Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 11, 1898, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Nach dem Tode gerächt.
Erzählung aui dem amtkikaniichkn
von crn C. harlol.
Lebcn
An einem milden Lpriltage deSJshreS
1876 faß lkxanvkr X. Ktewart, der
Chef und allkinigt Inhaber des seinen
Namen tragenden Nem Vker Welt
aeschafte. in seinem Privatbureau.
welcde sieh im ersten Etcckmer! deS von
ihm erbauten, sowohl an Ausdehnung
wie lururiöser Ausstattung damals
ro& unübertroffenen Kaufhaus'S tt
fand.
Zveitausend Angestellte waren in
diesem Gebäude beschäftigt; überall in
den Neuenglandftaaten erhoben sich die
Fabriken Etewart. und sür den Ver
schleiß der Waaren, welche ne produzir
ten. sorgten außer dem New Yorker
flaust Agenturen in Glasgow. Belfaft.
Paris. Lyon und Berlin. Doch auch
in Hongkong und Tibet besaß Stewart
eigene Geschäfte. Seme Handelöde
liehungen umfaßten die Welt; er hatte
Schiffe in jedem Hafen und besaß unge
heuren Landbesitz in den Vereinigten
Staaten. Sein Gesammtvermogm be
lief sich auf fünfzig Millionen Dollar,
Doch an jenem Tage, als Stewart in
Betten und Decken gehüllt m einem an
modischen, weitarmigen Ledersessel
lehnte, da Haupt mit dem kurzgeschnit
tenen weißen Vollbart und dem leichen
sarbenen. verfallenen Geftcht kraftlos
auf die Bruft gebeugt, unfähig, die ge
schwollenen Füße zum Gehen zu be
wegen, ein mit dem Tode ringender.
siebzigjähriger GreiS da mochte er
wohl den Unwerth irdischen Besitzes, die
lächerliche Narrhett unersättlicher mensch
licher Geldgier erkennen?
Ein anderer vielleicht nicht Alex
ander T. Stewart, nicht er, dessen
ganze? Leben der Eroberung von Dol
larS und Cents, der Erbeutung deS Be
fitzeS anderer geweiht gewesen war.
Nein, eS war und blieb der Geldmensch
bis zum letzten Athemzuge. Gegen den
Willen der Aerzte hatte er sich heute nach
dem Broadway in sein Geschäftshaus
fahren lassen.
WaS war denn ihm im Leben un
möglich gewesen? Arm wie eine Kirchen
mauS war er vor nunmehr dreiund
fünfzig Jahren von Dublin in Irland
nach Amerika gekommen; aus einem
kleinen Handel mit Linnen und Spitzen
hatte er nach und nach fein Weltgeschäft
aufgebaut, alle Hindernisse besiegt, alle
Konkurrenten vor sich nieder m den
Staub geworfen; jedes Mittel war ihm
recht gewesen, seinen Reichthum zu vev
gröber.
Und dieser unbesiegte Stewart sollte
sich jetzt ohne Kampf unterwerfen und
niederbeugen lassen? Nein, nicht ohne
Kampf, nicht ohne dieser Krankheit
feine eiserne Willenskraft entgegenge
stellt zu haben.
Charley!
Ein schlanker jung?r Mann, der bis
her schweiMd an einem Schreibtisch ge
seffen hatte, richtete sich auf. .WaZ
wünschest Du, Onkel?" fragte er.
Laß mir die heutige Poft bringen
ich will sie erledigen. Der
Stenograph und die Maschinenschrei
denn sollen kommen."
Aber Onkel, Du bist so schwach,
Deine Krankheit "
.Ich bin nicht krank! Es ist eine
Lüge. Die Doktoren wollen nur Geld
aus mir herauZpressen. Ich will ar
beiten wie früher. Geh!
Charley Stewart, der einzige Ver
wandte, den der Handelsfürft in Ame
rika befaß, und den er, da feiner Ehe
Kinder versagt geblieben waren, in sein
HauS aufgenommen hatte, verließ köpf
schüttelnd daZ Gemach. Einige Minu
ten später kehrte er mit drei Angestellten
der Firma zurück. Ein mit Briefen
auS aller Herren Länder angefüllter
Korb wurde auf den Schreibtisch ge
stellt. Stewart ließ sich einige derselben
vorlesen und diltirte mit schwacher
Stimme die Antworten.
Doch kaum eine Viertelstunde ertrug
fein von der Krankheit untergrabener
Körper diese Anstrengung. Kalter
Schweiß rann von feiner Stirn herab,
die Lippen zitterten, das Sprechen
wurde ihm fast zur Unmöglichkeit. Er
mußte die Beamten wieder fortschicken.
Als er mit seinem Neffen allein war
und sich einigermaßen erholt hatte,
winkte er Charley zu sich heran.
.Ich werde im Laufe von einigen
Wochen sterben.' flüsterte er, ohne jedoch
irgend welche innere Bewegung zu der
rathen. .Vielleicht find mir noch Tage
gegeben ich weiß jetzt, daß ich Der
loren bin ich habe keine Willenskraft
mehr. Well, mein Testament ist ge
macht; ich habe auch Dich bedacht, sogar
reich bedacht zwei Millionen Dollars
bist Du zufrieden?"
.Ich danke Dir. Onkel "
.Danke nicht zu schnell. Ich werde
heute noch ein Kodizill verfassen, durch
welches ick Dich enterbe und die Dir
zugedachte Summe meinem Freunde
und RechtSbeiftand, dem Richter Henry
Hilton, übertrage."
Sprachlos starrt der Neffe den Greis
an. Redete der Kranke irre?
Sage mir die Wahrheit, Charley
komme näher sieh mich an o,
dieser kurze Aihem so; ich weiß. Du
bist ein ehrlicher Kerl, Du wirft mich
nicht belügen."
.Gewiß nicht, Onkel," versicherte der
junge Mann.
.Ist eS wahr, daß Du trotz meines
Verbote noch Beziehungen zu dem
deutschen Mäschen unterhältst?"
Die Wangen deS jungen Stewart
färbten sich. .Wenn Du die junge
Dame meinst. erwiderte er. mit der ich
seit einem Jahre verlobt bin. so ant.
worte ich Dir auf die Frage, daß ich
Klara Pfeifer nach wie vor sehe und
spreche.
Der Kranke legte den Kopf tiefer in
die Kiffen, seine grauen Augen suchten
die Decke.
.Weißt Du. daß ich die Deutschen
nicht leiden kann?"
.Ich weiß eS, aber Deine Abneigung
ist grundlos."
.Tu wirft sie heirathen?"
.3a."
.Auch wenn Du bettelarm sein
wirft?"
.Auch dann."
.Gut. Henry Hilton verdient bei
dem Geschäft mei Millionen.'
Charley trat zurück und schwieg,
Die Anaeleaenbeit. welche soeben in
wenigen Worten zwischen ihm und dem
Onkel erörtert worden war. bildete feit
zwei Jahren schon die Ursache einer
tiefgehenden Verstimmung in der Fa
mute. Der junge Stewart hatte ein
deutsche? Mädchen kennen und lieben
gelernt: Klara Pfeifer gehörte einer
guten Familie an ; ihr Vater war ein
geachteter Ingenieur . gewesen, hatte
jedoch sein ganzes Einkommen auf die
Erhaltung eines anständigen HauShal,
teS und die Erziehung seiner Kinder
verwendet. Als er plötzlich starb, fand
sich nur ein geringes Baarvermögen
vor. Klara mußte für die Mutter und
die jüngeren Geschwister sorgen und
that eS. indem sie die Stellung einer
Verkäuferin in dem Stewart'schen
Kaufhaus annahm. Durch ihre Schön
heit, Bildung und Tugend zog sie
Charley's Aufmerksamkeit auf sich, die
beiden jungen Leute lernten sich näher
kennen und lieben, und eine heimliche
Verlobung fand zwischen ihnen statt.
DaS LiebeSglück der jungen Leute
wäre wahrscheinlich dem vielbeschäftig
ten Stewart verborgen geblieben, wenn
nicht die ArguSaugen seines Freundes
und RechtSbeistandeS Henry Hilton eZ
aufgespürt Hütten. Hilton, der einen
unbegrenzten Einfluß auf Stewart be
saß, beeilte sich, ihm seine Entdeckung
mitzutheilen.
Am nächsten Tage war Klara aus
ihrer Stellung entlassen. Charley er
hielt eine strenge Verwarnung und den
Befehl, die Deutsche nicht mehr wieder
zusehen.
Ich will nach Hause." ließ stch der
ranke nach einiger Zelt vernehmen.
Laß meinen Wagen vorfahren."
Als ob zwischen ihm und dem Onkel
nichts vorgefallen sei, kam Charley m
nen verwandtschaftlichen Pflichten nach
und sorgte dafür, daß der GreiS mög
lichft sanft in einem mit Räöern der
sehenen Sessel nach dem Fahrstuhl e
rollt wurde. Dieser brachte ihn in den
Flur des Hauses, wo die elegante Eqm
Page feiner harrte.
Zehn willige Hände waren bereit.
den Kranken aus feinem Seffel in den
Wagen zu heben, doch ehe diese schaue
rige Arbeit vollzogen werden konnte,
ereignete stch ein wunderlicher Zwischen
all. '
Ein ärmlich gekleideter Mann drängte
sich vor, blö er dem Chef deS Handels
haufeS gegenüberstand.
.Guten Morgen, Mr. Stewart!"
ernte er vertraulich; .es freut mich,
Sie endlich wiederzusehen."
Guten Morgen, Sir!" erwiderte
der Kranke. Sie wünschen mich zu
prechen?"
.Ja. Mr. Stewart in Geschäf
rn."
Well, wag steht zu Diensten?"
So krank und hinfällig der Greis
war, so sehr er sich im Moment auch
nach Ruhe sehnte, so unpassend der Ort
sür eine Unterredung sein mochte
Alexander T. Stewart wollte feinen
Leuten nicht zeigen, daß er in Geschäf
ten nicht mehr Rede und Antwort stehen
könne, er wollte beweisen, daß er bis
zur letzten Minute fein vorzüglichstes
Prinzip hochhalte, jedem, wer eS auch
immer sei, eine Unterredung gewähren.
Anders schien Charley zu denken.
.Ich bitte Dich. Onkel." rief er
haftig, .laß Dich von diesem Mann
nicht aufhalten und höre ihn nicht an.
Er ift ein Narr, der seit fünf Jahren
in regelmäßigen Zwischenräumen Dich
zu sprechen begehrt. Ich habe ihn oft.
ohne daß Du eS wußtest, abgewiesen."
.Ich kenne den Herrn," erwiderte
Stewart; ich vergesse niemals das
Geftcht und den Namen eines Menschen,
mit welchem ich schon ein Geschäft ge
macht habe."
.Wenn Sie die Wahrheit sprechen,
Mr. Stewart," fiel ihm der Fremde
in'S Wort, so werden Sie auch wissen,
daß Sie mir noch fünfundzwanzigtau
send Dollars schulden. Seit fünf Iah.
ren suche ich vergeblich diese Schuld von
Ihnen einzutreiben."
.Sie irren, Sir." antwortete der
Kranke ; .Alexander T. Stewart zahlt
jeden Posten baar oder innerhalb drei
ßig Tagen. Doch hiervon abgesehen
wenn ich nicht irre, kaufte ich Ihre
Fabrik und zahlte den bedungenen
Preis. Ist das so?"
.ES ift so ; aber Sie kauften mein
Eigenthum, nachdem Sie mich ruinirt
hatten. Sie bestimmten selbst den
Preis, der so lächerlich niedrig war,
daß kaum die vorhandenen Vorrathe
bezahlt waren, nicht aber die Maschi
nen und das Gebäude. Sie haben
mich um fünfundzwanzigtausend Dol
larS geschädigt, und Sie werden mir
diese Sumwk bezahlen."
So sicher und bestimmt wurden diese
Worte gesprochen, daß selbst Stewart
einen Moment betroffen war. Er slo1
die Augen und dachte nach.
.Ich werde keinen Cent zahlen." lau
tete dann seine Entscheidung. .Hebt
mich in den Wagen. Leute
Mit größter Schnelligkeit wurde der
Vcseh! deS MillionülS tvu0t)eü; eine
Minute .später saß er im Seidenpolfter
seiner Equipage. Charley ihm gegen
über.
Da bahnte sich der sonderbare Mah
ner mit wildem Ungestüm den Weg bis
zu dem noch nicht geschlossenen Kutschen
schlag. Drohend erhob er die Fau
und rief: .Du bift ein Lügner,
Stewart. Du wirft mir mein Geld
bezahlen. Zins und ZinfeSzinS. Ich
weiß, ich werde Dich nicht mehr lebend
wiedersehen, doch gleichviel, wir ordnen
unser Konto, das schwöre ich Dir !'
.Faßt den Unsinnigen und bringt
ihn zur Polizei!" rief Charley ent
rüstet.
.Nein laß ihn." stöhnte Stewart
von der Schwäche und vielleicht auch
von der Erregung überwältigt, .laßt
ihn unbehelligt: eS war eine Ge
schüftSsache aber ich werde keinen
Cent bezahlen!"
Dann waren seine Kräfte zu Ende.
und der fünfzigfache Millionär fiel aus
Mangel an ein wenig Luft in Ohn
macht.
Acht Tage nach dieser letzten geschäft
lichen Unterredung, die er geführt hatte,
schloß Alexander T. Stewart die Augen
zur ewigen Ruhe. ES war am 10.
pril 1876. Drei Tage später beftat
tete man seinen Leib auf dem Kirchho
der alten St. Markkirche, die zu New
Aork an - der zürnte Aoenue und
10. Straße belegen ift.
In einem Backstemgewölbe von zwö!
Fuß Tiefe ruhte der Millionär in silbcv
beschlagenem Sarg.
AIs in einem der prächtigen Zimmer
deS HaufeS, das er bewohnt hatte, sein
Testament eröffnet wurde, zeigte eS stch,
daß er seine Frau Kornella zur Umveo
salerbin eingesetzt hatte. Richter Henry
Hilton erhielt laut einem wenige Tage
vor seinem Ableben errichteten Kodizil
zwei Millionen Dollars. Charley
Stewart, der einzige Trüger selnes Fa
miliennamenS, fein einziger Verwand
ter, ging leer aus.
Frank Parker, der Hülfsküster der
alten St. Markskirche, machte einen
Morgenspaziergang über den zu seiner
Kirche gehörenden GotteSaaer.
DaS Wetter war einem Aufenthalt
im Freien nicht sehr günstig.
ES war ein trüber Novembermorgen;
am vorausgegangenen Abend hatte eS
geregnet, dann war um Mitternacht
Schneefall eingetreten. Die Luft war
überaus rauh, und schon wollte der
Küster wieder nach seinem Hause zurück
kehren, als ihm emc Anzahl Fußspuren
ausfielen.
Parier nutzte, r wume, da eine
Beerdigung auf dem Friedhof gestern
nicht stattgefunden hatte, noch war deS
schlechten WetterS wegen der Besuch der
Gräber kein wesentlicher gewesen. eS
mußten also während der Nacht Unbe,
fugte auf dem Kirchhof gewesen sein.
Kopfschüttelnd verfolgte der Küster die
Fußspuren: sie fährten nach der ihm
wohlbekannten Stewart schen Familien
gruft.
Ein Laut deS Schreckens entrang sich
den Lippen des ManneS, als er, an Ort
und Stelle angelangt, gewahren mußte,
daß das unterirdische Gewölbe, in wel
chem man die Ueberreste deS Millionärs
beigesetzt hatte, erbrochen und die Leiche
Stewarts aus ihrem Sarge geraubt
worden war.
So schnell ihn feine Beine 'trugen.
rannte Parker zu dem Vorgesetzten, dem
Küster Hamill, und theilte ihm seine
Entdeckung mit. In höchster Erregung
nahm auch Hamill dre Gruft in Slugen
chetn. Der aufgewühlte Grund, die
mittels Einbrccherwerkzeug gehobene
Platte, der gewaltsam aufgesprengte
Sarg, in dessen sammteneS Futter die
Räuber noch ein eigenartig ausgezacktes
Loch hineingeschnitten und dessen silberne
Gedenktafel fte mitgenommen hatten
daS alles legte beredtes Zeugniß ab von
dem, was sich hier im Dunkel der Nacht
abgespielt hatte; zum Ueberfluß fanden
die beiden Kirchenbeamten noch eine
Laterne und eine Kohlenschaufel, offen
bar den Leichenräubern gehörig, in der
Nähe der Gruft.
Eine Viertelstunde später stand
Hamill zitternd vor Frau Kornelia
Stewart und theilte ihr das vorgefallene
mit.
Frau Stewart war entsetzt. Sie
hatte sehr an ihrem Manne gehangen
und konnte das Ungeheure nicht fassen.
Ihr Mann hatte ihr auf seinem Sterbe
bette seinen Freund Henry Hilton als
Berather und Vertrauten empfohlen,
und fte sandte daher jetzt sofort zu ihm.
Hilton kam osort. Er war ein
Mann von etwa fünfzig Jahren. Sein
charfgeschnitteneS Gesicht hatte den
Ausdruck großer Energie.
Schluchzend eilte ihm Frau Stewart
entgegen und theilte ihm mit, was ge
chehen fei. Hilton blieb kühl bis an'S
Herz hinan.
Regen Sie sich nicht auf. liebe
Freundin, und bereiten Sie sich nicht
unnöthigen Kummer." sagte er, .wir
haben eS hier mit einem gewöhnlichen
Gaunerstreich zu thun. Nur auf Er
preffung von Geld ift es abgesehen."
Dann wandte er sich zornig an den
Küster und rief: .Der Kirchhof ift, so
weit ich mich erinnere, mit einem eiser
nen Gitter umgeben. Wie hoch ift
das?"
.Zkhn Fuß. Euer Ehren."
.Und Sie wollen behaupten. Herr.
daß die Räuber von der Straße über
diesen hohen Zaun gestiegen seien? DaS
ift unmöglich; Polizei und Paffanten
hätten sie dabei überraschen müssen."
.ja, äott - drrjriycn uer qren.
wie wäre eS sonst möglich, ich selber be
hüte den Kirchenschlüffcl. und nur durch
die Kirche müßten die Spitzduden ge
kommen sein, wenn nicht von der
Straße."
.Die Untersuchung wird die Wahr
heit an den Tag bringen," wnrf Hilton
nachlässig hin, und auch die Schuldigen
und Mitschuldigen der gerechten Strafe
überliefern. Gehen Sie jetzt. Herr,
ich werde daS weitere veranlassen."
Der Küster verließ das Stewnrt'sche
HauS mit sehr gemischten Gefühlen.
Nun sollte er am Ende noch mitschuldig
an dem Verbrechen fein! Dieser entsetz
liche Verdacht, der ihn ganz ungerecht
traf, konnte ihn noch um Amt und
Brot bringen.
Unterdessen bemühte sich Hilton. die
Wittwe zu trösten, doch gelang eS ihm
nicht.
.Bieten Sie alles auf, Hilton," rief
fte flehend ; .lassen Sie eS so viel Geld
kosten als eS will nur schaffen Sie
mir den Leichnam meine? armen Man
neS wieder. O, diese Schurken
nicht einmal im Grabe gönnen sie ihm
die Ruhe l"
Hilto fuhr vom Stewart'schen
Hause sofort zu George W. Walling.
dem Polizei'Chef von New Nork, mel
bete den Vorfall und bat um Rath und
Unterstützung. Walling besichtigte so
fort den Thatort deS Verbrechens, ließ
alle Polizeiftationen von dem Vorgefal
lenen in Kenntniß setzen und nach allen
Nachbarftätten telegraphiren ; er brachte
seine gewiegtesten Detektives auf die
Beine, und eS gelang ihm auch, feftzu
stellen, wo die an der Gruft gefundenen
Gegenstände, die Laterne und die Koh
lenschaufel, gekauft worden waren. Im
übrigen erschöpfte sich die Polizei in
müßigen Theorien und Muthmaßungen
die Thäter blieben unentdeckt. ihre
Spur verwischt.
Auf Anrathen deS PolizeichefZ setzte
Hilton am anderen' Tage für Wieder
einbringung deS Leichnams und Ver
Haftung der Diebe eine Belohnung von
fünfundzwanzigtau end Dollars aus.
Offenbar hatte Hilton den Werth
der sterblichen Ueberrefte deS Millionärs
zu niedrig angeschlagen, denn die Be,
sitzer der Stewart'schen Gebeine ließen
nichts von sich hören. Frau Kornelia
Stewart litt unsäglich bei dem Gedan
ken an die Grabschändung, sie fand
Tag und Nacht keine Ruhe.
Da, emeS TageS. erhielt Frau
Stewart ein Packet aus Boston mat
schickt. Als sie eS öffnete, wäre sie bei
nahe vor Schreck umgesunken. Sie
hielt die silberne Gedächtnißtafel in der
Hand, welche vom Sarge ihres Gatten
zusammen mit dem Leichnam der
schmunden war. Ferner sandten die
Leichenräuber ein Stück Papier, von
der Form deS Loches, daß fte in da
sammtne Futter deS SargeS hinein
geschnitten. Die silberne Tafel wurde
von dem Graveur mit aller Bestimmt
heit als diejenige erkannt, die er für
Stcwart'S Sarg angefertigt ; das Pa
Pier paßte genau in das Loch dcZ Sarg
fulterö. Kein Zweifel, man hatte eS
mit den wirklichen Thätern zu thun.
Den wichtigsten Theil jener geheim
nißvollen Sendung aber hatte Frau
Stewart ihrem Berather Hilton nicht
gezeigt, sondern verbarg ihn zwei Tage.
unschlüsftg, was sie thun sollte, in
ihrem Geldschrank. Es war ein Brief,
der ebenfalls in dem Packet gelegen hatte
und lautete :
Madame ! Die Leiche Ihres Gatten
Alexander T. Stewart wurde am 6.
November vor Mitternacht aus dem
Gewölbe entfernt und nach einem be
stimmten Hause der oberen Stadt ge
bracht, wo sie in einen mit Zink ausge
chlagenen Koffer gelegt wurde. Die
er Koffer wurde nach Canade gesandt
und die Leiche dort bestattet. Die
Augen find allerdings verschwunden,
im übrigen aber ift der Körper noch fo
wohl erhalten, daß er mit Leichtigkeit
identifizirt werden kann. Wenn Sie
mit uns unterhandeln wollen, so rücken
Sie in den N. I. Herald" folgende
Anzeige ein : .Canada. Will das Ge
chäst abschließen."
Henry G. Romaine."
Nach zweitägiger Ueberlegung, wen
sie mit der Misston, die Unterhandlung
mit den Räubern zu führen, betrauen
olle, glaubte Frau Stewart den rech
ten Weg gefunden zu haben. In einer
Miethskutsche ließ fte sich nach einer in
ärmlicher Gegend gelegenen Straße
bringen. Hier bewohnte Charley
Stewart, der enterbte Ncffe deS Millio
närS, ein schlichtes Häuschen. Er
arbeitete für spärlichen Wochenlohn als
Gehilfe in einem Ellenwaarengeschäft,
aber er hatte seine Klara geheirathet
und war glücklich.
Der junge Stewart und feine Frau
waren nicht wenig erstaunt über den
unerwarteten Besuch, der ihnen zu
Theil wurde; doch mit aufrichtiger
Theilnahme kam Charley seiner Tante,
welche Mutterstelle an ihm vertreten
hatte, entgegen, führte sie in sein bestes
Zimmer und machte sie mit seiner jun
gen hübschen Frau bekannt. Ein we
nig verlegen blickte stch grau ornelia
in der einfach eingerichteten Wohnung
um, und plötzlich brach sie in Thränen
aus.
Gegen Dich hat er ungerecht gehan
delt. Charley." sagte sie bewegt. ES
war eine seiner sonderbaren Launen.
daß er Dich vor seinem Tode enterbte
und sogar mir noch am letzten Tag
einen Schwur abnahm. Dich nicht zu
unterstützen ach, ich habe gar nicht
den Muth, Dir meine Bitte vorzu
tragen."
.Laß alle?, was gewesen ift. beiseite.
Tante." bat Charley; .der Onkel
hatte seine eigenen Ansichten, und er ift
wohl auch von einer gewissen Person
schlecht beeinflußt worden. Dir ftehe
ich in jeder Wet'e zi r Verfügung.
Zögernd brachte grau Stewart ihr
Anliegen vor. Natürlich hatte Charley
schon von dem Leichenraub durch die
Zeitungen gehört, jetzt aber erfuhr er
alle Einzelheiten, las den Brief, den
die Wittwe erhalten hatte, und rief so
fort : .Man muß mit den Gaunern in
Unterhandlung treten. ES ift der ein
zige Weg, den Leichnam zurückzubekom
men. Weiß Mr. Hilton darum?"
.Er hat keine Ahnung von diesem
Briefe und soll auch vorläufig nichts
erfahren. In Deine Hand. Charley,
will ich die ganze Angelegenheit legen ;
vielleicht gelingt eS Dir, meinem Leben
die Ruhe wiederzugeben."
Charley soll allcS aufbieten."
wandte ftch Klara an die alte Dame.
bis er den Leichnam seines OnkclS
Ihnen zurückgebracht hat. Ihnen ver
dankt er seine Erziehung; er erfüllt
nur eine Pflicht der Dankbarkeit
nicht wahr, Charley?"
Frau Stewart küßte die junge Frau
auf die Stirne und schloß sie gerührt
in die Arme. .Wie gut Du bist, mein
Kind!" flüsterte sie.
Sie blieb bis zum Abend als Gast in
der Behausung deS jungen Paares und
als sie sich verabschiedete, versicherte sie,
daß sie seit dem Tode ihreS ManneS den
ersten frohen Tag verlebt habe.
Am nächsten Tage schon erschien im
New York Herald" die von den Spitz
duben geforderte Anzeige. EZ entwickelte
ftch jetzt zwischen den Leichenräubern
und Frau Stewart ein Briefwechsel, in
welchem die Bedingungen noch vielen
Handeln und Feilschen festgesetzt wur
den.
Zuerst verlangten die Räuder nicht
weniger olS eine Viertelmillion Dol
larS, dann wurden sie, als sie sahen.
daß an einer derartigen Summe nicht zu
denken war. billiger, und eS kam zwl
schen den beiden Parteien eine Eini
gung cus achlzlglauieno Dollars zu
Stande.
Nun kam die Schwierigkeit des Aus
tauscheS. Die Räuber wollten die denk,
bar größte Sicherheit haben, daß man
fte nicht m eine Falle locke. Ihre Be
dinqungen waren folgende: Der Ver
trauenSmann der Frau Stewart sollte
an einem bestimmten Abend um zehn
Uhr ganz allein und ohne jede Beglei
tung auf einem Einspänner New Jork
verlassen und einen Weg einschlagen.
der ihm auf einer mitgesandten Karte
bezeichnet war. Alles andere habe er
dem Ermessen der Herren" zu über
lassen, welche jeden etwa beabsichtigten
Verrath zweifellos erfahren und gebüh
rend rächen würden.
Charley erklärte sich' bereit, die un
heimliche Nachtfahrt zu unternehmen.
Die Nacht war
Klarheit blitzten
bitterkalt, in seltener
und strahlten die
Sterne. Auf feinem Wagen sitzend
verfolgte Charley genau den Weg. der
ihm mittels eines rothen Strich, s auf
der von den Räubern gesandten Karte
vorgezeichnet war. Hinter sich im
Wagen hatte er eine Kiste, die zur Auf
nähme der Leiche bestimmt war, neben
Charley aber lag ein Revolver, der mit
sechs Schüssen scharf geladen war.
iyaney s Geduld wurde aus eine
harte Probe gestellt. Der Morgen be
gann zu dämmern: die bewaldeten
Hügel von Mestchefter County lagen
bereits hinter ihm, und noch hatte sich
keiner seiner ,, Geschäftsfreunde" gezeigt
Jetzt trabte sein Pserd am Saume eines
dichten WaldeS dahin. Ter junge
Mann sah auf seine Uhr eS war drei
Uhr Morgens.
Plötzlich tauchte aus einem Hohlweg
ein maSkirter Reiter vor ihm auf und
befahl ihm, anzuhalten. ES war ein
hochgewachsener, kräftig gebauter Mann ;
unter der MaSke, die er trug, stahl sich
ein rothblonder Vollbart hervor.
Haben Sie das Geld?" fragte der
Reiter.
Charley bejahte, und eS wurde ihm
bedeutet, den Wagen zu verlassen und
zur Abwicklung des GefchasteS in den
Hohlweg zu kommen. AIS der Reiter
bemerkte, daß der junge Stewart feinen
evolver in sie A,a cye necne, tut er
lachend:
Sie mögen das Schießeisen ruhig
an ftch nehmen, aber Sie werden keine
Gelegenheit finden, eS zu brauchen. Wir
bringen nur ein alteS, halbvergeffeneS
Konto in Ordnung wir find einfache
Geschäftsleute."
Indem Hohlwege fand Charley zu
seinem größten Erstaunen nur noch einen
einzigen Mann, während er doch eine
aanze Bande vermuthet hatte. Auch
dieser Mann trug eine MaSke, er schien
jedoch älter als der Reiter zu sein. Er
saß auf einem niedrigen, nach Art der
Farmerwagen gebauten Gefährt, an
welchem eine Laterne angezündet war.
Wo ist die Leiche?" forschte Charley.
Der Reiter hob einen alten, über den
Wagen gebreiteten Mantel auf und
zeigte auf einen Sack. .Da liegt allks,
was von Herrn Stewart noch übrig ge
blieben ift." sagte er spöttisch; .doch
jetzt schnell daS Geld e3 wird hell, und
wir müssen weiter."
Zuerst müssen Sie mich überzeugen,
daß der Leichnam auch mit dem iden
tisch ift. den ich suche zeigen Sie ihn
mir."
Seinem Verlangen wurde nachze
geben, und bald blickte Charley auf jene
bleichen Knochen, jenes fleischlose Gesicht
nieder, die einmal daS ausgemacht hat
ten, waS von Millionen Menschen be
neidet worden war, beneidet um seine
Millionen !
Der arme reiche Mann am Ziel
hatte er nicht einmal daS gefunden.
waS dem geringsten Bettlet zu Theil
wird: den Frieden im Grade.
Jetzt wurde daS Geschäft schnell adge
wickelt. Der junge Stewart zählte beim
Schein der Laterne den Betrag, welchen
die Räuber sich als Losegeld sür die
Leiche auZbedungen hatten, und dann
waren ihm die beiden Männer behilflich,
den Leichnam in den Koffer zu ver
schließen, der auf feinem Wagen stand.
Nun fahren Sie zu. Sir," redete
ihn der Reiter an; halten Sie sich am
Saume diese WaldeS, und Sie werden
in einer Stunde die Bahnstation er
reichen."
Charley nickte und wollte sein Thier
zum ausen antreiben, als der ältere
Gefährte deS ReiterS ihm in die Zügel
fiel. Sofort zog der junge Mann sei
nen Revolver.
Nehmen Sie das Ding nur wieder
weg." lachte der MaSkirte, ich wollte
Ihnen nur zum Schluß eine kleine ge
schäftliche Eröffnung machen. Sie sind
der junge Stewart; ich kenne Sie
gut genug und weiß, daß auch Sie
durch das Testament eine Probe von
der Menschenfreundlichkeit und Güte
Ihres Onkels bekommen haben. Nun,
das ist Ihre Sache und geht mich
nichts an. Aber wenn Sie morgen
heimkommen. . so schlagen Sie daS
Hauptbuch dieses großen Geschäfts
manneS auf. Sie werden dort, wenn
die Bücher richtig geführt worden find,
ein Kouto offen finden. Aus diesem muß
hervorgehen, daß da? Haus Alexander
T. Stewart einem Unglücklichen, der
dadurch zum Bettler gemacht worden
ist. noch fünfundzwanzigtauseiid Dollars
schulden. Machen Sie einen Strich
durch dieses Konto, junger Mann. DaS
HauS Stewart hat bezahlt Kapital,
Zinsen und Schadenersatz für ein ge
drocheneS Leben."
.So find Sie jener Mann?" stieß
Charles erregt hervor. Welche Rache
haben Sie genommen Rache an einen
Todten abscheulich I"
Ich habe nur ein Konto geordnet,"
lautete die mit rauher Stimme gegebene
Antwort. Und nun fahren Sie zu!"
Dann schlug er mit der Faust auf die
provisorische Behausung deö Todten
und rief voll Hohn und Bitterkeit: He,
Stewart, wer hat nun recht behalten,
du oder ich? Haft du mehr bezahlt als
einen Cent?
Dem jungen Manne wurde es un
heimlich. Er gab dem Pferde die Peit
sche, und fort ging eS in gestrecktem Ga
lopp.
In der nächsten Nacht ging ein Fracht
wagen nach Garden Ciiy ab, dessen
ganze Ladung au einem Koffer be
stand. Auf dem Koffer faß Charley
Stewart.
In der Kathedrale zu Garden City
wurde die Leiche des HandclSfürftcn in
einen bereitgehaltenen Sarg gelegt und
sofort in einem Gewölbe untergebracht,
daS durch eine elektrische Leitung mit
den Glocken im Thurm in Verbindung
steht. Wenn jetzt eine Frevlerhand sich
an der eiche vergriffe, so würden die
ehernen Wächter ihre dröhnenden Stirn
men erheben.
Auf den Stewart'schen Millionen
schien ein Fluch zu lasten. Nachdem
ast das gesammte vermögen der Frau
Stewart nach und nach in die Taschen
Hilton'S gewandert war, verminderte
eS sich bei diesem auffallend schnell, und
erst kürzlich war die Firma Hilton,
HugheS & Co. diesen Namen hatte
Hilton dem alten Stewart'schen Ge
schüfte gegeben gezwungen, ihre Zah
lungSunfühigkeit zu offenbaren und ihre
Thore zu schließen.
Charley Stewart aber, der sür seine
Hilfe von der Wittwe dcS Millionärs
mit einer Million bedacht worden war,
lebt noch heute glücklich und zufrieden
an der Seite feiner deutschen Frau.
Von jenem Ge chäftZmann. der sein
Konto auf so seltsame Art und Weise
geordnet, hat die Polizei trotz eifrigen
SuchenS niemals eine Spur entdeckt.
4
Y
?itt Radfahrermartcrl.
An der Straße zwischen KremS und
Gföhl ift jüngst ein Bild angebracht
worden, welches einen Ochsen darstellt,
der mit seinen Hörnern ein Fahrrad
aufgespießt hat, während der dazu ge
hörige Radfahrer daneben auf dem
Bauche ausgestreckt liegt. Tarunter
stehen folgende Reime :
Den Franzl, den a jeder kennt, .
Hat hier ein OchS vom Radl g'rennt.
O Radler, der du fahrst zum hnferl,
Sitz ab bei diesem Martertafeil,
Und merk bergab man immer schiebt.
Dieweil eS hier viel Rindvieh giebt.
historisches.
.Ist eS richtig. Herr Professor, die
Chinesen sollen schon vor dreitausend
Jahren daS Klavier erfunden haben?"
.Ganz richtig, aber vor zweitausend
Jahren schon haben sie eS wieder abge
chafft."
l