Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 07, 1899, Image 10

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    Der GesmdeLaU.
Hmnoreskc von . Bernhard,
In einer kalten Februarnacht gaw
den zwei Männer in zerlumpter Klci
duna und von nicht sehr Vertrauen er
weckendem Aeußeren vcr einem palaft-
artigen Hause einer der vornehmsten
Straßen Berlins und schauten zu den
bell erleuchteten nenftern empor.
.Ick wecß rnch," sprach der Eine, ein
vierschrötiger Kerl mit einem rothen
Shawl um den hals, dessen Farbe
durch den strahlenden Glanz seiner um.
fangreichen Nase in den schatten ge
stellt wurde, und einer sogenannten
Ballonmütze auf dem struppigen Haar,
.ick wceß nich wat der Lude, die Schlaf
mutze, da wieder vor Blech ausbaldo
wert hat, den wer ick mal zcijen, wie
ofte de Finfe in de Zähne jehcn." Ta
bei lachte er eine Bewegung mit der
Faust, als wollte er einem unsichtbaren
(cgncr einen Schlag ins Gesicht vcr
setzen. .Wie soll man denn bei die Hellig-
seit cen Jeschäft machen?! Ick jlobe, die
danzcn oa oben."
.Ta kannfte Recht haben, Schlächter
lad," erwiderte der Andere, eine lange
Gestalt in einem zerlumpten, durch den
Einfluß von Wind und Wetter nuß
sarbia gewordenen Uebcrzieher über
einer gestrickten, braunen Weste und
einem Cylinderhut, der aber noch schwer
als solcher zu erkennen war, aus dem
rothen Haar. Den Hals hatte er durch
ein schmutziges seidenes Tuch gegen die
Kälte geschützt, und den größeren Theil
seines verwitterten Gesichts bedeckte ein
fuchsrother Bart. Uebrigens trug er
eine Brille.
Na, denn komm." fagte nun der
Schlüchterkarl angeredete Mann, wat
stehn wir denn hier noch rum, zu holen
is hier doch nischt.
Weeste dct so jenem?" fagte aber
der Lange und blieb stehen. Ruf
jehn kennte man doch und betteln, und
verleicht sindt sich denn in'n Entree
wat, wat wir brauchen kennen, da
hängen se ja immer ihre Mantels uf."
Tet is 'ne Idee," rief Jener und
schlug dem Langen, da er seine Schul
ter nicht erreichen konnte, auf den Arm,
Du bist doch immer een schlauer
Kunde, Fritze. Tet Jeschäft woll'n wir
machen. Wat der Schafskopp von Por
tier is. wird woll schlafen, un det Haus
is uf."
Sie traten in den hell erleuchteten
Flur, sahen sich aber doch etwas scheu
nach dem Portier um. Da faß er an
seinem Schiebfenster; aber beim Anblick
der beiden Strolche erhob er sich von
seinem Sitz, aber nicht, wie diese über
zeugt waren, um sie schleunigst wieder
heraus zu befördern, fondern zu deren
Ungemcssenem Staunen verbeugte er
' sich tief und zeigte nach der Treppe
als wollte er sagen: Da hinauf
geht es."
Die beiden Kerle nahmen ohne
Zögern den bezeichneten Weg, und der
Portier tauchte in feine Loge zurück.
Als sie ihm aber aus den Augen waren,
machten die Beiden Halt und wollten
sich vor Lachen ausschütten. Ter
Schlächterkarl tippte mit dein Zeige
Jiüacr "N seine Stirn: Den Kerl rap-
' Helt's, den wer n se ttOu morzen nach
Dalldorf dringen," sagte er und sing
von neuem an zu lachen. Vor wem
der mir woll jehalten hat?" sprach Fritze
nicht minder vergnügt, jewiß zum
Wenigsten vor'n Presendenten von
wejen die Angströhre. Er is ja zu
sammenjeklappt wie een Taschenmesser.
Aber nu komm man. sonst peyt uns
noch Eener. bei den's richtig in'n
Kopp is."
Damit hörten die Beiden zu lachen auf,
schlichen leise die teppichbelegte Treppe
empor bis zum ersten Stockwerk, wo sie
eine Thür nur angelehnt fanden. Leise
traten sie ein und sahen sich in einem
ebensalls hell erleuchteten Vestibül, in
dem rings an den Wänden eine große
Anzahl von Herrenmänteln hingen.
Ohne sich lange zu besinnen, griff der
lange Fritze nach zwei ihm zunächst
hängenden und wollte gerade piit ihnen
wieder verschwinden, als ein Diener
in Livree in der nächsten Thür erschien.
Schnell wollte er die Mäntel zur Erde
fallen lassen und das Weite suchen,
während Schlächterkarl, der hinter ihm
eingetreten war, in der Tasche die Hand
an den Griff seines Messers legte, als
der Diener mit tiefer Verneigung auf
die Beiden zutrat, die Mäntel dem
Langen aus der Hand nahm und wie
der aufhängte. Ich bitte die gnädigen
Herren um Verzeihung." sprach er da--bei.
daß ich nicht gleich zur Hand
war. ich glaubte die Herrschaften schon
versammelt. Bitte gefälligst hier ein
zutreten." Bei diesen Worten öffnete
er eine Thür, und die beiden Kerle,
völlig verblüfft durch das ebenso Uner
wartete als Unbegreifliche dieses Em
pfanges, traten durch die bezeichnete
.Thür.
' Doch auf das Höchste überrascht fuh
ren sie zurück bei dem Anblick, der sich
- ihnen bot. Ein großer feenhaft de
leuchteter Saal war durch Dekorationen
und alle möglichen, zu einer solchen ge
hörenden Gegenstände in eine riesige
Küche verwandelt und durchwogt von ei
ner offenbar in animirter Stimmung
befindlichen Menge. Fast alle waren
maskirt, nur eine Anzahl Herren waren
durch Schminke. Perrücken, falsche
Bärte. Nasen und dergleichen unkennt
lich gemacht, und alle befanden sich in
Kostümen, wie sie die dienende Klasse
in ihren verschiedenen Abarten kenn
zeichnen. Mit einem Worte, es fand !
heute ein sogenannter Gesinde-Ball in
diesem vornehmen Hause, das dem
Baron Gunzendorf gehörte, statt.
Die beiden Strolche waren, wie be
reits erwähnt, starr .vor Staunen und
sannen aus schleunigen Rückzug: aber
der liebenswürdige Wirth hatte sie be
reits bemerkt. Im Kostüm eines
Sotel-Vortiers trat tr auf sie zu mit
den seiner RoHe entsprechenden Worten
Wünschen die Herren Zimmer in,
ersten oder zweiten Stock?" Ter
Schlächterkarl starrte ihn mit offenem
Munde an. aber der lange Fritze, der
mehr Geistesgegenwart besaß, antmor
tete ohne Besinnen mit rauher Stimme
Ja. det wär' so wat vor uns TUme
ken."
Aber denn och jleich wat Jutes zum
Essen." fügte Schlächterkarl, der sich
inzwischen auch ermannt hatte und nicht
hinter seinem Gefährten zurückstehen
wollte, hinzu
Inzwischen hatte eine Anzahl Gaste
einen Kreis um die Drei gebildet, und
köstlich", brillant", ein paar vor
zügliche Masken", tönte es jetzt aus
dieser Runde, während der Hausherr
lachte, sich dann aber anderen Gästen
widmete.
Was sagen Sie zu den beiden eben
gekommenen Masken. Graf?" wendete
er sich an einen ziemlich naturalistisch
verkleideten Straßenkehrer, dessen
Identität er bereits festgestellt hatte,
geistreich, wie? Die übertreffen sogar
Ihr Kostüm an naturalistischer Treue,
was wahrhaftig etwas sagen will."
Aeußerst natürlich sehen die Kerle
ja aus, geradezu verblüffend," er-
widerte der Graf, ein wenig verstimmt
durch das Lob, das Jenen gezollt
wurde, aber als er den Ausdruck von Ver-
legenheit auf dem Gesicht feines Wirthes
bemerkte, der feine Aeußerung sofort
bereute, fuhr er fort, scheinen auch
re Rollen ganz gut durchzuführen,
wer mögen sie nur sein?" Dabei lenkte
er feine Schritte der Gruppe zu, deren
Mittelpunkt die beiden Strolche bilde
ten. Der Baron blieb an seiner Seite.
Ganz sicher bin ich noch nicht," er-
widerte er auf die letzte Frage des
Grafen, habe freilich auch sonst noch
lange nicht alle meine Gäste erkannt.
Der Kleine scheint mir übrigens der
Ministerialrath Reifenberg zu sein; er
kann doch seine Beamtenwürde nicht
ganz verleugnen. Hätte ihm übrigens
soviel Geist und Witz gar nicht zuge-
traut."
Der wird wohl eine Eingebung von
eiten seines Geführten sein," lachte der
Graf, während Beide nun zu der
Gruppe traten, welche die beiden
trolche umgab
Wo arbeitet Ihr denn eigentlich?"
redete eben ein blendend weiß gekleide
ter Koch die Beiden an.
Wir arbeeten jar nich!" bruminte
der Schlüchterkarl, und der lange Fritze
sllgte, seine ganze Frechheit zusammen-
nehmend, hinzu: Höchstens mit Tiet-
rich un Stemmeisen." Dabei entnahm
er der Seitentafche feines zerlumpten
Rockes eine chnapsflasche. stärkte fei
nen Muth durch einen tüchtigen Schluck
und bot sie dann einem der umstehen-
den Herren. Dieser lachte, fuhr aber
doch bei dem intensiven Fuselgeruch
etwas zurua, woraus Fritze mit einem
Hü, denn nich" die Flasche seinem Ge
fährten bot.
Ein niedliches Kammerkätzchen, das in
derNähe stand, ließ ein leisesLachen hören
und zupfte ihre Nachbarm, ein aller
liebstes Gärtncrmädchen am Aermcl
Die Beiden sind himmlisch." sprach
sie, und wie geistreich sie ihre Rollen
durchführen, dagegen sind alle anderen
Herren fade und langweilig. Hast Tu
eine Ahnung, wer sie find,' Elsa?" Die
Gärtnerin nickte, verschämt lächelnd
Der größere Herr." flüsterte sie, ist
der Attache von Winterstein. Ich habe
ihn gleich erkannt, er ist immer so
interessant, Hilde, und distinguirt
sieht er doch selbst in dieser plebejischen
Verkleidung aus?"
:& ..:xi g.1 it : . . i . r : . .
m wu iu)i ua)i, iugie Iitve
nachdenklich. j.,ich glaube, ich hätte ihn
nicht erkannt, und weißt Du. tanzen
möchte ich eigentlich nicht mit ihm,
sein Kostüm ist doch gar zu nawra
listisch." Das finde' ich gerade hübsch," er-
widerte Elsa fast gekränkt und sandte
einen sehnsüchtigen Blick nach der Rich-
tung, wo der vermeintliche Attache die
Schnapsflasche eben wieder in der
Tasche seines schmutzigen Ueberziehers
verschwinden ließ.
In diesem Augenblick fetzte die Musik
wieder ein, und bald drehte sich alles
nach den Walzerklängcn munter im
Saale. Diesen Moment benutzten die
beiden Strolche, um unbemerkt' den
Ausgang zu gewinnen. Im Vestibüle
hatten sie eben ein paar schnelle Griffe
in die Taschen der zunächst hängenden
Mäntel gethan, als der Diener wieder
erschien.
Welches sind die Sachen der gnädi
gen Herren?" fragte er devot, und
nachdem der lange Fritze ein Paar kost
barer Pelze bezeichnet hatte, hängte er
ihnen dieselben um, reichte ihnen die
dazu gehörigen Hüte; die Beiden stülp
ten dieselben auf ihr struppiges Haar
und verbargen ihre fragwürdigen Kopf
bcdeckungen unter den Pelzen.
Gestatten die Herren, daß ich nach-
sehe, ob der Wagen vorgefahren ist?"
fragte der Diener dann; aber während
chlächtcrkarl ihn fassungslos aus sei
ner vornehmen Kleidung heraus an
glotzte, erwiderte der geriebenere Lange,
der jetzt ganz Herr der Situation war,
vor Jenen tretend, um dem Diener den
Anklick seines sich jetzt in peinlicher Ver-
legenhcit die Schnapsnase reibenden Ge
fahrten zu entziehen, hoheitsvoll: .Wir
werden zu Fuß gehen." Tiefe respekt
volle Vereigung des Dieners, und die
Beiden stiegen würdevoll die Treppe
hinab und verließen, an dem devot
grüßenden Pförtner vorüberschrcitend.
das Haus. Erst an der nächsten dunk-
len Vrat blieben sie stehen, brachen in
ein Höllengelächtcr aus und untersuch
ten. so gut eS gehen wollte, ohne sich
auffällig zu machen, was sie sonst noch
erwischt hatten. Es waren außer ein
paar Taschentüchern auch zwei Geld
taschcn mit nicht unbedeutenden Sum
men. welche die Besitzer wohl in den
Taschen ihrer Kostüme nicht hatten
unterbringen können, und die Diebe,
mit ihrem Raube nicht unzufrieden,
beeilten sich, denselben in Sicherheit zu
bringen.
Als die vornehme Gesellschaft in der
nächsten Tanzpause des Vcrschwindens
der beiden Strolche inne wurde und sich
bei der bald erfolgenden Temaskirunq
Niemand zu ihnen bekennen wollte.
war das Erstaunen allgemein, aber
auch des Reckens kein Ende, denn Jeder
hatte ein paar Andere in Verdacht
außer ihrer offiziellen Maske noch diese
so vorzüglich dargestellte angelegt zu
haben. Aber daS Lachen und Scherzen
verstummte plötzlich, als es verlautete.
daß zwei ältere Herren, die sich früher
als die übriae Gesellschaft hatten cnt-
ernen wollen, ihre werthvollen Pelze
und ihre Hüte vermißten. Der Baron
Gunzeiidorf war in peinlichster Ver
legenheit und untröstlich, daß so etwas
in seinem Hause vorgekommen fei, und
nahm den Lakaien, dem die Wache im
Vorzimmer übertragen war, fowie den
Portier unvcrweilt ins Verhör. Aber
Beide erklärten, es könne ohne ih
Wissen Niemand dasselbe betreten
haben: doch als die beiden Herren ihre
Pelze genauer beschrieben, nclen plötz
lich dem Diener zu seinem Schrecken die
beiden Kerle ein. denen er dieselben
umgegeben hatte, und mit zitternder
timme beichtete er, daß sich mit diesen
Pelzen bereits vor zwei Stunden zwei
als Strolche verkleidete Herren entfernt
hätten. Inzwischen hatten auch einige
der uongen Gaste, die sich vom Vor
handenseli, ihrer Mäntel überzeugen
wollten, ihre Verluste entdeckt, und nun
onnte man sich der Erkenntniß nicht
länger verschließen, weß Geistes Kinder
die beiden so viel bewunderten ..Mas
ken" gewesen waren. Man versuchte
die sache von der komischen Seite zu
betrachten, was Denjenigen, die nicht
bcstohlen worden waren, auch sehr
bald gelang, bis auf den Wirth, dem
dies ganze Vorkommniß äußerst fatal
war.
Während man die Angelegenhei
lebhaft diskutirte, standen Elsa und
Hilde in einer Ecke des Saales. Die
Erstere hatte fast Thränen in den
viauen Äugen. Du mußt mir vcr-
sprechen, Hilde," sprach sie dringend,
es Herrn von Winterstein nicht zu er
zählen, daß ich in dem einen Dieb ihn
zu sehen glaubte. Er darf es nie er
fahren; es war auch nur ein Moment.
dann sah ich sogleich meinen Irrthum
ein." ..
Auf immer.
i!on Alphonse Taudel.
Stenne hieß er, der kleine Stern.
Er war ein echtes Pariser Kind,
kränklich und blaß, das 10, vielleicht
auch 15 Jahre alt fein mochte; genau
konnte man es gar nicht erkennen.
Seine Mutter war todt; sein Vater,
ein aller marine ciocit, vcwacyte eine
Parkanlage, in der Nähe des Tcmple
Kinder, Bonnen, alte Damen, das
ganze Paris, das überhaupt dorthin
kam, kannte den Vater Stenne und
bewunderte ihn. Sein struppiger
Schnurrbart war der Schrecken der
Hunde und Vagabonden, aber man
wußte auch, daß sich unter ihm ein
gutmüthiges, fast mütterliches Lächeln
verbarg, und daß man, wenn man es
sehen wollte, ihn nur zu fragen brauchte
Wie geht s Ihrem Jungen?"
Denn er liebte feinen Knaben über
Alles, der Vater Stenne. Er war so
( r. n : x. i.. . n n rw
uiuuiim, wenn ucr jueine oes Avenos
zu ihm kam und sie dann gemeinfchaft-
lich die Alleen aus- und abschritten.
Bei jeder Bank mußten sie stehen blei
ben, um die regelmäßigen Besucher zu
grüßen und ihre freundlichen Grüße zu
erwidern.
Es war zur Zeit der Belagerung von
Paris durch das deutsche Heer.
Ten ganzen Tag trieb nch der Kleine
umher und einmal ereignete es sich, daß
ein großer Bursche im' blauen, langen
Rock ihm. vorschlug, gemeinschaftlich
mit ihm den Preußen Zeitungen zu
verkaufen. Man bekäme 30 Franken
für jeden Gang. Anfangs wies der
Kleine seine Zumuthung in höchster
Entrüstung zurück und blieb drei Tage
dem Großen fern. Trei schreckliche
Tage! Er aß nicht mehr, er schlief
nicht mehr. Des Nachts träumte er
von nichts Anderem, als von vielen
blinkenden Goldstücken, die zu seinen
Füßen umherrollten. Die Versuchung
war zu stark. Am vierten Tage kehrte
er zurück, sah den Großen wieder und
ließ sich verführen
Einen Tuchsack hatten sie über die
Achseln gehängt, die Zeitungen unter
chren Blousen versteckt und so schritten
'ie durch den schneeigen Morgen. Als
ie beim Flandrischen Thore ankamen,
war es kaum Tag. Der Große faßte
Stenne bei der Hand, näherte ,sich dem
Posten einem braven Landwehr-
mann mit rother Nase und gutmüthi
gem Gesicht und sagte mit zitternder
stimme:
.Laßen Sie uns passiren, lieber
Herr. . . . Unsere Mutter ist krank, der
Papa ist todt. Ich will mit meinem
kleinen Bruder versuchen, auf dem
Felde ein paar Kartoffeln zu sammeln."
Er weinte; Stenne, ganz beschämt,
senkte den Kopf. Ter Posten besah sie
einen Moment und warf dann einen
flüchtigen Blick über die verlassene und
verschneite Landstraße.
Macht schnell!" rief er, sich abwen
dend. den Kindern zu; und sie gingen
weiter.
Ter Große lachte. Er kannte die
Wege und ging quer durch das Feld
um den Posten auszuweichen. Ten
noch kamen sie. ohne entwischen zu kön
neu, an eine Hauptwache der rank
tireurs.
Die Franktireurs hatten sich die
ganze Länge des Eisenbahnweges nach
oinons hin gelagert. Diesmal konnte
der Große noch so schön erzählen, man
wollte sie nicht pasfiren lassen. Ader
während er noch jammerte, schritt aus
dem Wachthaufe ein alter Sergeant
mit weißem Haar und runzligem Ant
litz auf sie zu, der dem Vater Stenne
ähnlich sah.
Allons, Jungens. heult nicht mehr
Ihr werdet schon zu Euren Kartoffeln
kommen ; aber vorher kommt mal herein
und wärmt Euch ein torttig Er ist
wahrhaftig schon halb erfroren, dieser
Schlingel da!"
Ach, es war nicht die Kälte, es war
die Furcht, die Schande, die den kleinen
stenne erzittern ließ In der Wach
saßen einige Soldaten bei einem fchwa
chen. dürftigen Feuer, an dessen
Flamme sie aus den Spitzen ihrer a
zonnette Zwiebacks aufthauten. Sie
rückten zusammen, um den Kindern
Platz zu machen, und gaben ihnen ein
wenig Kaffee. Wahrend sie noch trän
len, trat em ssizier m die Thur, rief
den Sergeanten Her5ei. flüsterte ihm
etwas zu und entfernte sich dann hastig
Jungens." sagte er, als er strahlend
wieder eintrat heute Nachts wird's
was geben; wir haben das Losung
wort der Preußen Ich glaube, heute
holen wir uns Bourget wieder!"
Er entfesselte einen Sturm freudiger
Ausrufe. Man tanzte, sang. Einige
putzten ihre Bajonnette, und in dein
allgemeinen Trubel gelang es den Kin
dern ich unbemerkt zu entfernen.
Nachdem sie den Damm überschritten
hatten, sahen sie nur noch eine lange
weisze. von Schiesjscharten durchlöcherte
Mauer vor ich. Gegen diese wandten
sie sich, bei jedem Schritt stehen blei-
bend, um zum scheine Kartosseln aus
julesen.
Kehren wir um, gehen wir nicht
dorthin." sagte der kleine Stenne
immerzu.
Aber der Andre zuckte mit den Achseln
und schritt immer weiter. Plötzlich
hörten sie das Knacken eines gespannten
Gewehrhahnes.
Duck Dich!" rief der Große und
warf sich selbst zu Boden.
Dann pfiff er, ein anderer Pfiff ant
wartete ihm. Sie krochen über den
Schnee langsam näher. Vor der
Mauer, wie aus der Erde gewachsen,
erschien ein schnurrbärtiger, behelmter
Kopf. Der Große sprang in den
Laufgraben, an die Seite des Preunen
Das ist mein Bruder." sagte er. auf
sienne oeuieno.
Er war so klein, dieser Stenne. daß
der Preuße, als er ihn ansah, lachen
mußte und ihn in seinen Armen über
die Bresche trug.
In einer Ecke erhob sich ein gerau-
miqes, mit Zia ematten ver ebenes Ge-
bände. Unten war es ganz voll von
Soldaten, die Karten spielten und an
einem gronen lu mqen ,uer Suppe
bereiteten. Das duftete nur so nw
Kohl und Speck. Zu ebener Erde be-
fanden sich die Offiziere. Als die
Pariser eintraten, wurden sie mit leb-
hafter Freude empfangen. Sie gaben
ihre Zeitungen ab; dann gab man ih
nen zu trinken und nöthigte sie zum Er-
zählen.
Dem kleinen Stenne gegenüber, ab
eits von den übrigen, saß ein älterer
Preuße, der, ernster als die anderen, zu
lesen schien. Jedenfalls hielt er eine
Zeitung in der Hand, wenn auch seine
Augen immer wieder über das Blatt
hinweg zu dem kleinen Stenne glitten.
Es lag in seinem Blick etwas von Zärt
lichkeit. aber auch von Vorwurf. Gleich
als ob dieser Mann auch einen Knaben
daheim hätte und als ob er sich sagte:
Lieber möchte ich ihn todt als so tief
gesunken sehen."
Dem kleinen Stenne war es, als ob
sich eine stählerne Faust auf sein Herz
legte und es zu schlagen verhinderte.
Und dann bemerkte er. wie der
Große seine Stimme senkte, die Ossi-
ziere nayenen stet) turn und Die Ge
sichter wurden ernst. Ter Elende war
dabei, sie von dem geplanten Angriff
der Franktireurs zu benachrichtigen . . .
Diesmal erhob sich der kleine Stenne,
ernüchtert wüthend:
Nicht, Du . . . ..Tu .... Ich will es
nicht!"
Aber der Andere lachte nur und er-
zählte weiter. Bevor er noch, geendigt,
hatten sich alle Offiziere erhoben. Ei
ner von ihnen zeigte den Indern die
Thür.
Geht hinaus!"
Und sie sprachen hastig in deutscher
prache miteinander. Der Große ging,
stolz wie ein Doge und klapperte mit
einem Gelde. Stenne folgte ihm mit
gesenktem Kopf. ' Als er an , dem 1
Preußen vorbeikam, dessen Blicke ihn so
gepeinigt hatten, horte er eine traurig
stimme:
So verdorben so verdorben
La kamen ihm die Thränen in tzie
Augen, nieder aus freiem Felde
fingen sie an zu laufen und beeilten sich
ziiruazuleyren. yren Sack hatten sie
voll Kartoffeln, die ihnen die Preußen
gegeben hatten. Mit diesen kamen sie
denn auch ohne Hinderniß an den Lauf
graben der Franktireurs vorüber. Man
bereitete sich dort für den nächtlichen
Angriff vor. Stillschweigend zogen die
Gruppen heran und sammelten sich hin-
ter den Mauern. Der alte Sergeant
war auch dabei. Er ordnete seine
Veute; mit einem ganz glücklichen Ge
f: x. a. rti a r ...
a)i. ?us oie IN oer voruver gingen.
erkannte er sie und lächelte ihnen freund
lichst zu.
Ach, wie das Lächeln dein kleinen
stenne weh that! Einen Moment war
es ihm. als müßte er schreien:
.Wir ha-
Geht nicht da hinüber
ben Euch verrathen!"
Aber der Große hatte ihm gesagt
Wenn Tu klatschst, werden wir Beide
erschosien!" und die Furcht hielt in
zurück. ,
cv v . .. on 'i f. . v i t i . i f.
;ii oer viaae oer siavl traten ie in
ein verlassenes Haus, um das Geld zu
theilen. Es mutz gesagt werden, daß
die Theilung ehrlich vollzogen wurde
und daß dem kleinen Stenne. als er die
schönen Goldstücke in seiner Tasche klin
gen hörte und an die vielen Spiel-
Partien dachte, die nun auch ihm in
Aussicht standen, sein Verbrechen schon
nicht mehr ganz so entsetzlich vorkam.
Aber als das unglückliche Kind allem
war! Nachdem der Große ihn hinter
den Thoren verlassen hatte, begannen
seine Taschen so schwer zu werden und
er fühlte wieder die Hand, die sich lang
sam und drückend auf sein Herz legte.
Das schien ihm nicht mehr dasselbe
Paris zu sein! Die Leute, die an ihm
vorübergingen, blickten ihn alle so
strenge an. als wüßten sie. von wo er
kam. Er hörte das Wort Spion in
dem Rollen der Räder und in dem
Trommelschlag der Tambours, die sich
am Kanal übten. Endlich gelangte er
nach Hause und froh, daß' sein Vater
noch nicht zurückgekehrt war, eilte er in
eine Kammer und verbarg das Geld
unter seinem Kopfkissen.
Noch nie war der Vater Stenne so
vergnügt gewesen, wie an diesem Abend.
Man hatte Nachrichten erhalten, die
recht günstig, lauteten.
Gegen 8 Uhr Abends hörte man Ka-
nonendonner.
Das ist Aubervilliers. Es geht ge-
gen Bourget," sagte der Alte, der alle
seine Forts kannte. Ter Kleine er-
blaßte und ging, eine große Müdigkeit
vorschützend, zu Bett. Aber er schlief
nicht. Er erinnerte sich des Sergean
ten, der ihm so freundlich' zugelächelt
hatte, und er sah ihn todt dort unten
im Schnee und so viele Andere mit
ihm!.... Der Preis für all das Blut
lag da unter feinem Kopfkissen, und
das hatte er gethan, er, der Sohn eines
Soldaten Die Thränen wollten ihn
a st ersticken. Im Zimmer nebenan
hörte er feinen Vater das Fenster öff-
nen. Unten aus dem Platz wurde
Rappell geschlagen. Ein Bataillon der
Mobilgarden sammelte sich zum Auf
bruch. Der Unglückliche konnte ein
chluchzen nicht zurückhalten.
Was ist Dir denn?" fragte der eben
eintretende Vater Stenne.
Da hielt es das Kind nicht länger, es
sprang aus seinem Bett und warf sich
dem Vater zu Füßen. Bei dieser Be-
wegung fielen die Goldstücke klirrend zu
Boden.
Was ist das? Was hast Tu?" sagte
der Alte zitternd.
Ta erzählte der Kleine alles m ei-
nein Athem. . ..ater stenne horte
ihm zu. mit eiirern fürchterlichen Ge-
icht.
Tann bedeckte er es mit den Händen
und weinte.
Vater, Vater...." rief das Kind.
Aber er stieß es wortlos zurück und
ammelte das Geld auf.
Ist das Alles?" fragte er.
Der Kleine bejahte stumm. Ta
hakte der Alte sein Gewehr los, nahm
leine Patronema aie uno teerte das
Geld ein.
Ich will es Ihnen zurückbringen."
Und ohne ein Wort hinzuzufügen,
ohne auch nur einmal das Haupt zu
wenden, ging er hinaus und mischte sich
unter die Truppen, die in die Nacht
hinauszogen.
Man hat ihn seitdem nicht mehr wie-
dergesehen.
tuosen. Also warb er eine Truppe der
geschicktesten Musiker an. um sie auf
feine Kosten zu Schiffe nach Koustantj.
nopel zu sende,,, wo sie dann wahrend
einiger Jahre zur angenehmen Unter
Haltung deS Sultans und seines HofeS
ihre musikalische Kunst zu Gehör drin
gen sollten.
Diese Musiker kamen glücklich in der
türkischen Hauptstadt an. Man empfing
sie ehrevoll. bewirthete sie reichlich und
quartierte sie vortrefflich ein auf Befehl
des Sultans und auf dessen Kosten,
worauf dann im Palaste bald das erste
Eonzert stattfand. Tie Künstler gaben
sich begreiflicherweise alle erdenkliche
Mühe, und leisteten wirklich sehr
Gutes, indem sie ihren Instrumenten
die süßesten und schmelzendsten Töne
entlockten.
Turch diese seelenvolle Musik wurden
der Sultan und dessen hohe Würden'
träger, die bei dem Eonzert zugegen
waren, tief ergriffen, ja ihre rauben
Gemüther geradezu bis zu Thränen ge
rührt.
Tas ist ja ganz wunderbar." saate
darauf nachdenklich Soliman. Wie
lieblich, wie schön! Einmal haben wir
diese sanfte Musik gehört nie wieder
dar'f geschehen! Denn sie, die so rüh
rend, so einschmeichelnd, so ganz anders
ist als die rauhe Schlachtenmusik unke
rer tapferen Krieger, sie würde uns mit
ihrem verlockenden Wahllaute allmäh
lich verweichlichen und entnerven, wie
es in ähnlicher Weise einst den Persern
erging und später auch den Griechen.
Darum wird's am besten fein, wir er-
liefen die für die Macht und Wohlfahrt
unseres Reiches so gefährliche Vergnü
gen sogleich im Keime."
In der That ließ er 'den Musikern
die Instrumente wegnehmen und letztere ,
auf dem Steinpflaster des Palasthvfes
mittels Keulen und Beile kurz und klein
chlagen. Die Bruchstücke wurden auf
einen Holzhaufen geworfen, die Noten-
este oben darauf, und alles mitein
ander so gründlich verbrannt, daß nur
die Asche und einiges geschmolzene
Metall übrig blieb.
Mit größtem Entsetzen hatten die
raiizösischen Musiker diese Prozedur
angesehen. Sie fielen auf die Kniee und
flehten inständig um ihr Leben, denn
nach dem Vorgefallenen befürchteten sie,
daß nunmehr auch sie selbst geköpft oder
gespießt oder auf Scheiterhaufen der
brannt werden sollten.
Turch den Dolmetscher ließ Soliman
die Geängstigten jedoch gütig beruhigen.
Nicht mit ihren Personen würde er so
umgehen, wie er aus Gründen der
Staatsklagheit mit ihren Instrumenten
habe verfahren müssen, um auf jeden
Fall es zu verhindern, daß in seinen
Landen solche sanfte Musik gespielt
werde. Nachdem er sie abermals löst
lich mit Speise und Trank hatte be
Wirthen lassen, schenkte er großmüthig
jedem von ihnen einen schweren-Beutel
voller Goldstücke, erstens als Belohnung
für daß rührende Eonzert, zweitens als
reiche Entschädigung für die vernichte
ten musikalischen Instrumente.' Danach
sandte er sie auf seine Kosten ivieder zu
Schiffe nach Frankreich. '
Nach der Ankunft in Paris brachte
ten sie dem König ihr sonderbares
Erledniß in Konstantinopel. Franz
gerieth darüber in nicht geringes Er
staunen. Die Musiker aber hatten allen Grund
zur Zufriedenheit. Ihre Leistung war
so hoch von Soliman, außerordentlich
hoch bezahlt worden. Das eine Eon
zert in Konstantinopel hatte ihnen viel
mehr Geld eingebracht, als sie in zehn
Jahren mit tausend Musikaufführun
gen in Frankreich hätten verdienen
können, wo dazumal solche Kunst
leistungen nur geringe Anerkennung
fanden.
Ein inerkwürdiges Conzort.
König Franz der Erste von Frank-
reich schloß im Jahre 1530 ein Bünd-
HZ mit dein mächtigen Groszsultan
Soliman den Zweiten, welcher großes
Aergerniß in ganz Europa erregte.
Ter prachniebende ranz, welches stets
für Kunst und Wissenschaft reges
Interesse zeigte, kümmerte sich aber
darum gar nicht, sondern sandte dem
neuen Bundesgenossen schöne und kost
bare Geschenke' verschiedener Art. Auch
wünschte er ihm einen vortheilhaften
Beqriss von der franzöftichen Jnstrn-
mentalmusik zu geben, welche damals
reits zu hoher Vollkommenheit ge-
langt war. In Frankreich wurden seit
einigen ayrzemiien sqon ganz vor
treffliche Geigen, Gamben, Lauten,
heorben, Flöten, ivoen, iöymvein
und andere mufikartige Instrumente
verfertigt für geübte und tüchtige Vir-
' Unmögliches Kunststück.
Ein Kammerherr der Kaiserin
Katharina II. von Rußland hatte sich
angewohnt, der Monarchin immer
augenblicklich und in größter Kürze zu
antworten, ganz unbekümmert, ob diese
schnelle Antwort etwas taugte oder
nicht. Eines Tages meldete er der
Kaiserin die Ankunft eines Kuriers aus
Wien, ohne daß er über die näheren
Umstände seiner Reise Erkundigung
eingezogen hatte. Die Kaiserin fragte
ihn: Wie lange ist der Kurier auf
dem Wege gewesen?" Acht Tage. Ew.
Majestät." Verwundert über die für
die damalige Zest unglaubliche Schnei
ligkcit fuhr die Monarchin fort: Wel
chen Weg hat er denn genommen?"
Ueber Frankfurt, Leipzig, Hamburg,
Amsterdam. Em. Majestät!" lautete
die dreiste Antwort. Lächelnd fragte
die Kaiserin weiter: Ei. ei, wo bleibt
denn da die Geographie?" und schnell
erwiderte er: Die hat er links liegen
gelassen."
Ter Taucher.
In Wilhclmshaven verfolgte Kaiser
Wilhelm bei feinem letzten Besuche mit
lebhaftem Interesse die Arbeiten eines
Tauchers. An den ihn begleitenden
Admiral richtete er die Frage, wie viel,
ein solcher Taucher für seine schwere
Arbeit Lohn erhalte. Der Admiral
erwiderte darauf: 60 bis 75 Mark für
drei bis vier Stunden. Tas ist ja
mehr," so bemerkte der Kaiser, als
selbst mein Finanzministcr bekommt."
Ter taucht aber auch nicht,"
erwiderte der Admiral, ohne sich des
Wortspieles bewußt zu werden.
Im Gedränge des Lebens hat Man
cher schon sich selber verloren.