Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, February 08, 1900, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    f
f.
i
(;
Die Tragödie der Tragödin.
Sootllrtte nach dem tcQaiibian. $on
9. i'aifu.
l.
. Lucie GerSau hatte frühzeitig ihn
Eltern verloren und war im Hause
chrer Tante, einer Schileftcr ihrer
Muli, erzogen worden. Als sie fünf
öhu Jahre alt. kam sie in eine gute
Pension, wo sie während der nächsten
tret Jahre eine vortreffliche Erziehung
genoß, und dann in das HauS ihrer
nderlosen Verwandte zurückkehrte.
Tas junge Mädchen tonnte keine
Schönheit genannt werden, sie hatte
der eine sehr hübsche Figur. ausdruckS
volle große braune Augen und besaß
ein außerordentlich wohlklingendes Or
ganz in ihrem Genehmen den bejahrten
Verwandten gegenüber zeigte sie stets
eine liebenswürdige Zuvorkommenheit
und Bescheidenheit.
In demselben Hause wohnte Carlo
Rusini, ein junger italienischer Bild.
haiKr, der fast regelmäßig an jedem
Abende die beiden alten Leute besuchte
und bei ihnen den Thee nahm. Auch
nach der Ankunft deS jungen Mädchens
blieb er dieser Kemohnheit treu, und
bald entwickelte sich zwischen Lucie und
dem jungen Künstler ein freundschaft
licher geschwisterlicher Berkehr. Ge
schwistcrlich wenigstens von Seite l?ar
los. während das Herz Luciens sehr
bald für den schönen, liebenswürdigen
V. jungen Mann erglühte. Mehrere Mo
nate waren in dieser Weise ungestört
verstrichen, als in dem Wesen des Künst
lerS sich eine Veränderung bemerkbar
machte; er war zerstreut und träumerisch
geworden, erschien auch seltener Abends
bei seinen freunden im Parterre deS
HauscS. .Was ihm nur geschehen sein
mag?" fragte sich Lucie häusig mit
klopfendem Herzen.
EineS Tages war sie von innerer
Unruhe gequält, in des Bildhauers
Atelier hinaufgestiegen, nachdem sie be
merkt, daß Carlo fortgegangen. In
der Mitte des Raumes stand sein letztes
Werk, mit einem Tuche bedeckt. Lucie
entfernte daS Tuch und erblickte die
Büste einer Frau; nur der Kopf wär
vollendet, dieser aber so unvergleichlich
schön, zeigte so viel Leben so viel Seele
in den Zügen, daß die Beschauerin
einen Ausruf der Bewunderung nicht
zu unterdrücken vermochte. Dennoch
berührte sie das Kunstwerk fast schmerz
lich; der Gedanke, daß der von ihr so
heiß Geliebte sich so viel mit diesem
schönen Antlitze beschäftige, erfüllte sie
mit Neid, mit quälender Eifersucht.
Als sie nach einigen Minuten in das
Erdgeschoß hinuntergestiegcn, sah sie
sich dem eben eintretenden Carlo gegen
über. Der junge Künstler blickte sie so
heiter, so glücklich aus seinen dunklen
Augen an, wie niemals zuvor.
Lucie!" rief er aus, ihr die Hand
reichend. Sie sollen die erste sein,
die es erfährt ! Ich habe mich soeben
verlobt!"
Nur mit Aufbietung ihrer ganzen
Willenskraft gelang eö dem jungen
Mädchen, einige Worte hervorzubrin
gen, dann eilte es in sein Zimmer.
Viele Wochen waren seit jenem Tage
vergangen. Ein heftiges Nervenfieber
hatte Lucie auf's Krankenlager gewor
fen; nur allmählich kehrte die Erinne
rung zurück; am furchtbarsten war ihr
der Gedanke, daß Carlo erkannt habe,
wie sehr sie ihn liebe. Als sie dann
endlich genesen, war sie eine Andere,
das kindlich vertrauende Mädchen war
Weib geworden, im vollen Sinne deS
Wortes. Der Schmerz macht schneller
alt als die Jahre! Lucie war sanft und
füll, aber nur sehr selten heiter.
Sie hatte gelernt, sich in ihr Schick
sal zu fügen und suchte Befriedigung in
der sorgsamsten Pflege für ihre Ver
"wandten. ' Ueber Carlo Rufini wurde
niemals gesprochen. Einmal nur, in
den ersten Tagen ihrer Genesung,
fragte Lucie nach ihm. Die Tante
hatte geantwortet, daß Carlo während
. ihrer Krankheit geheirathet habe und
sich jetzt mit seiner jungen Frau in Jta
lien befinde: bis zum Tage seiner Ab
' reise wäre er jeden Tag gekommen, um
sich nach LucienS Befinden zu erkun
digen. Als diese dann in nachdenk
lichem Tone bemerkt, sie möchte wohl
'- wissen, wie Carlo's Gattin aussehe,
hatte die Tante ihr ein Portrait von
ihr gezeigt. Lucie erkannte es sofort
wieder: Es war die Frau in Marmor !
Es ist einige Jahre später. Vor
einer der ersten Buchhandlungen in
Paris stehen, dichtgedrängt, viele Leute.
.Haben Sie sie schon gesehen?"
ftaate ein Herr einen Bekannten.
. Meinen Sie Lucie Gerdau. die be
rühmte Tragödin? Nein, es ist unmög
lich. bei ihr vorgelassen zu werden. Ich
habe eine Portraitbüfte von ihr ge
sehen, glaube indeß nicht, daß diese ihr
ähnlich ist; sie war wenigstens weit da
von entfernt, schön zu sein."
.Die Künstlerin ist auch nicht schön."
entgegnete der Andere. Sie hat zwar
eine vortreffliche Figur und schöne Au
gen, ihr Hauptreiz liegt jedoch in ihrer
wundervollen Stimme. Eine, biegsame,
klangvolle Stimme, mit der sie die
Hörer bezaubert und hinreißt. Heute
Abend tritt sie in den Horatiern" auf.
Gehen Sie ja hin. Wenn Sie Lucie
Gerdau nur erst einmal gehört haben,
werden Sie ebenso entzückt sein, wie alle
Welt."
- .Gewiß werde ich hingehen! Wie ich
gehört habe, tritt sie heute zum letzten
Male in Paris auf. Sie unternimmt
eine Kunstceise durch halb Europa.
Bereich? 5er 'MkZichZeik ' liege.--
rto
ii
Jahrgang 20.
Gerade in den .Horatiern" möchte ich
sie gern einmal sehen: in der Flucht
scene soll sie großartig sein!"
Lucie Gerdau. deren Name durch
ganz Europa bekannt geworden, saß an
jenem Tage in ihrem Hotelzimmer, tief
in Gedanken dersunten.
Zum zweiten Male stand sie allein in
der Welt. Erst war ihr Oheim gestor
den, dann wenige Monate später die
Tante; sie hatte Beide bis zu deren Ende
mit treuer Liebe und Sorgfalt gepflegt.
Ihre Bcrhältnisse hatten sich seitdem
sehr günstig gestaltet. Oheim und
Tante hatten ihr ein hinreichendes Ver
mögen hinterlassen, um ganz unab
hänaig leben zu können. Ader sie wollte
einen Lebenszweck haben, eine Thätig
keit. der sie sich mit ganzem Herzem
widmen könnte.
Eines TageS erhielt sie den Besuch
eines alten Freundes ihres Vaters, der
ausgedehnte Verbindungen mit der
Bühnenwelt hatte und selbst genaue
Kenntnisse des TheaterwesenS besaß.
Luciens wundervolles Organ hatte den
Mann aufmerksam gemacht und ihn
entzückt, so daß er sich eingehender mit
ihr unterhielt und bald ihre hohe Be
gabung für die Bühne entdeckte. Er
bot Lucie an, ihr als der Tochter seines
alten Freundes, bei der Ausbildung
behilflich zu sein, was das junge Mäd
chen dankbar angenommen hatte.
Lucie Gerdau hatte von ihrem ersten
Auftreten an Erfolg; ihr Ruf als Tra
gödln nahm stetig zu. Kein Makel,
kein Flecken haftete an ihrem Namen.
Sie war freilich noch jung in einer
Welt des Truges und der Intrigue,
aber in ihrem Innern trug sie die
sicherste Schutzwaffe, an der alle Ver
suchungen abprallten: eine todte Liebe!
Lucie zuckte zusammen; in ihren
Erinnerungen stieg auch das Bild Carlo
RuniilS empor. Ob das Gerücht ihres
Ruhmes wohl auch zu ihm gedrungen
war? Kaum konnte sie daran zweifeln.
Der Gedanke erfüllte sie mit inniger
Freude, daß er nun doch wissen mußte,
daS Genie habe auch in ihr gefchlum
mert; eS fei etwas Bedeutendes. Her
vorragendes gewesen. waS er einst der
warfen! Sie wunderte sich dabei, daß
sie ihrerseits nie von Carlo Ruftnt hatte
sprechen hören; von ihm, der doch ein
so vielverheißendes Talent besessen.
Sollte die Zukunft alle Prophezeiungen
Lügen gestraft haben, oder hatte er
vielleicht der Kunst entsagt und sich
ganz dem häuslichen Leben gewidmet?
Es wurde leie an . die Tyure ge
klopft. Ein Diener trat ein, um Lucie
die Visitenkarten von Personen zu über
bringen, die gekommen waren, die
große Künstlerin zu besuchen; es besän
den sich darunter Männer von einfluß
reicher Stellung und hochangesehenen
Namen. Lucie empfing jedoch nur selten;
die meisten dieser Besuche ermüdeten und
langweilten sie. Was kümmern mich
diese Fremden." murmelte sie. die
Karten flüchtig durchsehend. Ein ein
ziger guter Bekannter würde mir lieber
sein."
Im großen Theater war es gedrückt
voll; kein Platz blieb unbesetzt, denn ein
Jeder wollte die berühmte Tragödin
noch zum letzten Male vor ihrer Abreise
sehen. Jedesmal, wenn Lucie Gerdau
auftrat, fühlte sich das Publikum von
ihrer Erscheinung zuerst mehr oder
weniger enttäuscht; doch kaum hatte
sie zu sprechen begonnen, als Niemand
mehr an ihr Aeußeres dachte. Alle
hingen athemlos an ihren Lippen. Sie
riß die Zuhörer unwiderstehlich mit und
brachte sie nach ihrem Belieben zum
Weinen und Erzittern. Zuweilen war
ihre Stimme rührend und ergreifend,
wie eine herrliche sanfte Musik; dann
wieder erklang sie drohend und laut,
die Zuhörer bis in's Herz hinein er
schauern machend.
Besonders als die Künstlerin in den
Horatiern" die entsetzlichen Worte der
Verfluchung ausftieß, machte sie einen
tiefen, gewaltigen Eindruck. Es lag
ein solcher Haß, eine so fürchterliche
Rachsucht, eine so maßlose Wuth in
ihrer Stimme, daß die Zuhörer einen
Schauer durch . ihre Glieder rinnen
fühlten; es war als ob Lucie diese Ver
fluchung über sie selbst ausgesprochen
hätte. Das Publikum war förmlich
betäubt.
Lucie Gerdau war sich der Macht
ihrer herrlichen Stimme auch vollkom
men bewußt. Einer ihrer Bewunderer
hatte einmal gesagt, er glaube nicht,
daß Ulysses, der dem Gesänge der Si
renen widerstanden, der Stimme der
Gerdau hätte Widerstand leisten kön
nen. '
Im Zwilchenakte brachten ihre Ver
ehrer der Künstlerin öffentlich eine Hul
digung dar: zwei goldene Lorbeerkränze
werden ihr überreicht, zur Erinnerung
an Frankreichs Hauptstaot. Lucie
dankte in einfachen, aus dem Herzen
kommenden Worten.
Als sie dann nach Schluß der Vor
stellung in ihre glänzend ausgestatteten
TU '"-."-""',""'"" """"
MU
re
LPÜI
Beilage zum Nebrasla Staats-Anzeiger.
Gemächer trat, von Niemand empfan
gen, der wirtlich Antheil an ihr nahm,
sank sie in einen Fauteuil und mur
melte seufzend: .Ruhm. Lorbeer.
Gold ! Eitle Werthe, wo das Herz kalt
bleibt!"
2.
Nach einer außerordentlich erfolg
reichen Kunftreise durch Europa und die
Vereinigten Staaten befand sich Lucie
Gerdau wieder in Paris, wo sie sich
vorläufig niederlassen wollte. Sie be
absichtigte, eine Villa in der Umgebung
zu kaufen und ganz nach ihrem Ge
schmack einzurichten; vor der Hand be
wohnte sie ein größeres Parterre
Apartement in einem eleganten Hotel.
Als sie eines TageS von einer Spa
zierfahrt im BoiS de Boulogne zurück
gekehrt, befahl sie ihrer Kammerjung
fer, ihr die Schatulle mit ihren Jume
len zu bringen; sie wollte einige
Schmucksachen auswählen, deren sie in
einer ihrer nächsten Rollen bedürfte
Die Zofe, die kurz vorher erst den
Dienst bei ihr angetreten hatte, konnte
einen Ausruf der Bewunderung nicht
unterdrücken, als sie die glänzenden
Steine und Perlen erblickte. -.Welch'
ein Reichthum!" rief sie aus.
.Reichthum macht nicht glücklich,
mein Kind," bemerkte Lucie mit trübem
Lächeln, und IS Mädchen sie ungläu
big ansah, fügte sie hinzu:' .WaS nützt
eS, wenn die Menschen uns für glück
lich halten, und wir selbst unS nicht so
fühlen!"
.So sprechen die Reichen tvohl mei
ftens," entgegnete die Zofe kopfschüt
telnd. .Sie übersehen die zahllosen
Vorrechte, die sie vor den Armen haben;
aber sie würden gewiß anders sprechen,
wenn sie selbst nur erst die Armuth kcn
nen gelernt, wenn sie nur ein einziges
Mal Zeugen von dem Elend wären,
das Andere zuweilen erdulden müssen.
Aber sie sehen es nicht, wenn auch der
entsetzlichste Jammer unter demselben
Dach erduldet wird, unter dem sie selbst
wohnen."
Als Lucie sie verwundert anblickte,
fuhr die Zofe ganz erregt fort: Ja.
Fräulein, unter demselben Dache! Hier,
in diesem Hause, befindet sich ein
Mann, der aus Mangel vielleicht be
reits gestorben ist !"
.Gestorben!" rief Lucie erschrocken
aufspringend aus. .Weshalb haft Du
mir das nicht früher gesagt, Marie?"
.Ich weiß es selbst erst seit heute
Morgen." erwiderte das Mädchen.
Der Mann liegt schwer krank darnie
der und kann keinen Arzt bezahlen,
gestern hat er sogar nichts zu essen ge
habt, denn er wohnt ganz oben allein
und Niemand vermuthete, daß es so
schlimm um ihn stände. Als ich das
hörte, nahm ich mir gleich vor, mit dem
Fräulein zu sprechen; ich kenne ja
meine Herrin zu gut, um nicht zu
wissen, daß Sie dem Acrmsten helfen
würden!"
.Ich werde ihm nicht allein helfen,
sondern auch sogleich selbst nach ihm
sehen." sagte Lucie.-
Geleitet von ihrer Kammerjungfer
stieg die Künstlerin bis zu den Man
farden des großen Gebäudes hinauf;
vor der Thür der Bodenkammer ange
langt, in der der Kranke lag, sandte sie
das Mädchen fort, mit dem Auftrage,
einen Arzt herbeiholen zu lassen.
Lucie trat in die kleine Bodenkam
mer. Nackte Wände und fast gar keine
Möbel; auf einem armseligen Bette lag
der Kranke, dem Anschein nach ein noch
ziemlich junger Mann; Krankheit
und Mangel hatten in vor der Zeit ge
altert. Voll Mitleid betrachtete Lucie den
Aermsten; plötzlich richtete dieser die
matten Augen auf die Besucherin:
Lucie Gerdau! Lucie Gerdau!"
flüsterte er halblaut wie im Traume
vor sich hin. Jetzt hatte sie ihn er
kannt. und mit dem Aufschrei: Carlo!"
sank sie neben dem Lager in die Kniee.
Ja. es war in der That Carlo Rufini.
arm. verlassen, vor Hunger sterbend!
Lucie!" fagteermitmatterStimme.
Lucie! Der Himmel hat mein Gebet
erhört; ich sehe Sie noch einmal wieder
vor meinem Tode!"
.Still, Carlo!" ' schluchzte Lucie.
.Sie dürfen nicht vom 'Sterben spre
chen. Bald wird ein Arzt erscheinen,
zu dem ich bereits geschickt. Sie werden
wieder genesen, mein armer Freund !"
Zu spät!" sagte er kopfschüttelnd.
Zu spät!, Mein Leben geht rasch zu
Ende. Ach Lucie!" fuhr er nach einer
kurzen Pause fort; ich habe mich so
sehr nach diesem Augenblicke gesehnt;
es giebt so Vieles, das ich Ihnen
sagen möchte. Ich will Ihnen erzäh
len, was mich in diesen Zustand ge
brachthat." '
Sie dürfen nicht so viel sprechen.
Carlo," unterbrach sie ihn.. Trinken
Sie vor allen Dingen ein Glas von
diesem Wein, den ich für alle Fälle mit
gebracht." .
iMflKiM
Nachdem er getrunken, fühlte er sich
etwas kräftiger und fuhr mit leiser
Stimme fort:
.Mein Unglück begann mit dem
Tage meiner Verheiratung. Ich liebte
meine Frau leidenschaftlich und glaubte,
auch von ihr geliebt zu sein. Von ihrem
Vater hatte sie gehört, daß ich reich und
berühmt sein würde, das allein nur
hatte sie bewogen, mich zu heirathen, in
der Hoffnung. e,n glänzendes Leben
führen zu können. Als sie einsah, daß
ich ihr das nicht bieten konnte, verließ
sie mich, nachdem sie sich Alles angeeig
net, was ich besaß. Ich forschte nicht
nach ihrem Verbleib, denn meine Liebe
wer längst erkaltet. Ich ging nach
Paris. Hier hörte ich überall von Lucie
Gerdau. der beruhinten Tragödin, fpw
chen. ich sah ihr Porträt und erkannte
sofort nieine Jugendfreundin. Als ich
Sie dann in den .Horatiern" gesehen.
wurde mir klar, was ich unwissentlich
gethan, welchen Schmerz ich Ihnen be
reitet, denn ich begriff jetzt Alles.
Theure Lucie, Gott ist mein Zeuge, daß
es ohne meinen Willen geschehen. Kön
nen Sie mir verzeihen?"
.Ich habe nichts zu verzeihen. Carlo;
hängt es denn von uns selbst ab, ob wir
Jemand lieben oder nicht?"
Sie haben recht, Lucie," sagte
Carlo, leerte das ihm dargereichte Glas
Wein und fuhr nach kurzem schwelgen
fort: .Wie lfltte ich sonst jemals dieses
niedrige, selbstsüchtige Geschöpf geliebt!
Hier in Paris glaubte ich meine frühe
ren Träume von Ruhm verwirklichen
zu können. Thorheit! Jene Frau hatte
mich nicht allein meines Geldes beraubt,
sie hatte auch meine Schaffenskraft ge
lähmt. meine , Hand entnervt. Oh,
Lucie! Sie wissen nicht, wie hemmend
auf den Künstler die Erfahrung wirkt,
daß das Schöne eine Lüge sein kann;
sie tödtet die Begeisterung in ihm! Sah
ich je ein Gesicht von so reiner Schön
heit wie das ihrige, so mußte ich plötz
lich denken, daß dieses schöne Gesicht der
niedrigen Seele als Maske dienen könnte,
und anstatt des Entzückens erfaßten mich
Bitterkeit und Mißtrauen. Ich war
unfähig geworden, etwas Großes zu
schaffen und gerieth allmählich in bittere
Armuth!" Erschöpft schloß Carlo die
Augen.
Als nach einer Stunde die Kammer
jungfer mit einem Arzte in der Boden
kammer erschien, erblickte sie vor dem
armseligen Lager die schlanke Gestalt
ihrer Herrin knieend, mit dem Kopfe
auf dem Bettrande ruhend, ohne Be
wußtsein; ihre Hände hielten die erkal
tete Rechte des armen Carlo Rufini um
faßt! - '
Noch heute wird die große Tragödin
jubelnd begrüßt, wenn sie durch die Ge
malt ihrer Kunst heilige Schauer in den
Herzen der Menschen erweckt; über
welche Trümmer von Glück sie selbst hat
hinwegschreitcn müssen, um zu dieser
Vollendung zu gelangen, ahnt Keiner
von Allen.
Die Falle.
Nach dem Ungarischen von Sigmund Sebök.
Deutsch von Akas Laszlo.
Der Vizegespan Fabian v. Kezdy
hatte die Wahrnehmung gemacht, daß
seine Tochter seit einiger Zeit sehr nie
dergeschlagen war. Das hübsche blonde
Mädchen ging traurig, in sich gekehrt
im Hause umher. Am liebsten hielt sie
sich im Garten in einer entlegenen
Laube auf. Bei den Mahlzeiten hatte
sie kaum etwas genossen, und ihre Au
gen zeigten oft Spuren von Thränen.
Die Geschichte ftng an den Vater zu be
schäftigen.
Der Backft ch 1 1 verliebt! Wir wol
len der Sache auf den Grund gehen.
Aber wen liebt sie ? Wer ist der Don
Juan, der es gewagt, ihr Köpfchen zu
verdrehen?" Der Vizegespan war ein
guter Menschenkenner. Er wußte zu
genau, daß kein Inquisitor der Welt
im Stande sein würde, feiner Tochter
das süße Geheimniß" zu entreißen.
So ein verliebter Backfisch möchte am
liebsten mit dem süßen Geheimniß' im
Herzen sterben. '
Am Näch ten Tage, wadrend des
MittagSessens. begann der Vizegespan
mit gleichgültigem Tone zu sprechen:
Morgen wird ein großes Ereigniß statt
finden. Ein Duell." Diese Worte
verfehlten ihre Wirkung nicht. Irma
fuhr zusammen, doch im nächsten Mo
ment fragte sie wie gteichgüttig mit let
ser Stimme: Ein Duell?"
Ah! das Kätzchen zeigt Jntere e für
die Sache. Jetzt heißt es aber, das
Eisen schmieden, so lange es heiß ist.)
Ja wohl, mein Kind! Ein Duell
. . 10 Schritt Distanz .... Es wird so
lange geschossen, bis Einer" auf dein
Kampfplatz bleibt Die Todtenglocke
wird sicher geläutet Das Wort
Todtenglocke brachte das Mädchen
aus der Fassung.
SF
W-
No. -3.
.Wer sind denn die Duellanten?"
fragte sie mit zitternder Stimme.
.Mein Herzchen, ich darf eS nicht ver
rathen ES ist ein Geheimniß
Ehrensache.. ..!"
Irma ließ ihr Köpfchen hängen.
Nach einer Weile fragte sie: .Sind Sie
vom Komitatshaus?"
(Hm! also der Geliebte ist beim Ko
mitatshauS angestellt.) .Ja? ja! vom
Komitate!" Das Gesicht des Mädchens
wechselte die Farbe. Hastig warf sie
die Frage dazwischen: Sind eS höhere
Beamte?" Also ein höherer Beamte ist
der Auserwählte, dachte der Vizegespan.
Er stürzte aus Freude über die gelun
gene Taktik ein Glas Wein hinunter.
(Schließlich ist das Malheur, wenn sie
einen höheren Beamten liebt, nicht so
groß!) Du hast es errathen! ES sind
höhere Beamte." Irma's Antlitz hei
terte sich zusehends auf. Ein liebliches
Lächeln umspielte'ihre Lippen, und mit
dankbarein Blick sah sie auf ihren ge
strengen Vater.
Dieser zog jedoch das Gesicht in
strenge Falten. (Also nicht für einen
höheren Beamten schlägt des JrüuleinS
Herz. Diese könnten ihretwegen sammt
und sonders ihr Blut vergießen. Nun
ist es klar, daß sie sich in irgend einen
Notarius oder Buchhalter vergafft hat.
Das darf aber auf keinen Fall geduldet
werden. Die Attacke muß von einer
anderen Seite her bewerkstelligt wer
den.) ... ..Das heißt," rief Herr v.
Kedzy bedeutungsvoll aus, ich hoffe
es stark, daß einer der Theilnchmer bei
dem Duell ein höherer Beamter sein
wird."
Ist eS denn nicht sicher, lieber
Vater ?"
Gewiß nicht!"
Irma blickte erstaunt auf den Vize
gcfpan. .Wenn aber das Duell schon
morgen stattfinden soll, dann mußt Du
doch wissen, wer die Betheiligten sind."
Er machte eine abwehrende Geste mit
der Hand. Das ist es eben," sprach
er im Flüsterton, vorsichtig um sich
blickend. Wenn Du mir versprichst,
daß . Du verschwiegen bleibst, will ich
Dir das Geheimniß offenbaren."
.Ich verspreche es Dir, Väterchen!"
Es ist von einem berüchtigten Duell
Helden aus der Hauptstadt die Rede.
So ein Raufbold, von denen die Zei
tungen stets voll sind.... Gewiß hast
Du schon öfter über ihn gelesen....
Unausstehliche Menschen, aber treffliche
Schützen Denke Dir, mein Lied
ling. gestern kam einer von dieser Sorte
aus Budapest hier an. Kaum, daß er
den Fuß in unsere Stadt gesetzt, da hat
er schon im Club, wo er sich wegen
einer Lappalie beleidigt fühlte, den
ganzen Beamtenchor beleidigt. Wir
stellen ihn zur Rede, worauf er im höf
lichsten Tone erklärte, daß seine belei
digenden Worte nur den jüngeren Be
amten gelten sollen. Es war klar, daß
der Bengel nur ein Duell provociren
wollte. Wir haben aber keine Angst
bekommen. Heute Abend kommen die
jüngeren Beamten zusammen, sie wol
len durch das Loos entscheiden, wer sich
dem Menschen gegenüber stellen wird..
Morgen früh findet das Duell auf
meinem Gute statt. Ich fahre selbst
hinaus, um die Vorbereitungen zu trcf
fen Ich muß sofort aufbrechen."
Der Vizegespan hatte dies Alles mit
Ernst und mit solcher Natürlichkeit er
zählt, daß bei Irma kein Zweifel über
die Wahrheit feiner Worte aufkommen
konnte.
Und wird denn ein Jeder,' fragte
sie mit schlecht verhehlter 'Unruhe, an
der Verloosung Theil nehmen?"
Sämmtliche jüngere Beamte des
Komitatshauses, Kleine und Große,
ohne Unterschied deS Ranges. . . na
türlich ausgenommen Diejenigen, die
am heutigen Tage durch ihre amtliche
Thätigkeit verhindert werden." Er er
hob. sich von seinem Platze und ließ an
spannen. ,
Nachdem er seinen Huszar hatte
rufen lassen, zog er sich mit diesem auf
sein Arbeitszimmer zurück.
Hören Sie, Karl," sprach er zu dem
Diener, wenn ich später nach Ihnen
klingeln sollte, dann melden Sie sich
nicht, und wenn die Glocke noch so stark
ertönen wird, Sie hören es einfach
nicht! Verstanden?"
Zu Befehl!" ,
Nachdem der Diener sich entfernt
hatte, rief der Vizegespan feine Tochter
zu sich. Sie trat ein und sah unruhig,
mit thränenden Augen auf ihren Va
ter.
Ich komme, mein Kind, erst morgen
früh zurück." Das Mädchen seufzte
auf.
, Ah jah!" .... rief der Vizegespan
aus, als wenn ihm etwas erst jetzt ein
gefallen wäre. Ich hätte es fast der
gessen!" Er klingelte, doch der Huszar
meldete sich nicht. Donnerwetter, wo
bleibt denn der Mensch! Gewiß ist' ber
Kerl wieder betrunken und ich habe
solche Eile " Nun wandte er sich an
feine Tochter: Wenn Karl sich meldet,
so giebst Tu ibm diese Akten hier. Er
soll sie einem samten einhändigen und
diesem gleichzeitig den Austrag erthci
len. daß er sich nach dem abgebrannten
Parksdcrf begeben möchte. Er hat bei -der
Verthcilung der Hülfsgelder den
Bezirk zu vertreten. Morgen Abend
erwarte ich den Herrn zurück und
wünsche von ihm eine persönliche Be
richterstattuiig."
Vater!" rief Irma dem davoneilen
den Vizegespan nach, .wem soll Karl
die Alten übergeben?"
.Dem ersten, besten Beamten!" .
Herr d. Kezdy stieg in seinen Wage
und fuhr davon. Er lächelte vergnügt
und verlegen. Jetzt ist der Backfisch in
der Fall,.' Jetzt werden wir schon den
Don Juan kriegen. Zweifellos wird
sie den Angebeteten nach Parksdorf ab
reisen lassen, damit er bei der AuS
loosung nicht anwesend sei.
Auf seinem Gute wurde Niemand er
schössen. Am Abend hatte sich dort eine
vergnügte Gesellschaft zusammengefun
den. die die Nacht in ausgelassener Hei
terkcit verbrachte. In aller Frühe fuhr
der Vizegespan in die Stadt zurück.
Als er heimkehrte, schlief Irma noch.
(Sie hat ihn" also abreisen lassen,
sonst würde sie nicht so ruhig schlafen
können.) Bei dem Frühstück setzte der
Vizegespan eine finstere, sorgenvolle
Miene auf, um bei seiner Tochter den
Anschein eines erfolgten Unglücks zu er
wecken.
Irma richtete einige Fragen über -den
Verlauf deS Duells an den Vater.
Da dieser keine Neigung zeigte, ihr
darüber Mittheilungen zu machen,
hörte sie mit dem Fragen aus. Irma
schien sehr glücklich zu sein. Ihr Ant
litz strahlte und sie sprach mit selten
gutem Appetit den Speisen zu. Jhret
wegen hätte man sämmtliche Beamten
des KomitatS außer dem bewußten
Einen" todtfchießen oder zusammen
hauen können.
Der Vizegespan verbrachte den Bor
mittag auf seiner Kanzlei, wo er mit
der größten Seelenruhe auf VaS sich'
meldende Ideal" seiner Tochter war
tete. Dann und wann blickte er auf
die Uhr. Jetzt ist der Zug angekom
men. Er muß bald hier sein. Nach
Ablauf einiger Minuten wurde leise,
schüchtern an die Thüre geklopft, und
mit tiefen Bücklingen, mit einem tnjj
Akten unter dem Arm, in abgetra
genem Rocke trat der junge Diurnift
ein.
Der arme Diurnist zerbricht sich noch
heute feinen Kopf darüber, aus welchem
Grunde er so plötzlich und unverhofft
in einem entlegenen Winkel des Landes
die Stelle eines gut besoldeten Notars
erhalten hat.
ine Weihnacht , Ueberraschu.
durch den deutschen aiser.
Wie der Frankfurter Oderzeitung"'
nachträglich bekannt wird, wurde am
Heiligenabend einem Soldaten durch
den deutschen Kaiser eine Weihnächte
Ueberrafchung zu Theil. Am 24. ,
Dezember stand der Gefreite Dtt
Sperber vom Posen'schen Infanterie
Regiment Nr. 58, der z. Z. zum Lehr
JnfanterieBataillon kommandirt ist,
in der Hauptallee in Potsdam aus
Posten. Um 2 Uhr Nachmittags be
fand sich der Kaiser auf dem Wege von
Potsdam nach dem Neuen Palais.
Der Possen präseniirte. Mit den Wor
ten: Nimm Gewehr über, mein Sohnk
Ich habe ein Geschenk für Dich!" trat
der Kaiser an ihn heran.
Schlagfertig jedoch entgegnete der
Gefreite: .Meine allgemeine Posten
Instruktion verbietet mir, Geschenk
auf Posten anzunehmen."
.Ich möchte Dir's doch aber schen
ken," fuhr der Kaiser fort, das
blanke Fünfmarkftück zeigend.
. Der Posten erwiderte, indem er auf
das Schilderhaus deutete: .Wollen Ew.
Majestät das Geschenk nicht dorthin
legen?"
Der Kaiser that dies und fragte
weiter: Was wirst Du nun damit
machen?"
Zum Andenken aufbewahren, Ew.
Majestät!" war die Antwort.
Jetzt -fragte der Kaiser den Posten
nach Name, Stand und Heimath. Als
er hörte, daß die Wiege des jungen
MarsfohneS in Marxdorf bei Münche
berg gestanden, sagte er: .MüncheberK
kenne ich auch aus dem Kaisermanöver
des Jahres 1838. Dort war ick nf
Tage im Quartier." Mit dem
Wunsche: .Laß Dir's gut gehen. Ka
merad!" verabschiedete sich Kaiser mu
Helm, dem Posten freundn hi lSan
. , ' . r 7 V""
reichend.
Der schreökliche Bill.
Eine niedliche Geschichte, die sich bei.
der Abreise eines englischen Reservisten
zutrug und die von dem hohen Ver
trauen zeugt, das die britische Soldaten X
stau in die Tapferkeit ihres Gatten
setzt, wird aus Birmingham berichtet.
Eine Frau weinte bitterlich, als der
Zug mit ihrem Gatten den Bahnhof
Snow Hill verließ. Ein Herr, der die v
Szene beobachtete fühlte sich veranlaßt,
ihr einige Worte des Mitgefühls zu fa
aen, war aber nicht wenig überrascht,
als die Frau mit schluchzender Stimme
erwiderte: O, ich gräme mich nicht so
sehr um ihn ; die armen Boeren sind es,
die mir leid thun. Bill ist so schreck
lich. wenn er erst angefangen hat."
Sprach's und ließ den Mitleidigen der-,
dutzt stehen.