Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 11, 1900, Image 9

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    Mc 2?jc.
Hii!?.,schk?riählung v. l. 5 ab i ch t.
Der Dresdener Maiausstznd war zu
Ende. Nnch einem vkrzwkifettkn und
erbittertem Kampf? hatte man der
Uebermacht weichen müssen, lind nun
suchten Viele der Unterlegenen noch im
letzten Augenblick 'auS der -tadt zu
flüchten, und nicht nur einfache Arbeiter
und Bürger, die in den Maitagen deZ
JahreS 1819 zu den Waffen gegriffen
hatten, selbst hervorragende Leute, wie
Richard Wagner und Semper, der ge
niale Erbauer deZ Dresdener ZbeaterS,
hatten sich an diesem Kampfe betheiligt
und tapser bis zum letzten Augenblick
aus den Barrikaden ausgeharrt.
, Auch ein junger Gymnasial Lehrer
war von dem allgemeinen Sturm nut
fortgerissen worden und hatte sich an
dem Ausstände betheiligt, seine Gattin,
die ihren Mann schwärmerisch liebte.
war auch in der Stunde der Gefahr
kühn und entschlossen an seiner Seite
geblieben und wollte sich auch jetzt nicht
von ihm trennen, als es galt, sich rasch
zur Flucht zu wenden und m s Aus
land zu retten.
Du bist eine Frau. Dich wird man
nicht zur Rechenschaf! ziehen, eZ ist also
, das Beste, wenn Tu ruhig hier bleibst,"
hatte der Mann gesagt.
Nein," war ihre entschiedene Ant
wort gewesen. Ich verlasse Dich nicht,
uns trennt nur der Tod."
.Aber Du fetztest Dich Gefahren und
vBefchwerden aus, die weit über Deine
5Krüfte gehen."
Auch diesen EinWurf hatte die Frau
nicht gelten lassen und einfach erklärt :
Fürchte nichts ! Ich werde Dir nicht
zur Last fallen."
Max Körner kannte den Muth seiner
Gattin; sie hatte ihm ja in diesen schwe
ren Tagen bewiesen und treu an seiner
Seite ausgeharrt, während die Kugeln
um sie herumgeflogen waren; man
hatte die zartgebaute junge Frau allge
mein bewundert, die jeder Gefahr ge
trotzt, um den Kämpfern auf der Bar
rikade Mundvorrath und Munition
herbeizutragen, und er wußte auch, daß
sie viel größere Qualen ausstehen
würde, wenn sie jetzt nicht sein Geschick
theilen könnte; seine Agnes hatte ja
stets treu zu ihm gehalten und bewie
fen. daß sie bereit sei, für ihn freudig
jedes Opfer zu bringen.
Esgvar eine Jugendliebe gewesen.
die Beide zusammengeführt hatte, und
was nicht immer der Fall, sie hatte auch
nach ihrer Bereinigung Farbe gehalten,
ja, das Band, daß sie vereinte, war mit
den Jahren noch immer inniger und
fester geworden.
Max Körner hatte schon, als er noch
in Leipzig seinen Studien oblag, für
die kleine, damals 14jährige Agnes
geschwärmt, und seine Gefühle waren
unverändert geblieben. Kaum hatte
Max eine Anstellung als Lehrer an
einem Gymnasium Dresdens erhalten,
als er auch sofort bei dem Vater um die
Hand der Geliebten warb, der kein Be
denken trug, ihm die Tochter zu geben,
sonnte er doch an der Ehrenhaftigkeit
?!cs jungen Mannes und an feiner Liebe
eine Zweifel hegen, denn sonst würde
seine Wahl auf eine Andere gefallen
sein und nicht auf die Tochter eines nur
mit Kindern reich gesegneten Beamten.
Es war ja so ziemlich allgemein be
sannt, daß Mathilde Schmidt, die ein
zige Tochter einer reichen Kaufmanns
Wittwe, an dem jungen, hübschen Stu
denten ihr Herz verloren hatte ; denn
,: das Mädchen hatte aus ihren Gefühlen
für Max Körner gar kein Hehl gemacht.
Mathilde Schmidt war einige Jahre
ölter, als Agnes, und eine viel umwor
bene Schönheit. Sie wußte, daß sie
reich und auch schön war, man hatte ihr
' dies ja so oft genug gesagt, und sie
zweifelte deshalb keinen Augenblick, daß
k? ihr leicht fallen werde, Max für sich
zu erobern. Zu ihrer bitteren Enttäu
schung gab der unsinnige Mensch der
Tochter eines höheren armen Beamten
den Vorzug, die, wie sie sich selbst
sagte, nicht einmal schön genannt wer
den konnte.
Mathilde Schmidt Hatte gehofft, daß
cs doch nur eine Studentenliebe fei und
Max Körner, sobald er erst eine An
flellung erhalten, so viel Verstand ha
?en werde, um eine Frau heimzuführen,
die ihm ein angenehmes Dasein ver
schossen könnte, denn mit dem schmalen
Lehrer Gehalt waren keine so großen
Sprünge zu machen, und sie war bereit,
' ihm dies Glück zu gewähren; er durfte
' jetzt nur kommen und um ihre Hand
werben. Mit Schmerzen wartete sie
auf diese Stunde. Ach. und nun.hei
ratbete der blonde Thor wirklich das
- aMe Mädchen, und Mathildens glü
'' hende Liede verwandelte sich in ebenso
glühenden Haß. Sie wußte nur nicht,
5,, ki, am Meisten hassen solle, den
Wltfc I" " 1 ' .. M
Mann, der ihre Liebe schnöde zurück
qewiesen. oder die Frau, die ,hr den
Geliebten entrissen hatte, denn sie zwei,
feite keinen Augenblick, daß Max Kor.
ner sie ohne diese interessante Person,
mit der sie sogar früher befreundet ge
mesen war. gcheirathet haben würde.
Wie alle blind Verliebten, hatte sie sich
etS mit der Hoffnung getragen, daß
der junge Mann sie wieder liebe und
nur nicht den Muth habe, mit seinen
Gefühlen der reichen, schönen Erbin
....w nffpn bcrvonutreten.
Mar Körner hatte wohl bemerkt, daß
5, MiRne Mädchen ihm ein
1)1(9 vVf . . t -
. .:i sine Kunst zugewendet habe,
.... . hmt der Leidenschaft, die
mnms, Brust erfüllte, keine rechte
Ahnung gehabt. Lon Studienfreuw
Jahrgang 20.
den erfuhr er später, wie sehr ihm jetzt
die wunderliche Person grolle und wie
sie ihm feine vermeintliche Treulosigkeit
nicht verzeihen könne. Es härmte den
jungen Mann wenig: er fühlte sich in
seinen bescheidenen Verhältnissen und
im Besitz einer derftändnißvollen Le
dcnSgetayrtin sehr gtüatlch, denn er
war Idealist genug, um seine Herzens
wähl nicht zu bereuen. Und wie dann.
wenn er sich wirklich vom schnöden
Mammon hätte blenden und dies reiche
Mädchen hätte heirathen wollen, das
ihm nun einmal nicht sympathisch ge
wesen war.
Es kam das Jahr 1343. Die Mut
ter Mathildens hatte ihr ganzes Ver
mögen in Papieren angelegt, deren
Werth plötzlich fo furchtbar fank,daß sie
mit ihrer Tochter aus den glänzendsten
Verhältnissen herausgeschleudert wurde.
Max hörte dann nur noch, daß die
Mutter bald darauf gestorben sei und
Fräulein Schmidt, die so lange sich
nicht entschließen gekonnt, einen Bewer
der zu erhören, jetzt froh gewesen sei.
daß der Besitzer eineS kleinen GafthofeS
sich bereit gefunden habe jte zu heira
then.
DaS Sturmjahr von 1843 riß auch
Max Körner mit fort. Jetzt nahte ja
der Traum der deutschen Einheit seiner
Verwirklichung; in Frankfurt, tagten
die Besten und Edelsten der Nation, ein
Parlament, wie es die Welt noch nicht
gesehen und vielleicht auch nie wieder
sehen wird. Der junge Gymnasial
Lehrer, hatte sich mit Begeisterung in
den Strom des öffentlichen Lebens ge
stürzt. Vorträge gehalten. Artikel für
Zeitungen geschrieben, und als die Re
aktion wieder hereinzubrechen drohte,
war er einer der Ersten gewesen, der
sich an dem Maiaufstande betheiligte
und mit seiner Gattin für die Freiheit
des Volkes das Leben eingesetzt hatte.
Nun die Sache doch vorläufig verloren
war. mußte man dem Vaterlande den
Rücken kehren, vielleicht auf immer.
Es war ein Weg voll Aufregung und
Gefahren, den die Beiden zurückzulegen
hatten. Sie mußten meist des Nachts
und bis in die Morgenfrühe hinein
marfchiren, wollten sie nicht den überall
herumstreifenden Soldaten in die Hände
fallen. Zum Tode erschöpft, gelangte
das Ehepaar bis Annaberg; aber hier
verließ Agnes die Kraft, sie sank vor
dem ersten Hause, das sich ihren Blicken
zeigte, ohnmächtig zu Boden und konnte
nicht weiter.
Trotz der frühen Morgenstunde hatte
eine junge Frau von ihrem Fenster aus
den Vorgang beobachtet, sie kam sogleich
herbeigeeilt und bot mitleidig ihre
Hülfe an. Ich werde meinen Mann
rufen, wir wollen die Kranke in's HauS
schaffen," sagte sie rasch, als sie sah,
daß die Fremde bewußt und regungs
los dalag.
Max Körner zögerte. Konnte man
diesen Leuten trauen? Würden sie nicht,
Argwohn schöpfen und sie vielleicht an
die Militärbehörde ausliefern? Die
Frau mußte seine Gedanken errathen
haben, denn sie fuhr sogleich lebhaft
fort: Fürchten Sie nichts. Wir wollen
nicht wissen, woher Sie kommen und
wohin Sie gehen." Dann rief sie in
das Haus hinein: Gustav. Gustav!"
und ein kräftiger, vierschrötriger Mann
mit einem grundehrlichen Gesicht, ein
echter Erzgebirge? trat heraus. Die
Frau flüsterte ihm ein paar Worte zu,
und dann nahm der Mann ohne Weite
res die Ohnmächtige auf feine starken
Arme und trug sie ins Haus, um ,n
einem Hinterzimmer auf einem Sofa
seine Bürde sanft niederzulegen.
Den Bemühungen der Frau gelang
es bald, Agnes zum Bewußtsein zurück
zubringen, und dann schaffte sie so
reichlich zum Essen herbei, als ob sie
wohl gewußt hätte, daß diese Leute seit
langer Zeit keine Nahrung mehr zu sich
genommen.
Sie können bei uns ausruhen, fo
lange sie wollen," sagte die Frau, nach
dem sie mit Befriedigung gesehen, wie
sehr ihre Gäste den aufgetragenen Spei
sen zugesprochen hatten. Mein Mann
muß freilich in einer Stunde nach
Ebemnik. aber ich erwarte seinen 2ku
der. der dicht an der böhmischen Grenze
lebt, und der am Abend wieder heim
geht." Ahnte die kleine, kluge Frau,
daß sie Betheiligte des Aufftandes vor
sich habe, die sich nach Böymen retten
wollten? Max schaute seine Gattin
fragend an; sie verstand ihn und ant
wortete in englischer Sprache: '
ohne Sorge. Wir können ihr ver
trauen, sie wird uns nicht verrathen,"
und zu ihrem großen Erstaunen ?agie
ihre Wirthin: Das werden wir nicht.
Wir sind ehrliche Leute. Auch meinem
Schwager können sie vertrauen."
Sie verstehen Englisch?" fragte
Agnes verwundert.
Ja," antwortete die Frau einfach.
Ich war wohlhabender Eltern Kind;
aber das Jahr 43 hat auch uns arm ge
macht. Sie dürfen nicht fürchten, daß
Sotmtagsp)
Beilage zum Nebraska Staats-Anzelger.
wir reaktionär gesinnt sind, mein Mann
und ich halten es mit der Freiheit, und
sein Bruder und dessen Frau haben die
selben Ansichten, wie wir. Wir wollen
deshalb gar nicht Ihren Namen wissen,
das ist für uns Alle das Beste." setzte sie
hinzu. Seien Sie ohne Sorge. Bei
uns sucht Sie Niemand, und mein
Schwager wird sie dann schon sicher
über die Grenze bringen: er kennt dort
leben Weg und Steg." Die Frau ging
ruhig ihren häuslichen Geschäften nach
und erschien nur zuweilen wieder, um
sich nach den Wünschen ihrer Gaste zu
erkundigen.
In den Nachmittagsstunden fand
sich wirklich der Schwager ein. Es war
ein Mann in mittleren Jahren, schlicht
und einfach, aber nicht ohne Bildung.
Aus seinen blauen Augen sprach die
Ehrlichkeit selbst. Die kleine Frau
mußte ihm bereits Alles mitgetheilt
haben, denn er stellte gar keine Fragen,
fondern sagte nur nach der ersten öe
grüßung: Mit der sinkenden Sonne
wollen , wir aufbrechen; Sie sind ein
Vetter von uns, kommen zum Besuche
und bleiben bei uns über Nacht. Wir
haben einen kleinen Gafthof, und Sie
können sich bei uns ausruhen, fo lange
Sie wollen."
Nein, wir möchten schon morgen
weiter," entgegnete Max.
Auch gut, dann begleite ich Sie bis
nach Böhmen hinein." , .
Noch vor Sonnenuntergang trat man
die Wanderung an. Die junge Fran
fühlte sich durch die lange Rast so weit
gestärkt, daß sie an der Seite der beiden
Männer just wieder rüstig durch den
Wald schritt, in dem bereits die Däm
merung und jenes Schweigen herrschte,
das gerade dann so seltsam die Seele
bewegt.
In, dieser Waldeinsamkeit gingen
die Herzen auf; man plauderte über
Alles, selbst über die jüngste Bergan
genheit, und es war diesen drei Men
schen, als ob sie sich schon längst gekannt
hätten, obwohl Keiner von dem Ande
ren seinen Namen erfahren hatte.
Die Wanderer hatten eine Höhe er
reicht. Dort ist unser Haus," sagte
,der Mann, sehen Sie das Licht?
Meine Frau wird mich schon erwarten
und sich freuen, daß ich ihr solche Gäste
bringe, denn auch sie denkt, wir wollen
ein einig deutsches Reich haben, und
wer dafür kämpft,der ist unser Freund. "
Der wackere Erzgebirge? drückte dabei
seinem Begleiter kräftig die Hand.
Als man sich letzt dem Hause näherte.
blieb ihr Führer stehen, um zu sprechen.
Warten Sie hier noch einen Augen
blick," sagte er leise. Es sind, wie
fast immer zu dieser Stunde, Grenzjä
ger bei uns, sie trinken ihr Gläschen
und spielen Karten. Ich will doch vor
her meine Frau instruiren, damit Sie
gleich von ihr als Verwandter begrüßt
werden, dann haben diese Leute nicht
den geringsten Verdacht."
Nach einiger Zeit kam der Mann wie
der und sagte, die Thür zum Gastzim
mer öffnend: Kommen Sie nur herein,
lieber Vetter, meine Frau wird äugen
bllcklich erscheinen."
Die in einer Ecke des geräumigen
Wirthszimmers sitzenden, kartenspielen
den Grenzjäger schauten neugierig auf
die Fremden; da öffnete sich bereits die
Seitenthür, und die Wirthin trat wie
in freudiger Aufregung herein; sie hatte
schon die Arme zur Begrüßung der
Verwandten" geöffnet, aber plötzlich
ließ sie dieselben wieder sinken, die eben
noch freudig schimmernden Augen er
hielten ein unheimliches Funkeln, das
immer noch schöne Antlitz schien völlig
zu erstarren, und kein Ton kam über die
sich schließenden Lippen.
Auch Max hatte Mühe, seine grenzen
lose Bestürzung ein wenig zu verbergen.
Es war Mathilde, die plötzlich vor
ihnen stand, und deren finstere, starre
Miene nichts Gutes verrieth. Kein
Zweifel, sie trug sicher noch den glühend
sten Haß gegen Denjenigen im Herzen,
der ihre Liebe verschmäht, und sie hatte
jetzt Gelegenheit, sich zu rächen. Ein
Wort von ihr, und Beide waren verlo
ren: ja, wenn sie es nicht über sich ge
wann, ihren Gast als Verwandten zu
begrüßen, dann stand es schlimm um
ihre Sache, und von der Rachsüchtigen,
die noch immer die erlittene Kränkung
nicht vergessen hatte, war dies schwerlich
zu erwarten. Agnes fürchtete dasselbe,
und sie bebte vor dem nächsten Augen
blick, der Alles entscheiden mußte.
Da löste sich die Erstarrung in dem
Antlitz der schönen Frau. Sie erhob
wieder die Arme, und jetzt rasch auf die
Ankömmlinge zuschreitend, rief sie in
großer Erregung aus: Lieber Vetter,
sind Sie es wirklich! O, welche Ueber
raschung! Herzlich willkommen!" Wäh
rend sie Max die Hand schüttelte, zog
sie Agnes zärtlich an' sich, noch einmal
die Worte wiederholend: Herzlich will
kommen!"
Die Grenzjäger wandten die neugie
rigen Blicke von den Gästen; sie wußten
jetzt, daß es wirklich Verwandte waren
und setzten ihr unterbrochenes Spiel
ruhig fort.
Am andern Tage brachte der Wirth
die beiden Flüchtlinge über die Grenze,
die dann glücklich die Schweiz erreich
ten, aber seine Gattin sahen sie nicht
mehr wieder. Sie hatte sich wohl im
letzten Augenblick überwunden nnd dem
einst fo geliebten und später fo gehaßten
Mann Freiheit und Leben gerettet,
weiter war jedoch ihre Kraft nicht ge
gangen; sie hatte sich nach dieser Be
grüßung rasch zurückgezogen, und nur,
als die Flüchtigen ihr Haus verließen,
sah sie ihnen heimlich lange nach, und
dann richtete sich die eigenthümliche,
schöne Frau in die Höhe und murmelte,
wie von einem schweren Druck befreit:
Nun bin ich glücklich! Er wird jetzt
wissen, was wahre Liebe vermag!"
Unser (achs.
.UüioreSke vsn M. R.
. ES war wieder einmal große Aufre
gung bei uns im Hause, denn zwei
liebe Verwandte, die noch dazu recht sel
ten zu uns kamen, nämlich Onkel und
Tante auS Rügenwalde, wollten uns
auf ihrer Durchreise in einen Badeort
mit einem mehrstündigen Aufenthalt
in unserm Heim erfreuen! Am aufge
regtesten war auch diesmal, wie immer
in ähnlichen Fällen, meine Frau, da sie
ihre ganze Hausfrauenehre darein setzt,
ihre Gäste so gut aufzunehmen, daß sie
sich bei ihr wohlfühlen. Meine Mah
nungen zur Ruhe helfen in dieser Be
ziehung zumeist gar nichts, und so hielt
ich ihr auch jetzt vergebens eine Stand
rede, die in der bescheidenen Frage
gipfelte:
, Wenn Du Dich jetzt schon so auf
regst, wenn Onkel und Tante kommen,
was willst Du erst in einem Falle thun,
wenn der Kaiser in Person oder irgend
ein Minister Dich erst mit seinem Besuch
begnadet; mehr könntest Du Dich jeden
falls auch nicht aufregen!"
Doch wie gesagt, dieses so klare Ar
gument verfing bei meiner Frau gar
nicht, vielleicht weil sie sich unserer
mangelhaften Beziehungen zum Hof zu
sicher bewußt ist, um auf derartige
Eventualitäten Rückficht zu nehmen!
Nun also, die Stunde nahte, und sie
erschienen pünktlich, wie erwartet. Nach
dem die ersten stürmischen Wiedersehens
scenen absolvirt waren, überreichten sie,
wie das Mädchen aus der Fremde, je
dem von uns eine Gabe, und wenn
diese Gaben nicht durchweg von demsel
ben zarten, duftig-poetischen Hauch um
flössen woren, wie die des oben erwähn
ten Mädchens, so lag das zum Theil in
der Natur der Sache. So z. B. weiß
ledes Kind, daß Rügenwalde außer den
Produktion anderer Räuchcrwaaren
auch vorzüglich diejenige von Räucher-
lachsen am Herzen liegt, und so wird
man sich weiter nicht wundern, wenn
ich berichte, daß Tante Hannchen mei
ner Frau bei der Vertheilung der
Gaben ein großes Packet mit einem
Räucherlachs sanft in ihre beschämt
herabsinkenden Arme drückte. Es war
ein Exemplar dieser Gattung, bei dessen
Anblick uns Binnenländern, die nur
selten mit Räucherthieren auch nur
annähernd ähnlicher Qualität gesegnet
sind, das Herz, oder lichtiger gesagt,
der Magen im Leibe lachen mußte!
Leider sollte unsere Bekanntschaft mit
dem verheißungsvoll duftenden Pracht
exemplar vorläufig nur ganz flüchtiger
Natur sein, kaum gegrüßt ge
mieden."
Meine Frau besitzt nämlich die sehr
schätzenswerthe Eigenschaft, in ihrer
Zerstreutheit Sachen so gründlich zu
verwahren, daß sie sich überhaupt nicht
mehr wiederfindeu lassen, und so ver
fuhr sie denn auch an jenem ereiqniß
reichen Tage, an dem sie. wie schon
vorher erwähnt, für derartige Genie
streiche besonders inspirirt war.
Als Onkel und Tante bereits längst
der Nordsee zuschwammen, fiel uns plöß
lich der Lachs ein, und ich erkundigte
mich mit Interesse nach seinem Ver
bleib. Meine Frau klingelte nach dem
Mädchen.
Minna, bringen Sie doch einmal
das Packet herein, das im Eissvind
liegt."
Gnädige Frau, da liegt kein Packet."
.Ach, natürlich liegt es da, ich habe
es doch selbst hingelegt, sehen Sie nur
ordentlich nach."
Aber wirklich, hier liegt nichts."
Acrgerlich erhob sich meine Frau,
um hinauszugehen, aber nach wenigen
Minuten wieder unverrichteter Sache
zurückzukehrend ,
Mir fällt jetzt ein," bekannte sie be
schämt, daß ich den Lachs irgendwo
verwahrt habe, aber wo war es doch
gleich? Habt Ihr ihn etwa versteckt?"
entfuhr es ihr dann plötzlich, wobei sie
erleichtert aufathmete, doch auch im sel-
No. 34.
ben Moment im Hinblick auf unsere,
tiefen Ernst ausdrückenden Gesichter.
diese Verdächtigung muthlos wieder
fallen ließ. Es wird mir ja sofort
einsallen, wo ich ihn verwahrt habe.
iaii mir nur ein wenig Ruhe, meine
Gedanken zu sammeln. Wenn Ihr
nicht so ichrecktich gelärmt und getodt
hättet, würde mir das überhaupt nie
passtrt sein."
Und so rieth und überlegte sie hin
und her. und wir afsistirten natürlich
hülfsbereit. Von Zeit zu Zeit glaubte
meine Frau dann immer einen lichten
Moment zu haben und sich ganz genau
zu erinnern, daß sie ihn an diesem und
an keinem anderen Ort verwahrt hatte.
und jedesmal nel ihr dann, wenn der
Erfolg gleich Null war. sofort ein
anderer Ort ein. auf den sie doch, wie
sie meinte, gleich hätte kommen müssen
Ä?ayreno des Aathens suchten wir
auch selbstverständlich. Zu unserer
Kolonne der Sucher stießen nach und
nach außer unseren vier Rangen noch
zwei von deren Schulfreunden resp,
-freundinnen, sowie ein Neffe und eine
zu Besuch erscheinende Flurnachbann
Alle zusammen schlugen nun unaufhör
lich Orte vor. die wir noch absuchen
tonnten, und das waren oft Verhält
Nisse und Räume, die sich schon ihrer
Dimension nach absolut ungeeignet zur
Annahme des uchobiekts erweisen
mußten. So suchte mein Neffe unter
Beihilfe meiner Herren Söhne eifrigst
im Aicyvecher, hinter einem kleinen
Wandtcller und unterm Glühlichtcylin
der. wobei sie zur großen Qual für
meine Frau jedesmal einen freudigen
Schrei ertönen ließen, um sie glauben
zu machen, daß der ersehnte Gegenstand
in Sicht fei.
Schließlich warf ich alle hinaus, bis
auf die theilnehmende Flurnachbarin.
Diese Danie, die zum Polizei-Detectiv
die überraschendste Qualitäten bereits
in früheren Fällen entwickelt hatte,
warf plötzlich die Möglichkeit in die
Waagschale, daß der Lachs gestohlen
sein könnte. Eine Beleuchtung der
Sachlage, die zwar verblüffend, aber
nicht unwahrscheinlich war! Bald
hatte sie auch vermöge ihres durchdrin
genden Scharfsinns einen scheinbar un
umstößlichen Beweis gegen Frau Lemke,
unsere bis dato für so brav gehaltene
Waschfrau konftruirt. Frau Lemke
hatte an dem Unglückstage bei uns ge
wdschen. sie war mehrfach in der Woh
nung gewesen, nur sie konnte den Lachs
entführt haben!
Nach und nach entwickelte sich der
Verdacht durch die bewundernswerth
logischen Schlüsse der beiden Damen zu
sonnenheller Gewißheit! Es konnte gar
nicht anders sein! Die Frau war beim
Anblick des Lachfes eben der Versuchung
erlegen, was um fo leichter zu begreifen
war, als derartige Delikatessen aus
ihrem häuslichen Menu wohl nicht allzu
or, nguriren ourrleni
Am liebsten wären die Beiden ja
nun zur sofortigen Haussuchung bei
der fo arg verdächtigten Waschfrau ge
schritten, doch da legte ich mich nun
wirksam in'S Mittel! Es kostete mich
zwar nicht wenig Mühe, die Unterneh
mungslust der beiden Damen ein
zudümmen und sie davon zu überzeugen,
daß sie als Privatpersonen zu einem
solchen Schritte gar kein Recht hätten,
sondern sich erst mit der Polizei in Ver
bindung fetzen müßten. Aber auch die
darauf durch die Polizei veranlaßten
Erkundigungen brachten keine Klärung
des traurigen Falles, denn zur großen
ich muß es leider gestehen Ent
täuschung meiner Frau fielen sie un
gewöhnlich günstig aus, nicht nur für
Frau Lemke selbst, die in ihrer vielfeiti
gen Tugend dem seligen Chamiffo für
feine alte Waschfrau" Modell hätte
sitzen können, fondern auch für ihre ge
fammte ungewöhnlich unbescholtene
Familie!
Keine mitfühlende Hausfrau wird es
aber unbegreiflich finden, daß der Lachs
meiner Frau trotzdem nicht aus dem
Kopf wollte;" sie wurde bei dem be
ständigen Kopfzerbrechen darüber, welch'
Ende wohl der Lachs genommen haben
mochte, ganz melancholisch, und fuhr
um's Morgenroth nicht selten aus so
schweren, abdrückenden Träumen auf,
daß man glauben konnte, sie habe ihn
den Abend vorher verschlungen, wäh
rend ich ihn nun längst wirklich im
Magen hatte!
Für die Tagesstunden hatte ich über
Haupt schon einen Ukas erlassen müssen,
daß niemand im Hause bei Todesstrafe
das Wort Lachs" in den Mund neh
men dürfe, ja selbst Gespräche über
lachsfarbene Seidenstoffe ic. waren ver
pönt!
Schließlich griff ich auch noch zu dem
letzten Beruhigungsmittel ich schickte
meine Frau in's Bad mit der Weisung,
dort Lethe zu trinken.
Sie schien meine Weisung auch
prompt befolgt zu haben, denn sie
kehrte zurück erfrischt und munter, wie
vor der unglückliche!: 2zi:,iciairt, die
wir nun endi'iltig in daZ Reich der Ver
gcsicnhcit gesunken wähnten!
So schwand der Schmer und der
Herbst, bis sich die ersten kalten Tage
bemerkbar machten und man. wenn
auch widerwillig, beginnt die Ocfen zu
heizen! Die bewohnten Räume werden
natürlich täglich geheizt; der Salon"
nur selten aus Sparsamkeitsgründen.
Aber heute erwarten wir ein paar Gäste
zum Abendbrod, da muß auch wieder
einmal nach langer Paule der Salon
geheizt werden!
Wir batten Vormittags noch einige
Einkäufe gemacht und bei unserer
Rückkehr kaum die Entreethür geöffnet.
als uns ein abscheulicher Qualm und
Brandgeruch entgegenströmte, den wir
zunächst als aus der Küche herrührend
glaubten. Als sich dieser Verdacht aber
nicht bestätigte, durcheilten wir die ein
zelnen Zimmer, die alle mehr oder
weniger von dem gräßlichen Brand
grnich angefüllt waren und fanden end
lich den Salon als den Urfprungsort
desselben heraus. Vor dem Ofen dort
kniete unser Mädchen und war bcschäf
tigt, das dort vor einer Stunde etwa
entzündete Feuer wieder auszulöschen,
um dem aus dem Ofenloch eindringen
den, dicken Qualm Einhalt zu thun.
Sie holte die fast verglühten Kohlen
stücke heraus und stieß dabei zu unser
aller Entsetzen plötzlich ganz hinten auf
einen langen, fast verkohlten Gegen
stand, den wir nach seiner Form und
einigen untrüglichen Merkmalen für
Auge und Nase, als unsern schmerz
lich vermißten Lachs wiedererkannten!
Unter solchen Umständen sollten wir
also ein Wiedersehen, oder vielmehr ein
Wiederriechen feiern! Meine Frau war
ob dieser Erkenntniß fast zur Bildfäule
erstarrt; wie ohnmächtig vor Be
schämung sank sie vor dem Ofen nie
der. Herz und ohrenzerreißend waren
nun ihre Selbstanklagen! Oh, wie
hatte sie doch nur so vergeßlich, so
bodenlos vergeßlich sein können! Sie
selbst hatte ja den Lachs nach einem
alten, erprobten Rezept, im Sommer
Räuchersachen aufzubewahren, tief in
die Ofenhöhle geschoben. oh. sie hätte
ich ohrfeigen können, wenn das nur
etwas genutzt hätte! Und dann die
arme, grundlos verdächtigte Wasch
rau!
Dem Mädchen war kein Vorwurf zu
machen, denn die Höhlung lag tief
unten und war ziemlich eng. so daß
man ihn nur schwer entdecken konnte!
Das wußte sie, darüber würde sie
nie hinwegkommen!
Aber Mama," versuchte einer unse
rer aus der Schule heimgekehrten Ran
gen die Trostlose zu trösten, ich weiß
gar nicht was Du willst: Jetzt ist er
doch wirklich erst ein Räucherlachs".
in Unhöflicher bei Hof.
Am Jftofe des KSnmS Kriedrick Mil,
beim d?s Ni?rt?n tinn Nr?lik?n rfAicn
zuweilen bei besonders festlichen Ge
legenheiten der General a. D. Hans
Edler zu Puttlitz, der Vater des Dich
lers isunav zu Putltitz. Wer alte Herr
mar allgemein aesürcktet weaen seiner
sarkastischen Bemerkungen, mit denen
er Niemanden verpönte. Bei einer
großen Soiree im königlichen Schlosse
trat der König, als er Cercle hielt, auch
an den General Puttlitz heran mir den
Worten: Wie geht es Ihnen, mein
lieber Puttlitz?"
Ich danke Euer Majestät für die
gnädige Nachfrage," erwiderte der
General nach den ..M. N. N". seit-:
dem aber Euer Majestät höchstseeliger
Herr Baler die Gnade gehabt hat. uns
die Hälfte von unserem Seniorate ein
zuziehen, muß ich mich sehr einfchrSn--ken."
Der König setzte darauf, ohne
eine weitere Frage zu thun, seinen
Rundgang fort. .-
Bei Gelegenheit der Vermählung der
Prinzessin Stefanie, der ältesten Toch- ,
ter des Fürsten Karl Anton von Hohen-zollern-Sigmaringen,
mit dem Könige
Don Luis von Portugal, hatte dieser
dem Oberfthofceremonienmeister am
preußischen Hofe, Freiherrn v. Still-fried-Rattowitz.
den Titel eines Grafen
von Alcantara verliehen. Baron Still
fried erfreute sich keineswegs besonderer
Beliebtheit bei der Hofgesellschaft und,
hatte viele Feinde. Als kurze Zeit nach
jener Vermählung, der General Puttlitz.
wieder an , einem Feste bei Hofe theil
nahm, hatte er sich ermüdet in einem.
Fauteuil niedergelassen, wozu er ein,
für allemal wegen seines hohen Alters
vom Könige besonders die Erlaubniß
erhalten. Gleich darauf trat der Oberst
hofceremonienmcistcr heran, um ihn zu
begrüßen. Der General begann sofort
mit den Augen zu blinzeln, als ob er
nicht deutlich sehen könne, was er stets
zu thun pflegte, wenn er Jemanden mit
einer malitiösen Bemerkung beglücken
wollte. Nach kurzer, außerordentlich
höflicher Unterhaltung fragte Puttlitz
in artigem Tone: Mit wem habe ich
denn die Ehre?"
Ich bin der Graf von Alcantara.
Excellenz," lautete die Antwort.
Ach! das freut mich sehr, mein
lieber Herr Graf," erwiderte der Gene
ral unter lebhaftem Augenblinzeln.
nach der Stimme zu urtheilen glaubte
ich anfänglich, es sei der alte eklige
Stillfried!" Man kann sich das ver
blüffte Gesicht vorstellen, das der Herr
Obersthofceremonienmeister machte,
während die Umstebenden ' nur mit
Mühe ein lautes Gelächter unterdrücken
lonnicn.
Sich dumm stellen bringt oft weiter,
als sich gescheidt zeigen.