Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 12, 1900, Image 9

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- Hcine erste Kur.
Humorii'.iiche Eiinnerung aui htm ?öilin,
ger Ltiideiiicnlkden i;on W tl6.
Tie VcZanntschaft meiste? Freunde?
Wichmann machte ich. al? ich von der
Tkrtia nach Sekunda war. Er war 2
Jahre älter al3 ich und batik, da kr
wegen Kränklichkeit die Schule oft der
säumen mußte, nicht so schnell die las
scn absolvirt wie ich.
ES liegt etwaS Wunderbare? und
Unerklärliches nicht allein in dem ersten
Erwachen der Liebe, sondern auch in.
Entstehen der Freundschaft. Gleichge
sinnte schließen einen greiindschafls
bund, aber nicht immer gleichgeartcte
Naturen. Oft kommt es vor. daß un
gleiche Naturen sich anziehen. TieS
war bei unS beiden der Fall. Wich
mann war von sehr ruhigem Tempera
ment und langsamer Auffassungsgabe,
ich feurig, leidenschaftlich erregt und
schnell auffassend.
Wenige Wochen, nachdem wir unS
kennen gelernt, waren wir mit einem
Male unzertrennliche Freunde gewor
den und find eS durch unser ganzes
Leben. 37 Jahre lang, bis auf den
heutigen Tag geblieben.
Wir waren so unzertrennlich wie
Orest und PyladeS. Ich glich dem
Orest und Wichmann dem PaladeS.
Tcr Bater Wichmann'S war GutS
defider. Sein Gut lag nur 3 Meilen
von meiner Vaterstadt entfernt. In
den Ferien, namentlich in den Hunds
ItagSserieit, war ich oft auf diesem Gute
zum Besuch und habe dort zuerst die
Annehmlichkeit und das Behagen des
Landlebens kennen gelernt. Alles, was
man dort aß, schmeckte sehr viel besser
als in der Stadt. Schon das mächtige,
selbstgebackene Landbrot hatte einen viel
angenehmeren Geschmack als da? stark
gesäuerte Stadtbrot. Tie frische But.
ter und frische Milch war unendlich viel
schöner als in der Stadt, und im Win
ter war die srische Wurst ein Hochge
nutz, welches den Städtern nicht oft ge
boten wurde.
Als Wichmann und ich Ostern 1803
die Universität Göttingen bezogen,
wohnten wir im ersten Semester in
verschiedenen Häusern, blieben aber im
Berkehr unzertrennliche Freunde. Im
zweiten Semester zog auch Wichmann
in'S HauS Henle. Geiststraße 2, wo ich
bereits ein Semester gewohnt hatte.
Wir haben dort fünf Semester, welche
wir noch in Göttingen gleichzeitig der.
lebten, auch zusammengewohnt. In
diesem Hause sorgten der StiefclfuchS
Linne und feine Frau trefflich' für die
fünf Studenten, die sich bei ihnen nie
dergelassen hatten. Mit uns zusammen
wohnten dort unser alter Schulkamerad
Mathias und Herr Becker. Jeder hatte
, eine kleine, niedliche Puppenstube, wie
man sie in Göttingen als Studenten
buden vielfach findet, nebst Kämmerchen
daneben. Mein Stübchen war so klein,
daß ich. um mein Paletot anzuziehen,
erst das Fenster öffnen und einen Arm
auS demselben herausstrecken mutzte.
Trotzdem hauste ich sehr gemüthlich
dort, und wir alle konnten uns eine
bessere Aufwartung, als sie unS die im
mer freundliche und heitere Frau Lmne
gedeihen ließ, gar nicht wünschen.
Wichmann und ich hatten zwei anem
anderstoßende Zimmer, wir theilten
nicht nur Freud und Leid, sondern
auch unser Abendbrot, welches wir ab
wechselnd, bald auf der Bude deS einen,
bald auf der des anderen einnahmen.
Dasselbe war natürlich, wie eS bei
Studenten, die keinen grotzen Wechsel
haben, zu sein pflegt, kein luxuriöses.
Als Auflagen figurirten regelmätzlg die
weltberühmte Göttinger Mettwurst und
twaS Lederkäse. Unser Getränk war
Thee, den Frau Linne trefflich zu be
reiten verstand. Wir gehörten derselben
Verbindung an, während unser Schul
freund Mathias und Herr Becker in eine
andere eingesprungen waren. Dies hin
derte uns aber nicht daran, einander ab
und an zu besuchen und gemüthlich mit
einander zu plaudern. Mein Freund
Wichmann war in der Wahl seiner
Eltern Sutzerst vorsichtig gewesen. Da
fein Vater Gutsbesitzer war, versorgten
ihn seine Eltern oft. namentlich im
Wintersemester, mit angenehmen Kisten
und Packeten, die von unS beiden ge
meinschaftlich geöffnet wurden und die
köstlichsten Dinge für einen hungrigen
Studentenmagen enthielten. Leber
Würste. Fleischwürste. Rothwürste. Mett
würfte. sorgsam in Heu verpackt, wur
den von unS aus den köstlich duftenden
Kisten hervorgezogen, zuweilen beglei
tete ein Pfund Butter, ein vorzüglich
auSgebackeneS. ungeheures Landbrot,
, zuweilen sogar ein ganzer Schweine
' braten die Wurftsendung. . Ich war
natürlich stiller Theilhaber dieser
Wurftsendungen. Alles wurde dann
wieder vorsichtig in die Kiste versenkt
,-imd wir konnten wochenlang in den
Genüffen einer solchen Kiste schwelgen.
Vor unseren Freunden und Bekannten
hielten wir diese Wurstsendungen mög.
lichft geheim, um nicht in der Zeit, in
welcher wir an denselben zehrten, zu viel
freundschaftlichen Besuch zu erhalten.
EineS Tage? hatte Wichmann wieder
ine Kiste von ungeheuren Dimensionen
erhalten, wir hatten dieselbe mit grotzem
Behagen durchforscht und an dem Abend
desselben TageS einen Theil deS In
haltS bereits gekostet. Dann suchten
wir unsere Kneipe auf und kamen solide
noch vor Mitternacht nach Haus. Ge
gen zwei Uhr Morgens erwachte ich
durch ein Geräusch auf der Stratze. ich
... hörte meinen Namen rufen, öffnete
mein Kammerfenfter und schaute hin
Der Ämtagsgasi.
Jahrgang 20. Beilage zum Nebraska Ttaats-Anzeigcr. No. 47.
auS. Von der Stratze herauf ertönte
die Stimme meine Schulkameraden
Mathias. Feld", rief er, .wir haben
hier einen Kranken, der Deiner Für
sorge dringend bedarf. Mein Freund
Becker hat schon früher zuweilen bei
Nacht schwere Anfülle von Heißhunger
gehabt, die Anfülle verlieren sich leicht,
so bald der Kranke eine ganze Kleinig
keit genießt, sei es ein Häppchen Butter
brot oder eine Schnitte Wurst. Heute
Abend trat unterwegs, als wir von un
serer Kneipe kamen, der Anfall sehr
beängstigend auf und hat zu einer
vollständigen Ohnmacht geführt. Dir
als Sachverständigen werden die Krank
heitserscheinungen bekannt sein."
Ich stand damals erst im zweiten
Semester, hatte also noch so gut wie gar
keine medizinischen Kenntnisse, fühlte
mich aber doch durch dieS Vertrauen ge
schmeichelt.
Wir wollen." -fuhr Mathias fort,
den Kranken vorsichtig in seine Kam
mer tragen und zu Bett bringen, müs
fen aber, um dem qualvollen Zustande
ein Ende zu machen, für seinen Heiß
Hunger etwaS Eßbares auftreiben. Auf
seiner Stube sowohl wie auf der meini
gen ist nicht das Geringste vorhanden,
solltest Du vielleicht, der Du als Arzt
sür alle Fälle gerüstet bist, ein Stück
Brot und Wurst in Deiner Kantine ha
den? Du rettest dem Todkranken wahr
scheinlich daS Leben!"
Ich hatte leider nur noch einen har
ten. vertrockneten Brotknust in der
Speisekammer meines Sekretärs. Doch
durfte ich als Arzt meine Hülfe nicht
verweigern. Ich selbst habe auch nichts
auf meiner Bude," rief ich hinunter,
aber mein Freund Wichmann hat
gestern Morgen eine Kiste mit einigen
Vorräthen von HauS erhalten, ich will
ihn wecken, tragt unterdeß den Kranken
die Treppe herauf!"
Welch ein glücklicher Zufall!" rief
Mathias, wir kommen und bringen
den Kranken auf Wichmann'S Stube!"
Ich weckte Wichmann, der ebenso wie
ich ein mitleidiges Kerz hatte und gern
bereit war, dem Kranken auS der Wun
derkiste die ersehnte Labung angedeihen
zu lasten." ES erschienen in seiner
Stube außer unserem einstigen Schul
kameraden Mathias vier Verbindung?
brüder desselben, zwei von ihnen trugen
einen anscheinend leblosen Körper, wel
cher vorsichtig auf daS Sopha meines
Freundes niedergelassen wurde. Wir
hingen dem Kranken die dunklen Locken
in die bleiche Stirn, die Augen waren
geschlossen, der Mund schmerzhaft der
zogen, zuweilen hob ein Seufzer seine
Brust. Zunächst holte Wichmann eine
Flasche alten Korn, der diesmal die
üppige Wurftsendung begleitet hatte,
aus der Kiste hervor, dem Kranken
wurde vorsichtig ein Theelöffel dieses
Lebenselixirs eingeflößt. Er konnte
glücklicherweise noch schlucken. Die ftür
kende Arznei hatte einen zauberhaften
Erfolg. DaS Athmen deS Kranken
wurde ruhiger, ein friedliches Lächeln
umspielte seinen Mund. Nun wurde
sanft eine Scheibe Leberwurst in den
halb geöffneten Mund geschoben. Wirk
lich erfolgten jetzt deutliche Kau
bewegungen und Schlucken. Das Ge
ficht deS Kranken röthete sich, er schnalzte
jetzt deutlich mit der Zunge. Nach die
fern glücklichen Erfolge wurde ein gro
ßeS Stück Fleischwurft dem Unglück
lichen in den Mund gestopft. Zu un
serer großen Befriedigung setzten sich die
Kaumuskeln wieder in gleichmäßige
Bewegung. Mit einem guten Schnaps
glaS Korn wurde nachgespült. Das
Experiment glückte, der Kranke schluckte
offenbar den alten Korn schon mit Be
Hagen. B'cker schlug die Augen auf und
schien gerettet. ,
Inzwischen hatte der ungemcin gut
herzige Wichmann auch die anderen
Herren ersucht, die Vorrathe zu probi
ren. Nach einigem Zögern, daS mir
allerdings etwaS erkünstelt vorkam,
ließen sie sich dazu herbei. Ihr Appetit
erregte unsere Bewunderung. Nur wer
der Fütterung der Löwen im zo,logi
sehen Garten beigewohnt hat, kann sich
eine Vorstellung von diesem grotzarti
gen Appetit machen. Eine Wurst nach
der anderen verschwand, eS entschwand
daS mächtige Landbrot unseren stau
nenden Blicken, es schrumpfte der rie
sige, kalte Schweinsbraten immer mehr
zu einem lächerlich kleinen Reste zusam
men. Ter Kranke ißt jetzt tapfer mit.
Unser Schulkamerad Mathias schlug
nicht die schlechteste Klinge, die Futter
liste war so gut wie geleert. Plötzlich
kamen über mich leise Zweifel, ob die
Krankheit deS Herrn Becker wirklich echt
oder nicht vielleicht simulirt gewesen
sei. Fürchterliche Gewissensbisse quäl
ten mich, den Proviant meines Freun
deS verrathen zu haben. Ich schwankte
zwischen dem Gefühl erfüllter Pflicht
und dem Zweifel an die Wirklichkeit
der Krankheit. Jetzt erhoben sich die
gesättigten Kommilitionen. alle ge
schwollen wie die boa cemstrictor,
welche soeben einen Ochsen verspeist bat.
Mit großer Rührung, die mir aller
ding? keine natürliche zu sein schien,
sprach Mathias seinen Tank für die
wunderbare Errettung deS Kranken aus
sicherem Tode auS. Er und Becker, der
jetzt völlig wiederhergestellt schien und
einen Witz über den anderen riß. such
ten ihre Buden auf. Die anderen wur
den von unS die Treppe hinab geleitet.
ein herzlicher HSndcdruck. und sie
schieden unter der Versicherung, sie hoff
ten. sich bald für daS lukullische Mahl
revanchiren zu können.
Ich habe später als praktischer Arzt
zuweilen bei einer glücklichen Kur, bei
der das Verdienst, das ich mir um den
Kranken erworben, übermächtig geprie
sen wurde, in ähnlicher Weise daS Ge
fühl gehabt, als wäre die Krankheit,
die ich so leicht gehoben hatte, nicht so
schlimm gewesen, wie die Angehörigen
behaupteten.
Der Tempelherr.
Eine FastnachlSgeschichle von P. Kaldemey.
Und damit Du gleich weißt, Ge
liebte, unter welcher Maske Du mich
zu suchen hast, will ich Dir jetzt schon
sagen, daß ich morgen Abend daS
Kostüm eines Tempelherrn tragen
werde."
Ich komme als schwedische Bäuerin,
meine gelbseidene Schürze wird mich Dir
wohl sofort kenntlich machen. Aber,
Udo, wie bist Du in den Besitz des Tem
pelherrnkleides gelangt?"
Die Hauptstadt hilft mir aus der
Verlegenheit. Ich erhielt noch heute
von dem Maskenverleiher, an den ich
mich gewandt hatte, die Nachricht, daß
das Gewünschte pünktlich zur Stelle sein
würde."
Dann also auf Wiedersehen.
Schatz, morgen Abend. Wenn ich nicht
irre, sieht Frau von Wolter, die Etats
mäßige, sehr interessirt herüber; schein
bar hat die Unterredung zwischen
Herrn Leutnant von Götz und Fräulein
Eva Weftmark die von ihr als zulässig
befundene Zeit schon längst über
schritten."
Niemand wünscht dem Etatsmätziger
sehnlicher ein Regiment als ich, dann
verschwindet doch endlich sein Weib, die
alte Giftwurzel!"
Karl, ist eine Kiste für mich ange
kommen ?"
Zu Befehl, Herr Leutnant; ich habe
sie schon in'S Schlafzimmer gebracht.
Es ist doch sicherlich dem Herm Leut
nant fein Kostüm für den Maskenball
drin."
Richtig gerathen und weise gchan
delt! Wir wollen gleich auspacken, da
nur noch eine Stunde bis zum Beginn
des Festes fehlt, und der Herr Oberst
auch im Ballsaal auf Pünktlichkeit hält.
Also los. Kuckein!"
Wie die beide? Männer Leutnant
und Bursche so nebeneinander ftan
den, wußte man wirklich nicht, welchem
von ihnen man den Vorzug geben sollte.
Hoch gewachsen, mit dichtem blondem
Schnurrbart, ähnelten sie einander un
streitig etwas, nur daß die Erscheinung
des um einige Jahre älteren Offiziers
noch kräftiger und stattlicher war.
Kuckein vermochte kaum einen AuS
ruf der Bewunderung zu unterdrücken,
als er den Kistendeckel abhob und vor
seinen Augen das glänzende Kostüm
ein blanker Stahlhelm, Panzer, Schie
nen und der lange weiße Mantel mit
dem rothen Kreuz sichtbar wurde.
DaS muß dem Herrn Leutnant aber
prachtvoll stehen! Nicht mal der Herr
Oberst kann so fein aussehen."
Wer weiß! Doch hilf mir beim An
ziehen." Die Stahlschienen paßten wie ange
gössen. Nun kam der silbernschim
mernde Panzer an die Reihe.
Donnerwetter, der ist mir zu eng!
Das kann ich nicht aushalten. Ich er
sticke unfehlbar."
Die Schweißperlen standen den beiden
Männern auf der Stirn, als sie endlich
von dem vergeblichen Bemühen, den
Panzer zu erweitern, abließen.
Schreckliche Bilder tauchten vor dem
Auge deS jungen Offiziers auf. Was
sollte er machen ? Anziehen konnte er
dieses Kostüm nicht, ein anderes besaß
er nicht und vermochte auch keins bei
der Kürze der Zeit in dem kleinen
Städtchen aufzutreiben. Und wegblei
den unmöglicher Gedanke! Auf fein
Kommen rechnete nicht nur seine süße
Evi mit aller Bestimmtheit, sondern
auch ihr Vater der gestrenge Oberst
und Regimentskommandeur hatte
noch gestern den sehr deutlichen Wunsch
ausgesprochen. daS Offizierkorps voll
zählig auf dem Maskenball der Har
monie" zu sehen. Von höherer Stelle
war ihm wohl bedeutet worden, daß
man große? Gewicht auf das beste Ein
vernehmen zwischen Regiment und Bür
gcrschaft lege.
Plötzlich blitzte ein kühner Gedanke
durch das Hirn. deS Geängstigten.
Kuckein. sein Getreuer, mußte an seiner
Stelle das Fest bis zur Temaskirung
besuchen. Wenn er dann sofort den
Saal verließ und dafür sein Herr er
schien, brauchte niemals Jemand etwa?
von der Geschichte zu erfahren. Doch
was würde Evi sagen? Wie verwundert
mußte sie sein über daS eigenthümliche
Verhaltendes Geliebten! Denn beim
besten Willen konnte er doch seinen
Burschen nicht in ein Verhältniß ein
weihen, daS noch für alle Welt ein Ge
hcimnitz war. Aber dem Muthigen
hilft Gott; es muß glücken: und selbst
wenn Karl sie durch sein kühles Beneh
men ernstlich erzürnt, wird es mir nach
her schon gelingen, sie wieder zu ver
söhnen.
Kuckein!"
Herr Leutnant."
Kerl, Du mußt an meiner Stelle
auf den Maskenball. Du bist kleiner
und schmaler als ich, Dir wird das
Kostüm schon passen. Falls Du keine
Dummheiten machst und ich rathe
Dir dringend, die Eroberung, die Tu
Sonntags aus dem Tanzboden zu ver
zeichnen hast, nicht auch im Ballsaal zu
versuchen wird kein Mensch ahnen,
daß nicht ich in dem Tempelherrnkleide
stecke."
KuckeinS strahlende blaue Augen wei
teten sich bei dieser Eröffnung bis in'S
Ungeheuerliche. Er auf den Mas
kenball zu den feinen Leuten. Der
Schreck zog ihm durch alle Glieder.
Freilich, bei seinen Bekannten, da galt
er für einen Schmerendther und Don
Juan, aber hier! Doch waS sollte er
machen, er war Soldat und mußte ge
horchen.
Zu Befehl. Herr Leutnant."
Dann also rasch los! Es ist schon
dreiviertel vor acht Uhr. In zehn Mi
nuten mußt Du auf dem Wege sein.
Geh' in Deine Kammer und zieh Dich
an. den Mantel werde ich Dir umhän
gen. Doch noch eins! Sobald ein
Tusch geblasen wird das ist nämlich
das Zeichen- zum Abnehmen der Mas
ken verläßt Du den Saal und eilst
so schnell wie möglich nach Hause. Ich
komme dann an Deiner Stelle in mei
ner Uniform."
Jawohl Herr Leutnant."
Kuckein schüttelt die Schneeflocken vom
Mantel und betritt hochklopfenden Her
zenS den Ballsaal.
Hei, wie die Geigen und Flöten
schrillen und 'jauchzen. In wirrem
Durcheinander der Menge Masken.
Pierrots, groteske Luftsprünge machend,
Schornsteinfeger, Ritter und Mönche
haften vorüber. Ein Bärentreiber mit
seinem plumpschreitenden Meister Petz
wird von einer Schaar künstlich zer
lumpter Kinder umtanzt. Dort kosen
Faust und Gretchen zusammen, wäh
rend Mephisto sich vor Lachen schüttelt.
Das ist ein Suchen und Haschen, Necken
und Scherzen, begleitet von einem
ohrenzerreißenden Lärm, als ob die
Hölle entfesselt wäre. Und wirklich
laufen auch einige winzige Teufel
umher, nach armen Seelen lechzend.
Papierschlangen fliegen durch die Luft,
begleitet von einem wahren Confetti
Regen.
Geblendet, schließt Kuckein die Angen.
So etwas hatte er noch niemals ge
sehen. DaS war ja wie aus einer
anderen Welt. Selbst im Theater, wo
er neulich gewesen, ging es nicht derart
lustig zu.
Du auch hier?"
Eine Pfauenfeder kitzelt ihn an der
Nase und weckt ihn aus seinen Träu
mereien. Erschrocken blickt er auf und
gewahrt eine Pirette, die ihm schel
misch mit dem Finger droht. Um des
Himmels willen, die hatte ihn erkannt,
das könnte ja reizend werden. Sicher
lich des Landraths Stubenmädchen
die auch ihre Herrin vertreten mußte.
Denn die nannte ihn oftmals Du".
Ja. ich bin hier. Aber eS darf;
Keiner wissen. Verrath mich deShal)
nicht. Am Sonntag tanz ich dann du
für immerzu mit Dir."
Am Sanntag? Warum nicht
heute?"
Verwundert schüttelt sie das schellen
klingende Köpfchen. Doch ehe er ant
warten kann, ist sie ihm schon ent
schlüpft und im Gewirr entschwunden.
Merkwürdig," murmelt er vor sich
hin, die Lina ist ganz anders wie
sonst."
Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihm
aber nicht, denn eben umspringen ihn
die kleinen Teufel und trommeln mit
ihren Händen auf seinem Stahlpanzer
herum.
Na. wenn der eine Beule kriegt,
dann Gnade mir Gott!"
' Vergeblich sucht er sich seinen Peini
gern zu entziehen, die ihn immer von
Neuem umkreisen. Endlicd lassen sie
von ihm ab, und hochaufathmend eilt
er in jenen lauschigen Winkel, der
auS Palmen und Orangenbäumen ge
bildet ist.
Auch hier nickt allein, schon wieder
eine Maske."
Eben ist er im Begriff umzukehren,
als die hohe, schlanke Gestalt im Kostüm
einer schwedischen Bäuerin ihm den Weg
vertritt und seine Hand erfaßt.
I Endlich! Ich warte fast eine Stunde
auf Dich!"
Schon wieder eine, die ihn Tu
nannte. Kannten ihn denn alle Mas
ken und glaubten ihn duzen zu dürfen?
Das wollte er aber seinem Leutnant
melden. ,
Warum antwortest Tu mir nicht,
habe ich Tir etwas gethan?" flüsterte eS
in innigem Tone an fein Ohr.
Ein stummes Kopfschütteln war der
ganze Bescheid.
Wieder streichelte ein weiches Hünd
chen seine derben Fäuste, die glücklicher
weise in großen Ritterhandschuhen steck
ten. Dazu tänen an sein Ohr die
süßen, schmeichelnden Klänge der
Donauwellen", gemischt mit dem fröh
lichen Lärmen der Masken. So be
kommen fühlt er sich, daß er fast zu
schwanken anfängt.
Udo. ws ist Dir?"
Nichts." ertönt eS halblaut unter
der Maske, während ein scheuer Blick
die zierliche Gestalt streift.
Du sagst mir kein liebeS Wort, so
hab ich Dich noch niemals gesehen,"
flüsterte es von Neuem an seinem Ohr.
Nenne mich wenigstens einmal mit
dem trauten Kosenamen Goldschatz."
Goldschatz", klang eS dumpf und
fast schüchtern zurück.
Bist Du krank, Udo?
Wieder nur ein Kopfschütteln.
Wenn Du mir jetzt nicht gleich deich
test, was Dir ist, brauchst Du Dich den
ganzen Abend nicht weiter um mich zu
kümmern. Dann bekommt Leutnant
Perschke auch den Tischtanz."
Doch selbst diese Drohnung entlockte
dem schweigsamen Tempelherrn keine
Silbe, so daß sich die beleidigte Schöne
wortlos abwendete, um bald darauf mit
einem Schornsteinfeger die Runde durch
den Saal zu machen.
Aengftlich starrte Kuckein ihr nach:
Ach, wenn doch endlich der Tusch
geblasen würde!"
Und endlich wurde er geblasen.
Allerdings dauerte dem armen Kreuz
ritter noch viel zu lange, war eS ihm
doch einmal sogar, als ob der Herr
Oberst sich an seinem Arm gehangen
hatte.
Mit einem Seufzer der Erleichterung
verließ der Bursche die Gesellschaft und
eilte unbemerkt nach Hause.
Fünf Minuten später betrat Udo von
Götz in Uniform den Ballsaal. Auf
merksam spähte er umher. Richtig,
dort stand ja die Geliebte mit dem
eitlen Perschke. den er niemals recht
leiden konnte. Na. den, wollte man
schon wegbekommen!"
Guten Abend, mein gnädigstes
Fräulein."
Geruhen der Herr Tempelritter mit
dem Wechsel des Ordenskleides auch
eine andere Miene aufzustecken?" klang
es merkwürdig kühl zurück.
Erstaunt blickte Leutnant Perschke
ob des zwischen den Beiden ungewohn
ten ToneS von einem zum andern.
Munkelte man doch im ganzen Regi
ment von einer nahe bevorstehenden
Verlobung, und nun eine derartige Be
grübung. Jedenfalls war es da besser,
sich bei Zeiten zu drücken, als die Rolle
des unbetheiligten Dritten zu spielen.
Mit einer tiefen Verbeugung trat er
zurück.
Evi. mein Lieb, warum so verän
dert?"
Vor Kurzem fragte ich dasselbe, er
hielt aber keine Antwort; deshalb wirst
Du wohl nichts dagegen haben, wenn
ich nun für den Rest des Abends diese
Miene beibehalte."
Aber laß Dir erzählen "
Ich will nichts hören. Zudem be
ginnt gerade der erste Walzer, und den
tanze ich mit Perschke."
In einem Zwiespalt der Empfin
düngen blieb Udo zurück. Er mußte
sie auf der Stelle versöhnen, ihr Alles
beichten, eher hatte er keinen ruhigen
Angenblick.
Eben wurde sie von ihrem Tänzer
auf den Platz, wo sie gestanden, geleitet.
Mein süßer Goldschatz."
Verstohlen suchte Udo der Geliebten
Hand.
.Aha, jetzt kann man das alte Kose
wort wieder zärtlich flüstern, vorhin
aber, als ich darum bat. besannen sich
der Herr Tempelritter gnädigst fünf
Minuten lang, ob es nicht unter seiner
Würde wäre, mir diese? Wort zu gön
nen."
Hat er e? denn wirklich gesagt?"
kam es athemlos von Udos Lippen.
Koirische Frage! Das mußt Tu
doch am besten wissen."
Ein mübsam unterdrückte? Lächeln
hukchte um des jungen Offiziers Lippen.
Em." begann er dann in ernstem
Zone, ich da? auf Tich und Deine
Liede zu mir. TaS ist die feste Brücke,
die meiner Beickte den Weg zu Tir
bahnen toll. Wenn Du noch da? alte
Vertrauen zu mir hast, dann reiche mir
jetzt Teinen Arm. damit ich Tich in
jenen lauschigen Winkel geleite und Tir
dort meine Schuld gestehe."
Eine Minute kämpfte Eva mit sich,
doch ein Blick in die flehenden Augen
deS Geliebten genügte, um seinem
Wunsche zu willfahren.
Höre denn. Herzlich, waZ ich Tir
zu sagen bade. Nicht ich war der Tem
pelrittcr, sondern ein Anderer nüm
lich mein getreuer Bursche."
Erschrocken wollte da? junge Mädchen
bei dieser Eröffnung in die Höhe sah
ren. doch ein sanfter Truck des Offiziers
hielt sie zurück.
Sieh nicht so furchtsam aus. da?
macht mich traurig. Evi. Tie ganze
Sache war wirklich kein Scherz, ich
mußte mir nur nicht anders zu helfen,
da mir da? Kostüm nicht paßte und ich
nicht fehlen durfte. Bist Tu mir nun
noch böse?"
Aber was soll der Bursche denken
wegen des Kosenamens? Ich schäme
mich schrecklich!"
Tazu hast Tu keine Ursache, mein
Lieb, denn ersten? denken Burschen
überhaupt nicht viel, und zweitens weiß
er ja nicht einmal, wer Du gewesen.
Und wenn eS Dir recht ist. süße Evi,
drn erzählen wir an unserem Ver
lobungstage der hoffentlich nicht
mehr fern ist gemeinsam dem braven
Kuckein, wer sein Goldschatz" ge
Wesen."
Evi erwiderte nichts. Aber eZ war
allerliebst zu sehen, wie sie ihm zärtlich
zulächelte, und wie sie eng in feinen
Arm geschmiegt im Tanze dahinflog.
Sin unliebsame Ueberraschung.
Das Lambert'sche Ehepaar, so schreibt
man aus Pari?, da? in der Rue St.
Anne ein flott gehende? Delikatessen
geschäft betreibt, hatte e? durch Fleiß
und Sparsamkeit dahin gebracht, einen
hübschen Refervefond? in Höhe von 15,
000 Franken bei Seite zu legen. Zu
ihrem großen Mißvergnügen mußte
Mme. Lsmbert bemerken, daß ihr
Gatte, um feinen Vergnügungen
außerhalb de? Hauses nachgehen zu
können, in letzter Zeit allzu häufige
Anleihen bei ihrer Sparkasse mache.
Um dieser Verschwendung ein für alle
Mal einen Riegel vorzuschieben, that sie
kurz entschlossen das Geld in einen llei
nen Lederkoffer, den sie sorgfältig in
einer Nische ihres Keller vzr.öarg. Ihr
geheimer Schatz bestand in 12,000 Fr.
guter Obligationen und Bankbillets,
die zum Ausgeben bestimmten Gold
und Silbermünzen lagen zierlich ringe
rollt daneben. Da Frau Lambert
kürzlich zur Begleichung einer Rechnung
300 Franken benöthigte, zog sie nach
Wochen ihren Tresor wieder einmal an?
Tageslicht, prallte aber entsetzt zurück,
al? nur noch das klingende Metall vor
Handen, die papierenen Werthe aber bis
auf wenige, unkenntliche Fetzen ver
schwunden waren. In ihrer Bestürzung
eilte sie spornstreichs zu dem Polizeikom
missar ihre? Reviers und klagte ihm
unter Thränen ihr Leid. Also nur
am Papiergelde hat man sich vergrif
fen?" forschte der aufmerksam zu
hörende Beamte. Hätte man mir
da? Gold vielleicht auch noch nehmen
sollen, dessen ich zur Einlösung der
heutigen Tratte so dringend bedarf?"
erwiderte erregt die fassungslose Frau,
und brach mit dem nachdenklich drein
schauenden Kommissär nach dem That
orte uf. Hier hat e? sich ein Ratten
paar bequem gemacht." belehrte der ge
wiegte Polizist feine jammernde Beglei
terin. durch diese Spalte ist e? etnge
drunden, und dort hat e? unverkenn
bare Spuren seiner Anwesenheit zurück
gelassen." Eine ans Tragische gren
zene Szene soll sich zwischen Herrn und
Madame Lambert abgespielt haben, als
Letztere ihrem Gatten eine Beichte über
den Verbleib der langjährigen Erspar,
nisse ablegen mußte.
Die Kunst des Gleichgewichts.
Ein biederer Jrländer wollte auch
Radfahrer werden. Er ging hin und
kaufte sich ein Zweirad. Zuerst, dachte
er sich., heißt es. Gleichgewicht erlernen.
Es verging Woche um Woche, da fragte
ihn ein Bekannter, wie es denn mit dem
Radfahren gehe.
Ach, erinnere mich nicht daran. Ich
konnte mich nicht einmal beim Still
stehen im Gleichgewicht erhalten, da
kann doch vom Fahren noch keine Rede
fein."
Hoffentlich sieht der biedere Jrländer
heute schon klarer in dieser Sache.
Heywood'ö Wtt.
Der lustige englische Epigrammen
dichter John Heywood (fl520) wettete
einmal, daß er in noch nicht fünf Mi
nuten einen Schuh machen werde.
Keiner glaubte es. und schließlich kam
eine hohe Wette zu Stande. Heywood
zog sich nun einen seiner Stiefel aus,
nahm ein Messer aus der Tasche und
schnitt den Schaft ab, so daß das Leder
nur bis an den Knöchel reichte. So
war aus dem Stiefel ein Schuh gewor
den, und Niemand konnte leugnen, daß
er einen Schuh gemacht hatte; auch war
die ganze Prozedur in wenigen Minu
ten erledigt. Alle Bedingungen waren
somit erfüllt, und Heywood hatte die
Wette gewonnen.