Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 01, 1900, Image 9

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fürstliches Cicfrcstrcrbcn.
Wenn einmal die junge Königin
Wilhclmine von Holland sich zum Ehe
Kunde entschließen wird, dann wird sich
wieder jener eigenthümliche Lonsiilt
von Königinpflicht und Neigung, von
Etikette und Müdchcnempftnden ad
spielen, der immer entsteht, wenn eine
gierende Königin heirathct und der
Bräutigam dieser regierenden Königin
nicht selbst ein König ist. Lepterer
gall dürfte wohl in heutiger Zeit über
Haupt nicht vorkommen, weil die politi
siert Verhältnisse dies nicht gestatten
ürdcn.
Der Bräutigam, der nicht in gleichem
Range mit der regierenden Königin
steht, dars nämlich nicht einen Hei
rathsantrag machen und darf seine
Liebe nicht erklären, weil eS gegen die
Etikette wäre. Andererseits verbietet
tS doch daS weibliche Empfinden einer
Königin, ihrerseits dem Manne einen
Heirathsantraz zu machen, und so ent
steht ein Dilemma, aus welchem man
auf irgend eine Weise einen Ausweg
suchen mutz.
In einer ähnlichen Lage befand sich
im Jahre 183'J die jetzt noch regierende
Königin von England. Am 20. Juni
1837 bestieg Viktoria den englischen
Thron, und man wünschte im Lande
allgemein, daß die Königin sich der
mühle. Die junge Herrscherin hatte
auch eine stille Neigung. Sie hatte im
Jahre 1!, also ein Jahr vor ihrer
Thronbesteigung, den Prinzen Albert
von Koburg kennen gelernt. Der H:r
. zog von Koburg war mit seinen beiden
Söhnen damals auf einige Wochen
zum Besuch nach kngtano gekommen,
undZ zwischen dem Prinzen Albert und
, der Kronprinzessin Viktoria hatte sich
ine starke Neigung entwickelt. Wäre
damals schon da3 entscheidende Wort
gesprochen worden, so hätte die Ver
lobung keine grobe Schwierigkeiten ge
boten. Nun aber war Prinzetz Vik
toria Königin geworden, und als nun
t 1839 Prinz Albert, der zu einem schö
nen. stattliche,., geistvollen Manne her.
angereift war. wieder nach England
kam, stellte sich die Etikette zwischen das
Liebespaar.
Daß sie einander liebten, war für
beide unzweifelhaft. Am 14. Oktober
1839 ließ die Königin ihren Minister
Lord Melbourne rufen und theilte ihm
mit. daß sie bereit fei, dem Prinzen
Albert ihre Hand anzubieten. Nach
langen Berathungen mit den Hof
chargen und mit den Ministern wurde
Folgendes festgesetzt: die Königin sollte
öffentlich dem Prinzen ein Zeichen des
Wohlwollens geben und wenn der
Prinz dieses Zeichen hinreichend günstig
aufnehme, sollte sie ihm kurze Zeit dar
uf den Muth zu einem indirekten
HeirathSantrag machen". Daß sich bei
' diesen verzwickten Etikctteverhältnisscn
komische Situationen ergeben mußten,
war eigentlich selbstverständlich. ES
fand in den nächsten Tagen ein Hofball
statt, und auf diesem überreichte die
Königin dem Prinzen Albert einen klei
nen Blumenstrauß. Da eS sonst nie
vorkommt, daß eine Dame einem Herrn
v einen Blumenstrauß überreicht, da ein
derartiger ffall vor allem etwas ganz
Außergewöhnliches in England und am
englischen Hofe ist. galt die Ueber
reichung des kleinen BouquetS als erste
Ermuthigung der Königin an den ge
liebten Mann. Mit gespannter Er
Wartung beobachtete die Hofgesellschaft.
waS Prinz Albert nun thun würde.
. Er wollte den Blumenstrauß an seiner
Brust befestigen, aber die eng zuge
knöpfte Uniform gestattete das Unter
dringen des Straußes nicht. Da zog
der Prinz fein Taschenmeffer hervor,
schlitzte den Uniformrock auf, gerade auf
der S telle über dem Herzen, und brachte
dort den Strauß an. Damit war der
erste Theil deS Programms erledigt.
Die Königin hatte dem Prinzen ihre
Neigung gezeigt und dieser hatte sie
freudig erwidert.
Noch an demselben Abend wurde
'auch der zweite Theil des Programm?
durchgeführt. Um die Königin waren
die Minister versammelt. Der Prinz
trat jetzt an die Herrscherin heran und
klärte, er wolle in den nächsten Tagen
abreisen. Mit beredten Worten dankte
er für die Gastfreundschaft, die er in
England genossen hatte, worauf die er
röthende Königin an ihn, wie vorge
sehen, die Frage richtete: .
Wenn eS Euer Hohett so gut m
England gefällt, wären Sie wohl ge
neigt, für immer bei uns zu blerden i
.Ich würde den beständigen Aufent
halt hier mit meinem Leben bezahlen!"
' war des Prinzen Antwort.
Dann verschwand die KSnigrn, be
A gleitet von ihren Ministern, und am
nächsten Tage empfing sie den Prinzen
shne Zeugen. Jetzt erst durften sie ein
ander ohne hemmendes Eeremoniell ihre
Liebe anstehen. Man weiß, me diese
so geschlossene Ehe. die leider allzufrüh
durch den Tod des Prinzgemahls Albert
gelöst wurde, eine ungemein glückliche
ward. . '
Eine ebenso starke Kollision zwischen
Lieb und Etikette entstand auch bei der
aus Neigung hervorgegangenen Henath
des Ezren Nikolaus mit der Prinzessin
Charlotte von Preußen. Der spätere
Kaiser Nikolaus hatte als Großfürst die
Prinzessin Charlotte im Jahre 1814
kennen gelernt, als er zur Armee der
Verbündeten in Frankreich ging und
sich einige Tage in Berlin aufhielt.
Prinzessin Charlotte war damals 16
ahre alt und von zarter, entzückender
Schönheit. Großfürst Nikolaus war
nur zwei Jahre älter, doch über seine
Der
Jahrgang 20.
Jahre hinaus ernst. Außerdem ver
sprach er einer der schönsten Männer
seiner Zeit zu werden. Er interessirte
sich vom ersten Augenblick an für die
Prinzessin Charlotte und er machte auch
aus dieser Neigung kein Hehl. Fried
lich Wilhelm der Dritte gab seiner
Tochter zu verstehen, daß der Werbung
deS Prinzen ?!ikolauS nichts im Wege
stehe; die Prinzessin war indessen zu
schüchtern, um den Prinzen jetzt schon
zu ermuthigen. AIS der Prinz dann
1815 aus dem Feldzuge zurückkam, war
er unterdes voraussichtlicher Thronfol
ger geworden, und als er in Berlin
wieder Aufenthalt nahm, wollte er
Klarheit über das Verhältniß zwischen
sich und Charlotte haben.
Auf vorsichtiges Sondiren antwortete
die Prinzessin jedoch noch ausweichend.
Der Prinz aber konnte sich nicht der
Eventualität aussetzen, auf einen direk
len Antrag von der Prinzessin einen
Korb zu bekommen.
Beim Souper am letzten Abend saß
Großfürst Nikolaus neben Prinzessin
Charlotte. Das Gespräch wollte nicht
in Gang kommen. Die Prinzessin war
schüchtern, einsilbig und verlegen und
der Großfürst wußte nicht, ob er diese
Umstände zu seinen Gunsten oder Un
gunsten deuten konnte.
Ganz unvermittelt sagte der Groß
fürst plötzlich: .Ich reise morgen ab."
Es wird uns allen herzlich leid thun,
daß Sie uns so bald verlassen," erwi
derte die Prinzessin; läßt Ihre Abreise
sich nicht verschieben?"
Das hängt von Ihnen ab," entgeg
nete der Großfürst. ,
Und was soll ich thun?" fragte
lächelnd Charlotte.
Sie müßten meine Verehrung nicht
zurückweisen und mich ermuthigen, Jh
nen zu gefallen."
Die Prinzessin erröthete und schwieg.
.Prinzessin, ich habe Ihre Neigungen
und Ihren Charakter ftudirt und ich
hoffe, daß ich Sie in jeder Hinsicht in
der Ehe glücklich machen werde. Darf
ich hoffen, daß auch ich Ihnen nicht
gleichgiltig bin?" fragte Großfürst
Nikolaus, um eine Entscheidung herbei
zuführen.
' Die Prinzessin war offenbar in Pein
lichster Verlegenheit und erklärte:
Bei offener Tafel läßt sich über die
sen Gegenstand schwer sprechen."
Ich weiß, daß der Ort schlecht ge
wühlt ist," erwiderte Großfürst Niko
laus; ich will Sie auch nicht zu einer
Antwort drängen. Geben Sie mir nur
ein Zeichen, daß Ihnen meine Bewer
bung nicht unangenehm, daß Sie es
dulden, daß ich mich weiter um Sie be
werbe, und daß ich mir Mühe gebe,
Ihnen zu gefallen."
Was soll ich thun?" , fragte die
Prinzessin, die wohl merkte, daß die
Hofgesellschaft auf sie aufmerksam
wurde.
..Geben Sie mir den kleinen Ring
an Ihrer Hand." sygte Großfürst Ni
kolaus. und ich werde der giuailcyfle
aller Sterblichen sein, ick werde durch
dieses Geschenk sehen, daß Sie meine
Neigung dulden.
Ich kann Ihnen diesen Ring nicht
hier an der Tafel geben," sagte die
Prinzessin; das würde allgemein auf
fallen." Drücken Sie den Ring in ein Stück
Brod und legen Sie es dann neben
Ihren Teller. Ich werde es dann neh
men und niemand wird etwas bemerkt
haben." ,
Noch einen Augenblick zögerte die
Prinzessin, dann sägte sie verlegen:
Wenn ich Ihnen diesen Ring auch
geben wollte, so wird es mir nicht mög
lich sein, ihn abzuziehen. Ich habe ihn
nämlich vor einem Jahr von meiner
Schweizer Gouvernante Wildermatt
geerbt, und er geht nicht vom Finger
herunter, weil er mir zu eng ist." ,
,E3 soll also nicht sein'." sagte
Großfürst Nikolaus; das Schicksal hat
gegen mich entschieden und giebt mir
ein Zeichen, daß mir das Glück, das ich
erhoffte, nicht zutheil werden soll."
Die Prinzessin, die dem Großfürsten
aufrichtig zugethan war, versuchte jetzt
mit aller Anstrengung den Ring vom
Finger herunter zu bekommen. Und es
gelang ihr endlich. Verlegen betrachtete
sie den Ring von innen und außen.
Dann erblaßte und erröthete sie und
sagte:
Ich kann Ihnen den Ring doch nicht
geben. Ich lese soeben in diesem Ring
eine Inschrift, die ich zum erstenmale
sehe. Ich habe wirklich nicht gewußt,
daß solch eine Jnschrist im Ringe steht,
meine Gouvernante hat mir den Ring
selbst an den Finger gesteckt und seit
dem habe ich ihn niemals abgenom
men."
Allerdings war es auch ein sehr son
derbarer Zufall, daß der Ring die In
schrift trug: Kaiserin von Rußland."
Er war ein Geschenk einer russischen
Kaiserin an eine Verwandte der Made
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1 7
Beilage zum Nebrasla Ätaats-Anzeiger.
moiselle Wildermatt, von der diese wie
d.ru,n den Ring geerbt hatte.
Auf daS dringende Bitten des Groß
fürsten drückte die Prinzessin nun trotz
alledem den Ring in ein Stück Brod
und gab ihn so Nikolaus. Als er den
Ring aus dem Brod herausgelöst hatte,
las er zu seinem Erstaunen die innere
Inschrift desselben: Kaiserin von Ruß
land.
.Ich schwöre Ihnen, ich habe nie
mals gewußt, daß die Inschrift in dem
Ringe steht," sagte die Prinzessin in
arger Verlegenheit.
Um so besser! Dieser Ring ist ein
Talisman, der uns beiden Glück brin
gen soll."
Tann reichte er der erröthenden Prin
zcssin die Hand und Charlotte legte ihre
Hand in die des Großfürsten.
Am nächsten Tage erfolgte der offi
zielle Antrag und bald darauf die
offizielle Verlobung. Der Ring wurde
von Nikolaus als Talisman betrachtet
er hat ihn stets an einer goldenen
Kette auf der Brust bis zu seinem Tode
getragen. Die Ehe wurde bekanntlich
ebenfalls eine sehr glückliche und die
Inschrift des Ringes bewahrheitete sich
nach einem Jahrzehnt, denn Nikolaus
wurde durch den Tod seines Bruders
im Jahre 1325 Kaiser von Rußland.
Romantisch und ebenfalls im Wider
spruch mit aller Etikette war auch das
Entstehen der Neigung Napoleons des
Dritten und seiner Gattin Eugenie,
der damaligen Gräfin von Montijo.
und Theba.' In den Tuilerien. die dem
damaligen Präsidenten Louis Napo
leon als Wohnung eingeräumt waren,
ward ein Fest gefeiert und auf diesem
erschien auch Eugenie mit ihrer Mutier.
Ihre Bekanntschaft mit Napoleon war
bisher nur eine sehr flüchtige gewesen.
Beim Tanz löste sich die Frisur der jun
gen Gräfin Eugenie und sie eilte aus
dem Tanzsaal in eines der Nebenge
mächer. um vor dem Spiegel ihr Haar
in Ordnung zu bringen. Der Haar
Pfeil- aber, der das Haar auf dem
Kopfe festhielt, zerbrach, und plötzlich
stand die junge Gräfin umwallt von
ihrem herrlichen Haar fassungslos vor
dem großen Spiegel. Ganz zufälliger
weise trat in diesem Augenblick Prinz'
Napoleon in das Zimmer und bemerkte
die Verlegenheit der jungen Dame. Er
versuchte ihr beim Aufstecken des HaareS
Hilfe zu leisten; die Gräfin aber bat
ihn dringend, ihre Mutter zu benach
richtigen, damit diese ihr helfe. Der
Prinz war von dem Anblick der Gräfin
Eugenie so entzückt, daß er selbst ihre
Mutter holte und dann Mutter und
Tochter in seine eigenen Zimmer gelei
tete und sie ihnen zur Verfügung stellte.
Noch an demselben Abend fiel es auf,
wie sehr der Prinz die junge spanische
Gräfin auszeichnete. Durch den felt
samen Zufall war natürlich schnell eine
gewisse Intimität und nähere Bekannt
fchaft zwischen dem Prinzen und der
jungen Gräfin entstanden. Am nächsten
Tage schon machte der Prinz der alten
Gräfin einen Besuch, um sich nach dem
Befinden zu erkundigen, und bald ent
stand bei ihm eine tiefe, innige Liebe
zu der schönen Spanierin. Die wieder
holten Versuche, die der Prinz bisher
an den europäischen Fürstenhöfen ge
macht hatte, um eine Prinzessin von
Geblüt zur Gemahlin zu erlangen,
wurden plötzlich eingestellt und im Jahre
1853 erfolgte die Verlobung des Prin
len Napoleon mit der Gräfin Eugenie
von Montijo und Theba.
in Pechvogel.
Mott: Besser unrecht leiden, 13 unrecht thun.
Seit ungefähr vierzehn Tagen trug
Anton lange Hosen. Seit einer Woche
rutschte er damit auf den Bänken deS
Gymnasiums herum. Sein Selbst
bewußsein wuchs von Stunde zu
Stunde.
Dabei war er sich feiner Pflichten als
Gymnasiast ganz wohl bewußt; allein
ebenso genau kannte er seine Rechte.
Wenn er die ersteren getreulich erfüllte,
dann durften ihm die letzteren nicht ge
schmälert werden. Fürwahr, ein erhe
bendes Gefühl!
Na, und die besten Vorsätze, stets
allen seinen Verpflichtungen auf's
strengste nachzukommen, die hatte er ja
auch.' Und gegen diese Vorsätze verstieß
es doch nicht geradezu, daß er es liebte,
jeden Morgen, wenige Minuten vor
Beginn des Unterrichte?, wenn er so
langsam schlendernd des Weges daher
kam, vor dem Eselkarren, der täglich
um diese Zeit, vor der Anstalt hielt,
stehen zu bleiben und zuzusehen, wie der
Milchmann die Blechkannen heraushob,
um daraus die Krüge des Herrn
Direktors, die ein kleines Küchenmad
chen immer schon bereithielt, zu füllen.
Dieser an sich höchst schlichte Vorgang
fesselte ihn eben täglich aufs neue.
Das war wohl ein wenig seltsam,
aber was Böses war eS doch gewiß
nicht.
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So stand Anton auch heute neugie
rig da. als der Milchkarren angerasselt
kam. Allein das kleine Dienstmädchen
mußte sich verspätet haben nirgends
ließ eS sich blicken. Nach einer Weile
vergeblichen Wartens entschloß sich der
alte Milchmann daher grollend, seine
Kannen höchsteigenhändig in'S HauS zu
tragen.
Kaum war er akrtmtei der großen
dreitheiligen Hausthür verschwunden,
als auch schon zwei wilde Knaben daher
stürmten und den nunmehr unbeschütz
ten und unbewachten grauen Freund"
weidlich zu necken begannen.
Doch Herr Langohr war solchen
Spässen durchaus abhold. An seinem
heimtückischen Still sein hätten die beiden
bösen Buben eS merken sollen. Allein
die glaubten im Gegentheil, sich immer
mehr erlauben zu dürfen: der Esel hielt
ja still.
Jawohl, das that er eine, lange
Zeit.
Doch mit einemmale. als ihn die
Knaben gerade mörderisch am Schweif
gezogen hatten, machte er einen Satz
bis in den Straßengraben hinein. . . .
Ter kleine Wagen kippte um. und die
noch vorhandenen Milchkannen mit ih
ren Vorräthen für den Herrn Bezirks
richter, für den Herrn Bürgermeister
und all die sonstigen, höchst ehrenwer
then Herrschaften, entsandten ihren
Inhalt in weitem Bogen auf das Pfla
ster geradeso, als wollte man heute
mit kostbarer Milch die Straße be
sprengen, während man sonst kaum für
nothwendig erachtete, es mit Wasser
zu thun.
Und immer noch hatte der Esel sich
nicht genug gethan in seiner Bosheit.
Er zog und zerrte an seinen Gurten und
drohte ganz ernsthaft, das Geschirr zu
zerreißen.
Und Niemand war da, ihn zu. be
ruhigen. Denn die schlimmen Buben
hatten, das Unheil, das sie angerichtet,
gewahrend, längst das Weite gesucht.
Doch halt! Da stand ja noch Anton.
In diesem gefahrvollen Augenblick
konnte er zeigen, was einem besonnenen
Gymnasiasten ziemte. Und er erwies
sich in Wahrheit als ein ruhig iiberle
gender. hülfsbcreiter Bursche. Beherzt
trat er dem gereizten Thier entgegen,
er beschwichtigte es durch sanfte Zurufe
und freundliches Tätscheln, und schließ
lich theilte er mit dem mühsam besänf
tigten Graurock sein Frühstücksbrod,
was von dem Esel mit sichtlichem Ver
gnügen aufgenommen wurde.
Alsbald trat der Milchmann aus
dem Hause. Ergrimmt kam er an sein
arg zugerichtetes Fuhrwerk heran und
dann: den Schaden besehen und indem
armen Anton, als einzigem Anwesen
den, den Schuldigen vermuthen, und
ihm dafür eine tüchtige Ohrfeige her
unterhauen das war eins!
Anton war wie erstarrt.
Doch bald raffte er sich, mühsam sei
nen gerechten Zorn bemeisternd. auf. .
Mit einem ungebildeten Milchmann
verhandeln ? Nein. Das war nicht
sein Fall. ' Ein Gymnasiast holt sich
sein Recht bei seinem Ordinarius. .
Auf denn zu diesem gerechten und
würdigen Manne!
Und ohne an den Milchmann auch
nur einen Blick zu verschwenden, ging
Anton von bannen. ,
Allein, er kam nicht weit, da trat
ihm sein Professor entgegen; sei es. daß
dieser Herr eben auch gerade des Weges
kam, sei es. daß der Lärm des schelten
den Milchmannes und der brüllenden
Schuljugend ihn angelockt hatte ge
nug an dem: er stand plötzlich wie aus
dem Boden gezaubert da.
Diese Thatsache war für Anton ein
großer Trost. Nun mochte der unge
rechte Milchmann sich nur in Acht neh
men. Anton hätte jetzt in -sein er
Haut nicht stecken mögen. Denn der
Herr Ordinarius würde ihm Zweifels
ohne sehr gediegen den Text lesen. Sah
man es doch schon an d.em bitterbösen
Gesicht,, das der verehrte Lehrer machte,
daß er die letzten Ereignisse mitange
sehen hatte und wild empört' war über
die Behandlung, die soeben ein Schüler
der Anstalt erdulden mußte.
Und im Bewußtsein feiner guten
Sache hub der Knabe voll Vertrauen
an: Herr Professor, ich bitte vielmals,
wollen Sie mich in Schutz nehmen
gegen solche Rohheit "
Hier wurde er unterbrochen. Zorn
funkelnden Blickes schrie sein sonst so
fanftmüthiger Lehrer ihn an: Sie
wagen auch noch, sich zu beschweren, Sie
ungezogener Bursche!"
Da mußte Anton er mochte wollen
oder nicht dem Herrn Professor in's
Gesicht lachen. Er er! sollte sich
nicht beschweren?! Ja, wer durfte es
denn dann, wenn nicht er, dem so bitter
unrecht geschehen war? und er fuhr
fort, -sich zu vertheidigen: Herr Pro
fessor können mir glauben "
Kein Wort mehr! Schweigen Sie!
Der Mann that ganz recht, . Sie zu
o
No. 41.
züchtigen!" schrie der Professor, außer
sich vor Wuth über den ungewohnten
Widerspruch.
Doch auch Anton verlor jetzt die Be
herrschung: Das werde ich mir nicht
gefallen lassen!" preßte er zwischen den
Zähnen hervor.
Damit wollte er gehen. Er machte
eine scharfe Wendung und trat dabei
es war heute schon ein kritischer Tag für
ihn dem aufgeregten Ordinarius
dermaßen heftig auf's Hühnerauge, daß
der Herr vollends die Herrschaft über
sich selbst verlor und nun auch seiner
seits schmup! eine schallende Ohr
feige auf Anton's Backe niedersausen
ließ....
Anton fuhr auf. als wollte er über
feinen Angreifer herfallen.... doch er
besann sich ... .
War eS denn nicht ersichtlich, daß et
auch hier das Opfer eines Mißverstäiid
nisseS geworden war, daß auch sein ob
seiner Gerechtigkeitsliebe bewunderter
Lehrer ohne viel Federlesens ihn für
den Schuldigen hielt? Daß dieser
Vergötterte aber, wenngleich unter dem
Eindruck eines heftigen körperlichen
Schmerzes was ihm allerdings ge
wissermaßen als Entschuldigung ange
rechnet werden konnte sich bis zu
einer Ohrfeige! hinreißen ließ, das
erfüllte Anton mit tiefem Weh.
Ucberdies brannte ihn der neuerliche
Schlag nicht minder, als der frühere
ja, er dünkte ihm noch größere Schmach
als der erste, der doch nur von der Hand
eines ungebildeten kam. Aber nur
gemach! Die Vergeltung mußte beiden
Missethätern kommen! Anton könnte
mit wenig Worten jetzt schon den Irr
thum aufklären und seinen Professor
gedemüthigt vor sich sehen doch er
verschmäht es.
H i e r hak er nichts mehr zu suchen.
Höhcrenorts wird ihm sein Recht
werden! Deß ist er gewiß.
So eilte er denn unerschrocken die
Stufen hinan, bis zum Allmächtigen
der Anstalt.
Doch der Herr Direktor fand es schon
sonderbar, daß Anton noch nicht in der
Klasse saß denn der Unterricht mußte
inzwischen begonnen haben und
fragte daher barsch und übellaunig nach
des Primaners Begehr. c
Im Vollbewußtfein seines guten
Rechtes ließ Anton sich indessen unein
geschüchtert also vernehmen: Herr Di
.rektor, ich sehe mich genöthigt, nunmehr
um I h r e n Schutz zu bitten, nachdem
ich beim Herrn Ordinarius mit dem
gleichen Anliegen sehr übel ankam. . . .
ach. der Herr Ordinarius benahm sich
sehr, sehr ungerecht gegen mich ich
kann diese Schmach gar nicht, auf mir
sitzen lassen " und ein heißes, echt
kindliches Schluchzen verschlug ihm die
Stimme.
Der Herr Direktor wurde unge
duldig. Die Zeit drängte, und der kleine
Schwätzer fand keinen rechten Anfang
und kein Ende.
Kommen Sie zur Sache." gebot er
endlich scharf.
Anton erschrak. Er begriff daß er
sich nunmehr nur noch kurz fassen dürfe.
wenn er nicht gehört fortgeschickt wer-
den wollte. Und so zwang er denn
seine Anklagerede in die Allerknappsten
Worte zusammen, wobei es ihm nur
leider begegnete, daß er einen wesent
llchen Bestandtheil, der dem Herrn
Direktor erst zum richtigen Verständniß
der Sachlage verholfen hätte, im Eifer
des Gesechts gänzlich ausließ. Ach,
Herr Direktor begann er. so schlecht
wie heut erging es mir noch nie. . Ich
kam zum Herrn Ordinarius, um mich
bei ihm über den groben Milchmann zu
beschweren. Allein, der Herr Professor
ließ mich gar nicht recht zu Worte kom
men, er schrie mich sogleich furchtbar
an. und zum Schlüsse gab er mir o,
es ist schändlich! eine entsetzliche Ohr
feige! Und ich kann beschwören, ich hatte
dem Esel wirklich gar nichts gethan."
Voll Treuherzigkeit sah er zu feinem
Direktor auf.
Allein er fand kein Verständniß für
seine Klagen, sondern als einzige
Antwort ! fühlte er abermals eine
feste Hand um seine Ohren.
Das war nun schon das drittemal an
diesem verhangnißvollen Morgen!
Jetzt hatte der Arme übergenug.
Ganz gebrochen ließ er von jetzt ab
alles mit sich geschehen. Sein schönes
Vertrauen, seine Zuversicht, wohin
waren sie gekommen?
Als der Herr Direktor ihn beim Arm
faßte und zur Thür hinausschob, wider
strebte er nicht, gleichwie er auch für
seines Obersten harte Worte: So. das
für deine Frechheit, unverschämter
Bursche!" keine Entgegnung fand.
Es war ihm nun schon alles eins. Er
verzichtete hinfort auf jede weitere Be
fchmcrdeführung und auf die Forderung
seines Rechtes. Wenn die Sache so
aussah, dann mochte es bei den bis
hcrigen mißglückten Versuchen sein Be
wenden haben. Jbn gelüstet!' eS nach
keinem Mehr in dieser Art.
Und als er dann seine Crcerstrase
wegen verspanten Ersct.kincns beim
Unterricht absaß, da hatte er Muße,
liber tun Werth deS Sprichwortes:
Beisit unrecht leiden, als unrecht
thun", das bei ähnlichem Mißgeschick
von Eltern und Erziehern so über
zeugungsvoll cngewendet wird, nachzu
denken. Und daS Ergebniß dieses
Nachdenkens war der wenig respektvolle
um nicht zu sagen: gottlose!
Schluß, daß besagtes Sprichwort der
reinste Schwindel sei oder zum min
besten doch Geschmacksach. Er. für
feine Person konnte nun einmal durch
auS nichts dabei finden.
Joseph Th. .
Hekmerding vor (Stricht.
Noch eine Hclmerding-Anekdote wird
mitgetheilt. Sie trug sich in den sied
zigcr Jahren zu und führte den belieb
ten Künstler vor die Schranken. deS
Gerichts.
Helmcrding mußte damals, um Vor
mittag? an den vorgeschriebenen Proben
im Wallner-Ihkater tdeilzunehmen, von
seiner Wohnung auS durch die Blumen
ftraßc gehen. Sein Weg führte ihn
dabei an einem Bückerladen vorüber, in
dessen Thür regelmäßig der Bäckermeister
stand, um nach der Last und Hitze der
Nacht wohlgefällig das Getriebe der
Großstadt zu betrachten. Er kannte den
berühmten Helmcrding und begrüßte
ihn stets kordial mit den Worten:
G g gu gut t t ten M
mm morgen. H h Herr Helmer
-d-ding!"
Ter alle Zeit zu jovialen Streichen
aufgelegte Komiker antwortete, nachdem
sich dieser Gruß mehrmals wiederholt
hatte, ernsthaft: M m m mor
gen. M m mmeister!"
Der Bäckermeister fühlte sich durch
daS Nachahmen feines Sprachgebrechens
beleidigt und stellte beim zuständigen
Gericht Strafantrag wegen Beleidigung
gegen Helmcrding.
Vor Gericht werden Kläger und Ver
klagte aufgefordert, ihr Für und Wider
darzulegen.
Der Bäckermeister erzählt stotternd
den Hergang. Helmerding entgegnet:
Hhherr G g-gerichtshof. i i
i-ich st-t-t stottere auch!"
Der Richter erklärte, daß Niemand
den Einwand des Beklagten gelten las
sen könne. Denn jeden Abend höre
man ihn doch in unvergleichlich glatter
Rede auf der Bühne sprechen.
Helmerding antivortcte mit Ueber
zeugung:
I i i ja. meine H-h-h
Herren Richter, auf d d der B b
bühne verstelle ich mich!"
Homerisches Gelächter im Zuhörer
räume.
Nach Hin und Widerreden einigen
sich die Parteien. Eben im Begriff,
den Gerichtssaal zu verlassen, raunt
Helmerding seinem Partner in'S Ohr:
Sie sind doch ein rechter Schafskopf!"
Aufgebracht wendet sich der Bäcker
Meister zurück an die Richter und erklärt:
H h Herr G g g gerichtshof,
ii jetzt hat er g ganz v v
vernünftig geredt!"
Die reichste Familie Englands.
Wie die Herzoge von Wcstminster zu
ihrem Reichthum kamen, darüber er
zählt die Wiener N. Fr. Pr.": Noch
vor dreißig Jahren widersprach Nie
mand der Behauptung, daß der Herzog
von Westminster den größten Reichthum
der Welt in Einer Hand vereinige.
Heutzutage stellen ihn die amerikanischen
Krösufe in den Schatten, aber in Eng
land ist er noch immer der reichste Mann.
Obwohl die Grosvenors (deren Familie
der Herzog entstammt) ihre Ahnen bis
zu Wilhelm dem Eroberer verfolgen
können, waren sie noch nicht reich, und
ihre in Cheshire gelegenen Güter brach
ten ihnen nur mäßigen Wohlstand, bis
Sir Thomas Grosvenor die Tochter
Mary eines gewissen Alexander DavieS
hcirathete, der von einem zur Zeit der
Stuarts enorm reich gewordenen
Wucherer und Geizhals abstammte.
Dieser Alexander Davies war gleichzeitig
Stadtschreiber der Londoner City und
Besitzer einer Meierei, welche einen
großen Theil von London mit Milch
versorgte. Zur Ausdehnung seines
Geschäftes kaufte er ausgedehnte Wiesen
und Brachland in Belgravia, die um
einen lächerlich billigen Preis, aber nur
für baarcs Geld zu haben waren. Diese
Meierei wurde die Erbschaft der Lady
Mary Grosvenor; die Gründe wuchsen
von Jahr zu Jahr im Werthe, wurden
aber noch im Jahre 1800 als Bauplätze
zu nominellem Pachtzinse vermiethet.
Deshalb betrug das Einkommen deS
kürzlich verstorbenen Herzogs nach seiner
Aussage nur 200,000 Pfund Sterling
im Jahr, aber der junge Herzog, der
soeben das Erbe angetreten hat, wird
neue Pachtverträge abschließen und.
wie man glaubt, das Zehnfache deS
bisherigen Einkommens erreichen. Ge
genwärtig befindet sich der einund
zwanzigjährige Herzog von Westminster
in Südafrika als Adjutant Sir Alfred
Milners. und er wird schwerlich nach
Hause zurückkehren können, ehe der
Krieg beendet ist.
Fein gegeben.
Braut (nachdem sie ihren schon be
jährten Bräutigam vorgestellt): Was
meinst Du?.... Er ist ein Jünger
Aesculaps!"
Freundin: Ich hätte mir aber einen
jüngeren Aesculaps genommen!"
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