Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 03, 1900, Image 10

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    Der lierr Marquis.
N,sllt von I s s b l l a a i f t x.
Sie war eine Schauspielerin, er war
in MarquiZ. Sie liebten sich nicht
und kannten sich nicht. Sie glänzte
auf der Bühne, er glänzte nirgends
mehr. Sie war ein etern am Zenith
allabendlia indelte man ihr zu lm
Tbeater .Lsriqne"; er war eine der,
iunkene Sonne. Niemand grüßte ihn.
wenn er vorüberging, denn sein Name
obgleich im Wappenbuch Frank
reich? eingeschrieben war auf seinem
von Entbehrungen bleich gewordenen
Antlitz nicht zu lesen, und ob er auch in
feinem Wappen ein goldenes Band in
rotbkm Mbt sülnte. sein Rock war
sadenscbeinia und durch die Löcher sei
neS Sammetwamses und seiner Schuhe
lachte der Wind. Sie trug am Abend
Diamanten auf ihren Schultern:
man vergeudete Vermögen für sie;
er hatte sein eigenes um andere vev
schwendet. x
Aber ne blieb trod alledem nur De
moiselle Tuchene vom Theatre Lyri
que," er war doch immer der MarquiZ
Axel von Samt . Fleury. und hätte er
nur eine anständige Kleidung besessen,
um dort seinem Range würdig zu er
scheinen, die Salons deS Boulevard
SaintGermain hätten weit und breit
vor ihm jede Thüre geöffnet, durch die
die Schönheit und die Brillanten von
Demoiselle Duchene niemals schreiten
würden. Sie hatte eS schon zur Ge
nüge empfunden. Ter Ehrgeiz quälte
sie, da keimte ein - wunderlicher Plan
in ihrem Geiste. Es lag ihr weniger
daran, dieses Wappen neu zu vergol
den, als es sich anzueignen.
Sie setzte sich durch einen Brief in
Verbindung mit ihm. Von allen Sei
. ten umschwärmt, wünschte sie wohl
ihren bürgerlichen Namen einzutau
schen, doch sich keinen Gatten aufzubür
den, und er, von allem entblößt, ergab
sich in die Nothwendigkeit, Geld anzu
nehmen und sein Leben zu fristen
aber keine gnädige Frau um eS mit
ihm zu theilen.
Sie verständigten sich, der leichtser
tige Handel wurde geschloffen, und De
moiselle Duchene setzte die Bedingungen
fest. , '
Erster Artikel: Der MarquiZ von
Saint-Fleury wird am Mittwoch, den
28. d.M. in derKnche Saint.Roch
erscheinen, um sich mit mir trauen zu
laffen. Da ich weder Zeit noch Lust
habe, mich mit der Erwerbung der
hierzu nöthigen Dokumente und mit
den Kosten derselben zu befassen, so
.werde ich ihm zur Besorgung dieser
Obliegenheit fünfzig Laudthaler über
senden.
Der Marquis antwortete: Ange
nommen sür Mittwoch), den 23. d. M..
fünfzig Laubthaler werden wohl hin!
reichen. Ich werde alles pünktlich be
sorgen, doch mache ich Demoiselle Du
chene darauf aufmerksam, daß ich noch
außerdem 20 Thaler brauche, da ich
mir einen neuen Rock und eine Perrücke
anschiffen mutz.
Zweiter Artikel: Der Marquis wird
einen feiner Freunde mitbringen. Ich
bringe ebenfalls einen solchen mit. Ter
Marquis wird mir seine Hand reichen
und mich zum Traualtar führen, wo
man uns vermählen wird.
Der Marquis antwortete: Angenvm
men, obwohl es demüthigend für mich
ist. daß ich Sie nicht aus Ihrer Woh.
nung abholen darf. Abschlagen muß
ich die Bedingung hinsichtlich eines
Freundes. Alle haben sich von mir
zurückgezogen. Bestehen Sie aber auf
Ihrer Forderung, so werde ich meinen
Schufter mitbringen; er ist der einzige
Mensch, der mir treu geblieben ist.
Dritter Artikel. Sofort nach der
Trauung empfängt der Marquis drei
hundert Livres als vierteljährlichen Pen
stonsantheil von zwölfhundert Livres,
welche ich mich verbindlich mache, ihm
bis zu seinem Tode alljährlich durch
meinen Anwalt auszahlen zu lasten.
Der Marquis antwortete lakonisch:
Einverstanden wegen der dreihundert
Livres.
Letzter Artikel. Nach der Trauung
verlaffen Sie mich augenblicklich. Nie
mals dürfen Sie mein Haus betreten,
und sollten wir uns auf der Straße oder
anderswo begegnen, so thun wir, als
kennten wir uns rncht.
Diese Bedingung unterschrieb der
Marquis mit lebhafter Zufriedenheit
und mit nttllcher Bereitwilligkeit
Von ganzem Herzen zugestanden und
angenommen.
Eine Woche fpäter wurde diese Ehe
vollzogen. Aue Bedingungen wurden
gewiffenhaft erfüllt. Die beiden blick
ten sich kaum an vor dem Traualtar.
sie verachteten ,sich gegenseitig und
schämten sich -ihrer Handlungsweise
Aber wie die Marquise von Saint
Fleury aus der Kirche trat und ihren
Wagen bestieg, trug sie den Kopf noch
hochmüthiger, als Ninon Duchene ihn
getragen, und der Marquis ging zu
Fuß den Weg zu seiner Wohnung
unter dem Dache; er schritt etwas ge
beugt unter oer Kai oer A,yai, Die er
soeben unter der äußersten Noth began
cn.
Einige Jahre nach dieser Begebenheit
blies die Revolution mit einem so fürch
terlichen Sturmwind über Frankreich
hin. daß das soziale Gebäude einstürzte.
Alles. Klaffen, Vermögen. Rang und
Namen wurde durcheinander gerüttelt
wie der lose Samen in der Hand eines
Kornschwingers.
Auf den Trümmern wurde unter
krampfhaften Zuckunzen eine neue Welt
gebildet, es war ein ungeheurer AuZ
bruch von Ideen, von Genie, von Ver
brechen und Tugenden, von Wahnsinn
und Heldenmuth. Man lebte auf der
Schwelle deS Todes: da; Sterben er
hob sich zum höchsten, schönsten Akt deS
Lebens. Durch die Willkür wahn
witziger Versammlungen wurden Aen
schen sckaarenwcise zum Schanot
führt alle verdächtig, alle unschul
big. Der Glaube, der die vergangenen
Geschlechter getröstet hatte, war ernied
trat und verhöhnt, das Königthum ent
bauptet und um die Gunst deS Volkes
bracht, die großen Namen der Vee
gessenheit geweiht, der Adel abgeschafft
und ausgerottet
Und die Vogelseele der Ninon
Tuchene, die da träumte, auf einer
hohen Felsspitze zu nisten, wurde gar
bald vom Sturme getroffen und von
einem rauen Windstöße in einen Kerker
deZ EarmeZ geworfen. Ohne Zweifel
hätte man die Litoyenne Tuchene i
Frieden ihre Lerchenlieder hintrillern la
sen. aber die Marquise von Saint
Fleury wurde verurtheilt, die Strafe
zu erdulden, die oem vei, oie auen
cidevant. auferlegt war. Eines
Tages im Thermidor 1794 wurde sie
aufgefordert, im Hofe der Eonciergerie
zu erscheinen. Ihr Name stand auf der
Liste, die man diesen Morgen dem
öffentlichen Ankläger Fouquier Tinville
vorgelegt hatte. TaS war ihr Paß fü
die Guillotine.
AIS sie diese Stätte betrat, die den
Vorhof des TodeS bedeutete, deren
Thüre sich nach SamfonS blutigem
Karren hin öffnete, da zitterte sie am
ganzen Leib, und sie wankte mehr, als
sie ging. Zwei Wachtmeister mußten sie
stützen. Diese Frau, die nicht recht zu
leben gewußt, bereitete sich vor, schlech
zu sterben. Sie verleugnete den schönen
hohen Namen, nach dem sie einst so
eifrig gestrebt, mit dem sie geprahlt und
geglänzt hatte, sie schrie ihren plebezr
schen Ursprung hinaus. Jedoch Nie
mand schenkte ihr Glauben. Ihre
Wagen, ihre Wäsche, ihr Briefpapier
trugen geschloffen? Marquifenkronen
zur Schau, und der Pöbel, der im Hm
tergrunde des Hofes die Brustwehr der
Mauer befetzt hielt, der zu dem Schau
spiele herbeigeftrömte Pöbel, der grau
sam und großmüthig die taferen Tha
ten bejubelte und die Schwächen ver
höhnte, zischte diese Frau herzlich aus
die mit ihren Richtern um ihr Leben
feilschte.
!ie war jungsie war schön, sie hing
am Leben wie an nichts anderem. Die
Hoffnung, die alle Unglücklichen heim
sucht, hatte sie im Kerker nicht verlaffen
und stand ihr noch bei an der fürchtev
Iichen Stätte. Sie spähte gierig in
diese Menge, in all diese unbekannten
Gesichter, deren wilde Mienen sie mi
namenlosem Schrecken erfüllten. Kein
einziges befreundetes Antlitz, kein ein
ziger von au denen, die tat an den
glorreichen Abenden zugejubelt hatten,
und der für sie zeugen könnte! Kein
Verwandter, kein Beschützer, Niemand.
der diesen Richtern sagen würde, daß
man die Lerchen nicht köpft, daß sie nur
zu singen und lachen verstehe und nicht
zum Sterben bereit sei. Von Helden
muth wußte sie nichts; zu diesen Höhen
war sie nie geflogen.
In dem Hofe standen wohl hundert
Verurtheilte, eingepfercht für das große
Gemetzel, und wenn ein Name von den
Lippen . des öffentlichen Anklägers ev
tönte,-da schritten die Todgeweihten
ruhig dem Karren zu, mit einem
schlichten Handschlag oder einem letzten
Blick Abschied nehmend: die gepriesene
Freiheit harrte ihrer am Fuße bei
blutigen Schaffots, die Freiheit jen
seits 'dieser Welt! Nur Ninons Seele
war nicht bereit, von der Erde zu
scheiden.
Plötzlich erblaßte sie bis in die Lip-
pen. Vom Munde des wilden Mannes
fiel tönend ein Name, der ihrige:
Marquise von Saint-Fleury!"
Sie schwieg, die Kehle von Schreck
gelähmt, und schritt etwas vor aber
schon erklang aus der Mitte der auf
der hohen Mauer zusammengedrängten
Zuschauer eine Stimme, die mit stolzer
Zuversicht in den Hof hinunterrief:
Hier!"
Die verdutzten Richter erhoben das
Haupt. Ein Gardist schrie hinauf: .He
dort oben, schweige, du Spaßvogel!"
Und wieder ernst geworden nach dieser
unzeitigen Unterbrechung, wiederholte
der Ankläger den Ruf: '
Marquise von Saint-Fleury!"
Und zum zweitenmal, mit deutlicher
Ungeduld tonte dort oben die Stimme,
Gtauden fordernd, mit dem warmen
Klang der Ueberzeugung, und antwov
tete hochmüthig auf den blutgierigen
Aiisrus: Hier, jage ich!','
Es entstand eine kurze Verwirrung
Man schimpfte auf den ungeschickten
Unterbrecher, der es da wagte, Steine
zwischen die Räder des Gerechtigkeits
Wagens zu schleudern.
Führt ihn herbei!" befahlen die
Richter.
Schon fielen mehrere Hände schwer
auf die Schultern des fremden Man-
nes, der willig und höflich den Gardi
ften sofort voranschritt. Wie er in den
Hof trat, gab es einen kleinen Aufruhr
unter der Menge. War es Wahnsinn
oder Opfermuth, der diesen Mann ver
anlaßte, freiwillig die todbringende
Schwelle zu überschreiten?
Ter Richter befrug ihn mit strenger
Stimme: Citoyen, wer hat Euch er
laubt. den Aufruf zu unterbrechen?"
Citoyens, Sie haben ja meinen
Namen ausgerufen. Ich bin der Mar
quis von Saint-Fleury."
.Sie?!.... Sie find verrückt!"
.Ich bitte um Vergebung. CitoyenZ.
Ich habe den Kopf noch nicht verloren,
dafür werden Sie wohl sorgen." sagte
der andere, sich mit scherzhafter Ehr
furcht verbeugend.
Ein fröhliches Gelächter wagte auf
diese Antwort hin rundum aufzu
blühen.
Terjenige aber, der mit dem Henker
deil scherz trieb, war em Mann mitt
leren AlterS, mit dem ärmlichen Aus
sehen eineS vom Leben Besiegten, aber
in der Haltung jenes unnennbare
Etwa? verrathend, da? den stolzen
Edelmann beffer kennzeichnet, als Titel
und Orden. Er sprach mit auSgefuch
ter Höflichkeit. Er hatte merkwürdig
kleine und schmale Füße, und die Be
wegung seiner Hand war von unleug
barer Grazie. Seine Augen hatten
einen Adlerblick und blickten geradeaus
dem Tode in'S Gesicht. Er trug feine
Kleidung mit jenem Anstand, der ihre
Schlichtheit vergeffen läßt.
Ter Mann zog aus feiner Tasche
Ausmeispaplere hervor und reichte
mit sichtbarer Befriedigung den Rich
tern hin. Mit einem mürrischen Blick
nahmen sie Kenntniß von dem Adelst
briefe, deffen Echtheit vollkommen war,
Und unwillig über die Tazwischenkunft
dieses überzähligen Opfers, das sich mit
solch köstlicher Ungeschicklichkeit dem
Henker in die Arme lieferte, schrieen
diese Männer: Was drängen Sie sich
hier auf? Sie gehen uns gar nichts an
Ihr Name steht gar nicht auf der Liste
nur derjenige der ci-de-vant Marquise
von Samt-FIeury.
Aller Augen wandten sich der blaffen
Frau zu, die unwillkürlich näher trat,
alZ ne wieder ihren Namen hörte, und
dastand mit gebeugtem Haupte wie ein
Mensch, der sich feiner Feigheit schuldig
suhlt. Wird er sie nun zerschmettern
aus Rache für die Demüthigung die er
durch sie erlitten, oder kam er sich an
hrer Stelle zu opfern? Und warum
Auf den ersten Blick hatte sie den Mann
von Saint-Roch wiedererkannt, den
jenigen, dessen Noth sie in jener leicht
fertigen Weise einst zu ihren Gunsten
ausgenutzt, den echten, einzigen Mar
quis von Saint-Fleury.
Das ist wohl Ihre Gattin?"
Ver Atarquis man ne mit einem
raschen Blick, und sich den Richtern zu
wendend, sagte er: Ich bitte um Ent
schuldigung. Citoyens, aber ich habe
mein ganzes Leben allein gelebt."
Dieses wurde so ehrlich und schlich
gesagt, daß Niemand an seiner Aus
richtigkeit zweifelte, umfomehr als einer
aus der Garde ihn wiedererkannte, ihm
freundlich auf die Schulter klopfte und
erklärte: Parbleu! das ist der Citoyen
Saint-Fleury. Er wohnt ,a seit. Iah
ren Thür an Thür mit mir. Er lebt
ganz allein, ist arm und theilt noch mit
Aermeren "
Man unterbrach ihn; dies Alles be
deutete nichts. Warum gab er sich so
tollkühn den Richtern preis? Und dieses
Weib war schön; die einen glaubten.
daß er sie verleugnete, um sie zu retten.
Solche Opferthaten waren alltäglich in
dieser Schreckenszelt; aus diesem blut
getränkten Boden sprossen wunderljerr
liche Blüthen hervor.
Man stellte ihn der Angeklagten gegen
über. Wie, Citoyen Fleury, Sie ken
nen diese Frau nicht?"
Der Marquis blickte sie an, er sah
hre Schönheit und ihre zitternde Angst,
und, treu dem damals gegebenen Worte,
verbeugte er sich ritterlich und sagte:
Madame, ich bedauere, aber ich kenne
Sie nicht!" Und lauter fügte er hinzu:
Die Freude, in Ihrem Hause empfan
gen zu werden, wurde mir nie zu theil,
und Sie haben mir nie die Ehre er
wiesen, bei mir einzukehren. Sie sind
zu schön, und ich bin zu arm."
Tann, sich den Richtern zuwendend.
erklärte er leichthin: Citoyens, sie ist die
Citoyenne Ninon Duchene vom Theatre
Lyrique Wie. Sie köpfen jetzt die
Lerchen?!" -
Sie hob das Haupt, die Hoffnung
richtete sie auf, und sie sah den Mar
quis an. Das Antlitz dieses Mannes.
der ihr das Leben verkündete und ihret
wegen dem Tode entgeqenfchritt. wies
in dieser entscheidenden Minute die be-
zwingende Schönheit einer edlen Seele
auf. :.
Die Richter lachten höhnisch: Ach.
was! Tie da die berühmte Tuchene!"
So laßt die Citoyenne doch singen."
warf der Marquis ruhig hin. Ihre
Stimme wird wohl die beste Beglaub,
gung bilden."
Ja. sie soll fingen! Sie soll singen!"
riesen alle.
Ninon Duchene ließ sich nicht lange
vltten. Ter 'Muth kehrte ihr wieder o-
ottio iyr geliern wuroe. mit eigenen
Waffen zu kämpfen. Auf diesen Boden
war sie des Sieges gewiß. War sie nicht
von jeher der Liebling des Publikums
I gewesen? Sie schloß die Augen, vergaß
i.tf -isum u. cj, t.r...s.
uuiciiyi &iui, iuu ir uqunu,
und wie sie die Lider aufschlug, lächelte
sie wie damals.
Sie hatte wohl niemals so um den
Ruhm gesungen, wie sie heute um ihr
Leben sang!
O eile, flücht'ger Wind.
Dem lieben Sohn entgegen
Und bring dem fernen Kind.
Ter Mutter letzten Segen!
Ach! Täglich klag' ich mein Weh
Den wilden bretonischen Wogen. ,
Ist doch auf hoher See
Mein Sohn Jvon gezogen!
O, käm er doch zurück
Sah't ihr ihn nicht Matrosen?
Mir blühte neu das Glück
Und neu die rothen Rosen.
Sie sang dieses schlichte bretonische
Volkslied mit gewaltigem, bezwingen
dem Gefühl. Auf der Schwelle des
TodeS erwachte ihr Herz und ihrer
Tapferkeit zum Trog zitterten Thränen
m ihrer Stimme.
Ihr Erfolg war mächtig. Im revo
lutionären türm entstand eine kurze
Windstille, um diesen Vogel singen
hören. All diese Verunheilten, hin
und her geworfen auf der jetzt hoch
gehenden See der entfesielten wilden
Leidenschaften, hatte sie nicht auch, wie
der Schiffsjunge Jvon, irgendwo
der Welt eine Mutter, eine Schwester,
die um sie klagte, die Winde um Nach
richten bat?.. .. Und keiner von ihnen
würde jemals wieder heimkehren, und
die Rosen der Freude würden nicht
aufblühen im väterlichen HauS die
weil des rchafsots rothe Blüthen au
gingen.
Tiefes Preislied der lieblichsten Liebe
inmiten der blutigen Greuelthaten,
diese Klage einer Mutter zur Stunde,
wo man die Söhne mordete, dieser
Hauch deS großen, erhabenen Meeres
der über diesen dumpfen Vorhof zog
dieses Weib, das unter Lächeln und
Thränen fang, rührte diese Männer,
die eine kurze Weile ihre wilde Thätig
keit unterbrachen und ihren Cynismus
verleugneten. Einer der Richter klatscht,
Beifall, und alle folgten seinem Bei
spiele in einer Aufwallung der schönen
französischen Begeisterung. Auf den
hohen Mauern klatschte das Volk in die
Hände und zubelte: Hoch! Ninon!"
Sie bemerkte, daß der Marquis von
Samt-FIeury. der sie mit einem räth
selhaften Lächeln ansah, kein 'Zeichen
der Bewunderug von sich gab. Er vev
achtete sie wohl, daß sie um ihr Leben
sang. Die Scham erblühte auf ihrem
blaffen Antlitz....
Citoyenne Tuchene, wir wurden
irregeführt; Ihr Name allein war uns
verdächtig."
Und eine andere Stimme erhob sich
geringschätzig: Diese Damen vom
Theater lieben es ja. sich mit einem hoch
tönenden Kriegsnamen zu schmücken!"
Man gebe sie frei !" entschieden die
Richter.
Ninon Tuchene war gerettet.
Ein kecker Gardist näherte sich ihr mi
galanter Vertraulichkeit.
Toch mit einer unwillkürlichen Be
wegung weicht ihr ganzes Sein zurück
Nach der Rast auf der Grenze des
adelnden Todes prallte sie vor dieser
brutalen Wiederkehr zum rohen Leben
zurück. Und ein grollender Ekel über
am sie.
Ter Marquis hatte sich hochmuthia
von thr abgewandt und ergab sich den
Häschern: Vorwärts, Citoyens.
Machen wir ein Ende, begnügt euch mit
dem Marquis von Saint-Fleury. Ich
lzin der letzte meine? Namens und
möchte den Weg gehen, den mein König
gegangen." ,
Mit diesem Wunsche war er dem
Tode verfallen. .
Mir scheint, es wird viel Zeit ver-
loren um eine Bagatelle!"
Und leicht hätte er wohl auch die Be
merkung beigefügt: Was ist die Guil
lotine? Ein leichter Klapps auf den
Nacken! Er schien glücklich, fühlte sich
erleichtert. Nach seinem glanzlosen Le
ben und seiner würdelosen Mißheirath
war es ihm, als ob dieser freiwillige
Tod ihn einigermaßen wieder einsetzte
in seine adelige Ehre.
Er fühlte sich frei, er hatte seine Kette
von sich geworfen.... Dieses Weib!
Pah, so schön und so feig!
Es war. als ob sie seine Gedanken
erriethe. Ihr Gesicht flammte auf vor
cham. .
Nun, Ninon, kommst du?" Der
Gardist legte vertraulich den Arm um
ihre Gestalt.
Mit einer schönen, von klarer Auf
ichtigkeit eingegebenen Gebärde stieß
sie den Mann von sich und sprang
zu ihm, der sie gerettet und der nun
ging an ihrer Stelle sich aufzuopfern,
nachdem er ihr über den Adel eine Lehre
ertheilt, die feines Namens würdig
war.
Marquis! Ich entbinde Sie Ihres
Versprechens!"
Er maß sie mit einem erstaunten
Blick und wollte sie nicht verstehen.
Citoyenne. Sie find frei; was wün
schen Sie noch? Schweigen Sie still.'
Sie ekröthete unter der ruhigen Ver-
achtung, mit der er ste vernichtete. In
brünstig begehrte sie nun die Achtung
dieses Mannes zu. erringen. Ihr Ant
ii ersirayne pioyiicy von oer reinen.
unwillkürlichen Liebe, die sein Betragen
ihr einflößte.
Jcy will mein eben nicht einem
Betrüge verdanken.... Ich bin die
Marquise von Saint-Fleury, ich bin
Ihr Weib!"
Er blickte sie an, ein Strahl von Be
wundcrung leuchtete auf in seinen Au
gen, und mit tiefem Ernste sagte er sehr
leise: Mein Weib? Wenn Sie sich zu
sterben nicht fürchten, könnten Sie es
sein, Madame."
Ich fürchte mich," gestand sie, vor
Nichts mehr, als davor, mit jenen
Männern dem Leben, das ich früher
gelebt, wieder entgegen zu gehen. Sie
haben mich gelehrt, wie man dem Tode
in's Auge siebt. Behalten Sie mich!"
Die Gerichtsvollzieher hohnlächelten.
wüthend, von diesem Paare geprellt
worden zu sein.
Pah, wir haben die Wahl ! Genug
Idcr Faren. Samson wart-t niA !
Entscheidet euch: der eine oder die an
dere!"
.Wir find beite bereit !" rief das
junge Weib keck, und angesichts der
Widerrede ihres Gatten und der Un
schlüfngkeit der Richter schrie sie im
Wahnsinne ihre? jungen HeldenmutheS
srei derau: Hoch lebe der König!
Zum Tode! Zum Tode!"
cie schritt schon dahin an der Hand
ihres Gatten. Vor der Thüre trat fie
etwas zur Seite, um ihn vorbeifchrciten
zu laffen. und ihm den seinem Namen
gebührenden Vorrang zu gewähren
Ader der MarquiZ verbeugte sich vor
ihr mit der tiefen Ergebenheit, die er
feiner Königin bezeugt hätte, und ihr
im Angesicht des TodeS daS Vorrecht
zuerkennend, sprach er mit lauter, von
allen vernehmlicher Stimme:
Nach Ihnen. Madame la Mar
quise!"
Pas Geheimniß der Gräsin
Eraf Alfred Rogen hatte wirklich die
schöne Hanka, des reichen Bauern Toch
ter. zu seinem Weibe gemacht. 'Er
liebte die schöne Gespielin aus der Zeit
seiner frühesten Jugend mit jener Liebe.
die Alles durchzusetzen vermag.
Außerdem war der Graf so reich, daß
er sich jeden Luxus leisten konnte. Das
chloß Lohenstein hatte er zum bleiben
den Aufenthaltsorte glänzend einrichten
lassen und die junge Grünn mit all
jener Dienerschaft versehen, wie sie
hohen Herrschasten eigen. Auch für die
geistige Bildung Hama s sorgte der
junge Graf in dem Maße, daß Hanka
nach kurzer 'Ant ihre Lieblingszer
ftreuung darin fand, die Werke unserer
Klassiker nicht nur zu lesen, sondern
auch zu studiren.
So verfloß die Zeit und auf Schloß
Lohenstein lebte man wie im Paradiese.
Graf Rogen war der zärtlichste Gatte,
den eS je gegeben. Gräfin Hanka die
liebevollste aufmerksamste Gattin, die
in den Augen des Gemahls zu lesen
verstand.
Seit einiger Zeit war Graf Alfred
aber wie ausgewechselt. Seine sonst so
milden Augen blieben jetzt stechend auf
das Antlitz seiner Gattin gerichtet, als
ob er etwas hätte erforschen wollen.
imax er einige Stunden zu
Hause, so trieb's ihn mit magischer
Macht fort von ihr, weit, weit hin
aus auf die Jagd, oder in den Wald.
wo er ziellos umherirrte. Und hatte er
sich beim Weggehen fest vorgenommen.
nun einige Stunden fern zu bleiben, so
konnte man im Schlöffe sicher sein, daß
Graf Alfred nach längstens einer
Stunde keuchend und athemloS zurück'
ehren werde und daß das erste sein
würde, gleich nach seiner Gattin zu
ragen. v
Auch Hanka entging diese Verände
rung in dem Benehmen ihres Gemahls
nicht. Von Eifersucht geplagt war sie
öfter Alfred gefolgt, ohne daß sie sich
je Rechenschaft über die Ursache ihrer
Eifersucht hätte geben können. Die
Wege, die der junge Graf einschlug,
waren stets menschenleer und kein We
sen zu erblicken, auf das fie hätte eifer-
üchtig ein können. Und doch war
ie es. Sie yane in dem letzten
Jahre in ihren Büchern mehrere foL
cher Geschichten gelesen, die einen Vev
gleich mit ihrer jetzigen Lage aushielt
ten.
Gras Alfred kam von der Jagd heim.
Außer einem Häschen, dem er den
Garaus gemacht, hatte er heute nichts
geschossen. Seine Flinte versagte
ets das Ziel, wenn er anlegte. Kam
es daher, weil seine Hand so heftig zitterte?
Ich kann machen, was ich will."
agte er vor sich hin, sich erschöpft in den
Lehnstuhl werfend, es gelingt mir
nicht, dies Geheimniß zu lösen. Und
etwas steckt dahinter, da gebe ich meinen
Kopf zum Pfande. Weshalb' fixirt sie
mich denn sonst so. wie Eine die zu er
rathen sucht ob man etwas oder ob
man Alles weiß. Sie ist nicht mehr
enes lebensfrohe Geschöpf von ehedem
ie seufzt, ja sogar sie weint öfter
oll's wirklich dieser Gemeindevor
sicher Jauno sein, dessen Flötenspiel
ihr schon als Kind so wohl gefiel?
Kürzlich sah ich ihn in der Gegend hier
herumstreifen. Nun ich werde und
muß dahinter kommen, dann aber
wehe ihr!"
Und zur nämlichen Zeit seufzte die
Gräfin, o Gott, wenn ich nur wüßte.
was in ihm vorgeht, das ist ja ein ent-
sctzlicher Zustand", dann nahm sie ihr
gesticktes Taschentuch hervor und begrub
ihr Gestchtchen in dasselbe, bitterlich
weinend.
DaS was Graf Alfred heute durch die
Geschwätzigkeit eines seiner treuen
Diener" erfuhr, war geeignet,, ihm das
Blut sieden zu lassen. Demnach stünde
die junge Gräfin vor Tagesanbruch auf.
verkleide sich in bauerliche Tracht, ver
mumme ihr Gesicht, verschwinde dann
durch die kleine Tapetenthüre, die in den
Hofraum führe, u. dergl. mehr. Jetzt
galt es zu landein
Er konnte die ganze Rächt lein Auge
schließen. Unruhig wälzte er sich in
feinem Bette von einer Seite auf die
andere. Wenn es doch nur schon Tag
würde!
Da auf einmal. Schlag vier Uhr.
Horch, was geht da drinnen vor? Sein
treuer Diener hatte Recht. Turch die
Spalte der Thüre, an welcher er horchte.
erblickte er Licht und durch daS halbge-i
öffnete Schlüsselloch sah er seine Gattin
in bäuerlicher Tracht. Sein en
pochte gewaltig, als wollte es zcrsprin
gen. seine Hände zitterten. Er strich
sich einige Male über die Augen, als ob
er denselben nicht getraut hätte. Sie
schlüpfte durch die ihm bezeichnete Ta
peteilthüre. er hinter der verschlossenen
Thüre konnte zu derselben nicht ge
langen. Schnell entschlossen nahm er
einen Revolver, und eilte keuchend
auf die andere Seite in den Hofraum
hinab.
Tort sah er ein Licht. Wie ein
Wahnsinniger eilte er auf dasselbe zu
und befand sich in dem Kuhstall wo
die junge Gräfin gerade die Kühe
melkte.
.Verzeih' mir." sagte sie süß und
demüthig, ich mußte es thun, und
wenn eS mein Leben gekostet hätte, denn,
ach. Tu kennst sie nicht die Macht der
Gewohnheit."
Von dieser Stunde an ist der Graf
nie wieder eifersüchtig gewesen.
Tie Gräfin aber hat schließlich ihrer
einzigen Leidenschaft, so schwer eö ihr
auch fiel, entsagen gelernt.
Der gelöscht Brand.
Ein- luftiger Zwischcnfall hat sich auf
dem Feste ereignet. daS der Berliner
Oberbürgermeister Kirschner neulich im
Berliner Rathhaufe veranstaltete. Unter
den Gästen befand sich auch Meister
Menzcl, der berühmte Maler. Ter
kleine, große Künstler fühlte sich sehr
behaglich auf dem Feste. Erst plau
derte er ein halbes Stündchen mit dem
Reichskanzler Fürsten Hohenlohe, bf
dieser sich mit Rücksicht aus seine fast 81
Jahre ziemlich frühzeitig auö der Ge
sellfchaft zurückzog. Ter um 4 Jahre
ältere Maler dagegen blieb ruhig sitzen
und kam in eine sehr angeregte unter
Haltung mit Branddirektor Eiersbera.
Ein Glas Rothwein folgte dem andern,
denn es geht nun einmal nicht anders;
wenn man mit dem Leiter der Feuer
wehr zusammen ist, muß kräftig ge
löscht werden. So wurde es spät und '
immer später, die Gäste gingen einer
nach dem andern, nur der prachtvolle
ölte eny löschte noch immer auf's
Nachdrücklichste. Endlich aber war der
Brand wirklich gelöscht und die Feuer
wehr konnte mit den Aufräumungs
arbeiten beginnen. Tie kleine Excel
lenz stand zwar etwas unsicher auf den
Beinen, aber sie wurde fast ungehalten,
als Herr Giersberg ihr fürsorglich seine
Begleitung bis zu ihrer Wohnung an
bot. Zuletzt aber erklärte der Künstler
sich doch einverstanden mit dem freund
lichen Anerbieten. Als er dann auf
der Straße stand und mit seinem Be
gleiter eine Droschke besteigen wollte.
ergab sich die fröhliche Thatsache, daß
die kleine Excellenz keine Ahnung mehr
hatte, wo sie eigentlich wohnte
Es blieb nichts übrig, die beiden Her
ren mußten in den Rathskeller hinunter,
um aus dem Adreßbuch die Wohnung
des Künstlers zu erkunden. Das glückte
auch richtig, und nun konnte in aller
Ruhe die Heimfahrt angetreten werden.
Ter fröhliche Abend soll dem greisen
und doch so jugendfrischen Maler übn
gens ausgezeichnet bekommen sein.
Ueber Begegnungen mit Thieren
im Luftballon.
Hierüber berichtet Bacon in der Lon
doner Zeitschrift Knowledge" auf
Grund der Erfahrungen, die er bei
einem Ballonaufstiege zu Beobachtung
der Mitte November vorigen Jahres
erwarteten Lconiden Meteore gemacht
hat. Gewiß hat schon mancher Luft
chiffer wit Verwunderung Thiere, in
großen Höhen des Luftmceres angetrof
sen. aber man hört über diese bedeut-
ame Frage verhältnißmäßig wenig.
Bacon fand z. B. in 8000 Fuß Höbe
eine große blaue Fliege, die mit lautem
Brummen die wunderbaren Gäste ihres
Bereiches , umflog. Gerode Insekten
cheinen gar nicht selten in so außer
ordentliche Höhe hinaufzusteigen, wo sie
doch nach ihren ganzen Lebensbedürf- '
Nissen durchaus gar nichts zu thun
haben können. Ein Mitglied des eng-
tischen Alpenklubs sah einmal auf dem
Gipfel des Grandes Jorasses einen
Schmetterling ganz munter hin und
her gaukeln. Ter Pariser Astronom
Flammarion hat mehrere weiße
Schmetterlinge in twa 1000 Meter
Höhe um seinen Ballon flattern gesehen,
während sich sonst weit und breit kein
einziger Vogel und kein Insekt in dem
umgebenden Luftmeere zeigte; die Zeit
war gerade um Sonnenaufgang. Im
Allgemeinen scheint das thierische Leben
jedoch schon nach Zurücklegung der ersten
ww miß in der Atmo phäre zu ver
schwinden. Schon ist keine Leiche mehr
hörbar, und keine Schwalbe scheint.
mehr in ihrem lebhaften Fluge dics
Höhe zu erreichen. Möglich ist es ja
allerdings, daß alle Thiere der Lüfte
durch die Nähe eines Ballons so er-
schreckt werden, daß sie sich in weiter
Ferne halten und deshalb unsichtbar
bleiben, und daraus wäre es dann auch
erklärlich, daß gerade kleine Insekten
am häufigsten gesehen werden, die wohl
am wenigsten sür Angstgefühle zugäng-
icy po.
Ter Sonnenschirm.
Ter Sonnenschirm war schon früh
im Alterthum, in Aegypten und beson- -ders
in Rom, ein beliebtes Toilletten
stück. Tie Schirme waren entweder
mit funkelnden Edelsteinen bedeckt, oder
mit Federn geschmückt. Dem Mittel
alter waren sie fremd und erst die Neu
zeit hat sie in neuer, veränderter Gestalt
wieder in's Leben gerufen.
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