Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 20, 1900, Image 10

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    V
Der gespenstische Kammerdiener.
Qmt iraijtf ttisiug(id)iit;f von Ai:hr
X t b t i n.
Lange habe ich gezögert, eh ich mich
entschließen tonnte, die nachfolgenden
Mittheilungen zu Papier zu bringen:
einen noch weit schwereren Kamps hat
mich die Frage gekostet, ob ich sie der
össentlichen sollte, endlich hat aber der
edanke mich zum EntiauuB gemeven.
daß ich ja doch jedeS Wort vertreten
kann, daß ich ja doch alles das. waZ ich
da eriäble. selbst durchaelebt habe und
für die Wahrheit meineZ Berichts mit
tausend Eiden emeyen rann, s mu
herunter von meiner Seele, ich muß
einmal mein Herz ausschütten: vielleicht.
dak einer von den Lesern Rath und
Hilfe für mich weiß.
ES war an einem laulich-warmen.
dustscbmanaeren Tommeradend deS
JahreS 1893. Ich faß bei meinem
Freunde, dem Freiherrn v. W.. in des.
sen poesievoll ausgestattetem TuSculum:
d. h.. eigentlich saß ich nicht, mit
liebenswürdigem Eifer hatte er darauf
gedrungen, daß ich mich auf der mit
einem molligen Tigerfell überdeckten
Chaiselongue ausstreckte. Ta lag ich
clfo nun. müde von all dem kleinen
Aergcr meiner täglichen Arbeit und
paffte den Tampf einer Habana Vir
, ginia in die Luft. Trimm, der Teckel,
hatte sich an meiner Seite häuslich nie
dergelaffen und rieb hin und wieder
seinen Kopf an meinem Arm. Turch
daS geöffnete Fenster drang eine Ueber
fülle von Lindenduft; draußen zivil
scherten zahllose Bbgel ihre brünstigen
Weisen.
Wir sprachen vom Spiritismus
unser hauptsächlichstes Thema feit eini
4 gen Tagen, hatten wir doch jüngst
einige Öccultisten" in der Stadt ge
habt und uns ihre Experimente ange
sehen. Immer und immer wieder
zitirte wein Freund das berühmte Wort
von den vielen Dingen zwischen Himmel
und Erde, von denen sich die Schulweis
heit nichts träumen läßt, und immer
wieder proteftirte ich dagegen, daß diese
Sentenz zu Gunsten deö Spiritismus
ausgebeutet würde. Warum passirt
mir denn nie etwas Uebernatürlichcs?"
TaS war mein unerschütterlicher Ein,
wand aus die hundert Probleme, die
mir der Freiherr in die Zähne warf.
Mit feinen hellen, blauen Augen sah er
mich nachdenklich an.
.Aber haben Sie nicht neulich im
Goethe-Zimmer zu Weimar das Relief
Napoleons I. gesehen, das gerade am
Tage der Schlacht bei Leipzig auf un
erklärliche Weise zu Boden stürzte und
zerbrach? WaS sagen Sie dazu?"
.Zusall.
So, Zufall? Und der bekannte
Spuk von Fichtenau, wo sich die Steine
auS dem Pflaster des HofeS lösten und
durch die Luft fausten?"
Hab ich nicht selbst gesehen.
Glaub'S also nicht.
Stundenlang hatten wir uns schon
gestritten. Je mehr der Freiherr sich
erhitzte, desto ruhiger wurde ich. denn
ich war wirklich müde, sehr müde.
Schließlich gab ich überhaupt kaum
noch eine Antwort. Ich hörte blos
immer zu, wie er mir von wandelnden
Ahnfrauen, lebendig werdenden Bll
dern. redenden Grabkreuzcn, dem ge
spenftischen Schlittschuhläufer u. f. m.
erzählte. Ich glaube sogar, ich hörte
kaum mehr alles. Ich sah nur seine
eigenthümlichen, glänzenden Augen,
die wie zwei Lichter aus der dunklen
Ecke hervorleuchteten, in welche er seinen
Polsterseffel gerückt hatte.
Ich hörte, wie die Uhr zwölf schlug.
.Du mußt gehen," sagte ich mir, und
schmerfällig erhob ich mich von dem
weichen Tigerfell, gab meinem Freunde
mit verhaltenem Gähnen die Hand und
empfahl mich. Die Nachtluft war milde
und weich; ich fühlte kaum, daß ich
draußen war. Während ich die präch
tige Lindenallee durchkreuzte, meine
Hausthür aufschloß und dann in mein
Studirzimmer eintrat, summten mir
noch immer die tollen Spukgeschichten
durch den Kopf, die ich heute gehört.
Ich bin kein Freund von nutzloser pe
kulation. aber die Erzählungen hatten
doch auf mich gewirkt; ich konnte mich
nicht losreißen von dem eigenthümlichen
Eindruck, den sie auf mich gemacht.
Schneller als sonst, wo ich wohl noch
ein halbes Stündchen mich aufs Sopha
leate. brannte ich ein icht an.
's ist ja Alles Unsinn! TheilsPhan
tafterei, theils blanker Betrug! Warum
kommt mir nicht so ein Gespenst "
Weiß der Geier, xoai bei dem Gedan
ken in mich fährt ! Mir wird auf ein
'mal so merkwürdig ängstlich zu Muthe;
ich fühle in meiner Kehle ein Schlucken
und Drücken, wie noch nie. Dabei
sürchte ich mich förmlich, mich umzu-
sehen.
Da soll doch gleich ", will ich
zornig rufen, aber die Worte wollen
nicht über die Lippen.
Ich bin wüthend über mich selbst.
Ich, der Skeptiker, der notorische Spöt
1, ich lasse mich dnrch dumme Ammen
Märchen inS Bockshorn jagen? Pah,
gehen wir zu Bette! Der Freiherr scheint
mir doch zu viel Madaira eingeschenkt
zu haben, oder die Virginia war mir zu
mächtig.
In der einen Hand die Lampe, öffne
ich die Thür zu meinem Schlafzimmer.
Wie daS meine Gewohnheit ist, trete ich
zunächst ans Bett, um die Decke aufzu
schlagen ich habe daS in meinen Pri
manerjahren von einem Kameraden ge
lernt, der mit mir in einem Zimmer
schlief. Immer erst frifche Luft ins!
Bett." vfleate er vx fflien. .ehe man
selbst kommt. ES schläft sich besier so."
Ich trete also anS Bett. Da
großer Gott! WaS ift daSk Ganz von
selbst, wie von einer unsichtbaren Hand
gepackt, hebt sich die Bettdecke und legt
sich um. genau so. wie ich ne auaveno
lich zu wenden pflege.
Ich fühle, wie eS mir ei-kalt über
den Rücken läuft, wie mir jeder Bluts
tropfen erstarrt. Mit eigenen Augen
bade ich den unheimlichen Spuk ge
sehen, da hilft kein Schwadroniren und
WeadiSputiren.
Langsam, die Augen immer auf daS
Bett gerichtet, gehe ich rückwärts. Für
keine Schätze der Welt hätte ich der ver
taten Lagerstatt jetzt den Rücken ziige
kehrt.
2,tm Himmel fei Tank, ich bin wie
der in meinem Studirzimmer! AlZ ob
jede Sekunde Zeitverlust meinen Unter
gang herbeiführen könnte, werfe ich die
Thüre zu, verriegle sie und schied,
außerdem noch eins der Möbel davor
Erst jetzt wage ich wieder aufzuathmen
ES ist gerade 2 Minuten über 12 Uhr,
In das Schlafzimmer geh' ich heut
Nacht nicht wieder daS steht fest
Ich werde versuchen, mir die Zeit mit
Lesen zu vertreiben. Wenn ich doch
wenigstens Bier bier oben hätte aber
etzt in den Keller? Unter keiner Be
dingung! Aber eine Cigarre will ich
anzünden das wird meine geradezu
tanzenden Nerven beruhigen.
Wie grausam trüge die stunden da
hin schleichen! Und daß ich auch gerade
neben dem Thurme wohnen muß. wo
ich jede Viertelstunde schlagen höre!
Endlich, endlich gebt die Sommer
nacht-Tämmerung in Tageshelle über
Der junge Tag steht neugierig durchs
Fenster nach dem gequälten Menschen
kind. das sich da Übernächtig auf dem
opha rekelt. Jetzt, läuft d,e Zeit
schneller, schließlich klopft nun auch
meine Wirthin an die Thür, um mir
den Kaffee zu bringen.
Sie muß mir wohl etwas anmerken,
denn sie sieht mir so sragend in die
müden Augen.
Ob ich ihr sage nein, ich schäme
mich.
Ueberhaupt, wenn ich mir die Sache
überlege . Sonderbar, so am hell
lichten Tag fühlt und empfindet man
doch ganz anders als in der Nacht. Ich
komme mir nachgerade etwas komisch
vor. Wie sollte nur die Decke ganz von
selbst Unsinn! Ich bin wohl schon
halb im Schlaf gewesen.
Freilich, wie ich jetzt in mein schlaf
zimmer trete, sehe ich die Decke ausge
schlagen, aber wer sagt mir. daß ich
das gestern Abend im Dusel nicht selbst
gethan habe.
Schade um die schöne Nacht! Na, in
der nächsten will ich das Versäumte
nachholen, sage ich mir und werfe das
Bettzeug durcheinander, damit meine
Wirthin nichts merkt und, mich mit
ihrer Neugierde belästigt. Tann end
lich gehe ich in die frische Luft, deren
erquickender Hauch mir wohlthut nach
der verrückten Nacht !
Wieder ist der Abend da. Weiner
sonstigen Gewohnheit entgegen, ra mein
erster Gang nicht nach meiner Weck
nuna, fondern in die Kneipe. Und
wie mir das Bier heute schmeckt ! Mein
Freund Ludolf Waldmann würde feine
ycue Freude an mir haben, wenn er
sähe, wie eifrig ich seinen Rath, immer
noch Eins" zu trinken, befolge ES ist.
als ob sich in meiner Kehle die ganze
Gluth von Brotterode aufgespeichert
hätte. Um 10 Uhr bin ich noch immer
am Poculiren; die elfte stunde schlägt
ich trinke, selbst die Mitternacht
findet mich noch beim Becher. Schließ
lich sitze ich ganz allein in dem behag
lichen Tempel des Gambrinus; nur der
Kellner lümmelt sich an den Wänden
umher und gähnt einmal übers andere,
Ich glaube, der Kerl will mich weg,
ekeln. Das wäre doch noch schöner!
Kellner, noch einen Krug!" Warte
Bengel Dir werde ich schon Geduld
beibringen! ,
Hm, die ganze 'jcacht kann ich ja
doch wohl nicht hier fitzen. Schon
Uhr! Der Piccolo iß nach und nach
eingeschlafen; da werd ich doch wohl
gehen müssen.
..Fritz, zahlen!"
Man sieht dem befrackten Jüngling
deutlich seine Freude an. Na, seine
Standhaftigkeit soll durch ein anstän
diges Trinkgeld belohnt werden.
Wie wär's, wenn ich noch einen klei
nen Bummel machte. Ich fühle in
meinem Schädel ein Summen und
Surren ich diagnostizire auf einen
richtigen Schwips. Rechter Hand,
linker Hand Alles vertauscht"
stimmt ! Das ist mir doch lange nicht
pasftrt.
Himmel, kann ich denn nicht mehr
gehen? Bumm. schon wieder ein Later
nenpfahl das wird doch bald zu
bunt. Das ist ja schon kein Schwips
mehr, das ist ein waschechter, tadelloser
Rausch.
Wenn ich nur erst glücklich im Bett
Tonner und Doria. woher kommt
auf einmal das Frösteln? Doch nicht
wegen der dummen Geschichte von vori
ger Nacht? Larifari! WaS? ich mich
fürchten? Alter Soldat und fürchten?
Wohnt nicht. Vorwärts also, nach
Hause!
Diese blödsinnige AngstmeiereiM
Schon wieder überläuft mich'S, wie ich
die Klinke der" Schlafzimmerthür er
greife. Schlapper Kerl marfch!
Da ist das Bett. Wir wollen doch
sehen. Zugefaßt Wahrhaftig, die
Decke hebt sich wieder von selbst
langsam geräuschlos. I
Fort auS dickem Hause fort
fort !
Wie ein Verrückter stürme ich durch
die Straße. Bezecht bin ich aber nicht
mehr, da? fühl' ich ganz genau. ' Jede
Sdur von Rausch ist wen
Ta sehe ich im Scheine der Laterne
daS Schild der .bioldenen Sonne
blitzen. Das ist ein Ausweg, ich schlafe
im votel.
Ter HauZdursche nebt micb orok an.
wie ich in der früben Moraenstunde vor
ihm stehe und in aufgeregtem Tone ein
Zimmer verlange. Ter denkt gewiß,
ich bin nicht nüchtern. Aber ich bln'S
Mag der denken, was er will, die
Hauptsache ist, daß ich endlich zur Ruhe
komme.
ES ist mir förmlich, als ob das $o
tclbett ganz anders aussähe, wie das
meinige; viel harmloser, so wie soll
ich sagen so friedlich, so ungefähr
lich.
So. die Ubr leoe icki unter daS Kods
rissen, damit ich sie morgen gleich zur
Hand bade. und nun
Am nächsten Morgen sindet mich der
vauslnccht vor dem Lett am Boden
liegend; ich lese ihm feine Gedanken
vom Gesicht ab. Mit schlauem Lächeln
erzählt er mir, er habe mich absolut
nicht wach bekommen können, erst als
er mir die Stirn mit Waffer betuvkt
hatte, wäre es ibm ac rnnen
Ich weid wohl, warum das fo schwer
war. Ein brausen packt mich, wenn
ick ein paar Stunden zurückdenke. Auck
diesmal hat mich eine unsichtbare Hand
bedient eine Ohnmacht war die
Folge.
schreckliche Nachte, die nun kolaten
Mein Wider land ilt aebrocken. maa
das Bett aufgedeckt haben, wer will
m Itat Ml dinkkn. rirn hm mm
schon an den gespenstischen Kammerdie
i - - - ? - ) -r ...
ner gewöhnt, der mich so unheimlich
aufmerksam bedient
Alle Wett sagt m r. dak ick sckrecklick
elend aussehe; ich fühl eS la auch selbst.
wie ich zusammenfalle. TaS kann nicht
mebr lanae so oeben. Müde scklevv'
ich mich voran, jeden Abend kneipe ich;
ois m,r vie Augen zufallen, und dann
wanke ich ächzend und fröstelnd ,u mei-
ner Wobnuna. um immer und immer
wieder zu sehen, daß das Gespenst mich
nicht veriayt.
Drei Monate und nun veraana,,.
... .. . . o o
seit ich es zuerst bemerkt, drei grauen
yasie Zonale. sommer it in
zwischen gestorben, gelb und roth färben
im vie lütter und der wuruae ftnbft
duft lagert in den Zweigen.
Wieder ein durckwüsteter Ab?nd
wieder schleiche ich uni'äalick matt und
elend heim. Ich glaube, jetzt ist eS mit
meinen rasten bald zu Ende, v elle ckt
noch ein paar Tage, dann fährt man
mich binauS. Wie babe ick mick früher
vor dem Tode gefürchtet, und jetzt? Ich
seyne mich vrunslig nach dem Frieden,
der hinter den Kirchhofsmauern wohnt.
Wie ick Mick in die Kissen sckmieae-
die Tecke senkt sich wieder von selbst auf
mich herab, wie sie vorher in die Höhe
schwebte ist es mir. als ob ick mit her
Welt nun fertig wäre. Morgen wird
man in vielem Zimmer eine Leicke nn
den. Wie sie erschrecken werden! Ob
man mich betrauert ) ftpsTe mir in
Gedanken eine Liste der Leidtragenden
aus: meine Eltern acb die Aermsten
dann Paul. Otto. Elise und die
anderen Geschwister. Ja, die werden
weinen! Sie haben mick sebr lieb at
habt, jetzt wird es mir erst so reckt. reM
klar. Wenn ick dock AlleS ant mack?n
könnte, womit ich sie je gekränkt. Ter
lieve Ctto, der prächtige Junge! Ich
könnte mich erwüracn. wenn ick daran
denke, wie ick einst am Cbrigabend in
kindischer Wuth mein Lottospiel in den
urtn geworren, blos, weil ich darüber
tarn, wie er damit Irnelie. abne mick
gefragt zu hsben. Hätte mich Vater
ooaz vamats zu Schanden gehauen!
Aber er schüttelte jä bloS mit dem lie
ben. alten Kopf und faate: ..TaS mir
Tu T,r nie vergenen!" Wea mit
den häßlichen Erinnerungen! Wer wird
noch mehr um mich trauern? Blon
dinuS, mit dem ich den ganzen Tb
ringer Wald die Kreuz und die Quere
durchwandert? Gewiß auch n. Und
dann sie ach, sie wird sicher um mich
weinen. Könnte ich ihr dock ickt in
der Abschiedsstunde einen ganzen Him
mel als Lohn für ihre Treue zu Füßen
legen und sagen: Ta, nimm! Uud der
Freiherr der der was ist denn
das? Ist das nicht der Freiherr, der da
die Falten der Tecke alättet. der mir
das Kiffen gerade rückt? Um alleS in
der Welt, wie kommt der jetzt in mein
Schlafzimmer? Da da er faßt
mich am Arme und
..Aber. Menkck. Sie scklaken In wi?
ein preußischer Wachtposten!" lacht eS
munter durcks Zimmer, und wie ick
mir die Augen reibe oho, wo bin ich
oenn. das in a des Freiherr Zimmer.
ich liege auf der Cbaiselonaue. neben
mir knurrt Trimm
Wabrbastia. ick babe oeträumt. d?
ganzen tollen Zauberspuk wirklich ge
träumt. Sommerlicher Lindenduft
drinat durckS geöffnete Fenster, und
draußen läßt die Nachtigall ihre weh
mulyigen Welsen ertönen. Na, jetzt
alaub' ich erst reckt nimmer an Sviri-
tiSmus, ÖccultismuS und anderen Ge
penflerJSmuS.
Ungewiß.
Vater: Nun möchte ich aber doch
endlich wiffen. lieber Karl, was Du
eigentlich ftudirft?"
Sohn: Ich alaube Medizin, lieber
Papa."
Vererbung.
-jm3ität vsn v. ß:Ueu.
Der Herr Professor legte das Buch
fort und lehnte sich in tiefem Nachnn
nen in seinen Lehnftuhl zurück.
Ja." sagte er dann. eS ist merk
würdig, wie wenig Individualität in
jedem von uns steckt. Wie wenige kön
nen von sich sagen, ich bin ich. Ich bin
ein wirkliches, wahrhaftes Ich. ich bin
mein eigenes Selbst. Ja. ich glaube
sogar, daß es keinen einzigen Menschen
giebt, auch nicht einen, der daS mit
apodiktischer Gewißheit von sich dehaup
tcn kann."
Ich kann Deinem Gcdankcngang
nicht feigen." sagte die rau Profenor.
ein übrigen? noch ganz reputirlicheS
Weibchen allein ich bin überzeugt
davon, Fritz, daß das, waS Tu da eben
gesagt hast, ein großer Unsinn ist." und
sie strickte, ohne sich stören zu laffen.
ganz ruhig weiter.
Tas verstehst Tu eben nicht, liebe
Thercse," erwiderte Profeffor Friedrich
Schmidt in seiner sanften, salbungs
vollen Weise, und ich meinte damit
auch nur, wie wenig verantwortlich ein
Mentch für feine Thaten gemacht wer
den könne. Denn alles, wag wir thun.
thun eigentlich nicht wir. sondern es ist
die Folge jener Eigenschaften der Seele
und deS Leibes, die auf uns durch Ver
erbung von Geschlecht zu Geschlecht
überkommen find."
- Ftau Therese sagte kein Wort, son
dern zog nur ihre Nadel auS dem
Strickzeug und sing eine neue Reihe
an.
Ich will Tir übrigens," begann der
Proscfsor von Neuem, gleich ein Bei
spiel für die Richtigkeit deffen geben,
waS ich da eben gesagt habe. Ich nehme
zum Beispiel Tich selber."
Frau Therese warf ihrem Manne
einen sonderbaren Blick zu. sagte aber
wieder nichts und strickte weiter.
Tu wirft zum Beispiel doch wahr
haftig nicht behaupten wollen, liebes
Kind, daß Tcine Schönheit, und Du
bist noch immer ein recht schönes Weib,
liebe Therese daß Deine Schönheit
eigentlich die Teine ist. Nein, wie
Tem Geld, daZ Geld, das Tu in unsere
Ehe mitgebracht haft, eigentlich das
Geld Teines Vaters war, was Tu
nur von ihm geerbt hast, so ist Deine
chönheit eigentlich nur die Deiner
Mutter, und Tu hast gar kein Ver
dienst daran, das wirst Tu doch zu
geben?"
a, man agt, im eye meiner
Mutter ähnlich, das ist richtn," gab
Frau Therese zu und nahm weiter
Masche um Masche ihres Strickstrumpfes
auf.
Nun siehst Tu. Wenn also Teine
chönheit, und ich betone nochmals.
liebe Therese, daß Tu nicht nur schön
warst, sondern Tich noch immer zu den
schönen Frauen realen darfst , wenn
also Teine Schönheit, sage ich, ein Ge
schenk der Vererbung ist. wo, frage ich
Tich. hört diese Vererbung auf? Teine
timme zum Beispiel "
Meine Stimme?" unterbrach ihn
jedoch Therese, lieber Fritz, ich bitte
Tich, blamire mich nicht. Tu sagtest
doch selbst, daß meine Stimme ent
zückend" ist, fo viel ich aber weiß, hat
weder mein Vater noch meine Mutter
gesungen."
Tafür ist aber Tein Großvater, ehe
er xnnt Großmutter nahm, wie Tu
mir selber erzähltest, mit einer Theater
ängerrn durchgebrannt."
Aber Fritz! und dann, fei der
ichert, ohne meinen Fleiß, meinen Ehr
geiz und meine feste Willenskraft hätte
ich es nie so weit gebracht . . . . "
Ja gewiß. Ader von wem hast Tu
diesen Fleiß und diese Willenskraft?
Tein Urgroßvater, liebe Therese. bat
,ich, wie Tu weißt, durch seinen Fleiß
und feine Willenskrast vom Schmiede
gesellen bis zum Bürgermeister empor
gearbeitet, und was Deinen Ehrgeiz
anbelangt, fo ist er zweifellos die Folge
jenes lranlhasten Ehrgeizes, der Temen
Großoheim Heinrich beseelt hat. dem
Du auch übrigens einige moralische Te
elte verdankst, die.. .."
üneoricy!" rief au stiere e em
pört und ließ ihr Gestrick sinken.
Tie ich an Tir gemerkt habe." fuhr
der Profeffor ruhig weiter fort.
Friedrich)" und die Hand der klei
nen Frau zitterte ganz bedenklich.
Ta stehst Tu es ta. Jetzt bist Tu
plötzlich wieder nervös, und ich sehe es
Tir an,daß heimlich der Aerger nur so
m Tir kocht, m Natürlich ohne Grund.
So!" sagte sie aber, wenn Tu
mir morall che Defekte vorwirfst. ' Tu
. . tt ... .
So ist das immer noch kein Grund.
liebe Therefe. sich zu ärgern und zwar
chon deßhalb nicht, weil ich Dich für
diefelven nicht verantwortlich mache.
ondcrn wohl weiß, von wem Du sie
hast."
Friedrich, ich rathe Tir !"
Er aber fuhr unbeirrt fort:
Ebenso wie ich weiß, woher Du
Dein reizbares Temperament hast."
Friedrich!"
Deine Großmutter hatte bekanntlich
einen so ungestümen, so unverträglichen
Charakter, daß sie eines Tages, wie
Du mir selbst erzählt haft, liebe Tbe
rese "
Laß mich in Ruh. ich bin nicht
Teine liebe Therese. verstehst Tu."
Taß sie eine? TageS mit der
glühenden Feuerzange hinter Deinem
Großvater herlief und ihn aus dem
Haufe jagte. Ich erinnere mich aber
auch, daß Dem alter UrUrgroßvater,
liebe Therese. ein so gemeiner Mensch
war "
C. daS wird ja immer bester. Also
gemein bin ich. unverträglich bin ich
ich bin Tir wohl auch schon mit der
Feuerzange nachgelaufen und moralische
Defekte habe ich. Nun gut. nur wei
ter.... TaS aber sage ich Tir," und
sie stand auf und legte ihr Strickzeug
hin, daß die Nadeln nur so heraus
flogen, ehe ich mich von Dir..
Gott" und sie schluchzte laut auf und
sank zurück in ihren stuhl.
Aber liebe Therese...."
Sie aber sprang aus. .Lasse mich.
schrie sie. verstehst . Tu. lasse mich
Und das sag ich Tir. ehe ich mich fo be
handeln lasse, eher gehe ich auS dem
Hause, eher laffe ich mich scheiden.
Scheiden?"
Jawohl scheiden, scheiden, schei
den!" und sie schrie eS förmlich heraus,
Er aber sann einen Augenblick nach
Tann leuchtete eS plötzlich über sein
ganze? Gesicht und: da siehst Tu wie
der," sagte er. wie recht ich bade, und
wie wenig der Mensch für sein Thun
und Lassen kann. Tu willst Tich also
wirklich von mir scheiden lassen, nicht
wahr? Nun denn, da erinnere ich Tich
nur an den Skandal, den Teine Groß
tante Anne Marie im Jahre 33 dadurch
erregte, daß sie ihrem Manne davon
ging und sich von ihm trennte. Und
nun sage noch, daß Tu Tu bist, und
nicht eine Zusammensetzung auS den
LeibeS und Seeleneigenfchaften Teiner
Vorfahren, was doch, liebe Therese,
gerade zu beweisen war."
Nun." rief Frau Professor außer
sich: Wenn die Leibes und Seelen
eigenschaften der Vorfahren solch' einen
Einfluß auf uns ausüben, dann ist der
Rückschluß wohl erlaubt, daß Tein Ur
großvater der langweiligste, Ungeschick
teste, vertrocknetste Peter gewesen ist.
der alle Menschen angeödet hat. und
daß seine Leibes und Seeleneigenschas
ten sich mit staunenswerther Frische au
Tich geerbt haben."
nm. meinte der Pro or m
größter Gemüthsruhe. Ich werde
darüber nachdenken! Es ist ja möklich.
daß Tu recht hast."
Tiefsinnig ging er in seine studir
stube.
.'antifr'chen.
Tkizze von Marlin-Behrend.
In dem eleganten Zimmer, dessen
ganze Ausstattung darauf schließen ließ,
daß sein Besitzer ein kunstliebender
Mann fei, ging dieser sinnend auf und
ab. Tleser Herr schien mit einem Ent
schluß zu kämpfen: die Stirne runzelnd.
oot er ganz das Bild eines Menschen.
der entschlaf en ist, an eine Sache heran
zugehen, die trotz der Unannehmlichkeit.
die sie bietet, begonnen und durchgeführt
.vK.M '
wuuui laut,.
ouaro veimvon war eit einem
Jahre verheirathet und seine Ehe wäre
glücklich zu nennen gewesen, wenn seine
kleine Frau, ein reizender Blondkopf.
nicht auch zugleich ein eigensinniger
Trotzkopf hatte genannt werde müssen.
dem es entschieden Vergnügen, machte,
die Tyranmn zu spielen.
le, die einzige verwöhnte Tochter
eines reichen Fabrikanten hatte es sich
nun einmal in den Kopf gesetzt, daß
I als vermine Helmdorf genau so im
Hause des Gatten herrschen solle, wie sie
es als Hermine Sander im elterlichen
vaufe gethan hatte. Sie herrschte un
umschränkt.
Ihr Gatte litt, ehr darunter. DaS
bemerkte sie wobl: und obaleick eS ibr
leid that, daß sie, ihrer Vornahme nach,
so handeln mußte, konnte sie sich denn
noch nicht entschließen, ihr Benehmen
zu ändern.
Da dieses nun einmal so war, so
mußte Eduard heute darauf rechnen,
mit seiner kleinen allerliebsten Frau
einen Strauß auszufechten, der wenig
Aussicht auf einen Sieg für ihn bot..
Er hatte nämlich seine Freunde aus
der Junggesellenzeit noch niemals bei
sich gesehen. Sie waren, wenn er dann
und vann mit ihnen in der Kneipe zu
fammentraf. etwas spitzfindig gegen
ihn; und das hatte endlich den Entschluß
bei ihm reifen machen, mit Herminz
zu sprechen, sie einzuladen, obgleich
diese stets, einer eifersüchtigen Regung
folgend, ein kategorisches Nein hatte
ertönen lassen, wenn er darauf abgezielt
hatte.
Demnach blieb ihm nichts Anderes
übrig, als die Sache jetzt .energisch an
zufassen; und nachdem er sich durch
mehrere kräftige Athemzüge Muth ge
macht hatte, betrat er so uitbefangen
wie möglich das Zimmer, wo feine Z
rannin mit einer Stickarbeit beschäftigt
bereits seiner harrte.
Die Stickarbeit hob seinen Muth. Er
ging auf Hermine zu. legte seinen Arm
um ihre Schultern und drückte einen
innigen Kuß auf die ihm willig gereich
ten Lippen.
Weißt Tu. mein Lieb.", begann
er. daß Tu heute besonders schön
bist?"
Tu bist ein Schmeichler. Eduard.
Solche Komplimente schicken sich ja gar
nicht für alte Eheleute."
.Ha. ha, ha, meine kleine Frau
findet sich nun alt! Tu. das ist aber
komisch; ich finde mich nämlich garnicht
alt!"
..Ausrichtig gesagt: ich auch nicht."
Uff: der Moment war günstig. Ta
hieß eS anfassen.
Hermine." sprach Eduard von
Neuem, wie wäreeS, wenn wir morgen
Abend in die Oper gingen?" i
WaS wird denn gegeben?"
Tie Götterdämmerung."
Ader nicht doch. Eduard. Du weii t
doch, daß ich diese Oper nicht ma,',.
Oder ist eS Tir nicht gemüthlich , i
Haufe?"
Wie kannst Tu nur fo sprechen!
Tu weißt doch, daß ich eS ganz tnt
zückend finde in unserem Heim."
TaS macht mich froh."
Ja. Kind, so entzückend finde ich
unser trauliches Nest, daß ich mir
dieses Entzücken gar nicht allein gönne."
Wem möchtest Tu denn die'tZ
lcufchige Nest zeigen, du großes Kind?"
Einigen meiner Freunde."
Tie Situation änderte sich sofort.
Sie hatte ihre Arbeit wieder aU
genommen.
Ich muß Tir aufrichtig gestehen.
Eduard," und ihre Stimme nahm eine
dunkle Klangfürbung an, daß m:r
Teine Freunde nun gerade nicht die
Rechten zu fein scheinen, die in unsere
Häuslichkeit hineinpassen! Ich kenne sie
auS Teinen Schilderungen zur Genüge:
da ist der spöttische Arzt Doktor Harms,
der Maler Frei, der Doktor Frisenius.
besten Spezialität eS ist. Ehescheidungs
Prozesse zu führen; der Weinhändler,
der trinkfeste Herr, und fo weiter! Ich
muß Tir aufrichtig gestehen, vaß mir
die Herren nicht allein nicht imponiren,
sondern daß sie mir geradezu unsympa
thisch sind. O. bitte. Tu irrst
sehr, wenn Tu annimmst, daß ich zn
schwarz sehe. Im Gegentheil, ich sehe
viel zu rosig. Denn die Brille, durch
die ich Teine Freunde" betrachte, ist
von Tir gefärbt. Tu hast mir Teine
Freunde vor unserer Ehe so geschildert.
Ich bemühe mich, AlleS vorurtheilSfrei.
subjektiv", wie lhrHerren derSchöpfung
zu sagen beliebt, zu betrachten. Aber
bei dieser vorurthellsfreien, subjektiven
Betrachtung sind Teine sauberen
Freunde eben schlecht weggekommen.
Wie beliebt? Du 'mußt bitten, mit
etwas meh Respekt von den Herren zu
sprechen? TaS ist ja liebenswürdig von
Dir! Ist eS etwa nicht wahr, daß Fri
senius der Vertheidiger jener Frau war.
die in ihrem Ehescheidungsprozesse
deshalb eine so häßliche Rolle spielte,
weil sie sich nicht scheute in öffentlicher
Gerichtsverhandlung mit dem Stolze
gekränkter Unschuld einzugestehen, daß
sie ihrem Manne eine schallende Ohrfeige
gab? Ist daS. ich frage noch einmal,
nicht wahr? Pfui, er sollte sich schämen!
Wahrhaftig. Tu bist ein würdiaer
Kumpan Teiner Freunde!
Schweigen soll ich? Du gebietest mir
chweigen ? Tas ist zu viel! Das er
trage ich nicht! Heute noch, sofort kehre
ich zu meinen Eltern znrück!"
Sie war fortgeeilt, diese kleine.
trotzige, zanksüchtige Frau. An der
Hausthüre hatte sie Halt gemacht, aber
Eduard kam nicht, um sie zurückzu
holen. Eine Droschke fuhr vorüber.
Sie rief den Kutscher an und beor
derte ihn, sie nach dem Haufe ihrer
Eltern zu fahren.
Laut schluchzend sank sie in eine Ecke
des Wagens. Ter Thrünenstrom floß
unaufhaltsam. Immer weiter fuhr
die Trofchke; schon war sie in der Nähe
der elterlichen Wohnung, da ritz sie das
Fenster auf: Kutcher. fahren sie
nach den Drei Kronen".
Herr Doktor HarmS. der Maler
Frei, der Rechtsanwalt Doktor Fri
eniuS und der tückische Weinhändler
aßen an ihrem gewohnten Platz in
den Drei Kronen" und knobelten.
Plötzlich hielten sie inne. denn ohne
Rücksicht auf ihr verweintes Gesicht zu
nehmen trat jetzt Hermine auf sie zu.
Meine Herren," redete sie diese an,
mein Gatte mein Name ist Helm
dorf läßt Sie durch mich bitten,
heute Abend den Thee bei uns einzu
nehmen. Haben Si? die Güte, sofort
zu kommen, denn der Thee wird sonst
kalt."
Ebenso schnell, wie sie gekommen.
eilte sie wieder von bannen.
Die Herren sahen sich verblüfft an.
Tann ergriff der Doktor Harms des
Wort: Selbstverständlich gehen wir,
meine Herren, denn wenn mich nicht
Alles trügt, sind die Würfel bereits im
Hause unseres Freundes zu seinen und
unseren Gunsten gefallen.
Ein spötti ches Lächeln flog über sein
Gesicht.
ieblingöblumtn der gekrönten
Häuvter.
Tie Königin von England hat eine
große Vorliebe für die Theerose und die
Prinzessin von Wales für das Veilchen.
Die Liedllngsblume der deutschen Kai
erin ist die Kornblume, die des Ezaren
die ZSchmertlilie. aber auch die Rose;
die Ezarin liebt die Orchideen, die Koni
giN'Regentin von Spanien die Nelke,
der König von Griechenland den weißen
Flieder. Ter König von Italien will
nur rothe Rosen, gleichwie seine Ge
mahlin. die überdies auch für die Veil
chen sehr eingenommen ist. Tie Lied
lingsblume der Königin Amalia von
Portugal ist die Rose und die des Kö
nigZ von Belgien die Azalee, die
Königin Wilhelmine von Holland aber
gäbe alle Tulpen ihres Landes für einen
Strauß Chrysanthemen.
5pruch.
stolz auf
Wenn Einer
Dich herunter
steht,
so la ven Narren geh n IN
seinem
Wahn.
Und sieh , so sauer es Tir auch
ge
schieht.
Nicht stolz?r hin. nein! sieh ihn gar
nicht an!
V
y-U