Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, July 06, 1899, Image 9

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    i .
Die Stiefel des yencftjianten.
uir.ore8ie von ii)(rt von 241i4t.
Ter erste Liebhaber und zugleich Bon
itwr.t des -taditdeaterZ in der kleinen
Prel'inzialstadt H. hatte deute sein
Bert.pz. Nur wer die IheateroerliiUt
nisse in einer kleinen Stadt kennt, weih,
wie viel Hoffnungen an solchen 'Abend
gcknupst werden. Tie Gage ist so ge
ring, dak sie kaum zum Sattmzchcn
reicht, selbst in den kühnsten Traumen
kann Keiner daran denken, auch nur
einen droschen für schlechte, engage
mentZlose Zeiten zurückzulegen. Auf
der Bühne Fürsten und Könige in mehr
oder weniger glänzenden ttewändern.
im Leben arme Teufel, die h!luftg tage,
lang von trocken Brot und Wasser
leben so leben sie in der Welt des
Scheins und Seins. Man braucht da
wirklich kein Verschwender zu sein, um
mit der Gage nicht zu reichen, man ge
räth in Schulden, und die einzige Hoff,
nung. diese bezahlen zu könnend ist das
Benefiz. Wie viel Hoffnung schließt
dieser Abend in sich, aber auch wie viel
bittere lnttäuschungen nie werde ich
es vergessen, daß in der kleinen Stadt,
in der ich lebte, die erste Liebhaberin
einmal an ihrem lhrenabend fünfund
zwanzig Pfennig ausgezahlt erhielt
eine Tragik, die einer gewissen Komik
nicht entbehrt.
Ein so trauriges Resultat brauchte
der erste Liebhaber Reimers nun nicht
zu befürchten, denn er war ein wirklich
guter Schausvielcr und, was noch mehr
werth war, die Schwärmerei sammt'
licher jungen Damen. Er war ein
großer, hübscher Mensch von schlanker,
eleganter Figur, mit einem jugend
lichcn, frischen Gesicht, mit schmachten
den, dunkeln Augen und dichten blon
den Locken. Alles an ihm war hübsch,
vur eins war häßlich, das waren seine
Füße, die waren zu lang geworden,
viel zu lang und leider auch zu breit.
Er versuchte dieses Uebel dadurch zu
verbergen, daß er stets Beinkleider
trug, die sehr weit auf den Fuß fielen,
in Salonrollen ging es. aber wenn er
einmal in hohen Rciterstiefeln erschci
ncn mußte, war der Anblick seiner
Fortbcwegungsorgane weniger schön.
Vielleicht wäre die Größe seiner Füße
auch weniger aufgefallen, wenn er an-
dcre Stiefel getragen hätte; er besaß
nur ein einziges Paar, die er stets so
wohl auf der Straße wie auf der
Bühne trug, es waren Knöpfsticfel aus
gewöhnlichem Leder mit breiter, sehr
langer Lackspiße. Lacksticfel machen be
kanntlich sehr leicht einen häßlichen
Fuß ein unschöner Fuj; erscheint in
Lackstiefeln doppelt und dreifach schcuß
lieh. Reimers batte, wie gesagt, nur
dieses eine Paar, und mußte er in
hohen Stiefeln erscheinen, so zog er zu
feinen Knöpfstiefeln ein Paar schwarz
lederne, bis an das Knie reichende
Gamaschen an, und fertig war die
Verwandlung.
Mit dieser Stiefelmctamorphose
mußte Reimers auch in der Rolle, die
er sich zu seinem Benefiz ausgewählt
htte. auftreten. Nicht leicht ist die
ZLahl eines Stückes für den Benefizian
ten in einer kleinen Stadt ist daS
Stück ganz unbekannt, so sagt sich
Jeder: ,,DaI kennen wir nicht, wir
wollen erst einmal abwarten, wie es
ist." Ist das Stück alt, so sagt Jeder:
Was. solch' altbekanntes Stück? Das
haben wir ja schon einmal gesehen,
dafür geben wir unser Geld nicht zum
zweiten Male aus!" Das Resultat ist
in beiden Fällen dasselbe: das Haus
bleibt leer.
Der Benefiziant kämpfte einen schwe
ren Kampf, welche Rolle er wählen
solle, bis er sich endlich für den wil
den Reutlingen" in dem gleichnamigen
Lustspiel von Moser und Trotha ent
schloß. Geschickt verfaßte Notizen im
Tageblatt erweckten die Neugier des
Publikums, die erstaunten Bewohner
des Städtchens lasen, daß Friedrich der
Große in höchst eigener Person auf der
Bühne erscheinen würde, Se. Majestät
' der Kaiker hatte dieses allergnädigst er
laubt, ja es ging sogar das Gerücht,
daß der Krückstock und die Uniform des
alten Fritz aus dem Hoheiizollern-Mu
seum entliehen feien. Reimers hatte
sich in seiner Berechnung nicht geirrt,
diese Notizen zogen und schon im Vor
verkauf waren die sämmtlichen Plätze
vergriffen. Der Herr Direktor rieb sich
die Hände und der Benefiziant rieb sich
den Magen dem sollte heute Abend
ein doppeltes Beefsteak gut thun. Nach
Abzug aller Kosten kamen auf seinen
Antheil fast zweihundert Mark, so viel
Geld hatte er seit einer Ewigkeit nicht
gesehen, nun konnte er nicht nur einige
drückende Schulden bezahlen, sondern
auch seine Garderobe etwas auffrischen.
Und dazu gehörte in erster Linie, daß
seine Stiefel, deren Sohlen durchge
laufen und deren Lackspitzen an den
Seiten geplatzt waren, ausgebessert
wurden.
, Als er von der letzten Probe, auf der
er von dem glänzenden Kasicnresultat
gehört hatte, fortging, galt sein erster
Besuch dem Schuster.
Kann ich die Stiefel bis um 5 Uhr
heute Nachmittag wieder in der Woh
nung haben?" fragte Reimers, und
der Schuster versprach, die Stiefel
gleich aus der Wohnung des Schau
spielers abholen zu lassen und sie späte
stens um 4 Uhr schon fix und fertig
zurückzuliefern.
Aber die Stiefel waren weder um
4 Uhr noch um 5 Uhr wieder in der
Wohnung, in der der Schauspieler er-
Der
Jahrgang 20.
regt und beunruhigt in großen Filz
schuhen aus und ad ging.
Um 7 Ubr sing das Tbcater an. um
6 Uhr mußte er in der Garderode sein
und jetzt war eS gleich j'! Uhr. Sein
ertter Gedanke war, zu dem lsufler
zu eilen und diesen zur Rede zu stellen,
aber die Ausfubrung scheiterte daran
daß er kein zweites Paar Stiefel anzu
ziehen hatte. Er tonnte doch nicht in
Socken über die Straße gehen aber
in Morgcnschuhen: ja. wenn er noch
ein Paar lederne gehabt hatte! aber
seine waren aus Filz und dunkel konn
ten sie sich der Zeit entsinnen, da auch
sie einmal jung und schön gewesen
waren.
Es schlug halb sechs.
In seiner Noth wandte er sich an
seine Wirthin, eine hübsche stattliche
Wittwe, die die Hälfte ihres Herzens
an ihren Miether verloren batte, und
diese, eine resolute Frau, versprach
Hülfe: Das ist ja unerhört, Herr Rci
mcrs. was Sie mir da sagen, aber
wissen Sie was? Ich laufe schnell hin
zum Schuster, es sind nur einige
Schritte, und bringe Ihnen die Stiefel
mit. verlassen Sie sich daraus."
Sie eilte davon und nach einer guten
Viertelstunde kam sie schon zurück
Nein, aber so was, Herr Reimers
Nee. ich habe dem Mann aber seinen
Standpunkt klar gemacht, er hat Dinge
von mir zu hören bekommen, Dinge.
nee, d,e Rede, die ich ihm gehalten
habe, steckt er sich nicht hinter den Spie
gel !"
Ich danke Ihnen, liebe ytaü
Wirthin aber wo sind meine Stic
sei?"
Ja, das ist ja eben die Geschichte.
die sind naturlich noch nicht fertig."
Er rang verzweifelt die Hände: Aber
liebste Frau, warum haben Sie die
Stiefel denn nicht so mitgebracht, wie
sie waren?"
So wie sie waren?" fragte sie er
staunt, ohne Sohlen? Was wollen Sie
auf der Bühne mit ein Paar Stiefel
ohne Sohlen?"
Er taumelte zurück: Was, ohne
Sohlen?"
Ja." gab sie entrüstet zur Antwort.
denken Sie sich nur, die hatten sie
gerade in dem Augenblicke abgerissen.
als ich kam, aber in einer Stunde sind
sie fertig, er schickt sie in's Theater, er
hat es mir geschworen und ich habe ge
droht, ihm die Augen auszukratzen,
wenn er nicht Wort hält; er kennt mich
und weiß, daß ich in solchen Dingen
nicht scherze."
Das ist alles sehr schön und sehr
gut, liebste, beste Frau," entgegnen der
erregte Mime, aber was soll ich
machen, ich muß jetzt in's Theater und
ich habe keine Stiefel.
Einen Augenblick dachte die Wittwe
nach, dann sagte sie: Wisjen Sle was?
Ziehen Sie sich Ihre Gummigaloschen
an. es l t chon dunkel aus der Straße.
es sieht kein Mensch, daß Sie keine
Stiefel darin anhaben. Und im Uebri
gen verlassen Sie sich auf mich, ich
gehe, bevor ich in s Theater komme.
noch einmal beim Schuster vor um
dreiviertel auf sieben sind die Stiefel in
Ihrer Garderobe."
Ihre Garderobe", das klang sehr
stolz und vornehm in Wirklichkeit
aber war für die ganzen Herren nur
eine einzige Garderobe da. und in dieser
herrschte schon das reine Ameisengewim
mel, als Reimers endlich erschien.
Freundlich und herzlich wurde er von
seinen Kollegen begrüßt, er war ja der
Held des Abends, und alle hofften, daß
er sie nach beendeter Vorstellung zu
einem Glase Bier einladen würde.' Der
einzige, der bereits mit der Toilette
fertig war, war der alte Fritz", er trat
zwar erst im letzten Akt auf, aber er
wollte sich durch ein fleißiges Studium
noch das Schnupfen, das Zuschlagen
der Tabaksdose und den Gang des
großen Königs mehr zu eigen machen.
Endlich war auch der Letzte angezogen,
die letzte Perrücke aufgesetzt, und alle
Schauspieler standen auf der Bühne,
einer nach dem anderen durch das Loch
im Vorhang sehend. Kinder, ist das
eine Fülle," sagte da die Soubrette, die
den Fähnrich spielte, vor so viel Men
sehen fernere ich mich ja in diesem Aus
zug." und kokett drehte sie sich auf dm
Absätzen, um sich in ihrer kleidsamen
friedericianischen Uniform von allen
Seiten bewundern zu lassen.
Die Musik hatte ihren Marsch been
det. das erste Klingelzeichen war ge
geben, da stürzte der wilde Reut
lingen" in voller Uniform,' aber, ohne
Stiefel auf die Bühne.
Um Gottes willen, noch nicht den
Vorhang hoch, meine Stiefel sind noch
beim Schuster!"
Ein fürchterliches Halloh und Durch
einander erfolgte.
Ruhe," gebot der Direktor, ich
ziehe jedem, der spricht, eine Mark von
seiner Gage ab,' dann wandte er sich
ris v j)
Beilage zum Nebraska Staats-Slnzeiger.
an den wildcn Reutling.cn': Ich ver
linge Aufklarung."
Tie wurde gegeben, aber damit
waren die Stiesel noch nicht da.
Der Direktor war ein Mann der
That. Wo ist der Thcaterdiener? E
soll sofort hinlaufen und die Stiefel
holen."
Der Theatcrdicner stürmte davon,
und gleich darauf erschien im Orchester
räum ein kleiner Junge und rief dem
Leiter der Kapelle zu: Noch ein Stück
Musik."
Man hatte die Worte im ganzen
Theater vernommen, und ein laute
Halloh ertönte, als die Musik die
blaue Donau" intonirte.
Als der letzte Ton verhallt war,
stürzte der Theaterdiener athcmloS auf
die Bühne: Der Schuster sagt, die
Stiefel müßten schon lange hier sein
vor einer Viertelstunde hätte er seinen
Laufburschen damit fortgeschickt."
(sie mußten da sein, aber sie waren
nicht da.
Zwischen dem Direktor und dem
Benefizianten fand eine Aussprache statt
die an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig ließ.
Das Publikum hörte das laute
Sprechen auf der Bühne und fing an
ungeduldig zu werden, und schnell zog
der Direktor aus feiner Rocktasche die
Glocke und klingelte zum zweiten Male
Me aus jiommando wurde es rill im
Zuschauerraum.
Aber so haben Sie doch Mitleid."
bat der Liebhaber. Sie können doch
nicht anfangen lassen?"
Soll ich etwa das Publikum wieder
nach Hause schicken, das Entröe zurück
zahlen, wo ich endlich einmal Kasse
habe? Ich denke nicht daran
gespielt wird, mit oder ohne Stiefel, die
ganze Sache ist Ihre Schuld, warum
sind Sie so eitel und wollen mit heilen
Stiefeln kommen! Haben die kaputen
es so lange gethan, hätten sie rmedlscute
Abend noch gehalten. In den ersten
scencn treten Sie ja nicht auf. sehen
Sie zu. woher Sie bis dahin ein Paar
-tiefe! haben, leihen Sie sich welche."
Ader Mir passen doch keine an
deren." jammerte der Aermste.
Mir ganz egal." donnerte der Ge
strenge, dann spielen Sie in Gummi
schuhen oder machen Sie, nnStt
wollen. Sie können aber lange war
ren, vis ich Jpnen jemals wieder ein
Benefiz bewillige! Wir fangen an.
Auf die Plätze, eins, zwei, drei. 2or
hang hoch!"
In einer Stimmung, die nichts an-
deres als Selbstmordgedanken aufkom-
men ließ, lehnte der wilde Reutlmgen"
an einer Coulisse. Was sollte werden?
Wie sollte er vor das Publikum treten?
Tie erste Scene war vorüber, immer
näher kam der Augenblick, in dem er an
der Spitze feiner Ofnziere in das Klo
ster stürmen sollte, dessen Bewohner aus
Furcht vor den Preußen gestoben waren
und in dem nur eine junge Dame mit
ihrer Zose zuruckblieb. Was sollte wer-
denk
Da, in der höchsten Noth kam ihm
ein rettender Gedanke, und als er. von
dem Beifall des Publikums begrüßt,
auf der Scene erschien, stürmte er nicht,
wie die Rolle es vorschreibt, wild herein.
sondern er kam langsam, gestützt auf
den Krückstock des alten Fritzen, einher-
gegangen, die Fnße in Gummischuhen.
die mit Tüchern umwickelt waren. Da
erblickte er die junge, schöne Bewohnerin
des Schlosses und improvisirend sagte
er: Verzeiht, mein Fräulein, daß ich
so vor Euch erscheine. Ich bin blesiirt,
ich stürzte mit dem Pferde, verzeiht.
wenn ich mich setze."
Niemand ahnte im Publikum, was
los war. Niemand kam auf den Gedan
len. daß es sich um eine Improvisation
handelte. Andächtige, theilnehmende
Stille herrschte im Zufchauerraum. als
sich der wilde Reutlingen" ächzend und
stöhnend auf einen Sessel niederließ.
Das hab ich gut gemacht." sprach
er frohlockend zu sich selbst, und wollte
eben mit dem von den Dichtern vorae-
chricbenen Text beginnen da ertönte
die Frage an sein Ohr: Herr Reimers,
oll ich ihre Stiehl in die Garderobe
bringen?" und neben ihm stand ein
chusterzunge, feine heiß ersehnten
tiefel in den Händen.
Mit einem Schlage begriff das Publi-
kum, um was es sich handelte, ein
türm des Jubels brach los. und der
Vorhang ging nieder, um sich nickt
wieder zu heben. Das Geld wurde an
der Kasse zurückgezahlt und dem armen
Schauspieler blieb von feinem Benefiz
weiter nichts, als ein paar neue Sohlen
unter den tieseln.
Zerstreut.
Gattin: Das sage ich Dir. Adolf.
mit der neuen Köchin halte ich's nicht
lange aus. Ihre Leistungen stehen ge
rade auf Null."
Vrofenor: Reaumur oder Cd
sius?"
nitllfrtsK still's
All Seil.
f nie Ziadfahrcr humorcSke vsn T. Vlksa.
Ich kaufe mir ein Rad.
Wer Lust hat. sich auf das Eklatan
teste von der Bosheit der leblosen
Tinzc" zu überzeugen, dem rathe ich,
hinzugehen und desgleichen zu thun.
Ich bin noch heut fest überzeugt,
daß mein Rad einen Willen hatte, denn
was ich auch immer wollte, wir stimm
ten niemals übercin. und jedesmal setzte
das Rad feinen Willen durch und
brachte mich, feinen unglücklichen Herrn,
in die denkbarsten Ungclcgenheiten oder
gab mich schonungslos der Lächerlichkeit
preis.
Schon während ich lernte, war ich der
Abscheu meines Lehrers und die ganze
Freude meiner Lerngenosscn. Nie ging
es in der Rennbahn so lustig zu als
wenn ich Stunde" hatte; die anderen
konnten dann gewöhnlich nicht fahren,
theils weil es lebensgefährlich war,
theils weil sie wie eine Reihe boshafter
Krähen an den Seiten herumsaßen und
vor Lachen krächzten. Zwischen meinem
Lehrer und mir begann dann eine für
mich höchst peinliche Katzbalgerei, denn
so wie er mich los ließ, fuhr ich sofort
auf ihn zu und erreichte immer einen
ungewollten Erfolg; entweder riß ich
ihm den Rock vom Leibe oder fuhr ihm
über die Zehen oder attackirte ihn trotz
seines Flüchtens auf das Verabscheu
ungswürdigste. Das heißt. der Tümon,
mein Rad that dies alles, ich selbst hatte
keinerlei Theil an der bösen That. Voll
kommen zerknirscht und den Edlen im
mer wieder um Verzeihung bittend,
verließ ich dann die Bahn, verfolgt von
dem schallenden Hohngelachter der Ge
nossen und spicßruthenlaufend durch
eme Reihe Zaungäste", welche, die
Nasen platt an die Ästlöcher der Holz
bude gedrückt, meine Niederlagen regi
strirt hatten und sich grinsend in die
eilen pufften, wenn ich durch sie hin-
durch mußte.
Sicher wäre ich der Sache bald über-
driissig geworden, denn an meinem
ganzen Leibe gab es kaum ein Fleckchen,
daS von den Küssen der Mutter Erde
nicht grasgrün oder violett geschimmert
hätte, doch mich hielt ein starker Beweg
gründ.. "0u est la fernrne?" ist ein
bekanntes Juristenwort, und auch hier
war -es eine Frau oder vielmehr ein
Fräulein, um die ich täglich von neuem
den Kampf mit dem Drachen wollte
sagen Rade" aufnahm. Ella ra
delte. Fast jeden Morgen fuhr sie auf einem
blitzblanken, weiß lackirten Rade die
Promenade hinaus, und ich, der im
Ballsaal zu schüchtern gewesen war,
mich der heimlich Angebeteten zu er
klären, hoffte in der Ungezwungenheit
und, dem Alleinfein in der Natur, mir
ein Herz zu faffen. Vielleicht kam mir
eine Gelegenheit dabei zu Hilfe, sie
konnte fallen, und ich konnte sie auffan
gen, sie konnte belästigt werden, und ich
konnte sie befreien. Vorläufig aller
dings fiel ich. und meine Kunst hätte
ihr. statt Thränen der Angst zu
trocknen, eher Thränen des Lachens
entlockt. Aber das sollte schon alles
anders werden.
Alle Dinge haben ein Ende, also
auch meine Lehrzeit. Nachdem ich in
der Bahn leidlich fahren konnte und
mein Probestück im Abenddämmern auf
einsamer Landstraße leidlich bestanden,
wurde ich losgelassen", allerdings mit
dem dringenden Rath, noch wochenlang
auf wenig belebten Wegen zu üben.
An einem Sonnabcndmorqen im
wunderschönen Monat Mai machte ich I
meinen ersten Ausflug.
In wehmüthiger Erinnerung an die
ernsten Warnungen meines Lehrers
wollte ich den sehr belebten Platz, in
dessen Nähe ich wohnte, vermeiden und,
hn nur seitwärts streifend, eine stille
Gasse zur Ausfahrt benützen. Das
wollte ich! Mein Rad aber wollte an
ders, und zu meinem betrübten Erstau
nen trug es mich mitten über den Platz.
Wie Gott will," dachte ich erocbunqs-
voll, wenn es mir nur gelingt, der
Pferdebahn auszuweichen, dabei fuhr
ch schon schnurgerade auf sie zu. es
mußte rein mit Hexerei zugehen. Die
Insassen des vollgestopften Wagens
chrieen. der Kutscher vollführte mit
Läuten einen Höllenspektakel, alles um-
onst; Gott, ich wäre ia so gern ausqe-
wichen; im nächsten Moment flog ich
mit furchtbarer Vehemenz dem braven,
dicken Schimmel, der vorgespannt war,
an den Hals und hielt ihn fest um
kammert. während ihm mein Rad in
die Beine fuhr. Tie Leute schrieen.
fluchten und verwünschten mich, der
schimmcl, das brave Thier, stand zum
Glück still, obgleich eS zitterte und bebte.
der Kutscher fluchte, der Schaffner
fluchte, und Beide pufften und knufften
mich von dem Pferd weg und wieder
auf die Beine. Tann fuhr der Wagen
weiter, ein paar Radfahrer flogen mit
No. 7.
lachendem Alles heil?" an mir vor
über, und die Umstehenden, . die mit
Schimpfen, mißbilligendem Kopfschüt
teln und verächtlichem Achselzucken sich
reichlich bei der Affaire betheiligt hat
ten, verzogen sich, nicht ohne mir an
zügliche Redensarten nachzurufen. Ich
saß auf und fuhr weiter. Diesmal ge
lang es. in eine stillere Gasse zu ko'm
men. O Gott, da öffnet sich plötzlich
ein Thor, und wie eine Horde Wilder
stürzt eine Schaar Schuljungen in die
Freiheit. Wenn das mein Rad nur
nicht übel nimmt! Ich fahre im schnell
stcn Tempo, schon verklingt das Schreien
und Johlen hinter mir. da mit
elegantem Bogen fahre ich gerade über
ein kleines weißbuntes Kätzchen, das zu
Füßen eines unglaublich dicken Metz
gcrmeisters friedlich im Sonnenschein
spielte.
Es mauzte blos noch einmal jämmcr
lich, dann streckte es alle Viere von sich.
Der Metzger sprach kein Wort. Er sah
mich blos an. In diesem Blick sprach
mehr Verachtung und Hohn als Bände
ausdrücken könnten. Ich stand mit ab
gezogener Mütze wie ein begossener Pu
dcl vor ihm, die Ohren brannten mir
vor Scham.
Es thut mir schrecklich leid," stam
melte ich. sch hab's wahrhaftig nicht
mit Willen gethan "
Wenn ma halt noch nit fahre kann,
begann der Metzger.
Ich kann, ich kann sehr gut," log
ich frech. Aber die Sonne blendete
mich, und da sah ich das Thicrchen
nicht; sehen Sie so leid es mir auch ,st.
lebendig kannlich das Miezcl nicht mehr
machen; kommen Sie, tnnken Sie ne
gute Flasche Wein niit mir, dann ver
gesien wir das Malheur!"
Der Metzger nickte mehrmals würde
voll; viel sprechen schien seine Sache
nicht. Tann band er die weiße Schürze
ab, deutete auf ein Haus und nicinte
zwinkernd: Ter Bärenwirth hat den
besten!"
Wir gingen also zum Bärenwirth.
Ter Wein war hübsch theuer, aber we
nigstens war er gut. Mein Dicker
trank dreiviertel der Flasche und thaute
dann etwas auf. Er meinte dann,
nun müsse er wieder ins Geschäft, und
er danke auch schön. Darauf schloß er
ein, Auge, schlug mich derb auf die
Schulter, und feinem Mund entquollen
die denkwürdigen Worte:
Wenn ma jetzt müßt', wem das lau
sige Vieh gehört hätt'!"
Was die Katze gehörte nicht Jh
nen?" schrie ich.
I wo!" meinte er gemüthlich.
Jetzt macht halt, daß Ihr fortkommt,
eh' Skandal wird, wenn der Eigenthü
mer kommt."
Geknickt bestieg ich mein Stahlroß;
so was kann blos mir passiren. Drei
Mark kostete der Wein. Abgesehen
davon, daß mich nachher noch ein Schutz
mann aufschrieb wegen todesgefähr
lichen Fahrens" und daß ich in einen
Korb Eier fiel, den ich mit sechs Mark
zu bezahlen hatte (das Schimpfen der
Eierfrau war gratis), kam ich ohne
weiteren Unfall, endlich endlich! auf
die freie Landstraße.
Mein Rad hatte große Lust, die
weißen Chausseesteine als Hindernisse
zu betrachten und zu nehmen"; auch
wollte es mich gern an den Ebereschen
bäumen abladen. Ader diesmal setzte
ich mannhaft mit schöner Energie mci
nen Willen durch, und einen aanicn
Kilometer fuhr ich ohne Abenteuer. Da
sauste mir etwas entgegen. Sah ich
recht? Ella auf ihrem Rad mit allen
Zeichen des Entsetzens, den rothen Hut
im Nacken. Und dann sah ich hinter
den Büschen ein schnaubendes Ünge-
yeuer. vas ne mit ge enktem aubt ver
folgte. Der Bulle hatte den rothen Hut
wohl übel genommen. Die große Ge-
legenyelt war da! Ter Bulle nahm den
neuen Gegner an, er pflanzte sich mit
auswärts gestemmten Beinen auf und
hielt mir, in der liebenswürdigen Ab
sicht, mich zu spießen, die Hörner ent
gegen. In diesem Augenblick war alles
vergessen Liebe, Heldcnmuth, Ge
lcgcnheit ich hatte nur einen Gedan
kcn: Flucht. Schnell vorbei und ins
Weite; mochte kommen was wollte.
Das wollte ich, mein Rad wollte an
ders. Es führte mich im tempo
allegro kurios gerade dem fchnau
benden Höllenrachen entgegen. Im
nächsten Augenblick flog ich hoch in die
Luft und landete im eleganten Bogen
auf einem Ackerfeld. Von allen Seiten
eilten Landleute zu Hilfe, und ibren
vereinten Kräften qclana es. das mü-
thcnde Thier zu fesseln, das unterdessen
mein Rad als Fangball benutzt und es
dann zertrampelt hatte: nett faft ?s
aus.
Nachdem sie den Bullen hatten, stell-
ten sie sich bewundernd vnr muh
Donnerwetter, das war aebuvst'."
meinten sie mit höchster Anerkennung
Mir war noch etwas dumm im Kov'f.
deshalb blieb ich sitzen, auch als eine
sZilante Okftalt herbeieilte, weinend bei
mir niederkniete und mir tau'cndmal
dankte, daß ich idr durch meinen tooes
muthigen, tollkühnen Wagemuth (bicr
spitzte iij die Obrer.! das Leben gerettet
babe. In meinem Dusel drückte ich sie
ans Herz und versicherte ihr, daß ich
gern hundert Räder und bundekt Leben
für sie hingeben würde. Sie küßte mich
wieder, und stolz an EllaZ Arm hi:m
pelte ich bis zum nächsten Ort. von wo
uns ein Wagen als Brautpaar der
Heimath zutrug. TaZ Rad war, Eott
sei Tank, unreparirdar. Ella wollte
nicht mehr fahren, sie hatte zu arge
Angst ausgestanden. Ihr zu Liebe ver
zichlctc auch ich. doch mein Ruf alZ
schneidiger, tollkühner Fahrer steht feit
dem fest. Im Besitz des lieblichsten
Brautchens rufe ich allen Mitdrüdern
ein jubelndes .All Heil!" zu.
BtrfehttcS Kompliment.
Auf einem Landgut bei Otteufen
lebte um's Jabr 1720 ein Herr Eber
bard Ludwig Schlaaf. Millionär und
Tiplomat, der allerdings von der feinen
Lebensart, welche den Vertretern dieses
Berufes eigen zu sein pflegt, wenig ad
bekommen hatte, vielmehr den besten
Beweis dafür lieferte, daß es schon zu
Beginn des vorigen Jahrhunderts nicht
an jener Kategorie von Menschen man
gelte, die man mit der Bezeichnung
Knallprotz" zu belegen pflegt. Nur
durch Geld und Ambition war es ihm
denn auch schließlich gelungen, zur
Würde eines Kurhannövcrschen Residen
ten emporzusteigen; ein Amt. das ihn
veranlaßte, ein geräuschvolles, großes
HauS zu machen, und eines Tages auch
einen wirklichen Schleswig Holstein!
schcn Herzog an seine Tafel führte.
Tiefe Ehrung brachte den braven Diplo
maten gänzlich aus dem Häuschen.
Was an feinsten Weinen und berühm
ten Virtuosen zu haben war, wurde zur
Stelle gebracht; Herr Eberhard Ludwig
Schlaaf schalt mit der Dienerschaft
und zwar nicht nur vor, sondern auch
nach der Tafel, daß es eine Art hatte;
sprach dabei aber in seiner Herzens
freude dem Wein so eifrig zu, daß er
beim dritten Gang bereits ziemlich be
rauscht war. . Indessen dergleichen war
man bei dem Residenten schon gewöhnt;
und überdies wurde die Aufmerksamkeit
von seiner Person abgelenkt, als der
vierte Gang aufgetragen wurde. Dies
war ein Spanferkel, 'dessen Kopf über
und über mit den Juwelen der Frau
Resident! behängt war. Schlaaf wollte
damit der Herzogin, der einzigen Dame,
welche Diamanten trug, eine Artigkeit
erweisen, zugleich aber wohl zeigen, daß
er der Mann sei, der so was machen
konnte. Das dckorirte Spanferkel
wurde vor der Herzogin auf den Tisch
gesetzt und gleichzeitig intonirte die
Musik die schöne Arie Wie hold lächelt
dein Ebenbild". Da erhob sich in der
Gesellschaft ein stürmisches Gelächter,
in das Herr Eberhard einstimmte, ohne
eigentlich zu wissen, warum man lachte.
Auch wurden feiner und feiner Gattin
Gesichter bedenklich lang, als ein Gast,
der den Schalk im Nacken hatte, das
große Tranchirmesser nahm, den kost-
baren Kopf des Ferkels vom Rumpf
trennte und ihn sammt Juwelen auf
das Zimmer der Herzogin zu bringen
befahl, für welche, wie er liebenswürdig
zur frrau Residentin meinte, das Ge-
schenk la wohl bestimmt fei. Das Her-
zogspaar weidete sich eine Zeit lang an
der Verlegenheit seiner Gastgeber; dann
aber ließ die Herzogin den Schweins
köpf der rechtmäßigen Eigenthümern:
der Perlen und Diamanten wieder zu
stellen. Eberhard Ludwig Schlaaf und
seine Gattin aber hatten seitdem eine
ausgesprochene Antipathie gegen ge
bratcne Spanferkel.
Vom schönen Rhein.
Durch meine stillen Traume zieht
Das Bild vom schönen Rhein. '
Und es umlächelt mein Gemüth
Wie lieber Sonnenschein.
Ich seh', die Burgen, wie sie fchau'n
In seine blaue Fluth,
Der Wand'rer zieht im Abendgrau'n
Vorbei mit frischem Muth.
Auf gold'ne Frucht die Sonne lacht.
Des Winzers Büchse knallt,
Und in der blauen Himmclspracht
Der Lerche Lied erschallt.
Dazwischen klingt gar wunderbar
DaS Lied der Lorelei
Der Schiffer sieht nicht die Gefahr,
Sein Schifflein springt entzwei.
Tie Jungfrau aber märchenschön,
Sie singt noch immerfort
Noch manchen sieht sie untergehn
Durch ihr bezaubernd Wort.
So nah'n im schönsten Zaubcrlicht
Mir Bilder, wundersüß.
O Rhein. Du alter, grolle nicht.
Daß ich Dich jetzt verließ!
Fred Bühler.
Aul
Frau A. Führt ihren angetrunkenen
Mann, welcher Ernst heißt, nach Hause.
Frau B. begegnet ihr und frägt:
Nanu, ist das' wirklich Dein Mann?"
Frau A: Ja. es ist mein voller
Ernst!"
Poesie unS Prosa.
Sie: 0, wenn ich die Schwingen
eines Vogels be atze!
Er: ..Ach, wünsche Dir das nicht!
Wenn Du welche hättest, würde sie
wahrscheinlich eine Andere balg auf
ihrem Hut tragen."