Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 26, 1900, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    U
. r'iii
ßwV
4LI
-Äi
t
Der Spuf reu polcbin.
It.nt cZ:ch,e im (Bf f I t i.
AIS -xx. ceiun yrucei zum Abeno
essen nach Hause kam, sah er in den
Augen seiner jungen Frau Thränen.
Er fragte nach dem Grund; sie zeigte
ihm einen Brief, den sie eben von ihm
Mutter erhalten hatte:
.Meine liebe Tochter Lotte!
Leider kann ich Tir wieder nur
Schlechtes berichten. Tie Versicherung
will den Hagelschaden nicht bezahlen,
weil Papa, der sich mit dem Inspektor
der Gesellschaft überwarfen hatte, die
letzte Prämie nicht bezahlt hat. Tie
Mamsell hat gekündigt, sie will sich in
der Stadt verheirathen. Ueberall nur
Kummer und Sorgen. Mit dem Per
kauf von Polchin ist eS auch nichts ge
worden. Ueber den Preis wären sie
wohl einig geworden. Papa hatte nur
500.000 Mark gefordert. Ader dann
hatte der Herr von unserem schrecklichen
Spuk gehört und verlangt, eine Nacht
im Erkerzimmer zu schlafen. Am an
deren Morgen ist er gleich abgereift und
hat an Papa geschrieben, daß er unter
keinen Umständen mehr auf Polchin
reflektire. DaZ ist nun schon der
Dritte, es ist ein Jammer, ich
glaube, wir werden nie von Polchin
wegkommen. Dein Bruder Willi meint
zwar. eS wäre gut, daß aus dem Kaufe
nichts geworden ist, da Papa so wenig
gefordert habe, aber ich wäre nur zu
froh, wenn wir doch endlich von hier
wegkämen. Papa und ich können die
Sorgen kaum mehr ertragen. Dabei
braucht Willi bei den Kürassieren so
viel Geld, wir wissen nicht, wo eS her
nehmen. Könntest Du nicht, Lotte.
Deinen Mann bewegen, auf Polchin
eine neue Hypothek zu geben? Nicht
viel, etwa 60.000 Mark. eS steht ja
vollständig sicher. Bitte, versuche eS
doch und schreibe bald, ob eS sich machen
läßt.
Mit vielen mütterlichen Grüßen an
Dich und Deinen Mann
Deine traurige alte Mutter."
Willst Du hören. Lotte, waS ich von
diesem Brief denke?
Sie nickte.
Erstens: daß dieser Herr, der Pol
chin kaufen wollte, ein großer Esel ist.
wenn er 500.000 Mark dafür geben
wallte, dak zweitens Dein Bruder Willi
noch ein größerer Esel ist. wenn er sich
einbildet, daß daö Gut feines Vaters
damit u niedria bezcblt fei. dak ich
endlich der größte Esel wäre. Deinem
Bater aus femen pommer cyen auoer
eine weitere Hypothek zu geveni
.ftenrli!"
.Du glaubst mir nicht? Ich habe
mich genau nach dem Werthe Polchin'S
erkundigt, als ich Deinem Vater vor
zwei Jahren die Hypothek gab; eS ist
sehr hoch gerechnet, keine 800.000 Mark
mehr werth; Dein Bater yat es gründ
lick berunteraewirtbschaftet."
Lotte schluchzte. Er strich ihr leise
über'S Saar.
Höre. Lotte, wir haben noch vier
b,n Taae Zeit, eoe wir zum Nil fah
ren. Es ist aleickailtia. ob wir die
Zeit in Berlin oder irgendwo anders
, sind. Wollen wir nach Polchin fah
ren? Vielleicht können wir dort etwaS
helfen. -
Wir wollen gleich telegra
phiren!"
Am andern Moraen waren sie dort
Frau v. Polchin strahlte, die Hypothek
schien ihr sicher.
..Wie lieb. Kinder, dak ?lbr berge
kommen seid. Wir haben den ganzen
Tag gearbeitet, um Euch Alles schön zu
machen. Vorn im großen Zimmer sollt
Ihr schlafen " .
Verzeihen Sie. Schwiegermama.
mir mRAten im Erkerzimmer schlafen!"
Im Erkerzimmer? Da, wo es spukt
das t nicdt Stt Ernfl. enry!"
..Gerade da! Bitte lassen Sie das
Zimmer zurechtmachen: Lotte und ich
möchten den Spuk von Polchin um jeden
Preis kennen lernen.
Nach dem Essen zog Friede! seinen
cbmaaer auS dem Zimmer.
.Sag mal. Willi, ist der Spuk im
Zimmer?"
.Nein! Im Zimmer darüber. Aber
nur im Erkerzimmer kann man ihn
hören."
Hast Du das Zimmer darüber un
t'rsuckt?'
.Bis auf das Kleinste! ES ist ein
Speicherzimmer. Die Zimmer da oben
eben meist leer, oder sind mit alten
Möbeln und Gerätschaften angefüllt
Dies Zimmer ist ganz leer. Früher
wurde, es wohl zum Wäschetrocknen be
nutzt, eS sind von einer Wand zur
andern einige Latten und Leinen ge
fvannt."
.Bist Du sicher, vag ncy man
Jemand auS dem Gesinde den Unfug
erlaubt?"
.Ganz sicher! Am Tage, nachdem ich
zum ersten Male im Erkerzimmer ge
blasen, untersuchte ick) mit meinem
Kameraden den ganzen Speicher auf'S
Peinlichste. 2)mn icyiotz ia oas Jim
mer ah und liek zum Ueberrluk noch ei
nen Riegel mit Vorhängfchloß an die
Thür legen. Ueber das s?chiueiiocy.
sowie über daS Vorhängeschloß klebten
wir Papier. daS wir beide mit unseren
Wappenringen besiegelten. ES war
unmöglich, einzudringen, ohne daß wir
eS gemerkt hatten.
eS nickt denkbar, da man
durch daS Fenster hätte einsteigen kön
en?"
.Nein. Die Wand ist glatt, und
eine so hohe Leiter giebt i ,n ganz
Polchin nicht. UeberdieZ hätten, wir
Du
Jahrgang 20.
daS vom Erkerzimmer aus bemerken
müssen, die Fenster liegen genau über
einander."
Henry und Lotte gingen früh zu
Bett. Müde von der Eisenbahn und
der Fahrt im Wagen schlief er bald ein.
Plötzlich wurde er wach, seine tfrau
hatte ihn geweckt. Sie saß aufrecht im
Bett, der Mond, der voll durch'S offene
Fenster schien, beleuchtete ihr bleiche?
Geficht.
.Hörst Du Nichts'
Er setzte sich ebenfalls auf. Einen
Moment war eS still, dann drang e,n
zischender, sausender Klang an sein
Ohr.
Zweifellos, lag er. .oas i,i uoer
unS. Willi hat Recht!"
Wieder war es einen Augenblick still.
Und dann wieder jener sausende, eigen
thümliche Ton. Nun em Streifen,
als ob zwei lange Gewänder schleifend
an einander vorüberrauschten. Und
plötzlich dazwischen ein gedämpfter, kur
ier, aber nachklingender Ton.
DaS Schleifen und ist fflett wuroe
immer narler. Aver es qien igm
nicht den Boden zu berühren. Immer
durch die Luft, mit rasender Geschwm
dlgkeit.
ffr edel war aus dem Ben ge prun
gen, er begann na anzuileioen.
klang auf einmal ein lautes Lachen an
sein Obr. Und noch einmal und wie
der, eS war, als ob eine Menge klemer
Kinder sich schüttelten vor achen.
zwischen wieder klagende, seufzende,
schreiende Töne: ein Schleifen. Sausen.
Mischen. Rauschen Und nun. ganz
deutlich, ein lauter Kuß dann Helles
Keächter
Merkwürdig, daß man keine schritte
hört." meinte Friedet.
Er war völlia anaezoaen uns er
griff nun das Licht und den Stiefel
knecht.
Wo willst Du bin?"
hinauf natürlich! Willst Du
mit?"
Er zitterte.
.Nimm wenigstens den Revolver
mit!"
.Wozu? Für diese luftige Gesellschaft
genügt der Stiefelknecht vollkommen!"
Er ging ylnaus. -Sie
hörte , ihn die Treppe hinauf,
gehen, jetzt schloß er die Thüre zur
Sveicbertrevve aus. &ie yorte wie er
an der Tbür tastete, er suchte den
Schlüssel.
Der Angstschweiß trat ihr aus die
Stirn. Immer lauter, immer wüster
wurde der Tanz dort oben. Immer
wilder, immer toller
Wenn er nur wiederkäme! Wenn er
nur wiederkäme!
Bana! Da hörte sie einen lauten
Krach. Er trat gewiß gegen die Thüre,
da er den Schlüssel nicht finden konnte.
Krach! Jetzt flog die Thür aus
Und jetzt hörte sie seine Schritte gerade
über sich. Und rings um lyn yerum
diesen schrecklichen Lärm an allen,
allen Selten.
Er war verloren.
Sie hielt sich die Ohren zu, schluchzte.
weinte, iammerte. ?
Als sie aussah, stand ihr Mann vor
ihr.
..Was machst Du denn. Lotte?" .
Sie sprang auf. umhalste ihn. und
wollte ihn fast ersticken mit ihren
Küssen.
.Nicht so stürmisch. Frauchen. Du
zerdrückst mein Gefpenftchen! Ich
hab' Dir eins mitgebracht, hier unter
meinem Rock, eins von den Hauptspaß
machern.
Er zog eine große, graue .Lachtaube"
heraus.
.Die andern mögen oben weiter
Musik machen, die da kann hier bei
uns bleiben. Eure Polchiner Gespen
fter sind mondsüchtig, Lotte; daS ist
ihre ganze Eigenthümlichkeit. Dein
Herr Papa wird die Taubenschläge
draußen haben verfallen lassen und da
ist ein besonders kluger Tauberich auf
den Gedanken gekommen, da oben in
dem Wäschtrockenzimmer sich häuslii?
niederzulassen. ES paßte ja famos
mit den Latten, die quer durchgezogen
find. Aber die guten Tauben hatten
ihre Rechnung ohne den Mond ge
macht; wenn der da hineinschaut, wer
den die armen Thiere halb wach und
flattern herum und lachen und gur
ren na, Du hörst eS ja noch,
Lotte!"
. Ehe sie am andern Morgen zum
Frühstück gingen, sagte sie lachend:
.Wie wird sich Mama freuen, daß wir
den Spuk gefunden haben! Nun kön
nen sie Polchin verkaufen."
Er sann einen Augenblick nach.
.Lotte, ich bitte Dich, erwähne nichts
davon. Der Spuk, weißt Du. ist das
Beste in Polchi. Mit dem Spuk kann
Dein Vater fein Gut vielleicht loswer
den. ohne ihn wird er nie einen Käufer
finden!"
Die Andern waren schon beim Früh
ftück.
js
30
Beilage zum Nebraska
.Na. habt Ihr den Spuk gehört?"
Friedel nickte. .EZ war genau so.
wie Ihr unZ erzählt habt!"
xann suqr cr ou. .jj.uicci
vater. ich höre. Sie wollen Polchin ver
kaufen?"
.Wenn ich nur einen Käufer fände!"
.Ich gebe 800.000 Mark. Davon
geht meine Hypothek ab. bleiben 720.
000 Mark. Wenn Sie damit einver
standen sind. Schmiegervater, bitte ich
gleich zum Notar zu schicken."
Frau von Polchin kutzte ihre Tochler,
dann ihren Schwiegersohn. Der Alte
schüttelte ihm die Hand.
Als Friede! mit seiner Frau allein
war, sagte sie: .ES war sehr edel von
Dir aber waS willst Tu mit Pol
chin? Tu Erstehst "
Nichts von der Landmirtyschast.
hast auch nicht die geringpe Luft dazu
willst Du sagen." Freilich habe
ich keine Luft dazu, und freilich ver
ftehe ich nichts davon. Ich denke auch
Polchin nicht vierzehn Tage zu behal
ten."
Du willst es verkaufen? Aber Du
sagtest doch selbst, daß Polchin für
300.000 Mark keinen Käufer finden
würde, und Du hast 800,000 gebo
ten!"
Ja und ich werde mehr dafür
wieder bekommen. Was ich verdiene.
gehört Dir. Lotte. Du kannst dafür
Tauben züchten, wenn Du Lust hast!
Willst Du ein paar Briefe schreiben,
die ich diktire?.
Gerne!"
So schreibe:
Rittergut Polchin!
Fantomes! Spuk! Haunted!
AlteZ Familiengut in Pommern ist
zu verkaufen. Große Waldungen.
Teiche. Parkanlagen. Guter Boden.
schöne Jagd. DaS Gut wurde von dem
letzten Inhaber, in dessen Familie eS
über 400 Jahre gewesen ist. verkaüst.
weil er es in dem Schlosse, in welchem
eS spukt. Nicht mehr aushalten konnte
Inserent dieses erstand Polchin. da sich
auS angegebenem Grunde kein anderer
Käufer fand, schuldenfrei zu dem sadel
haft niedern Preise von nur 800.
000 Mark. Gefl. Offerttn erbeten an
Herrn Dr. Friedel, Rittergut Polchin,
Pommern. '
So. Lotte. Du mußt eS noch zwev
mal abschreiben! Und dann die Adref
seit: Expedition der Times", London.
des Figaro". Paris, des New York
Herald". New Nork."
Dr. Friede! bestand darauf, daß
Schmiegereltern und Schwager sofort
nach Bestätigung deS notariellen Aktes
nach Berlin fuhren, auch Lotte mußte
mit.
Etwa drei Wochen später erhielt diese
von ihrem Manne folgenden Brief:
Meine liebe Lotte!
Morgen komme ich selbst zu Dir;
jetzt nur in Eile die Hauptsache. Meine
Rolle als Herr von Polchin ist ausge
spielt, eben habe ich daS Gut für
1,150.000 Mark verkaufte Der jetzige
Besitzer Mr. Fred MacCulloch ist ein
Schotte. Auf unsere Annoncen hin
bekam ich fünfzehn Antworten; Mac
Culloch kam gleich selbst hierher. tyol
cvm bat er , aar nicht ange eyen; er
verlangte nur im Erkerzimmer zu schla
fen. Er war entzückt! Ich habe
Alles da oben so gelassen, wie eS war
Ich hätte MacCulloch. der sofort
800.000 Mark bot. gleich Polchin zu
geschlagen, jedoch kamen am selben
Tage noch zwei Amerikaner. Sie
schliefen ebenfalls im Erkerzimmer: der
Erfolg war derselbe! Sie boten 50,
00 Mark, worauf MacCulloch noch
50.000 Mark höher ging. So steiget
ten sie sich gegenseitig, bis der Schotte
einem Gebot von 1.150.000 Mark Sie
ger blieb. Er ist sofort in den Besitz
von Polchin getreten; ich bin heute sein
Gast. Er hat schon Anordnungen ge
troffen, die Treppenthüre zum Speicher
vermauern zu lernen, damit der Spuk
nkcht doch einmal herunterkäme! Das
Erkerzimmer will er als Fremdenzim
mer herrichten lassen; er läßt schon jetzt
an alle seine Freunde und Bekannten
Einladungen ergehen. Ich wünsche
ihm in Allem viel Glück und Segen
Ich komme morgen 1:23 Mittaas,
wirft Du an der Bahn sein. Lotte?
Grüße an Deine Eltern und Deinen
Bruder und einen Kuß für Dich!
Henry."
Der Edelstein.
Skizze von C a r l v. H e u g e l.
So gut wie heute war Rath Schiebeck
lange nicht gelaunt gewesen.
Während des Mittagessens sprudelte
er förmlich über von Witzen und Bon
mots. so daß Trudchen und Lenchen
gar nicht aus dem Lachen herauskamen
Er mußte entschieden etwas vor
haben.
Die Mädchen kicherten.
Ja, Kinderchen," sagte er jetzt, sich
UM
W VW
Staats-Anzeiger.
die Lippen mit der Serviette ad
mischend und diese dann sorgfältig zu
ammenlegend, .Ihr habt wirtlich Ur
ache. fröhlich zu fein. Heute ist ein
Glückstag."
.Was giebt eZ denn eigentlich Papa
chen?" schmeichelte Trudchen. die Ael
teste, welche ihm zur Rechten faß. indem
sie dem Rath die Arme um den Hals
schlang.
.Sag eZ mir zuerst. Papachen!" rief
gleichzeitig Lenchen. von der anderen
eite her ein ArmBombardement aus
den Papa ausübend.
Laßt los. Kinder! Ihr erdrückt
mich ja!" wehrte sich der solchergestalt
eingekeilte Rath. .Von mir erfährt
Jhr'S doch nicht."
Zwei enttäuschte Gesichter und vier.
von einem fetten Ha herabfallende
Arme bildeten daS Resultat dieser grau
famen Worte.
Habt nur ein Stündchen Geduld."
fuhr der Rath fort, seine Lieblinge
beschwichtigend, ich werde Euch daS
Juwel, den Edelstein selbst herschicken
Es wird heute Nachmittag jemand zu
Euch kommen, der wird S Euch sagen.
Mit diesen Worten stand Papa aus,
nahm Spazierftöckchen und Cylinder
zur Hand und schickte sich zum Fort
gehen au.
Schon an der Thür, kehrte er aber
wieder um und trat vor seine Aeltefte
hin:
Wirft Du ihn auch gut aufnehmen.
diesen Jemand, mein Herzblatt?" sagte
er, deS Mädchens Kinn zu sich empor
hebend und ihr mit feuchtem Blick in'S
Auge schauend.
Den Edelstein?" fragte Trudchen
verwundert.
Ja, den Edelstein, Du Tausend
sasa!" lachte der Rath. Du kennst
ihn bereits, und der Backfisch da
auch" mit dem Backnsch" meinte er
Lenchen. die erst fünfzehn Jahre alt
war und noch zur Töchterschule ging
aber Du sollst ihn nun noch näher
kennen lernen. Dir. als meiner ver
ständigen Aeltesten, lege ich ihn ganz
besonders an S Herz. Nicht wahr, Du
wir lyn lieb, seyr lieb yaven, um
meinetwillen?"
Trudchen erröthete, ohne eigentlich
zu wissen warum. Der Rath schien daS
für eine genügende Antwort zu halten.
denn er streichelte der Tochter zärtlich
das wellige, braune Haar und murmelte
gerührt: Ich wußte in. Du bist em
Goldkind! Also Adieu, Kinderchen, bis
nachher."
Und nun hüpfte der Rath wirklich,
ein Liedchen trällernd, zur Thür hm
aus.
Die Mädchen sahen sich mit gelindem
Erstaunen an.
Wer nur der Jemand sein mag,
den er unS herschicken will?"
Die Schwestern begaben sich nach
dem Backfisch-Aquarium". So hatte
die lustige Helene daS Boudoir getauft.
in welchem sie gemeinschaftlich ihre
Siesta zu halten pflegten.
Es mochte etwa eine halbe Stunde
verstrichen sein, als das Dienstmädchen
erschien und emen Besuch anmeldete.
Walter Berger. Buchhalter", las
Gertrud auf der Karte, wobei ihr Ge
sichtchen sich mit dunkler Röthe färbte
Wollen wir ihn hier empfangen?'
fragte sie mit einem Blick auf die
Schwester.
Selbstredend," antwortete diese ohne
lbr Spiel mit der Katze zu unterbre
chen. Mit Walter machen wir doch
keine Umstände."
Wir lassen bitten," bemerkte Trud
chen. zu dem Mädchen gewendet.
Dieses verschwand. '
Wie oft habe ich Dir eine derartige
vertrauliche Bezeichnung schon Verbi
ten," äußerte Gertrud dann mit ärgev
lichem Stimrunzeln gegen die Schme
fter:
O!" schnippte Lenchen mit dem
Finger. Hab Dich nur nicht so. ich
weiß recht gut, Du" unterbrach
sie sich hier selbst, Trudchen, eine
Idee! Am Ende ist Walter der Edel
stein!"
Jetzt sprang die Aelteste wie elektri
firt in die Höhe, dem Backfischchen in
die Arme und murmelte. daS heiße
Gesicht an der Brust der Schwester ver
bergend: O Gott, Lenchen. wenn Du
Zecht hättest!"
Trudchen war nämlich bis über die
Ohren in den in Rede stehenden jungen
Mann verliebt. Wenn nur unter dem
Jemand der kommen und den sie um
PapaS willen lieb haben sollte, wirklich
Walter gemeint wäre! Konnte er nicht
um ihre Hand angehalten haben? ES
war gar nicht anders denkbar.. Papa
hatte ja selbst gesagt, daß sie den zu er
wartenden Jemand bereits kenne.
Während Trudchen sich noch diesen
scharfsinnigen Kombinationen hingab,
trat Walter Berger unter tiefen Per
beuqungen bei den Damen ein.
Papa hat Sie ja wohl geschickt?'
9M
No. 49.
agte Trudchen leise, mit gesenkten
Wimpern.
.Geschickt." fragte Walter Berger. der
seinen Stuhl ganz dicht an TrudchenZ
Seite gerückt, erstaunt.
.Nun ia Sie Sie sollen mir
doch etwas , sagen." half daS junge
Mädchen ihrem ein wenig befangenen
Anbeter auf die Sprünge.
.Ich sollte Ihnen etwas sagen .... ?"
Walter Berger war ganz verblümt.
Plötzlich schoß ihm aber durch den
Kopf, daß er aus dem ihr augenschein
lich obwaltenden Mißverständniß Ka
pltal schlagen könne, darum fuhr er
haftig fort: .Ja, natürlich. Fräulein
Trudchen, ich bin geschickt und will
Ihnen etwas sagen."
Papa hat eine sehr gute Meinung
von Ihnen." bemerkte das junge Mäd
chen mit noch leiserer Stimme als zu
vor und ohne die Augen von dem Tep
pichmufter zu erheben. .Er bat Sie
selbst einen Edelstein genannt."
.Ein Juwel!" bestätigte der Back
fisch.
.Und Sie selbst. Fräulein Trud
chen?" fragte Walter zärtlich, halten
Sie mich auch für einen Edelstein?"
Statt einer direkten Antwort wandte
Getrud sich an ihre Schwester mit
den Worten: Lenchen. möchtest Du
wohl so gut fein und mir ein Glas
Wasser holen? Mir ist so furchtbar
hersz!"
Der Backnsch. der sehr gut begriff.
daß Trude mit Walter blos allein fein
wollte, nahm schleunigst die Katze auf
den Arm und sagte im Fortgehen mit
muthwilligem Augenbllnzeln: .Gewiß.
chwefterchen. aber wie Du weißt, ist
die Leitung nicht in Ordnung. Du
wirst Dich also eine Weile gedulden
müssen, ehe ich Dir mit dem kühlen
Naß aufwarten kann."
Kaum hatte sich die Thür hinter dem
jungen Mädchen geschlossen, so fiel
Walter Berger. der TrudchenZ Wasser
manöver gleichfalls sehr richtig gedeutet
hatte, feiner Angebeteten entzückt zu
Füßen, und ihre kleinen Händchen mit
Küssen bedeckend, rief er: Trudchen.
liedeZ. füeS, einziges Trudchen. kannst
Du mir denn wirklich ein ganz klein
wenig gut sein?"
Aber, ich habe doch bloß von Papa
. . " stammelte sie, durch diesen wll
den fturmangriff einigermaßen - vev
wirrt.
.Ach was. der Papa! Der hält mich
für einen Edelstein! WaS Du von mir
denkst, will ich wissen!" '
Ich ich nun. ich bin Papas ge,
horsame Tachter." flüsterte sie mit vev
fchämtem Lächeln.
Waner Berger sprang mit einem
Jubelschrei empor, daS bebende Mäd
chen ungeftüm.an sich ziehend.
In diesem Augenblick stürzte Helene
unter dem fröhlichen Ruf: D Papa!
Der Papa kommt mit Fräulein Helma
zur Thür herein. "
Fräulein Helma war bis vor einem
Vierteljahr att Gesellschafterin im
Rath Schiebeck schen Hause engagirt
gewesen und der Liebling der beiden
Mädchen.
Ja, xmoer. sag oer aky am
Arm einer niedlichen Brünette über die
Schwelle tretend, ich bm Helma untev
wegs begegnet, und sie wollte es Euch
durchaus nur in meiner Gegenwart
tagen, dag wir uns heute Morgen ver
lobt haben."
Was. Du bist auch verlobet Papa?"
ries Trude, erschreckt und staunend.
Also doch!" triumphirte der Ba5
fisch.
Auch? Ja. wer ist eS denn noch?"
Nun. ich! Hier mit Walter.
dem Edelstein, den Du mir geschickt
yasl!"
I der Donner!" machte der Rath.
Aber waS wunderst Du Dich denn
so. Papachen." stotterte Trude. der
es bei des Raths aufrichtigen Erftau
nen nicht ganz wohl zu Muthe wurde
Du hast doch vorhin gesagt, dak
mand käme, den wir schon kennen, um
uns etwas mitzutheilen, und daß ich
besonders ihn um Deinetwillen lieb
haben möge."
Daß Dich!" wetterte der Rath. .Da
mit habe ich Helma gemeint, die Euch
nach meiner Ansicht zuerst allein von
unserer Verlobung erzählen sollte.
AuS der Geschichte wird nichts. eineZi
bloßen Buchhalter gebe ich mein Kind
nicht zur Frau."
Nun. wenn der Buchhalter" der
einzige Grund ist, weshalb Sie mir
Trudchen. um deren Hand ich hiermit
feierlich anhalte, nicht geben wollen, so
brauche ich die Hoffnung noch nicht sin
ken zu lassen!" sagte Walter Berger.
fich stolz in die Brust werfend. Seit
gestern bin ich als Theilhaben in die
Firma Rohnstein & Hartleben einge
treten. Ich glaube, damit dürfte jeder
Zweifel, daß ich im Stande bin. Trud
chen eine angenehme, sorglose Existenz
zu bieten, aus dem Wege geräumt fein.
Herr Rath!"
.Gieb nach. Ihco." schmeichelt
Helmz, ihrem Verlobten einen beszh?f
ttn fl:if of die Lip."eu deckend.
fv, 'viiiuguiMt uti Ulltil llUlt
DfUtjaufe Rohnstein fc Hartteden."
murmelte der Rath, durch den Kuß
schon bedeutend erweicht. .Ja. Kin
der, waS sagt Ihr denn aber zu der
neuen Mama, die ich Euch bringe?
Werdet Ihr sie recht lieb haben?'
Beide Mädchen umarmten Helma
stürmisch.
.Wir hatten sie 1 schon immer so
lieb!"
.Schmeichelkatzen!" knurrte der Rath
gerübrt.
Na. mein Herr Walter." wandte
er fich dann an diesen, .wenn Sie mir
versprechen, mein Kind recht glücklich zu
machen " v
Walter legte betheuernd die Hand
aus'S Herz.
.Gieb sie ihm nur. Papachen," sagte
der Backfisch mit gönnerhafter Miene,
er bat sie ja doch schon gekufzt !"
Wahrhaftig?" lachte der Rath.
Dann bleibt mir freilich nichts Än
dereS übrig." Und den glücklichen
Walther bei den Schultern ergreifend,
schob er ihn seiner Aeltesten in die Arme:
In Gottes Namen denn, da hast Du
Deinen Edelstein!"
Der Reichsapfel Wilhelm dt
Srste.
Dem Kaiser Wilhelm I. ist an einem
seiner wichtigsten Tage ein Unglück
verheißendes" Zeichen geworden, und
zwar am Tage seiner Krönung zum
König von Preußen, am 18. Oktober
1361. Von einem Flügel deS Schloß.
gebüudeS in Königsberg aus war da
mals nach der Schloßkirche eine Art
Brücke geschlagen, über die fich der
imposante Krönung? Zug nach dem
Gotteshause bewegen sollte. Alles war
zu diesem Kirchengange bereit. Bar
häuptig und vom Krönungsmantel um
wallt, stand der König inmitten der
Prinzen und Prinzessinnen des könig
lichen HauseS in dem Raum, von dem
auS die Brücke betreten werden sollte.
In der Nähe deS Monarchen lagen auf
einem Tische die Krönungsinsignien,
die ihm voraus getragen werden sollten.
Der König ergriff prüfend den Reichs
apfel, der aus zwei Theilen zusammen
gefügt ist, die durch einen Falz verbun
den und von einem goldnen Reifen um
faßt sind. Aber was geschah? DaS
Kleinod entglitt der Hand des Königs
und fiel zu Boden. Hierbei löste sich
der goldene Reif ab und der Reichs
apfel trennte sich in zwei Hälften, die
auf dem Teppich liegen blieben. Der
König wurde bleich; ein überaus pein
liches Gefühl bemächtigte sich auch der
Zeugen dieses Vorfalles, der als böfeS
Omen gedeutet wurde. Prinz Albrecht,
der Bruder des Königs, beugte sich nie
der,, hob die Theile deS Reichsapfels auf
und versuchte, sie wieder zusammenzu
fügen. ES gelang ihm aber gar nicht.
Ebenso vergeblich bemühte sich der
Prinz Karl. Als schließlich die Ver
legenheit über dieses Mißgeschick ihren
Höhepunkt erreicht hatte, trat ein fran
zösischer Kammerdiener der Königin
Augusta hinzu und seinen Versuchen
gelang es. die beiden Hälften deS
Reichsapfels im Falz richtig zusammen
zuschließen und den goldenen Reifen
ordnungsmäßig umzulegen, so daß nun
der durch den bösen Zwischenfall schon
etwas verzögerte Kirchgang endlich an
getreten werden konnte. Das unheil
volle Anzeichen hat keine Erfüllung ge
funden. Spätere Zcichendeuter haben
es sogar als glückliche Verheißung aus
gelegt, die ein Jahrzehnt später durch
Vereinigung der bis dahin getrennt ge
wesenen Reichshälften ihre schönste Er
füllung gefunden hat. Auch wieder ein
Franzose Napoleon der Dritte
hat. wenn auch unfreiwillig, dazu bei
tragen müssen, daß diese Vereinigung
zu Stande gekommen ist.
r
Fast unglaublich, aber wahr!
Ein heiteres Geschichtchen erzählt man
sich in St. Ludwig im deutschen Reichs
lande aus den benachbarten Ortschaften
Obcrmichelbach und Wenzweiler. In
Obermichelbach erscheint neulich ein
Soldat des 112. Infanterieregiments
und meldet auf dem Bürgermeisteramte
für den .folgenden Tag 600 Mann Ein
quartierung an. Während er sich auf's
trefflichste bewirthen ließ und den Fast
nachtsküchli tapfer zusprach, wurde die
wichtige Bekanntmachung durch deS
Wächters Schelle im Dorf' zur allgemei
nen Kenntniß gebracht. Als am an
deren Morgen bereits an den verschie
denen Häusern die Zahl der in Quar
tier zu nehmenden Mann angeschrieben
wurde, war unser Quartiermacher
vlödlich verduftet, und erst nathMnMt
kamen die biederen Öbermichelbacher zu
oer lniicyl, es könnte wohl ein Deser
teur gewesen sein, der, die Dummheit
seiner lieben Mitmenschen benukend.
sich auf diese Weise den Marsch nach der
Grenze angenehm zu gestalten wußte.
Äv geschehen zu Obermicbelback im
Jahre 1900. Auf seinem weiteren Wea
nach der Grenze wiederholte der Aus
reiger in Wenzweiler mit demselben Er
folge sein Manöver man spricht so
gar davon, daß in der Mühle schon
Kuchen gebacken und Schinken in Be
reitschaft gelegt wurden zur Bewirthung
der ankommenden hungrigen Mars
jünger , um dann auf dem kürzesten
Wege den nächsten schweizerischen Irenz
ort Schönenbuch zu erreichen.
Wenn Du gern ein heileres Gesicht
stehst, so mache selbst ein's!