Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 25, 1900, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Der Magnet.
Humoreske vo H. S. dtZorge.
I.
Zmn Mtnt Tanro Kat finf fefit
schöne Frau. Sie wußte ti auch ganz
genau und ihr spieg igie rs iyr dti
genug tagsüber. Ein bischen lolelt.
ja das war sie wohl; aber mein Gott,
daraus ift ihr doch kein Borwurf zu
in. fif sonnt kick das eben leisten.
Frau Helene hatte doch wenigstens eine
genügenve Entschuldigung jui
Koketterie, und die bestand in
Rtifit
ihre
ihrer
Gestalt. Augen. Mund. Teint. AlleS
war bezaubernd'. Aver vas eajonne an
Frau Helene waren doch ihre Haare!
selbstredend waren sie lang; es hätte
nicht viel gefehlt und daS niedliche
Köpfchen hätte die Laft nicht ,u tragen
vermocht. Tie Länge und Fülle allein
machte aber nicht den großen Reiz aus.
derselbe bestand in der Farbe. Eine
Farbe, die kein Maler wiederzugeben
vermöchte, die keine Kunst hervorzu
bringen vermöchte. TaS moderne,
durch Bleikämme und sonstige Mittel
erzielte, so beliebte .Blond" erschien
daneben wie Talmi gegen Gold! Frau
Helene'S Haare funkelten wie eitel
Sonnenstrahlen mit bronzefarbigen
Reflexen und umgaben ihr Köpfchen
wie mit einem Lichtkreis. Wie flüssiges
Metal war es anzusehen, und die
? Jungfer, die solche Pracht zu pflegen
atte und anrühren durfte, war wahr
lich zu beneiden, und Neider gab eS auch
in nicht geringer Anzahl.
2'
- Zur Schaar dieser Neider gehörte ein
entfernter Verwandter des verstorbenen
Herrn Danro. Karl Gurli. der unrett
bar in die goldenen Wellen versunken
war, das heißt, die junge Iran leiden
schaftlich liebte. Vielleicht war eS nur
dem Gesetz zufolge, daß die Gegensätze
sich anziehen, geschehen, denn der Kopf
von Karl Gurli war bar jeden Haar
schmuckS und glich züm Verwechseln
einer polirten, von der Zeit leicht gelb
lick färbten Billardkugel.
Trotz dieses Fehlers war Karl.Gurli
gar kein so übler Freier für die hübsche
Frau Danro. Er war ein guter, braver
Mensa und ve a ein großes Ber
mögen. Welcher dieser beiden Faktoren
war für Frau Danro maßgebend et
Wesen? ES ift vielleicht besser, die Sache
nicht nachzuspüren, weibliche Herzen sind
schwer zu ergründen.
Jedenfalls steht so viel fest, daß im
ganzen Bekanntenkreis diese Heirath der
Beiden, wenn auch noch nicht definitiv
beschlossen, doch als öffentliches Ee
heimniß angesehen wurde. Alle hatten
Frau Danro zugeredet. Mit 27 Iah
ren konnte sie doch nicht Wittwe blei
den, nachdem die fünfjährige Ehe,
durch den großen Altersunterschied, der
zwischen den Gatten bestanden, nicht
gerade zu der glücklichsten gehört hatte.
Frau Helene's Trauer hatte die ersten
Kreppschleier nicht überdauert, und . . .
wie wenig haltbar Krepp ist, wissen ja
Verkäufer und Käufer! Sie war durch
aus nicht in guten Vermögensverhält
nissen zurückgeblieben, denn der alternde
Mann hatte der jungen Frau nur den
Pflichttheil hinterlassen und seinen Ver
wandten Karl Gurli zum Haupterben
eingefetzt; freilich, wenn er hätte ahnen
können, was sich nach feinem Tode be
geben sollte, so würde er wohl anders
teftirt haben!
Eine Heiraty zwischen den Beiden
entsprach somit nicht nur allen klugen Er
wägungen, sondern, auch dem brennen
den Wunsche Karl's, der die Sache am
liebsten schon als satt accompli" ge
sehen hätte; doch darin war Frau
Tanro anderer Meinung. Sie wollte
erst einige Jahre der Freiheit genießen;
nachdem sie die Ehejesseln los, wünschte
sie sich nicht sofort neue anzulegen.
Karl Gurli spielte also die Rolle des
Zukünftigen" und die Rolle war ihm
wenig bequem und beunruhigte ihn so
gar, denn tagtäglich vermochte er zu
konstatiren, daß die Zahl der seine hüb
sche Kousine umschwärmenden Freier
zunahm, während leider, ach leider der
Haare auf seinem Haupte nicht mehr
wurden!
3.
Dieser moderne Karl der Kahle hatte
aber nicht die Absicht wie sein könig
licher Namensvetter, sein Besitzthum
aufzugeben. Er umgab feine schöne
Cousine mit einer unauffälligen, aber
systematischen Wachsamkeit. Wenn es
ihm nicht vergönnt war. sie auf ihren
Ausgängen zu begleiten, so wußte er
es mit einer Diplomatie, die er für
höchst rasfinirt hielt, einzurichten, daß
Frau Helene ihm des Abends bei seinem
regelmäßigen Besuch Alles berichten
mußte: wo sie gewesen, wen sie gesehen,
wsSihr gesagt wurde, was ihre Antwor
ten gewesen; kurz jede Kleinigkeit wußte
er geschickt herauszulocken. Frau Helene
tnnr in Ihren KrMlunaeN so offen Und
freimüthig, stand so bereitwillig Rede
und Antwort, vay ver oe,orgie freier
meistens vollständig beruhigt heimging.
DaS ift doch gewiß ein Beweis, daß
Karl alle guten Eigenschaften zu einem
Ehemanne, blindes Vertrauen einbe
griffen, Maß, denn.. .. Frau Helene
sagte ihm nur, was sie eben wollte!
So kam es auch, daß sie ihm eines
Abends nicht erzählte, daß sie im Laufe
deS TageS ein Abenteuer erlebt hatte.
Als sie in der Mittagsstunde zwischen
all' der luftwandelnden Menge ihre
Schönheit und prächtigen Haare spazie
ren führte; war ihr ein Herr entgegen
gekommen, der Plötzlich, wie hypnotisirt
durch einen unerwarteten Anblick, vor
ihr eben geblieben war. Die fchöne
Helene war zu sehr an Bewunderunz
gewöhnt, um nicht gleich zu vemerien.
daß die Blicke deS Unbekannten nn
aren,nloseS Entzücken ausvruaien.
größer und beredter sogar. elS sie dem
aewöbnllch begegnete.
Sie aina weiter: aber nach einigen
Schritte, als sie sich jedenfalls durch
einen Zufall umgesehen hatte, tonnte
sie feststellen, daß der Herr Kehrt ge
macht hatte und ihr folgte.
Wirklich unverschämt ! dachte sie im
ersten Augenblicke. Aber da der lln
verschämte" sich darauf beschränkte, von
Weitem, immer mit demselben Ent
zücken, ihre sonnlicht-goldenen Haare zu
betrachten, sagte sie sich, daß die Part
weae ia scklicßlich Allgemeingut wären.
und daß man einem freien Bürger doch
nicht verwehren kann, zu bewundern,
was eben bewunderungswert ist.
Tie Reflexionen hatten sie ein wenig
beruhigt. Sie ging weiter, und als
sie auf dem Heimweg den großen Platz
überschreiten wollte, zwang sie der
Wagenverkehr weiter war es nichts
sich abermals umzusehen. Da be
merkte sie denn, daß der fremde Herr
immer noch ungefähr 20 Schritte hinter
ihr war und durch ihr Goldyaar wie
durch einen Magnet gefesselt schien.
Diesmal fand sie ihn schon weniger
unverschämt und dachte, daß er jeden
falls ausgesprochenen Schönheitssinn
besitzen müsse.
An der Brücke angelangt, sah sie den
Herrn nicht mehr. Ihre Augenbrauen
zogen sich leicht zusammen. Sie seufzte
leise auf und kehrte eigentlich ver
stimmt heim; gegen den armen Vetter
war sie entschieden unfreundlich und
verabschiedete ihn an diesem Abend sehr
früh.
Als sie allein, setzte sie sich an's sila
vier. Merkwürdige Jdeenverbindung!
Unwillkürlich gaben ihre Finger die
Melodie aus .Margarethe":
Ich gäb' was d'rum, wenn ich nur
müßt'.
Wer heut' der Herr gewesen ist. . . .
dann schloß sie das Instrument und
träumte vor sich hin.
4.
Er sah gewiß recht wacker aus
Und ist aus einem edlen Haus. . . " '
Ja! der Unbekannte sah gut aus;
vielleicht hätte man sagen können zu
gut. Seine sehr sorgfältige Toilette
war nicht ganz tadellos, was den Ge
schmack anbelangte! Die großkarrirten
Beinkleider erinnerten zu sehr an Kon
fektion. Die schottische Kravatte, in
weichet ein Brillant steckte, der zu groß
war, um echt zu sein, war nicht gerade
sehr distinguirt. Sein Hut war auf
gesetzt, als wenn er gefürchtet hätte,
durch festeres Aufdrücken die Haare in
Unordnung zu bringen; der Schnurr
bart war sehr unternehmend, fast zu
gerade in die Höhe gestrichen.
Aber wie man sich wohl denken kann.
hatte Frau Helene ihren treuen Be
wunderer in der kurzen Spanne Zeit
nicht so gründlich mustern' können.
Sie hatte nur die Augen mit ihrer
stummen und doch so beredten Sprache
gesehen. Das war genug, um ihr eine
sehr angenehme Erinnerung zu hinter
lassen. Ach was.... gar nicht daran zu
denken!
So seufzte sie am andern Tage.
Nachdem sie diesen tugendhaften Ent-
schluß gefaßt hatte, setzte sie ihr Hütchen
auf und ging zur selben Stunde den
selben Weg, den sie gestern genommen,
und warum soll man denn auch nicht
zwei Tage hinter einander denselben
Spaziergang machen? Das ist doch nicht
verboten !
Der Unbekannte hielt es jedenfalls
nicht für verboten. Genau an derselben
Stelle, wie am Tage zuvor, bemerkte
ihn Frau Danro, während sie selbstver-
stündlich so that, als wenn sie ihn nicht
bemerkte. Dieselben kleinen Vorgänge
spielten sich ab: Der unbekannte Herr
ging vorüber, machte Kehrt und folgte
der schönen Wittwe, nur die Entfernung
war heute ein wenig kleiner, vielleicht
zehn Schritte. Wie am Tage vorher
war er dann bei der Brücke wieder ver-
schwunden.
Helene kehrte eigenthümlich erregt
heim. Wie würde das enden?
Am dritten Tage, nachdem Karl zwei
Abende recht , ungnädig behandelt
wurde, war er so seßhaft zur Zeit des
Spazierganges, daß Frau Danro nicht
anders konnte, als seine Begleitung an-
zunehmen.
Und mein Gott! in dem Moment,
als man um die Straßenecke bog, be
fanden Helene und ihr Begleiter sich
dem Unbekannten gegenüber, der gerade
von seinem Friseur kam. . Frau Danro
stieg die Röthe inS Gesicht und ein Zit
tern überlief sie. Der Unbekannte ver
rieth durch nichts seine jedenfalls höchst
angenehme Ueberraschung bei Helene's
Anblick, aber er schritt hinter dem
Paare her.' Er schien nicht 'mal Pein
lick berührt durch die Entdeckung
was doch ganz gut möglich gewesen
wäre, daß zu der hübschen Spazier
gängerin ein Mann gehörte, der das
Recht hatte, sie zu begleiten. Er folgte
ohne sichtbare Erregung dem Paare,
und die ganze Zeit waren seine Augen
wie gebannt aus die schimmernden
Haare HelenenS gerichtet.
Wahrhaftig, er ift sehr comme ii
saut," dachte Helene, .und wie gut er
aussieht."
Der wohlerzogene Herr folgte dem
Paare bis vor Helene's Hausthür.
Weniae Minuten sväter konnte He
lene, hinter der Gardine versteckt, beob
achten, daß er aus ihrem Hause heraus
kam .... er hatte die Portiersfrau aus
gefragt Frau Danro fand an dem
Abend, der diesem Spaziergang folgte,
den armen Karl wirklich unausstehlich.
5.
Mit Herzklopfen wartete sie voller
Spannung auf die Morgenpoft. und
unzählige Male mußte die Jungfer
nachsehen, ob Briefe im Kasten seien.
Doch och! Tie Morgenpoft brachte
nichts und ebenso wenig kam im Laufe
deS TageS ein Brief. Frau Tanro
war sehr nervös, und betrübend ift eS.
eingestehen zu müssen, daß sie während
dieses TageS sehr wenig an ihre even
tuelle Heirath mit Karl Gurli dachte.
Endlich, mit der Abendpoft, kam ein
Brief. Ein Unbehagen überkam Helene,
als sie denselben mit zitternder Hand
ergriff. Tie Schrift war feft und sicher
und verrieth absolut keine Gemüthsbe
wegung. Tie Adresse lautete recht häß
lich: .Frau verwittmete Helene Tanro."
DaS graue Couvert von kaufmännischem
Format hatte durchaus nichts poetisch
Verliebtes, und doch entströmte ihm ein
Duft, der ein Gemisch von Heliotrop,
Veilchen, weißem Flieder, kurz, einen
ganzen Parfümerieladen bildete. Man
konnte wahrhaftig Migräne davon be
kommen.
Auf einem großen Doppelbogen las
Helene, starr vor Staunen:
. Paris, den
A. Schnecke. Haarkünstler.
Spezialift für das Färben der Haare.
Erfinder der vorzüglichen, stets erfolg
reichen Pomade gegen Haarausfall.
An Frau verwittmete Helene Danro.
Gnädige Frau, durch einen glück
lichen Zufall habe ich den Vorzug ge
habt, Ihnen drei Mal zu begegnen und
erlaube mir in Folge dessen, mich
Ihnen brieflich vorzustellen und damit
gleichzeitig um Entschuldigung zu bit
ten, Ihnen jedesmal gefolgt zu fein.
Gnädige Frau, stets aufVerbesserung
meines, ich kann wohl sagen, mit Recht
rühmlichst bekannten HauseS bedacht,
gestatte ich mir, von Ihnen eine große
Gunst zu erbitten. Dieselbe besteht da
rin. mir daS kosmetische Mittel anzu
geben, durch welches Ihre , Haare eine
so wundervolle Farbe erhalten, denn
trotz aller meiner., durch verschiedene
Medaillen belohnten Bestrebungen habe
ich Derartiges noch me gesehen oder er
zeilen können. Wenn Sie mir gütigst
darüber eine Mittheilung machen wol
len, so bin ich gern bereit, Ihnen das
kostbare Haarfärbemittel von letzt ab.
so lange Sie es wünschen, zu dem
Engrospreis, ohne jeden Vortheil für
mich, zu liefern.
Gleichzeitig benutze ich die Gelegen
heit, um Ihnen anzuzeigen, daß ich zu
den zivilsten Preisen alle Parfürmerien
und Toilette-Essenzen, sowie die be
rühmte Schnecke'sche Pomade gegen den
Ausfall der Haare liefere und falls
dies erden in Ihrer Familie irgendwie
vorhanden sein sollte, so ersuche ich, mir
Ihr volles Vertrauen zu schenken.
Indem ich der Erfüllung meiner
Bitte und Ihren geschätzten Aufträgen
entgegensehe, verbleibe ich, gnädige
Frau, in vorzüglichster Hochachtung
A. Schnecke. Haarkünstler.
6.
In Helene wallte für einen Augen
blick der Zorn auf und gleichzeitig ein
Gefühl der Beschämung über die ganze
Sache. Aber sie hatte einen glücklichen
Charakter, und zum guten Ende lachte
sie über die Geschichte. Als Karl kam,
wurde er sehr fröhlich empfangen, und
Frau Helene gestand alles vollständig
em, und um lyn sur die beiden Lei
denstage zu entschädigen, setzte sie den
Termin der Hochzeit feft, die denn auch
vor Kurzem gefeiert worden ist.
Karl ist ein treuer Kunde von Herrn
Schnecke geworden; schon aus Dankbar
keit gegen den unbewußten Urheber des
lang erhofften Glückes hätte er es wer
den müssen! Der Gatte Helene's ist
schon bei dem elften Topf der Schnecke-
schen Pomade, und kürzlich hat er zu
seiner großen Freude einen leichten,
ganz leichten Flaum auf seinem kahlen
Schädel entdeckt'. Er hat dem Haar
künstler erlaubt, den überraschenden
Erfolg seiner Kur bekannt zu machen.
um dadurch eine Medaille bei der Aus
stellung im Jahre 1900 zu erlangen.
Die schöne Klientin.
" Von L. Wilhelm!.
Zwei Freunde saßen gemüthlich
rauchend in einem Hause der R
Straße m M Sie hatten sich lange
Zeit nicht gesehen; Heinrich Schreiner
hatte eine größere Reise gemacht und
Doktor Guido Sturm hatte sich in der
Zwischenzeit als Rechtsanwalt nieder
gelassen und wartete auf die Klienten,
die nicht kommen wollten.
So", sagte Heinrich, nachdem er
seine Erlebnisse erzählt, nun weißt Du
Alles von mir; jetzt laß auch etwas von
Dir hören."
Du lieber Gott, da ift nicht viel zu
berichten; denn wie Du mich hier siebst.
warte ich noch immer auf Klienten, ein
Schicksal, daS übrigens fast allen iun
gen Anwälten beschicken ist."
Du mußt eben Geduld haben, mem
Junge. Eines schönen Tages wird der
berühmte erste Klient schon anrücken
und Dir die Möglichkeit geben. Dein
Talent zu zeigen, und dann bist Du ja
mit dem Dicksten durch".
Einige Augenblicke blieb Guido
stumm; er steckte die Hände in die
Taschen, warf einen Blick auf seinen
Freund und schien gegen eine heftige
Lachluft anzukämpfen. TieseS Be
mühen aber war vergebens, und schon
eine Sekunde später brach der junge
Rcchtsanwalt in brüllendes Eelc.chtcr
aus,
Ich kann mir nicht helfen, alter
Junge,- rief Guido luftig: aber dieser
berühmte .erste Klient", von dem Tu
sprichst, ift schon gekommen und feinet,
wegen habe ich auch ebei. so herzlich gt
lacht. Tie Sache hängt mit einer O5r
schichte zusammen, und da ich Teine
Neugier erregt habe, so muß ich sie
auch befriedigen, obwohl ich eigent
lich die Absicht gehabt hatte, iiic über
eine Angelegenheit zu sprechen, in der
ich keine glänzende Rolle spielte. Aber
ich weiß, ich kann mich auf Tich der
lassen, mem Junge; also höre!
Ich habe, wie bereits bemerkt, mtl
nen ersten Klienten schon gehabt. Tie
se feltene Individuum erschien, kurz
nachdem ich diese Räume bezogen hatte
Tu weißt, alter Junge, ich war stets
ein Freund der Tamen, von meiner
Jugend an bis letzt oder richtiger ge,
sagt. biS zu der Zeit, von der ich Tir
erzählen will. Also ich saß hier an
meinem Schreibtisch und war in das
bürgerliche Gesetzbuch vertieft, als eö
leise an die Thüre klopfte. Ich sprang
auf, um zu öffnen, und daS Herz schlug
mir heftig. Vor meinen Blicken erschien
eine große, elegant gekleidete Tame, die
nicht mehr ganz jung, aber auch durch
aus noch nicht alt und noch immer sehr
schön war. Kaum wußte ich. wag ich
that, so erstaunt war ich. Ich ersuchte
sie, näher zu treten und Platz zu neh
men, was sie auch mit großer Bereit
Willigkeit that.
Ich habe doch die Ehre mit dem
Herrn Rechtsanwalt selbst zu sprechen?"
fragte sie mit melodischer Stimme.
Ich verneigte mich.
Ich bin von einem ihrer Freunde,
Herrn Brinkmann. an Sie gewiesen
worden."
Sie zögerte und ich stotterte etwas
von hoher Ehre, während ich mich fragte,
wie Brinkmann dazu käme, Jemand zu
mir zu senden.
Ich komme in einer delikaten Ange
legenheit zu Ihnen. Ich bin verhei
rathet, besitze aber Privatvermögen. Es
ist mir doch gestattet, darüber persönlich
zu verfügen? Ich meine, ich habe doch
das Recht, ein Testament zu machen,
nicht wahr?"
Gewiß, gnädige Frau, zweifellos,"
versetzte ich.
Und zwar ohne Kenntniß oder Zu
ftimmung meines Gatten, nicht wahr?"
fragte sie weiter.
Gewiß," erwiderte ich, wenn das
Vermögen Ihnen gehört, so hat Ihr
Gatte nichts dreinzureden. Sie können
allein darüber bestimmen."
Sie stieß einen tiefen Seufzer der Er
leichterung aus und sah mich mit ihren
blauen Augen an.
Ich danke Ihnen, Herr Doktor; ich
danke Ihnen! Sie wissen nicht, welche
Last Sie mir durch Ihre Worte vom
Herzen nehmen. Könnten Sie mir
vielleicht gleich einen Testaments
entwurf aufsetzen? Ich würde darauf
warten."
Ich versicherte sie, daß das gleich ge
schehen könnte, und machte mich sofort
ans Werk. Sie nahm mir gegenüber
Platz, und ich bemerkte, wie sie während
ich schrieb, ihre blauen Augen auf mir
ruhen ließ.
Ich habe mir meine Wünsche auf
geschrieben, die Sie in das Dokument
aufzunehmen haben," sagte sie, während
sie die Börse öffnete.
Doch sie suchte vergeblich nach dem
Zettel, sie hatte vergessen, ihn mitzu
bringen. Ich bemerkte, wie sie nervös
wurde und zu zittern anfing, als alles
Suchen nach dem Blatt resultatlos ver
lief. Was soll ich nur thun?" rief sie ver
zweifelt. Ich bin in der Stadt fremd,
Herr Rechtsanwalt, und muß in weni
gen Stunden abreisen. Ich habe ge
wichtige Gründe, daß die Angelegenheit
vorher erledigt wird; denn ich hätte
sonst keine Aussicht...."
Sie hielt inne nnd eine heftige Röthe
überflog ihr Gesicht, während sie mich
anblickte.
Wissen Sie die einzelnen Bestim
mungen, die Sie treffen wollten, nicht
auswendig?"
Nein, ich kann mich auf mein Ge
dächtniß gar nicht verlassen, und doch
kann ich nicht ins Hotel gehen und dann
wieder hierher zurückkehren, das würde
ich nie wagen!"
Sie machte wieder eine Pause und
fuhr dann zögernd fort: Sie werden
jedenfalls meinen, daß meine Worte
einer Erklärung bedürfen. Und Sie
haben Recht. Es ist mir sehr peinlich,
es zu erwähnen, doch es muß sein.
Mein Gatte ist ein sehr leidenschaftlicher
Mensch und leider muß ich es sagen
hat fein ganzes Vermögen verschwen
det. Jetzt fpekulirt er auf das meinige,
das ihm nach meinem Tode zufallen
würde, der wohl bald eintreten, da ich
herzleidend bin. Ich habe aber zwei
Kinder, und zu ihren Gunsten will ich
das Testament aufsetzen, ohne daß mein
Mann etwas davon erfährt. Er ist
jetzt auf einige Stunden geschäftlich
ausgegangen, xnb ich habe die Gelegen
heit benutzt, um hierherzukommen. Ich
habe aber keine Zeit, um ins Hotel und
dann wieder hierher zu eilen, da er in
zwischen sicher zurückkommt. WaS soll
ich nur thun ?"
Ich bemerkte, wie der armen Tame
die Augen voll Thränen standen und
mein Herz erfüllte ein inniges Mitleid.
Wie konnte ich nur helfen, diesem
unalücklichen Opfer ehelicher Tyrannei
Plötzlich kam mir ein Gedanke, und ich
laaie
.Gnädige Frau, wäre eS Ihnen
angenehm, wenn ich te ln Jyr Hole
begleitete, um die Notizen dort einzu
schreiben?"
Sie sprang auf und ergriff meine
Hand, während ein Lächeln durch ihre
Thränen brach
.h, Herr Doktor ' rief sie. woll
ten Sie daS wirklich thun? Das wäre
wahrhaftig zu liebenswürdig!"
Ich steckte also, wie Tu Tir woh
denken kannst, daS Dokument zu mir,
setzte meinen Hut auf und begleitete
meine schöne Klientin inS Hotel
Bevor wir aber aufbrachen, fragte
lik mich nach der Höhe meines Hono
rarS, und ich war dumm genug, bei
dieser Frage m Verlegenheit zu ge
rathen. Tiefe Bemerkung erschien mir
in ihrem Munde so gewöhnlich, doch
sie verlangte eine Antwort, und ich
nannte ihr schließlich meine Forderung
Ich," sagte sie, ich habe nur einen
Tauseiidmartscheiii bei mir. WaS ist
da zu thun, Herr Toktor ? Ich kann
Ihre Tienste doch nicht umsonst anneh
men, und doch sind Sie mir gerade jetzt
so dringend nöthig.
Glualicyerweiie yatle icy einige
blaue Scheine und etwas Gold im
Bureau, so daß eS mir möglich war,
den Schein zu wechseln.
Als wir das Hotel erreicht hatten.
führte mich die Dame in ein kleines
Zimmer und stellte Feder und Tinte
auf den Tisch, dann ging sie ins
Nebenzimmer, um den bewußten Zettel
zu holen, den sie auch nach längerem
Suchen fand.
Sie stellte mir einen Stuhl hin und
naym elv t mir gegenüber Platz.
Ich begann zu schreiben und hatte
meine Arbeit fast beendet, als ich hörte.
wie die Thür hinter mir geöffnet
wurde. Bevor ich mich noch umdrehen
oder ein Wort aussprechcn konnte
wurde mir eine dicke Decke über Kov
und Schultern geworfen, fo daß meine
Arme gelähmt waren und ich keinen
aul aus token konnte.
Verhalten Sie sich jedt nur einen
Augenvlia still, mein lieber Freund.
sagte eine Männerstimme. Verbalten
Sie sich ruhig, sage ich Ihnen, dann
lyue ich ;xhnen nichts. Sie wollen
nicht? Tann muß ich Sie festhalten.
iiever freund. &o, Marie, suche dem
yerrn jetzt schnell die Taschen nach
Sie haben ja wohl einen Tausend
markschein bei sich? Hast Tu ibn.
Marien
Rasend vor Wutb und mick in nfm
mächtigem Zorn sträubend, während
oie Finger oes 'canncs mich wie in
einen Scbraubstock tirrfctm rfnnnt 5
die Wahrheit, und meine Stimmung
rvuroe nicyi geraoe neuerer, als es mir
nar muroe, van icg mich von der Ichö
nen Klientin batte diiniv Tnfiim
oeren weine, seine iftnoer um in mei
., .
ner Brieftasche wüblten.
Nocd einen Auaenbli- hann fint
ich. wie ein Waaen über das Vffatter
rouie.
nr-
Nun rik icb und zerrte ein hem &nste
bis ick Mick endlich aus der lächerlichen
Situation befreite, die ich um keinen
Preis emano yane gestehen mögen;
dann stürzte ich die Treppe hinunter
uno eine in mein ureau.
Als ich Nackforschunoen anfallt?.
erfuhr ich, daß die Tame' und der Herr
am vorigen Ä.age im votel anaekom
men und sich als Herr und Frau
Blumner aus Frankfurt a. - M. ins
Fremdenbuch eingetragen hatten. Sie
hatten kurz vor meinem Erscheinen ihre
Rechnung bezahlt und stck oleick daraus
entfernt, niemand wußte, wohin
Wie die Dame" Brinkmann Na-
men erfahren hatte? Davon hatte ich
keine Ahnung, bis ick die Portiersfrau
fragte, die mein Bureau jeden Morgen
aussegle, i&ie war an jenem Morgen
gekommen, während ick, ausaeaanoen
war, hatte über dielen unglückseligen
Zufall ihr Bedauern ausgedruckt und
dann die Portiersfrau gefragt, ob ich
nickt irgend einen freund bätie. her
vielleicht wüßte, wo ich wäre; sie hätte
es eilig uno mutzte mich sofort sprechen.
Taraufhin hat sie ihr meinen Freund
und Kollegen Brinkmann genannt.
So!" sagte Guido, jetzt weißt
Xü, warum ich vci deiner Anspielung
auf den .erübmten" ersten SfWenim
gelacht habe. Seitdem gehe ich Tamen
Icheu aus oem Wege, uno iq glaube
ich werde noch Weiberfeind werden."
Das Schicksal des Dauphin Lud
wia XVII.
beschäftigt noch fortgesetzt die froniöfi
schen Gelehrten. Tie Ansicht, daß das
Kmd, daS unter seinem Namen im
Temple gestorben ist, nicht der echte
Dauphin gewesen ist. gewinnt neuer
dingS wieder an Verbreitung. In der
letzten Nummer der 'Zeitichrift La
Plume" wird mit einer großen Fülle
historischer Dokumente der Nachweis
versucht, daß in der That Ludwig aus
dem Temple entkommen ist und an
seiner Stelle ein anderes Kind unter
geschoben worden ist. Der Hergang
wäre danach der folgende gewesen: In
der zweiten Etage deS Templcrthurms
wurde zu Ende des Jahres 1794 ein
Kind gefangen gehalten, das den Na
men Charles Louis Capet führte und
der ehemalige Dauphin sein sollte.
Seit dem November dieses Jahres aber
wurde der wirkliche Dauphin in einer
Dachkammer in der vierten Etage des
selben Gefängnisses verborgen gehal
ien; daS Kind, das man an feiner
Stelle untergeschoben hatte, war ein
gewisser Tardif. Vorsichtiger Weise
hatte man eine Taubstummen für
diese Rolle gewühlt. Da indessen seine
Stummheit. die in einem starken Kon
traft zu der Lebhaftigkeit deS echten
Dauphin stand, auf die Dauer fehr
auffällig werden mußte, fa ersetzte man
Tardif durch ein zweites Kind, dessen
Mutter Leninger hieß. ES war dies
ein armeS. ttrophulöseS Kind, das am
8. Juni 1795 starb. Gerade dieser
Tod deS unterschobenen Dauphin er
möglichte eS aber, den wirklichen, der
noch immer in der vierten Etage ver
steckt gehalten wurde, aus dem Gefüng
niß fortzuschaffen. Ter Leichnam des
kleinen Leninger war in dem noch ge
öffneten Sarge im Erdgeschoß auf
gestellt worden. Zu der Zeit, da er
fortgebracht werden sollte, hob man die
Leiche aber heraus und legte den Tau
phin. der durch eine Arznei in einen
tiefen Schlaf versetzt worden war. an
seine Stelle. Ter Sarg wurde dann
geschlossen und zu dem Friedhof
SainteMarguerite gebracht, wo er
beerdigt werden sollte. Während der
Fahrt wurde der Tauphin durch einen
Mann, der sich in dem Wagenkasten
versteckt hatte, aus dem Sarge befreit
und der leere Sarg mit Gewichten be
schwert. Nach dem Begräbnis; führte
derselbe Wagen den Mann und das
Kind zu einem Hause in der Rue de
Seine, wo sie bei der Wittwe eines der
am 10. August getödteten Schweizers
Unterkunft fanden. TaS ganze Manö
ver, daS eben nur nach außen den,
Scheiil wahren konnte, ging von Bar
ras aus. für den der Dauphin ein
werthvoller Geisel werden sollte
Für alle die Züge dieser etwas roinan
tisch klingenden Geschichte wird eine
Reihe von Beweisen beigebracht, die im
Einzelnen anzuführen hier zu weit füh
ren würde.
In der Saudtsacke hanMi ?5 (ich
darum, nachzuweisen, daß der damals
oenanele cichnam nicht der des echten
Tauphin gewesen sein kann. Das Pro
tokoll der Leicbensckau erklärt hnfe kni
Kind seit langem skrophnlös gewesen
,e,n mu der Dauphin war eS im
Jahre 1792 nicht im geringsten. Ter
Dauphin batte einen Brück, her f, it hem
Jahre 1793 behandelt werden mußte
oas Proroiou weiß davon nichts. Tie
vier Aerzte, die es unterz?ickt hnhen
konstatiren gcflissentlich?nicht die Jden
mal des ihnen gezeigten Körpers, sie
bezeichnen ihn einfach als den Leichnam
eines Kindes, von dem hi, ffnmmisi.ir
uns erklärt haben, daß er der des
Lohnes des verstorbenen Louis Capet
sei und den Zwei von UNS al hen he
Kindes wiedererkannt' haben, das sie
ien einigen Tagen behandelten. Jedes
Mal, wenn ein neues Kind unter
geschoben wurde, bat man nnhere 9lcrjtc
herangezogen. Einer der Aerzte bemertt,
daß das von ihm behandelte Kind nicht
der Dauphin fei und sagt es: einige
Tage sväter ist er dlöklick nestnrkrn.
Der Sarg, von dem man glaubte, daß
er oie veichc des Tauphin enthalte,
wurde sväter von der U!oli,ei Naknlrmi
leer gefunden. Andererseits fand man
an der Mauer des Temple den Leichnam
eines Kindes, das wahrscheinlich der
kleine Leninaer war. Die svi-innin
von Angouleme versicherte, daß sie zu
der Leiche geführt worden sei. und daß
sie bemerkt habe, daß es nicht die ihres
Bruders war. Dasselbe wird auch rm
einigen anderen Zeugen bestätigt. Was
aber dann aus dem wirklichen Dauphin
geworden ist. und ob nickt einer her
zahllosen falschen Ludwige" doch dcr
ecyie gemein oaruver lüßl sich nichts
Bestimmtes sagen. '
Aerztkhonora im Mittelalter
Wie die Aerzte im Mittrlalier in her
Mark Brandenburg honorirt wurden,
erzählt, wie die Germania" mittheilt,
Dr. Pricbatsch in dem neuen Heft der
Forschungen zur brandenburaiickcn und
preußischen Geschichte. Tie Honorare
scheinen demnach sehr ungleich gewesen
zu fein. Ter Arzt Friedrichs II.. Tr.
Meurer. erhielt ein Jahresgehalt von
100 Goldgulden, während der Arzt
Konrad Diel vom Markgrafen das dop
velte Gcbalt bezoa. Tie .frafrtrih rr
hielten außerdem noch Frcibänscr in
oer Neiioenz. Tie Privalpraxis icheint
sehr wenig eingebracht zu haben. Ein
Ant. der einen Wirten bebandelte. hen
Bauernjungen beim Raufen am Feuer
gebraten" und schwer verletzt hatten,
erhielt für feine Mühe 2 Gulden.
Einem minbandcltcn Priester zu Tan-
germünde wurden 13 Gulden als
ckmerzensacld zugewiesen, von henen
er mirfi hon Wr! hrtMri triff se
M 1414 wil vvnutfun UUil. Vi
wird also wohl auch nicht viel bekoin
men yaven. -tz Aderiaffer Meister
Dirick erhielt meist 6 Schilling, einmal
1 Mark, ein andermal 11 Mark für
Heilung des Propstes. Mit der Aus
Zahlung des Lohnes haperte eS aber da
bei noch manchmal. Ein Brandenbur
aer Wundarzt. Meister frnus Nran-
Zöser. klagte einmal den Aerztelohn
beim geistlichen Gericht ein. Ein märki
scher Edelmann Ovven verlaupt rin
andermal von einem Arzt das ihm ge
geoene Geld zurück, da seine Krankheit
nicht geheilt worden sei.
Mütterlicher Ratl,.
Fräulein Minna, die Tocktcr des
HauseS, will trotz Affordcrung der
Gäste nicht Klavier spielen. Da sagt
die Mutter: Kind, fei nicht so trotzig,
und mache gute Miene zum bösen
Spiel."
1
V