Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, November 08, 1900, Image 10

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    Lin uiuctebcltcr Mensch.
Von 2 i b 0 n i c iitS.
Guten Abend. Kleine!'
Aber, Rudolf. Xu schlägst ja die
Th!ir Bieder so furchtbar zu ich bin
halbtot erschrocken und. Rudolf. eZ ist
doch entselich ungebildet!'
.Ja. weiß der Himmel, die fällt auch
immer so von selber zu!'
.Wenn Tu die Klinke in der Hand
behalten hättest, so konnte sie nicht her
umfallen!'
.Ach. Unsinn gib mir einen Kuß
und sei stille. MauS!"
.Tu könntest Tir'Sdoch abgewöhnen.
Rudolf ich bat Tich schon so hundert
Mal, und Papa thut eS nie!'
.Oder auch Tu könntest Tich daran
gewöhnen, da ich eS nun einmal thue
daZ wäre auch eine Lösung!'
Und wahrscheinlich, um einen An
fang zu machen mit der Gewöhnung',
schmetterte er jetzt die Thür seines Zim
merZ. in daZ er sich von der grollenden
Gattin zurückzog, kräftig inZ Schloß.
Ilse warf die Arbeit fort, schlug die
Hände vor? Gesicht und weinte zum
Herzbrechen.
So machte er'S nun er li f eg
und that ruhig weiter, was sie ärgerte.
Ach. wie schrecklich ach. nie nie hätte
der Papa so etwaS gethan! Und die
ritterliche Gestalt deS VaterS trat vor
ihr Auge und fein chevalereskeS Beneh.
men gegen die Mama, in der er stets
. neben der geliebten Frau auch die
Dame sah. Ta. so war Rudolf nicht
gar nicht!
AIS der Professor Rudolf Weigand
damals die reizende Ilse umwarb, sagte
der Vater, ein höherer Beamter ohne
Vermögen, eS fei das Beste, sie nehme
ihn. Aber die Mama hatte allerhand
Einwendungen.
Erst siebzehn! Ottomar, bedenke
doch eS können noch Andere kom
men "
Wer soll kommen, mein Herz? Ein
Offizier braucht Vermögen, daS haben
wir nicht, also "
ES könnte doch aber einer kommen,
Ottomar, der selbst genug hat!"
Aber, meine kluge Amanda, ich be
greife Tich nicht! Die wollen dann
sicherlich noch drei Mal so viel, als sie
selber haben, das sind die Schlimmsten!
Zudem dieser Trost bleibt uns ja
immer noch für Hildegard. Nelly und
Hedwig Ilse hat mit siebzehn
Jahren einen ernsthaften Bewerber,
das will viel sagen! Nehmen wir ihn
ernst, mein Kmd reden wir der Klei
nen zu!'
Und Frau Amanda redete ihr zu;
nicht als ob die kleine niedliche Ilse eine
Abneigung gegen den großen, breit
schultrigen, etwas uneleganten Mann
gehabt hätte, aber in ihrem Köpfchen,
so klein und zierlich es war. hatten doch
neben der vielen, vielen Weisheit, die
die Töchterschule dahinein gepflanzt
hatte, noch eine große Menge roman
finster Üh(n Nld hnn Milans im 9eui,
"7 I " - - M V Vt ' )
nantS, von Ballabenden, von Fenster
Promenaden, von schmachtenden Blicken
und allerhand ähnlichen Dingen
sind wir doch Alle einmal siebzehn Jahr
gewesen!'
Mit dieiem ChaoS in dem allerlieb
ften Köpfchen des TSchterchens räumte
Frau Amanda etwas auf und placirte
dafür einige gesunde Begriffe, wie
gute Partie", solider Mann", au
kömmliche Existenz" und AehnlicheS
hinein. Der Erfolg war, daß der
Doktor bei feinem nächsten Besuche schon
mit anderen Augen angesehen wurde,
Der Elephant, der sich heimrollen sollte
in seine Dschungeln, statt arme Mägd
lein durch verliebte Augen zu er
schrecken," war jetzt ein blonder deut
scher Bär mit einem ehrlichen Gesicht'
ein ungeheurer Fortschritt, wie
Jedermann einsehen muß. Auch war
seine an Anbetung grenzende Verehrung
wirklich wohlthuend; so etwas hebt das
Selbstgefühl merkwürdig. Zwar Mlirn
Dalberg hatte auch einen ernsthaften
Anbeter, noch dazu einen Leutnant,
aber man wußte doch allgemein, daß er
noch schwanke' zwischen ihr und einer
sehr niedlichen und vielleicht doch noch
reicheren Gutsbesitzerstochter in der Um
gegend. Ilse's Verehrer schwankte
nicht, das gar sicher! Seine Liebe
strahlte ihr auf zehn Schritte von seinem
hübschen gutmüthigen Gesicht entgegen,
und wenn er sich auch nicht in viele
Redensarten einließ in dem richtigen
Gefühl, daß Alles etwas täppisch her
auskommen würde, so sprachen seine
Blicke eine ganz ausreichende Sprache.
Es dauerte keine vier Wochen mehr, da
war Ilse vollends vernünftig gewor
den" und goldgeränderte Karten b enach
richtigten alle Freunde von diesem er
freulichen Ereigniß.'
Während des nicht allzu langen
Brautstandes nahm sich der Bär" sei
ner zarten kleinen Braut zur Liebe sehr
zusammen, erduldete viele Qualen durch
zu enge Stiefeln, zu hohe Stehkragen
und einen stets zugeknöpften Rock; ja,
er klemmte sogar ein Pince-nez auf
seine Nase, die bis dahin eine unfchul
dige. stets schief fitzende Brille auf ihrem
Rücken getragen. Alle Welt fand, er
sehe ordentlich schneidig" aus und sein
schönster Lohn war JlsenS verwunder
ter AuSspruch, daß sie ihn früher nicht
halb so nett aussehend gefunden habe.
Nun aber war der Brautstand zu Ende,
eine fröhliche Hochzeit wurde gefeiert
und der Professor entfaltete seine Sie
benZwllrdigkeit demnächst im eignen
Heim.
Ta war nun doch Manches anders
di J'se gedacht, Schon beim ersten
Mittagessen, wie sie sich .gesegnete
Mahlzeit' wünschten, meinte die kleine
nxa-d: .Ruso'.s. vaya ubi ne naq
dem Essen Mama die Hand!'
Ach waS. Klein?.' versetzte er mit
einem herzhaften Kuß. der Mund in
mir lieber!'
Schön gesagt. Herr Toktor, aber Sie
hätten doch dem niedlichen brauchen
den -paß machen können:
Tann fand eS sich auch, daß die
schiefe Brille noch exiftirte und sogar
den garzen Tag seine Nai'e zierte; der
Kneifer kam nur beim Ausgeyen an
die Reihe ebenso wie die eleganten
Stiefeln, die kleidsamen Kragen und
der gutsitzende knappe Rock. Auch trug
Rudolf zu JlsenS Erstaunen einen
Schlafrock, der ihm zwar nicht schlecht
stand, den aber der Papa nie gehabt
hatte. Und waS schlimmer war er
krachte mit den Thüren, warf die Ei
garrettasche auf den Teppich, kam mit
den Straßenstiefeln in ihr zierliches
sauberes Stübchrn, fchlür tedie suppe.
und küßte ihr thatsächlich nie die
Hand, eine Reihe von Unthaten, die
ihr eheliches Glück wesentlich trübten.
Er war eben ein ungehobelter Mensch.
Bisher hatte sie auch 1 alles still er
tragen, nur mitunter gegen daZ uner
hörte Zuschlagen der Thüren sanft
remonstrirt natürlich ohne jeden Er
folg; jetzt aber hatte sie beschlossen,
ihren Mann zu erziehen', WaS äugen
scheinlich von den weiblichen Wesen,
die ihm früher, als er noch in einem
bildungsfähigerem Alter, nahe geflan
den, nicht besorgt worden war
wie Ilse sich ausdrückte: seine Mutter
hatte ihn zu wenig gewichst!" Also
nun würde die Erziehung nachgeholt
werden, nahm sie sich vor, so wie sie
ihre Macht über den verliebten Mann
kannte, blieb gar kein Zweifel, daß er
in kürzester Zeit ein Muster von einem
salonmenschen werden mußte.
Heute war nun der Anfang gemacht
worden und eS war ein Mißerfolg,
wie sie sich nicht verhehlen konnte. Noch
schlimmer: eS war das erste Mal, daß
ihr guter, ergebener, zärtlicher Gatte
im Bösen von ihr gegangen war. Und
sie hatte doch die besten Absichten ge
habt. ,
Ach. es war zum Verzweifeln!
Nun ging er drüben in feiner Stube
mit mächtigen schritten auf und ab
in den großen, plumpen Stiefeln
natürlich! und sie, feine kleine, gute,
hübsche Frau, die er doch durchaus
hatte haben wollen, sie saß hier allein
und weinte bittere Thränen! Sie
fühlte sich unbeschreiblich unglücklich.
Eine öde Zukunft, in der sie immer
allein hier an ihrem Nähtisch sitzen und
weinen und in die nur ganz von fern
das entsetzliche Getöse zugekrachter
Thüren als einzige Abwechslung hin
einschauen würde, stand vor ihrem
geistigen Auge oh, wie schrecklich!
Da hielt drüben der feste Schritt
inne; jetzt begann er wieder, er hielt
wieder inne, offenbar in der Nähe der
Thür er entfernte sich nochmals
aber als er zum dritten Male anhielt,
öffnete sich mit kräftigem Geräusch
selbstverständlich! die Thür und er
trat herein mit einem ganz bekümmer
ten Ausdruck auf seinem freundlichen
Gesicht.
Kleine Frau," sagte er und schlang
den Arm um ihre zierliche Gestalt,
nun wollen wir uns aber wieder ver
tragen! Wegen solcher Dummheiten
uns zu zanken sind wir nicht thöricht,
wie die Kinder? Komm', Frauchen,
weine nicht mehr bist ja doch mein
allerliebster Herzensschatz!"
Nun, ein Weilchen ließ sie sich noch
bitten, natürlich, aber dann war sie
wirklich wieder gut für dies Mal, nahm
sich indessen innerlich fest vor, nicht
nachzulassen in ihren civilisirenden
Bestrebungen.
Die nächste Gelegenheit zur Ausfüh-
rung dieses lobenswerthen Entschlusses
bot sich, als bald darauf Mimi mit
ihrem schwankenden Leutnant, der sie
doch schließlich noch genommen hatte.
zum Thee kam. Rudolf hatte ich
zwar gesträubt gegen diese Einladung
und vorgeschlagen, es sollte eine Cafe
fete" gegeben und er ungeschoren" ge
lassen werden, aber Ilse blieb fest aus
den verschiedensten Gründen. Erstens
war eS viel feiner so, zweitens sah es
immer wesentlich vortheilhafter aus bei
Lampenlicht, drittens hatte sie ein ent
zückendes Cabaret für kalten Aufschnitt
zur Hochzeit bekommen und viertens
eine wunderhübsche Nickel-Theemaschine.
Auch war es Rudolf nur zuträglich,
wenn er sich wieder mal in Gesellschaft
bewegte; seine Spekulation ging ein
fach dahin, während der Cafefete"
irgend wohin auf die Kegelbahn zu
gehen und dann Abends, mit Schlaf
rock und Pantoffeln angethan, ' alle die
Reste aufzuessen oh, sie durchschaute
ihn.;
Ohne etwas von au diesen schwar
zen Hintergedanken zu ahnen, fügte sich
der gute Doktor schließlich, schmückte
sich sogar seinen Gästen zu Ehren aufs
Feinste.' stellte, um ein Uebriges zu
thun, eine viel bessere Cigarrensorte
auf, die er sonst nur still für sich
rauchte und hatte folglich ein ganz vor
züglicheS Gewissen.
Ilse aber hatte grotzarttge forderet
tungen getroffen, um Mimi und deren
Gattin zu imponiren. Nicht etwa mit
köstlichen und vielen Gerichten Gott
bewahre, das wäre schrecklich unelegant
gewesen bei so wenigen Gästen, wie sie
ihren Mann, der lüstern Lachs und
Wildschweinkopf vorgeschlagen hatte,
ehr von oben herab belehrte, nein, nur
der ganze äußere Apparat war auf daS
Erlesenste eingerichtet. Den Thee machte
sie selbst auf echt russische Art, indem
sie zuerst den Extrakt bereitete, und ihr
Madchen hatte stundenlang daZ Prüsen
tiren einüben müssen, so daß sie nun
entschieden durch keinen Zmischenfall
mehr über .Recht?' und .LinkZ' zu
beirren war. Ein eleganter Haushalt
ein Bijou von einer Frau' daZ
sollte der Leutnant denken, wenn er
gehen wurde!
Und nun bitte, Rudolf, komm mal
her,' bat sie noch, als Beide den fertig
hergerichteten Tisch musterten. Gehör
fam kam er an ihre Seite.
Sieh mal, wenn Tu doch heute da?
Messer nicht so aufstellen wolltest so
weißt Tu, mit der spitze nach oben.
daß man denkt. Tu wolltest Teine
Nachbarin aufspießen eZ ist so furcht
bar schlechter Ton!"
Was?" fragte er verwundert, zeig'
mal. wie soll ich'S nicht machen?"
So Rudolf!" sie setzte sich und
machte eS ihm vor. wie er bei Tisch daS
Messer halte, sobald er eS nicht zum
Schneiden brauche: mit festem Griff der
ganzen Faust umspannt und kerzcn
gerade auf den Tisch gestemmt. Es ist
eme abscheuliche Gewohnheit, Rudolf,'
schloß sie. wirklich. Tu mußt Tir'S
abgewöhnen!"
Er schüttelte den Kopf und brummte
innerlich über die verzwickte Vorschrift,
aber er wollte doch seine Kleine nicht
böse machen und versprach daS Beste.
Und dann, Rudolf wenn Tu mir
heute die Hand küßtest zur gesegneten
Mahlzeit es ist so wunderhübsch und
macht in der That einen reizenden Ein
druck bei Eheleuten!'
Er wurde schon etwaS ungeduldig
pnd sagte nur: Meinetwegen, wenn
ich's nicht vergesse!"
Aber Frau Ilse war nocht nicht fertig.
Auch, bitte, frage Mimi, ehe Tu
eine Cigarre anbrennst es ist nnbe
dingt nöthig!"
Tonnerwetter," brach er aus, so
viel Umstände, um solche kleine Gans!"
Aber Rudolf es ist doch nicht um
sie. eS ist um uns und unser Renom
mee! und schließlich könntest Tu Tir
ja all' dies angewöhnen es würde
reizend sein und ich wäre viel glück
licher. wenn Tu gute Manieren hät
tcst !"
Er sah sie mit großen Augen an und
ein ernstes Nachspiel wäre vielleicht er
folgt, wenn nicht in diesem Moment die
Gäste erschienen wären.
Rudolf war noch so beschäftigt mit
den letzten Worten seiner Frau, daß er
in der Zerstreutheit Mimi's Hand
preßte und schüttelte, als fei sie ein alter
lieber freund aus der Studentenzeit
ein Vorgang, den Ilse mit Empörung
verfolgte.
Tann, als zu Tisch gegangen wurde,
vergaß er sogar. Mimi den Arm zu bie
ten er mußte zu lebhaft darüber
nachdenken, wieso Ilse glücklicher sein
würde, wenn er gute Manieren hätte.
So blieb er schweigsam und aufmerk
fam. aß nur still, was ihm gerade
schmeckte, stemmte natürlich das Messer
auf, reichte seiner Nachbarin keine ein
zige Schüssel, vergaß. Wein einzu
gießen kurz, er war der entsetz
lichste Wirth, den man sich vorstellen
kann, so daß Ilse die Tafel eher auf
hob, als sie beabsichtigt hatte, und er
leichtert aufathmete, als ihre Gäste um
elf Uhr sich empfahlen.
Nun, Tu haft uns a hüb ch bla
mirt," begann sie sofort, und eine Gar
dinenpredigt folgte, die nicht an Energie
dadurch verlor, daß sie sich in öfteren
Wiederholungen erging, denn jede Wie-
derholung war auch eine Steigerung,
bis zuletzt ein Superlativ das Ganze
abschloß: Ich hätte Dich eben gar
nicht nehmen sollen ich dachte mir's
gleich, daß Tu ein alter Bär feist !"
Der alte Bär" saß traurig da und
sagte kein Wort; er seufzte nur biswci-
len. Als die erzürnte kleime Dame
endlich verschwunden war, um in
schreckhaften Träumen die Aufregungen
dieses entsetzlichen Abends nochmals zu
durchleben, faß er noch lange da und
über dem trüben Sinnen ging ihm so-
gar die Cigarre aus. Das kommt
blos von der nichtswürdigen Töchter
schulenerziehung," sagte er endlich auf
stehend.
Frau Ilse aber erlahmte nicht völlig
in ihren Bildungsversuchen, so wenig
bis jetzt die Resultate gewesen; sie be
schränkte sich zwar meist auf ostentative
Seufzer, vorwurfsvolle Blicke und
trübes Kopfschütteln, aber all' dies
zeigte ihre Mißbilligung hinreichend
und trieb den armen Mann mitunter
hinaus zu einer Kegelpartie oder einem
Skatabend, wo er zehn Mal lieber da
heim bei feinem kleinen süßen Weibe
gesessen hätte. Da blieb sie schmollend
allein und beklagte sich über ihr Ge
schick, während tief drinnen in dem
kindischen jungen Herzen eine Stimme
gar laut sprach, von Liebe und Treue
und Zärtlichkeit, die doch eigentlich
mehr werth seien, als aller äußere
Schmuck des Lebens. Sie aber wollte
nicht darauf hören und es war gar
nicht abzusehen, was aus diesem Paar
noch werden sollte.
Der liebe Gott hatte aber ein Ein
sehen und brachte die Sache wieder in
Ordnung, ehe es so schlimm wurde,
daß das Glück zweier Menschen daran
scheitern konnte. Und das ging so zu:
Eines Tages wurde Ilse von ihrer
Freundin zu einer Landpartie aufge
fordert und fröhlich sagte sie zu. Na
türlich war auch ihr Mann sehr einver
standen, zumal nicht absolut verlangt
wurde, daß er mitkam. Als aber am
Nachmittag der Wagen mit dem jungen
Ehepaar vorfuhr, hatten sich gror,e (ie
wiiterwolken aufzcthürmt und Rudolf
blickte besorat zum Himmel.
Weißt Tu. Kleine,' sagte er. ich
glaube, es iil besser. Tu bleibst doch zu
Hause. eS kann heute noch ein tolles
Wetter geben!'
Aber Ilse, die schon wunderhübsch
angezogen dastand, erwiderte entrüstet
Das ist doch nur Tir möglich, so
etwas vorzuschlagen! Erst sage ich zu
und jetzt, wo sie unten im Wagen hal
ten, komme ich nicht mit nein, ich
glaube, so viel Erziehung, um das
nicht zu thun, haben selbst die südsce
Insulaner!' Und das Köpfchen vor
nehm gehoben, rauschte die kleine Per
son davon.
Aber mit dem Wetter hätte der To!
tor doch ganz Recht gehabt; eS war
einer der Falb schcn kritischen" Tage.
und alle Schrecknisse, die dieser weise
Mann angekündigt, trafen mit Hagel,
Blitzschlag. Wollenbruch und nachsol
gender Wasscrsnoth ein. TaS war ein
schwerer Nachmittag für den armen
Rudolf.
Er war noch nie so verzweifelt gewe
sen in seinem Leben, so völlig rathlos
und in Todesangst. Endlich AbcndS
um 10 Uhr, als das Wetter sich etwas
beruhigt hatte, hielt ein Wagen vor der
Thür; er stürzte hinunter und nahm
die bleiche, zitternde Ilse m Empfang
Er trug sie hinauf, half ihr aus den
Sachen, die triefend an ihr nlederhin
gen, brachte ihr den Thee, den er ihr
hatte bereit stellen lassen kurz, er that
AlleS, was ein guter sorglicher Mann
in solcher Lage thun kann.
Aber am andern Tage stellte eS sich
heraus, daß die heftige Erkältung zu
sammt der ausgestandenen Angst die
kleine Frau krank gemacht hatte, denn
sie lag fiebernd in den Kissen. Als
der Arzt kam, machte er ein bedenk
licheS Gesicht, und der arme Rudolf
war ganz außer sich, als er hörte, daß
es sich um eine Lungenentzündung
handle.
Was für Tage der Angst, die nun
folgten! Zwar die Mutter war so
gleich zur Pflege herbeigeeilt, aber doch
wich Rudolf keinen Moment, den er zu
Hause zubringen konnte, vom Lager
seincS Weibes; kaum daß er seine
Stunden im Gymnanum pünktlich er
theilte am liebsten hätte er Urlaub
genommen und wäre hier fitzen geblie
den Tag und Nacht, bis endlich, endlich
sein Liebling außer Gefahr wäre! Und
wie lautlos er kam und ging wie der
große, breite Mann nie im Wege war.
wenn es galt. Ilse zu bedienen wie
sanft und geschickt seine Hand, wenn er
Ne stützte, oder ihr Medizin einflößte.
Frau Amanda mußte immer staunen
Ein himmlisch guter Mensch, mein
Schwiegersohn, nicht wahr, Herr Tok
tor?" sagte sie oft zu dem Arzt. Wirk
lich, er trägt meine Tochter auf Hätt
den!"
Ilse selbst sah dies Alles noch mit
ganz anderen Gefühlen; sprechen durfte
sie nicht, aber ihre großen blaugrauen
Klndcraugen begrüßten ihn dankbar.
wenn er so unhörbar an ihre Seite
glitt, und ihre kleine zarte Hand um
faßte bisweilen die seine mit schwachem
Trucke, so, daß dem großen, starken
Manne die Thränen über die Wangen
liefen vor Rührung und Herzweh.
Endlich wurde es besser; der Husten
wurde seltener und war nicht mehr so
quälend, das Fieber schwand Rudolf
athmete auf. Schon durfte Ilse einige
stunden im Sessel fitzen und wieder
sprechen, wenn auch nicht viel. Nun
gab es erst herrlich viel zu pflegen,
denn jetzt sollte eine gute Diät die Ge
nesende kräftigen und fröhliche Unter
Haltung sie erheitern. Ta war nun
der gute Toktor so recht in seinem Ele
mente, brachte täglich neue Dinge in's
Haus, die er in den Tclikatcssenläden
erstanden, schleppte die halbe Bibliothek
herbei und-las sich heiser Alles mit
einem glückselig strahlenden Gesicht.
Die Mahlzeiten wurden jetzt im Schlaf-
zimmer eingenommen, damit Ilse dabei
sein konnte, und still sah ne den Beiden
von ihrem Sopha aus zu.
Eines Tages schaute sie auch so her-
über nach ibm Manne, der ihr zärtlich
zunickte da lachte sie mit einem Male
hell auf, so wie sie es in gesunoen
Tagen gethan.
Was ist denn, Kind?" fragte
Rudolf entzückt und eilte zu ihr.
..Ich sag's nicht," meinte sie schcl
misch. Sicher nicht? Ich möchte es doch so
sehr gern wissen?"
Sie lachte wieder, legte die Arme
zärtlich um seinen Hals und flüsterte
ihm in's Ohr: Du stemmtest gerade
das Messer auf!"
Da klingelte es draußen und damit
das Mädchen nicht etwa hereinstürmen
möchte mit einer Meldung, ging der
Toktor selbst hinaus. Ilse sah ihm
nach; wie behutsam er die Thür schloß
sie lächelte und doch wurden ihr die
Augen feucht.
" Da kam er wieder; die Mutter wurde
verlangt. So waren sie allein und das
Mahl unterbrochen. Rudolf fetzte sich
zu seiner Frau.
Wie, eine Thräne. Liebling,'
forschte er.
Rudolf, gieb mir Deine Hand!"
Sie nahm seine Hand in ihre beiden
und drückte ihre Lippen darauf. Da
Tu sie mir nicht küßt, will ich Tir'S
thun," sagte sie dabei mit einen rei
zcnden Schelmenlächeln, aber wider
schwammen die grauen Augen in Thrä
nen dankbarster Rührung.
Am Grabe rvrsöbnt.
Ten c r a n n i ij t i tb.
Tie Novembersonne schien bell und
warm. Nach der rauhen Schärfe, mit
welcher der Herbst angesetzt hatte
empfand man ihren goldigen Schein
doppelt wohlthuend. ES war. als
wollte die Natur Rücksicht nehmen au
den bevorstehenden Todtcnsonntag
Ein Tag im Jahre ist den Todten
frei." Morgen war dieser Tag. Wer
über den stillen Friedhof schritt, sah
bereits viele Hände beschäftigt, die
Grabstätten lieber Verstorbener zu
schmücken.
Zwischen den Gräbern wandcr
langsam, mit suchendem Blick, ein
elegant gekleideter Herr einher. Sein
gebräuntes, ausdrucksvolles Antlitz ist
tief ernst. Ter linke Arm trägt einen
prachtvollen Lorbeerkranz mit weißen
ofen. Zweite Reihe, fünfte Grad
hatte ihm der Inspektor gesagt. Nun
steht er davor. Ein schmerzvolles
Lächeln umspielt den Mund deS grem
den, gleichsam ein Gruß auS wundem
Herzen. Vor dem schlichten Erdhügcl,
dessen schlummernde Insassen eine ein
fache Stcintafel nennt, zieht der Fremde
den Hut, das stolz getragene Haupt
neigt nch auf die Brust, die Hände tal
ten sich zum Gebet. Lange steht er so.
dann tief aufseufzend, legt er den
Kranz auf das Grab und mustert die
fes, als wollte er jeden Grashalm sich
ins Gedächtniß schreiben. Hier ruh
daS Liebste, das er besessen, seine
Elicrn. Die Erinnerung überfluthe
fein Gemüth wie ein heißer Strom.
TaS ganze Glück der Kindheit entfaltet
sich vor seinem Geist. Die Zuchtruthe
seines VaterS erscheint ihm heute wie
ein verehrungswurdigeS Symbol, und
der Gedanke an das treue, so unendlich
lieberelche Mutterherz erweckt tausend
süße Erinnerungen. Ter Fremde fühlt
sein Auge feucht werden. Er tritt zur
nächsten Bank und' läßt sich darauf nie
der. Ihm ist's wie ein Traum. Tie
selige Kinderzeit, die Poesie der Jüng
lingsjahre werden in seinem Herzen
lebendig. Und dann die herrlichste von
allen, die goldene Zeit der Liebe. Wie
spieqelklar und rein erschien ihm da
mals das Leben. Er hatte Ideale und
glaubte, den Himmel stürmen zu tön
nen. Armer Ikarus! Tu versengtest
Tir an der Sonne des Glückes die
Flügel und stürztest aus der Wolken
höhe Deiner Träume läh herab. Und
schnell lernte er daS grausame Wechsel
spiel des Lebens kennen. Ten Wohl
stand der Familie zerrüttete der Kon
kurS eines guten Freundes, des Vaters
Gemüth verbitterte sich, er wurde schroff
und menschenscheu, die Mutter begann
zu kränkeln, eS schien, als ob aller Licht
glänz des -Trames mit einemmal er
loschen sei. Nur die Liebe zu einem
Mädchen gab ihm Trost. Er betete sie
an. glaubend, daß er mit gleicher Kraft
wieder geliebt werde. Auch dieser
Glaube wurde ihm geraubt. Ter der
armte Freier behagte den Eltern der
Braut nicht mehr. Man wußte die
Liebenden zu trennen, sie auseinander
zu halten. Man theilte ihm mit, seine
Braut habe sich eines Bessern besonnen
und eines Tages erhielt er die nieder.
schmetternde Kunde von ihrer Ver
lobung mit einem steinreichen Kaufi
mann. Er fühlte sich verrathen. In
maßlosem Zorn bekam er im Wnths
Hause Streit mit einem früheren Neben,
buhler, der ihn verhöhnen wollte. Er
schlug den Unverschämten nieder, um
sofort den Ausbruch seiner Heftigkeit zu
bereuen, als er den Gegner im Blute
schwimmen sah. Mord! hieß es. Mord!
Und grausiger noch tönte es in seinem
Innern: Mord! Scham, Reue. Ver-
zweiflung jagten ihn aus Heimath und
Vaterland, trieben ihn über das
Meer und ruhelos durch die Welt.
Bald hob ihn die Welle des
Geschicks empor, bald warf sie ihn
zurück an ein widriges Gestade. In
zwischen sind Jahre vergangen. Ein
gefestigter, gereifter Mann, nicht arm
an Glücksgütern, kommt er heim. Seine
übereilte That ist längst gesühnt, sie
hatte überhaupt keine schlimmen Fol-
gen. Xlange Zeit verMMen, betritt er
wieder den Kontinent, um die erschüt
ternde Mittheilung zu empfangen, daß
die redlichen Alten, die treuen Hüter
einer Jugend vor wenigen Jahren das
Zeitliche gesegnet haben. Nun hat
er Niemanden mehr auf der weiten
Welt.
Ein Gefühl grenzenloser Verlassen-
heit überkommt den Träumer. Er
chämt sich der Thränen nicht, die ihm
über die Wangen rollen. Ein Stoß
welker Blätter wirbelt über den Weg.
Ter fremde lächelte bitter. Er ge-
denkt der blühenden Hoffnung in seiner
Jugend. Da hört er helle Kinder-
itlmmen hinter ich. Er fährt empor
und blickte den Gang hinauf. Zwei
reizende Kinder kommen daher, 7 bis 8
Jahre alt, ein herziges Mädchen mit
blonden Locken und ein prächtiger fri-
chcr Knabe, sie tragen einen großen
Kranz. Die sonnenhellen Gesichtchcn
glühen vor Eifer. Geraden Weges
trippeln sie auf den Fremden zu. Neu
gierig geworden steht dieser auf und
tritt einige Schritte zur Seite. Täuscht
er sich auch nicht? Die Kleinen bleiben
vor dem Grabe seiner Eltern stehen.
Erschrocken blicken sie bald den darauf
liegenden Kranz, bald einander an.
Welch' ein hübscher Kranz, Al
fred!" ruft das Mädchen. ..Wer bat
den da hingethan?"
Ader Alired hat bereits seinen Kranz
losgelassen und stürmt mit dem Rufe:
Mama. Mama! zurück.
Ter Fremde ist eigenthümlich be
wegt. Er tritt noch weiter in den
Schatten.
Eine schlanke, vornehme, verschleierte
Tarne kommt langsam näher. Ter
Knabe spricht ledhaft auf sie ein.
Lächelnd wehrte sie ihn ab.
TaS kleine Mädchen hat indessen sei
nen Kranz mit vieler Mühe auf daS
Grab hinaufdugsirt. so daß die beiden
Kränze wie inctnandergeschlungen dar
auf ruhen. Tie Kleine steht dabei mit
leuchtenden Augen.
Sich nur Mama, die schönen
Kränze, die Tantchen hat.' Tabei
klatscht sie fröhlich in die Hände.
Ruhig, mein Kind,' sagt die Tamc.
stutzt aber doch, als sie den fremden
Kranz auf dem Grabe wahrnimmt.
Eine tiefe Röthe steigt in ihre Wangen.
Scheu blickt sie sich um.
Mit dem Fremden ist etwas Merk
würdiges vorgegangen. Sein braune?
Antlitz ist plötzlich weiß geworden, fein
Auge ist drohend auf die Tame gerich
tet. die Hände suchen in dem Geäst des
nächsten Baumes einen Halt.
Da trifft ihn der Blick der Dame.
Ter fremde Besucher kann nicht mehr
zurück, er muß vorwärts. Unsicher,
fast widerstrebend, schreitet er vor.
Wenige Schritte noch, dann steht er,
den Hut in der Hand, vor ihr. die ihn.
ohne Schrei, ohne Zucken, mit großen
geisterhaften Augen anschaut, die linke
Hand fest gegen das klopfende Herz ge-
preßt.
Marianne Frau Wellborn, sie
hier?" sagt er mit einem tiefen Athem
zuge.
Keine Antwort.
Tie Kinder drücken sich scheu in das
Kleid der Mutter.
Marianne!" Seine Stimme er
scheint heiß bewegt und dennoch scharf.
WaS'thun Sie an diesem Grabe?"
Ta löst sich der Bann. Wie in
Scham senkt sich das Haupt,' während
eine warme Röthe die bleichen Wangen
belebt.
Ich schmücke eS feit drei Jahren,
seit dem Tode Ihrer Mutter!"
Die Antwort lautet so einfach und
bescheiden.
Sie schmücken daS Grab meiner
Mutter?" Halb Unwillen, halb Er
staunen kann man heraushören.
Ihre Frau Mutter war meine ein-
zige und treueste Freundin." Wieder
die ruhige, bescheidene Stimme wie
vorhin.
Das verstehe ich nicht. Meine Mut-
ter die Freundin der reichen Frau Well
born?" Ja die Freundin der reichen Frau
Wellborn. Entrüsten Sie sich nicht.
Herr Rainer. Durch Zufall gewann
Ihre Frau Mutter Einblick in meine
häuslichen Verhältnisse, in mein aren-
zenloseS Elend. Gerührt vergaß die
wackere Frau das Vergangene. Sie
tröstete mich und richtete mich wieder
auf, wenn ich verzagte. Ihr konnte
ch anvertrauen, was Niemand weiter
auf der Welt wissen durfte. Auch Sie
nicht. Sie gar nicht. Ihre Frau Mut
ter versprach mir. Ihnen nichts von
mir mitzutheilen, sie hat Wort gehal
ten. Sie zürnten mir. Sie verachte
ten mich. Mit Unrecht. Ihre Frau
Mutter, hören Sie, mein Herr, Ihre
Mutter selbst sprach mich frei von jeder
Schuld. Ich trug mein Schicksal mit
Ergebung. Was es mich kostete, weiß
nur Gott und mein Herz."
Wie, sie haben mich rncot um dcS
Geldes "
Nicht weiter, mein Herr! Ich ret.
ete die Ehre meines Vaters, indem ick
mich opferte. Heute darf ich daS be
ennen. mein Vater ist todt, ick, selb
bin Wittwe."
Marianne!" Es klana wie der
Aufschrei eines gequälten Herzens und
doch zitterte ein Ton verhaltenen
Glückcsjubels durch den Ruf.
Marianne! Wie sebr babe es, Sie
verkannt. Wenn Sie wüßten, was ich
die Jahre hindurch gelitten habe. Kön
nen Sie mir verzeihen? Ich bitte Sie,
reichen Sie mir an diesem unS theuren
Grabe die Hand der Versöhnung. Las-
ii ie uns vrcunoe werden, lassen
sie mich Freund fein ?thrm tvrtrmHW
Kindern. Vor wenigen Minuten noch,
wie elend, verlassen, wie Überflüsse
erschien ich mir auf dieser Welt. Und
letzl k seyen Sie, die Sonne geht zu
Rüste. Möge die Abendrötbe hss
denden Gestirns uns Morgenröthe eines
neuen Lebens sein!"
Böser Onkel'" ertönten hfKnn
Ml allerliebste trotzige Kinderstimmen.
Siehst Tu nicht, wie die liebe Mama
weint?" Und wie auf Kommando
brachen auch die beiden Kleinen in
chluchzen aus.
prSdisxosition.
Snvrt?ö(Trt. - C.t - - - r-
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, ent zur Wetterwarte gemeldet; ver
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Instrumenten umzugehen?"
H(Hlrtvfrt eTv , o v .
,Trv öaoe Nicht; aber
ch habe sechs Hühneraugen."
Empfindlich.
cm
. .'aruin wollen Sie denn
eigentlich von uns fortgehen, Betti?"
Köchin (eifrig): Weil die gnädige
&?xfit ?vlimm.e Gans" geschimpft
A r- c.r ,aoex mein Ehrgefühl
"nbn fünfzehn Tollars Loh! und
alle drei Wochen AuSgang!
Welch' Sterblickkr U s :..
welchem Gewar.de ihm die Zukunft er
Ichelnen wird.
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