Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 25, 1899, Image 9

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    Sein 5Krenwcrt.
Von Zan bt Rtdar. ilui dem ranzSüsäicn
übtticyt von 31. bkrholzkr.
Er war noch ein Knabe, noch nicht
einmal sechzehn Jahre alt. und doch
sollte er den Tod deS LrschieKcnS eilet
den. Tie Jnsurgentenbande. zu welcher
er gehörte, war von den steglerungs
truppen geschlagen und zerstreut und
der Junge mit einigen tetner ttamera
den gefangen nach der Mairie deS I!
Arrondiffement geführt worden.
Der Kommandant, betroffen von fei
vtr iuaendlicken Erscheinuna und er
ftaunt über die Kaltblütigkeit, die der
Knabe in der Todesstunde zeigte, be
fahl, mit dem Vollzug des Urtheils zu
warten und den unaen so lanae ae
fckngen zu halten, bis seine Kameraden
bei der nächsten Barrlkade ihr trauriges
Ende gefunden hätten.
Anscheinend ganz ruhig und ergeben
zeigten feine rothen, dunklen Augen
und sein blasseS Gesicht daS bleiche
Gesicht eines ParifcrkindeS keine
Spur von Aufregung oder Angst. Er
fchien alles das, was um ihn herum
vorging, zu beobachten, als ob es ihn
nicht berührte. Er vernahm die dumpfe
Gcwchrsalve, die seine Kameraden in die
Ewigkeit hinüberdeförderte. ohne auch
nur mit einem Muskel zu zucken; sein
ruhiger Blick schien in das große Spä
ter" zu schauen, das bald auch für ihn
daS Jetzt" werden sollte. Vielleicht
dachte er an seine glückliche sorglose
Jugendzeit er war ihr ja kaum ent
wachsen vielleicht an seine Berwandten
und an ihren Kummer, wenn sie von
ihm hörten; oder an die Kette fataler
Ereignisse, die ihn des Vaters beraubt
und in den pochenden Aufruhr des Bür
gerkriegeS gestoßen hatte; vielleicht auch
sann er darüber nach, wie dies alles ge
kommen war.
Zur Zeit, als der Krieg erklärt
wurde, lebte er glücklich bei Bater und
Mutter, rechtschaffenen Leuten der Ar
beiterklaffe, die ihn einem Buchdrucker
in die Lehre gegeben hatten; nie trübte
die Politik jenen stillen Haushalt.
Bald hernach wurde daS Haupt der
Familie von den Preußen erschossen.
Die Entbehrungen während der Be
lagerung. das lange, ermüdende Warten
auf die spärlichen Nahrungsrationen,
die während eines strengen Winters vor
den Metzger und Bäckerläden vertheilt
wurden, hatten seine Mutter auf das
Krankenlager gestreckt, wo sie langsam
dem Tode entgegenging.
Eines Tages, als er mit einigen
Kameraden hinausging, um auf den
festgefrorenen Feldern von St. Denis
Kartoffeln auszugraben, erhielt er eine
preußische Kugel in die Schulter. Bald
darauf hatte ihn der Hunger, oder viel
mehr die Furcht vor den Drohungen
seiner Kameraden in das Heer der
Kommune getrieben. Wie noch viele
seiner Kameraden hatte ihn die bloße
Furcht in den Reihen der Kämpfer zu
- riMehalten; es widerstand ihm, gegen
Bruder zu kämpfen und jetzt, da er sei
ncn Schritt mit seinem Leben bezahlen
sollte, war er froh, kein Menschenleben
auf seinem Gewissen zu haben.
Die Dinge, die er in den letzten Mo
naten gesehen und gelitten, hatten ihm
einen Abscheu vor dem Leben eingeflößt.
Es schauderte ihn bei dem Gedanken,
seine Mutter in dieser schrecklichen Welt
zurücklassen zu müssen, seine Mutter,
die er so zärtlich liebte und die so un
aussprechlich gut gegen ihn war; allein
er tröstete sich mit dem Gedanken, daß
sie ihm bald nachfolgen würde, denn sie
war schon sehr schwach, als er sie vor
vier Tagen gesehen hatte.
Küsse mich. Lieber, küsse mich." hatte
.sie gesagt, denn ich fühle, daß ich Dich
nie mehr sehen werde."
Ach." dachte er bei sich traurig.
' wenn sie ihm nur trauen, ihm nur eine
Stunde die Freiheit zurückgeben wür
den, wie würde er zu ihr eilen und dann
wieder zurückkehren, um sich den Hän
den zu überliefern, die nach seinem
Blute dürsteten! Er wollte sein Ehren
Wort geben und auch halten. Warum
denn nicht? Außer seiner Mutter
euch sie war ja dem Tode nahe
harte er niemand mehr zu betrauern.
Sie nochmals sehen, ihre Lippen noch,
mals küssen, sie trösten und ermuthl
Jen, sie hoffnungsvoll verlassen und
dann dem Tode unerschrocken in's Ge
ficht sehen."
Mitten in den traurigen Gedanken
näherte sich ihm der Kommandant, ge
folgt von einigen Offizieren.
Nun, Bürschchen," sagte er, Du
- und ich haben eine Rechnung abzu
1 ichließen ; Du weißt, was Dir bevor
steht ?"
Gewiß. Herr Kommandant, ich bin
bereit."
Wirklich? So völlig bereit. Du
fürchtesr Dich also nicht vor dem Tode?"
Weniger als vor dem Leben. Ich
habe die letzten sechs Monate so viele,
so schreckliche Dinge gesehen, daß mir
der Tod besser erscheint, als ein solches
Leben."
Ich wette, daß Du nicht zögern
würdest, wenn ich Dir die Wahl ließe.
Wenn ich nun sagte: Setze Deine Füße
in raschen Lauf und zeige uns. wie
schnell Du uns aus den Augen bist, so
wärest Du bald fort, ich wette."
Versuchen Sie es nur, Herr Kom
Mandant, versuchen Sie es! Stellen Sie
mich auf die Probe; es ist den Versuch
werth. ES hat nichts zu bedeuten, ob
Ihre Leute einen Mann mehr oder
weniger erfchietzen. litne tcimot nur
der Freiheit; Sie werden sehen, ob ich
Ml
Jahrgang 20.
nickt mein Wort halte und ob ich mich
fürchte, zu sterben."
Oho! Du bist kein Narr, aber Tu
miifct rnick siir einen kalten. Einmal in
Freiheit und weit weg von da und
dann zurualehren. um erichonen zu
werden, gerade als ob Tu ein gewöhn
lickkS Versvrecken hielte ? Nein.
Bürschchen. daS kannst Tu mir kaum
weismachen!"
Hören Sie mich an, Herr, ich bitte
Sie! Vielleicht haben Sie eine gute
Mutter, die Sie lieben, mehr lieben als
Alles in der Welt. Wenn tete, wie ich
iedt. sterben sollten, so wären Ihre letz
ten Gedanken bei ihr. Und Sie würden
den Mann segnen, der Ihnen die Er
laubniß gäbe, sie noch einmal, zum letz
ten Male iu scben. Herr omman
dant. thun Sie für mich, was Sie an
dere bitten wurden zu thun. Geben
Sie mir eine Stunde frei und ick aebe
Ihnen mein Ehrenwort, daß ich zurück
kehren und mich uverliesern weroe. In
das Leben selbst eine? gebrochenen Ver
sprechenS werth?"
Während der unae sprach, schritt
der Kommandant auf und ab, drehte
lebhaft seinen Schnurrbart und kämpfte
auaenschcinlick aeaen die Rührung, die
in ihm aufkommen wollte.
Mem Wort." murmelte er. ..Tieler
Kaffendube sckwakt von ..mein Wort".
als ob er ein Ritter von der Tafelrunde
wäre!"
QUflhlick bielt er dickt vor seinem Ge
sanaenen an und fraate in barschem
Tone: Dein Name?"
Victor Oun."
Alter?"
Sechzehn am 15. Juli nächsthin."
Wo wohnt Deine Mutter?"
In Belleville."
Was bat Dich veranlaßt, der Kom
,mune zu folgen?"
Hauptsächlich die Dreißig feous.
Dann haben die Nachbarn und meine
Kameraden aedrobt. mich zu erschießen.
wenn ich nicht mit ihnen ziehe; sie sag
ten. ich sei groß uno narr genug, eine
Flinte zu tragen. Meine Mutter fürch
tete sich vor ibnen ünd bat mich wei
nend. ihnen Folge zu leisten."
Tu hast also reinen lisatex meyrk"
Er wurde getödtet."
Und wo?"-
..Bei Bouraet im Kampf für das
Vaterland."
Der Kommandant wandte sich zu sei
nen Offizieren, um ihre Meinung zu
vernehmen. Alle ichlenen lies geruyri
zu sein.
Nun gut!" sagte der Offizier nach
kurzer Ueberlegung ernst. Du kannst
hingehen, um Deine Mutter zu sehen.
Du bast mir Dein Ehrenwort aeaeben.
nach einer Stunde wieder hier zu sein.
C'est bien. Ich werde dann erfah
ren. ob Du ein feiger Bursche bist. Ich
gebe Dir Zeit bis zum Abend. Wenn
Du bis acht Uhr nicht hier tust, so weroe
ick Dick als einen Brabler betrachten.
dem es mehr um's Leben, als um die
Ehre zu thun ist. Allons! Vorwärts
marsch!"
Ich danke Ihnen, Herr Komman
dant. Ich werde um acht Uhr hier
fein."
Bist Dii dessen auch ganz sicherr
Ganz sicher."
Das werden wir dann sehen."
Der Knabe wollte den Offizier vor
Freude und Dankbarkeit umarmen.
wurde aber vom Offizier sanft zurück
gewiesen. ttoch nicht," sagte er. veure Aveno,
wenn Du zurückkehrst, will ich Dich um
armen vordem Peloton", fügte et
sarkastisch bei. Fort mit Dir!"
- Viktor lief wie ein Haft; die Csn
ziere lächelten, indem sie ihn verschwin-
den sahen. Zwanzig Minuten später
klopfte er an die Wohnung ftlner Mut
ter und die Nachbarin, welche sie
hfleslic öffnete ibmx Sie subr erschreckt
zurück und stieß einen Schrei des Er
ftaunens aus, denn sie yieu lyn, wie
Jedermann für todt. Er wollte ins
Zimmer zur Mutter eilen, wurde je
doch von der Frau zurückgehalten.
Tritt leite ein, sag sie nusierno,
heun sie fckläft. Sie ist seit deinem
Weggang sehr krank gewesen; es geht
ihr aber ein wenig besser. Der Arzt
sagte gestern, daß sie bald zu Kräften
kommen würde, wenn sie schlafen
könnte; man darf sie also nicht wecken.
Armes Ding! sie wird sich woyi eyr
wie, dich zu seyen, denn sie yai ,o
ist nack dir aesraai. Wenn sie nicht
nach dir rief, so betete sie zum Bon
Dieu", daß er dich erhalten und den
Krisen dem Lande wieder aeben möge.
Ach! man möchte wohl sagen, er. der
gute Gott, hätte uns verladen uno die
Menschen ihrem eigenen Willen über
lassen. Es ist schrecklich!"
Jetzt glaubte der ungeouioige llior
inen Namen mit schwacher Stimme
lifen zu hören. Auf den Zehen schlich
' nf das Bett seiner Mutter zu. Er
hatte sich nicht getäuscht: die Augen der
kranken Frau standen weit offen.
SMlIiMU
Bettage zum Nebraska Staats-Anzelger.
Viktor! mein liebes Kind!" rief sie
mit schmacher Stimme aus. Obne ein
Wort zu äußern, legte er sich neben sie
auf das Bett und ihre Arme schlangen
sich um ihn.
Und nun konnte der Knabe, der so
gelassen dem Tode ins Angesicht ge
sehen, nichts anderes thun als schluch
zen. Jetzt, in den Armen der Mutter,
wurde er wieder ein schüchternes, ver
zweifelndes Kind.
Die kranke Frau, die auS seiner
Gegenwart Kraft zu schöpfen schien,
versuchte umsonst, ihn zu trösten.
Warum bist du denn so traurig,
mein liebes, liebes Kind?" fragte sie.
Tu sollst mich ja nie mehr verlassen.
Wir wollen diese abscheuliche Uniform
wegiverfen; ich mag sie nicht mehr
sehen. Ich fühle mich viel stärker seit
dem du gekommen bist und will machen,
daß ich recht bald gesund werde. Bald
wirst du wieder an die Arbeit gehen
und dann aufwachsen und ein gutes
Mädchen heirathen. Die Vergangen
heit wird dir dann nur als ein schlech
ter Traum erscheinen, und wir werden
sie ganz vergessen, ganz, liebes Kind."
Arme Seele! Wie konnte sie wissen,
daß das Bild, welches sie von einer
freundlichen Zukunft entworfen, den
Knaben nur noch trauriger stimmte?
Sie schwieg, indem sie sich sagte, daß
es wohl der beste Weg fei, Thränen zu
trocknen, indem man sie frei fließen
läßt. Sie küßte den Knaben, ließ das
müde Haupt auf das Kissen zurück
sinken und überließ sich den Träumen
von glücklicheren, zukünftigen Tagen.
Das Schluchzen des Knaben legte sich
nach und nach und bald vernahm man
im Zimmer nur noch die regelmäßigen
Athemzüge von Mutter und Kind.
Beschämt über seine Schwachheit er
langte Viktor wieder seine Fassung.
Als er sich erhob, war feine Mutter vor
Erschöpfung, welche die plötzliche Freude
verursacht hatte, eingeschlafen.
Dieser Anblick gab ihm feinen Muth
vollständig zurück. Eine gütige Vor-
sehung. dachte er, hatte ihm eine Scene
erspart, die für seine Kräfte zu viel ge
wesen wäre und so entschloß er sich, die
Mutter sofort zu verlassen. Noch einen
leichten Kuß drückte er ihr auf die
Stirn und schaute ihr noch einige
Augenblicke ins Angesicht; sie schien zu
lächeln. Dann eilte er aus dem Haufe
seinem Posten zu, ohne daß er es ge
wagt hätte, auch nur ein einziges Mal
sich umzusehen.
Wie! so bald?" rief der Komman-
dant erstaunt aus. Er hatte als gut-
herziger Mann geglaubt, der Knabe
würde nicht mehr zurückkehren.
'Aber ich habe es ja versprochen!"
Ohne Zweifel, aber warum denn
so eilig? Du hättest ja noch viel länger
bei deiner Mutter weilen und doch dein
Wort halten können."
Arme Mutter! Nach einer traun
gen, thränenvollen Scene Thränen
der Freude für sie. der Verzweiflung
für mich schlummerte sie so ruhig, so
zufrieden ein. daß ich es nicht wagte, sie
zu wecken. Sie hielt mich noch mit den
Armen umschlungen, als wollte sie
mich nicht mehr von sich lassen. Wie
hätte ich ihr die Wahrheit sagen kön
nen? Wer weiß, ob ich dann noch den
Muth gehabt hätte, sie zu verlassen?
Was hätten Sie von mir gedacht, wenn
ich nicht zurückgekehrt wäre?
Ich küßte sie also und schlich mich wie
ein Dieb fort, während sie noch schlief
und da bin ich. Möge Gott gut mit
ihr sein, weil Sie es gegen mich ge
wesen ist. Herr Commandant." ich
habe 'noch eine Bitte; machen Sie es
kurz!"
Der Offizier betrachtete den Knaben
mit den gemischten Gefühlen des Mit
leids und der Bewunderung, feine
Augen waren feucht.
Du hast dich also ganz ergeben
und der Tod erschreckt dich nicht?"
sagte er.
Viktor machte eine verneinende Be
wegung.
Und wenn ich dich begnadigen
würde?"
Sie würden damit auch das Leben
meiner Mutter retten und ich würde
Sie als zweiten Pater verehren."
"Allem'." Du bist ein muthiger
Bursche und hast eS nicht verdient, so
zu leiden. Tu kannst gehen. Umarme
mich noch "bien!" Nun gehe, gehe
schnell. Eile, zu deiner Mütter und
liebe sie immer."
Indem der Offizier diese Worte
sprach, nahm er den Knaben bei der
Schulter und schob ihn sanft von sich.
Es wäre wirklich schade um ihn ge
wesen," sagte er. sich entschuldigend, zu
seinen Offizieren gewendet.
Viktor lief nicht, er flog nach Haui'e.
Die Mutter fchlief noch., Er hätte sie
so gerne mit Küssen überhäuft; allein
er wagte es nicht, sie zu wecken. Er
legte sich wieder neben sie aufs Bett.
Plötzlich fuhr sie auf und rief aus:
Dank dir, Viktor! Mein Kind! O!
Tank! Ach. bist du denn wirklich bei
mir?"
Sie betastete ihn überall mit ihren
abgemagerten Händen, zog in näher an
sich und überhäufte ihn mit Küssen.
Dann fing sie an, konvulsivisch zu
schluchzen. O, mein Kind, mein
Kind!" stöhnte sie, es träumte mir, sie
wollten dich erschießen!"
Das Butterfaß in der Schanze.
Mich zog es nach der nordischen
Hauptstadt am blauen Sunde nach
Kopenhagen. Nun sitze ich auf der
Veranda deS StrandPavillons an der
Langen Linie" und träume.
Es ist Abend, die Leuchtthürme wer
fen ihren Schein über die Wellen,
Segelboote kreuzen vor dem Winde, be
gleitet von dem kühnen Bogenfluge der
Möwen. Langsam rauscht ein Dampfer
vorbei, der ein mächtiges altes Kriegs
schiff ohne jede Takelage im Schlepptau
hat.
Peer", sagte ich zu meinem jungen
Freunde und Begleiter, kennen Sie
das alte Kastell?" O, ja. das ist der
alte Niels Jule". früher ein stolzer
Kriegsdampfer mit 40 Kanonen, jetzt
ausrangirtes Schulschiff, wie der Rolf
Krake", der drüben beim Fort Tre
Kroner" liegt." Ich sprang nach der
Ecke der Veranda und verfolgte das
alte Schiff mit den Augen, so weit es
möglich war, kaum fähig, meine Er
regung zu verbergen. Ich hatte den
Rolf Krake", damals der Schrecken
unserer Marine, wohl kennen gelernt,
als er die Gammclmark Batterie am
Alsen-Sund beschoß aber auch den
Niels Juel" kannte ich.
Es war im April 1864. als ein
Bataillon des 48. Infanterie Reqi-
ments. eine halbe Batterie Artillerie
und meine (die zweite) Schwadron des
ä cw n .. n . .r je. .. n rr: ... m ' in
4. ncunuericycn uranier Negimenrs
die kleine Insel Fehmarn einnahmen.
Die kleine Besatzung, etwa 120 Mann,
ergab sich. Aber nun hieß es, die un
gefähr vier Geviertmeilen große Insel
mit unserer geringen Streitmacht gegen
die dänischen Kriegsschiffe zu vertheidi
gen. Da diese verschiedene Landungs
versuche machten, so wurden nach allen
ausgesetzten Stellen Jnfanterie-Wachen
beordert, denen je zwei Mann Küras
siere beigegeben waren, die den Melde
dienst versahen. Unsere Hauptmacht,
die Infanterie und Artillerie, befand
sich in dem Städtchen Burg, das unge
fähr in der Mitte der Insel liegt. Hier
standen Tag und Nacht ein halbes
Hundel Bauernwagen angespannt, um
unsere Infanterie möglichst rasch nach
den bedrohten Stellen an der Küste
hinzubringen. Unsere Schwadron war
in Meldepoften vollständig aufgelöst.
Ich wurde mit einem Gefreiten zur
Infanterie Wache nach der Tiefe kom
mandirt, einer Landzunge, die sich weit
in den Fehmarn-Sund erstreckt. Hier
stand das Gehöft des alten Kapitäns
Adams, der das Amt eines Lootsen
Kommandeurs versah und dazu vom
Ertrage seiner schönen Wiesen und sei
nes Viehstalles ein beschauliches Leben
führte. Adams war eine alte Seeratte;
er hatte fast alle Meere der Welt besah
ren und wußte recht gut zu plaudern.
Wir saßen eines Morgens nach dem
Frühstück behaglich auf der großen
Bank vor dem Hause schmauchten un
scre Pfeife und suchten mit dem großen
Tubus des Kapitäns, einem alten, aber
trefflichen Fernrohr den Horizont ab,
da fast täglich dänische Kanonenboote
um die Insel kreuzten. Plötzlich rief
der Kapitän: Ich glaube, es giebt
etwas zu melden, ein großes Schiff
steuert gerade auf uns zu!" Und so war
es; immer klarer war der Rumpf eines
größeren Dampfers mit rauchendem
Schlot zu erkennen. Aber auch die
Aufregung des Alten steigerte sich mit
jeder Minute, zumal er nun das Schiff
erkannte; es war die dänische Fregatte
Niels Juel", die 40 Kanonen führte.
Ich brachte rasch die Meldung zu Pa
pier, half meinem Kameraden auf's
Pferd und in tollem Ritt ging es über
die weiten Wiesen nach dem etwa drei
Viertelstunden entfernten Burg zu.
Die Fregatte kam immer näher; wir
hatten weiter nichts zu thun, als den
Gang der Dinge abzuwarten. Es ver
ging kaum eine Viertelstunde, als das
Schiff eine halbe Wendung machte und
seine Breitseite zeigte. Jetzt sahen wir
deutlich zwei, drei, vier Rauchwölkchen
aus den Stückpforten aufsteigen, und
einige Sekunden später hallte auch der
Donner aus ebenso vielen Geschützen zu
uns herüber.
Wir, die Wachen, hatten uns hinter
dem freistehenden Wohnhause versam
mclt und rauchten unsere Pfeifen; das
Gesinde flüchtete in die Keller. Niels
Juel" gab im Ganzen ungefähr 10
Schüsse ab. die nach der etwa 200
Schritte entfernten Lootsenboot-Station
gerichtet waren und diese auch zum
No. 1.
Theil trafen und zerstörten. Eine
Kugel, ein 30pfündigeS Vollgcfchoß.
schlug dicht vor dem Hause nieder, so
daß der auffliegende KieS und Sand
mehrere Fensterscheiben zertrümmerten.
Tann machte die Fregatte kehrt und
dampfte langsam weiter: jedenfalls
hatten die Tänen nun auch die im Ga
lopp herankommende Artillerie und die
Wagen, mit der Infanterie auf der
flachen Insel bemerkt. Es war ein
hübsches Bild, als zuerst unsere Ar
tillerie heranrasselte: Batterie rechtsum,
kehrt, schwenkt, halt protzt ab
Feuer! und majestätisch rollte der
Donner über die Meereswellen. Aber
wir konnten den Dänen nichts mehr
schaden, denn wir sahen genaue wie
unsere Granaten platzten, bevor sie das
Schiff erreichten: wir hatten damals
noch die alten glatten Geschütze. Bald
war die Fregatte außer Sicht und nach
einer halbstündigen Ruhe zog unsere
Streitmacht wieder ab. Nun hatten
wir wenigstens Pulver gerochen und
Alles war natürlich in Aufregung.
Auch der alte Adams jammerte: Meine
Boote haben sie mir heute zerschossen,
vielleicht kommen sie morgen und
schießen mir auch Haus und Hof zu
sammen. Denn bis Eure Artillerie
herankommt, ist's zu spät! Sehen
Sie drüben die alte Schanze?"
Kaum dreihundert Schritte vom Ge
sicht entfernt, stand ein mit Gras be
machsener Erdwall, wirklich, noch eine
chanze aus dem Kriege vom Jahre
1841.
Adams bat mich, im Falle wieder ein
Kriegsichiff nahen sollte, doch mit
einigen Soldaten die Schanze zu be
setzen, damit die Tänen glauben, es
feien Geschütze darin." Der Alte hatte
freilich in feiner Angst nur den Gedan
ken. wie er Laus und of aeaen
etwaige Angriffe schützen könne. Aber
auch meine Strategie heckte einen Plan
aus. Die holsteinischen Butterfässer,
lang und schmal, aus hellem, wcißge
scheuertem Holz, sehen der Kanone nicht
unähnlich. Nachdem wir eines auf
einen flachen Milchwagen festgebunden,
schoben wir das improvisirte Geschütz
mit lustigem Halloh und Hurrah nach
der Schanze hin. Das gefiel unserem
Wirth und er gab reichlich Beer und
Köm" zum Besten.
Und was soll ich sagen: 2 oder 3
Tage später ganz dasselbe Bild. Es
war ein heller, schöner Frühlingsmor
gen, als schon das Fauchen einer
Dampfmaschine über die glatte See
hörbar wurde. Bald zeigte sich auch
unser Niels Juel" mit direktem Kurs
auf uns zu.
Ich werfe meinen Kürassier wieder
aufs Pferd und laufe mit vier Jnfan
teristcn nach der Schanze, mit einer
langen Bohnenstange hantirend. Wir
legen uns über das Butterfaß und rich
ten es auf die Fregatte, die bis auf
etwa 2000 Meter herankam. Plötzlich
aber machte sie in einent weiten Bogen
kehrt und dampfte ab. Als unsere Ar
tillerie und die Bauerwagen mit der
Infanterie herangaloppirten, war die
Arbeit geschehen; wir hatten mit einem
Butterfaß eine Fregatte von 40 Kano
nen in die Flucht geschlagen."
Das Gelächter aber und das Hurrah
geschrei der Artilleristen wollte kein
Ende nehmen, als sie unsere armirte"
Schanze besahen. Am 'meisten zufrie
den aber war der alte Adams. Er hat
auch sein Butterfaß nicht' aus der
Schanze geholt, bis der Waffenstillstand
kam.
Ein iiederer Sachse.
Bei meiner letzten Fahrt über den
atlantischen Ozean hatte ich zum Tisch
nachbar einen wackeren Steinhauer aus
der Salzstadt an der Saale, der einen
seit längerer Zeit in Philadelphia an
sässigen Bruder besuchen wollte, einen
originellen Herrn mittleren Alters, der
den Mitreisenden durch seine drolligen
Einfälle und die Art und Weise, wie er
sich ausdrückte, vielen Knak funiht,
Selbstverständlich verstand er kein Wort
Englisch, und gab sich auch während
der Ueberfahrt nicht die geringste Mühe,
etwas von der Svracbe des Lankps w
er besuchen wollte, er erlernen. 'Nur
den Namen eines einzigen Gegen
standes. dessen er als eifrinpr mnw
täglich einige Dutzend Male bedürfte.
und ,hn nannte er auf sächsjsckenkisis
Matsch!"
In New Nork anaekomm?n fif
bei der Zollrevision unglückseliger Weise
in oie anoe eines Jouveamten, dessen
Wiege auf der grünen Insel gestanden
hatte. Die Eonvcrsation mit" hn
beiden war einfach großartig. Der eine
sragie aus iri,ch-engll,ch, der andere
antwortete aus säcbsisck-d?t,', nr.
stündigung natürlich unmöglich. Da
ram oem warnten aus einmal ein
glücklicher Gedanke. Er faßte nach den
Westentaschen des Fremden und fragte
"Got any watch?" Aha." denkt
mein biederer Sachse, durch den Gleich-
klang verleitet, jetzt verstehe ich Dich.
IF greift in die Tasche uns überreicht
mit den Worten hier, mei gutefleZ
Herrchen, ich hab Se grade noch zwee.
dem erstaunten Beamten zwei Streich
Hölzer.
Einige Wochen später traf ich ihn in
der Ouäkerstadt am Telaware. und er
kündigte mich bei ihm, wie ihm sein
Aufenthalt hierzulande behage: Ach.
wissen Se. nich besonders, blos mei
Bruder is sehre gut. der läßt mich ner
gens bezahlen, denn ich hab Se blos
deutsches Babiergeld mit und das will
ich mer doch nich wechseln laffen. Un
neulich, da hat er gar sei Testament ge
macht un meinen Gindcrn sei ganzes
Vermögen vermacht. Nu möchte ich
mich doch gerne revanchircn. Was mei
ncn Se. ich denke, wenn ich nach
Deutschland komme, schicke ich ihm
ich bin Se nämlich Steinhauer als
Tank enen recht schönen Grabstein!"
roszmüthig.
Daß auch Napoleon der Erste groß
müthia bandeln konnte, iat folgender
Vorfall.
Ein Graf P., den er zu Rang und
Würden erhoben hatte, verrieth ihn
aus Gründen, die nie bekannt geworden
sind. Als Napoleon von seinem Treu
bruch erfuhr, veranlaßte er die sofortige
Verhaftung des Schuldigen. Schon
tags darauf sollte er vernommen und,
da sein Vergehen sonnenklar zu Tage
lag, verurthcilt werden. Inzwischen
erbat sich die Frau des Grafen eine
Audienz, welche der Kaiser ihr auch be
willigte.
Madame." sagte Napoleon, um
Ihretwillen thut es mir leid, daß Ihr
Gemahl sich in eine Schuld verwickelt
hat, die feine Undankbarkeit nur allzu
unwiderleglich bloßstellt."
Vielleicht ist er so schuldig nicht, wie
Eure Majestät anzunehmen geruhen,"
wagte die Gräfin zu erwidern.
Die Handschrift ihres Gatten ist
Ihnen jedenfalls bekannt," bemerkte
der Kaiser, einen Brief aus der Tasck?
ziehend, den ex schweigend der Gräfin
überreichte. '
In dem Schreiben erkannte sie die
Handschrift ihres Mannes und, über,
wältigt von dieser Thatsache, sank sie in
Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam,
sagte Napoleon: Behalten Sie den
Brief, Gräfin, er ist der einzige gesetz
kräftige Beweis seiner Schuld; im
Kamin hinter Ihnen ist ein Zeuer an
gezündet."
Die Gräfin verstand den Wink und
warf das wichtige Schriftstück schleu
nigst in die Flammen. Zwar wurde
dadurch das Leben ihres Mannes ge
rettet, doch feine Ehre war für immer
verloren.
Ludwigs de echSzehnte Lehr'
metfter.
Im Mai 1792 hatte Ludmia der
Sechszehnte im Verein mit dem Pariser
Schlossermeister acaues Kamin, der
feit vielen abren sein Lehrmeister i
dem als Liebhaberei von ihm betrie
venen Handwerk war, einen kunstvollen
eisernen Wandschrank fertiggestellt, in
eine Wand seines Arbeitszimmers in
den Tuilerien einmauern ließ. Die
Stelle, wo sich die Thür des geheimen
Schrankes in der Wand befand, war
durch eine Tapete und umgehendes Ge-
lasei oeramg verdeckt worden, daß der
König den Schrank für ein sicheres Ver
steck zur Aufbewahrung seiner Privat
Papiere hielte Jacques Gamin, der
cyivsser, war rym ergeben, und ein
Verrath von serner Seite sckien ausn.
schlössen zu sein.
Als iedoch bald daraus eine Versol.
gung aller derer begann, die mit Lud
wig dem Sechszehnten in Verkehr ge
standen hatten, hielt es Gamin für ge
rathen, dem Nationalkonvent Anzeige
von dem Geheimschrank des Königs zu
erstatten. Einem Judas gleich führte
er selbst die zwölf beorderten Unter
sucoungsiommlssare in das Gemach,
und indem er mit frecher Vertraulickkeit
seinem königlichen Schüler die rechte
Hand reichte, klopfte er mit dem Stock
in seiner Linken an die Stelle der
Wand, wo sich der vermauerte Sckrank
befand.
Ludwig, der jetzt die verrätherische
Komödie durchschaute, sagte, voll der
Traurigkeit die Hand aus der Rechten
des Schlossers ziehend: Habe ich daS
um Euch verdient?"
Der Schrank wurde snlck ,
brachen. Er enthielt die Briefe, die er
von seinen ins Ausland geflüchteten
Brüdern erhalten hatte, Schriftstücke,
die sväter trok ibr?r ftintttfnfinfi nist
Handhabe dienten, das Todesurtheil
uoer lyn auszusprechen. Jacques Ga
Min emvfina für seine ?!udaStbat in.
lebenslängliche Pension.
Der pielftuhl.
König Friedrich der Dicke van Wilrb
tembera. ein weaen seiner unanüneMm
Heftigkeit und tvrannisck?n lmiiik,irt
gefürchteter Mann, hatte einen söge-
nannien plelsluhl, der. wenn man
sich darauf setzte, die beliebtesten Volks
melodien spielte. Das Uhrwerk im
Stuhle war einst aufgezogen, wurde
aber durch irgend eine Störung ge
hemmt; kurz, als sich der Leibarzt eines
Tages auf den Sessel niederließ, um
den im Sterben liegenden König zu
oeooacylen. kam das Walzwerk wieder
in Bewegung und die Melodie des Lie
des: Du bist der beste Bruder auch
nicht !" ertönte zum Entsetzen aller An
wesenden durch das Zimmer.