Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, July 20, 1899, Image 9

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    Die Vlume dcr Rönizin.
(5incr wahren Vkgibcnhkii nachcrähll von
R. von ÄHIt'eld Gleuelanb.
ES war zu Beginn der (KKt Jahre,
als einungcr Japaner. Namens Na
gova, zim Besuche der Harvardlni
versitüt in den Ber. Staaten eintraf.
Die Anftalt trug damals noch nicht den
heutigen kosmopolitischen Anstrich, und
eS war daher kein Wunder, daß die
dortigen Studenten die neuen (Jornmi
litonen auS dem Reiche der aufgehen
den Sonne" mit Staunen und Interesse
maßen. Nagoya bildete in der That
auch einen merkwürdigen Gegensatz zu
seinen amerikanischen Genossen. In
mitten ihrer meist robust gebauten Ge
stalten verschwand seine kleine, zierliche
Figur fast ganz. Wer eZ aber glaubte,
daß eS schmächtigen Körper des Japa
nerS an Kraft und (Äemandtheit man
gelte, der ward durch die geradezu ver
bluffenden gymnastisch athletischen
Kunststücke Nagoya's bald eines Beste
ren belehrt. Sein eigenthümliches
olivcnfarbigeS Gesicht, die frohl
leuchtenden, kleinen Augen und der
beinahe komisch in dem freundlichen
Gesichte wirtende melancholische Zug
gaben ihm etwas ungemcin Anziehen
des. wie die weiche einschmeichelnde
Stimme mit dem fremdartigen Accent
einen Jeden sympathisch berührte. Da
Nagoya außerdem stets guter Dinge
war und sich gegen Jedermann zuvor
kommend und gefällig erwies, so galt
er bald als der ausgesprochene Liebling
seiner Genossen. Sogar die alten gries
arämigen Professoren konnten seinem
lielzenswürdigen, offenen und charakter
viMli Wesen nicht widerstehen und be
vorzugten ihn offen vor Allen. Ob
wohl so Nagoya mit seinen Altersge
offen in dem denkbar besten Einver
nehmen fand, bemerkte man bald mit
Staunen, daß er lieber die Gesellschaft
Älterer Männer aufsuchte. In dieser
Hinsicht folgte der junge Japaner aller
dingS nur den ihm von feinen hcimath
lichen Behörden gegebenen Weisungen.
Er war seitens der japanischen Regie
rung an die Harvard-Universität ge
sandt worden gemäß eines alten Brau
chcs. dem zufolge junge Vertreter des
höchsten japanischen Adels in die weite
Welt geschickt wurden, um dort zum
Nupcn und Frommen des japanischen
Volkes Sitten und Gebräuche, Einrich
tungcn und Erfindungen an Ort und
Stelle zu studiren. Nagoya's bevor
zugtcr Freund und Vertrauter war ein
Professor Barnadini. der ihn in die
Geheimnisse der Chemie und was sonst
dazu gehörte, einweihte. Man sah die
Beiden fast beständig beisammen, sei es
experimentirend im Laboratorium, sei
es vertieft in den reichen Bücherschatz
der Universitäts-Bibliothck. sei es bota
nisirend auf einsamen Gängen durch
Wald und Flur. In kurzer Zeit hatte
sich das Verhältniß zwischen den Beiden
so innig gestaltet, daß der Professor
dem jungen Japaner vorschlug, den
Rest seiner Studientage in seinem
Hause zu verbringen und sich dort ganz
als ein Mitglied seiner Familie zu be
trachtet, ein Anerbieten, das Nagoya
dankbar annahm. Auf diese Weise
ward ihm eine noch beffere Gelegenheit
geboten, sich in die Geistes und Gedan
icnwclt des Volkes hinein zu leben,
dessen Sitten und Gebräuche er studiren
sollte. Das Familienleben im Pro
fcssorenhause war das denkbar glück
lichste und bot viele Anregungen für
Geist und Gemüth. Die Familie be
stand aus dem Hausherrn, dessen
Gattin, einer feingebildetcn Amerika
nerin und drei Kindern, welche unge
fähr in demselben Alter wie Nagoya
standen und bald dessen Busenfreunde
wurden. Die beiden Aeltesten waren
Jünglinge: Nagoya's Studiengenossen,
ein paar offene ehrliche Burschen, voll
von jugendlichem Enthusiasmus und
von ungemein lebhaftem Temperament.
Die Tritte im Bunde war ein reizendes
kleines Mädchen im Alter von zwölf
Jahren, Regina mit Rainen. daS Nest
tüken der Familie, ein schelmischer klei
ner Kobold, mit großen schwarzen Au
gen. langen Haarflechten und noch im
kurzen Kleidchen.
Regina herrschte in der Familie als
unumschränkter Autokrat' und tyran
nisirte sämmtliche Mitglieder des
Haushaltes mit einem Despotismus,
welcher den jungen Japaner, der nur
gewohnt an das unterthänige Wesen
o'n.lischcn Frauen, in Helles Stau
Mk setzte.
Mehr als vier Jahre lebte Nagoya
in diesem glücklichen Kreise, und mit
jedem Tage wuchs seine Anhänglichkeit
und Zuneigung zu seinen neuen Ge
schwistcrn. Er war ein aufrichtiger
Verehrer des Bernadini'schcn Ehepaa
res, der ständige und treue Begleiter
der beiden Söhne, während Regina
je nun. Nagoya hatte schon längst auf
gehört, sich über die Huldigungen zu
wundern, die der kleinen Herrscherin
in ihrem beschränkten Reiche zu Theil
wurden. Ja. er konnte sich dem inne
ren Gefühle nicht verschließen, welches
ihm sagte, daß er die kleine Regina
Bernadini trotz ihrer jungen Jahre lei
denschaftlich liebte. Nagoya kam aus
einem Lande, wo sich die Menschen be
rcits in den Kinderschuhen hcirathen.
So sah er nichts Außergewöhnliches in
feiner Neigung und wiegte sich bereits
in der süßen Hoffnung, in Bälde Re
gina als sein junges Weib nach dem
Lande der ..aufgehenden Sonne" heim
führen zu können. Bernadini's hatten
natürlich nicht die leiseste Ahnung von
der heimlichen Leidenschaft des jungen
Der SgnniagMj't.
Jahrgang 20. Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger. No. 9.
Orientalen. Ihnen erschienen die zar
ten Aufmerksamkeiten, die Liebestän
deleien. die sinnigen Angebinde, die
ihre junge Tochter von Nagoya empsing
und annahm, lediglich als Zeichen ge
genfeitiger Zuneigung. So schlug eS
gleich einer Bombe in daS professorliche
Familienleben ein. als Nagoya einige
Wochen vor seiner endgültigen Heim
reise dem Professor sein Liedesgeheim
nitz offenbarte und in ernstem Tone
Regina zum Weibe begehrte.
Selbstverständlich ward der Antrag
abgewiesen. In festen, aber wohlmol
lenden Worten setzte Bernadini seinem
Zöglinge die Sachlage auseinander;
wie es den amerikanischen Sitten und
Gebräuchen widerspreche, in solch'
jugendlichem Alter bereits zu ehelichen,
und daß Regina in ihrer kindlichen Un
schuld wohl Freundschaft für ihn hege,
daß aber von einer Liebe zu ihm sicher
lich nicht die Rede sein könnte. Mit
bewunderungswürdiger Gelassenheit
nahm Nagoya diese Erklärung auf,
jedoch von der Zeit an bemächtigte sich
seiner eine tiefe Niedergeschlagenheit.
Sein sonst so elastischer Gang ward
matt und schlaff, man hörte nicht mehr
sein fröhliches, sorglose? Lachen, so daß
seine Freunde schon fürchteten, feine
gänzliche Apathie würde schließlich mit
einem körperlichen und geistigen Zu
sammenbruche enden.
Doch sie kannten Nagoya's Willens
stärke nicht, jedenfalls unterschätzten sie
diese bei Weitem. Während des Restes
seines Aufenthalts ging der junge
Japaner mechanisch seinen gewohnten
Obliegenheiten nach. Aber allen seinen
Bewegungen. Handlungen und Thätig
leiten fehlte es an Enthusiasmus. Liebe
zur Sache, wie zuvor; nur daS Pflicht
gefühl trieb ihn noch zu Allem an. Am
Tage seiner Abreise wanderte Nagoya
noch einmal durch den Bernadini'schcn
Garten, in welchem er so manche frohe
und glückliche Stunde genossen hatte.
An einer scharfen Biegung des Weges
sah er sich plötzlich Regina gegenüber,
die sich nachlässig in einer Hängematte
hin und herwiegte. Sie war in duf
tiges Weiß gekleidet. Eine geschmack
volle Kappe bedeckte die widerspenstigen
Locken, ihre dunklen Augen starrten
träumerisch durch das Laub der Bäume
zum azurblauen Himmel. Als Nagoya
sich ihr näherte, blickte sie ihm halb
neugierig, halb mitleidig entgegen.
..Bleib' ruhig liegen." klang es sanft
von des Japaners Lippen, ich komme
zu Dir, um Dir nur ein Wort, nur
eins zu sagen. Lebe wohl, Regina!
Bald verläßt Dich Nagoya. Ach. mein
Land der aufgehenden Sonne" wird
ohne Dich. Regina, für mich zum Lande
der untergegangenen Sonne" werden.
Ein Angebinde lasse ich Dir zurück, ein
Samenkorn unserer königlichen Blume,
des Chrysanthemums. Niemandem
offenbare, daß Du es von mir erhieltest,
denn es ist von dem C hrysanthemum der
Königin, und Derjenige, welcher den
Samen einem Fremden überläßt, ist
dem Tode verfallen. Gieb der gezcitig
ten Blume Deinen Namen, Regina
Du, meine Königin. Wenn die
Knospen kommen und aufbrechen, dann
denke daran, daß Nagoya's Liebe zu
Dir nie ersterben, sondern wachsen
wird, wachsen und blühen für immer.
Und nun lebe wohl, Regina, meine
Königin'." Er drückte ihr ein kleines
Packetchen mit Samenkörnern sanft in
die Hand und wandte sich von bannen.
In jener Nacht verließ Nogoya Ame
rika. um nie wieder dorthin zurückzu
kehren. Als im nächsten Jahre das Samen
korn dem Schooße der Erde übergeben
war und bald darauf ein riesiges
rosafarbenes Chrysanthemum zeitigte,
da nannte sie Regina so, wie Nagoya
es ihr geheißen hatte. Bald war die
Regina Chrysanthemum" die schönste
ihrer Art, das Wunder der Saison.
Von Nah' und Fern kamen Liebhaber
herbei geeilt, um die Pracht der
Regina" zu bewundern. Allen miß
begierigen Fragen, woher die Pracht
bliime stamme, ging Regina stets aus
dem Wege, allzeit eingedenk des Ge
heimnisses, das sich mit der Blume ver
knüpfte, die jetzt so herrlich blühte.
Und sie dachte wehmüthig an den Tag
zurück, da sich Nagoya in so rührender
Weise von ihr verabschiedte, und sie
wisperte mit einem unterdrückten Seuf
zer: Armer Nagoya!"
Sieben Jahre darauf hcirathcte
Regina, doch in ihrem ehelichen Glücke
vergaß sie nie ihres fernen Freundes.
Als sie das elterliche Haus verließ und
ihrem Auserwählten folgte, bestand sie
fest darauf, daß ihre neue Hcumath den
Namen Chrysanthemum Heim" er
hielt. Eine der ersten Geschichten, die
ihr kleiner Sohn Jobn Ambrose von
ihren mütterlichen Lippen vernahm,
war die von dem jungen Orientalen,
der einst in ihrer Madchenzeit ihr
Spielgefährte und Busenfreund ge
wesen war. Kein Märchen gefiel dem
John Ambrose so gut. als die Erzäh
lung von Nagoya und seinem merk
würdigen Patcrlande jenseits deS wei
ten stillen Meeres.
Es war zu Beginn des letzten chine
sisch-japanischen Krieges. In seinem
Privatzimmer faß ' der japanische
Siogoon. der Kriegsminister, und hörte
dem Vortrage eines Beamten zu. wel
cher ihm das Gnadengesuch eines zum
Tode verurtheiltcn Gefangenen über
reichte. Der Gesctzübertreter, ein ame
rikanischer Kadet. stand unter der An
klage, heimlich den Chinesen geholfen
zu haben, und sein Schicksal lag nun in
den Händen des Siogoons. Schon
hatte der strenge, unnachsichtliche Mini
ster das Todesurtheil bestätigt, als er
mechanisch den Brief öffnete, welchen
ihm der Gefangene sandte. Plötzlich
verzog sich das Gesicht deZ Allgewalti
gen in seelischem Schmerze. Aus der
Hülle deS Seidenpapiers fielen das be
reits etwas verblaßte Bild eines kleinen
Mädchens, sowie mehrere Chrysanthe
mumkörner heraus. In tiefer Ehr.
furcht beugte sich der Siogoon über die
Photographie und drückte bebend seine
Lippen auf sie. Nachdem er auf
der Rückseite des Bildes die herzlichen
Worte gelesen hatte, mit welchen Regina
ihren Sohn ihrem alten Jugendfreunde
und einstigen Spielgefährten empfahl,
da wandte er sich an den Beamten:
Varmetto. sorgt dafür, daß der Ge
fangene sofort, sofort sage ich, entlas
sen und vor mich geführt wird! Hört
Ihr? Sofort, ich will es so!"
Einige Augenblicke saß Nagoya tief
in Gedanker. versunken da. Vor seinen
geistigen Augen zogen wohl die sorg
losen, froh verbrachten Tage vorüber,
die er vor beinahe einem Menschenalter
in der Bernardini'schen Familie verlebt
hatte. Tann fuhr er sich mit der Hand
energisch über die hohe Tenkerftirn, als
wollte er die Jugendbilder, die ihn von
seiner Arbeit abhielten, fortwischen, und
fein Gesicht nahm wieder den geschäft
lichen, strengen Ausdruck an.
Fünf Stünden später las er mit voll
ständiger Selbstbeherrschung die Kabel
depesche, in welcher ihm ein Mutterherz,
so lange geängstigt durch das Schweigen
ihres in der Ferne weilenden Sohnes,
den tiefsinnigsten Tank für die Rettung
ihres Einzigen aussprach. Neben ihm
stand John Ambrose. Seine Augen,
welche so ganz denen der Mutter glichen,
waren in heißer Dankbarkeit auf den
großmüthigen Mann gerichtet.
Ob wohl Mutter und Sohn ahnten,
daß mehrere Tage ein Bild und ein
Päckchen mit Samenkörnern auf dem
Herzen Nagoya's lagen, auf jenem ge
duldigen Herzen, in welchem, wie Na
goya einst versprochen hatte, die Liebe
für Regina nie versiegen, sondern ewig,
ewig wachsen würde?
So hatte das Samenkorn, das vor
vielen Jahren in einem amerikanischen
Garten gesüet worden war, im fernen
Lande der aufgehenden Sonne" seine
prachtvollen Blümen gezeitigt.
Zwischen zwei feuern.
Hioeske aus dein österreichischen Dorf
leben. In Rohrbach war Feuerwehrfest.
Die dortige Feuerwehr beging das fünf
undzwanzigjährige Jubiläum ihres Be
stchens. Der Aufmarsch mit Musik,
die Parade, das Amt der Kirche, die
üblichen Ansprachen und der Frühschop
pen waren vorüber. Die Helden des
Tages saßen im schattigen Garten des
Gasthauses Zum goldenen Lamm"
und ließen sich Speise und Trank nach
Herzenslust schmecken.
Nur einer von der Tafelrunde, der
Oberlehrer Hörmann, that dies nicht,
trotzdem auch ihm sehr heiß war. Er
hatte seinen guten Grund dazu, denn
was ihn heiß machte, war die Tischrede,
die er halten wollte, und immer wieder
im Stillen memorirte. Zu seiner
großen Befriedigung hatte er sie sehr
gut inne und brannte darauf, sie von
Stapel lassen zu können. Als der
Kalbsbraten unter Dach gebracht wor
den war, schien ihm endlich der richtige
Zeitpunkt da. Er erhob sich und schlug
an sein (Aas. In pathetischem Brust
tone begann er:
Meine hochverehrten Herren und
Mitbürger!
Wohlthätig ist'dcs Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht;
Doch furchtbar wird die Himmclskraft,
Wenn sie der Fesseln sich entrafft,
Einhertritt auf der eig'nen Spur,
Die freie Tochter der Natur.
Wie unübertrefflich hat unser un
sterblicher Schiller mit diesen wunder
baren Worten die furchtbare Macht des
entfesselten Elementes geschildert ! Für
wahr, liebe Freunde, das Feiur ist eine
furchtbare Macht !"
Und nun begann der Herr Oberlch-
rer, der als eifriger Wagnerianer auf
die sorgsam ausgewählten Alliterationen
seiner Worte ganz stolz war. auch sei
nerseits die Schrecken des Feuers zu
schildern, und zwar mit Hilfe zahl
reicher Reminiszenzcn auZ der Glocke"
und fuhr dann fort: .Ja. meine Her
ren, nicht die Soldaten, nein, wir sind
die wahren Helden der Pflicht !"
Nach diesen mit großer Emphase ge
sprochencn Worten machte der Redner
eine Pause und forschte bei dieser Gele
genheit nach dem Eindruck seiner Worte.
Er durfte zufrieden sein, denn auf
den Gesichtern der Anwesenden glänzte
die höchste Befriedigung und vollauf
befriedigt wollte er in seiner Rede fort
fahren, da wurde draußen lebhaftes
Turcheinanderrufen laut. Gleich dar
auf kam der Wirth hereingestürzt. Es
brennt!" rief er athemlos. Es
brennt !"
Dieses Wort wirkte auf die Tafel
runde wie ein kalter Wasserstrahl.
Einige blieben erstarrt sitzen, die an
deren sprangen bestürzt auf. Feuer?!
Gerade jetzt, wo sie so behaglich beisam
men saßen, wo die Kellnerin und ein
Kellnerbursche eben das Hauptgericht
auftrugen: zwei mächtige Schüsseln mit
jungen Rebhühnern, deren appetitlicher
Duft verheißend ihren Nasen schmei
chelte! Und diesen Leckerbissen sollten sie
im Stiche lassen, sollten in die glühende
Mittagssonne hinaus, weiß Gott wohin,
und sich im Schweiße ihres Angesichts
abrackern, dem stickigen Rauchqualm
und sengenden Flammen und, stürzen
den Balken aussetzen! Das war doch
wirklich zu dumm!
Wenn eZ doch wenigstens nicht allzu
nahe brannte, fodaß sie eine Ausrede
hatten, nicht hinzufahren! Aber zu
ihrem großen Kummer hieß es jetzt, daß
es in Neudorf brenne, also kaum eine
Stunde weit. Immerhin suchten sie
sich im Stillen damit zu trösten, daß
dies ein Irrthum sein könne, zumal, da
Brände über ihre Entfernung arg zu
täuschen pflegen. Es galt, sich mit
eigenen Augen davon zu überzeugen.
Alles strömte hinaus, unter den letz
ten der Bäckermeister Hinterleithner,
der die Würde des Kommandanten der
Feuerwehr bekleidete. Mit einem
schweren Seüfzer'hob er seinen umfang
reichen Leib vom Sessel und verließ den
Tisch mit einem schmerzlichen Abschieds
blick auf die duftenden, gebräunten
Rebhühner.
Alsdann, wo brennt's?" rief er zu
einem seiner Mannschaft" hinauf, der,
die Hand schirmartig vor die Augen ge
legt, von der Anhöhe nach der Feuer
statte spähte.
In Neudorf," lautete die wenig
tröstliche Antwort, 's is das oanschich
tige Häusl ober der Kirchen." -
Zum Henker, könnt's denn nct a
anderstwo , brennen!" brummte der
Kommandant zornig vor sich hin. Jetzt
blieb nichts Anderes übrig, als anspan
nen zu lassen.
Da aber trat der Vizekommandant
vor. der Fleischhauer Hillinger, und er
klärte, seine Pferde, die im Bedarfsfalle
für die Spritze bestimmt waren, feien
nicht zur Stelle, er habe sie, wie er das
oft zu thun pflegte, zu einer Lohnfuhre
hergegeben.
Das is aber wirkli z'wider, sehr
z'wider!" bemerkte d& Kommandant
kopfschüttelnd und bemüht, ein ernstes,
strenges Gesicht zu machen, während
ihm das Herz im Leibe hüpfte.
Oh, das macht nix!" rief der unter
nchmungslustige Schneidergesell, der
Herr Schöpft leiht uns g'wiß seine
Röer. nit wahr. Herr Schöpft?"
Der also Angesprochene, der Wirth
Zum weißen Roß," bee.ilte sich jedoch,
mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns
zu erklären, daß sein Sattclpfcrd schon
seit mehreren Tagen lahm gehe.
Ja, was thun mer denn nachher?"
Wieder wußte der thatenlustige
Schneider einen Rath: Gehn me zum
Hampel," rief er in seinem böhmischen
Dialekt, der leiht uns seine Rösscr,
schwind, gehn me!"
Was?" entgcnete der Komman
dant, durch die Hartnäckigkeit des
Menschen erbittert: Der Hampel soll
uns d' Rösscr leihen! Sie san, mir
scheint, nit rccht g'schcit!" Und die
übrigen gaben ihm recht, denn Hampel
war ein persönlicher Feind des Kom
Mandanten. Während der sich hierbei entwickeln
den lebhaften Debatte fuhr der Arzt
von Rohrbach mit seinen weitbekannten
zwei Schimmeln daher und machte bei
den Streitenden Halt.
Na, was macht's denn da?" rief er.
Warum fahrt's denn nicht nach Neu
dorf. Bis Ihr hinkommt, giebt's ja
nix mehr zu löschen!"
Mir haben keine Rösser, Herr Tok
tor," erwiderte der Kommandant und
berichtete des näheren über diese Ange
lcgenhcit.
Ta fragte der Doktor: Soll ich Euch
vielleicht meine Pferd' geben?"
Allseitige Bestürzung, verdutzte und
verlegene Gesichter folgten dieser uncr
warteten Frage. So ziemlich jeder
hatte sich im Stillen schon der Hoff
nung hingegeben, jetzt zu den Red
Hühnern zurückkehren zu können, und
nun mußte auch gerade dieser Malefez
Doktor sein Erscheinen machen.
Aber der Kommandant schien der
Situation gewachsen, er sagte: Es
wär' ja sehr schön, wenn S' so freund
lich wären, Herr Toktor, aber es geht
halt nit. die Rösser da san' zu schwach
für die schwere Spritzen."
Ach was! Ich übernehm schon die
Verantwortung, braucht's Euch nicht
zu sorgen um die Pferd', g'schieht
ihnen was. so ist das meine Sach'!"
G'schwind, spannt's aus!"
Toch niemand leistete dieser Aufforde
rund Folge. Mit verlegenen Mienen
standen alle stumm dabei. Ta rief der
Toktor mit feinem kurzen, immer etwas
spöttischen Auflachen: Mir scheint, ich
möcht Euch da grad keinen großen Ge
fallen erweisen. Na, könnt's ruhig
fein: 's fallt mir gar nicht ein, daß ich
Euch meine Pferd'ln lei; erstens brauch
ich s' selber und zweitens ist's jetzt schon
viel zu spät. Laßt's Euch nicht stören
und: gute Unterhaltung beim Löschen!"
Damit fuhr der Doktor davon. Die
Zurückgebliebenen aber sahen einander
nicht eben geistvoll an. Sie fühlten
sich recht unbehaglich, die Worte des
Doktors brannten sie wie Nesseln, und
das ärgerte sie. Der Kommandant
gab dieser Stimmung Ausdrnck. indem
er bemerkte:
An spaßiger Herr, der Doktor, mir
scheint gar, er glaubt, wir wollen
nit zum Feuer. So was! Als ob
nicht jeder von uns mit Freud' hin
möcht'! Aber was soll ma denn machen,
wenn ma' kane Rösscr hat. Wo nix is,
bat der Kaiser 's Recht verloren
Na, is 's 'leicht nit wahr?"
Er hatte die Genugthuung, daß die
übrigen ganz seiner Meinung waren
und über den Doktor loszuziehen be
gannen.
So schimpfte man fort, weil niemand
es wagte, das erlösende Wort zu spre
chen, das alle sehnlichst erwarteten: die
Erinnerung an die verlassene Tafel.
Endlich aber wurde die Sache dem
Vizekommandanten zu dumm: I Maß
aber wirklich nit, warum ma' da in der
Sonne umanand stehen! Mit 'n Feuer
is 's amol nix, alsdann gehn mer eini
und essen mer weiter. I hoff', d' Frau
Wirthin wird d' Rebhändeln schön
warm g'stcllt haben! Uebrigens san f'
alser kalter aa gut."
Das große Wort war gesprochen nnd
damit siel allen ein Stein vom Herzen.
Eiligst begaben sich die Helden der
Pflicht" zur verlassenen Tafel hinein,
ließen sich's trefflich schmecken und lösch
ten statt des Feuers ihren Durst, der
durch die Hitze draußen und die über
ständene Aufregung nicht geringer ge
worden war. Sie leerten ihre Glüser
um so fleißiger, als es galt, ein gewis
ses Unbehagen hinabzuspülen, das die
Worte des Doktors in ihnen zurückge
lassen hatten.
Es gelang ihnen vollständig.
Nur Herr Hörmann, der Oberlehrer,
konnte seine gute Laune nicht wieder
finden, denn bei ihm kam der Groll
über die Unterbrechung und Zerstörung
seiner schönen Rede dazu. Und es wollte
sich durchaus keine Gelegenheit ergeben,
sie wieder aufzunehmen. So suchte er
feinen Groll und sein Leid in Mal
borger" zu ertränken und leerte fchwei
gend Glas um Glas.
Es waren nicht seine Beine, die ihn
am Abend nach Hause brachten.
Marquis Pauline.
Ten in den vierziger Jahren am
französischen Hofe bestellten englischen
Gesandten v. Normandy nannte man
in ganz Paris nickt anders als Marquis
Pauline. Wie der hohe Beamte zu
dicscmSpottnamen kam, darüber existirt
folgende lustige Geschichte:
Der Kaiser Napoleon der Tritte war
ein großer Liebhaber von Pfändcrspie
len und noch im vorgerückten Alter gab
er sich zuweilen im engsten Krcift zu
Compicgne oder Biarritz dieser Er
götzlichkeit hin. Mit Vorliebe aber
ward derselben in der Zeit feiner Prä
sidcntschaft in den Räumen des Elysee
Palastes gehuldigt und an keinem inti
mcren Gcsellschaftsabend des damals
noch unvcrmählten Oberhauptes der
französischen Nation fehlte ein anregen
des Pfänderspiel, an dem der hohe Gast
geber selber eifrig theilnahm.
Eines Abends ward das Errathen
von Personen getrieben; die Reihe war
eben an den Präsidenten gekommen.
Vor seiner Verwandten, .der 'Prinzessin
Pauliue Demidoff. mit verbundenen
Augen knieend. hatte er die Aufgabe,
die Persönlichkeit zu nennen, deren
Hand die seinige berührte. In diesem
Augenblick trat der englische Gesandte.
Marquis of Normandy. in den Salon.
Er begriff sofort, um was es sich han
delte. glitt geräuschlos über den weichen
Teppich und erfaßte leicht die Hand deS
von seiner Gegenwart völlig ununter
richteten Präsidenten. Napoleon hatte
kaum die Berührung gespürt, als er in
der Meinung, dieselbe sei von der
Prinzessin ausgegangen, zuversichtlich
ausrief: Ach. Pauline, ich kenne Ihre
Hand!" Die allgemeine Heiterkeit, die
dieser Erklärung folgte, ist leicht zu
denken.
Ader der Marquis selber sollte länger
an den Folgen seines Scherzes tragen
als der. dem er gegolten: Marquis
Pauline" war feit jenem Abend der
Spitzname des Gesandten in den enge
ren Zirkeln deS HofeS. und daS: Pa'u
line. ich kenne Ihre Hand." galt lange
Zeit hkndurch als Stichwort bei allen
möglichen und 'unmöglichen Veranlas
sungen der Pariser Gesellschaft.
chklmtnftreiche eines Papageis.
Tie Londoner Millionärin Mrs.
Mackay. genannt die Bonanza
Königin", versorgte die an ihrem Hause
vorübergehenden Leute kürzlich während
ihrer Abwesenheit von England mit
einer äußerst amüsanten Unterhaltung.
An dem offenen Fenster ihre? Boudoirs
in Charlton House Terrace hatie sie ei
nen ihrer gefiederten Lieblinge, einen
prächtigen grünen Papagei, aufgestellt,
der mit seinem altklugen Geschwätz die
Aufmerksamkeit aller Passanten auf sich
lenkte.
Eines Sonntags Nachmittags sam
melte sich vor dem Hause eine so kolos
sale Menschenmenge an, daß ein Polizist
sich genöthigt sah, die Gaffer mit lauter
Stimme zum Weitergehen anzutreiben.
' 'Move on !" rief der ergrimmte Schutz
mann. "Move on!" wiederholte Pap
chen zum allgemeinen Gaudium in krei
schenken Tönen. Polly, wie viel Uhr
ist es?" fragte ein Mann. Der Vogel
wandte den Kopf nach dem Zimmer
und schnarrte: Halb fünf. . .fünf. . ."
Er hatte zufällig recht. Wie geht es
deiner Mistreß?" erkundigte sich der
Schreiber dieser Zeilen. "AU riglit,
kommt bald zurück," entgegnete der
Grünrock und ließ ein helles Lachen hö
ren. Wie alt bist Tu, Polly?" in
quirirte eine ältere junge" Tame.
Weiß nicht, wie alt bist Tu, heh 1"
laute die ungalante Antwort, die unter
den Zuhörern allgemeine Heiterkeit er
regte. Auf die Frage, welchen Wochen
tag man habe, schrie der Papagei aus
Leibeskräften: Sonntag! Geht beten!
Ora pro nobis!" Darauf brach der
gefiederte Halunke in ein unbändiges
Lachen aus, das in hohem Grade an
steckend wirkte und sogar dem finster
dreinschauenden Hüter des Gesetzes ein
Lächeln entlockte.
Paneratius und ServatiuS,
die gestrengen Herren im Monat Mai,
hatten heuer auch in Teutschland die
bekannte Maikühle im Gefolge. Wie
sie auch dem alten Fritz", König Fried
rich den Großen von Preußen, gegen
über ihren Ruf behaupteten, beweist
folgende wenig bekannte Anekdote: Ter
alte Frch liebte seine Orangerie in
Potsdam ungemcin. Im Jahre 1769
war das Wetter frühzeitig sehr schön
und mild, und der König fragte feinen
Gärtner, warum er die Orangerie noch
nicht in's Freie gebracht habe. Eure
Majestät," entgegncte der Gärtner, ehe
Paneratius und Servatius nicht vorbei
sind, ist das gefährlich." Possen,"
antwortete der König, was gehen mich
PancraUus und Servatius an, bringe
er die Gewächse nur heraus." Der
Gärtner gehorchte, allein richtig mit
dem Paneratius und Servatius trat
auch Nachtfrost ein, der die Mehrzahl
der Gewächse vernichtete. Als der Kö
nig am Morgen des 12. Mai den Scha
den sah. sagte er: Sein Servatius
und Paneratius haben doch Recht. Ich
sche wohl ein, daß ich künftig Respekt
vor diesen Herren haben muß."
Im Vramen.
Aus den Studienjahren des vcrstor
denen Dr. Eduard v. Simson, des
späteren Reichsgcrichts-Präsidcnten, er
zählt man sich folgendes lustiges Erleb
niß: Simson stand eben im Begriff
sein erstes Examen zu machen, als er
unterwegs mit einem anderen Kandi
daten der gleichen Absicht zusammen
traf.
Das Gespräch drehte sich nämlich um
das Examen, wobei Simson's Kollege
sich sehr besorgt wegen des .Pandekten
rechts aussprach, da er sich darin ziem
lich schwach wisse. Simson tröstete ihn
mit dem Bemerken, er hoffe ihm behilf--lich
zu können, wenn er in diesem
Zweige vor ihm dran käme. Als ihm
der Zufall hierin willfahrte und er sich
als ein so tüchtiger Jurist zeigte, daß
die erstaunten Examinatoren die Frage
an ihn richteten, bei wem er seinen Un
tcrricht darin genossen habe, antwortete
er. auf seinen Kollegen weisend: Das
wenige, daS ich davon verstehe, verdanke
ich hier meinem Freunde." Natürlich
verzichteten nun die Herren darauf,
diesen zu prüfen, und beide bestanden
das Examen glänzend.
Aus der Schule.
Lehrer: Was, Hans, Tu kannst
nicht einmal solche Kleinigkeit fubtrahi
ren? Also noch einmal: Wenn Tu 6
Bratwürste auf dem Teller bast und
Tu ißt sie alle 0, was bleibt Tir denn
noch übrig?"
Schüler (herausplatzend): Das
Sauerkraut dazu, Herr Lehrer."