Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, February 01, 1900, Image 10

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    Unrorschriftsmaßia.
f '
Humor,!! von ' u d w i g rieil.
Leutnant Schripp ftand vor dem
Spiegel. Während sein Bursche hinten
an dein glänzenden neuen Stock herum
bürstete und mit angefechtctem Finger
einwlne Staubkörnchen zu entfernen
suchte, drehte er selb an seinem all
mählich sich zeigenden Schnurrbärtchen.
Keora." faate er gerade zu seinem
Burschen, .was fällt Ihnen denn ekn?
An meinem neuen Rock mit den Finger
Nägeln herumzukratzen: Wollen ,e
einen Flecken entfernen, so muffen Eie
die Stelle zunächst etwas anfeuchten,
und zwar.. .."
Loch der eifrige Georg wartete die
Belehrung gar nicht weiter ab. .Zu
Befehl!" fugte er nur, dann sandte er
zwischen seinen Zähnen hervor ein statt
licheS Quantum jener Flüssigkeit, die
man sonst gewöhnlich nur dazu derwen
det, um den Stiefeln beim Wichsen
einen vermehrten Glanz zu verleihen,
auf die bewußte Stelle des Rocks. Aber
manchem Herrn kann man eS nie recht
machen.
.Mensch!" schrie der Leutnant, .find
Sie verrückt? Lassen Sie mich doch aus
reden! Fleckenwasser sollen Sie zum
Anfeuchten nehmen!"
Beschämt wischte Georg mit seinem
Taschentuch, auf dem die Schlacht bey
Wörth und die einzelnen Theile des
Gewehrs abgebildet waren, den Rock
wieder ab.
Heute war Liebesmahl im Casino.,
Deshalb hatte sich Schripp besonders
unternehmend geschmückt. Der ver
botene weiße Stehkragen schaute frech
über den Rand deS viel zu hohen rothen
Rockkragens heraus, und die bis auf die
halben Finger reichenden Manschetten
strahlten in frischem Glänze. Schripp
trug niemals Röllchen", nur Man
scheiten, die mit dem Hemd aus einem
Stück gefertigt waren und nicht davon
wezgenommen werden konnten. Das
war zwar etwas unbequem, namentlich
beim Schreiben: aber erstens schrieb er
überhaupt nur im äußersten Nothfall,
und, was die Hauptsache war, der
Fähnrich von Borovic von den Husaren
hatte ihm auf Kriegsschule einmal der
sichert, in seinen Augen sei ein Mann,
der die Manschetten nicht am Hemd
selbst trüge, einfach gar nicht als Mann
zu rechnen. Und Borovic mußte das
wissen. Dazu war er Husar.
Solche Manschetten, dazu ein fast
unmöglich hoher Rockkragen, ein weißer
Stehkragen noch darüber herausschauend
und vor allem eine recht forsche Mütze,
das waren nach Anficht des Leutnants
Schripp die Glanzpunkte der Uniform,
wenn sie auch keineswegs der Borschrift
entsprachen. Daß der Herr Gouverneur
anders darüber dachte,' und Jeden
faßte, den er mit solchen Geschichten er
tappte, das war allerdings einende
trübende Thatsache, doch ihr mußte
nach Ansicht Schripps mit aller Encr
gle entgegengetreten" werden. Vicft
Energie beruhte aber offenbar mehr in
der Defensive als in der Offensive; denn
Schripp zog sofort, als er seine Woh
nung verlassen hatte, den Rockkragen
über den weißen Stehkragen empor und
suchte, damit die Höhe des ersteren
weniger auffiele, den Hals so viel als
möglich emporzurecken. Die Mütze, die
vor dem Spiegel kühn auf einem Ohr
gesessen hatte, rückte er schön gerade auf
den Kopf. Vorschriftsmüßiger wird
sie ja dadurch doch nicht." tröstete er
sich, und dabei fällt sie nicht so auf
Im Casino war schon fast alles ver
sammelt, als Schripp eintrat. Er
blickte deshalb nur noch einmal schnell
m den Spiegel, machte seine Pflicht
mäßige Perbeugung vor den Vorgesetzten
und tauchte dann in der hintersten Ecke
desSaals unter dem Corps derLeutnants
unter. , Die Leutnants mußten natür
lich die hinterste Ecke wieder aussuchen
Während die andern Herren, selbst
einige ältere Oberleutnants, mit den
festlichsten Gesichtern an der Eingangs
thür Seine Excellenz, den Gouverneur,
erwarteten, machten die Leutnants am
entgegengesetzten Ende deS Saals ihre
Witze und griffen dabei heimlich ab
und zu in die gefüllten Fruchtschalen,
die auf der gedeckten Tafel standen,
Ein lautes Scharren von vielen
Stiefelsohlen und ein Zusammenklap
den von Absätzen und Sporen unter
brach ihre lebhafte Unterhaltung und
ließ sie aufschauen. An der Eingangs
thür waren alle Köpfe verschwunden
Man sah nur noch gebeugte Rücken.
Deshalb senkten sich nun auch die edlen
Häupter der Leutnants etwas; denn der
Gouverneur war er cyienen. frreund
lich lächelnd trat er heran und machte
nach allen Seiten hin eine allgemeine
Verbeugung. Tann reichte er dem
Kommandeur die Hand, ebenso jedem
der Stabsoffiziere. Dazu sagte eriedes-
mal einige verbindliche Worte, die von
jedem durch ein beglücktes Lächeln und
ein lu ammen lagen ver Av ae er
widert wurden. Was dabei gesprochen
wurde, konnten die Leutnants natürlich
nickt verstehen.
' Was Excellenz denen wohl für
einen Witz erzählt, weil sie so vergnügt
lachen?" flüsterte Leutnant Schripp
frivol dem Leutnant von Schwarz zu.
Pass' nur auf," antwortete dieser,
.daß er Dir nicht auch einen Witz er
zählt wegen Deiner unvorschriftsmätzi
gen Mütze. Den Leutnant Vorkum von
der Fcldbombe hat er erst gestern auf
fünf Tage festgenagelt."
DaS schien nun Schripp nicht beson
,dcrs zu gefallen. Deshalb verließ er
auch jetzt als Letzter den Saal, als
man unter Vorantritt deS Gouverneurs
sich in die Garderobe begab, um dort
Säbel und Müe abzulegen. Er wollte
sich dort nicht zu gleicher Zeit mit feinen
Vorgesetzten aufhalten. Denn wie leicht
tonnte ihn der Gouverneur dann länger
ansehen und Stubenarrest war gerade
nicht SchrippS Leidenschaft. In der
That hatte er Glück. Die höheren Vor
gesetzten hatten die Garderode schon alle
wieder verlassen. als er dorthin kam
Nur einzelne brave verheirathcte Haupt
leute, und ältere solide Oberleutnants
huschten noch umher, um heimlich ihre
Sachen wieder wegzunehmen und in
irgend einer dunklen Ecke in der Nähe
der AuZgangSthür deS CafinoS zu der
bergen.
Aha. einige Drückeberger!" dachte
Schripp. .Die wollen nach dem Essen
gleich wieder verschwinden, und da sie
aus der Garderode nicht weg können
ohne gesehen zu werden, so bringen sie
ihre Sachen gleich jetzt wieder hinaus."
Dabei zuckte er verächtlich mit der
Achsel. So etwa? war ihm unbegreif
lich. Er war immer einer der Letzten,
die nach Haufe gingen und zwar immer
erst am nächsten Tag. Dafür war er
cS vielleicht auch einmal so wie diese
Drückeberger".
Als sich Schripp in der Garderobe
allein sah. packte ihn gleich wieder sein
Uebermuth, und er hängte seine Mütze
nicht zu seinem Säbel hin. sondern so
recht herausfordernd stülpte er sie über
eine höchst ehrbare und plumpe Kom
mißmütze, die bescheiden in einer Ecke
hing.
Man war gerade im Begriff sich zu
setzen, als Schripp den Saat wieder be
trat, und die Musik spielte zur Er
Öffnung des Festes einen flotten Marsch.
Das Licbesmahl verlief wie alle andern
seinesgleichen. Der Herr Gouverneur
legte sich seine Serviette zurecht, und
der Herr Oberst sah ihm dabei aufmerk
sam zu. Denn er wußte, daß Seine
Excellenz nach Beendigung dieses Ge
schäfts ihn ansprechen würde. Das war
immer so, und zwar sagte der Herr
Gouverneur jedesmal, daß 'ihm die
Arrangements bei diesem schönen Fest
sehr gut geftelcn. Unterdessen sah sich
der Oberstleutnant auf der andern
Seite Seiner Excellenz die Speisenfolge
an. Jetzt hatte er dazu noch Zeit, lir
wurde erst nach dem Oberst angeredet
und zwar immer mit der Frage, wie
es seiner ,srau GemaliilN geye. xie
übrigen Stabsoffiziere saßen zunächst
noch lautlos da, das eine Augenach der
Weinkarte oder der Supper-Ordonnanz.
das andere nach dem Gouverneur ge
richtet. Er konnte ja möglicherweise
auch einmal einen von ihnen unver
muthet ansprechen.
Bei den Hauptleuten ging es scpn
lebhafter zu. , Einer von ihnen sprach
etwas, leise zwar, aber so eindringlich
und begeistert, daß sich die andern elf
Häuptlinge mit weit geöffneten Augen
so weit wie möglich vorbeugten, um sich
ia keines seiner Worte entgehen zu las
sen. Die Scene erinnerte unwillkürlich
an jenes bekannte Bild, auf dem Moritz
Arndt das Volk zum Kampfe ausruft
Hier handelte es sich aber um ein neues
Lcderputzmlttel, been Vorzüge der Be-
treffende den andern Häuptlingen ans
einandersetzte.
Bei den Leutnants konnte man drei
Gruppen unterscheiden. Die Adjutan
ten, die selbstverständlich von ihren
Pferden sprachen, dann die mittleren
und jüngeren Jahrgänge,, die sich ihre
Zeit zwischen dem Essen und Trinken
damit vertrieben, daß sie immer alle
gegen einen sich vereinigten und diesen
mit irgend etwas, feiner Flamme oder
sonst einer besonderen Leidenschaft oder
Eigenschaft so lange neckten, bis er bei
naht Feuer spie vor Aerger oder bis er
als gewandter Diplomat die Aufmerk-
samkcit auf irgend einen anderen Un
glücklichen zu lenken wunte der dann
Fortsetzung zu kosten bekam, und drit
tens die letzte Gruppe an der Tafel, die
der Dächse" oder jüngsten Leutnants.
Deren Hauptthema, das immer wiedev
kehrte, war der so sehnlichst erwartete
Schnurrbart, und der Jüngste von
ihnen, achtzehnjährig und Baby",
Bamblno" oder Kind" genannt, der
selbst noch darüber nicht mitreden
konnte, vergnügte sich still damit, sei
nen Serviettenring als Monocle ins
Auge zu klemmen und seinen Busen
freunden so geschmückt Gesichter zu
schneiden.
Allmählich kam dann der Rehbratcn
mit Compot und der Herr Oberst mit
der Festrede, und schließlich wurde Licht
angezündet und geraucht. Nun durfte
man auch vom Tisch ausstehen, und die
Stimmung wurde etwas freier. Das
Oberhaus und das Unterhaus zeigten
einander ihr Wohlwollen durch gegen-
seitiqes Zutrinken und gegenseitige Be
suche. Einige Köpfe waren schon
rosig angehaucht, und riesig eigcraucht
waren alle, denn die Dampfwolken der
vielen Cigarren hüllten jetzt schon den
ganzen Saal em. Als das Bier ge-
I JCi V . I Ai. kl A. IX... V-i
oracyi ivuror, qalie nw aion oas
Studium der Gruppenbildung" ent
wArlt. In jeder Ecke, an jeder Wand
sah man zwei, drei oder mehr Herren
stehen, die eifrig mit Händen und
Mund aneinander hinredcten. Tort
standen z. B. in einer Ecke zwei Ober
icuinanis uno vcrncvcricn: 10 eiivas
gäbe eS auf Erden sonst überhaupt
nicht mehr; so wie eS die Hauptlente
der Jetztzeit machten, fei eS- total ver
fehlt. Eine Kompagnie dürfe nur so
und so geführt werden. Dabei behaup.
tete natürlich Jeder das Gegentheil
vom anderen, was sie aber durchaus
nicht störte. In der nächsten Ecke schwor
Schripp gerade einigen anderen Leut
nants. daß eS nichts edleres gäbe als
die Kameradschaft, und die Kameraden
bezeugten ihre völlige Uebereinstimmung
in dieser Beziehung dadurch, daß sie
sich untereinander und den Redner
Schripp plötzlich gleichzeitig und viel
skltlg umarmten und dadurcy eine
dekorativ prächtig werdende Gruppe
"bildeten. Doch diese wurde leider gar zu
schnell zerstört. Das in Beziehung auf
dekorative Kuuft noch völlig unschuldige
.Babu Bambino oder Kind" war
heimlich herbeigeschlichen. einem Herrn
zwischen den Beinen durchgeschlüpft
und stieß nun plötzlich wie ein Maul
wurf mitten durch die aneinander ge
lehnten Häupter mit feinem Kopf her
vor. dabei sein Triumphqeschrei .Oooh'
anstimmend. Doch ein strafender Blick
deS Herrn' Oberst machte ihn schnell
wieder verstummen und trieb die
Gruppe völlig auseinander.
Die Reihen der Hauptleute und
Oberleutnants hatten sich schon sehr ge
lichtet. Die .Drückeberger" verschwan
den französisch, einer nach dem andern,
Gar mancher Stabsoffizier sandte ihnen
einen neidischen Blick nach. Denn er
konnte nicht so fort, so gern er auch
wollte, er saß gar nahe bei Seiner
Excellenz. Endlich erhob sich der (3ou
vcrneur und mit ihm das ganze Ober
haus. Nun waren die Leutnants unter
sich. Einer der Herren setzte sich an
Klavier, und man fing an zu tanzen
und zu singen. Namentlich Schripp
konnte vom Tanzen gar nicht genug
bekommen. Er mußte sich für diesen
Winter im Walzer üben; denn der war
noch sehr seine schwache. Seite. Zwl
schen jedem Tanz trank er dann wieder
ein Glas Bier, und schließlich wußte er
nicht mehr recht, ob er sich im Saal
oder ob der Saal sich um ihn drehe.
und allmählich fingen nun nach sei
nem.'Gcfühl wenigstens auch alle Tische
und Stühle im toaal und die Krön
leucylcr an mu zu tanzen, kurz, er
merkte daß es jetzt höchste Zeit für ihn
war. zu verschwinden.
Er ging also in die Garderobe.
schnallte den Säbel um und suchte seine
Mütze. Sie war nicht zu finden Ja
so! Jetzt fiel ihm em, daß er sie auf
eine alte Eommißmütze hinaufgcstülpt
hatte, dort in der Ecke. Er ging hin.
aber welches Pech seine eigene Mütze
war verschwunden, und nur die Com
mißmütze hing noch da. Er setzte sie
also auf zum ersten Mal in seinem
Leben trug er ein so braves ehrbares
Tienstmöbcl auf dem Kopf und zum
Glück paßte sie ihm wenigstens einiger
maßen in der Weite. Wie er nach
Hause kam, wußte er nicht recht.
Aber kaum geschlossen nach seiner
Meinung erwachte er wieder durch
eine tarle Er chütteruna. Verwirrt
schaute er um sich. Sein Bursche stand
vor dem Bett und schüttelte ihn mit
aller Kraft am Arm. Dabei rief er
mehrmals mit lauter Stimme: Herr
Leutnant, es ist halb sechs Uhr!"
Wie. schon halb sechs?" seufzte der
Leutnant und verließ schwerfällig fein
warmes Lager. Sein Magen 'schien
ihm nicht ganz so zu fein, wie er fein
sollte, und in der rechten Schläfe spürte
er ein gewisses Stechen. Um sechs Uhr
in derFrüh hatte der Arme schon wieder
Turnunterricht zu geben. Eilig machte
er sich deshalb fertig und stürmte nach
der Kaserne. Da das fehlte gerade
noch heute Morgen da kam der Gou
verneur auf ihn zugeritten. Wahr
schcinlich kam er zu dieser Stunde schon
wieder von Rcitanlageu draußen zurück
Denn er war bekannt als Frühauf
sicher ., Wcnn er nur nichts an meinem
Anzug bemerkt, dachte Schripp, heute
könnte er jedenfalls einiges zum Aus
stellen daran finden. Denn die Zeit
zum Anziehen war gar zu knapp ge
Wesen. . '
Als der Gouverneur in die Nähe
kam, grüßte Schripp, so stramm er
konnte; vielleicht lenkte er dadurch den
Blick des Vorgesetzten von seinem Anzug
ab. Aber vergebliche Hoffnung! Der
General mußte jchon etwas an ihm ent
deckt haben. Er sah Schripp scharf an.
als er seinen Gruß erwiderte und winkte
ihn dann zu sich heran. Schripp klopfte
das Herz fast hörbar. Was jetzt wohl
kam:
err eutnant, agke ein ooyer
Vorgesetzter, was haben Sie denn da
für eine sonderbare Mütze auf;' viel zu
hoch für Ihren schmalen Kopf und der
Schild so groß, daß er über Ihr halbes
Gesicht hinwegsieht. Wohl neuste
Mode, wie?"
Ich weiß nicht, Excellenz, wie,
wa " stotterte Schripp
Mehr brachte er nicht hev
ten so zusammen, daß der Gouverneur
beinahe Mitleid mit ihm bekam und
um seine Strafe gleichsam zu ent
schuldigen, zu ihm sagte: .Nehmen S
Ihre Mütze doch einmal ad und sehen
Sie selbst, wie häßlich und geschmacklos
sie ist."
Schripp befolgte den Befehl. Aber
kaum hatte er die Mütze angesehen, fiel
ihm der gestrige Abend ein. und sein
Gesicht hellte sich an. .Excellenz.
sagte er, .das ist gar nicht meine
Mütze. Ich mußte sie gestern mit nach
Hause ehmen. weil meine eigene nicht
mehr da war."
Nun schien der Gouverneur in Ver
legenheit zu kommen. .Hm, hm!" muv
melte er. Tann bade ich meine
eigene Mutze letzt schlecht gemacht
Habe die meine gestern verwechselt und
nun wohl die Ihrige auf. Wollen ma
tauschen."
Der Gouverneur setzte die geschmähte
Mütze auf, die Schripp ihm reichte
In der That, sie paßte ausgezeichnet zu
der breiten Gestalt und dem weißen
Bart. Nun mußte auch Schripp die
seine aussetzen. Aber, 0 Schreck dann
kam er ja erst recht in Arrest: denn seine
Mütze war allerdings nichts weniger
als vorschriftsmäßig. Zögernd bedeckte
er sein Haupt, und doch, er traute sei
nen Ohren kaum, der Gouverneur
sagte freundlich: So sehen Sie ganz
anders aus, viel lugendlicher und flot
tcr. Also bitte keine solchen Mode-
Thorheiten wie man sie bei Ihren
Kameraden manchmal sieht. Ihre
Strafe fällt natürlich weg. Auf Wie
versehen, lieber Schripp!"
chripp ftand noch einen Augenblick
wie erstarrt. Gleich nach dem Dienst
aber kaufte er sich eine neue in jeder
Beziehung unauffällige Mütze; denn
seine bisherige hätte Seine Excellenz in
einem unbefangeneren Augenblick doch
einmal genauer ansehen können, und
dann.. .."
Ein weißes Blatt.
,
Skizze ans dem Vnrenkricgis. Von G. Pohl.
wo
verlegen
aus.
Wie ost yave ich den Herren nun
chon gesagt," fuhr der Gouverneur mit
erhobener Stimme fort, daß ich keine
0 lächerlichen Extravaganzen im Anzug
mehr sehen will. Ihre Mütze hier ist
ia toll. Einen solchen Rie enkübcl auf
zusetzen würde ich mich schämen. Nicht
über die Straße gehen würde ich mit
diesem geschmacklosen Möbel. Sie bil
den einfach eine Karrikatur mit Ihrer
Mütze."
Schripp sah betrübt zu seinem Vor-
ctzten empor. Dabei mußte er aber
unwillkürlich delen: Na, schön bist Tu
gerade auch nicht mit Deinem lächer
lichen Mützenformat." X
,Jm Uebrigcn," fuhr der General
ort, verliere ich kein Wort weiter über
die Sache, gehen Sie sofort zu Ihrem
Kommandeur und melden Sie, daß ich
Sie mit fünf Tagen Stubenarrest be
rast habe."
Aber Schripp knickte bei diesen Wor
Regungslos standen sie da, einander
tief in die Augen sehend, er bleicht bis
in die Lippen, aber entschlossen und ge-
faßt, sie mit fieberhaft brennenden Au
gen. die mit heiker Angst blickten wie
wenn in jeder Ecke Gefahr und Ver-
derben lauerten.
Meyne sah erbarmungswürdig aus,
eine Sporen waren voll dicken
chmutzes, seine Uniform zerrissen.
Gesicht und Hände zerkratzt bei dem
Bemühen über die Mauer zu klettern
und in LucieS kleines Zimmer zu ge
angen. ,
Du bist nicht sicher hier, Ernst
nicht eine Minute," stöhnte das Mäd
chcn verzweifelt. Man hat, schon Ver-
dacht geschöpft, Tu könntest hierher
kommen weil Tu früher be, uns
verkehrtest mein Gott, wenn sie Dich
gesehen hätten! Wie kamst Tu nur
herein?"
Ueber die Mauer auf den Apfel-
bäum und durch s offene Fenster," ant
wartete er kurz. Ach. Schatz, wenn
ch nur so bequem sortkönntc, wie ich
herein kam, dann wäre es eine leichte
Aufgabe. Es ist wahr, man verfolgte
mich aber die vom Epheu verdeckte
kleine Thür in der Mauer war meine
Rettung. Vorläufig bin ich sicher
aber in spätestens zwanzig Minuten
muß ich fort sein!"
Wärmn bist Tu nicht bei Deinem
Regiment?" fragte Lucie, sich liebevoll
und doch ängstlich an ihn klammernd
Vater und Mutter wollten mir nichts
erzählen sie meinten nur. Du könn--
test jeden Moment gefangen werden"
Meyne klopfte bedeutungsvoll auf
seine Brusttasche.
Es war durchaus nöthig, daß Je
mand Meldungen und einen Angriffs-
Plan zu General Joubert brachte ich
erbot mich hierzu. Mein armes Pferd
wurde mir heute Nachmittag , nnter'm
Leibe weggeschossen ich mußte rennen
wie ein Hase Meine arme Lucie"
fügte er zärtlich hinzu, sanft über ihr
welliges Haar streichelnd, wozu soll ich
Dir das AlleZ-erzählen? Es ist am
Besten, wenn Du gar nichts weißt.
Wenn Tu auch innerlich zu den Buren
hülst, mußt Tu doch jetzt mit den
Wölfen heulen. Wenn man mich er-
wischte "
O mein Gott Ernst man
würde Dich erschießen "
Des Mädchens Augen öffneten sich
weit vor Schreck. Ihr Gesicht lag wie
eine weiße Schneeflocke an seiner Brust.
Eins ist sicher, Lucie," fuhr er fort.
Beim Morgengrauen mutz ich B. er-
reicht haben, sonst sind meine Depeschen
hier nutzlos."
Aber B. ist doch noch so schrecklich
weit entfernt"
Ich weiß. Aber wenn ich recht,
recht viel Glück habe, erwischte ich viel
leicht irgendwo ein Pferd wenn
uicht nun so muß ich laufen Gott
weiß, wie ich dann hinkomme aber
hin muß ich."
Und wenn mein Vater Dich
deckte?"
Meyne zuckte die Achseln.
O. der steht in seinem Herzen
auf der Seite der Buren, wie
Alle! Ihr kennt uns. Ihr habt
chätzen gelernt und wißt, daß
unsere Heimath vertheidigen
ent-
auch
Ihr
uns
wir
Aber
fatal wäre es nichtsdestoweniger. Eure
Besitzung liegt auf englischem Gebiet,
Eure ganze Habe ist in den Händen
unserer Feinde. Ihr könnt nicht um
Euer eigenes Wohl so handeln, wie Ihr
möchtet. UebrigenZ, wo ist Dein Vater.
Lucie?"
.Unten in der Halle mit Hauptmann
Morton." flüsterte Luc,e ,n klagendem
Tone.
.Morton!" Meyne prallte förmlich
zurück. Seine Wanzen erbleichten zäh
.Tann bin ich verloren wenn ich
nicht zum Fenster binauskann."
Er wandte sich diesem zu. Lucie hielt
ihn jedoch mit verzwciflungsvoller Ge
derbe zurück.
.Tu kannst nicht! Seit zehn Minu
ten in daS öauS von allen leiten rm
zingelt." flüsterte sie, während ihr Ge
sicht schmerzlich zuckte und ZhrSnen auS
ihren Augen stürzten. .Hauptmann
Morton'S Leute liegen im Garten, in
der Küche, überall. ES heißt, ein
Spion fei in der Umgebung versteckt.
und eS wäre möglich, er käme später
hierher "
Meyne schmieg, oeine tun war
finster gefaltet, die Lippen waren fest
auf einander gepreßt.
.Tiefer Schuft, dieser Morton
.Ja, er ist ein Schuft." murmelte
Lucie, und dennoch will Vater, daß
ich ihn heirathe."
Nicht so lange ich noch einen Athem
zug in mir verspüre." erwiderte er. sie
leidenschaftlich an sich ziehend. Was
hast Tu. Liebling?"
Laß mich einen Moment nachdenken
fei still 1 flüsterte sie. ' ihm die
kleine Hand auf den Mund legend.
Jede Sekunde ist kostbar "
Lucie nahm all ihre Selbstbcherr-
schung zusammen. Jetzt war keine
Zeit zu Thränen und Klagen, handeln
mußte sie. Wenn Meyne entschlüpfen
konnte gerettet wurde durch ihre
Hilfe!
Es giebt nur einen Ausweg, Ernst!
Tu mußt durch die Halle gehen. Wenn
Tu durch's Fenster entweichst eS wäre
Dein sicherer Tod!"
Aber Morton ist in der Halle"
.Ja und er hat den Schlüssel zur
Hausthür," versetzte sie mit bitterem
Lachen. Ich kann Dich nur retten,
indem ich des Anderen Thorheit be
nutze. Ich mu lügen, heucheln, ihn
täuschen, überlisten. Oh!"
rucie legte schaudernd die Hand
über die Augen. ' .Warum kann man
nie den geraden Weg gehen! Gott hat
uns Frauen keine anderen Waffen ge
geben, als unsere Augen, unsere Lippen
unsere Schönheit. Wenn wir siegen
wollen, müssen wir zu List und Verstel
lung greifend Aber es ist um Teinet
willen Ernst ich werde mich hassen
vielleicht wirst auch Tu mich
hassen "
Lucie Liebling "
Nicht so. Ernst!" sagte sie fieber-
haft, sich von ihm losmachend. Ich
will ich mutz Tich retten. Höre mir
zu. Ich bringe Dir Philipps Rasir
zeug ein Kleid und einen Shawl. von
Anna, die in Tciner Größe ist. ' Tu
mußt Dich in ein Weib verwandeln.
das Uebrige überlaßt Tu mir. Du bist
ia 0 tapser ich will es auch sein."
Mit diesen Worten verließ Lucie das
Zimmer. Meyne blieb zurück. Nach
kaum fünf Minuten kam sie wieder,
auf einem Arm ein wollenes Kleid.
einen Hut und ein Umschlagetuch tra-gend.
schnell, ziehe das über Deine Uni
orm," agte ne mit einem Versuch m
lachen, der jedoch einen schweren 'Seuf-
zer verdeckte. Rasire. Tich schnell, Ernst
und wenn ich von unten herauf Anna
rufe, so komm: xoq w,e ersahre ich, ob
Tu gerettet bist?"
Er flüsterte ihr ein paar Worte in's
Ohr, dann drückte er sie innig an die
Brust.
Gott befchütze Tich und mich!" flü
ltcrte er bewegt, als er sie zum Abschied
küßte. Einen Augenblick später war
!ie gegangen. 0
unicn in ver aue, veyagiicy in
einen Armstuhl vor dem Kamin aus-
gestreckt, faß Hauptmann Morton
Wer das Haus verließ, mußte an ihm
vorüber. Von Zeit zu Zeit iloaen
eine charsen Augen den Flur auf und
ab, wie wenn sie sogar die Wände
durchbohren wollten.
Er war ein hübscher Mann, obgleich
eine ZUgc verlebt aussahen. Die
grauen Augen hatten einen frechen
Ausdruck, der sich setzt noch verschärfte,
s er vucie die treppe herunter kom-
men say.
Träumend, wie immer," begann sie
mit ihrer weichen stimme und einem
yerzgewinncnocn amein, oan er
ch wie verzaubert in ihren Anblick ver-
cnktc.
Träumen?" wiederholte er. Ja,
dachte an sie," fuhr er fort, ihr
mit säst beleidigender Bewunderung
in's Gesicht starrend und ihre Gestalt
förmlich mit den Augen verschlingend
Sie ging an ihm vorüber auf die
Hausthür zu, an der sie ungeduldig
rüttelte.
Nicht so. nicht so," sagte er lachend,
der kleine Vogel ist gefangen."
Verschlossen? Warum! Ach so,
ich vergaß. Aber Herr Hauptmann,
ich muß mein Mädchen in die Stadt
schicken Sie müssen öffnen!"
Er schüttelte den Kopf.
Wer weiß, ob wir Ihrem Madchen
trauen können. Am Ende ist sie unse
ren Feinden günstig gesinnt "
Lucie warf den Kopf zurück und
lachte, ein entzückendes lustiges Lachen.
Anna verräth nur Diejenigen, die
auch meine Feinde sind! Doch, wie Sie
wollen." Sie kam zurück und sekte
ihren Fuß einen winzigen entzücken
den Fuß in eleganten Schuhen auf
den Kamin. Ihre Blicke waren voller!
Koketterie, als sie sich nach Bern Offizier
umsah. Bit machten ihn kühn, sie ver
wirrten ihm die Sinne. Er beugte sich
vor und erfaßte ihre Hand.
.Ich möchte nur wissen, ob Sie ah
nen. wie schön, wie bezaubernd Sie
find. Lucie!"
.Jedenfalls weiß ich. daß Sie sich
stellen, als ob Sie so dächten" gab
sie mit einem Lächeln zurück, das zwei
allerliebste Grübchen in den Wangen
sichtbar werden ließ.
.Mich stellen! Ich stelle mich nicht
blos so! Sie sind das schönste, an
bctungswürdigste Mädchen, das ich je
gesehen habe!"
Er ftand jetzt neben ihr. Sie rührte
sich nicht, sie wich nicht zurück vor ihm.
obgleich ihr ganzes Innere sich gegen
feine Nähe empörte. Sie schlug die
Augen nieder, die Farbe kam und ging
in ihrem Antlitz. Da stahl sich sein
Arm leise um ihre Gestalt. Sie wandte
sich halb von ihm ab und rief haldlaut
Anna".
Auf der Treppe ertönten Schritte.
Lucie hielt den Athem an. Jetzt "
jetzt mußte sie Alles wagen.
Auf der Treppe erschien eine ältere,
in ein Umschlagetuch gehüllte Frau, di?
einen großen runden Hut auf dem Kopfe
trug. Morton streifte sie mit einem
ungeduldigen, unmuthigen Blick.
.Anna." sagte Lucie mit fester
Stimme. Tu kannst Dich ruhig wie-
der ausziehen und bei der Näherei blei
pen. Tie Thür darf nicht geöffnet wer
den. Es thut mir sehr leid ich hatte
mich so auf die Früchte gefreut viel,
leicht morgen "
Liegt Ihnen so sehr viel an diesen
Einkäufen?" fragte der Offizier, Lu
cienS Hand drückend.
Nun ,a. Aber die Wünsche einer
Frau müssen ja vor der Gewalt des
Mannes immer weichen," erwiderte sie
leichthin. Sie wissen das. Herr
Hauptmann."
Der Duft ihres Haares, die Blumen
an ihrer Brust, ihre ganze Nähe be
rauschte ihn. Er war jetzt wie Wachs
in ihren Händen.
Nein, es ist nicht so!" gab er leiden-
schaftlich zurück. Ich will nicht Der-
zenige sein, der Ihnen einen Wunsch
vereitelt, Lucie." Dabei langte er den
Schlüssel aus der Tasche und ließ ihn
vor ihren Augen hin und herpendeln.
Ich räume Ihnen da eine Gunst ein.
die sonst kein Mensch von mir erlangen
würde, aber ich will eine Belohnung
dafür haben. Geben Sie mir einen
Kuß dafür!"
Wahrlich, ein schwerer Preis! Lucie
chwindelte es, ein Nebel schien vor
hren Augen zu liegen sie hätte vor
Scham und Ekel aufschreien mögen
aber mit einem Gesicht, weiß wie das
einer Leiche, duldete sie diese Zärtlich
keit. Meyne machte einen heftigen Schritt
vorwärts, eine Secunde und
Aber er besann sich. Es war feige,
dazwischen zu treten brav, ruhig zu
bleiben. Am liebsten hätte er Morton
niedergeschlagen aber damit würde
er nur Lucie in Gefahr stürzen und ihr
schweres Opfer unnütz machen Beider
Zukunft zerstören und fein eigenes Le
den auf's Spiel setzen.
Mit schneller Bewegung öffnete Mor
ton die Thür und ließ die alte Frau
hinaus.
Eilen Sie," sagte er rauh, und
bleiben Sie nicht zu lange aus."
Wortlos schritt Meyne hinaus.
Der Regen schlug Morton und Lucie
in's Gesicht, als sie auf der Schwelle
standen , und der Fortgehenden nach
blickten. Als sie am Gartentbor von
der Schildwachc angehalten wurde, rief
Morton laut:
Laßt sie passiren! Sie hat meine
Erlaubniß."
Und dann dann wurde es finstere
Nacht vor Luciens Augen. Sie taumelte,
faßte mit den Händen in die Luft und
sank mit leisem Stöhnen schwer gegen
Morton's Schulter.
Um Gotteswillen, Lucie, was ist
Ihnen?" rief dieser erschrocken.
Aber Lucie gab keine Antwort. Sie
hatte Alles auf's Spiel gesetzt und
gewonnen.
Durch die Klugheit eines Weibes und
die Verblendung eines Mannes gelangte
Meyne unangefochten durch die Linien
der Feinde und führte seine hochwichtige
Aufgabe erfolgreich aus.
Einige Tage später erhielt Lucie einen
Brief, der, geöffnet, nichts weiter ent
hielt, als ein weißes Blatt.
Sie erhob mit gerötheten Wanaen
und fliegendem Athem die Hände zum
Himmel empor.
Gerettet" murmelte sie ..wir
sehen uns wieder"
Am Herde.
Am Abend bin ich heimgekommen,
im an die alte Mutter dört: .
Ich saß bei ihr kurz und beklommen.
Da sprach sie leis: ..Tu willst nn
fort?"
Ich' weiß es wohl, zwei dunkle Augen,
Tie find dein Glück und sind mert
öarm !
Will's dir dabeim denn nimmer
tauoen?
Glänzt unser Feuer dir nicht warm?"
Ich sah sie an und ließ sie sagen.
Wie eine Wunde brennt ibr Wort:
Ich hab' den Mantel umgeschlagen
Ter WnrfiiminS ruf '
" iuiuii unii yuiij
fort.
Das moderne Streben oebt danack.
die Haut Anderer zu Markte zu tragen.