Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 08, 1900, Image 10

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    Der westfälische Schinken.
Hu!kI!tS?k VSN lUg(!l 'OlSm.
.Tante Aglaja ift doch eine gu:e
Tanle!"
Eine famv't Frau!"
So und noch mehr riefen wir auS,
als der prächtige Schinken vor unZ lag.
den Frau Aglaja ZidurtiuS aus dem
Lande der rethen lzrde. die Zante mei
ner grau. unS gesandt hatte.
.Ein prächtiger Schinken, ein Icpi
taler Schinken!"
.Ja. wirklich ein herrlicher Schinken!
Weißt Tu. den koche ich in Burgunder
und lade Gäfte dazu ein!"
.Ich denke nicht daran." erwiderte
ich aufbrausend auf diesen Porschlag
meiner Frau, .Tu hast die eigenthüm
liche Manie, alleZ Gute. daS unS inS
HauS hereinschneit, von fremden Leuten
aufzehren zu lassen! AIS ob wir solche
Banausen wären, nicht selbst daS Gute
für Zunge und Gaumen auch schätzen
zu können. Sei so gut, liebe Fränzel.
und schneide diese Perle eines weftmil
fchen -chinkenS für unSganz allein
auf! Hörft Tu. für unS ganz allein!
Ich bin sogar nicht einmal dasür, daß
daS ,Mädchen davon bekommt. Ein
Tienftbote weiß solche Telikatesse gar
nicht zu schätzen! Na ja, ich weiß ja.
waS Tu sagen willst: In Teinem Hause
bekomme das Dienstmädchen von allem
ab. waS die Herrschaft esse! TaS ift ja
recht gut und schön im Prinzip. Ader
jede Regel hat ihre Ausnahmen, und
ich meine, daß Tu nicht gerade mit
diesem kostbaren Schinken das Mädchen
voll zu süttern brauchst; Tu wirft dem
Mädchen gar keinen besonderen Gefallen
damit thun. Solche Delikatessen ver
stehen Dienstboten gar nicht zu würdi
gen; die essen den ebenso wie ganz ge
wöhnlichen Schinken, ohne besonderen
Verstand und Vernunft!"
.Na, ich dächte wohl, nun hast Tu
genug geredet." unterbrach meine Frau
meinen Redestrom. .Tu weißt, lieber
Mann." fügte sie hinzu, daß ich in
WirthschaftZangelegenheiten allein be
stimme und alle Topfguckereien nicht
leiden kann. Tu wirft von dem Schin-
ken zu essen bekommen, so oft ich es für
gut halte. Und damit basta!"
Sag' mal. Fränzel." rief ich meiner
Frau, die den prächtigen westfälischen
Schinken beim Wickel nahm und ihn in
die Speisekammer tragen wollte, noch
nach, wieviel soll ich Tir da nun eigent.
lich von Teinem Wirthschaftsgelde ab
ziehen für diesen Schinken?"
. Nichts, mein lieber Mann! Ten
Schinken hat Tante Aglaja mir ge
schickt, und was ich dafür am Wirth'
schaftsgelde erspare, geht in mune
Kasse!"
Ich weiß nun nicht, lieber Leser, ob
Du eben solch' ein Freund eines guten
westfälischen Schinkens bist wie ich, und
ob Tu es mir daher nachfühlen kannst,
wie sehr ich mich schon aus den ersten
Happen von dieser Delikatesse freute,
und wie groß meine Enttäuschung da
her war, als zum Mittagessen nicht
Schinken in Burgunder, fondern Enten
braten auf dem Tisch des Hauses
Prangte.
Ich muß wohl ein sehr verblüfftes
Gesicht gemacht haben, als die Ente
aufgetragen wurde, denn meine Frau
fühlte sich verpflichtet, mir das Erschei
nen dieser Ente mit den Worten zu er
klären: Tu mußt schon Teine Schi
kenbegier noch ein enig zügeln! Ich
kann des Schinkens wegen doch nicht
die Ente, die ich gestern gekauft, fort
werfen!" Na ja, das ist ja wahr; das sah ich ja
auoz ein. Jcy flurzle micy aber nun
mit um so größerer Wuth auf den
Entenbraten und aß, so viel ich nur
irgend konnte, davon, denn ich dachte
bei mir. wenn davon noch viel übrig
bliebe, sehe ich sobald von dem Schin
ken noch nichts auf dem Tische. Meine
gute kleine Frau mochte denn auch sehr
bald die Ursache meines ungewöhnlichen
Entenappetits errathen haben, denn
sie glaubte mich mit den Worten be
ruhigen zu müssen: Heute Abend wirst
Du von dem Schinken bekommen!"
Endlich war der große Augenblick
gekommen. Tie Perle aus Westfalen
prangte auf der Abcndtafel. Meine
Frau schnitt die Rinde ab und legte
dann einige Scheiben auf die Schüssel!
.Du, Fränzel, der sieht köstlich aus!.
Deine Tante Aglaja ist doch eine vor
zügliche Frau! Sag' mal, haft Tu
Dich auch schon bedankt?"
Nein, ich will morgen einige Kuchen
Plätzchen backen und sie der Tante als
Revanche schicken; ich weiß, die schmecken
ihr immer so gut! Ich habe bereits
alles dazu eingekauft. Der Schinken
scheint wirklich prächtig zu sein; hier.
' nimm einmal diese Scheibe!"
Die erste Scheibe des köstlichen
Schinkens lag auf meinem Teller, zwar
nur eine kleine Scheibe von der Spitze,
aber doch prächtig anzusehen; so zart
und gar nicht durchwachsen, vollsafti
gcs, kerniges Fleisch!
Ich nahm mit Behagen einen Hap-
pen in den Mund,
.hm. hm!"
Meine grau sah aus. Nun. wie
schmeckt der Schinken? Tu bist ja so
stumm?" fragte sie.
Hm. Fränzel, wolltest Tu nicht
dem Mädchen auch etwas von dem
Schinken geben? Gieb doch, bitte, die
ersten Scheiben hinaus! Ter Schinken
scheint an der Spitze sehr gesalzen zu
sein!"
Meine Frau kostete. Brrr!" machte
sie und mußte das Stückchen, das sie
genommen, wieder ausspcien. Deri
ist h nicht zu genießen! Ter Schinken
ist ja ganz versalzen'." rief sie aus.
.Na. doch hoffentlich nur die Spitze!"
erwiderte ich. sie und mich tröstend. .
Meine Frau schnitt noch einige Schei
den ad. kostete und gab mir dann mt
der zu kosten. Ader der Schinken blieb
so versalzen wie die erste Scheibe.
Nun. eS half nichts! Die Freude über
den westfälischen -chinken war nur eben
ganz gründlich versalzen worden. Ich
nahm mir ein paar Scheiben und aß
mit Todesverachtung. Meine Frau
ad einen ausgehäuften Teller voll da
von hinaus in die Küche; das Mädchen
mochte glauben, meine sonst so wlrth
schaftliche Gattin sei plötzlich der
Himmel verhüte eS! geisteskrank ge
worden. Wir saßen stumm bei Tisch und
spülten den verfalzencn Schinken, so
gut es ging, mit Bier herunter. Meine
Frau schnitt ganz dünne, durchsichtige
Scheiben, das versteht sie nach der ein
stimmigen Meinung aller Dienstboten.
die wir jemals hatten, ganz Vortreff
lich. aber auch von diesen Transparent
fchkibchen brannte unS die Junge ganz
entsetzlich.
Nach der Abendmahlzeit wollte keine
rechte Stimmung bei unS aufkommen.
Mich hatte die Schinkenenttäuschung
doch zu sehr mitgenommen. Dazu
brannte mir noch furchtbar die Zunge,
und ich machte schließlich meiner Frau
zur Aufheiterung der Stimmung und
zur Kühlung der Zunge den Vorschlag,
noch m ein Restaurant zu gehen.
DaS thaten wir denn auch, und ich
muß gestchen, daß ich mich nicht er-
innere, jemals vorher eine so ansedn
liche Quantität Bier durch meine Kehle
gegossen zu haben, als an diesem Abend,
Ja, als wir in unser Heim zurückge,
kehrt waren, hatte ich schon wieder Durst,
und ,ch sagte zu meiner Frau: Frän-
zel. ich könnte wohl noch einen Schluck
Bier vertragen!
Meine Frau klingelte nachdem Mäd
chcn. Marie, bringen Sie noch eine
Flasche B:er herem!"
Es ist keines mehr da, gnädige
rau:-
Aber, Marie, es waren ja noch drei
Flaschen Bier m der Speisekammer!
Ja, gnädige Frau, der Schinken
war so gesalzen, und da mußte ich "
JÄ mußte mit einem Gelächter her
ausplatzen, was i'caue venutzte, um
möglichst schnell zu verschwinden.
Am anderen age meinte meine
wirthschaftliche Gattin, es würde wobl
für ihre fowohl wie für meine Kasse
entschieden sparsamer sein, wenn sie die
Perle aus Westfalen so nicht wieder
auf den Tisch bringe. ' Es sei doch
besser, den Schinken in Burgunder zu
lochen; da werde wohl da Salz her
auskochen.
Ja. Fränzel." antwortete ick. ..thue
daZ. Ader Tu wolltest 1a Gäste zu
uns bitten. Weißt Tu. getheilter
chmcrz ist nur halber Schmerz! Tann
sind wir den Schinken eher , los. Wir
können ja Licgenmais einladen, die
find nicht besonders wählerisch im
Essen, und den kleinen Müller mit sei
ner Frau, die. uns im Jahre einen
alten, zähen Gänserich vorsetzten. Dann
können wir vielleicht noch meinen Kolle
gen Lenz bitten und den Tr. Hiller. die
ja durch das Restaurationscssen auch
nicht allzu verwöhnt sind!"
Meine Frau war mit dieser Lifte ein
verstanden; ich schickte die Einladungen
aus, und da alle die Eingeladenen bei
uns besser zu essen gewöhnt sind, als
bei sich oder in denReftaurants. in denen
sie speisen, so nahmen sie mit Vergnü
gen die Einladung an. Keine einzige
Absage kam. worüber ich mich übrigens
sehr freute, denn erstens glaubte ich
wnlilly recht gastfreundlich zu sein,
und dann auch rechnete ich mir schnell
aus. daß da allzu viel von dem West
fälischen Schinken nicht mehr übrig
bleiben würde. Ten Rest könnte ja
dann meine Frau dem Dienstmädchen
geben, nachdem sie freilich vorher das
Bier verschlossen haben würde.
Der Abend unserer Gesellschaft' rückte
heran und mit ihm unsere ,Gäste. alles
liebe, gemüthliche Leute, die ich sehr
gern habe, und mit denen man nicht
allzu viel Faxen und Komplimente zu
machen braucht.
Liebe Freunde, Ihr sollt uns einen
prächtigen westfälischen Schinken et
zehren helfen, den uns die Tante mei-
ner Frau, die gute liebe Frau Aglaja
Tiburtius, aus dem Lande der rothen
Erde gesandt, einen prächtigen Schrn
ken. Ihr liebt doch Schinken in Buv
gunder?" So redete ich meine Gäste an,
Kollege Lenz schnalzte laut mit der
Zunge, während mir die anderen Gäste
in artiluurterer Weise meine Frage zu
stimmend beantworteten.
Ich ziehe nämlich," fuhr ich verteil'
gend fort, die westfälischen Schinken
den Prager und den holsteinischen vor,
Sie sind entschieden kräftiger im Pökel.'
Marie, welche mit der Perle aul
Westfalen hineintrat, unterbrach meine
kulinarischen Ausführungen. Ich sah
meine grau an; das arme Rind saß in
surchlvarer Erregung da. denn kurz be
vor wir Platz genommen hatten, hatte
sie mir noch zugeflüstert, daß auch das
Kochen im Burgunder wenig genützt
habe, der Schinken fei gerade so unge
meßbar wie zuvor. Ich dagegen be
wahrte meine ruhige Haltung und be
obachtete mit stillem Vergnügen, wie
der kleine Müller, der in ganz großer
Fresser ist. sich die drei umfangreichsten
Scheiben heraussuchte und auf seinen
Teller legte.
Endlich war Marie mit der Tisch-
runde fertig, und wir ßen. Ich wagte
erst nicht auszublicken, und ali ich dann
schüchtern zu meiner grau hinüber
schielte, gabelte und schnitt diese eisriz
an einem kleinen Stückchen Schinken
herum, ohne einen Blick vom Teller
zu wenden. Sie war ganz roth im
Gesicht und schien in furchtbarer Auf
regung zu fein, als ob sie jeden Augen
blick eine schreckliche Explosion be
fürchte.
Und diese trat denn auch sehr bald
ein. Tie Stille, die unwillkürlich bei
jedem Eaftmal zu herrschen pflegt, wenn
die ganze Tafelrunde zu esien anfängt.
wurde plötzlich durch den kleinen Müller
unterbrochen, der einen furchtbaren
Huftenanfall bekam. Puterroth im
Gesicht und mit der einen Hand das
Taschentuch vor den Mund pressend,
saß er da und geftikulirte mit der ande
ren Hand, indem er bald auf den Teller
zeigte, bald auf sich selbst.
.Aber, Müller, ift Tir etwas in die
unrechte Kehle gekommen? Armer Kerl,
wie Du hustest!"
Nun aber waren die Zungen gelöst!
.Ter Schinken ist allerdings etwa?
start im Pökel!" meinte Liegenmaier.
.Ja. Tu mußt schon verzeihen, lie
ber Freund." sagte Lenz, .ich kann den
beim besten Willen nicht, essen; Tu
weißt ja. ich muß vorsichtig sein: mein
Magen, der Arzt hat mir verboten!"
Ich auch nicht." sagte Tr. Hiller.
Messer und Gabel hinlegend, die
paar Haare, die ich auf dem Kop
habe, möchte ich doch gern behalten
Ich darf so scharf gewürzte Sachen
nicht essen!"
Endlich hatte der kleine Müller feine
Haltung wiedergewonnen. .Ter schrei
liche Husten," entschuldigte er seine Stöl
rung.daßderSchinken'so scharf gesalzen
sein würde, habe ich doch nicht geahnt.
Ich nahm gleich ein sehr großes stuck.
Vorsichtig geworden, nahm er nun ein
kleineres Stück, um auch sofort von
neuem wieder mit einem Huftenanfall
herauszuplatzen. Tann aber gab
den Widerstand gegen den Schinken
auf.
Tie anderen Gäste hatten schon vov
her die Messer und Gabeln m den
Ruhestand versetzt, während ich mit
Todesverachtung weiter zu essen ge
zwungen war, da meine Frau die
kräftige Pökelung" des westfälischen
Schinkens mit den Worten: Ja, mein
Männel liebt den Schinken so gef a
zen!" entschuldigt hatte, welcher En
schuldigung sie die Bitte anschloß, daß
sich die lieben Gäste dasür am zweiten
Gange schadlos halten mögen, der lh
nen hoffentlich besser munden werde
Und die lieben Freunde hielten sich
schadlos. Ter kleine Müller meinte
er müsse nun zeigen, was er leisten
könne, sonst denke die Gastgeberin am
Ende, daß ihre Küche ihm nicht behage
und sei verletzt." und nun asz er
darauf los als wenn er dafür bezahlt
bekäme, und die Anderen folgten.
lediglich um uns nicht zu beleidigen
nach besten Kräften seinem Beiipiele,
Ich wagte kaum, mir em Stückchen
aufzulegen, aus Furcht, es könnte für
die Gäste nicht mehr reichen, und es war
wirklich recht knapp, denn meine Frau
hatte ja darauf gerechnet, die Gäste
würden den ersten Hunger mit dem
westfälischen Schinken stillen.
So stand ich denn hungrig vom Tisch
aus und hatte das Gefühl, daß es mei
ner Frau ganz ähnlich gehe, denn auch
sie hatte ich nicht viel essen sehen.
Endlich waren die Gäste fort.
Nein, wie ich mich über den Schin
ken ärgere!" rief meine Frau aus, als
die Gäste nocd auf der Treppe waren
Fast der ganze Schinken ist noch da!
Und nun bereden uns noch Liegen
maiers und Müllers, daß wir ihnen
versalzenen Schinken vorgesetzt haben!"
sag mal, Fränzel." sagte ich.
haft Du nicht noch irgend etwas in der
peifekammer für mich da? Ich habe
entsetzlichen Hunger!
Ich will einmal nachsehen. Ja.
Männel, die Kuchen, die ich für Tante
Aglaja gebacken habe, ich wollte sie mor-
gen abschicken!"
Her damit, Fränzel! Die Kuchen
kriegt sie doch nicht! Um Gottes willen
chicke ihr nicht einen Kuchen! Sie
könnte auf den fürchterlichen Gedanken
kommen, uns wieder einen Schinken zu
senden:
Wir hatten gerade an einem Schin
ken genug!
Wie er sein Ende eigentlich erreichte,
weis; ich nicht zu berichten. ,
Als meine Frau am anderen Tage
dem Dienstmädchen davon geben wollte.
drohte Marie, sofort den Dienst zu btr
lassen, wenn sie kein anderes Essen be
käme, da sie sich, wie sie sagte, nach dem
Schinken todt trinken müßte.
Ich nahm keinen Bissen mehr davon;
aber verwendet wird ihn meine Frau
wohl haben, denn Fränzel ist eine sehr
praktische Hausfrau, und in ihrer
Wirthschaft darf nichts umkommen.
Gefragt habe ich auch nicht mehr nach
dem Schinken, aus Furcht, er könnte in
irgend einer Gestalt wieder auf den
Tisch kommen. Entsetzlicher Gedanke
Verkettungen.
Novolletie von A. Friedman (Berlin).
Im Norden , Berlins, da wo sich
Acker und Berg-Straße wie zwei Flüsse
in die Elfasser Straße stürzen, tobt das
Kindergeschrei. Eine laute, wüste Ju
gend, die den Tag über in der Schule
sich abmüht, wälzt sich des Abends int
Spiel und Kampf auf den staubigen
Gassen im kalten Schnee und Eis, und
brin:t rrisiene Kleider und all' die
Bazillen mit schönen Namen in'S El
trrnhauZ.
Im vierten Stock eine? der wo'.ken
kratzenden Zinshäuser hatte sich ein
junge? Arzt ohne Praxis und Vermögen
m ein spanl'ches
um sich auf einem
luftiren.
Kostüm geworfen
Maskenball zu
er
.Franz Korn. Tr. med.. Tu kannst
Tir das wahrlich einen Abend in der
Woche, ach was. im Monat, im Jahre
gönnen. Von frühester Jugend au
haft Tu Tich geschunden und geplagt.
Kollegia gehört. Leichen sezirt. Pra
parate gemacht, nichts als Noth und
Elend Anderer und Teiner selbst ge
sehen wozu sich in kurze Spanne
Jugend verkümmern und nicht eine
Stunde austoben?"
Er sah sich im Spiegel wohlgefällig
an. denn er war ein hübscher junger
Bursche mit dem modischen, sich au
märt? kräuselnden Schnurrbart, den
treuen, blauen Augen, und ordnete
noch an seinem einem Händler entliehe
nen Anzüge. Tie Eammetkappe stand
ihm vortrefflich auf den hellen Locken
Jacke und Beinkleid hoben seine ge
schmeidigen Formen und der Fuß saß
klein und zierlich im seidenen schuh
Ein wallender Mantel lag aus einem
Sessel.
Bah." sagte Franz Korn. eS ist
noch zu zeitig. Tu kannst Teine bau
äugen galten ein wellen noch .n
wenig zusammenlegen."
und er ergriff ein Bucy. das idin in
der Frühe ein Studienfreund geliehen
Eine viel aufgeführte moderne Mäv
chen Komödie eines Fin-de-siecle
Shakespeare. Toktor Korn begann zu
lesen. Er dichtete hier und da selbst
und so war er für Schönes empfäng
lich. Tie Stunde floh die Stunden
rollten hinab in den schooß der Ver
gangcnhcit. der Vergessenheit eS
schlug Mitternacht.
Erstaunt klappte er daS Buch zu und
erwachte wie aus einem Traum. Er
rieb sich die Augen. Nein, es war kein
Zweifel! In fremdem Leid und An
derer Freud' hatte er fein eigen Leidens
dasein vergessen. Und morgen früh
wieder um 6 Uhr aufstehen' Hatte er
nicht miterlebt, was er gelesen? Konnte
ihm so Schönes auf dem Balle werden
den man stets phantastisch ausgeschmückt
besucht, und von dem man immer tnt
täuscht zurückkehrt? Er beschloß, nicht
mehr auszugehen. Re ignirt setzte er
sich an seinen Schreibtisch und faßte
feine Gedanken in ein schnell entstehen
des Sonett zusammen:
Ich war bereit, zum Maskenball zu
geh n,
Als Ton Juan, gestutzt und bunt vcv
kleidet.
Ich sah sie schon, vom Frauenschmarm
umneidet.
Tie sich mit mir im Tanze sollte
drch'n!
Tie 'Töne hört' ich rauschend mich
umweh n.
Sah Räthsel kommen, wann ein Räth
s fel scheidet,
In Lust versank, um was mein Herz
nun 'leidet.
Da blieb vor einem Buch ich sinnend
steh'n.
Ich schlug es auf, und vor den
Blicken rollte
Ein Bild sich hin. so mie's der Dichter
i wollte.
Umschlang mich fest und hielt mich
stumm gefangen.
Ich jauchzte, weinte mit den Traum
-Gestalten,
Zwar wollt' ich fort; doch war ich fest
gehalten,
Und Nacht und Maskenball war längst
vergangen.
Da klopfte es leise an die Thür. Er
Taute seinen Ohren kaum. Wer wollte
etwas von ihm, nach der Geisterstunde?
Patienten hatte er keine, Liebschaften
ebenso wenig, Freunde pflegten ihn zu
anderer Zeit zu besuchen. An Gespen
ster glaubt kein Mediziner.
Herein!" fagte Franz Korn war
tungsvoll.
Em armes Weib stand vor ihm. Er
kannte sie. Sie lebte mit einem
fleißigen Arbeiter, ihrem Manne, und
zwei oder drei Kindern noch eine Treppe
über ihm, aus dem Boden, im fünften
Stocke.
Sie sah verhärmt und bekümmert
aus. Em seltsames Leuchten überflog
ihr Gesicht; waren es Thränen im
Auge, war es ein wie über sich selbst
unwilliges Lächeln um ihren Mund
sie starrte den Mann in der spanischen
Verkleidung an und wußte nicht Worte
zu finden. Ein seltsamerer Gegensatz,
als die Beiden, ließ sich auch kaum den-
ken. Hier ein junger Arzt, eben noch
bereit, einen Fafchingsscherz zu suchen
da eine bekümmerte Mutter, die
Hülfe suchte für ihr sterbendes Kind.
.Ach Herr Doktor, icy seye. icy
omme ungelegen. Aver l yaoe von
Ihnen gehört, und wenn sie nur sür
einen Augenvllci , sie oracy in
Schluchzen aus und fiel vor ihm auf
die Kniee nieder, sie haben sich den
ganzen Abend im Staube gewälzt, die
Jungens; mein Anton liegt im Fieber,
der ganze Hals ist schneeweiß oh
er stirbt kommen sie mit hinauf,"
bat sie verzweifelt.
Dr. Franz Korn hatte den erus des
Mitleids gewählt. Zu jeder stunde
desTages und der Nacht, darauf war
er vorbereitet, mußte er dem Tode in's
Antlitz sehen können, fremdem Sterben j
und seinem eigenen, denn die Gefahr ist I
immer nahe. Er steckte rasch ein paar
Phiolen und Instrumente zu sich und
folgte der weinenden Mutter.
Als sie hinaustraten, kamen Schritte
und Stimmen die Treppe herauf. Er
mußte einen Moment warten, denn
man begegnete sich auf der Treppen
biegung. ES waren die Leute, die
ihm gegenüber wohnten, und die er nie
beachtet, nie gesehen. Ter Vater, ein
reich gewordener Leinenhändler. trug
eine Lampe, die schwerere Mutter
keuchte hinten nach: aber srisch. frei
und flügge, mit abgeworfener Man
Nlle. die chultern und Arme blosz. in
reizender Ball-Toilette sprang LouiS
chen Müller, da? Töchterlein. voran.
Als sie Tr. Korn'S ansichtig wurde.
schlug sie verschämt den Ballumhang
wieder um den schönen Nacken, und ein
schelmisches Lächeln huschte über daS
noch von der Tanzfreude fanft geröthete
Madchcnangefichtchen; denn, so tragisch
die Situation auch noch im fünften
Stock sein mochte, der Tr. tficrnz Korn.
der ihr manchmal schon im Hause bt
gegnct war, nahm sich als Ton Juan
neben der abgehärmten Arbeiter-frau
doch recht komisch aus.
.Was. um Himmels Willen, ift
denn so spät noch los. Frau Weber?"
fragte LouiSchen Müller.
.Ach. liebes Fräulein." jammerte
die Frau, mein Anton stirbt uus oben
unter den Händen weg, und da hab'
ich unseren einzigen Toktor hier im
vausund in der Strake gebeten, er
möchte doch retten kommen! Hier, den
Toktor Franz Korn!" Und wie vor
stellend deutete sie bald auf ihn, bald
auf feine Visitenkarte an der Thür,
Die beiden jungen Leute verbeugten
sich und sahen sich beim Scheine der
Lampe und des' Weber'schen Stearin
lichteö in die blitzenden Augen, dann
verschwanden die Visionen, und auf der
Treppe des riesigen Micthshauscs war
es Nacht.
Im fünften Stock in dem ärmlichen
Zimmer sasz der Vater Weber, über
arbeitet, schlaftrunken, am Bette seines
Anton. Zwei andere Kinder schliefen
fest in dem von der unheimlichen Seuche
heimgesuchsen Gelaß. Ter Knabe
röchelte, er lag in Schweiß gebadet, und
dennoch liefen Fieberschauer überfeinen
schwächlichen, fröstelnden Körper. Als
er den Toktor in seinem phantastischen
Maskenkostüm erblickte, fing er an zu
weinen, sich zu sträuben und wollte sich
nicht berühren lassen. Tann aber
plötzlich, wie von Gedanken gepackt, dies
sei ein überirdischer Gesandter des
Himmels, gab er sich willenlos dem
prüfenden, eingreifenden Mann preis.
Und dann lag der Knabe da wie todt.
Korn schüttelte das Haupt. Bater und
Mutter athembcraubt. warteten, wie
arme Sünder auf ihr letztes Ttündlein,
auf das Berdikt'dcs Arztes.
Indessen hatte Tr. Korn mit einem
Instrumente den Hals des Knaben ge-
reinigt. Mit Hülfe der Eltcrnatte
er ihm Teipentin in den Mund gethan
und den Bewußtlosen auf den Kopf ge
stellt ein Versuch, der manchmal bei
solch' verzweifelten Fällen Heilung
bringt. Endlich spritzte Tr. Korn
dem röchelnden Knaben noch von dem
erum ein, dann ließen sie der
Natur ihren Lauf und wachten alle
Trci bis zum Morgen an dem Bette des
Kranken.
Toktor Korn dachte an seinen
ersten Maskenball dieses arbeitsamen
Winters. So war er nun ausgefallen
Zerschlagen erwachte er im Frühgrauen
aus einem wehen Halbfchlummer. Ter
Knabe schlief und athmete fanft und
regelmäßig. Tie Eltern küßten de
Arztes Hände und weinten.
Als er hinaustrat gedachte er auch
der Vision von gestern Abend. Und da
stand sie vor ihm: Louischen Müller.
und sie fragte:
Nun. Herr Doktor wie geht s dem
kleinen Anton Weber?"
Ich denke gut. mein Fräulein, aber
bleiben Sie fort von uns und unserer
Nähe, bis wir ein wenig frische Luft
geathmet haben! Tie böse Krankheit
ucht sich oft die schönsten Opfer aus
Tarf sich denn die Frau eines Tok
tors fürchten ?'' fragte Louischen Müller,
nnd reichte dem Tr. gränz Korn ver
heißungsvoll die Hand.
Russische Tchmugglcrstückchcn.
Tie Ersindungsgave der russi chen
Schmuggler, den Zollbeamten! und
Grenzsoldaten da, wo es geht, ein
Schnippchen zu schlagen, ist sehr groß
Aus prcuszi cher seile tcyt ein
Wirthshaus, etwas hoch gelegen, so daß
man aus leinen izen lern einen ius-
blick hat auf das nahe Flüßchen. die
Grenze zwischen Preußen und Rußland,
und auf eine Windmühle, die sich
drüben auf russischer Seite erhebt,
Zahlreiche russische Schmuggler sind im
Lokale um die ranntweingiü er der
ammelt. Plötzlich kommt Bewequna
unter die Pascher, die Windmühle be-
wegt langsam ihre Flügel, sie stehen
ill und bewegen sich wieder. Rasch
ergreifen die Schmuggler große Packcte.
die in einem Nebenraum liegen, und
eilen damit der russischen Grenze zu.
Sie kriechen fast am Boden, durchwaten
das Flüßchen und find glücklich drüben
angelangt, ohne daß sie die russischen
Grenzwächtcr erwischt haben, trotzdem
es heller Tag ist.
Einer dieser Schmuggler war näm
lich mit Pferd und Wagen auf der
Landstraße dem eigentlichen Grenzübcr
gange entgegengefahren. Nahe diesem
Punkte veranlaßte er. daß sein Pferd
in rasendem Galopp dahinflog und in
entgegengesetzter Richtung von dem
preußischen Wirthshaus über die Grenze
ftürzik. Kaum sahen daS die Grenzde
amten. als sie alle hinter dem Durch
trenner herjagten. da sie auf dein
Wagen zollpflichtig, Gegenstände ver
muthkten. Auf diesen Augenblick hatte
der Windmüller gewartet, der mit den
Schmugglern im Einverftändniß war:
durch daS Umdrehen der Mühlenflügel
gab er das verabredete Zeichen, daß die
Grenze ander betreffenden Stelle jetzt
frei fei. So brachten die Schmuggler
ihre Seidendallen glücklich über die
Grenze. Während dieses Schmuggel
ftückchen sich abspielte, brachten 'die
Grenzsoldaten das durchgehende Pferd
zum Stehen und sie fanden, daß der
Wagen nichts Zollpflichtiges enthielt.
Tem Führer des Wagens, der sich als
russischer Unterthan legitimirtc und an
gab. sein Pferd sei durchgedrannt,
konnte man natürlich nichts anhaben.
In einem anderen interessanten Fall
fand im Winter an einem Grenz
flüßchen. das zugefroren war. ein
großer Schneeballenkampf statt. Hüben
und drüben standen die Werfer, die sich
nach Herzenslust bombardirten, und die
russischen Grenzsoldaten und Kosaken
sahen in einiger Entfernung diesem
lustigen Treiben lachend zu. Sie ahn
ten nicht, daß bei dieser Schneebällen
schlacht für 12.000 Rubel Brüsseler
Spitzen nach Rußland hinübcrgepascht
wurden.
Tie Schmuggler auf preußischem
Boden packten nämlich die in aanz
kleinen Blechdosen gelegten Spitzen in
chneeballcn hinein und bewarfen da-
mit die jenseits deS FlüßchcnS stehen
den Schleichhändler. Tiefes scheinbar
harmlose Vergnügen konnten die
Pascher jedoch nicht wiederholenweil
einige Tage darauf bei der russischen
Zollbehörde eine Denunziation einlief,
in welcher dieser Koup verrathen wurde.
AIS in neuerer Zeit die russische
Regierung eine hohe Prämie auf guten
gereinigten Spiritus, der aus Rußland
ausgeführt würde, festsetzte, um den
russischen Tpiritusexport zu heben,
zogen die Schmuggler auch daraus
Nutzen. Sie ließen sich große Tonnen
wagen bauen, wie sie zur SpirituSaus
suyr benutzt werden, füllten aber die
Tonnen mit Wasser, und nur oben am
Spundloch war e,n kleines Reservoir
mit dem besten Spiritus vorhanden,
das gegen den übrigen Inhalt der
Tonne gut abgeschlossen war. Beim
Grenzübergang prüfte dann der russische
Beamte den Spiritus, fand ihn ausac
zeichnet, und den Schmuggler wurde
die Exportentschädigung im Verhältniß
zur Größe des Fasses anstandslos aus
gezahlt.
Ein rul cher Schmuggler erhielt den
Auftrag, für viele tausend Rubel Edel
teine und ko bare Spiken nach Ruk-
land einzuschmuggeln. Dieser Pascher
erschien an der Grenze und führte in
dem Gepäckwagen des ZugeS eine Leiche
mit sich, angeblich die Leiche feines
Bruders, der in Rußland begraben
werden sollte. Ein solcher Leichen
transport, der ja öfters vorkommt, fiel
nicht auf; die Leiche passirte anstands
los die Grenze, obwohl die Zollbeamten
den Sarg geöffnet und denselben unter
ucht hatten. Aber die Hauptsache
entdeckten sie nicht, daß nämlich der
Leiche die Eingeweide herausgenommen
und in die so entstandene Höhlung die
Diamanten und Spitzen gelegt waren.
rotz des immerhin beträchtlichen
Gewinnes, den der russische Schmugg
ler erlöst, ißt er doch nur ein bitteres
Stück Brod, denn er liegt stets in einem
gefährlichen Kampfe mit den Zoll,
bcamten und Kosaken, und unaufhör
lich bedrohen ihn Verfolgung, Strafe
und Tod.
Blinder Eifer. -
Von Gcvaert. dem Leiter des Konscr
vatoriums in Brüssel, erzählt man sich
jetzt in dortigen Musikkreisen ein hüb
sches Gcschichtchen: Die letzte General
probe der Konfervatoriumskonzcrte
wurde von Gevaert. dem Direktor, per
sönlich geleitet. Der belgische Meister
ift leicht reizbar. Plötzlich hört er im
Saal ein leichtes Geräusch, das durch
das Rücken eines Stuhles veranlaßt
war. Mit einer heftigen Bewegung
läßt er fein Orchester aufhören, dreht
sich l!nt sieht einen Herrn, der sich auf
den Spitzen feiner Lackstiefel zurückzieht,
und schreit ihn wüthend an: Mein
Herr, ich mache Sie darauf aufmcrk
fam, daß die Zuhörer hier nur geduldet
sind, und daß ich durchaus nicht zu
gebe, daß man mich stört..... Thür
sicher!" fügt er dann in seinem braban-
tischen Dialekt hinzu, schreiben Sie
den Namen des Herrn, der da hinaus
geht, auf. damit er zukünftig nicht wie
der auf die Liste der Eingeladenen ge
setzt wird!" So geschieht es. und als
die Probe zu Ende ist, wird der Thür
sicher gerufen, um den Bericht zu er
statten. Herr Direktor, die Person.
die während des Konzerts hinausge
gangen ift, war der Herzog von Pen
dome. Monseianeur läßt sich tausend-
mal entschuldigen, aber er wurde um
zwölf Uhr bei Seiner Majestät dem
Könige erwartet, er war zum rübstück
eingeladen und konnte nicht gut aus
bleiben " Gevaert befaß noch vier
Haare als einzigen Hauptschmuck. Seit
jenem Tage aber hat er sie nicht mehr.
Böse Zungen behaupten, er habe sie
sich ausgerupft ....
r kent sich.
Heut ist Sonnabend. Du ,iebft ia
Deinen Sonntagsrock an?"
.Bis ich nack Kaufe komme, ift'
schon Sonntag."
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