Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 07, 1899, Image 9

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    Zweite Cieiv.
Von R fl it s k o n ! " ch
4 Ich wiederhole nochmals: da Weib
likdi nur einmal wabrbafl ideal und
leidenschaftlich. Ist (3 in dieser Liede
getauscht worden und suhrt es das
Schicksal mit einem anderen Mann zu
ssmmen. so kann zwar die Liede in fei.
nem Kerzen abermals erwachen und
Wurzel treiben, aber jenes wahrha't
innige, jede Faser des Körpers durch
dringende Gefübl. das wahre Liede so
beglückend macht, wird niemals wieder
lehren.
Ter alte Ingenieur an unserem
Stammtisch hatte sich in eine förmliche
Erregung hincingesprochen und leerte
mit einer nervösen Haft seinen steiner
nen Bierhumpen.
Lächerlich rief der dicke Toktor
neben ihm möchte wissen, warum
eine ZZrau in ihrer zweiten Liebe nicht
glücklich fein könnte! Tas wurde ja
entschieden der menschlichen Natur wider
sprechen. Wie Wenige giebt es über
Haupt, denen es vergönnt ist, dem Ge
genstand ihrer ersten Liebe für immer
anzugehören? Müßten die nun alle
unglücklich sein? TaS wäre sehr traurig
für die ganze Menschheit.
Und doch ist es so beharrte der
Ingenieur hartnäckig auf seiner Ansicht.
Man darf allerdings nicht vergessen,
daß es nicht immer die erste Liebe ist,
welche der von mir geschilderten wahren
und leidenschaftlichen Liebe entspricht.
Denn nicht Alles ist Liebe, was man oft
.dafür hält, und gar manches Mädchen
' glaubt einen Mann zu lieben über
zeugt sich aber erst später, daß dies
Täuschung gewesen, daß das Gefühl in
ihr noch leine wahre, leidenschaftliche
Liebe war. Hat sie aber einmal in
diesem Sinne geliebt und wurde sie in
ihrer Liebe betrogen dann giebt eZ
keine Macht der Erde mehr, welche diese
Liebe wjeder erwecken könnte. Selbst
wenn sie glaubt, abermals zu lieben, so
ist diese Liebe nicht mehr das. was sie
war. Und glücklich der Mann, der, fei
es aus natürlicher Anlage oder aus sonst
einem anderen Grund, sich mit diesem
stiefmütterlichen Ausmaße zufrieden
fühlt. Doppelt unglücklich aber der
Mann, der ihr selbst eine innige. lei
denschaftliche Neigung entgegenbringt
und dabei genügend Zartgefühl und
Beobachtungsgabe besitzt, um das wahre
Bild ihres Innern zu erkennen.
Wundert Euch nicht fuhr der Jn
Henieur fort, während ein bitteres
Lächeln seine Lippen umspielte daß
ich so pessimistische Ansichten vertrete.
Ich habe die Wahrheit meiner Worte
an mir selbst erfahren. Ich will Euch die
Geschichte erzählen:
Es war in Berlin. Ich war damals
erst mit meinen Studien fertig gewor
den und hatte ein verhältnißmäßig
glänzendes Anerbieten in eine dortige
berühmte technische Fabrik erhalten. Ich
lernte daselbst einen jungen Philosophen
kennen, der zu seiner weiteren Ausbil
du hier verweilte. Ausbald gewann
iaf ihn sehr lieb. Sein freundliches,
offenes Wesen, sein ehrlicher, treuer
Charakter machten ihn mir werth. Er
hatte alle Eigenschaften, um Frauen
anzuziehen: er war hübsch, lustig, gebil
det; zeigte ein äußerst feines Benehmen
irnd wär as einem reichen Hause. Er
war auch der erklärte Liebling aller
Mädchen und Frauen. Kein Wunder,
wenn er wie ein Schmetterling von einer
Blume zur andern flatterte und stets
zu gleicher Zeit mehrere Liebschaften
unterhielt. Unter dieser großen An
zahl war eine, die es ihm besonders
ngcthan zu haben schien. Es war die
Tochter eines angesehenen Arztes, ein
' Äußerst hübsches, liebes Mädchen. Mit
ihren großen, schwarzen Augen konnte
sie Einen so durchdringend anblicken,
daß man förmlich das Blut in den
Adern walle., fühlte. Fast täglich
wanderten wir Beide in das Haus ihrer
Eltern, wo wir stets gern gesehene Gäste
waren. Wir waren dort wie zu Hause
und wurden behandelt wie Söhne des
Hauses. Elsa so hieß das Mädchen
hing mit abgöttischer Liebe an mei
cm Freund. Wenn sie ihn kommen
sah. huschte eine Röthe über ihre Wan
gen, ihr Blick hing wie gebannt auf
seinem Antlitz, begierig lauschte si,e jedem
seiner Worte, das ihr ein Evangelium
war. Auch er liebte sie. vielleicht sogar
Ji)x nach seiner Art. Wenn er in
sgrer Nähe war. wenn er mit ihr tän
delte und scherzte, fühlte er sich, wie, er
mir unzählige Male gestand, unendlich
glücklich und zufrieden. Auch ich
warum soll ich's leugnen liebte das
, anmutbige, liebliche Mädchen, ich liebte
sie heiß und innig, mit jeder Faser
meines Herzens, ich hätte oft aufschreien
mögen vor Schmerz, wenn ich die über
große Liebe sah, die sie für meinen
Freund hegte, umsomehr, als ich ahnte,
daß sie dieser nie glücklich machen könne.
Er hatte sie lieb, sehr lieb sogar, aber
er liebte sie nicht mit jener Alle? der
zehrenden Gluth und Leidenschaft, mit
jener tiefen Innigkeit, die sie ihm entge
genbrachte, und der nur wenige Männer
fähig sind.
Ich verschloß meine Gefühle in mein
Inneres und begnügte mich mit der
Rolle des Freundes. Hans hielt alsbald
um Elsens Hand an. die er von den
Eltern, die ihn liedgewonnen hatten,
auch mit Freuden zugesagt erhielt. Ich
sehe heute noch das freudestrahlende
Gesichtchen El'ens. als sie den geliebten
Mann daZ erste Mal umarmen durfte,
als sie zum ersten Male öffentlich einen
Kuß von ihm erhielt. Man sagt. Liebe
fei egoistisch. Nun, ich muß sagen,
f.
Der ÄmllagsgH.
Jahrgang 20.
obwohl mein Her, fast zerspringen
wollte, gönnte ich ihr doch ihr Glück
und faßte Hoffnung, daß ich mich viel
leicht doch getäuscht, daß sie vielleicht
doch ein volles Gluck finden werde.
Es war ausgemacht, daß Hans noch
ein Jahr für seine Studien im Aus
lande verwenden solle, um dann defini
tiv nach Berlin zurückzukehren, woselbst
dann die Hochzeit stattfinden sollte. Er
reiste ad. Anfangs kamen fast täglich
Briefe und Nachrichten von ihm aus
den verschiedenen Städten und Ländern,
die er bereiste. Elsa zeigte sie mir alle
mit glückseligem Lächeln. Uederhaupt
schloß sie sich sehr an mich an. Sie
sprach stets vom ihm. von ihrem künfti
gen Glück war ich doch sein bester
Freund! Die Briefe wurden immer
seltener und seltener, es dauerte ost
Wochen, bis eine Nachricht von ihm
eintraf. Jedoch Elsa verzweifelte nicht.
Sie wußte tausend Entschuldigung?
gründe für seine Säumniß anzufüh
ren. Aus dem einen Jahr waren bereits
zwei Jahre geworden, ohne daß Hans
zurückgekehrt war. und schon über ein
Vierteljahr verflossen, ohne daß wir von
ihm hörten. Elsa wurde immer trau
riger. Ihre Zuversicht war geschwun
den. Ich suchte sie möglichst zu trösten
und ihre Hoffnungen auf's Neue zu
beleben. Es wollte mir jedoch nur
schlecht gelingen. Ta kam eines Tages
der entscheidende Schlag: ein Brief von
Hans aus Florenz, in welchem er den
Eltern mittheilte, daß er Familien
Verhältnisse wegen gezwungen fei, seine
Verlobung mit Elsa zu lösen. Elsa
ertrug den Schlag tapferer, als ich ge
dacht 'hatte. Keine Thräne benetzte ihre
Wangen, keine Klage entrang sich ihren
Lippen nur ein leises Zucken ging
durch ihren Körper. Bon da an war
sie still, in sich gekehrt. Kein Wort,
keine Anspielung auf Hans kam über
ihre Lippen. Ihr Gesichtchen war bleich,
kalt, starr, wie aus Stein gemeißelt.
Daran erkannte ich den Kampf, der in
ihrem Inneren tobte, und den sie angst
lich vor der Außenwelt zu verbergen
suchte.
Nach und nach wurde sie ruhiger.
Ihr Antlitz bekam allmählich die frische,
rosige Farbe zurück, sie wurde lebhafter,
und mitunter ertönte sogar ein helles
Lachen von ihren Lippen. In meinem
Herzen keimte die Hoffnung, sie werde
die Enttäuschung mit der Zeit vergessen
und vielleicht endlich auch mich lieben
lernen. Sie wandte mir ihr ganzes
Vertrauen zu und weilte gerne in
meiner Gesellschaft. Eines Tages gestand
ich ihr meine Gefühle offen, rückhalts
los. Sie antwortete, sie habe mich lieb,
und' sie sei mir gnt, ich solle ihr Zeit
lassen, und sie glaube, sie werde mich
mit der Zeit wahrhaftig lieben lernen.
Ich wartete und konnte thatsächlich ver
folgen, wie sich das Gefühl der Liebe
zu ' mir in ihrem Herzen stufenweise
steigerte, und als ich sie einst fragte, ob
sie mich schon so weit liebte, daß ich mit
ihren Eltern sprechen dürfe flüsterte
sie erröthend ein leises Ja" und sank
in meine Arme.
Bald wurde unsere Verlobung und
in kurzer Zeit darauf unsere Hochzeit
gefeiert. Meine Frau war lieb, zärt
lich, aufmerksam mir gegenüber und
doch konnte ich mich eines leisen Zwei
fels nicht erwehren. Meine Liebe zu
ihr war innig tief, leidenschaftlich, sie
war so, wie ich sie vorhin geschildert
habe und eine solche Liebe macht
scharfblickend. Kleinigkeiten, die ein
Anderer gar nicht beachtet hätte, be
stärkten meinen Verdacht und machten
mich tief unglücklich. Wenn plötzlich
unser Gespräch verstummte und wir
Beide in Nachsinnen versanken, aus dem
sie dann mit einem leisen, halbverbor
genen Seufzer wieder zu sich zurück
kehrte dann wußte ich. daß sie an
ihn gedacht hatte, an ihn, den ich jetzt
haßte, und den sie nicht vergessen
konnte. Wenn wir oft beim Fenster
standen und stumm in die Ferne blick
ten. dann umzog oft ein feuchter
Schimmer ihre schönen, lieben Augen,
und ich wußte nur zu gut. was das zu
bedeuten habe. Wenn sie in den
Dämmerstunden am Klavier saß und
ihren Gefühlen in herzzerreißenden
Phantasien Luft machte, um dann
plötzlich mit einem schrillen Accord
abzubrechen, dann wußte ich. daß es
der hoffnungslose Zustand ihres gepei
nigten Herzens war, dem sie durch ihr
Spiel Ausdruck verliehen. Wie oft
schon kam ich nach Hause und fand sie
mit geratheten, verweinten Augen. Ich
fragte nicht nach dem Grund. Ich
wußte ihn. Ich konnte genau die Tage,
die Stunden, die Minuten angeben,
wo ihre Gedanken bei ihm weilten, ich
fühlte es förmlich, und ich wußte, daß
mich dieses Gefühl nie betrog. Ich litt
schrecklich. Und ich konnte ihr keinen
Vorwurf machen. Sie erfüllte auf's
Genaueste alle Pflichten einer Gattin
und war in jeder Beziehung das Muster
einer Frau. Ja, sie hatte vielleicht selbst
Beilage zum Nebraska
das Bewußtsein, daß sie an mir ein
Unrecht beging, und suchte es durch der
mehrte, oft auch übertriebene Zärtlich
teit wieder gut zu machen. Und auch
das fühlte ich. Ich mußte meinen
Kummer, mein Leid in mein Inneres
verschließen, und oas machte mich ver
bittert. Von Jahr zu Jabr honte
ich vergebens. Es blieb Alles, wie
es war.
Zehn Jahre waren so vergangen.
Zehn Jahre bitteren Leidens und harter
Qualen für mich. Ta es war an
einem Novembertag. Ich war etwas
früher aus dem Bureau nach Hause
gekommen, als gewöhnlich. Als ich
unvorhergesehen in ihr Zimmer trat,
schob sie hastig einen Gegenstand in
ihre Schreibtischlade, und auf ihrem
Antlitz spiegelte sich eine tödtliche Ver
legenhcit. Auch mir schoß das Blut
in den Kopf. Ich schob sie etwas
unsanft zur Seite, öffnete die Lade
und fand feine Photographie. In
meinem Herzen riß etwas. Ich fühlte
eine unendliche Leere und Oede an
jener Stelle, wo früher ein so theures
Bild geweilt hatte. Ohne ein Wort
zu sprechen, ging ich auf mein Zim
mer. Es war zu Ende. Ich hatte
sie geliebt mit jeder Faser meines
Herzens. Ich war ihr stets der liebe
vollste, aufmerksamste Gatte gewesen.
Sie selbst hatte mir das oft einge
standen. Nie, selbst in Gedanken nicht,
hatte ich ihr die eheliche Treue gebrochen.
Ich hatte sie geliebt, wie nur selten
Männer ein Weib lieben können. Jetzt
war es vorbei. Hätte ich nicht Anspruch
auf Gegenliebe gehabt? Wenn Jemand,
so hätte ich eine wahre, aufrichtige
Liebe verdient, wenn es möglich wäre,
die Wuzcln der ersten innigen Liebe
eines Weibes aus ihrem .Herzen zu
reißen, wenn es möglich 'wäre, an
Stelle der ersten tiefen, leidenschaft-i
lichen Liebe eine ebensolche zweite er
blühen zu lassen, so hätte dies mir ge
lingen müssen, der ich eingestandener
maßen alle Eigenschaften besaß, um ein
Weib glücklich zu machen. Kurz: wenn
es wahr wäre, daß ein Weib zweimal
mit derselben Leidenschaft lieben kann,
so hätte sich das am ersten hier zeigen'
müssen. Es war nicht der Fall. Ob
wohl sie sah, daß sie der Gegenstand
ihrer Liebe betrogen und feige verlassen
hztte, hing ihr Herz doch inniger an
ihm als an mir, von dem sie nur
Gutes und Liebes erfahren hatte,
von dem sie wußte, daß er ihr mit
einer seltenen Liebe zugethan war,
ja von dem sie wußte, daß er durch ihre
Neigung zu dem Anderen tief Unglück
lich war! Ich frage euch also nochmals:
habe ich recht oder nicht, wenn ich be
Haupte, daß ein Weib nur einmal innig
und leidenschaftlich lieben könne?
Ter alte Herr hatte mit hochge
röthetem Antlitz geendet und starrte
dumpf vor sich hin. In unserem
Kreise war es still geworden. Wir alle
fühlten, daß ein grausames Stück
Familientragödie vor uns aufgerollt
worden war. Der dicke Toktor räu
sperte sich verlegen, um seine Rührung
zu bekämpfen, und reichte dannwort
los dem Freunde die Hand. Dieser
Händedruck sagte mehr als viele Worte.
Ein Drama in den iochalpen.
Von Paul Pasig lAlkenlnirg,) .
Es war zu Anfang August des Iah
res 133., als gegen Abend im Post
wirthshause z. B. in Tirol ein junger
Mann die in jenem kritischen Alter
stehen mochte, das Frauen am liebsten
geheim gehalten wissen. Gleichwohl
trug der Reisende ins Fremdenbuch
ein: Ferdinand Ohnesorge, Maler, und
Frau aus Preßburg. Die beiden Ehe
leute schienen es besonders eilig zu
haben und gingen auf die üblichen,
meist von zudringlicher Neugierde ein
gegebenen Fragen des Hotelpersonals
eben so widerwillig ein, wie sie sich an
der lebhaft geführten Unterhaltung der
Gäste, die sich bald um die Abendtafcl
sammelten, betheiligtcn. Man weiß
ja aus Erfahrung, um was es sich zu
meist in jenen Tischgesprächen handelt:
aller langer Reden kurzer Sinn bleibt
doch das Wetter! Und für die Gäste
unseres Berghotcls war dies geradezu
eine Lebensfrage. Denn wer in diesem
abstieg, that dies lediglich aus dem ein
zigen Grunde, um von hier aus nach
gehaltener Rast Ausflüge in die fo'be
quem gelegene Hochgebirgswelt zu
machen, den Körper zu stählen und den
Sinn zu erquicken in nahezu strapazen
losen Gebirgstouren und das entzückte
Auge über die lachenden Gefilde des
malerischen Tirolerländchcns schweifen
zu lassen, kurz, um Ge'st und Körper in
erquickender, reiner Gebirgsluft gesund
zu baden. Auch das Öhnesorgcsche
Ehepaar äußerte die Absicht, den in
etwa vier Stunden bequemen Aufstieges
erreichbaren Aussichtspunkt des Hoch-
Staats Anzeiger.
jochs" j'l besuchen, um dann nach er
folgter Rückkehr ins Gasthaus weitere
Ausflüge folgen zu lassen. Aber das
Wetter, das Wetter!
Seit nahezu zwei Tgen hielt ein
schier undurchdringlicher Nebel die
Aeiiegesellschast in seinem Bann, und
wer einmal es wagte, nur ein paar
hundert Schritte im Nebclmeer vor
wärts zu dringen, der kam. über und
über durchnäßt, gewiß mit dem Ent
schluß zurück: Einmal und nicht wie
der!" Alle Welt suchte unsere Ankömm
linge von der beabsichtigten Tour, die
für den folgenden Morgen geplant
war, abzubringen. Schaun's," meinte
der biedere Wirth, wenn's jetzt par
tout woll'n, dann genad' Jhna Gott!
's is halt koa Wetter zum Bergkraxcln!"
Man vertröstete sich auf den kommen
den Morgen. Aber nebelgrau und
bleischwer grüßte er zum Fenster herein,
und die allmählich sich, einstellenden
Gäste fügten sich resignirt in die nicht
zu ändernde Lage. Nur unser Maler
schien besonders erfreut und aufge
räumt und bestand mit um so größerem
Nachdruck auf seinem Vorhaben, je
mehr ihm davon abgerathen' wurde,
während scheinbar gefaßt feine Gattin
ihm beistimmte. Sich anbietende Füh
rer. die übrigens bei normalen Witte-rungs-Verhältnissen
in diesem Theile
des tiroler Gebirges völlig überflüssig
waren, wurden ebenso abgewiesen wie
der Vorschlag, sich wenigstens bis zum
Hochjoch eines Wagens zu bedienen.
Das ists ja eben, was wir Städter,
wenn wir im Gebirge Erholung suchen,
wollen: Erprobung der eigenen Kraft
und Geschicklichkeit! Bequeme Fahrge
legcnheit haben wir daheim zur Genüge
und müssen sie leider zu häufig be
nutzen. Also vorwärts: den Muthigen
hilft Gott! Hoffentlich klärt sich droben
das Wetter auf und lscheert uns als
Lohn für unsere Mühen eine um so
entzückendere Aussicht!" Mit diesen
Worten verabschiedete sich der Künstler,
seine Gattin am Arme, von denl biede
ren Gastmirth, gefolgt von den ängft
lichen Blicken einiger am Fenster stehen
den Hotelgäste. Künstlerlaunen!" be
merkte ein älterer Herr zu seiner schönen
Nachbarin. Dagegen kann Niemand
aufkommen, und wenn er alle Gründe
der Vernunft und des klaren Augen
scheins ins Feld führen wollte!" Hab
mich auch im Stillen oft darüber ge
wundert," meinte ein Anderer, offen
bar ein Militär in Eivilkleidung,
was für barocke Einfälle zuweilen
unsere heutigen Künstler haben! Sehens
nur grade die Maler an! Malens den
Himmel grün und die Wiesen blau
und die Menschenkinder nicht, wies
unser Herrgott g'schaffen hat, voll und
rund und mit g'sundem, rothem Blut,
sondern steif und blaß und mager,
g'rade wie'ne Gelenkpuppe. Modern"
nennens, und es mag wohl auch modern
sein, im Nebel die Hochalpen zu be
steigen und Aussichtspunkte aufsuchen.
Curioses Völkchen das!"
Im Uebrigen schlichen die Tagesstun
den für die Hotelgesellschaft bleischwer
dahin. An einen Aufenthalt im Freien
war gar nicht zu denken, da der Nebel
sich allmählich zu einem ergiebigen
Regen verdichtet hatte und sein unwill
kommenes Naß in reicher Fülle spen
dete. Man suchte durch Unterhaltungs
spiele sich die Zeit zu verkürzen: aber
das half auch nur vorübergehend, und
als der nur einmal des Tages hier oben
verkehrende Postbote Briefe und Zei
tungen brachte, da wurde er mit lautem
Jubel begrüßt und fast in Stücke zer
rissen, durfte aber dann, nachdem er
seine milde Hand geöffnet, hatte, seitens
der Glücklichen, denen er eine Kunde
von den treuen Lieben in der fernen
Heimath überbracht hatte, sich einer um
so größeren Aufmerksamkeit erfreuen,
die sich meist in einem guten Trinkgeld,
einem kräftigen Imbiß oder einem Er
frischungstrank äußerte.
So war es inzwischen Spütnachmit
tag geworden. Da plötzlich drang die
Kunde von Mund zu Mund: .'.Der
Maler kommt, trotz strömenden Regens,
aber allein! Und in der That, in weni
gen Minuten sah man den gänzlich
durchnäßten Mann, dessen Kleidung
die Spuren der ungewöhnlichen Ge
birgspartie an sich trüg, ins Gasthaus
eintreten und ohne Aufenthalt in sein
Zimmer eilen. Zunächst allgemeines
Erstaunen und Kopfschüttcln! Tann
faßte sich der Wirth ein Herz, stieg die
Treppe empor und klopfte an die Thür
des Malers. Erst auf wiederholtes
Klopfen erklang von innen ein mattes
Herein!" Dem Eintretenden bot sich
ein bejammernswerther Anblick dar.
Auf dem Sopha ausgestreckt, die Augen
halb geschlossen, das feuchte Haar in
wirrer Unordnung, lag der Maler da,
scheinbar zu sehr mit sich selbst beschäf
tigt und des Eintretenden kaum achtend.
Erst als dieser sich theilnahmsvoll nach
dem Erfolg der heutigen Bergtour und
nach seinem und seiner Gattin Ergehen
No. Itt.
erkandigte. erfolgte ein plötzliches Auf
leuchten der Augen, und sich scheinbar
müdsam vom Lager erhebend, ächte der
Gefragte, das Antlitz mit beiden Han
den. die fieberhaft zitterten, bedeckend:
Meine Gattin todt!" Nach mehre
ren vergeblichen Versuchen des Wirthes,
näheren Aufschluß über den Unglücks
fall zu erhalten, theilte ihm endlich der
Maler in oft zusammenhangloser Rede
mit. feine Gattin habe sich.' vertieft in
den wundervollen Anblick, den das Pa
norama von der Hochiochhölxc aus dar
bot. etwas zu weit nach vorn gewagt,
fei in Folge des noch immer schlüpfn
gen Erdbodens ausgcglitten und in die
etwa 200 Meter tiefe grauenvolle
Kaiscrschlucht" abgestürzt! Ein duin
pfeS Stöhnen folgte diesen Worten.
Aber hatten Sie denn klares Wetter
droben?" fragte der Hotclwirth weiter,
wohl wissend, daß grade der dem Nebel
folgende Regen oft ein Zeichen bcgin
nendcr Aufklärung ist die naturgemäß
sich zuerst auf den Höhen geltend macht.
Wunderbar klar!" lautete die mit
brechender Stimme gegebene Antwort.
Die folgenden Stunden brachten eine
ungeheure Aufregung unter den Hotel
gästen hervor, und Jeder beeilte sich,
dem beklagenswerthen Maler, der in
dumpfem Dahinbrütcn in seinem Zim
mer verweilte und scheinbar nur theil
nahmslos die sofort ins Werk gesetzten
Vorbereitungen zur Auffindung der
Leiche unterstützte, seine Theilnahme zu
bezeugen. Er ist ganz hingenommen
von seinem Schmerze!" äußerten die
Einen. Gewiß hat er sie sehr lieb
gehabt, der Aermste!" Andere wieder
fällten ziemlich harte Urtheile über die
Tollkühnheit gewisser Leute", und ein
Geistlicher denn als solchen verrieth
ihn der einreihige lange, schwarze Geh
rock mit aufstehendem Kragen konnte
sich gar nicht enthalten, von Gott ver
suchen" zur sprechen : Irret Euch nicht. "
sprach er salbungsvoll mit drohend er
hobenem Finger,' Gott läßt sich nicht
spotten!"... Nach längeren, anstren
genden Bemühungen ward der Leich
nam gefunden, hart unter der Stelle,
von wo aus der Absturz erfolgt sein
sollte! Er war im Uebrigen wohl erhal
ten, nur der Hinterkopf und die rechte
Schläfenseite zeigten einige scheinbar
leichte Verletzungen, die offenbar auf
eine Gehirnerschütterung hindeuteten,
die den Tod herbeigeführt hatte. Das
Antlitz hatte einen verstörten, fast
möchte man sagen, grimnien, schmerz
lichen Ausdruck angenommen.
Da ereignete sich etwas ganz Uner
wartetes. Bei einem Verhöre, das der
inzwischen aus der nächsten Stadt her
ausgekommene Bezirksamtmann mit
einigen Hirten der Umgegend veran
staltete, sagten diese übereinstimmend
aus, zur besagten Zeit, da der Unfall
stattgefunden haben sollte, habe auch
droben, gerade wie im Thale, undurch
dringlicher Nebel geherrscht, und von
Aussicht sei keine Rede gewesen! In
Folge dessen lenkte sich ein furchtbarer
Verdacht auf den Maler, dessen eigen
artiges Verhalten, das keine Spur'von
schmerzlicher Erregung verrieth, ihn zu
bestätigen schien. Er wurde trotz alles
Protestirens in Hast genommen und
seiner Heimathstadt zugeführt. Unter
dessen mehrten sich die Verdachtsgründe
derart, daß die Stellung Ohneforges
vor die Geschworenen beschlossen wurde.
,Man vermißte nämlich bei der Leiche
Verlobungs- und Trauring, und Cur
gäste beschworen beide an den Händen
der Frau gesehen zu haben. Beim Ab
stürze konnten sie nicht verloren gegan
gen sein, und alle weiteren Nachforschun
gen erledigten sich dadurch, daß der
Trauring nicht weit vom Fundorte der
Leiche in dichtem Gestrüpp entdeckt
wurde. Der Maler hatte offenbar, be
vor er sein Opfer jählings in den Ab
gründ stürzte, demselben beide Ringe
mit Gewalt abgezogen, um eine Ent
deckung vor der Hand zu verhüten, und
sie dann von sich geschleudert. Daß dies
nicht ohne heftiges Widerstreben der
Unglücklichen abgegangen war, bewie
sen die Verletzungen an Arm und Hand,
die sich als von Fingernägel herrüh
rend herausstellten. Selbst die Fuß
eindrücke der unglücklichen Frau wur
den zu Verräthern an dem ehrlosen
Gatten: sie waren dem Abgrunde ab
gekehrt, so daß die Unglückliche nach
kurzem Kampfe rückwärts in die grausige
Tiefe gestürzt morden war.
In der Verhandlung legte der
Maler, dessen wirklicher' Name übri
gens anders lautete, ein umfassendes
Geständniß ab: die Liebe zu einem
anderen Mädchen, das durch Jugend
und Schönheit ihn zu fesseln gewußt
hatte, hatte ihn zum Mörder an seiner
Gattin gemacht, die er nur ihres Geldes
wegen geheirathet hatte. Er wurde zu
lebenslänglichem schwerem Kerker ver
urtheilt. Zwei Menschen waren auf
ewig aus der Gemeinschaft der Men
schen geschieden
I Pxir.
Zr Gc'chichte des Papiers dringen
die .Jahresberichte der romanischen
Philologie" eine werthoollk Zusammen
ftellung der Ergebn,'!? der neueren
Forschung. Von großer Wichtigkeit sind
die neuen Untersuchungen über die be
rühmte ,PapvrusSammlung Erzber
zog Rainers" in Wien, die Schriftstücke
in zehn Sprachen vom 14. Jahrhundert
n. Ehr. enthalt. Aus den Unter
suchungen geht hervor, daß der PapvruZ
aus dem Mark, nicht auS dem Baft der
Papgrusstaude gemacht wurde. Die
arabisch'Ügvpkische Papvrus Fabrika
tion erreichte ihren Höhepunkt im An
fang deS 9. und erlischt in der Mitte
deZ 10. Jahrhunderts. Nunmehr ver
breitete sich der Verbrauch des PapierS
als Schreibstoff, aber es ist unrichtig,
daß. wie man früher glaubte, das
Lumpenpapier erst im 13. Jahrhundert
erfunden wurde und daß das älteste
Papier im Jahre 704 aus Baumwolle
von den Arabern nach chinesischem
Urbild gemacht worden ist. Der AuS
gangspunkt der Papicriadrikation
scheint Samarkand gewesen zu sein.
Die Araber lernten von den Ehinesen
statt des dort fehlenden PapierMaül
beerbaums Lumpen verwenden. Die
erste Papierfabrik geht auf das Jahr
731 zurück, die zweite wurde 794 in
Bagdad gegründet. Bald darauf folg
ten Andere von Soricn bis Nordafrika
und Spanien. Tas älteste Leinen
Papier der Sammlung stammt aus der
Zeit um 800. Für Eonzcpte wurden
im Mittclalter auch Wachstafeln ver
wendet. So findet man auf einer
Brüsseler Handschrift von 1381 einen
Mönch in Miniaturmalerei dargestellt,
der feine Eingebungen auf eine Wachs
tafel niederschreibt, während ein ande
rer den Inhalt einer zweiten auf
Pergament überträgt. Auf Abbildun
gen aus dem 14. bis 1(3. Jahrhundert
sieht man häufig den Schreiber mit
einein Stäbchen in der Hand das Buch
beim Schreiben festhalten. Oft wird
dazu auch ein oben zurückgebogenes ab
gerundetes Radirmesser gebraucht. Eine
im Mittelalter sehr verbreitete Schreib
sitte war die der Lückenbüßer". Es
kam häufig vor, daß innerhalb deZ
Schriftrahmcns leere Stellen gelassen
waren, wegen Rauhhcit des Schreib
stoffes. oder auch, weil mit einem neuen
Abschnitt eine neue Zeile oder Seite
begonnen werden sollte. Das hätte
aber als Textlücke gelten können und
wurde daher von den Schreibern aus
zufüllen gesucht. Sie bemerkten hier
entweder hie nihil deficit" (hier
fehlt nichts) oder füllten die Stelle mit
Schnörkeln aus. Sie schrieben auch
gar nicht zum Text gehörige Worte,
häufig in ihrer Muttersprache, hin und
bezeichneten sie mit Roth. So ergeben
in einer Münchener lateinischen Hand
fchrift des 15. Jahrhunderts die Füll
Wörter leerer Zeilenstücke durch mehrere
Blätter hindurch die Strophen eines
derben italienischen Gassenhauers.
Natürlich verleitet dies bei der Unter
suchung der Handschriften oft zu fal
schen Schlüssen.
Sin Alpinist im Jahr 1518.
In London ist kürzlich ein interessan
tes Buch Frühe Bergsteiger" von Iran
äs Gribble erschienen, das die Reise
berichte und Betrachtungen der ersten
Bergfexe" veröffentlicht. Die Vor
läufer unserer modernen Alpinisten
hatten noch sehr merkwürdige An
schauungen. So sehen sie z. B. be
flügelte Drachen in den Bergen. Andere
sind aber schon sehr vorgeschritten.
Folgender Bericht z. B. von dem
Schweizer Professor Konrad Geßner,
der den Pilatus im Jahre 1518 bestieg,
könne auch heute geschrieben sein: Das
Gehör wird entzückt durch die Unterhal
tung und durch den Witz unserer Ge
führten, durch den süßen Gesang der
Vögel in den Wäldern und sogar durch
die große Stille in der Weite'. Es ist
nichts da. was das Ohr stört, nichts,
was es belästigt, kein Lärm oder Ge
räusch von den Städten, kein Zank von
Menschen. Hier, von den luftigen
Bergen umgeben, in einer tiefen und
heiligen Stille,, scheint man die ganze
Harmonie der himmlischen Sphären zu
hören. . . . Es wird angenehm sein, sich
der Mühen und Gefahren, nachdem sie
vorüber sind, zu erinnern, darüber
nachzudenken und mit guten Freunden
davon zu sprechen. Nein, noch mehr,
das wirkliche Vergnügen ist um so
größer, wenn es nach schwerer Arbeit
erfolgt. Die Gesundheit des Menschen
wird dadurch gekräftigt vorausgesetzt,
daß. wie ich annehme, er ein Mensch
von ziemlich kräftiger Eonstitution ist.
Denn wenn man geht und von Zeit zu
Zeit einen Sprung macht, kommen alle
Körpertheile in Bewegung, und alle
Sehnen und Muskeln arbeiten "lind
dehnen sich." Diese hygienische Wir
kung des Bergsteigens dürfte den An
schauungen der meisten Bergsteiger der
Jetztzeit wohl entsprechen.
Merk's.
Dichterling: Welche herrliche Um
gedung! Ist die Natur nicht ein präch
tiges Gedicht?!"
Kritiker: Gewiß, besonders weil es
von keinem vorgelesen wird."
Bescheiden.
Dienstniädchen (welches den Professor
melden will): Wie ist Ihr werther
Name?"
Mathematikprofessor (der seinen Na
men nicht nennen will): Professor X.,
eine unbekannte Größe."