Gesichtchen
bekam einen Schimmer von Farbe.
Dann wollen wir 'mal gleich das
Nothwendigste erledigen," fuhr er fort,
einen gutmüthig leichten Ton anschla
gend. Wegen des Begräbnisses keine
L?orge mehr! Das nehme ich auf mich
Für einen Arzt, liebes Kind, ist ein
Fall wie der Ihre leider keine Selten-
heit. Keine Einwendungen also! Außer
dem muß etwas für Sie gethan wer
den. Ich werde zunächst Ihre Haus
Wirthin herausklopfen, damit Sie für
den Rest der Nacht ein anderes Unter
kommen finden, und sich vor allen Din
gen gründlich ausschlafcn."
Pioklich siel ihm ein, daß ihm la
nur noch ein paar stunden Zelt
blieben.
Eigentlich." fügte er ernster hinzu,
stehe ich im Begriff, eine längere
Reise anzutreten indeß für Sie
soll gesorgt werden; ich verspreche es
Ihnen."
Sie machte eine kleine Bewegung
der Enttäuschung, über die er lächeln
mußte. Wenn Sie müßte!" dachte er
Borher mochte ich noch ein wenig
von Ihnen hören von der Krankheit
Ihrer Mutter," begann er von neuem.
Nicht wahr, sie hat viel gelitten?"
Unendlich!" flüsterte das Mädchen
Seit jenem schlimmen Sylvester
Abend!"
..Ah. was hat es für eine Bewandt-
niß damit?" fiel er lebhaft ein. Er
sah, daß die Thränen wieder in ihre
Augen traten.
Heute vor drei Jayren hat mein
einziger Bruder sich erschossen!"
Ein Ausrus des Bedauerns entfuhr
ihm. Er mußte an seine eigene Mutter
denken, der man morgen, nein, heute
vielleicht schon die Nachricht von dem
schmählichen Tode ihres einzigen Soh
nes bringen würde.
In der That, teyr traurig!' mur-
melte er zerstreut. Gleich darauf be
mächtigte sich seiner ein fieberhaftes
Interesse. Erzählen Sie. bitte, was
bewog Ihren Bruder zu der verzwei
feiten That?"
Ich wußte eS damals nicht," gab
sie leise zur Antwort. Erst später,
auS der Mutter verworrenen Reden, ist
eS mir klar geworden. ES war um eine
vornehme Dame. Belladonna" hat er
sie genannt. Sie muß sehr schön ge
Wesen sein. Wir fanden unter seinen
Papieren ein Bild von ihr. Es ist nur
sehr beschmutzt und zerknittert. Wenn
Mutter ihre Anfülle hatte, ließ sie eS
nicht auS den Händen. Werner hatte
eS selbst gemalt, er war ja ein Maler,
und die Leute sagten, er würde einst ein
großer Künstler werden. Auf der AuS
ftellung hatte er ein Gemälde, von dem
alle Zeitungen sprachen. Ein Ameri
kaner kaufte es für sehr viel Geld.
Mutter war so stolz auf ihn. Wir leb
ten wie reiche Leute. Ich sollte mich
für die MU,l ausbilden. DaS nahm
alles ein Ende, als er die schöne Dame
kennen lernte."
Sie trocknete . ihre Augen, und als
Doctor Günther sie mit keiner Silbe
unterbrach, erzählte sie schüchtern wei
ter: Werner hat alles für sie hingeben
müssen, und wir darbten. Er tröstete
uns zwar, wir sollten nur Geduld
haben. Er stünde vor einer großen
Arbeit, die ihm mit einem Schlage be
rühmt machen sollte. Zu Hause war
er leiten; wir wußten nicht, was er
that. Ein Mal kam er bleich und vev
stört zu einer Unterredung mit Mut
ter. Rachher ging er fort, und Mutter
weinte. Es war kurz vor Weihnacht
ten. Für uns gab eS nichts als Kum
nier und Sorge. Ich sah Mutter sich
verzehren um Werner's willen. Wenn
ich sie . abu fragte. waS er gethan
hätte, so sagte sie: ES ift nichts für
Dich. Kind." Nur einmal entfuhr eS
ihr: Kein Spieler ift je reich gewor
den!"
Also Werner spielte. Mir wurde
ja nachher klar, für wen und auch, wer
ihn dahin gebracht hatte. Gerade am
Neujahrötage erhielten wir das schreck
liche Telegramm: Werner gestern
Abend verunglückt. Tödtlicher Aus
gatig." Ach, seitdem habe ich keine
Nacht mehr ruhig geschlafen! Mutter
bekam einen 'Schlaganfall. Nach etwa
vierzehn Tagen packte sie Werner's hin
terlassene Habseligkeiten aus und fand
einen Brief. Er war nur angefangen;
aber er trug die Ueberschrift an Mut
ter. Ich habe ihn in dem ersten
Schrecken gar nicht recht verstanden
Ruinirt, verdorben, ehrlos und dann
verrathen. Mutter, Schwester lebt wohl
und" Hier war der Brief durchgeris,
sen, das andere Stück fehlte. Vielleicht
hatte Mutter eö gethan. In der Küche
war ich. bei unserem armseligen Neu
jahrs'Essen, als ich sie laut aufschreien
hörte. Als ich hinkam, lag sie am
Boden, zuckend und Schaum vor dem
Munde. Dem folgte ein zweiter
Schlaganfall. Von da ab blieb ihr
Geist umnachtet. Sie hat sich nie mehr
erholt nie."
Sie deutete auf ein Wandbrett. In
der Mappe. Mutter hat sie rne her
geben wollen."
Der junge Mann fühlte sein Herz bis
in die Kehle schlagen, als er die plund
rige, arg befleckte Zeichenmappe ossnete
Gleich obenauf ein wundervoller Frauen
köpf, von losem dunkelm Haar umwallt,
Mit einem Paar Zaudcraugen! Er
nahm einen Ansatz zum Lachen. Dann
besann er sich, klappte die Mappe zu
und trat an das Fenster, um sich weit
hinauszulehnen.
Nicht wahr, sie ist ehr chön?
Aber wenn Mutter ihren Anfall bekam.
schlug sie das Bild. Jawohl. Bella
donna!" schrie sie, meinen Sohn hat
sie vergiftet, die Freude und den Stolz
meines Lebens" .... Wag ist Ihnen.
Herr Doctor?"
bie erhob ich muysam und trat zu
ihm hin. Er merkte es nicht. Erst als
sie ihre Frage wiederholte, gab er einen
ächzenden Laut von sich. Dann athmete
er auf. Er hätte die Vergangenheit in
die Nacht werfen mögen.
Er wandte sich um: Ja, ia die
Stubenluft! Sie hier, liebes Kind?
Das ift brav. Diese Morgenfrische
wirkt Wunder: ist sie Ihnen zu kalt?
Wo haben Sie meinen Pelz gelassen?
Warten Sie, ich hole ihn." Er legte
ihn ihr um die Schultern und faßte
ihre kleine, heiße Hand: Verzeihen
Sie, daß ich hier so in Ihrem Unglück
gewühlt habe. Jetzt sagen Sie mir
noch eins: wie lebten Sie seitdem?"
Ich pflegte Mutter, so gut es ging,"
antwortete sie, indem sie ihm furchtsam
ihre Hand entzogt Im ersten Jahre
ging es. Ich nahte und plattete für
andere Leute, außerdem hatten wir
noch Wäsche und Möbel zum Versetzen
Nachher kamen mir fast dem Verhun-
gern nahe, und lebten großtentyeils
von Almosen.
Armes Kind!" - :
Unten gingen ein paar Nachtschwär
mer vorbei. Die sahen das Licht oben
und das offene Fenster. Prosit Neu
jähr!" riefen sie lustig herauf.
Das junge Mädchen zog sich cheu in
die Stube zurück,
Wie heinen Sie denn, mein armer,
kleiner Schützling?" fragte er weich.
Hedwlg."
Tann für heute das Letzte, liebe
Hedwig! Sie haben mir mit Ihrem
Vertrauen einen großen Dienst ge-
leistet, ja, mich aus einer großen Ge
fahr gerettet. Das. ift mehr als ich
werde gut machen können. Jemand
Anders wird daS thun, Hedwig: meine
Mutter. Wenn sie erfährt, was an
diesem Sylvefter-Abend mit mit vor
gegangen ist, so wird ste den Augen-
blick segnen, als ich diese Schwelle be-
trat. Ich bleibe hier. Ich habe Besseres
zu thun, als jene Reise anzutreten, die
mir später, nach vielen Jayren yostent
lich, doch nicht entgeht. Ich helfe
Ihnen zunächst Ihre Mutier bestatten,
denn bringe ich Sie zu der meinen.
Sie ift die edelste und beste Frau auf
der Welt. Mit offenen Armen wird
sie Sie aufnehmen, dafür bürge ich.
Tort, auf dem Lande, bei der besten
Pflege, werden Sie sich schnell wieder
erholen. Wenn wir uns dann wieder
sehen, haben Sie rothe Backen, und..
aber sagen Sie. wollen Sie, liebe
Hedwig?"
Sie stand vor ihm in dem für sie
viel zu umfangreichen Kleidungsstück,
da? blonde Köpfchen gesenkt; er sah
aber doch, daß es wie ein stiller Glanz
aus iyrer Stirne leuchtete.
.Wie foll ich Ihnen das alles dan
ken. Herr Doctor? Es ift ja viel
gut. zu schön für mich?"
Er aber lächelte: Ja. wer weiß? Ich
käme am Ende wirklich mal und for
derte meinen Lohn von Ihnen. Vor,
läufig hören Sie mein Keständniß: die?
wirdderunvergebljchsteSylvefter.Abknd
meines Lebens sein, denn mit dem
neuen Jahr hat ein neues Dasein fü
mich angefangen. So Gott will, auch
für Sie, liebe Hedwig."
Er nahm ihr schmales Gesichtchen
zwischen seine Hände und berührte mit
seinen Lippen ihre Stirne: da war eS
als ob sein Herz von den Todten au
erstände.
Der Morgen graute, ein trüber
Wintermorgen: die Klarheit der Nacht
hatte unter dichtem Schneegcwölk ein
Ende genommen. Sorgfältig ange
kleidet, faß der Assessor am Schreib
tisch nicht um sein Testament
machen, sondern um seine Eigarre
aufzurauchen. Im Grunde freilich
schmeckte sie ihm nicht. Er wünschte,
seine Secundantcn hätten die Ange
legenheit endlich erledigt. Da Mrde
geläutet. Er sprang auf und öffnete
nicht die Erwarteten, sondern sein
alter Freund stand vor ihm. Du
Günther?"
Die beiden jungen Männer schauten
einander kn die Augen, forschend
ernst. Tann wurden ihre Blicke weich.
Wer der Erste war, der seine Rechte zur
Versöhnung bot, sie wußten es nicht, sie
drückten einander die Hände, lang und
ties bewegt.
Drinnen, in der Stube, legte Gün
ther se'ne Hand dem alten Freunde auf
die Schulter: Vergiß die böse Stunde
von gestern Abend, Heinz! Ich habe si
überwunden. Daher, Freund, kann ich
Dich jetzt warnen. Ich habe diese Nacht
mein Spiegelbild gesehen, wie es at
wesen wäre, wenn Gott sich nicht in's
Mittel gelegt hätte. Ich sah eine Mut
ter sterben, deren einziger Sohn al
Selbstmörder endete, in der Sylvcftev
nacht vor drei Jahren. Die arme Frau
lebte seit dem irrsinnig, zusammen mit
ihrer Tochter, einer armen, verkümmer
len '2icaocyenlnospe, die vor meinen
Augen an dem Scerbebett der Mutter
zusammenbrach. Der junge Mensch
schoß sich eine Kugel durch den Kopf.
weil er sich verrathen sah von einem
Weibe, für das er sich ruinirt hatte.
Mutter und Schwester fristeten ein
Hungerleben durch die Wohlthätigkeit
mitleidiger Seelen. Und er war der
Stolz dieser armen Frauen gewesen.
ein Künstler, von dem die Welt Großes
erwartete! Das Weib, welches ihn und
die Seinen zu Grunde richtete, war
eine Dame von wunderbarer Schön
heit."
Ter Assessor riß die Auaen auf. Die
Farbe war ihm aus den Wangen at
wichen. Als der Andere stockte, machte
er eme ungeduldige Bewegung: Und?"
Die arme Mutter hat in ihrem
Wahnsinn ihr Bild geschlagen ihr
Sohn hat es gemalt ich sah es, und,
lieber Freund, die Belladonna von da
mals hatte eine merkwürdige Aehnlich-
seit mit der titrce von gestern."
Ah, das hat dich geheilt?"
Nicht allein das. Das arme der-
lassene Mädchen, das so treu bei seiner
Mutter ausharrte in Noth und Elend,
hat mir mächtig ans Herz gegriffen.
Ich bringe sie zu meiner Mutter, die
nun i,e wünschte sich längst eine
Tochter."
Die Blicke der beiden jungen Herren
ruhten lächelnd in einander. Dann
schüttelte der Assessor nochmals beide
Hände des Arztes. Günther, mein
Freund, jetzt erst Prosit Neujahr! Dir
und deinem Herzen!"
Me es gemacht wird.
Ein nioderncs
eschichtchcn
Mir.
von Paul
Die glückliche Braut sitzt in ihrem
hellen Zimmerchen und stickt Mono
gramme.. Dabei läßt es sich so gut
träumen von der Zukunft. Die Er-
eignisse der letzten Wochen, die so heftig
an ne eingestürmt, gleiten nun leise an
ihr vorüber, sie spinnt sich immer fester
em in bunte Gedanken. Und es wirbelt
durch ihr blondes Köpfchen: Endlich
hat er angehalten! Na, gedauert
hat es lange genug. Ein schmerer
Kampf! Ich habe schon wirklich gedacht.
ich bleibe sitzen. Achtundzwanzia Jahre
sind keine Kleinigkeit. Aber er weiß es
ja nicht, vorläufig verheimlichen wir es
vor ihm. Und wer weiß, wie es m,t
der Mitgift sein wird. Vorläufig hat
man ihm alles versprochen. Gott helfe
weiter. Der Onkel Adolf wird das
schon ordnen, beider Bertha ifteSja auch
gut ausgegangen. Wenn man sich be
reits erklärt hat, kann man dann
plötzlich auS so durchsichtigen Gründen
schwer zurück. Uebrigens heutzutage
bei diesen Männern ift leider Alles
möglich! Doch warum foll ich mir die
Freude durch solche Bedenken trüben.
die Hauptsache ift, er hat angehalten!
Das war reizend von ihm; schon des
halb hab' ich ihn gern!
Seit einigen Tagen besuche ich mit
Erfolg die Kochschule, um mich einzu
üben und in den besseren Sachen zu
perfectioniren. Gestern hab' ich meinem j
Bräutigam eine ' Zorte präfentirt, er
hat mir das Eompliment gemacht, sie
schmecke bester als von der Eonditorei.
Er war erstaunt, daß das mein Fadri-
kat in. Und an der Ehokrlade konnte
er sich nicht satt trinken. Drei Schalen
waren ihm ein Herzensdedürfniß. Jlat
ein bischen zu süß." meinte er und
schaute mich dabei so warm an.
Mama meinte: Ella hat sie mit Liebe
gekocht." Er griff darauf nach meiner
Hand.
Ich glaube, ich werde ihn bald sehr
lieb haben. Länger hätte ich ,Z zu
Haufe ohnedies nicht ausgehalten. eS
war die höchste Zeit, daß einer gekoin
man ist. Und ich glaube, ich gefalle
ihm auch. Er schaut mich stets ver
stöhlen an; wenn ich aus dem Zimmer
gehe, fühle ich stets seinen Blick auf mir
haften, bei jeder Gelegenheit greift er
nach meinen, Fächer. Ich bin über
zeugt, er wird keine Uiigelegenheiten
machen, wenn eS mit der Mitgift nicht
ganz stimmen wird, er ift nicht so. wie
der Bräutigam von Bertha war. der
im letzten Moment noch mit aller Ge
walt einen Spieltisch wollte
Ter Herr Bräutigam ist heute etwas
früher als sonst in sein Junggesellen
heim gekrochen". Es erschien ihm das
Wirthshaus fo langweilig, er wollte
allein fein in feinen Luftschlössern und
sich einen 3h brauen und träumen..
Ja zu Hause wollte er an sie denken,
dort im Wirthshaus hätte er!fi ii.
fanirt mit feinen bin und ber irrende,
Gefühlen. Et lehnt sich zurück, eö ist
so behaglich in dem warmen, von einer
vampe iild erhellten Zimmer und er
träumt: Gut. ich werde die Kleine
heirathen. ES ist die höchte Zeit, daß
man dem langweiligen Junggesellen
tötn enogliria Adieu taat. mntfr
dasselbe! DaS fade Gasthaus mit den
Kellnern, die einen immer noch nicht
verstehen. Und die guten Freunde mit
den Gesprächen, die längst den Reiz der
Neuheit eingebüßt baden. Mit r,
heuchelten Mienen preisen sie Alle den
gegenwärtigen Zustand vollständiger
Ledigkeit, während ihnen innerlich ganz
anders zu Muthe ift. Da heißt's
fliehen. Rechtzeitig. Sonst versäum-
ich den Anschluß und komme knapp
zum Zuge in die letzte Classe! Schon
elt etlichen Wochen süble Ick eine merU
würdige Sehnsucht nach einem Ehe
ring. So ein liebreizendes Frauchen
m trauten Heim ist dock eine brillant-
Erfindung. Man weiß. wo,u man auf
der Welt ist. So dahinleben, ohne
innigen Antheil an der Welt, hat gar
keinen Zweck.
Deshalb flott einaeseaelt in hen
ruhigen Hasen der Ehe! das Mädchen
gefüllt mir auch soweit, sie ist nicht
mehr ganz jung, so wollte ick 3 i
haben. Und dann hat sie fo etwas
Rührendes. Anhängliches; das sind die
Mädchen, die lange Jahre auf einen
Mann warten. Den Erstbesten nehmen
ne nicyi. lieocr nnocn te ttck mit h-m
Schicksal ab, dann erscheint einer, der
hnen gefällt, dem stürzen sie lick mit
einem angesammelten Schatz von Zärt
lichkeit an den Hals. Gerade mit kn,.
chen Wesen kommt man in der is.he
ehr gut aus. Uebriaens eine Miiw
Mitgift hat sie auch. Ohne Geld hätte
ch sie nicht genommen. Einen 9M-rh,
fond braucht man immer und schließ
lich eine Stellung bat man auch di
eweil berechtigt. Ansprüche zu machen.
Also nur Muth und Vertrauen, die
Ehen werden ja in, Himmel aescblos-
en!.... " " '
Der Hochzeitstag war herangekom-
men. Der Bräutigam sak all-in i
seinem Monatsheim, von dem er bald
Abschied nehmen sollte. Aufgeboten
waren die Verlobten. Nun foilr ,
ernst werden.
Da klopfte es an der Tbür. .
ein!" Es ist der neue Onkel. Ich will
mit Ihnen ein wenia vlaudcrn. ?w
Zweck des Besuches war. den Bräuti
gam aufzuklären, daß man ihm soviel
Geld nicht geben könne, wie man ver-
prochen. Er habe es als seine SRflirfit
erachtet, ihm dies noch rechtzeitig"
mitzutheilen. Ich hoffe meinte
der Onkel daß dies für Sie kein
Grund zum Rückzüge fein wird, zumal
letzt, wo die Einladungen schon nW
schickt worden sind. Sie sind doch ein
Mensch, der auf solche Kleinins-i-n
nicht schaut; schauen Sie sich lieber das
? Va3 """lich ein entzückendes
Geschöpf ,st. das kann ich schon sagen
auch wenn ich ihr Onkel bin. Uebrigens
will ich Sie nicht beeinflussen, überlegen
Sie sich die Geschichte."
Und der aufrichtige Herr Onkel fragte
ihm ein freundliches Adieu.
Etwas verstimmt begab sich der
Bräutigam zu den Eltern der Braut.
Es war ihm recht peinlich, aber er
wollte sich zurückziehen. Im Vorzimmer
stand seine -Braut. Sie reichte ihm
mit trauriger Miene die Hände. Er
fragte sie theilnahmsvoll nach ihrem
Kummer. Ach, ich muß Dir ein Ge
ftändniß machen ... Du. Otto, ich kann "
nicht mit einer Lüge in die Ehe treten
nein, nein, ich kann nicht Das drückt
schon lange mein Herz.... Du, Otto.
Papa kann mir nicht soviel Mitgift ge
den. Wenn Tu mich nicht wirklich
liebst, fo laß mich rubia kikpn
dann nimm mich nicht."
Er liek sre nicht weiter skr.-n
verschloß ihren Mund mit seinen Küssen.
Sie er chien ihm so rübr,nk in ihr.-
hilflosen Aufrichtigkeit. Und er schloss
seine Arme und formn w.
rumpelt von seinem eioen-n ft-r
sprach er: Ich würde Dich ,
SÄsa?nSDnn;itin