Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 27, 1900, Image 10

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    . i.
Zl,xt vs n
fflrcfcmuitcr trar acßctbcn; die mil
den Augen hatten sich geschlossen, die
feinen, treten Hände, die ihr langes
Lebrn Hinduich so raftloS thätig gereffn
Karen, lagen nun gefaltet übcr dem
Gesangbuch; sie waren so rag und
die Finget so dunn. DQB oer raur-.ng
ganz lose darauf saß. Aber ich liefe ihn
sitzen. Tahingegen nahm ich ihrem
eigene, im Testamente auSgesprcchencn
Wunsche gemäß die anderen Ringe ad.
Meine beiden Schwestern sollten jede
einen davon haben, den dritten hatte
Großmutter für mich bestimmt: .Für
Enevold LSirenbach, den liebsten meiner
Enkel, denn er gleicht Onkel Erhard."
stand da im Testament. Jetzt hielt ich
den kleinen Ring in der Hand und be
trachtete ihn aufmerksam. EtwaS be
fonderS Kostbares war er wohl nicht,
aber wie fein und altmodisch war er
doch! TaS Ganze war nur ein dünner,
ein wenig gefchnörkclter RococoRinz,
der von einem kleinen Herz zusammen
gehalten wurde. TikS letztere bestand
aus einem geschliffenen, in Gold gesaß
ten Rheinkiesel. Zu beiden Seiten war
ein kleines silbernes Blatt angebracht,
das entweder einen Pfeil darstellen
konnte, der des Herz durchbohrt hatte,
oder auch zwei Lilien, die aus dcmfel
den heranwuchsen, aber sie waren sehr
verschossen, so daß sie mehr einem Pfeil
glichen. In der Mitte deS, Herzen?
unter dem durchsichtigen Rheinkiesel lag
ein feiner, goldener Faden, der einen
verschlungenen NamenSzug bildete; eS
war nicht leicht, ihn zu deuten, aber ich
hielt ihn für ein E. was nicht un
wahrscheinlich war, da Großmutter
Elise geheißen hatte und eine geborene
Baronesie LooS aus Bcrnslykke in IM
land gewesen war.
Wie erinnerte mich doch dieser Ring
an sie: Er rief unzählige lichte ind
belts'Erlnnerungcn tn mir wach, m
denen sie den Mittelpunkt bildete. Aber
je länger ich das kleine, klare Herz tt
trachtete, desto mehr wollte eS mir schein
nen, als rufe eS noch andere dunkle,
nebelhafte Bilder aus dem schlaf der
Vergangenheit, ich konnte nicht sagen,
woher sie Jörnen, oder wer die Figuren
waren, aber ich hatte ein unbestimmtes
Gefühl, daß dies Herz für mich auf
rgend eine Weife von Bedeutung fei.
Ich legte den Ring in das kleine,
verschossene Sasfianfuttcral, in daS er
gehörte, steckte es in die Tasche und
ging, denn ich hatte noch verschiedene
Besorgungen in der Stadt zu machen
Mein Weg führte mich am Boulevard
und von dort am Botanischen Garten
-Worüber, der in der schönsten Abendbe
leuchtung dalag; die letzten Strahlen
der Abendsonne beleuchteten die Fichten
bäume mit ihren langen, lichtgrünen
Schüssen und daS leichte, hellgrüne
Laub der Birken. Tie Lürchen-Tannen
dufteten harzig, und als ich noch ein
wenig weiter gekommen war, schlug mir
ein starker, süßer Tust entgegen, der
auS einer Sweetbriarhecke aufstieg, die
den Fuß des Observatoriumhügels um
gab. Ich stand still und sog den wür
zigen Geruch ein. und, ich muß es ge
stehen, ich machte mich eines kleinen
Diebstahls schuldig, denn einen Augen
blick später hielt ich einen der duftenden
Rosenschüffe in der Hand und eilte da
mit nach Haufe.
Was war es nur mit diesem Tust?
Was für eine Zaubermacht hatte er nur
über mich? Auf eigenartige Weise ver
einigte er sich mit dem kleinen Herzen in
GroßmutterS Ring und umspann mich
mit einem Zaudernetz von wunderbaren
Bildern. Ich saß allein in meinem
Zimmer an dem offenen Fenster, durch
das die kühle Abendluft zu mir drang,
aber nicht der enge St. Annae-Platz
breitete sich vor mir aus. nein, eS war
ein großer, schattiger Schloßgarten mit
steifen, beschnittenen Hagcbuchenhecken
und mächtigen Lindenalleen. Tie Hecken
liefen fächerförmig zusammen, und den
Mittelpunkt, wo sie von allen Seiten
mit einer üppigen, duftenden Sweet
briarhecke umgeben war. Im Centrum
der Rotunde stand eine Laube, und hier
saß ein sehr, sehr alter Herr mit schnee
weißem Haar und einem. Paar unend
lich milder, blauer Augen, die nach
allen Seiten durch die Hageduchcnhecke
fpähten, als warteten sie auf jemand.
ES näherten sich auch Schritte, und eine
schlanke Mädchengestalt trat in die Ute
tunde.
Sie war so jung und sah so liebrci
zend aus, daS fand der alte Herr wohl
ebenfalls, denn er sprang auf und eilte
ihr entgegen. Und nun sah ich. daß er
gar nicht alt war, sein Haar war nur
, gepudert, und er trug einen langen
' Zopf. Seine Kleidung wie die des
- jungen Mädchens war in RococoStyl.
Er legte den Arm um ihre Taille und
zog sie in die Laube.
Tort saßen sie lange zusammen auf
Itx Bank und sprachen und sahen sich
mit inniger Liebe an. Schließlich nahm
sie eine kleine feine Nadel aus ihrem
-Busen und befestigte sie in feinem Ja.
bot: und er nahm ein kleines rothes
SafnaN'Futteral aus der Tasche; es
glich dem. daS zu dem Ring der Groß,
mutter gehörte, auf's Haar, aber es
war neu und hübsch. Und er öffnete
es, nahm einen Ring heraus und steckte
ihn an ihren Finger; da sah ich, daß es
derselbe Ring war. und an der Nadel,
die sie ihm gegeben hatte, gewahrte ich
genau dasselbe kleine, klare Herz mit
dem NamenSzuz in Goldfäden, da stand
edcns.Z E. L.. ur.d die silbernen
Zlätter traien euch da. altx sie stellten
lredcr Lilien n:ch Pfeile vor. sondern
Scfenblctier daS konnte man jetzt
aan deutlich sehen.
Und sie flüsterten stehend ihre Namen;
ich hörte sie. ich weiß, daß die anfangs
duchstzbcn beider Namen E. L. waren,
aber sie hieß nicht Elike. so viel war
mir klar, wenn ich mich auch nicht ent.
sinnen kann, wie sie hieß, und auch sei.
nen Namen wußte ich nicht mehr. alZ
ich am nächsten Merzen erwachte, indem
das Mädchen mit meinem Kaffee und
einem ganzen Haufen von Briefen her
einkam.
Unter diesen befand sich einer von
meinem Better. Baron LocS auf
Bernslykke. der in Veranlassung von
bircßmuttcrS Tode schrieb. Er schloß
seine Beileid .bezeugenden und übrigens
gänzlich nichtssagenden Zeilen mit der
Bitte, ihn doch zu besuchen, wenn mich
mein Weg einmal nach Jutland führen
sollte. Ich freute mich über die Ein
ladung. da eS mich wirklich intercsfirte.
den alten Familiensitz wieder zu sehen,
wo ich nur einmal in meiner frühesten
Jugend gewesen war, wo aber die
Großmutter ihre ganze Kindheit verlebt
hatte.
AIS eS Sommer wurde, reine ich
wirklich hinüber.
Nach einem herzlichen Empfang wurde
ich in's Wohnzimmer geführt, in einem
großen, luftigen Saal mit weißen
Panelen, Rococomöbeln mit rothen
Bezügen und vielen Gemälden an den
Wänden. Mein Auge fiel sogleich auf
ein sehr großes, schöne? Bild, und ich
schrack förmlich zusammen, denn es
stellte eine Rotunda dar, die. von einer
Rosenhecke umgeben, das Zentrum von
zahlreichen, beschnittenen Hagebuchen
hecken bildete. Im Hintergrunde stand
eine Laube, und da drinnen auf einer
Bank saß ein alter, weißhaariger Herr
mit einem Paar milder, blauer Augen,
die nach Jemand zu spähen schienen
Neben ihm stand ein entzückendes jun
geS Mädchen in einem weißen Kleid im
Empirestil, einen rothen Shawl um die
Schultern. ' ,
Wer ist das?" fragte ich neugierig
Tas ist Teine Großmutter als jun
ges Mädchen." antwortete mein Better,
und dann ihr Onkel, der alte Geheim
rath Erhard LooS. Tie beiden hatten
sich sehr lieb, und sie war dem alten
Herrn sehr viel, als er sich von seinem
Miniftcrpoftcn zurückgezogen hatte und
hier in dem Heim seiner Kindheit Zu
flucht für seine alten Tage suchte. Er
kam auf Besuch hierher zu der Wittwe
seines Bruders, aber dann blieb er da
und wurde gleichsam eine Art Inventar
hier auf Bernslykke. Er schloß sich
hauptsächlich an seine jüngste Nichte,
Elise, an Teine Großmutter an; die
beiden waren beinahe unzertrennlich, so
daß, als ihre Mutter sie gern gemalt
haben wollte, ehe sie als Braut das
Haus derlicß, es ganz natürlich war,
sie zusammen mit dem alten Geheim
rath abzukonterfeien und in einer Si
tuation. die für die beiden ganz charak
teristisch war. Er pflegte nämlich jeden
Tag in die Rotunda hinabzugehen, wo
er stundenlang auf der Bank in der
Laube saß, geistesabwesend die langen
Haqebuchenhcckcn hinabspöhcnd. Nie
mand außer Tcincr Großmutter der
mochte ihn von diesem Platze zu entfer
nen. Sobald sie kam, sprang er auf,
schlang feinen Arm um ihre Taille und
folgte ihr wie ein kleines Kind, wohin
sie wollte, und sie hegte und pflegte den
alten, schwachen Mann bis zuletzt mit
einer rührenden Sorgfalt. An ihrem
Hochzeitsabend mußte sie ihn auch aus der
Rotunda herausholen, da er sonst nicht
zu Bett zu bekommen war; da steckte er
ihr einen Ring an den Finger und küßte
sie. Im selben Augenblick aber traf
ihn ein Schlaganfall, und er stürzte todt
um. Tas ist seine Geschichte."
Mein Better schwieg.
Tas war seine Geschichte. War
sie nicht länger?" Mit dieser Frage
beschäftigt saß ich am Nachmittag auf
der Ban! des Gehcimraths" in der
alten Laube. Hier also hatte die alte,
geistesschwache Excellenz die vielen, ein
samen Stunden verbracht, hatte ihr
eigenes, wunderliches Traumleben ge
lebt, unverstanden, wenn auch von allen
geachtet und von meiner damals so jun-
gen, liebreizenden Großmutter herzlich
geliebt. Und von sonst Niemand?
Hatte ihn sonst wirklich Niemand m der
Welt geliebt? Wer war denn nur das
junge Mädchen im Rococogewande, des
scn ich mich noch so deutlich aus meinem
Traum entsann? Existirte nicht ein
Band, das Niemand kannte, das aber
den alten Mann gerade an diesen Fleck
geknüpft hatte?
Ich wurde aus meinen Betrachtungen
aufgescheucht durch den Laut des GongS,
das zu Tische rief.
Als ich in's Wohnzimmer trat, fand
ich es voll von Gästen, und einen Augen
blick später wanderte ich, eine mir gänz
lich fremde junge Tame am Arm, durch
die lange Reihe von Gemächern die
breite Treppe hinab, durch ein mit alten
Gemälden und geschnitzten Truhen aus
gestattetes Vestibül, bis wir in dem
großen Gartcnfaal anlangten, der im
Sommer als Eßzimmer diente.
Erst als wir Platz genommen hatten,
konnte ich meine Tischdame betrachten.
Wir saßen einander gegenüber am
Ende des Tisches, und ich war ganz
überrascht durch ihre ungewöhnlich fei
nen. charakteristischen Züge. Sie glich
einem anderen jungen Mädchen, das ich
kannte. Ter Ausdruck ihres Antlitzes
war weit intelligenter, als dies gewöhn
lich bei jungen Mibcha der Fall ist
und die cebogene Nae, dzs feine, de
stimmte Kinn, der schmale Mund und
die ehrlichen graren Auzen zeugten von
dem edlen Stamm, dem u entsprossen
war. Ich hatte ihren Namen bei der
Vorstellung überhört, jetzt aber der,
nahm ich. wie mein Bette? ihr zurief
Darf ich tif willkommen heißen
Komtesse Lander!" während seine Toch
ter. sich dorüderbeugknd, ihr ',la
erhob und sagte: Willkommen Eme
renu!"
So diel wußte ich nun aVo, und bald
sollte ich mehr erfahren. Tie Komtesi,
erzählte mir nämlich, sie und ihr Vater
seien gekommen, um einige Zage hier
ZU verweilen, (ich rechnete sehr schnell
auS. daß meine Zeit mir zufällig er
laubte, genau so viele Zage zu verwci
lcn). der Zweck der Reise sei, die In
spektion eines der Güter ihres Vaters
deS Schlosses Eegstrup. da? jenseits
der Bucht lag. nur eine halbe Meile
von Bernslykke entfernt, wenn man
m gerader Linie über daS Waffer
ruderte, aber mehr als drei Meilen
weit, wenn man den Strandweg ein
Ichlug.
Wir wohnen sonst in Lindrup in
schonen." fügte die Komtesse hinzu
Mein Vater mag nicht in Eeastruv
lein; ich finde auch, daß eS etwas Tu
stcres hat. und die Sagen, die sich an
da? alte Schloß knüpfen, tragen auch
nicht dazu bei, die Wolke zu zerstreuen.
die darüber lagert.
AuS welcher seit stammen die Sa
gen?" fragte ich. Wohl aus der
Rittcrzeit?"
Nein, die Personen, von denen die
Sagen handeln, haben viel später ge
lebt, ich glaube, in der letzten Hälfte
des vorigen Jahrhundert?. Tie Haupt
Person war eine junge Komtesse Lan
der. die sich mit einem Oberst Lander.
einem Vetter, verheirathete, den sie dann
später umgebracht haben soll, und nun
heißt e?, daß sie da drüben auf Eegstrup
spukt. Man zeigte noch das Bett, in
dem sie den Gatten ermordete und die
Blutspuren auf dem Fußboden, über
den sie selber ihn b,S an S Fenster ae
schleppt hat; von da auS stürzte sie dann
die Leiche in den Schloßgraben." Hier
wurde die Erzählung unterbrochen, und
wn kamen später nicht wieder darau
zurück.
Nach Tisch fuhren wir alle nach
Eegstrup hinüber; es war eine zauber
hafte Fahrt quer über die spiegelblanke
Bucht, die auf allen Seiten von feld-
und waldbekleldeten Hügeln umgeben
war. Mitten in all dieser Ueppigkeit
lagen die beiden stattlichen Schlösser.
Bernslykke, lächelnd und freundlich mit
feinen weißen Mauern zwischen den
hohen Lindenalleen, Eegstrup finster
und öde, halb versteckt von den dichten
Kronen der Elchen und Eschen.
Bei der kleinen Fischerhütte, die mit
ihrer auS einer Reihe großer -teine
gebildeten Badebrücke am Fuße des
Eegftrupcr Hügels lag, stiegen wir
an'S Land und. begaben uns in munter
schwatzenden Gruppen durch den Wald
nach dem schloß.
rr ' . . . ' i ( . r. . . j t . . -
iie anen gjioeuiuocti waren aus
getrocknet, die Bäume wuchsen hoch und
schlank aus ihnen empor, sodaß ihre
obersten Zweige bis an die Fenster des
ersten Stockwerkes reichten. Von außen
war das Haus wohlerhalten, auch die
Mauer, die den Burghof umgab, stand
noch unberührt, während' der ganze
Hofplatz fußhoch mit Gras und Klee
überwuchert war.
Wir stiegen die breite teintreppe
hinan, die alte schwere Eichenthür
drehte sich knarrend in ihren Angeln.
dann betraten wir eine große unendlich
öde, trübe Vorhalle, wo die spmnge
webe massenweise in allen Ecken und
unter der Decke saßen. Ein Ende
Klockenstrang hing noch an der Thür,
die Glocke selber war längst verschwun-
den.
Unter Gelächter und lebhafter Unter
Haltung bewegte sich die zahlreiche Ge-
sellschaft durch die leeren eale. Mich
selber beschlich eine eigenartige melan
cholifche Stimmung bei dem grellen
Widerspruch, den die vielen blühenden,
jugendlichen Gestalten, so voller Leben
und Munterkeit zu dem finstern schwer
gen der kahlen Wände bildeten, dieser
Wände, die so vieler Heimgegangener
Geschlechter Lust und Leben, Qual und
Tod mit angesehen hatten.
Ich hielt mich ein wenig zurück, und
als ich allein geblieben war, öffnete ich
eine &mt, die in emgegenge ctzter
Richtung von dem Wege lag. den die
übrige Gesellschaft eingeschlagen hatte.
Tas Zimmer, m das ich gelangte.
war halb dunkel, denn die Laden vor
den Fenstern waren geschlossen, aber
durch eine in ein Nebenzimmer führende
Thür, die nur angelehnt war, nel ein
schmaler Lichtstreif, und nun sah ich,
daß dort ein klotziges Himmelbett stand.
das einzige Stück Möbel, das ich außer
einen verrosteten Ofen im ganzen Hause
erblickt hatte.
Das Bett!" dachte ich. Ta haben
wir's!" Ich schob den moderigen, stau
bigen Borhang bei Seite; es lagen ein
paar Matratzen in dem Bette, ich hob
die oberste in die Höhe, ja, da waren
ganz deutliche Blutspuren, ebenso wie
auf dem Fußboden. Hier also war
die entsetzliche Mordthat verübt! Hier
hatte die grausame Gräfin Lander, diese
Megäre, ihren Herrn und Gatten meuch
lings um's Leben gebracht! Mit Schau
dem wandte ich mich ab unst öffnete die
Thür zum Nebenzimmer. Doch entsetzt
prallte ich zurück: dort über dem alten
Kamin hmg ein lebensgroßes Tamen-
Porträt, eine junge, liebreizende Er
schcinunz im Rocookostu?.. unter dem
Bilde aber, am Kamin, erblick:? ich die
ielbe Gestalt, dasselbe feine edle Gef.cht.
dieselben' grauen Augen, nur trug di
Erscheinung ein glattes, weiße?' Ge
wand. Unbeweglich stand sie da und
starrte einen kleinen Gegenstand an.
den sie in der Hand hielt, der aber o
klein war. baß ich nicht erkennen
konnte, was es war. Keine Sekunde
zweifelte ich daran, daß ich hier den
Geist der berüchtigten Gräfin Lander
vor Augen habe; da wandte sich die
Gestalt plötzlich nach mir um und
mit der natürlichsten Stimme von
der Welt sagte meine Tischdame von
heute Mittag denn sie war eS
zu mir:
.Sehnen Sie, Graf Löwendach. was
ich gefunden habe!" Sie reichte mir die
Hand hin. und ich erblickte eine ganz
kleine, feine Nadel, die dasselbe kleine
klare Herz mit dem Namenszug E. L.
trug, da? sich an dem Ring befand.
den der alte Geheimrath meiner Groß
mutter an ihrem Hochzeitstage, wenige
Minuten vor feinem Tode gegeben
hatte.
Wo haben Sie die her?" stammelte
ich.
Sie lag in einem Geheimfach unter
dem Kaminsimms; es war so ein Pfei
fen und Rumoren oben im chornstcln.
daß ich glaubte, eine Schwalbe habe sich
da hinein verirrt, und als ich mich in
die Kamlnöffnung beugte, um nachzu
sehen, stieß ich mit der Hand an die
Wand und dies Fach öffnete sich.
Tort lag auch ein Päckchen alter Briefe.
Tie Nadel war durch ein seidenes Band
gesteckt, mit dem die Briefe umfchlun
gen waren."
Sie hielt mir ein kleines staubiges
Päckchen hm. das mit einem verschosskl
nen rosa Seidenband zusammengebun
den war.
Ich nahm mein Messer und wollte
das Band durchschneiden, die Komtesse
aber hinderte mich daran: Nein, nein,
Respekt vor den Bändern, die von den
Händen Verstorbener geknüpft find!"
Vorsichtig löste sie die Schleifen.
ES waren wirklich Briefe. Sie selber
nahm den obersten und reichte mir den
nächsten.
Tie Schrift war sehr verblaßt, und
die schwache Beleuchtung gestattete unS
nur, wenige Worte zu deuten, des
wegen schlug die Komtesse vor, die
Briefe wieder zusammenzupacken; sie
bat mich, sie an mich zu nehmen, dann
könnten wir sie gründlich studiren.
Sprechen Sie aber bitte nicht da
von." bat sie. Vater haßt alles, was
Eegstrup und meine Urgroßmutter be
trifft, und ich bin überzeugt, daß diese
Briefe etwas mit ihr zu thun haben.
-ehen sie nur, hier steht: Mein Her
zens Engelle", und Engelke hieß sie,
die Briefe sind zweifelsohne an sie ge.
richtet.
Nein, nicht alle, Komtesse: denn die
ser ist Engelke Lander unterschrieben;
lassen Sie uns sehen an wen der adrcs
firt ist."
Es war nicht leicht, das ausfindig zu
machen, endlich aber gelang es mir,
und zu meinem Staunen las ich: Er
hard Loos."
Mir vernahmen stimmen und
Schritte, die näher kamen, und die
Komtesse reichte mir hastig den kleinen
Briefschatz; die Nadel mit dem Herzen
behielt sie selber. Einen Augenblick
später verließen wir mit der übrigen
Gesellschaft das alte Schloß.
AIs ich am Abend auf mein Zimmer
am. holte ich den Ring aus meinem
Koffer. Lange saß ich da und starrte
ihn an. dann legte ich ihn sorgfältig
wieder in das alte Etui und barg dieses
ammt den Briefen unter meinem Kopf
kissen. theils aus demselben räthselhaf
ten Trieb, der mich als Junge meine
lateinische Grammatik an demselben
Ort anbringen ließ, wenn ich mich nicht
stchcr im Dattel fühlte, theils in dem
Gefühl, daß ich hier einen Schatz besaß,
der einen Werth in der Vergangenheit
und vielleicht auch in der Zukunft
hatte.
Lange lag ich wach. Schließlich
ührten meine Gedanken mich weiter
und weiter m das Reich der Träume
hinein. Ich saß auf der Bank des Ge
Heimraths, ich selber war der Geheim
raty, und meine Monmutter kam nur
entgegen, die Herzensnadel in der Hand,
aber es war doch nicht die Großmutter.
ondern Engelfe Lander, rot Rococo
Gewände, und ich steckte ihr den Ring
an den Finger, und dann war sie nicht
mehr die Urgroßmutter, sondern die
Urenkelin, die liebreizende Komtesse
Emerenze selber. Ich schlang meinen
Arm um ihre Taille und küßte sie, und
der alte Geheimrath und seine Jugend
geliebte standen da und ue gaben uns
hren eeqen; und in der Mitte der Ro-
tunde wurde ein großes Feuerwerk ab
gebrannt, uns zu Ehren, ein doppeltes
E. L. , umgeben von einem Herzen
und von Strahlen. Ich mußte die
Augen öffnen, um das blendendeLicht zu
chauen, und dann erwachte ich und
sah. daß die helle Sommersonne in
mein Zimmer hineinschien.
Es war noch früh am Morgen, und
ch eilte hinaus durch den thaufeuchten
Garten bis an die Rotunde. Unwider-
lieblich zog es mich dahin. Wie ent-
zückend duftete die Smeetbriar-Hecke in
der frischen Morgenluft! Ich setzte mich
auf die Bank und zog die Briefe aus
der Tasche. Sie lagen der Reihe nach
geordnet, abwechselnd von Erhard Loos
und Engclke Lander, der erste war mit
großer, ungeübter Kinderhand geschrie
? D.s
vom I,. Juli
17G4 datirt.
Ta Hand:
Herzliche Junger Engcl'c!
Morgen i't ja dein Geburtstag und
ich will dir von ganzem Herzen meine
Gratulation senden. Und dann will
ich dir sagen, daß ich dich so innig lieb
habe, und baß ich immer cn dich denken
muß. seit wir unZ gesehen haben, und
ich sende dir ein paar Kaninchen alZ
Brautzelchenk. denn ich will dich bitten,
meine Frau zu werden.
Tein ehrerbietiger Ticner und künf
tizer Gemahl
Erhard Loos."
Tann folgte die Antwort, in der sie
ihm Treue gelobte und von der Zeit an
schienen sie viel mit einander verkehrt
zu haben. eS fanden sich nur wenige
Briefe aus ihrer Kinderzeit, desto mehr
aber auS ihrer ersten Jugend: diese ent
hielten hauptsächlich Versicherungen ih
rer Liebe und Treue 'und Klagen dar
über, daß ihre Eltern ihren früher so
regen Verkehr beschränkten.
Endlich stand in einem ihrer Briefe:
Jetzt, mein HerzenS Erhard, hat
mir der Juwelier die kleine Nadel ge
fanbt. die ich dir versprach, als wir uns
zuletzt sahen; ich werde mich am Sonn
abend in der Rotunda hinter der Rosen
hecke einfinden, wo wir unS zu treffen
pflegen; ich lasse mich von dem alten
Jörgen über die Bucht rudern, während
mein Herr Papa die Leute ablohnt und
meine Frau Mama beschäftigt ist und
mich nicht vermissen wird."
Tlz war wohl die Scene, die ich in
meinem ersten Traum gesehen hatte.
Nun folgte eine lange Pause in den
Briefen, und in dem nächsten, der wie
der von ihr war, stand:
Jetzt weiß ich eS, herzlieber Freund,
weshalb meine lieben Eltern unsere
Verbindung nicht zugeben wollen; sie
haben mich schon als Kind mit meinem
Vetter Oberst Abraham Lander der
lobt, weil er nach mir der nächste Erbe
deS Gutes ist. und weil sein seliger Va
ter einstmals eine große Schuld für
meinen Herrn Papa bezahlt hat. unter
der Bedingung, daß ich mit meinem
Koufin vermählt würde.
So habe ich dich, mein Herzens
Erhard ohne Wissen und Wollen be
trogen, dich, dem ich am wenigsten von
allen Menschen auf der Welt einen
Schmerz zufügen möchte. Aber ich muß
mich in den Willen meiner lieben Eltern
fügen und niich bemühen, meinem Ehe
Herrn eine gute und untcrthänige
Gattin zu werden.
Mein Herzensfreund, ich komme zur
gewohnten Zeit in die Rotunde, um
Abschied von dir zu nehmen, und ich
bringe dir dann den mir so sehr theuern
kleinen Ring mit deinem geliebten Na
menszug. wieder, gieb auch du mir
dann die Nadel und die Briefe zurück,
die ich dir geschrieben habe. Mein
herzlieber Freund, meine Thränen fal
len reichlich auf das Papier, aber es
mus so sein. Gott stärke dich und mich,
dies zu tragen.
In meinem Herzen steht dein Name
ewig eingravirt, die Rosenblättcr aber
scheinen mir zu einem Ptell geworden
zu sein, der es unter großen Schmerzen
durchbohrt; möge es dadurch nur geläu-
tert werden, so daß der Pfeil zu einer
reinen Lilie der Unschuld werde, die in
thränenfeuchter Erde wohl gedeiht.
Ich darf mich nicht wie bisher als
dein künftiger Gemahl unterzeichcn,
aber ich bin in treuer Liebe
deine Freundin Engelke
Ich ließ die Hand sinken, in der ich
den Brief hielt, und meine Thränen
waren kurz davor zu fließen. Tiefe
fromme, fünfte Frau, die sich so willig
unter ihr Kreuz beugte, sie sollte eine
Mörderin sein? Nein, nein, das war
unmöglich! Ich griff nach dem näch
fien Brief, derselbe war mehrere Jahre
später geschrieben, und die erbrochene
Oblate war schwarz. Er lautete fol
gcndermaßen:
Mein alter, herzgeliebtcr Freund
Tir allein kann ich alle meine grenzen
lose Noth und Oual anvertrauen, die
ich in den sieben Jahren erlitten habe,
während ich mit meinem Gemahl,
Oberst Abraham Lander, der jetzt ein
plötzliches, grauenvolles Ende genom
men hat, vermählet war. Er ist mir
ein herber und schlechter Herr gewesen
und hat. ein sündhaftes Leben geführt
mit allerlei Zechen und Trinken, was
ihm Gott gnädig verzeihen möge. Aber
zuletzt war es gar arg, und sein jünge
rer Bruder war lange Zeit hier, und
die beiden haben mir armer wehrloser
Frau manchen Tort zugefügt. Da
eines Abends lag mein Herr Gemahl
und schlief seinen Rausch in der öffent
lichen Eckkammer aus, und da kam sein
Herr Bruder herein und erstach ihm mit
einem Hirschfänger und schleppte ihn
ans Fenster und stürzte die Leiche in
den Kanal, obwohl ich ihn auf den
Knieen um Gnade anflehte. Er stieß
mich von sich und sagte: ,;jlnn, meine
gnädige Frau, bin ich Herr auf Eeg
strup." Ta sagte ich: Nein, so Gott
will, noch nicht !" Und so ist es nun ge
schchen, und ich bin eines Sohnes ge
nesen, den ich nach feinem Bater Abra
ham genannt habe. Mein Herr Schwa
ger aber ist geflohen; doch weiß nie
mand. daß er der Mörder ist, und ich
werde grausam angeklagt, doch will ich
ihn nicht nennen, das kann ich nicht
vor Gott verantworten, denn er hat
eine Frau und sechs Kinder zu versor
gen, und ich werde schon alles er
tragen, was Gott mir auferlegt, und
meinen kleinen Sohn zu seiner Ehre er
ziehen. Mein Herzensfreund! xc. in ein
bcn und a
sckiwcres Schicksal, ttrtt helfe unS
allen! Deine getreue. hcr;liebe Freundin
Engelke Lander."
N.ch ein kleine?, zusammengefaltetes
Papier fand ich. in dem eine fchnee
weiße Haarlocke lag. Auf dem Pa
Piere stand:
.Ich kende dir diese kleine Haarlocke.
Tu siehst, mein Haar bedarf dc Pu
der? nicht mehr, viel Kummer hat eS
gebleicht.
Morgen reise ich mit meinem kleinen
Sohne zu meinem Onkel nach Schonen
und kehre nie mehr nach Eegstrup zu
rück; dicker Ort ist mir nertiäglich.
Ich bleibe für ewige Zeiten deine in
Liede getreue Freundin
Engclke Lander.
N. B. Tie Briefe, die du mir vor
acht Jahren zurückgegeben, sowie der
Ring mit dem Herzen liegen in dem
Geheimfach unter dem KaminsimZ, über
dem mein Bild hängt. Lege die, die
du haft. dazu, ehe du stirbst, dann ist
unser Geheimniß gut bewahrt und doch
nicht mehr, als daß Gott eS zu seiner
Zeit und Stunde offenbaren kann.
Leb' ewig wohl ! E. L."
Unschuldig!" Der Seufzer kam aus
meines HerzenS Grunde, als ich jetzt die
vielen vergilbten Briefe zusammensuchte
und sie wieder mit dem rosa Band um
schlang. Unschuldig!"
Wer ist unschuldig?" fragte im sei.
den Augenblick eine Stimme, und
Emerenze Lander stand so liebreizend,
so bezaubernd vor mir. wie einst ihre
Urgroßmutter vor Erhard Loo gcftan
den hatte.
..Ihre Urgroßmutter, Komtesse!"
sagte ich und legte die Briefe in ihre
Hand. Sie setzte sich auf die Bank
neben mich, und ich erklärte ihr den
ganzen Inhalt. Sie sah , mich mit
ihren schönen grauen Augen an. die sich
allmählich mit Thränen füllten und
diese flössen groß und klar von ihren
Wangen herab.
Arme, arme Engclke Lander!" rief
sie aus. Und armer alter Geheimrath!
ES ist doch gut, daß der Wille der
Eltern heutzutage nicht mehr die höchste
Instanz ist, ich ließe mich nicht verkan
fen, obwohl ich die Erbin von Eegstrup
bin; nein, ich will "
Sie hielt inne und schlug die lcuch
tenden Augen nieder, dann erröthcte sie
bis an die Haarwurzeln, erhob sich und
schickte sich an, zu gehen. Ich sprang
auf, wagte aber nicht, ihr zu folgen.
Ta wandte sie sich plötzlich um, zog die
kleine HerzenSnadcl auS ihrem Busen.
ging still und gesenkten Blickes auf mich
zu und reichte sie mir.
Tie hat ja dem theuren Onkel Ihrer
Großmutter gehört, Graf Löwenbach,
die sollen Sie zur Erinnerung an Ceg
strup haben und an Engelke Lander
und an mich."
Seit einem Jahr find wir vcrhci-
rathet. Jetzt wohnen wir auf Schloß
Eegstrup, das ganz in Stand gesetzt ist,
vom Keller bis unters Dach. Der Spuk
hat sich nie wieder gezeigt; vielleicht weil
Emerenze den Leuten verboten hat, dar
über zu reden, und es heißt ja, daß
man so etwas todtschweigen kann.
Möglich ist es auch, daß die Heimgc-
gangenen im Grabe Ruhe gefunden
haben, weil jetzt die klaren Herzen mit
den beiden Namenszügcn endlich ihre
Bestimmung erfüllt haben. nämlich
indem sie zwei pochende Menschcnherzcn
vereinten, oder auch, weil das kleine
Mädchen mit den sanften blauen Au
gen, das meine Frau auf ihrem Schlosse
wiegt, die vereinigten Namen Engelke
Erhardine trägt.
Ter verkannte Tieb.
In einer verkehrsreichen Straße Bir
minghams konnte kürzlich während
eines Platzregens ein erheiternder Vor
gang beobachtet werden. Ein junger
Polizist, der sehnsüchtig nach einer Ge
legenheit, seine Tüchtigkeit zu beweisen,
umschaute, war trotz des heftigen Re
gens, vor dem Alles rannte und flüch
tete. im Freien geblieben. Spähend
ließ er seine Blicke umherschweifen. Da
leuchtete eS plötzlich in feinem Gesicht
auf. Er sah. wie ein Mann und gleich
hinterher eine Frau von einem Omni
buS sprangen. Tas männliche Jndi
viduum, mit tief in die Stirn gcdrück
ter Kopfbedeckung, hielt einen ziemlich
umfangreichen Gegenstand unter feinem
Radmantcl verborgen und rannte mit
Windeseile die Straße entlang. Dir
Frauensperson stürmte mit hochqchal-
tenen Röcken und ohne Hut in wilder
Hast hinter ihm her. Sie rang nach
Athem und fuchtelte mit der freien liu
ken Hand aufgeregt durch die Luft. X
yne zu zögern, letzte der Hüter M
Gesetzes sich nun auch in Bewegung,
überholte die Frau, jagte dem Manne
nach, den er beim Kragen packte und ni
den nächsten Thorweg zerrte, ihn auf
fordernd, das Eigenthum der Tainc
herauszugeben. In diesem Augenblick
stürzte die Frau athcmlos in den Haupt-
emgang. cyiuchzend vor, Erregung,
stieß sie die Worte hervor: O John.
was ist paslirt? Lassen Sie ihn los.
Schutzmann, wie dürfen Sie es wagen?
Sie sind schuld, daß er nun meinen
theueren Hut zerdrückt hat. Sie Ad
schculicher! O mein schöner Hut!" Und
jammernd nahm Madame ihrem Gat
ten daS Kunstwerk der Putzmacherin ab.
für da man erst vor wenigen Tagr.i
100 Mark gezahlt hatte. Ganz geknickt
schlich sich Bobby" davon. Mit seiner
Beförderung war es wieder 'mal nichts.
Ein voller Becher und ein voller
Zecher laufen gern über.