Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 29, 1898, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    IV'u ein f-trem.
'.'itiiiiilu j t';
iT-ii :Ji a r !
Aus der feit wittom &?rin umr.:;ii
tcn liiib ivii Üuilou tntiMtiliteu
0!i'.rtciU'iri:!Ptä eine LMuMniuies iaß
ein alter verCrier.lulier Herr, die Ihm
Wicht geplagten Weder IN Kiffen und
leisen tvuUU, mit seiner Suchter beim
Schachspiel.
Trotzönn es eben zu einer spannenden
Krisis gekommen, hatte Das junge
M'atutjeu tut teilte, reifende Kopschen
mit müden, träumerischen Attant in die
Hand gestiil',!, bis em in auf dem
Wie des OlartniioegS' liorluir winde,
der sie elettrifirte. Inrrf) die Marien
Pforte, von der -eile des Ho'eö der.
tarn ein junger Mann ant die Veranda
zn. der 1lxi des alten gichitschen Venn
von Berden, Tcttor Reynvld.
Mit (itlid)tcm, herzlichen Olniß trat
er 311 den beiden Spielern. Seine Er
scheinung machte den Eindruck mann
licher Eintnchtieit, man konnte seinen
Ziigrn Bernel)il)eit der dZesinnnng
und Willensstärke ablesen.
?er alte Herr begrüßte ihn mit etwas
lauten scherzen, aus welchen die bnrch
seinen Zustand bedingte üble Laune her
ausklang. Tr. Retinold rollte den
Krankenstuhl mit leichter Mühe in das
Haus, um das gichtische Bein einer Be
Handlung zu unterziehen, und Also
von werden blieb allein in dein Sonnen
schein und dem starken Tust der zweiten
Wofettblitthe des sommers.
Sie stand, auf die Balustrade des
Balkons gelehnt, zwischen den Eieraittc
des wilden Weins, als Tr. Äetmold
allein zu ihr zurückkehrte.
Gnädiges Fraulein, ich must mich
heute für einige Zeit von Ihnen verab
schieden, ich gehe morgen nach Hain
bürg. Ich habe mich dort als Assistenz
arzt in den Baracken zur Beringung ge
stellt. Tr. Fichte wird mich unterdes
srn bei Ihrem Herrn Bater vertreten."
?ie biegsame Westalt des jungen
Madchens schnellte ans ihrer lassigen
Haltung empor, und die eben noch ver
träumten dunklen Samnietaugen waren
ganz Energie und zürnendes Staunen.
?a ist Wahnsinn ! Sie dürfen
nicht gehen."
Ich muß."
Niemand kann Sie zwingen."
Mein Ehrgefühl zwingt mich und
die Pflicht der gewöhnlichsten Räch
sienliebe." Nein, nein, das geht zu weit. ?as
ist Celbstvernichtuiig !"
Er sah sie ruhig und ernst an, doch
eine tiefe Bewegung sprach aus seinen
Zügen.
,,Taö Elend schreit um Hilfe. Eine
solche Epidemie ist für den Arzt, was
der Krieg für den Soldaten. Wir
müssen in's Bordertresfen, wer von uns
da zurückbleibt, ohne den eisernen
Zwang der Nothwendigkeit, der ist ein
Deserteur seiner Pflicht."
Sie sollen nicht gehen weil ich
es nicht will !" rief sie, die kleine
Hand auf der Ballustrade zusammen
ballend. Sie stand hochaufgerichtet
und befehlend vor ihm. Ich will
nicht die Qual der Angst um Sie lei
den, das Leben ist schon unerträglich
genug ! Ich kann Sie nicht entbehre
jetzt nicht ! Sind wir nicht Freunde?
Stehe ich Ihnen nicht naher als jene
paar taufend Eholerakranke dort? Er
sparen Sie mir alle Phrasen über Pflicht
und Nächstenliebe. Sie wissen, das;
diese Menschenliebe "en masse" für
mich nicht cristirt. Ich habe Ihre An
sichten über Humanität und Zusam
mengehörigkeit mit der großen Allge
nieinheit nie getheilt. Ich habe mich
mein ganzes Leben lang verzweifelt ein
sam gefühlt. Niemand von der gro
ßen Allgemeinheit hat meine Enibeh
rungen der Qual meines Taseins gc
theilt, warum soll ich das Bischen
Freude, das mir vergönnt ist, hinwer
fen an die Masse, die sich nicht um mich
kümmert? Es ist genug, wenn der
Einzelne, sein Interesse und seine Nach
stcnliebe dem Einzelnen widmet. Es
ist ein Wahn, sich für die Masse zu
opfern ! Ein Wahn, der zur Selbstver
nichtung führt. Tic erste und nächste
Pflicht ist die Erhaltung der Jndivi
dualitüt. Meine Individualität ist der
Brennpunkt alles Taseins für mich."
Tas sind unedle Worte, Alfa, nnd
Ilirer nicht würdig."
Ich will keinen Edelsinn heucheln,
den ich nicht besitze."
Sagen Sie mir nur ein freundliches
Lebewohl, es wird mir Muth geben zu
allen Entbehrungen, in allen Eiefah
reit." Nein ich habe kein Lebewohl für
Sie, wenn Sie gehen. Wer mein
Freund sein will, muß mich zuerst be
rücksichtigen. Ich erkenne die Rechte
dcr großen vJfitiic nicht an neben mei
nen Rechten."
Alia ! Sie wissen nicht, wie weh
Sie mir thun. Sie reiften eine Kluft
zwischen uns, wenn Sie auf diesen
Standpunkt beharren. Ter meine ist
und bleibt unveränderlich der, zu ar
deiten für die leibende Menschheit.
Sagen Sie, können Sie wirklich ruhig
bleiben, bei Ihren engen Interessen,
Ihren kleinen Freuden und Leiden,
wenn Sie dort, so nah, im Bereich ihrer
Hilfe Tausende und Tausende elend zu
Grunde gehen wissen?"
Ach," sagte Alfa mit einem müdem,
trostlosen Blick in's Leere, man muh
das Leben noch sehr lieben, wenn man
so übergroßes Mitleid mit ein Paar
Sterbenden mehr oder weniger haben
soll. Tie Tragik des TaseinS ist über
all und zu gleicher Zeit gleich groß.
Ich brauche ,'o viel Bitterkeit und Harte
gegen mich seit, dar, ich keine 2cnu
mnüiiinit für Andere mehr adrig habe,
las allgemeine ratienschicksal ver
langt, das; ich mein Herz mit Fußen
treten soll. I'lnt, ich habe es erstickt,
nun kommen Sie nicht und verlangen,
daß ich 'ür Andere ein suhlendes Herz
haben toll."
Alfa, ist das Ihr letzte Wort?"
Mein letztes."
Leben Sie wohl! Wenn ich wieder
komme" Wenn Sie wiederkommen, ist Alles
anders."
Bielleicht komme ich nicht n ieder"
Biellentit um so bester für Sie
und mich."
Leben Sie wohl!"
Er riß für einen Augenblick die
and des jungen Mädchens an die
brennenden Lippen, er sah sie mit
einem flehenden, heißen Blick voll See
lenaual an sie stand stumm und
regungslos, noch lauge, nachdem er ge
gange war, mit todten, leeren Augen
vor sich hinstarrend.
Acht Wochen ' spater saß Alfa am
Schreibtisch in ihres Baters Zimmer
vor einem leeren Blatt Papier und
wartete aus das Tiltat des alten Herrn,
der heute noch hinfälliger und gebeugter
in feinern Nrankenstuhl faß. Er be
gann endlich:
Lieber Schwager!
Bittere Nothwendigkeit zwingt mich.
Tich noch einmal um Hilse anzugchen.
Alle Bemühungen, die gekündigte Hypo
thek bis zum ersten Januar 1! z be
schaffen, sind gescheitert: ich muß die
Sache als hofsuungslos aufgeben. Ta
auch noch die rückständigen Zinsen vom
letzten Quartal zu zahlen sind, kommt
Hohcnlanden, das schöne, alte Farni
liengut, das Erbe meiner Bäter, nn
rettbar unter dem Hammer. Ich muß
als hinfälliger Kreis, mit einem Fuß
schon im Grabe, noch zum Wanderstab
greifen, und dieser Wanderstab ist ein
Bettelstab. Aber nein, Tu wirst es
nicht dahin kommen lassen, daS An
denken an die Beglichene, an meine
Schwester, wird genügen, Teilt Herz zu
erweichen "
Bei diesen Worten legte Alfa die
Feder energisch nieder, während Seelen
quäl sich in ihren Zügen malte.
Papa," sagte sie leise, aber fest, es
ist umsonst. Tas Andenken an Tante
Malwine wird nicht genügen: Tu
weißt, er hat sie zuletzt beinahe gehaßt.
Teinetwegen, weil sie ihn stets zn
Opfern zwang. Tu demüthigst Tich
umsonst vor ihm. Er wird Tir nur
mit Beleidigungen antworten. Thue
es nicht, ich'bitte Tich."
So?" fuhr der alte Herr mit tiefer
Gereiztheit auf, weißt Tu einen an-
deren Borschlag, einen anderen Aus
weg '."
Alfa preßte einen Augenblick beide
Hände gegen die Stirn. Tann sagte
sie ruhig mit klarer stimme, während
sich um ihren kleinen weichen Mund
herbe Linien legten:
Porläufig nein. Wir können je
doch bis zum äußersten Termin war
ten." Tann ist es zu spät."
ES wird nicht zu spät sein, Gras
die'er Nacht kam kein Zchlaf in
c tas, ant intern vager
müden
ugeir.
ihre
und starrte wieder mit todte
Augen in' Leere.
Endlich erbob sie sich und suchte lange
unter ihren Büchern, bis sie einen klei
nen Band, die Psalmen Tavids, fand.
Sie schlug den neunzigsten Psalm auf
und las die Stelle:
Tetin taufend Iabre sind Vor Tir.
wie der Zag, der gestern vergangen ist.
und wir eine Nachtwache. T.t Kniest
sie dabinfaliren wie einen Strom und
find wie Schlai: gleichwie ein (tos.
das doch bald well wird. Tas da
frühe blühet und bald welk wird, und
des Abends abgeliauen wird und ver
dorret." Weiter las sie nicht, sie hatte den
Trost gefunden, den sie stichle.
Wie ein Strom," miedet belle sie
träumerisch, wie ein Schlaf, es
rauscht vorüber wie ein Strom es
wird bald vorbei teilt!"
Sie legte das Büchlein fort, und ihr
Haupt sank aus das Kisten. Und
immer wiederholte sie sich wie ein
Strom", bis ihr war. als ob der ge
waltige Strom alles Lebens reißend
über sie hinweg slutliete und sie mit
forttrüge in ben-Czeatt der Ewigkeit.
Teqen wartet auf mich, so lange iei)
will."
Ich möchte cs Tir gern ersparen,
Tiel) an den Krüppel zu verkaufen,
mein armes Kind. Lieber möchte
ich "
Alfa machte eine abwehrende Hand-
uuin'guiii(. . uji gut ein, -e-apei. vj
bleibt sich gleich. Lieber heiratheic ich
gar nicht, aber da cs doch einmal sein
muß, ist Graf Tegen der passendste
Mann für mich. Er ist sehr reich und
sehr vornchm. Tas ist Alles, was ich
brauchc."
Herr von Berdcn warf einen besorg
tcn, nachdenkliehen Blick auf seine Toch
ter. aber die Berzweiflung war bereits
aus seinen Zügen verschwunden.
In dicscin Augenblick meldete ein
eintretender Dienstbote den Besuch des
Grafen Tegen. Herr von Berdcn be
grüßte den Gast mit einer Herzlichkeit,
die einen Anstrich von Ucberschwäng
lichkcit hatte. Alfa mit stummer Ruhe
und Zurückhaltung, ohne unliebenS
würdig zu erscheinen.
Gras Tegen hatte das scharf mar
kirte. ältliche Gesicht eines Krüppels.
Ein Klumpfuß zwang ihn, stcts an
cinem Stocke zu gehen, den er daheim
mit einer Krücke vertauschte. Er war
klein und hattc cincn Höcker auf dem
Rücken.
Wissen Sie schon das Neueste?"
rief er nach kurzer Begrüßung mit
cincm scharfen Seitenblick auf Alfa.
Heute erhielt ich die Kunde, daß unser
Toktor Rcynold citiern typhösen Ner-
vensieber erlegen ist, nachdem er die
Gefahren der Ebolera glücklich über
standen hatte. Er sott sich aufgericbcn
haben im Tiettste der Krankenpflege.
und war bereits seit einiger Zeit selbst
im Hospital. Sehade um ihn, sehr
schade! begabter junger Mann, ange
nehmer junger Mattn."
Wieder ein forschender Blick aus
Alfa: auch Hcrr von Bcrdcn sah angst
voll aus dic Tochtcr.
Alia blieb vollkommen ruhig, wah
rend Herr von Bcrdcn in Lanicntatio
nett ausbrach. Sie erkundigte sich nach
den Einzelhciicn dieser Nachricht, die
Grat Tegen jedoch nicht geben konnte:
er wußte nur die Thatsache. Tann
führte sie, wie gewöhnlich, die Unter
Haltung mit Graf Tcgcn, ohnc eine
Gemüthsbewegung zu verrathen.
Eine glänzende Gesellschaft war im
Kasino des Landadels, in der lleinen
Garnisonstadt K. versammelt. Matt
feierte den Svlvcsterabend mit einem
Ball.
Wenige Tage vor Weihnachten hatte
die Berlobung des Grafen Roderich
Tegen mit Alfa von Berden Aufsehen
in diesem Gesellschaftskreise erregt, und
das erste öffentliche Auftreten des Braut
Paares auf dem Shlvefterball war die
Beranlafsnng des vollzähligen Erfchci
netts des ganzen Kreises.
Ter Ball hatte bereits begonnen, als
Gras Tegen mit seiner Braut und seiner
alten Mutter den Saal betrat. Alfa
und ihr Bater waren zum Neujahrsfest
Gaste der alten Gräfin Tegen auf
Schloß Lubbock. Herr von Berden be
suchte jedoch seines Leidens wegen keine
öffentlichen Feste mehr, und war in
Lubbock zurückgcblicbcn.
Alfas Erscheinung erregte Aufsehen
im Ballsaal. Mau hatte sie lauge Zeit
nicht 'gesehen, da sie sich mit ihrem
Baker von aller Geselligkeit ferngehal
ten hatte, und nun war man über
rafcht, was aus dem einst tindlich lieb
licheu Madechen geworden war: eine
Schönheit, von der ein seltsamer Zau
bcr ausging. Es war etwas in den
feinen blassen Gesicht mit den ruhigen,
dunllen Augen unter der Flechteitkrone.
waö man nicht gleich ergründen konnte,
und was mehr reizte und anzog, als dic
seltene Anmuth der schlanken, stolzen
Gestalt und dcr cdcl geschnittenen Züge.
Aber die Menge hielt sich nicht dabei
auf. den seelischen Zauber dieler Züge
zu enträthseln, sie bewunderte nur das
schöne Weib, dem das schimmernde,
weiße Seidcngewand zur prächtigen
?volie diente.
Graf Tegen war etwas laut, und
forcirt in feiner Eigenschaft als glück
licher Bräutigam, Tas Peinliche der
Situation, sich mit citier tigtmilichett
Gestalt neben einer solchen Braut der
Kritik der Gesellschaft zn präfetttircit,
schien alle seine Nerven anzuspannen
und aufzuregen. Und doch hielten
Stolz und Glück dieser Qual das
Gleichgewicht, und mit heimlicher
Wonne beobachtete er jeden großen
und kleinen Triumph, den Alfas
Schönhcit feierte. Er tanzte selbstver
stündlich nicht, doch mußte sich Alfa sei-
nein Willen fügen und an dem Tanz
thcilnchmcn.
Tic Mittcruachtsstundc nahte, und
man tanzte den Koiillon. Eine neue
Tour hatte soeben begonnen. Alfa
wurde von ihrem Tänzer vor dic gc
schlosscnc Porticrc einer Saalthür ge
führt, hinter wclchcr kitte Rcihe von
Herren vorübcrschritt. Wer von den
Hcrrcn ihr gcgcnübcrstchcn würde in
dem Augenblick, wo sie die Portiere
hob, mußte mit ihr tanzen. Tie Musik
intonirte soeben die Heimliche Liebe",
Alfa zögerte einen Augenblick, aller
Augen waren mit Spannung auf die
Portiere gerichtet.
Ta rauschte die Porticrc ans ein
andcr, Alsa hatte die Schnur gezogen,
dock) mit einem gellenden Schrei taumelte
sie zurück.
Und dicfer Ausschrei pflanzte sich
fort durch den ganzen Saal in einem
einzigen Ruf des Stauncus und
Schreckens.
In dem Rahmen dcr Thür stand cine
bleiche Gestalt, dic sich unheimlich gegen
den dunkleren Hintergrund des Gc
maektes abhob Toktor Reynold.
Graf Tegen crschicn bei dein Auf
schrei seiner Braut hinter dcr Porticre
dcr gcgenübcrliegcnden Thür. Tie Ge
sellschaft drängte in hcftigcr Aufregung
der fragwürdigen Erscheinung entgegen,
und die Musik verstummte. Alfa hatte
nach dem ersten Schrei wie erstarrt gc-
standen.
Tr. Rcynold war in großer Er
regung näher gckommcn! cr faßtc nach
Alfas Hand und fragte: Habe ich Sie
erschreckt?"
Ehe sie antworten konnte, war er
umringt und von allen Seiten mit
Fragen bestürmt. Ter Irrthum klärte
sich nun auf. Tvllor Rcynold hattc
lange Zeit an typhösen Nervcnficber in
cincm Hospital gelegen und war dann
in cinem Zustand gänzlicher Apathie
an einen Luftkurort gebracht worden,
wo sich seine erschütterten Nerven laug
sain erholten. Aus dem Ballsaal crsuhr
er zu seinem Erstaunen, daß man die
Nachricht von seinem 2eoe verbreitet
habe. Er war erst vor einigen S tun
den in K. eingc!ro'f, n. und da er von
dem Feit im Kastno borte, zu denen
Mitgliedern er zablte. Hatte er sich sonnt
bort'.! in begeben, um Freunde und Be
kannte zu begrüßen.
Tie Mitternachtsslunde schlug. Alles
drängte sich mit gestillten Matern in
den Saal.
feierlicher t'!lvckenton verkündete vom
nahen Kirchtlmrm den Beginn des
neuen Iabres! Posaunen setzten daraus
ein zu einer Jubelt t) tine in getragener,
brausender Melodie.
Taun wurden draußen in der Stadt
Böllerschüsse laut. Fröhliche Zurufe
von der Straße tonten in die gegen
seitigen '!liickirünsche der Ballgefell
sch.n! hinein.
Alia hatte ant Arm ihres Brät!
gams das neue Jahr erwartet. Er ließ
sie nicht von seiner Seite. Sie halten
sich etwas aus dem dicht gedrängten
Krei'e zurückgezogen und waren in eine
Fensternische getreten. Ihre dunklen
Augen hingen träumend am Nacht'
Himmel.
Wie ein Strom wie ein Sehlas."
Tiefe Worte gingen ihr durch den
Sinn.
Alsa bat bald daraus ihren Bräuti
gant, mit ihr nach Hanse zu sahren. sie
suhle sich ungewöhnlich ermüdet. Er
willfahrte gern ihrem Wunsche und vcr
ließ mit der Braut das Fest, als dasselbe
erst recht heiter und lebhast zu werden
antinq.
Hcrr von Berden hatte unterdessen
einsame und trübe Stunden in Schloß
Lubbock verlebt. Taö Qpfer seiner
Tochter hatte ihn zwar vor dem Ruin
und vor Heimathlostgkeit gerettet, doch
ihn drückte die Sehwere dieses Opfers,
Er ahnte, daß AlfaS Heirath mit Graf
Tegen einen Scclenverkauf fiir sie be
deute, schlimmer als der Tod.
Tie Liebe zu seiner Tochter war das
einzige Glück in dem Leben des alten
Mannes, doch es war eine Liebe auf
feine Art, stark ans Eitelkeit und Selbst
sucht gegründet. In seinen Augen
Minute Alfas Qpfer nicht iiberschwäng
lich genug belohnt werden, und seiner
Meinung nach mußte Gras Tegen den
Staub von ihren Fußsohlen küssen da
fiir, daß sie sein Weib wurde.
Es hattc sich jedoch vom ersten Augen-
blick der Berlobung an gezeigt, daß der
Graf nicht der Mann war. sich zu un
tcrschätzeu. Er ließ den alten Herr
mit einiger Rücksichtslosigkeit fühlen,
daß er in feiner bedürftigen Lage nicht
berechtigt sei. Gesetze vorzuschreiben.
Auch verlor er, trotz aller Leidenschast,
dcr schönen Braut gegenüber nicht den
Kopf. Als ,nerr von Berdcn eine glan
zcitdc Sicherstellnng der Zukunft feiner
Tochter verlangte, mit einem Wort, daß
der Gras sie zur alleinigen und unab-
hängigen Erbin seines Bermögens ma
chen und ihr bei Lcbzcitcn jährlich cine
große Stimme zur freien Bcrfügung
aussetzen solle, crsuhr cr von dem tünf
tigen Schwiegersohn dic kühlc Zurück
wcifuttg. daß er nach cigcnctit Ermessen
handeln wollc. In dcn solqcttdcti Ta-
gen nach dieser Unterredung hatte der
Graf mit seinem Notar sein Testament
gemacht, von dcstcn Inhalt .crr von
Bcrdcn jedoch nichts erfuhr.
Tcr Grimm darübcr wühlte und
kochte nun in dcnt Hcrzcn des alten
Herrn, in dein sich ein heimlicher, ohn-
mächtiger Hat; gegen den Schwieger
sohn ansammelte. Tie Wuth schüttelte
ihn förmlich, wcnn er dachte, daß dieser
Krüppel seine schöne, herrliche Tochtcr
besitzen würde, ohne für diesen Besitz
dcn höchsten Preis zu zahlen.
So saß er in seinem Krankenstuhl
am Kaminfeucr in seinem prächtig ans
gestatteten Schlafgcntach in Schloß Lud
bock, brütend und grübelnd, wie er den
Inhalt des Testaments erlangen könne,
um danach feine Handlungsweise bc
stimmen zu könncn.
Er hattc zusüllig erfahren, daß Graf
Tcgcn eine Abschrift des Testaments in
dem Sekretär feines Arbeitszimmers
aufbewahre. Blitzschnell tauchte der
Gedanke in ihm ans, daß die Zimmer
dcs Grasen unter seinem eigenen chlaf
gcmach in demselben Flügel dcs Schlos
scs lügctt, und daß sich zur Zeit keine
Meuschcnsccle außcr ihm aus dicscr
Seite dcs Schlosses befände. Tic ge
sniumtc Ticttcrfchaft hatte sich zur Syl
vcstcrfcicr bei dcm Hausmeister int Erd
geichoß dcs Schlosscs versammelt: Graf
Tcgcn würde mit den Tanten erst gegen
Morgen vom Balle hcimkchrcn was
hindcrtc ihn also, cincn Versuch zu wa-
gen, sich mit dem Inhalt des Testaments
bekannt zu machen l Wer würde cs cr
fahren, wcnn er heimlich das Testament
läse, eö heimlich wieder an seinen Platz
legte? Tie Schwierigkeit, den Sekretär
zu öffnen, existirie nicht. Gras Tegen
wußte nicht, daß er das Geheimniß
kannte, dcn ckrctär ohnc chlustel
durch den Trnck einer verborgenen Feder
zn öffnen.
Es halte bereits ein Uhr geschlagen,
als Herr von Bcrdcn in cincm Eichpelz
uithörbar aus seilten großen Filzschuhen
langsam die Treppe hinnntcrhumpelte,
nach den Gcmächcrn dcs Grafen, ein
Licht in dcr Hand. Er hattc das
Schlafzimmer dcs Grafen zu pasfircn
mib ließ die BerbiudungStkür nach dcnt
Privatkabinct offen, in dein sich außer
dcm Sckreiär nur Akten und Geld
schränke befanden, und welches keinen
anderen AnSgang hattc.
Es gelang ihm, dcn Sckrclar ohnc
Schwic'rigkcilcn zn öffnen, und nach ei
nigem suchen tano er oic vpir ve
Testaments und beim Lesen desselben
seine Befürchtungen bestätigt. Ter oin
hatte, im I'tui,I der Eit.tiucht. daß
seine schöne 0at!in nach seinem mög
lichen trübere,! Ableben als reiche Erbin
baldigst eine Neigi,ngsbeirat!i eingeben
würde, dies zu vereiteln gesucht, indem
er die Erlnchati. sall? Nachkommen da
wären, mit strengen Bedingungen vet
Ilaunilirte. und im Falle er kinderlos
stürbe. Alia aus das Pt!ich!be,l setzte,
wahrend teilt großes Bermogen einem
Neffen zunel. Blaß und bebend vor
Wuth war Herr von Berden gänzlich in
die Lektüre des Aktenstückes verliest.
Plötzlich betrat der !'!r,ts sein schlai
zi miner.
Einen Augenblick blieb er wie gebannt
aus der Schwelle, als er die halboffene
Tbiir seines Privat Kabincis und Liait
in demselben gewahrte. Sein erster
bedanke war: Weldktnank und liehe!
Ter b!tas war zwar ein Krüppel,
aber er belaß Muth und Unerschrocken
heil. Er überlegte, daß die Tiebe ent
kommen würden, bis er die Hilfe der
Tiencrschait herbeigeholt hatte, und so
ging er mit schncllci Entschluß ach
dem Rcvolvcrkasteit vor seinem Bett,
nahm einen sechsläungen Revolver her
aus und begab sich geraden Wegs mich
der halboffenen Thür.
Tas geschah so behutsam, daß Herr
von Berdcn unter seiner Pelzkappe die
Ankunft des Mrinen gar nicht bemerkt
hatte. Erst ein Geräusch unter der
Thür ließ ihn aus seiner über das Licht
gebeugte Stellung emporsahren. Sein
erster Gedanke war, das Licht auszu
I tischen.
Wer da? Tieb!" rief der Gras, der
unter der Pelzmütze und in dein alten
Mantel seinen Schwiegervater nicht cr
lannt hatte. Mit vorgestrecktem Revol
ver schritt dcr 0!rat' aus ihn zu.
In dicscr (Gefahr faßte der Bedrohte
schnell cincn Rcttnngsplan. Es galt dcn
Bcrsnch, unerkannt an dem Gegner
vorbeizukommen. Tcn Pelzkragen' lies
über das Gesicht gezogen, nahm er einen
vcrztvciseltcn Anlauft dcn Grasen über
den Haufen zu werfen.
Aber er erfuhr einen unerwarteten
Widerstand. Mit eiserner Kraft krallte
sich die Hand des Grafen beim Falle an
ihn sest und riß ihn mit zu Boden.
Ein kurzes Ringen begann. Herr
von Bcrdcn raffte sich empor und stürzte
der Thür zu, aber der Krüppel hing
an dcn Falten seines Mantel und
wurde von ihm einige Schritte mitgc-schient.
Ta tiel der Mantel zn Boden! Mit
Entsetzen starrten sich beide Männer in
einem Angcnblick dcs ErkeitttcnS gcgcn-
seitig in dic verzerrten Gesichter.
Einen Augenblick und blinde Wuth.
ein wttoer, toottichcr atz loderte im
Herzen des alten Mannes empor. Ti
er nippet wollte an lcnt elendes Ta-
sein das schöne Wcib fesseln, ohne dcn
höchsten Preis dafür zu zahlen! Und
vor diesem Elenden stand er nun ent
ehrt, gcbrandmarkt. wic ein gemeiner
Verbrecher! Tie Tragweite feiner
Handlungswciie kaut ihm plötzlich zum
Bewußtsein und machte sein Blut
sieden.
Im Wahnsinn des Hasses und der
Verzweiflung riß er dem vor Schreck
erstarrten Grafen den Revolvcr aus dcr
Hand und richtete gegen ihn dic Waffe.
Zwei Schüsse krachten!
schwer und dumpf sicl dcr Graf
zurück. Noch einmal raffte cr sich vorn
Bodcn ctnpor. mit weit aufgcrisscncn
Augen und wildern Blick.
Mörder, Mörder!" tönte es von
seinen blutigen Lippen.
Tann brach er in seinem Blut zn
sammen. Stumm, rcgungslos stand dcr Alte
vor seinem Qpfer.
Tcr Sturm dcr Leidenschaft hatte in
ihm ausgetobt.
Tie Folgen seiner That standen ihm
klar vor Augen. Er hatte sein Leben
verwirkt. Sich vor Schmach und Kcr
kcr, und sein Kind vor Schande zu
retten, gab cs noch ein Mittel! In
dem Revolvcr stccktcn noch drei Schüsse.
Ein erneuter Knall und dcr alte Mann
lag entseelt neben dem jungen.
Um die Mauern des Schlvffcs wch-
klagte der Wind und der Neujahrsntor-
gen dämmerte über seinen Zinnen.
Tas alte Jahr war hinabgesunkcii
in dic uncndlichc Ticfc dcr Vergangen
hcit. Ein Tropfcn mchr in dcm Qzean
dcr Ewigkeit, in dic Erdnijahrtauscnde
hincinraufchen wie ein Strom und aus
ihren Wogen die Todten hinübertragen
in das unbekannte Land, die todten
Völker, dic stcrbcndcn Generationen,
dic welken Blüthen und fallenden Blät
tcr vom Baum dcs Lebens, die da frühe
blühen und Abends abfallen und vcr
dorren. Ter furchtbare Tumult, den dieses
Ereignis! auf Schloß Lubbock hervor
gcruten, hatte sich gelegt. Tie alte
Eirafin war erkrattlt und unter ärztlicher
Pflege. Aerzte und Gcrichtspcrlonci,
herrschten im Schloß.
In stummer, thränenlofcr Besän
bnng saß Alsa bei dcr Leiche ihres
Vaters, wie cs schien, von Allen vcr
gcffcn und gemieden, ja fast verab
scheut, als die Ursache des entsetzlichen
Unheils.
So traf sie Toktor Reynold. Er
nahm ihre kalte Hand und sagte ruhig
und milde: Kommen Sie. ich bringe
Sie zurück nach Hohenlanden."
Alfa deutete auf den todten Vater.
Ich kann noetz nicht fort."
Man wird ihn nach Hohcnlandctt
bringen, sobald das Eiericht es gestattet.
Kommen Sie."
Ai'et ließ sich in ihren Mai.
hu!!,,!.
In der Täm,itcriin.g des NeujaH:
morgens hielt ein Wagen im d,
Schloßporlal. Tokios Relmold h
Aha hinein und folgte ihr. Er Hüt
ne folglich in warme Tecken: wie
wi.lcnlaies, müdes Kind lief-, sie H
nrnt i int I, Ivttt.. 5,'..il . I...f4,4
.1 i,n iiuiii. ' 1 1 1 1 :'uü u. in. im
im Wagen wahrend der , !!, aus der
Landstraße ticies Schweigen. Ueber
deut 'lachen Land hingen leichte Nebelschleier,
BI vlillch aiihi , in eiiiiicr Vnitlunch
über die dnune -chneedecke der Acker
iiii.mn, i'ic sramunu'ai'pein am ee
ranellen und klapperten wie im Fre
schauer und die Tammcrung wi
einem todten, graue Lickü, in dem a!
Gegenstände farblos und gespensti'
aussahen. Toch allmählich verschob
sich die grauen Nebelwände in, Cste:
eni goldener Streis zeigte sich wie ei:
Spalte, durch die b:ld ein rosig
Lichistroin flnlhcte. Alles gewa!
Farbe, Leben, Bewegung: die Soli
ging auf in siegender Pracht,
Tie Neuiahrssoune!" sagte Totl,
Rcynold leite zu seiner Begleiter!
deren Hand sich heim onuciiaufga:
mit der seinen vereinigt hatte. ES
dieselbe Sonne, vor der Iahrtaufen
vorübergegangen sind, wie ein Strot
vor dcr der Menich ist wie 'ia,'
der Wind darübcr gehet, ist es niini
da. und seine Statte kennet cS n
mehr."
ano 1,1 auo innren tie der ni
gehenden onue entgegen. cw Ivu
ien, oa,z icniens von ov und Oira
auch ihnen eine conne ausgehe
wurde: die Morgeiuonue des Gliiefes,
.-..l fc.,-- r;.. ,.: : j.i ..
"! v? in- viviiniiimg ueijiajiii
hatten.
Sie wußten, daß sie stets zn einander
geHort hatte und daß nichts ie ttieb
trennen konnte.
Tie Waffer der Trübsal und
waren ihnen bis an die See
gangen, jetzt sahe sie im 01K,
Neni,ahrsloiie von fern den tlseiji rei
fen eines blühende. foiiigen Landes
schimmcrn. dcS Landes ihrer Hoffnung.
furchtbare Rache!
Ter Komitee Kastcnzieher eine
Hauptstütze dcr klciitcn Schauspiel
truppc machte sich ein Vergnügen
daraus, in seinen Rollen dcr Rcihe
ach die Bäter dcr Stadt zu kopircn.
Tcn Bürgcnncistcr hattc das bisher
ricsig belustigt bis Kastcnzichcr ihn
uibuu; um -aiiijf; iuu (iiiy oic
Bühne brachte und zwar in einer so
vorzüglichen Earicatur, daß er allgc
meinen Beifall erntete.
Jetzt ivar das Stetdtoberhaupt
wüthend, und am Abend fand beim
goldenen Krügl" im Nebenzimmer
große Verschwörung aller Gekränkten
statt. Pläne wurden geschmiedet und
vcrwvrscn: endlich fand' man das Rich
tige. Tas sollte den kecken Frevler ,in
die 'eelc treffen!
Am nächsten Sonntag war Ko
zieher s Beneficc angesagt und er
i lim- uiu zi (jiniuimuc. vr ii raieu
Abend mm sollte keiner der Herrn i
-iiiuu'i er, meinen, or einem teere:
Hause sollte drr kecke Spöster spiele:!
müssen.
Mi aucn onoratiorcu wurde dct
Beschluß herumgcsagt die Strafe
mußte eine fürchterlichc wcrdcn.
Tcr Bürgermeister lachte hämisch, als
er sich am Sonntag !orgcn das lange
Eicsicht vorstellte, das! Kastenzieher heute
Abend machen würde. Ticsc enttäusch
tcn, gefolterten Vcicncn anzusehen,
wäre eigentlich der,' höchste, raffittirtcste
Genus;,' dcn man sich nicht cntgchcn
lassen sollte.
Gesagt aetihnn! eimlick ließ sich-
.rtv u . : ,u:(f.i ...
imi -i.'uu(t-uiuiitf im iuei u c unten
und betrat damit Abcttds voll voshaftcr
Erwartung dcn Ähcatersaal.
Aber welch' Mnttetzcn! Lautes Stim
mengewirr schliig an sein Qhr, Kopf an
Kopf wen das) Theater gefüllt. Alles
ausverkauft! Nlnd in den vordersten
Reihen Ma nn für Mann mit der-
blufften Gcsitcrn sämmtliche Vcr-
schworcnc! Ni,t Einer fehlte! Icdcr
von Ihnen hi'ttc ezcdacht wie dcr Bür
gcrmcister und sich, gleich ihm, feinem
Triumphes stauen wollen.
jtn nein e ner.vner tinn nein 'j nn trr.
!..(,. f..,. .' ... ..... ... .
iiuiiu ium, um -.nie luisueuuu'iicr uc
spielt haben wie anVdiesetn Abcnd.
Ungleich vertheilt.
Königin Wilhclmine von Holland ist
aus Anlaß ihrcr Krönung bekanntlich j
vom deutschen Kaiser zum Ehcf der
'Wandsbecker Husaren ernannt ii en
u a s..... ti oi .
','" I in niiu; ueu k. 'Jl. Vi.Went
affUlch lolgcndc hubfchc Vcrßf
diehtct:
Tcn, holdcn Holländer Königskind
'Mit seine achtzehn Jahre
Tein schenkte der Kaiser als Attgebind!
Ei Regiment Husaren. ' j
Ta seufzte manch' Mägdelein
Bliets
Qb all' dcr Reiter und Pferde:
Wie sind doch dic wahren Güter d
Glücks
So ungleich vertheilt auf der Erde
Tie Eine kriegt sast achthundcrt Stiie
Husaren es ist zum Weinen !
Tax war schon der winziaste Licnte
nant ein Glück
Toch mir schenkt der Kaiser keinen."
luitbctvrMiitbc
retestor der Philoiophic: Ter Ge ,
ist die Wurzel und dic Fran die Qu,
dratwurzcl alles Uebels!"
flf
..
naiie: