Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 20, 1900, Image 9

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(in cdter Kembrarrtt.
K-.',i!iiiiall)umoi(t(e von P. 33 1 a u f o 9
Zum Verkauf: Ein echter Rem
brandi, Kopf eine? deutschen Edel
ma'meZ. Offerten unter H.B. Msnor
Houfe. Wokington. Surrey."
Tie Geschichte dieses Inserates, das
eines TageS m den gelefensten Blattern
erschien, lft recht ergötzlich.
Bei Gelegenheit einer Sieise nach
Arünel in den Besitz einer sehr gelun
genen Imitation deS großen Meisters
gelangt, kam ich nach meiner Heimkeh
auf den Gedanken, das, eS mir vielleicht
glücken dürfte, das .Veifterftück für
das Hundertfache seine wahren Wer
theS an irgend einen enragirten Samm
ler zu verkaufen. Ich hatte für das
Bild inclufive Rahmen nur tau
send Mark bezahlt, die eS. onen aeftan
den. kaum werth war. Immerhin
konnte ein Versuch. Kapital daraus zu
schlagen, lohnend sein. Infolgedessen
erlieg ich das Inserat.
Da Ich iiu Ausführung meines Pla
neS fremder Beihilfe bedürfte, zog ich
meine beiden Freunde Bill Herring und
Ziat Conderbd lnS Vertrauen, die mir
bereitwilligst ihre Dienste zur Ver
fügung stellten ,alS sie vernahmen, daß
ie ,m alle deS Gelingens ik zehir
tausend Mark Gratifikation erhalten
sollten.
Doch, obwohl mit Vergnügen zu
meiner Unterstützung bereit, schienen
sie hinsichtlich deS Erfolges sehr miß
iranisch.
. .'S ist doch anzunehmen und so klar
wie Lehm in einem Weinglas, daß kei
ner der Schafsköpfe, die sich auf das
Sammeln solcher Bilder verlegen, sich
nach Deinem noch ein zweites Mal um
drehen wird," brummte der alte Her.
rina. die Vfeike im Munde. Tie
Sorte hat es doch gleich heraus, ob fo'n
Ding echt ist oder nicht."
Das meine ich auch." sagte Con
derby. der dem anderen stets beipflich
tete. Na, Du wirst ja sehen, Mann.
waS schließlich dabei herauskommen
wird."
Ihr scheint mich doch für sehr ein
fältig zu halten, wenn Ihr glauht. ich
hätte daS alles nicht selbst in Betracht
gezogen." entgegnete ich. Wenn Ihr
aufmerken wollt, will ich Euch meine
Absichten klarlegen. ES ist sehr wahr,
scheinlich, daß von zwanzig Personen,
die zur Besichtigung deS BildeS erfchei.
nen, neunzehn auf den ersten Blick
erkennen, daß sie eS mit einer Imitation
deS großen Meisters zu thun haben.
Und was geschieht dann? Sie schütteln
einfach die kritischen Häupter, erklären,
daß ich in einem großen Irrthum be
fangen bin und trollen davon. Aber
der zwanzigste Reflektant dürfte den
Gesetzen deS Durchschnitts gemäß
em ausgesprochener Gimpel sein, und
dieser Gimpel wird mein Bild kaufen
und mir fogar den geforderten PreiS
zahlen."
Wie kann so ein alter HauSnarr
wie Du nur solch himmelschreienden
Blödsinn faseln? Glaubst Du wirklich,
daß irgend ein Schwachkopf und fei
fein Sparren noch so groß ein Bild
für hunderttausend Mark kaufen wird,
ohne irgend einen Kenner zu Rathe zu
ziehen?" meinte Herring.
Diesen Fall habe ich natürlich vor
gesehen," versetzte ich. Wer nichts
von Gemälden versteht, pflegt sich bei
derartigen Gelegenheiten an einen Ge
mäldehändler mit der Bitte zu wenden,
ihm einen Sachverständigen zur Unter
suchung und Begutachtung des hetref
senden Bildes zu senden. Nehmen wir
nun an, unser Gimpel geht dieserhalb
zu Smith in Pall Mall und bittet ihn,
einen Sachkundigen hierher zu senden.
Zwei Stunden später gehe ich zum
Telegraphenbureau und widerrufe den
Auftrag im Nameü des Kauflustigen,
erscheine in entsprechender Vermum
' mung selbst als Kunftexpert und gebe
mein Gutachten hinsichtlich deS BildeS
ab. Begreift Ihr nun. Schlauköpfe?"
Erftuunt, entzückt drückten sie mir die
Hand.
Ich will gehängt werden, wenn Tu
nicht ein richttger Hallunke bist!" rief
Herring. Mit einem Teufelskerl, wie
Du, eine Spitzbüberei zu vollführen,
das ist ja ein reines Gaudium."
Um daS Gemälde in passender Um
gebung prüfentiren zu können, miethete
ich ein kleines möblirtes Haus zu
Wokington in Surrey, stellte meinen
Rembrandt dort auf und ftationirte
Conderby und Herring daselbst, den
Ersteren als eine Art Haushofmeister,
der in meiner Abwesenheit die HoneurS
zu machen hatte und den Letzteren als
Livreediener, dem die doppelte Funk
tion oblag, die Thür zu öffnen und
meinem derzeitigen Domizil einen An
strich von Reichthum und Eleganz zu
verleihen. m
Sodann inserirte ich in der Presse,
und die Offerten blieben nicht aus.
Verschiedene allgemein bekannte Kunst
sammlet fragten schriftlich an. wann
und wo das Gemälde zu besichtigen
wäre, doch ich antwortete diesen Herren,
sogleich, daß sich bereit? ein Käufer ge
funden und die Sache erledigt wäre;
denn natürlich lag es nicht in meiner
Absicht, daS Bild Leuten zu zeigen, die
'seine Unechtheit auf den ersten Blick
erkennen würden.
Dann erschienen Etliche, die mir als
kritische Kunstkenner bisher nicht be
kannt gewesen, sahen daS Bild, fchüt
leiten die Köpfe, erklärten meine An
nähme, im Besitz eines echten Rem
brandt ,u fein, für absolut irng und
Der
Jahrgang 21.
verschwanden " mit vorwurfsvollen
Blicken.
xvoti Wochen waren veraanaen.
ohne zu einem Resultat zu führen, so
daß ich die Hoffnung auf einen Käufer
nahezu aufgegeben hatte, alZ emeS
Tages ein großer, elegant gekleideter
Herr bei mir vorsuhr und mir seine
Karte hineinsandte. welche besagte, daß
Lord Robert Winkobant mir die Ehre
gab. Nehmen Sie gefälligst Platz.
Mulord " sagte ich mit höflicher Vernei
gung. Sie wünschen vermuthlich
meinen jüngsten Kunstichatz in Augen
chein zu nehmen? Allerdings, em
entgegnete er mit durchdringendemBlick.
Und da ich m der Stadt zu thun habe
und in großer Eile von der Station
herübergekommen bin, hoffe ich. daß
Sie mir gestatten, das Bild sogleich zu
besichtigen." Gewiß." versetzte ich
mich erhebend. Bitte, folgen Sie
mir."
Ich führte ihn in die Bibliothek, wo
das Gemälde aufgestellt worden. Er
betrachtete eZ einige Minuten mit kriti
dien Blicken.
Ehrlich gestanden. Mr. Vmce, bin
ch kein sonderlicher Kunstrichter, ob
wohl ein leidenschaftlicher Freund der
Malerei. Ich würde daher gern die
Meinung eines Sachverständigen hören,
ehe lchm ich zum Kauf entschließe."
..Sehr richtig." stimmte ich bei
Wenn Sie mir einen Rath gestatten
wollen, möchte ich Ihnen Smith m
Pall Mall oder Marsden in St. James
treet als renommirte Kunstkenner
empfehlen."
Sehr verbunden," entgegnete er;
da mir jedoch Claridge in Termyn
Street außerordentlich gerühmt worden,
möchte ich eS mit diesem versuchen.
Falls Sie mir Schreimaterial geben
wollen, möchte ich sogleich einige Zeilen
dorthin senden."
Ich frohlockte innerlich. Das Geschick
war mir offenbar hold.
Hier ist Feder. Tinte und Papier,
Mylord." sagte ich, die gewünschten
Artikel vor ihm niederlegend. Jeder
beliebige Tag, den Sie zur Zusammen
kunft mit dem Sachverständigen beftim
men. soll mir recht sem. denn setvfl im
Falle meiner Abwesenheit weiß mein
Haushofmeister vollkommen Bescheid in
der Sache und ist autorisirt, mich zu
vertreten."
Sagen wir also: nächsten Dienstag?"
fragte er, von seiner Schreiberei auf
blickend. Dann würde es mir am
besten passen." Gut, also Dienstag.
Vielleicht gegen vier Uhr Nachmit
tags?" So sei' es." entgegnete der
Lord, während er daS Schreiben kou
vertirte. Ich werde den Brief sogleich
zur Post besorgen. Und nun wünsche
ich Ihnen emen guten Morgen.
Gleich daraus rollte sein Wagen da
von. , Ich aber ned mir rnumpyirens
die Hände, denn daß Geschäft mit
dem Rembrandt war so gut wie abge
macht.
Am nächsten Morgen fuhr ich zur
tadt und telegraphirte von Westend
aus an Claridge und Sons in Termyn
Street: Muß plötzlich verreisen. Sen
den Sie vorläufig keinen Sachkundigen
ehe weitere Benachrichtigung. Winco
bank.
Dann begab ich mich in meine Gar
conwohnung in St. Giles und suchte
mir dort eine geeignete Kostümirung für
die Rolle aus. die ich am Dienstag zu
pieken gedachte. Und die MaSnrung
war so gelungen, daß Herring, der mir
bei meimr Ruckkehr die Thür öffnete,
mich ahnungslos fragte, ob ich des
Rembrandt wegen" käme. '
Conderby ward nun eingehend von
mir inftruirt. Bei des Lords Ankunft
ollte er zunächst meine Abweienheit
entschuldigen und den Edelmann sowie
den Sachkundigen (mich selbst) dann zu
dem Gemälde führen. Und falls der
Lord sich zum Ankaufe entschied, sollte
er ihn zur Erledigung alles weiteren
um ei Zusammenkuft für den näch
en Tag ersuchen.
Da Conderby ein überaus kaltblüti
ger, gewitzter Mensch war, lonn iq
mich getrost auf ihn verlassen.
Der Dienstag kam. Mit dem Glocken
chlage vier fuhr Lord Robert bei mir
vor. während ich soeben einer Droschke
entstieg. AIS ich im Begriff war, die
Glocke zu ziehen, trat er mit forschendem
Blick auf mich zu.
Wenn ich nicht irre, habe ich das
Vergnügen mit Mr. ClaridgeZ Vertre
ter?"
Allerdings." versetzte ich, ibm eine!
eigens zu diesem Zwecke gedruckte Karte j
überreichend. Und ich habe wohl die
Ehre mit Herrn Lord Robert W'nco
bank, auf dessen Wunsch ich hier er
chien?" !
Jawohl, der bin ich. ' Ich habe um
Ihr Gutachten ersucht, weil ich selbst
zu wenig Kunstkenner dm und mich
beim Ankaufe dieses Rembrandt nicht
etwa anführen lassen möchte. Falls
5nmmfftfKftiTlf
' Afy y r y yu yy y
Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger.
Sie indeß alle? richtig befinden, werde
ich mich natürlich Ihrem Urtheil beu
gen."
Sie können sich ganz auf mich ver
lassen. Mylord." versetzte ich. Ich bin
schon fünfundzwanzig Jahre beim Fach
und habe mich bisher noch niemals ge
täuscht."
Mit feierlichem, unbewegtem Gesiche
önnete Herring ,unS die Thür und führt
unS in den Salon, wo sich gleich darauf
Conderby zu uns gesellte.
Ich habe Sie erwartet, meine Her
ren." sagte er. bedauere aber Ihnen
mittheilen zu müssen, daß Mr. Vince
in dringender Angelegenheit abberufen
worden. Doch hat er mich deaaf
tragt. Ihnen im Falle Ihres Erschei
nenS daS Bild zu zeigen. Bitte, hier
hinein!"
Wir folgten ihm in die Bibliothek.
und die Inspektion begann. Ich prüfte
die Malerei mit Hilfe verschiedener
Gläser, musterte sie bald auS nächster
Nähe, bald auS der Entfernung, neb
mit dem Daumen über die Leinwand,
kurz, ich probirte alle möglichen Kniffe.
welche die Kunstkenner bei solchen wu
genheiten anzuwenden Pflegen.
Nach beendeter Untersuchung steckte
ich meine Gläser ein und wandte mich
zu deni Lord. ,
Mylord. ich gratulire Ihnen zu
Ihrem glücklichen Fund. Dieses Bild
ist nicht nur ein echter Rembrandt. son
dern auch eineS der besten Werke deS
alten Meisters, und allermindestens
120.000 Mark werth.
Er schien hocherfreut, rieb sich die
Hände und sagte Conderby. er würde
am nächsten Tage wiederkommen, um
daS Bild abzuholen. Dann verließen
wir beide daS Haus und fuhren zusam
men bis zur WaterlooStation. Dort
trennten wir uns. Ich kehrte mit dem
nächsten Zuge nach Wokington zurück,
woselbst meine Genossen und ich unseren
Erfolg in Champagner feierten.
Als Mann von Wort erschien Lord
Robert schon am nächsten Vormittag,
um den Rauf abzuschließen.
Der Preis ist 110.000 Mark," sagte
ich langsam. Er schien angenehm be
rührt, versuchte seine Befriedigung in
deß zu verbergen und übergab mir einen
auf die London und Chelsea-Bank
lautenden Check.
Eine Viertelstunde später war der
Lorl mitsammt dem Gemälde auf dem
Wege nach London.
Noch am nämlichen Nachmittage fuhr
auch ich zur Stadt und präsentirte den
Schein bei der London und Chclseck
Bank.
Ich möchte dafür 'Banknoten. Tau
sendmarknoten," bemerkte ich von oben
herab.
Der Karnrer grinste mich an.
Wann haben Sie diesen Check erhal
ten?" fragte er. .
Heute morgen," versetzte ich. ein
wenig beunruhigt. Wie ist's damit?"
Nichts weiter, als daß das Ding da
nicht einmal den Pfennigstempel werth
ist. den es dort in der Ecke ausweist.
Der Aussteller dieses Wechsels ist ein
pitzbube, der bereits in fünf ver
schiedenen Fällen Lord WincobankS
Handschrift gefälscht hat. Zweimal ist
ihm der Betrag geglückt, in den übrigen
Fällen kam man noch rechtzeitig dahin
ter. Tie Polizei sucht ihn vergeblich
zu erwischen, er ist ihr bisher stets ent
chlüpst."
In namenloser Verblüffung starrte
ich den Check an, während der Kassirer
ortfuhr:
Ich glaubte, der Schurke habe diese
Art der Thätigkeit bereits aufgegeben
und sich auf anderen Schwindel ver
legt. Soviel steht jedenfalls fest, daß
Sie von ihm angeführt worden find."
Das schien mir auch sa. . Ohne ein
weitere? Wort verließ ich das Bank
haus.
Ich habe oftmals gehört, daß ein
Diamant den anderen schneidet. ' doch
Niemals hat sich mir die Wahrheit die
es Gemeinplatzes so kraß offenbart als
in diesem Fall.
Immerhin lag ein kleiner Trost da
nn, datz vord Robert" kaum minder
angeführt worden war, als wir selbst,
und schließlich brachte ich eS nicht übers
Herz, ihn hierfür sonderlich zu ver
dämmen; denn waren wir im Grunde
nicht Zunftgenossen?
Die gepreßten ühinesinnsnfüße.
Ganz anders, als mit dem Zzpf der
Chinesen, verhält es sich mit der Sitte,
die Füße der Mädchen zufammenzu-
Pressen. Am Pekinger Hof hat niemals
eine Frau mit künstlich verkrüppelten
Füßen erscheinen dürfen; ja Man sagt
sogar. eS sei jeder solchen bei TodeS
strafe verboten, den kaiserlichen Stadt
theil zu betreten. Und doch hat das
gute Beispiel deS HofeS eS nicht einmal
zuwege gebracht, daß die grausame
Mode wenigstens auS der unmittel
baren Umgebung der Hauptstadt der
fchmunden ist! Nur Peking selbst scheint
ziemlich uei davon zu fein.
Mehrere bedeutende Kaiser, vor allem
Kanghi.' der größte Herrschn Chinas.
haben wiederholt wohlmeinende Ver
fügungen erlassen, worin sie die drin
gcnde Mahnung aussprachen. der üblen
Gewohnheit zu entsagen. Aber keiner
von ihnen wollte zu drakonischen Mß
regeln greifen, wie sie bei der Ei'
führung deS ZopfeS unbedenklich ange
wandt wurden. Sie waren sich offen
bar bewußt, daß eS viel leichter ist.
eine Sitte der Männer abzuschaffen.
alZ eine der Frauen. Das Wort des
alten Euripides: von Allem das Un
übcrwindlichfte ist das Weib", gilt auch
für den Orient. In China giebt es
ebenso gut Pantoffelhelden wie in
Europa.
Stoßen wir hier also auf einen all
gemein menschlichen Zug, so finden wir
dagegen einen großen Unterschied zwi
schen dem Empfinden der Chinesen und
dem unsrigen, sobald wir uns nach dem
Ursprung der sonderbaren Mode er
kundigen. Mr Avenoianoer will immer
gern dem Uranfang aller Geioohnheiten
nachspüren, worüber sich der Chinese
oft nicht wenig wundert, da dieser
historische Sinn ihm selbst fast völlig
abgeht. Daher kommt es, daß er nicht
einmal auf die Frage, wann man den
Mädchen zuerst die Füße zusammenge
preßt habe, eine befriedigende Antwort
zu geben weiß. Die Angaben hierüder
weichen in ganz erstaunlicher Weise von
einander ab. Während nämlich die
einen sagen, die Mode sei in der Zeit
der Schang Dynastie (17661122
vor Christus) aufgekommen, verlegen
die Andern den Ursprung in die Periode
der Tang Dynastie (020007 nach
Christus). Ebenso wenig Uebereil!
ftimmung herrscht über den eigentlichen
Anlaß.
Nach emer Angabe hatte eine Kalze-
rin Klumpfüße, weshalb sie ihre Hof
damen zwang, die Füße zufammenzu
pressen, damit sie nichts vor ihr voraus
hätten. Andere behaupten dagegen, zu
einer gewissen Zeit hätten die Frauen
der besseren Kreise die schlechte Gewöhn
heit gehabt, viel, umherzulaufen und
die Männer durch ihr Schwatzen zu be
lästigen. 'So seien diese in ihrer Ver
zweiflung zuletzt darauf verfallen, den
Mädchen die Füße zusammenzupressen.
um sie dadurch zu zwingen, ein häus
licheres Leben zu führen, als ihre Müt
ter damals. Falls an dieser letzten An
gäbe etwas Richtiges ist. so hat man
den gewünschten Zweck nicht nur völlig
erreicht, sondern hat sogar bedeutend
über das Ziel hinausgeschossen.. Denn
eine iftau mit verkrüppelten Füßen
kann sich nur sehr unbeholfen bewegen.
Die für jeden Europaer im höchsten
Grade abstoßende Unsauberkeit in jedem
chinesischen Haushalt hängt mit dieser
geringen Beweglichkeit der Hausfrau
zusammen. Sie vermag beim besten
Willen nicht so nach dem Rechten zu
ehen und selbst mit zuzugreifen und zu
schaffen, als wenn sie natürlich geftal
tete Füße hätte. Dazu kommt dann
noch die furchtbare Gefahr bei den
häufigen Feuersbrünften. Ein großer
Brand in einer enggebaujen Chinesen
ftadt fordert fast immer Opfer unter
den Frauen, weil ihre Füße sie nicht
schnell genug aus der Gefahr bringen.
Aehnlich ist eS, wenn Feinde ins Land
kommen. Wiederholt haben sich dann
Hunderte von Weibern, die wegen ihrer
kleinen Füße nicht rasch genug ent
fliehen konnten, aus Angst in die Brun
nen gestürzt.
Die Männer im Reiche der Mitte
verschließen sich diesen und anderen
großen Schattenseiten keineswegs. Aber
die Mode, die Mode! Dagegen ist schwer
anzukämpfen. Ein möglichst kleiner
Frauenfuß ist nun einmal das, immer
wieder poetisch vetherrlichte Ideal, das
die sonst so nüchternen Chinesen ordent
lich in Begeisterung versetzt. Eine Mut
ter, besonders eine aus den höheren
Ständen, kann gar nicht erwarten, ihre
Tochter standesgemäß zu verheirathen,
wenn sie ihr nicht die mit dem Zusam
menpressen der Füße verbundenen
Qualen bereitet, damit möglichst zier
liche goldene Lilien" das Ergebniß
find. So werden die verkrüppelten
Füße von den Dichtern wegen der gold
gestickten Schuhe genannt, in denen sie
flecken. Ein in China reisender Aus
länder bekommt die goldenenLilien"
nicht eben oft zu sehen. Dies liegt aber
einfach daran, daß sich die Frauen der
mittleren und oberen Kreise fast immer
im Hause halten. Unerwachsene Mäd
chen mit kleinen Füßen sieht man
häufiger.
Der naturwidrige Vorgang beginnt
gewöhnlich mit dem fünften oder sechsten
Jahre. Vielfach begegnet man der An
ficht, daß dabei eiserne oder hölzerne
kleine Schuhe angewandt würden, in
die man die Füße hineinzwänge. DaS
ist jedoch nirgends der Fall vielmehr
benutzen die Mütter immer schmale
No. 18.
Streifen von Leinen, mit denen sie die
Füße in der Art umwickeln, daß die
Zehen und der Hacken einander mög
licyn genayeri werden und die. n
natürlichem Zustande fast flache Sohle
allmälig eine starke Wölbung annimmt.
Am liebsten will man durch fortgesetztes
Einpressen eine solche Verlängerung des
Hackens erreichen, daß seine Spitze mit
der großen Zehe, m die der zusammew
gepreßte Fuß vorn nach unten aus
läuft, in einer Ebene liegt und dein
nach der ganze Körper auf diesen beiden
Stutzpunkten ruht. Oft gelingt die.
manchmal aber auch nicht, besonders
nicht, wenn der Prozeß in zu späten
Jahren begonnen wurde. Tann bleibt
nichts übrig, als den Hacken duraeinen
darunter gesetzten kleinen Klotz künstlich
zu verlängern.
Ter Schuh, worin ein nach allen
Regeln der Kunst verkrüppelter Fuß
sitzt, ist gewöhnlich nur drei englische
Zoll lang. Zuweilen ficht man fogar
cyuye. die noch etwas kleiner find.
("V, n i tv , p t i
tfrTrieoer Welnenenoe. dem m emem
chinesischen Laden solch' winziger Schuh
gezeigt wird, schüttelt ungläubig den
Kopf und hält das vor ihm stehende
lllipuiartige Ting für eine arge Ueber
treidung, das eher einer Puppenstube.
als dem wirklichen Leben entnommen
sei. Er hat insofern vollkommen recht.
als der zierliche Schuh gar nicht für den
ganzen oenimmk in, onoern nur
für die Zehen und den Hacken. Der
obere Theil des Fußes ist stets viel
größer als der Schuh. Dieser Theil
ist mit Streifen von Zeug umwickelt.
die bis auf den Schuh herabreichen.
Die in letztem steckenden Theile des
Fußes find gleichfalls umwickelt. Es
ist hiernach klar, daß Frauen mit ver
krüppelten Füßen keine Strümpfe tra
gen können.
Ueber die schlimmen körperlichen
Zolgen. die das Zusammenpressen der
Füße für die Mädchen mit sich dringt,
ist viel geschrieben worden, manchmal
jedoch mit einigen Uebertreibungen. Es
unterliegt natürlich gar keinem Zwei
fel, daß die Schmerzen groß sein müs
sen, wenn zwei bis drei Jahre lang' die
ordentliche Zirkulation des Blutes in
Hacken und Zehen verhindert wird, bis
diese Gliedmaßen völlig eingeschrumpft
nno. Aver wenn man oen Prozeß nur
früh genug beginnen läßt, so scheinen
sich die Mädchen in späteren Jahren
ganz wohl zu fühlen. In Süd-China.
wo die Sitte viel ausgebreiteter ist als
in Nod-China. wird allgemenz früh
damit angefangen. Hier halten sich
nur die untersten Volksschichten, deren
Frauen schwere körperliche Arbeit ver
richten müssen, davon frei, der Noth
geyorcyeno, nicht dem eigenen Trieb
In Nord und Mittel-China lassen da
gegen auch solche Volkskreise, in denen
die Frauen zu Hause bleiben können
und nicht auf dem Felde oder auf den
zahlreichen- Kanalschiffen zu arbeiten
brauchen, ihre Töchter mit natürlichen
Füßen gehen. Die Abgrenzung der
Sitte ist hier nicht so scharf und das
führt dann allerdings manchmal zu den
vellagenswertyeflen Folgen.
ganzen Reiche der Mitte finden
nämlich Verlobungen eigentlich kann
man nur sagen: Versprechungen schon
sehr früh statt. Die beiderseitigen
Eltern machen dies miteinander ab.
Bietet sich nun einer Familie Geleaen-
heit, eine halbwüchsige Tochter gut
umerzuvringen unter der Bedingung,
daß ihr noch die Füße zusammenge
preßt werden, s wird sie sich keinen
Augenblick besinnen, hierauf einzu
gehen. Der annehmbare Freier wird
in einem solchen Falle mit furchtbaren
Dualen erlauft, die man der armen
Tochter bereitet. Denn ist sie bereits
,zwölf Jahre alt oder noch älter, so sind
die Knochen der Füße bei weitem weni
ger nachgiebig als im vierten oder fünf
ten Jahre. Sie muß dann immer die
schrecklichsten Schmerzen aushalten.
Mitunter sind aber die Folgen noch
schlimmer: die Füße werden brandig
und sterben ganz oder theilweise ab.
Sonderbar genug, daß ein großes
Volk, wie das chinesische, das in vielen
Dingen sehr verständige Ansichten hat,
einer so unnatürlichen Sitte huldigt.
Die Erklärung liegt, wie schon bemerkt,
darin, daß fast immer die Zukunft der
Töchter auf dem Spiele steht. Wenn
man dieser Sitte entgegenwirken will,
so muß man vor allen Dingen dafür
lorgen. da lolchen Familien, die be
reit find, ihre Töchter mit natürlichen
Füßen aufwachsen zu lassen, Heiraths
Kandidaten zugeführt werden. Manche
Ausländer sind bereits eifrig bemüht,
in diesem Sinne zu wirken. Aber es
mag noch lange mit dem Erfolg dauern.
grauenrechtt im lten Babylonien.
DaS Bürgerliche Gesetzbuch für das
Deutsche Reich hat einen großen Fort
schritt gegenüber den früheren recht
lichen Beschränkungen des 'weiblichen
Geschlechts gebracht. Aber die Herren
der Schöpfung müssen koch recht be
schämt sein, wenn sie z. B. die rechtliche
Stellung der Frau vor Jahrtausenden
im alten Badplonien betrachten und die
bisherigen Zustände dagegen verglei
chen, in denen eine Frau über eigene?,
sauer erworbenes oder ererbtes Gut
nicht ohne Einwilligung de? Ehegatten
verfügen konnte. Im Lande zwischen
Euphrat und Tigris war rechtlich die
Frau auf gleicher Stufe wie der Mann.
Tie Münchener Allg. Ztg." entnimmt
einige Beispiele einem höchst intereffan
ten Buche deS berühmten englischen
Assvrologen Sayce .Babylcmians
and A.syrians, Life and Custorns,
London 19' -. Schon die früheste
Zeit kannte eine Königin Ellat-Gula
(abgesehen von der fabelhaften Semi
ramiS), und auch auf den bekannten
Affurdanipal'ReliefS sitzt die Königin
dem liegenden König zur Seite beim
Festmahl. Unter Sargon (3800 v.
Chr.) läßt nach einer erhaltenen Lifte
die Königin durch ihr Sklavenperfonal
Holzftümme einführen. ES tonnten
bis in die spätere Zeit Frauen sich auf
ihren eigenen Rainen zu HandelSge
schäften assoniren (mit Männern oder
Frauen), kaufen und verkaufen, borgen
und ausleihen, alS Klüger und Zeugen
vor Gericht erscheinen, nach Belieben
über ihr Eigenthum testiren. War die
Mitgift vom Vater der Frau gegeben,
so hatte der Mann nur die Vertrags
mäßigen Rechts daran. Ein Dokument
aus den Zeiten Abraham? Verzeichnet
das Geschenk einer Sklavin durch den
Mann an die Frau; diese sollte bei
Scheidung sowohl als im Todesfalle
des Mannes Eigenthum der Frau biet
den. wodurch das Sondergut der Frau,
das die Erden des Mannes nichts an
ging, schon zwei Jahrtausende vor
Christus anerkannt ist. Aus der spä
teren Zeit haben wir dafür noch zahl
reiche Contrakte, z. B. aus dem II.
vorchristlichen Jahrhundert ein Testa
ment, welches ein Feld in erster Linie
der. Tochter, dann der Schwester ver
macht: Bruder und Schwester erben ge
meinschaftlich zu gleichen Theilen; unter
Cyrus klagt sein Sohn Cambyses auf
Rückerstattung einer Hypothekenschuld,
wofür die Frau deS Schuldners mit
verpflichtet ist. Zahlreiche Dokumente
zeigen die Frau als Separatschuldnerin
und Bürge, als Eigenhändlerin und
Betheiligte. Wenn auch Testamente
von grauen nicht vorliegen, so bezeugt
das Testament eines Sohnes, der aus
drücklich mütterliches und gronmütter
liches Vermögen vermacht, daß die Frau
testiren konnte. Ein Societätsvertrag
aus der Zeit Samsuilunas auS.der
ersten babylonischen Dynastie unge
fähr um Abraham zwischen zwei
Männern und einer gewissen Amat
Samas stipulirt den ModuS der Rück
zahlung einer aus dem Vermögen des
onnengottes zum Zweck gemeinschaft
licher Handelsgeschäfte entliehenen
Summe, wobei die Frau in gleicher
Weise behandelt wird wie die männ
lichen Theilhaber. Dahin sind wir
nach fast fünf Jahrtausenden nun auch
glücklich gekommen.
Tie beiden Meister.
Aus Anlaß der tZinweibuna des
Franz Hals-Denkn,als in Holland er
innern die Annales" an eine Anekdote,
deren Held der berühmte Maler war.
Franz Hals stand zur Zeit, als die
Geschichte spielt, im Alter von 40 Iah
ren. Als er eines Tages im Kreise
seiner Freunde weilte, rief man ihn
plötzlich ab und theilte ihm mit. daß
ein junger Mann ihn zu sprechen wün
sche. Hals begab sich in sein Atelier,
in dem ein Cavalier ihn erwartete.
Verzeihen Lie die Störung, Meister,"
redete der Fremde ihn an. aber ich be
finde mich auf der Durchreise und
wollte Harlem nicht verlassen, ohne fei
nen berühmtesten Meister gesehen und
mit ihm gesprochen zu haben. Man
hat mir so oft Ihre erstaunliche Ge
fchicklichkeit in der Portraitmalerei ge
rühmt. Würden Sie vielleicht mein
Portrait malen? Es müßte natürlich
sofort ausgeführt werden, denn ich habe
nur einige Stunden übrig." - Schnell
entschlossen nahm der Künstler die erste
beste Leinwand, die ihm in die Hände
fiel, und führte das unter so fonder
baren Umständen verlangte Portrait
schnell aus. Sehr gut!" rief der
Fremde, als er fertig war. Wie ich
sehe." fügte er dann hinzu, muß das
Malen gar nicht so schlimm sein, und
ich hätte nicht übel Luft, mich daran zu
machen. Wollen wir unsere Rollen
tauschen, Meister? Der Künstler reicht?
seinem Gaste lachend das nothwendige
Material und fetzte sich vor die Staf
felei. Mit wachsendem Erstaunen sah
er den ffremden Vinfel und Nl,tt?
mit größter Leichtigkeit aebraucken.
Es war ihm ein wenig unangenehm,
die Rolle des Modells zu spielen, und
er gelobte sich, sie nie wieder gegen
die thätigere des Malers einzutauschen.
Nach einiger Zeit legte der Fremde die
Palette hin und sagte zu ihm: Sehen
sie letzt, ob ich etwas von ihrpm
Unterricht profitirt habe." Zu seiner
großen Ueberraschung sah Franz Hals
ein Bild, das seine Züge mit einer
überraschenden Aehnlichkeit wiedergab.
Ich kenne in der Welt nur einen
Mann, der so zu malen versteht!" rief
er aus. Sie find Sie sind Van
Duck!" Und der Fremde verbeugte sich
zustimmend mit einem Lächeln.
Zum Direktor bringt eZ mancher
durch sein Talent, sich dirigiren zu
lassen.