Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 19, 1900, Image 10

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    Das Gftcrci.
rjählung aus Zllt-ürnbng von , Ächa.
Tie Messe war zu Ende. In feier.
lichen Klängen verhallten die Orgeltöne
. in der Nan:t.-kbalduS.lrche zu viurn
derg und in breitem Strome ergoß sich
die Menge durch die figurengesä'mückte
Nordpforte, daS sogenannte .Braut,
tbor". binauS auf den RLthbauSpla,
Eine hohe Lchneeschicht hatte sich auf
ihm angehäuft und immer noch wir
belte neueS Eeflock hernieder und hüllte
die fpißgiebeligen Tücher der Patrizier
hüufer mit ihren vorspringenden (5hör
lein", sowie die mannigfachen Thurm,
cken. Knäufe und Scanörkel daran m
sein einsörmiaeS Weiß. WaS Wunder.
dak männiglich den Pelzkragen hoch
über die Ohren zog und eilig sürbatz
schritt dem behaglich durchwärmten
- beime entgegen!
Lanasam. bedächtig, als ginge ihn
all dies nichts an. verließ der mohlehr
same Rathshcrr Balthasar Peftner alS
einer der Letzten das Gotteshaus. Ihm
zur Seite schritt die treffliche Hausfrau
und. die blauen Aeuglein züchtig zu
Boden geschlagen. sein TdchtcrchenEva.
ein beniaeS Wesen mit Wangen wie
Milch und Blut und einer goldigen
Haarfülle, die in schimmernden Wellen
unter dem dunklen Sammetmüßchen
hervorquoll.
Nach wenigen Schritten schien sich der
Familienvater plötzlich aus etwas zu
zu besinnen. Bedächtig legte er den
Äeiaefinacr der Rechten auf die, wohl
nur von der schneidenden Winterkälte
geröthete Nase.
Füllt mir eben ein. daß mich unser
lieber Gevatter, der wackere Schneider
meifter Jörg SachZ, auf ein paar
Worte gebeten. Sein HauI wird heuer
17 Jahre und da soll ich wohl mein
Gutachten abgeben, wohin der Teufels
junge auf die Wanderschaft zu schicken,
damit ihm nicht vor Singen und Fabu
liren die Luft an Ahle und Pechdraht
noch völlig verloren geht. Auf baldig
Wiedersehen also!"
Man schied mit freundlichem Gruß;
die Frauen gingen gegen die Fleisch
brücke", deren kühner Bogen sich im
Eise der Glashart gefrorenen Pegnitz
spielte, Vcstner nach dem Gänsemarkt,
den er mit einer, seiner sonstigen Gra
dität widersprechenden Eile querte.
worauf er in das enge Heugäßchen ein
bog und endlich vor einem mit blecher
mm Schilde als Taverne gekennzeich
neten Hause inne hielt. Tie verschwitz
ten Butzenscheiben im Erdgeschosse, hin
ter denen Stimmengewirr? gedämpft
hervorscholl, ließen auf eine fcuchtfröh
liche Versammlung schließen, und in
der That, nur ein völlig Fremder konnte
es nicht wissen: Brauer Tucher verzapfte
heute wieder einmal sein berühmtes
Weißbier und dabei durfte Niemand
fehlen, der etwas galt in der Geburts
stobt des bernsteinhellen Wundertranks.
Ter Neueintretende wurde mit einer
achtungsvollen Freundlichkeit begrüßt,
die solch gewichtiger Amtsperson gc
bührte. Dreispitz und filberknäufiger
Stab wurde ihm vom Aufwärtcr abge
nommen und bald saß er neben Jörg ,
- dem Schneider in der holzgetäfclten
Stube an einem der ungedeckten, mas
fiven Eichentische, auf deren Platte im
zühlige. klebrige Ringe besagten, daß
sie heute bereits die Last Manches, stets
frisch gefüllten Krügleins Gerstensaft
getragen. Allgemach hatten sich den
Beiden einige andere Gäste zugesellt; fo
Wohlgemuth und Hirschvogel, die alten
Malergenossen, nebst Veit Stoß, dem
.Hayllosen Burger", wie man den
trefflichen Holzschnitzer' wegen seiner
sprudelnden Laune nannte, die dessen
Zechfreunde nie aus dem Lachen zu
bringen pflegte. Am Nebentische saß
ein weißbärtiger Patriarch unter seinen
fünf gleichgearteten Söhnen und Mit
arbeitern, Peter Bischer der Erzgicßcr.
Um so eigenartiger stach ein Gaft von
diesem gemüthlichen Bilde aus Nürn
berg's höchster Glanz und der Schaf
fensperiode man schrieb 1511 ab,
der, schwarz gekleidet, unruhig funkeln
den Blicks im geldlichweißen, spitzbärtig
eingerahmten Antlitz, stumm zuhörte
und auch dem fremdartigen Getränke,
das fast unberührt vor ihm stand,
offenbar keinen rechten Geschmack abzu
gewinnen vermochte. Es war Signor
Salviati, Leiter einer der venetianischen
Faktoreien, die von Nürnberg aus den
Handel zwischen Hamburg und dem
Orient vermittelten. Wiewohl seiner
Händel wie Ränkesucht wegen nicht oc
liebt,. mußte man sich, feiner Stellung
in der Geschäftswelt halber, dessen
etwas aufdringliche Gesellschast ruhig
gefallen lassen.
Besonders aus fällig suchte er na) in
Vestncr's Nähe zu drängen und hatte
auch heute ihm gegenüber Platz genom
men.
Ein Zufall gab dem Gespräche, das
sich unter den Zunftgenossen bisher
meist um kunstgewerbliche Angelegen
heiten gerecht, eine neue Wendung.
Ter Stadtpfeifer hatte eben die zehnte
Bormlttagsstunde verkündet. Dies war.
da Thurmuhren damals noch bedenklich
dünn gesäet, eine Maßregel des wohl
furftclitticlicn stavtralyes. Mren ei
gentliche Quelle entsprang allerdings
oben auf der Burg wo der Konstabel an
den langsam verglimmenden Ringen
einer Lunte die Tagesstunden ablas und
durch Trommelschlag verkündete, was
denn die anderen Thorwachen rings um
die Stadt aufnahmen und glücklicher
weise der umwohnenden Bürgerschaft
lundthaten.
Wer doch lieber die Thurmuhr von
Sankt Loren, allzeit in der Tasche tra
aen könnte!" meinte mit Bezug darauf
scherzend der jeder Neuerung zugethane
Bürger Holzschuher.
.Sagt doch lieber gleich die zwe,
riesigen Mcdren ouj Erz, die bet unS
vi Venedig an die Glocke des Hh
thurmeZ hämmern!" warf hämisch der
Welsche ein.
.Nun. vielleicht geräth'S eh' Ihr
eS denkt !" bemerkte lächelnd HanS Be
heim, dessen Titznachbar. .Hab da
auf meinem Bau, dem Rathhaus. einen
Schlosseraefellen. der wohl mehr ver
steht, als hkißeS Eisen zu schmieden
Heißt Peter Henlein "
Ter Benetianer suhr auf; eine heiße
Blutwelle schoß ihm jählings inS Ge
sicht. Toch wußte er sich rasch zu fas
sen; Niemand hatte eS bemerkt.
.Ter sitzt stundenlang nach Feiev
abend in seiner Dachkammer, fügt, dem
Auge kaum sichtbar, Rädchen an Räd
chen, feilt, prüft, horcht daran, feilt
wieder und läßt nicht ab bis er vor
Müdigkeit ins Bett sinkt"
Ein Träumer, der feine Zeit unnütz
verschwendet!" meint salviati gering
schätzend.
.Sagt daS nicht, lieber Herr!" ver
theidiat Holzschuhcr feiern Schützling
Ohne Vorbild, ohne Versuch kein
Meister! Hätte Euer Landsmann
Gianbellini nicht dem Antonio da
Mefsina daS Geheimniß des Oelmalens
abgeguckt und dann tapfer darauf los
gepinselt, nie könnte sich Venedig der
Werke jenes jugendlichen Tizian
Vecellio rühmen, der ja ein wahrer
König im Reiche der Farben fein soll!
Also abwarten und wenn es gelingt,
dann " .
Wollen wir ihn in unsern Rath
aufnehmen und mit güldner Ehrenkette
bedenken!" schließt lächelnd Balthasar
Veftner die Unterredung. .Wollen's
beschlafen bis dahin. Gott befohlen.
Ihr Herren!"
Tamit erhebt er sich etwas schwer
fällig, tauscht allseits Höndedrücke und
tritt den Heimweg an.
Fast gleichzeitig verläßt auch der
Venetianer die ihm ohnedies nicht ganz
behagliche Stube.
ES hatte zu schneien aufgehört und
gleich einer kupfernen Scheibe durch
brach die Sonne die zerflatternden Ge
wölke. Ganz in Gedanken über irgend
einen Gegenstand in morgiger Sitzung,
hört sich der ruhig dahinwandelnde
Rathsbürger plötzlich angesprochen. Es
ist Salviati, der tief den brritkrämpigen
Hut zieht.
Verzeiht, Euer Gestrengen, wenn ich
die seltene Gelegenheit benutze." beginnt
er zögernd, aber wessen das Herz
voll, deß geht der Mund über! sagt ja
ein deutsches Sprüchlein! "
Schon längst kaum habt Ihr es
wohl geahnt erfüllt Eures Töchter
leins Bild meine ganze Seele. Ihr
Liebreiz, Ihre Tugend haben mich be
zaubert. Meine Verhältnisse kennt
Ihr genugsam und wenn es Euch be
liebte "
Vcstner schien von dieser Werbung
auf offener Straße nicht sonderlich er
baut.
Wann und was habt Ihr mit Eva
bereits von Euren Absichten gespro
chen?" srug er nicht ohne die gewisse
Strenge.
Ter Andere schien verlegen. Nun.
bis jetzt wohl noch nirgend und nichts.
Aber ich denke, ein einzig Wort aus des
Vaters Munde "
Ihr irrt. Meiner Tochter Wille
ebenbürtige Wahl vorausgesetzt ist
frei. Tort also llopft zunächst an. Ter
Zutritt in mein Haus sei Euch nicht
verwehrt!"
Ter Venetianer erschöpfte sich in
überschwänglichen Tankbezeugungen.
Tann aber nahm er eine ' betrübte
Miene an. Ach. würde mir doch meine
Bewerbung nicht etwa vereitelt durch
diesen Taugenichts"
Vestner glaubte schlecht gehört zu
haben. Taugenichts? Wen meint Ihr
da? Ich will nicht hoffen, Herr" kam
es ihm polternd über die Lippen.
Salviati that erschreckt. Verzeiht
ich dachte, Ihr wüßtet, daß ein junger
Fant, ein Schlossergeselle es wagt.
Euer Haus, wie der Wolf die Hände,
zu umschleichen. Und vielleicht, so
fürcht' ich, nicht ganz ohne Vorwissen
Eurer holdseligen Eva!" fügte er dreist
hinzu.
Was sagt Ihr?" Wäre der Welsche
ihm nicht leibhaft zur Seite. Vestner
dächte, die Geister des Weißbieres txie
den ihren Spuk.
Und wie heißt der Bursche?" frug
er endlich.
Peter Henlein, Euer Gestrengen zu
dienen. Derselbe, dessen Namen Ihr
heute bereits als den eines nichtigen
Grüblers vernommen. Doch seht
selbst!"
Man war an des Rathsherrn Be
bausung angelangt. lim lunger
Mann stand an halbgeöffneter Pforte,
ihm gegenüber Eva. Beim Erblicken
des VaterS, dessen zorngeröthetes Ant
litz nichts Gutes weissagte, entfloh
diele mit unterdrücktem Aufschrei in
den Hausflur, der Jüngling trat m
rück und grüßte ehrerbietig, doch ohne
Scheu.
Vestner, der dessen schleunige Flucht
als etwas ganz Natürliches erwartet
hatte, schien fichtlich verblüfft und
blickte sich unwillkürlich, wie eine Auf
klärung heischend, nach seinem bisheri
gen Begleiter um. Der aber war ver
schwunden. Aergerlich darüber, ander
seits durch einen prüfenden Blick in das
offene, treuherzige Auge des Jünglings
halb entwaffnet, winkte er ihm gebiete
rikch. zu folgen.
Und nun. in da? Studirzimmcr ge
treten, begann ein eingehendes Ver
hör. daS allerdings ein ziemlich unbe
frikdingendeZ Ende nahm. Mag ihm
auch mein Kind gewogen fein ein
Schlossergeselle bekömmt eZ nicht
und wa? Eure Ersindung anbelangt,
die schlagt Euch vollend? aus dem
Kopf...."
.Nur bis Ostern wenige Wochen
gebt mir Frist, gestrenger Herr! Hab'
ich bis dahin mein Ziel nicht erreicht, so
will so muß ich verzichten "
Veftner war ein gerechier Mann, der
sich den Spruch oberhalb der Rath
ftubcnthüre:
Eins mann? red ist ein halbe red.
Man soll die teyl verhören bed"
zur Richtschnur seines Handelns machte.
Deshalb erwiderte er auch, nicht ohne
Anflug von Ironie: .Gut. EZ fei at
währt! Doch mir däucht schon jetzt:
Eher heckt eine Gluckhenne ein Uehrlein
auS ihrem Ei. als daß unter Eueren
ungelenken Schlossersäusten solch zierlich
Tinq erstünde. Und damit: Valete!"
Tie schwere Thür flog ziemlich
räuschvoll hinter dem Entlassenen in's
Schloß. Gewiß hätte dieser trotz alle
dem nicht mit fo ruhiger Zuverficht in
die Ferne geschaut, wäre er dcS giftigen
Blicks gewahr geworden, dem ihm sein
lauernder Nebenbuhler auS dem bet
genden Tunkel einer unfeinen HauS
nische nachsandte
So gingen zwei Monate in's Land,
Eva empfing Salviati's Besuche, die sie
nicht hindern konnte, mit höflicher Zu
rückHaltung: der junge Schlosser ließ
sich wohl nicht blicken, aber wer hätte
behaupten mögen, daß er nicht doch ir
gendwo das geliebte Mädchen von den
Fortschritten seiner Mühen und Hoff
nungen auf dem Laufenden erhielt ?
Und nun kam daS schöne Osterfest.
Goldig blitzte die Frühlingssonne auf
den tausend Tüchern und Giebeln oer
stolzen Patrizierftadt, lockte frisches
Grün und sammetweiche Kätzchen aus
Wiese und Strauch; sogar der Klap
perftorch hatte schon sein Nest, gleich ei
nem alten Recht, hoch oben am Heiden
thurm der alten Zollernburg bezogen.
Laue, wohlige Luft durchzog die wieder
erwachte Natur; Alles athmete Frieden,
Freude und neues Leben. '
Da. eben rüstete ich Rathsherr Best
ner mit den Seinen zum sonntäglichen
Kirchgange, meldet der eiserne Thür
klapfcr einen unerwarteten Besuch:
Peter Henlein. der Schlossergeselle, tritt
bescheiden, doch in zuverlässiger Haltung
ein und bittet, der ehrsamen Jungfrau
Eva Vestnerin ein Osterei als Zeichen
der Verehrung überreichen zu dürfen.
Taniit legt er ein Bastkörbchen mit
weichgebetteter, eiförmiger Silber
kapscl in deren vor Aufregung zitternde
Hände.
Eine bange erwartungsvolle Lause
tritt ein. Ta was ist das? Tik-tak.
tiktak! klingt es heraus ein Federn
druck: es springt auf deutlich weist
das Innere Zeiger und Zifferblatt ei
ner winzigen Ühr. und kling, kling,
kling! kündet ein Schlagwerk, fein
wie ein Kinderstimmchen, die achte
Stunde
Während nun auch Vestner, An
fangS starr vor Staunen, das schier
unfaßbare Wunder in Augenschein
nimmt, fliegt die überfelige Eva mit
Hellem Jubelruf dem Geliebten an die
Brust, und der biedere Rathsherr, als
Mann von Wort hat nun freilich
nichts Anderes zu thun, als Ja und
Amen zu sagen.
Ter kurz darauf in schadenfroher
Erwartung des Mißlingen? vorspre
chende Salviati wird natürlich mit be
dauerndem . Achselzucken empfangen,
verläßt enttäuscht und erbittert das
Haus und bald nachher auch die, ihm
mit einem mal so überaus unleidlich ge
wordene Stadt.
Anderen Tags, beim fröhlichen Vö
gelschietzen der blüthenknospenden,
frifchgrünen Rofenau, sitzt Eva Hand
in Hand mit ihrem, plötzlich zu hohem
Ansehen unter seinen Mitbürgern ge
langten Verlobten. Dessen wunder
sames Ostergeschenk aber, das erste
Nürnberger Eyerlem", ziert an kost
barer Kette ihre Bru t und pocht um
die Wette mit den Schlägen ihres freu-
big erregten Herzens
,H i es e'
Auch eine
Osier-eschichte.
Weber.
Voii Willy
Da saßen sie und warteten seit einv
gen Wochen auf den Einzug des Früh
lings. Der hatte unten im Thale zwar
schon glatte Arbeit gemacht, aber da
oben in diesem weltverlassenen Dörfchen
des Thüringer Waldes wurden ihm
doch zu große Schwierigkeiten in den
Weg gelegt. War doch Anfang März
droben ein Schlitten im Schnee stecken
geblieben und wenn jetzt am Mittag
die Sonne die Landstraße aufthaute,
kam des Nachts ein rauher Nord, der
von Neuem eine Eisdecke brachte.
's ist bald nicht zu glauben,"
brummte der alte Oberförster Lindner,
indem er eine mächtige Rauchwolke ge
gen die Decke blies. Da sällt nun
Ostern in diesem Jahre spät, aber wir
in unserem Sibirien
Ach, Vater," unterbrach ihn
Gertrud, desto schöner ist 3 m unserem
Sibirien dann im Sommer. Da be
neiden uns ja die drunten im Thal um
unsere luftige Höhe."
In diesem Augenblick wurde am
Fenster ein schinales, zartes Köpfchen ,
sichtbar, ein paar kluge Braunauzen
blickten inS Zimmer. .Tie Ricke " r.c
Gertrud aus, .wie konnte ich nur
vergeßlich sein. Komm' rein. Rick
chen " damit hatte sie die Thür ge
önnct. Und über die -chwelle schu
ein jungeS Ach. ein wundervoll gebau
teS Thier, welche? da? Auge eines jeden
WaidmanneS entzücken mußte. Ohne
jede -cheu trat eS näher, beschnupperte
wie zum Gruße die Hand deS jungen
Mädchens und schreckte nur wenig von
der Rauchwolke zurück, die den Lehn
ftuhl deS Försters einhüllte.
.Ricke" war seit etwa drei Jahren
beim Förster. Gertrud hatte daS Thier,
chen zu Tode erschöpft und entkräftet
hülslos im Walde gefunden, eS Hatte
augenscheinlich mit dem einen Vorder
fuß eine hart gefrorene Schneedecke
durchtreten und die scharfen Ränder der
Eiskruste hatten die fesseln verletzt
ES war ußer Stande, sich emporzu
richten und hätte verhungern müssen
Ta erschien Gertrud als Retterin in der
Noth; sie nahm das Thierchen auf,
trug eZ nach Hau, stärkte eS durch
Speise und Trank und legte ihm einen
kunstgerechten Verband an. TaS Thier
erholte sich unter der Hand seiner sorg
samen Pflegerin überraschend schne
und war von einer solchen Anhänglich
keit und Treue, daß eS bald den ersten
Platz im Herzen Gertruds sich erobert
hatte. Ter Förster war zuerst brum
mig: Rehe feien doch keine Hausthiere,
hatte er gemeint, aber schließlich hatte
er sich in das Unvermeidliche gefügt und
fo war .Ricke" wirklich zum HauS
thier avancirt, daS mit dem Rothkehl
chen. das am Morgen einen Flug durch
das Zimmer unternahm, ebenso gut
Kameradschaft hielt, wie mit den Kühen
im stall und den beiden Jagdhunden,
denen dies Stück verkehrte Welt" etwas
sonderbar vorzukommen schien.
Jetzt war Ricke" sogar ein beruhm
tes Thier geworden, daS man im gan
zen Reich schon kannte. .Ricke" war
nämlich entdeckt" worden Im
Sommer vor zwei Jahren war s ge,
wesen, da war der Maler.Klinger in
das einsame sZorstyaus gekommen, eine
unbekannte Größe in den Kreisen seiner
Kunstgenossen und beim Publikum
Er war verärgert, verbittert, er fand
keine Gelegenheit, feine Talente zu vev
werthen, überall stieß er auf eine Cli
quenwirthschaft, es gelang ihm nichts,
gar nichts. Ta oben wollte er Ruhe
finden, er wollte sich sammeln, er wollte
mit sich selbst in s Reine kommen. Es
ostete viele Mühe, den alten Förster zu
bewegen, dem Fremdling die Oberstube
deS Forfthaufes einzuräumen. Wenn
sich da nicht Jung-Gertrud in's Mittel
gelegt Hütte, würde der junge Mann
wohl oder übel wieder hinunter in'L
Thal steigen müssen, so durfte er
bleiben für wenig Geld und viel
gute Worte.
Am ersten Morgen hatte man ihm
den Kaffee im Wohnzimmer servirt. eS
fei oben nicht Alles in Ordnung, hatte
sich Gertrud entschuldigt. Ta hatte er
sich denn Alles wohl schmecken lassen
und sich dann in die Zeitung vertieft,
die der Landbriefträger eben gebracht
hatte. Er achtete nicht aus den sonder
baren Geklapper, das sich ganz im Takt
durch die Stube fortpflanzte, erst als er
an der Wind einen warmen Athem und
plötzlich etwas Kaltes. Weiches fühlte.
blickte er erstaunt auf. Vor ihm stand
dreist und gottesfürchtig Ricke", die
ihn mit einem Blick neugieriger Scheu
musterte. Voll Bewunderung hingen
die Augen des Malers an dem reizenden
Horn an oem cyianien als es
überkam ihn wie eine Offenbarung
das mußte er malen, das mußte er auf
Leinwand bringen, die Haltung, den
Blick des Thieres .... Er sprang empor
und klapp, klapp, klapp, klapp war
Ricke" aus dem Zimmer verschwun
den.
Mit Hülfe der Vermittlung Ger
truds schloß er bald Freundschaft mit
dem Thier, das wohl glauben mußte.
er gehöre zur Familie. Ricke" wurde
sein Modell, das ihm umsonst stand"
oder saß". Er zeichnete Rehköpfe,
Rehkörper, Rchfüße. springende, üfende.
schlafende Rehe. Die Entwürfe sandte
er den Redaktionen der lllustnrten Zeit
schriften ein, sie wurden acceptirt. Das
ermuthigte den Maler, er vertiefte sich
immer mehr in seine Ricke", die feine
beständige Begleiterin wurde. Jetzt
mußte er endlich, was er wollte
Thiermaler wollte er werden.
Als er Abschied nahm von der För
sterfamilie. ging er, erfüllt vom Eifer
und von Siegeszuversicht. Der Förster
knurrte ingrimmig, dieser Großstadt,
mann hatte ihm gar nicht imponirt,
Mit dem Zeichenstift und Malpinfel
hatte er ja umzugehen verstanden, aber
eine rechtschaffene Jagdflinte hatte er
nie in die Hand genommen, 's waren
doch Jammerkerls, diese Großstädter.
Na. mit fo einem sollte ihm mal feine
Trude kommen, den wollte er schon
jagen Seine Tochter war ein Für
sterfrau das war so sicher, wie zwei
mal zwei vier.
Gertrud empfand das Fehlen des
Hausgenossen schmerzlich. Sie kam sich
einsam und verlassen vor, obschon der
Maler seine Zurückhaltung ihr gegen
über nie aufgegeben hatte. Er würde
schreiben, hatte er versprochen, er würde
nie in seinem Leben vergessen, was er
ibr und ..Ricke" zu danken habe, hatte
er gelobt aber was sind Versprechen,
was Gelübde?
Doch daS Versprechen hatte er gehal
ten. er hatte geschrieben, höflich, sor
mell, aber doch in , herzlichem Ton.
Tann hatte er Zeitungen geschickt, in
denen Nöthen und Artikel blau ange
strichen waren. Er Hatte den zweiten
Preis Halten. Sein Bild ., Reh
batte in der Kunil Ausstellung Auf
sehen erregt. Tann aber war jede
Nachricht ausgeblieben. Gertrud hatte
aber gelesen, daß der Maler Klinger
vom Ministerium ein Stipendum er
halten bade zu einer längeren AuZdi
dungsreife nach Italien.
.Nun kommt er daher mit Brausen.
lachte der Förster am Edarfreitag. als
der Westwind bedenklich an den Fen
ftern deS JorfthaufeS schüttelte und rüt
teilt, 's wird Ostern und daS ift auch
die höchste Zeit; wir sind von der Welt
lange genug abgeschlossen gewesen
Gertrud ließ den Kopf hängen und
.Ricke" trippelte unruhig auf dem
Hausflur auf und nieder.
.WaS hat denn daS Beefli' fragte
der Förster, schon seit einigen Tagen
läuft? herum wie besessen."
Aber ich bitte Tich. Papa." ant
wortete Gertrud ganz ernsthaft. .Ricke
wird Besuch erwarten Ofterbesuch.
da ist sie heute schon etwaS aufgeregt.
Unsinn, brummte der hör 1er, .wer
soll denn jetzt zu unS heraufkraxeln
man bricht ja feine sämmtliche Beine
Gertrud lächelte vor sich hin und
fühlte nach ihrer Kleidcrtasche. in der
ein Brief steckte, der am Morgen gekom
men war und ln dem
Ter erste Ostcrtag. Eben
hatte die Sonne die ersten Strahlen
über die Höhen des Gebirges geworfen
daß die Felsspitzen zu glühen schienen
während die Ncbelmassen in phanta
ftischen Formen in's Thal hinunter at
drückt wurden, da öffnete sich auch schon
die Thür des Försterhauses. Ter
Förster erschien in seiner Uniform
um sein Revier nochmals zu begehen
Vorher inspicirte er noch den Hühner
hos, die Ställe, die Hundehütten und
kam auch in das .Heuftadl". m dem
Ricke" die Nächte zu verbringen
pflegte. Tie Thür war bis zur Hälfte
geöffnet.' Der Förster trat hinein.
Ricke" war nicht drin. Er sah aber
das Lager." er fühlte mit der Hand
hinein, es war noch warm. Vor 'ner
Viertelstunde ausgerückt," murmelteer,
wo ist denn da Beest hin? Die gan
zen Tage wars schon wie verdreht.'
Dann pfiff er dem Dackl" und mar
chirte hinaus.
Alle Wetter, war das ein Frühlings,
wind! Ter Förster schlug den Kraaen
einer Joppe hoch und steckte die Hände
n seinen Jagdmuff. Und wieder kam
ein Windstoß, daß ihm der Athem ver,
chlagen wurde und er sich rasch um,
manoie. cy nu nee." knurrte er.
umwerfen laß ich mich noch lanae
nicht." Und er bekräftigte feine Worte,
indem er den Riemen der Feldflasche,
die über feiner Schulter hing, nach
vorn zog. Er schraubte den Verschluß
aus und nahm einen kräftigen Schluck,
Tonnerwetter,, das war ein guter
Eognac die Gertrud war doch ein
Prachtmädel, daß sie so für ihn sorgte!
Er uchte wieder gegen den Wind zu
ommen; keuchend hastete er vormärt
Dabei überlegte er sich die Sache. Was
konnte denn nun schön heute früh im
Revier passiren? Gar nichts! Diesen
Dörflern da unten war freilich nicht zu
rauen, die wilderten nach der Schwie-
gleit. Aber wer sollte denn heute.
am ersten Feiertage, bei diesem Wetter
ich herauswagen? Er hatte ,a im Rc-
vier einen guten Hochwildstand, Pracht-
Hirsche, aber die warfen doch ickt die
Mweiye ao, die steckten in den tiefsten
Dickichten, in die vermochte er selbst
nicht zu dringen. Aber die Rehe? Die
waren jetzt fo scheu und außerdem
lohnte es nicht, eins zu schießen; das
Fleisch war za kaum genießbar. Das
Klügste wäre wohl, wenn er sich bis
zur Landstraße durchschlüge und dann
vielleicht hinunter in's Städtchen zu
einem lrättlgen Ostcrschoppen ginge
Er schraubte den Becher seiner Feld
flafche wiederum auf. genehmigte einen
weiteren schluck und schlug sich seit
wärts durch die Büsche nach der Land
raße.
Er erreichte den Weg nach verhält
nißmäßig kurzer Zeit. Hier hatte man
wenigstens festen Grund unter den
Füßen. Wenn er tapfer' ausschritt,
konnte er in zwei Stunden drunten
ein, zwei runoen ra ten vei einer
Flasche Pontet Canat, er schnalzte mit
der Zunge dann war er in zwei
Stunden wieder zu Haus, gerade zur
rechten Zeit zum Mittagessen.
Er stapfte kräftig vorwärts. Der
Sonne gluthrothe Scheibe hob sich höher
und höher. Vor ihm in dem dicken
Nebelschwaden blitzte es auf aha,
das war der Knopf der Kirche im
tädtlein. Aber so leicht ließen sich
die Nebel nicht vertreiben, sie stiegen
wieder auf und schoben bald hier, bald
da eine undurchdringliche Coulisse quer
über die Strasze. Tann erhob sich der
eine streif und zersiaiterte im Son
nenlicht, der andere senkte sich, verdich
tcte sich und rollte sich gleich einer ge
wältigen Kugel in die nächste Wald-
dichtung.
Verrücktes Wetter." sprach der För
er vor sich hin, ich möchte am liebsten
wieder umkehren."
Aber ehe er noch hinzukommen
konnte, blieb er wie gebannt auf dem
Fleck stehen. Ein Geräusch war zu
ihm gedrungen. Ein Stampfen und
Trampfen auf der Landstraße. Er
horchte angestrengt, er legte die Hand
intcrs Ohr. Langsame, leise schritte
kamen ihm entgegen Rechts im
ntcrholz krachten die dürren Fichten
zweige, da drängte sich wohl ein Reh
durch da? Gcftrüpp auf der Flucht vor
seinem Verfolger.
Der Förster riß die Flinte von der
Schulter. .Ruhig. Tackl." befahl er
noch, aber Tackl jagte in langen Sätzen
die Straße entlang. So ein Hallunke,"
schimpfte der Förfter, .und daS hat
doch fonft 'nen scharfen Comment "
Er brachte die Flinte in Schußhöhe.
Vor ihm au? dem Nebel trat eine Ge
ftalt herau? in verschwommenen Um
rissen der Wilderer ohne Zweifel,
da? Krachen im Unterholz wurde ftär
ker, der Dackl schlug an in den schrill
stcn Tönen
.Halt!" schrie der Förster, indem er
hinter einem Baume Deckung suchte,
.halt, das Gewehr weg oder ich
schieße...."
Ter Kerl auf der Straße kümmerte
sich um den Anruf gar nicht, er kam
mit unheimlicher Schnelligkeit näher
und immer näher.
Halt!" rief der Förster nochmals,
halt!" und legte schon den Zeige
fingcr an den Abzug.
Inzwischen hatte sich die Gestalt aus
dem Nebel entwickelt.
Herr." rief ihn ein junger Mann
an. wie können sie mir denn Halt
gebieten? Das ist eine freie Landstraße,
da kann gehen, wer Lust hat, und sie
haben gar nichts Ach Herr Ober
förfter Lindner, Sie sind'S?" brach er
plötzlich ab. .Wenn Ihr Ding da
losgegangen wäre, hätte eS ein Mal
heuer geben können."
Der Oberförster hielt noch immer
sein Gewehr im Anschlag. Ta kam der
Hund wie toll vor Freude zu ihm
gesaust. auS dem Gebüsch trottete Ricke
eiligst heran, so daß der Förster ein sehr
verdutzte? Gesicht schnitt.
Ofteruberraschung." meinte der
zunge 'Mann, mich scheint man hier
oben immer noch zu kennen nur
Sie...."
So, so, der Herr Maler Klinger,"
agte der Förster, ich hielt sie für einen
Wilddieb.
DaS weiß ich; aber ich bin doch nur
hier herauf gekraxelt, um ein Dieb zu
werden, allerdings kein Wild, sondern
ein Herzensdieb. Ihre Gertrud hats
mir angethan .... Am liebsten aber
möchte ich zwei auS Ihrer Familie
heirathen, die Ricke" nämlich auch
mit."
Am Abend wurde Verlobung gefeiert
im fförsterbause. Da dränate sicb
Ricke" in's Zimmer.
Wo ist denn das Beest beute in aller
Herrgottsfrüh gewesen?" fragte der
Förster.
Das ist kein ..Beest". Pava." saate
Gertrud ganz ernsthaft, die Ricke"
hat Menschenverstand: die muß des
halb hoch geachtet werden. Als ick den
Brief von Karl erhielt, der mir feinen
Besuch aukündigte, sagte ich der Ricke"
eile ,n s Pak aus. am ersten
Osterfeiertage in der frühesten Frühe
kommt Besuch. Maler Karl Klinaer.
der Dich schon so oft abkonterfeit hat.
Dem mußt Tu entgegenlaufen, na,
und hat nicht Ricke" ihre Pflicht er
üllt? Vor Taaesanbruck ist sie los-
gegangen; an der stadtgrenze hat sie
meinen Bräutigam erwartet, begrüßt
und bis zu uns geleitet "
Laß Tich das Tonnerw...."
nurrte vergnügt der alte Föper. ..mit
dem Jägerlatein hats meine Tochter
auch schon heraus "
Rossini und Paganini als Harfen
mädchcn.
Ter kürzlich in Italien bcrrsckende
Karnevalsjubel und Trubel gab der
römischen ..Tribuna" Veranlaisun. an
eine merkwürdige Maskerade zu erin
nem, oie geraoczu yisiorlscy genannt
werden kann. Massimo d'Azeglio er
zählt den interessanten Fall" 'folgen
dermaßen: Rossini und Paganini wa
ren in Rom, die Liparini sang, und
am Abend kam ick oft mit ibn unk
mit anderen närrischen" Zeitgenossen
zusammen. kam die Karnevals
zeit, und eines Abends sagten wir uns:
Wir wollen eine 'Maskerade veran tal-
ten!" Wir beschlossen, uns als blinde
Bettler zu verkleiden und auf den
Straßen zu singen, wie die Bettler sin
gen. wenn sie Almosen verlangen. 15
wurden einige Verslein zusammenge
schustert, die also lauteten: Siamo
ciechi Siamo nati Per carrmar
Di cortesia In s-iornat:.
d'allegria No si nega ctrita."
Wir sind Blinde, wir sind aeboren. um
von Almosen zu leben: am Tage der
Freude ift man mildthätig.) Rossini
eme die erie sofort m Mus s? hu
beaannen die .Proben", und frfiIi-6iiA
wurde bestimmt, daß die Geschichte am
aflnacytsoonnerstag in szene gehen
sollte. Die Unterkleidung her 'mu,
wirkenden sollte hochelegant sein, dar
über aber sollten wir schmutzige, zerfetzte
Lappen tragen. Rossini und Paganini
stellten eine Art Orchester dar, indem
sie als Mädchen verkleidet, ,m?i nU,
Harfen zupften. Rossini hatte mit
großem Gesckick seine nknpknn s-K? m.
" r- I-,- -..v... Vf
gen Körperfonnen durch Wergbündek
o gewaltm erweitert, dak er ,inr ith.r.
menschlichen oder vielmehr iinmnf(f.
Itchm Eindruck machte. Paganini. der
dünn war wie ein Plättbrett'und dessen
Gesicht aroke 'ätlmUMeH mit ;.m
Violinbogen hatte, erschien als Weid
doppelt dürr und hager. Die Gruppe
machte Furore. Zuerst erschienen wir
in zwei oder drei Häusern, dann sanoen
wir aus dem I?N1-sn rnh nflfirmh V.
Nacht auf einem öffentlichen Masken
vuu.