Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 26, 1898, Image 9

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Jahrgang 1!). Beilage zum Nebraska Ttaatslnzeiger. No. l.
j)ßngstmalen.
Z?0 Erich , Cchirseld.
Tief stand die Sonne schon am Hori
,ont. Ihr rother Schein lieb die blank
geputzten Fenfterschtiden der niedrigen
Häuser de Dorfe! wie in Keller Vluth
leuchten und daS neu dergoldete ttreu,
de irchthurms purpurn strahlen. Tie
Gesichter der Leute, die heute früher ali
sonst Feierabend gemacht hatten und
rauchend und plaudernd vor den HauS
thun standen, waren von verklärendem
Glänze übergössen und in den goldgrün
schimmernden Pappeln und Linden
flüsterte der Zlbendwind.
Freundlich nach rechts und links
grüßend schritt der junge Forstmann
Werner, ein Kind de Dorfes, die mit
weißem Eand und grünen Blättern de
streute Straße entlang dem Echulhause
zu. Fröhlich blickten seine Augen in
die Welt, die heute ein so ganz anderes
Gestcht hatte als sonst, denn daS Pftngft.
fest brach an, da holde Fest, zu dem
sich das Dorf geschmückt hatte mit Laub
und Blumen. Bereinzelt winkten an
den Fenstern schon die grünen Zweige
der Maien. Am anderen Tage sreilich
daS wußte Werner würde das
ganze Dorf wie ein Birkenwald prangen,
denn kein junger Mann unterließ eS.
der Liebsten ein paar der schönsten
Bäume zu beiden Seiten der Hos oder
Hausthür laubenartig anzubringen.
So poetisch dieser Brauch an sich ist.
dem Forstmann bereitete er immer
neuen Verdruß, weil man undeküm
mert um den Forstbetrieb die starken
Zweige und jungen Birken nach eigener
Wahl dem Revier, ohne jede weitere
Formalität zu beobachten, entnahm,
das heißt: einfach stahl, und das zum
Kummer der Forftbeamten meist mit
solcher Vorsicht, daß nur selten so ein
Frevler abgefaßt wurde. DaS über
dachte Werner beim Anblick der frifchen
Birkenreifer, trotzdem ließ er sich nicht
besonders verstimmen, denn nicht nur
die Pstngftfreude erfüllte fein junges
Herz, sondern mehr noch die Liebe zur
blonden Annemarie, der Tochter deS
alten Kantors in jenem Echulhause,
dem er zueilte.
Hundert Schritt mochte er von feinem
Ziele noch entfernt sein, als er den
jungen Steinhofbauer HanS aus dem
Haufe treten sah. Fiel ihm dieS schon
auf, so beunruhigte eS ihn geradezu,
daß HanS. der den Kommenden bemerkt
hatte, mit einer scharfen Wendung von
dem ursprünglichen Wege abbog und in
einem Hintergäßchen verschwand. WaS
hatte der Bauer im Schulhause zu
suchen und warum wich er ihm aus?
Er beschleunigte seine Schritte und
stürmte in'ö HauS.
,WaS wollte der Steinhofbauer von
Dir." rief er nach kurzem Gruße der
verwirrt dreinblickenden Annemarie ent.
gegen, warum ist er mir so scheu aus
gewichen, was habt ihr mit einander?"
Er sah sehr roth aus und athmete
schnell.
.WaS soll er denn gewollt haben?'
erwiderte hilflos das Mädchen und
blickte zur Seite. Werner war etwas
heißblütig und manchmal allzu rasch
und unüberlegt. Die wach gewordene
Eifersucht weckte auch seine anderen
dösen Eigenschaften.
.Du," rief er grollend, .ich habe eS
längst bemerkt, wie er zu Dir schön thut
und daß Du Dir nicht ungern von ihm
die Cour schneiden läßt. Freilich so ein
Bauernhof ist ein fetterer Bissen, als
ihn ein armer Forstmann zu bieten hat.
Wenn Du aber denkst, daß der HanS
Dich heirathet. so irrst Du Dich, denn
wenn er sonst auch dumm ist wie 'n
Bohnensack, rechnen kann er, verlaß
Dich drauf."
Annemarie war roth und blaß ge
worden. ES war ein Glück für sie, daß
Werner fo lange sprach, dadurch gab er
ihr Gelegenheit, sich zu fassen, zu über,
legen. Anfangs gekränkt, empfand sie
jetzt etwas wie eine boshafte Freude an
seinem ihr komisch scheinenden Zorn.
Sie wußte, wie hübsch sie war. daß sie
auch ein wenig kokett war, daS wußte sie
allerdings nicht. Schon öfter hatte es
ihrer Eitelkeit geschmeichelt, ihren Wer
er, dem sie ja von Herzen gut war.
durch klein Avancen, die sie anderen
machte, in ein gelindes Feuer zu bringen
und sich hinterher von ihm um Ver
zeihung bitten zu lassen. Seine heutige
Unart ging aber über jedes vernünftige
Maß hinaus und dafür wollte sie ihn
bestrafen.
.So, meinst Du?" fragte sie deshalb
etwas schnippisch. .Dann laß Dir nur
sagen, daß ich nur .ja" zu sagen
brauche, um Steinhofbäuerin zu wer
dtn. DaS war ein Trumpf.
Werner lachte gepreßt.
.Dann sprich doch Dein .Ja", rief
er. .Der Bär wird Dir gut zu Gesicht
stehen."
.Wenigsten wird mich der .Bär"
mit etwas mehr Achtung behandeln und
mir nicht meine Armuth vorwerfen, wie
Du es thust," entgegnete sie schnell und
die Thränen wirklicher Kränkung traten
ihr in die Augen.
.Nein, Annemarie," sprach Werner
darauf mit Nachdruck, da? wird er
nicht, und auch einen HeirathSantrag
soll er Dir nicht wieder machen, verlaß
Dich drauf. Gute Nacht."
Er wandte sich rasch zum Gehen, dem
Mädchen kaum Zeit lassend, über seine
Worte nachzudenken. Erst als er die
Thür hinter sich zugeworfen hatte, kam ;
ihr der Sinn seiner Rede zum Bewußt
sein. Da wurden ihr die Augen weit
vor Schreck. Sie starrte auf die Thür
und dann riß sie das Fenster auf.
.Geh' heute nicht mehr in den
Wald," fchrie sie ihm nach, .nicht in
den Wald!"
Er drehte sich um und wandte ihr
fein Gesicht zu, das vom letzten Schein
der Abendröthe matt beschienen wurde.
.Haft wohl Angst um ihn, Anne
marie?" rief er heiser zurück. .Dann
bet' ein Vaterunser." Damit wandte
er sich und eilte davon.
Auf dem Thurme läutete der alte
Kantor die Abendglocke. Während
dessen saß in ihrem Kämmerchen seine
Tochter mit gefalteten Händen und
starrte dem Verschwundenen nach. In
ihren Gliedern lag eS wie Blei, in den
Schläfen pochte das Blut. Sie sühlte.
daß sie etwas Furchtbares angerichtet
hatte, ohne einen Weg der Rettung und
Hilfe zu sehen. Sollte sie in den
Wald laufen? Der war groß. Sollte
sie ja was denn? Nichts, nichts
konnte sie, als verzweifeln. Sie flüch
tete in ihr kleines Zimmer und lauschte
in die hereinbrechende Nacht hinaus.
Der Mond stieg am Horizont herauf,
sie starrte ihm in das röthliche Ange
ficht, ohne ihn zu sehen. Die Kirchen
thurmuhr verkündete den Verlauf der
Zeit, Stunde um Stunde, sonst war eS
still, furchtbar still umher. Dort drü
den lag der dunkle Wald, umfloffen
vom bleichen Mondlicht, der Wald, in
dem jetzt vielleicht
Da wurde die Stille der heiligen
Psingftnacht unterbrochen. Der Knall
eines Büchsenschusses hallte schwach her
über vom Walde. Die Hunde im Dorfe
schlugen an, und dann ward eS wieder
still. Annemarie war mit einem erstick
ten Aufschrei zu Boden gesunken und
in ihr bleiches Gesicht schien der lachende
Mond.
Vom Schulhause aus hatte sich Wer
ner in seine Wohnung begeben und sich
auf daS, mit schwarzem Leder bezogene
Sopha geworfen, um, wie daheim
seine Annemarie grübelnd in den
Mond zu starren. Er befand sich in
einem unbeschreiblichen Zustande. Zum
ruhigen Nachdenken kam er nicht, er
wollte auch nichts bedenken und er
wägen. Dafür ließ er sich von feinem
Gefühl völlig beherrschen und schürte
mit einem gewissen Behagen das Feuer
rachgierigen Grimmes.
AIS die Nacht ganz .hereingebrochen
war, erhob er sich, entnahm dem Ge
wehrschrank seine beste Büchse und
schlich, begleitet von einem gut dressir
ten Hunde, sich nach Möglichkeit im
Schatten der Bäume haltend, dem
nahen Walde zu. Hier überließ er sich
der Führung seines klugen Thieres und
bald vernahm er das Geräusch einer
arbeitenden Säge und vernahm das
Geknacke abbrechenden Gezweiges. Aber
so oft er leise die Zweige auseinander
biegend wohlbekannte Gestalten erblickte,
zog er sich enttäuscht zurück, denn er
pirschte auf ein werthvollereS Wild.
Schon wollte sich die Ungeduld feiner
bemächtigen. Die Sorge, daß ihm fein
Opfer entwischen könnte, machte ihn
nervös. Ueberall glaubte er es im
Laube rascheln und flüstern zu hören.
Der Hund dagegen, den er an einer
kurzen Leine führte, trottete ruhig
voran, plötzlich ftand er still und spitzte
die Ohren, um dann mit erneutem
Eifer voran zu eilen. Bald glaubte
Werner wieder daS bekannte Geräusch
zu vernehmen, das durch die Waldes
ftille immer deutlicher an fein Ohr
drang. Jetzt war er bei einer Gruppe
junger Birken angelangt. Spähend
lugte er durch das Gebüsch und sah den
Gesuchten, den verhaßten Nebenbuhler,
der gemeinschaftlich mit einem Knechte
schon eine hübsche Laft der weißftämmi
gen Maien zusammengebracht hatte.
Rasch zwängte er sich durch das Gestrüpp
und rief dem erschreckt aufblickenden
HanS ein donnerndes Halt" entgegen.
Der Knecht machte Miene, sich auf den
Jäger zu ftürzen, ergriff aber entsetzt
die Flucht, als er dessen Büchsenlauf
auf sich gerichtet fah.
.Jetzt haben wir ein Wort mit einan
der zu reden," fagte Werner zu HanS,
indem er einige Schritte näher trat.
Dieser sah ihn, die Hände in den Hosen
tuschen, lächelnd an.
.Na wag soll'S denn?" fragte HanS
phlegmatisch.
.WaS eS soll? Daß ich Dich jetzt!
über den Haufen schießen werde, Du
elender Geselle. Deine Rechnung ist
gemacht, jetzt sollst Du bezahlen!"
.Na ja, daS ist auch 'ne rechte Kunst,
einen wehrlosen Menschen zu überfallen
in Nacht und Einsamkeit. Thu'S doch,
wenn Du den Muth haft!"
.Du Du willst mich noch verhöh
nen?" .Laß doch die Dummheiten," sagte
HanS ruhig. .Du bist ja berauscht
oder " '
.Oder?"
.Oder verrückt, meinetwegen."
.Da haft Du'S." schrie Werner, in
dem er daS Gewehr an die Backe riß.
Der Schuß dröhnte durch die Stille de
schlafenden WaldeS und der linde Wind
der FrühlingSnacht trug den Schall
hinaus bis zum Schulhause und traf
die blonde Annemarie in'ö Herz.
DaS war die Psingftnacht. Bald
dämmerte der Tag im Osten, der Tag,
der den heiligen Geift der Liebe, Freude
und Versöhnung dringen sollte. Doch
er fand eine Welt voll Eitelkeit. Unfrie
den und Haß. Im Walde sangen die
Vögel und auf den Fluren prangten die
Blumen. Aber in den Herzen der
Menschen wohnte daS Dunkel Unheil
voller Nacht, sie hatten keinen Blick auf
das Göttliche.
Mit einem dumpfen Kopfschmerz er
wachte Annemarie. Ihr Gesicht brannte
in Fieberhitze und die Augenlider waren
ihr schwer.
.Ein schlimmer, wüster Traum,"
sagte sie und öffnete daS kleine Fenster,
durch das die Psingftsonne so freudig
in'S Zimmer schien. Die Psingftsonne!
Richtig, heute war ja Psingften und
geftern gestern, diese Nacht großer
Gott! Blitzartig kam ihr die Erinne
rung an daS, was vorgefallen war.
Sie hätte laut aufschreien mögen. Mit
angehaltenem Athem lauschte sie hinaus.
Das ganze Dorf mußte sich ja in Auf
regung befinden. Sie scheute sich, einen
Menschen zu sehen, dem sie am Gesicht
ablesen würde, was sie zu erwarten
hatte. Und doch fürchtete sie sich vor
der Gewißheit, und langsam, qualvoll
langsam schlich eine Viertelstunde nach
der anderen dahin. Da begannen
plötzlich die Morgenglocken zu läuten,
so feierlich und doch so fröhlich.
Geputzte Menschen zogen fingend und
lachend hinaus, und am blauen Himmel
jubilirten die Lerchen. Alles war eitel
Freude, nur Annemarie weinte in
ihrem Stübchen heiße Thränen.
Stunden waren vergangen. Da
pochte eS leise an die Thür. Der Kan
tor war eS, der sich erkundigte, ob
Annemarie etwa krank sei, da er sie
lange vergeblich erwartet habe. Ihr
sei nicht ganz wohl, fagte sie, der Vater
möge sich aber nicht ängstigen, sie werde
bald kommen. Damit beruhigte sich
der alte Mann und ging, seine? AmteS
zu walten.
Nun faß Annemarie im Wohngemach
und wunderte sich über die Stille im
Dorf. Von der Kirche herüber klang
das Spiel der Orgel und der Gemeinde
gefang:
Komm, heil'ger Geift. kehr' bei uns ein
Und laß uns deine Wohnung fein,
O komm, du Herzenswonne I
Sie faltete ihre Hände und betete :
.Ja, komm heil'ger Geift. Kehre bei
uns ein und mach' uns rein von unsern
Fehlern und Sünden, die uns in Un
heil und Verderben dringen !" Da aber
vernahm sie plötzlich bekannte Schritte.
Sie flog dem Kommenden entgegen
und ihn mit den Armen umschlingend,
barg sie ihr thränennasses Geficht an
Werner'S Bruft.
Der aber schob sie sanft von sich.
Höre Annemarie," sagte er weich,
.Du darfst mich nicht mehr berühren,
ich ich habe diese Nacht auf HanS
geschossen."
Sie sank auf einen Stuhl und der
Athem drohte ihr still zu stehen.
.Ich weiß eS," preßte sie heraus,
.ich habe den Schuß gehört."
.So verfluche mich und beweine
ihn," fuhr er fort.
.ES ist ja nicht wahr, schrie sie
da auf, .es ift ja Alles nicht wahr,
wag Du denkst. Er ift ja längst mit
einer Andern versprochen, mit einem
armen Mädchen, das mir befreundet
ift. Sie Halten'S heimlich untereinan
der. seiner Eltern wegen, bis sein
kranker Vater wieder gesund sein wird.
Und ich sollte Dir fluchen! Ich bin ja
schuld, daß eS so gekommen ist. weil
ich Dir nicht die Wahrheit gesagt habe
und weil ich ein so so einge
bildeteS Ding bin. Und nun werden
sie Dich in'S Gefängniß werfen und
Alles ift vorbei, Alles l "
Sie hatte die Worte stoßweise unter
fortwährendem Schluchzen hervorge
bracht und ließ ihren Thränen freien
Lauf.
.Nun sag' mir nur noch Eins."'
fuhr Werner fort. .WaS hat der
HanS geftern bei Dir gewollt?"
.Was nützt das jetzt," schluchzte sie.
.AIS Du mich geftern danach fragtest,
hätt' ich'S Dir sagen sollen, daß er wis
sen wollte, ob Du in den Wald gingest,
und daß ich Dich überreden sollte nicht
hinzugehen, weil sie nicht mit Dir zu
fammenftoßen wollten beim Maien
holen, daS doch nun mal Sitte ift von
Alters her."
.Annemarie." sprach er da und zog
sie an sich, vergieb mir! Ich war ein
blinder, rasender Narr, aber ein Narr,
der Dich über Alles lieb hat. Weine
nicht mehr, Annemarie. Der liebe
Gott hat ein Einsehen mit meiner Un
Vernunft gehabt. Denke, eS wäre Alles
nur ein böser Traum gewesen !'
Und dann erzählte er :
.AIS der Schuß, ich weiß nicht, wie
losgegangen war. kam ich zur Besinnung
und vaS Entsetzen überfiel mich. Die
Büchse entglitt meinen Händen und in
wahnsinniger Angft lief ich auf meinen
Gegner zu. .HanS." schrie ich, .ich
hab'S ja nicht gewollt, ein böser Geift
hat sein Wesen mit mir getrieben."
Da lachte mich HanS vergnügt an.
.Dummer Junge," sagte er, .solche
Späße können ein schlimmes Ende neh
men." Er hatte meine Bewegungen be
dachtet und war rechtzeitig hinter einen
Baum gesprungen. Annemarie, ich
bin so glücklich l"
Annemarie sah verklärt zu ihm auf.
Noch flössen ihre Thränen, aber eS
waren Thränen deS DanleS und der
Freude.
.Und HanS?" fragte sie endlich.
.Wir find wieder die alten guten
Freunde, die wir in der Schule waren,"
entgegnete Werner. .Er hat mir Alles
erklärt, nur was er bei Dir gewollt
hat, sollte ich mir von Dir sagen lassen,
meinte er."
.Werner," sprach Annemarie nach
einer kleinen Pause feierlich, .wir
haben Beide gesündigt, ich durch meine
Eitelkeit und meinen kindischen Trotz,
Du durch Deinen Jähzorn. Dadurch
find wir Beide in schwere Noth ge
kommen und eS hätte furchtbar enden
können. Siehst Du. ich war schon
verzweifelt und dachte schon an den
Tod. Und nun ift doch Psingften ge
worden, Werner, das wollen wir nie
vergessen."
Nein," sagte er, .niemals."
Sie reichten sich die Hände und hiel
ten sich fest umschlungen. Jetzt erst
hatten sie den Bund für'S Leben ge
schlössen, den Bund der durch Trüb
sal geläuterten Seelen. DaS Pfingft
fest hatte seine Mission an diesen bei
den Menschenkindern erfüllt. Die
Psingftsonne strahlte leuchtend Herme
der auf die Erde. Die Vögel sangen
und die Blumen prangten und dufte
ten. Vom Kirchthurm läuteten die
Feftglocken und vor dem Schulhause
rauschten zwei gewaltige Maien :
Fröhliche Pfingsten l"
Ein Märzgefallener.
Julius Stettenheim schreibt im Ber
liner ,Kl. Journ.":
Die ernfthafteften Ereignisse der Welt
geschichte haben ihren Humor. Ernstes
und Heiteres pflegen fo dicht nebenein
ander zu stehen, daß es dem GefchichtS
schreibe! sehr schwer wird, sie zu tren
nen, so eifrig bestrebt er sein mag. da
für zu sorgen, daß seine Darstellung
nicht die Lacher auf ihrer Seite habe.
Und doch sollte er die luftigen Episoden
mit derselben Gewissenhaftigkeit wie die
ernsten in sein Werk sügen, denn nicht
selten tragen sie zur Charakteristik der
Zeit, in welcher sich daS Geschichtliche
abspielt, mehr bei, als was mit großem
Aufwand von schriftstellerischem Ernst
geschildert wird.
So wird eS der Pietät, welche wir
den Berliner Ereignissen des März
1843 schulden und deloahren. keinen
Abbruch thun, vielmehr zur Kenntniß
der damaligen Bevölkerung der preußi
schen Hauptstadt ein Scherflein bei
steuern, wenn wir aus den Erzählungen
eines alten Militärs, der am Tage des
blutigen Kampfes feine Soldatenpflicht
erfüllt hat, das Folgende mittheilen :
Der Ruf .Auf die Barrikaden!"
hatte auch einen Arbeiter, den wir Mül
ler nennen wollen, aufgerüttelt und er
war mit einer Waffe, mit der er nicht
recht etwas anzufangen wußte, zu den
Kämpfern geeilt. Er hatte von seiner
Frau einen rührenden Abschied genom
men und sie, die gestrenge Gattin und
Mutter, vermochte ihn nicht zu halten,
obschon sie sich wenig Ersprießliches von
der Rolle versprach, die ihr Mann plöß.
lich in der Geschichte spielen wollte. Sie
kannte ihn nur zu gut. Sie wußte,
daß er eS nie lange auf offener Straße
aushielt, sondern nur zu geneigt war,
ein trauliches Plätzchen in einem WirthS
Hause aufzusuchen, besonders wenn eS
unter dem freien Himmel, wie in jenen
stürmischen Märztagen, nicht sonderlich
geheuer war. Aber eS ging nun ein
mal ein Schrei nach Freiheit durch die
Reihen der Menschen, welcher selbst dem
Pantoffelhelden den Muth einflößte. eS
wenigstens zu versuchen, außer den
politischen Ketten auch die ehelichen zu
zerbrechen. Und wie wir wissen, ge
lang dieS unserem Müller. Er hatte
sich losgemacht und feine Kraft in den
Dienst einer Barrikade gestellt.
Müller .kämpfte' wie ein Mann bis
zu dem Augenblick, wo das Militär an
rückte. Da hörte der Spaß auf. Mül
ler fand, eö fei rückfichtSloS. daß die
Soldaten vorzugsweise dahin schössen,
wo die Barrikadenkämpfer sich aufhiel
ten. und er machte auch aus seiner Auf
fassung kein Hehl. AIS kluger Mann
sagte er sich, daß er eS nicht mit nen
nenswerthem Erfolg gegen die vortreff
lichen Waffen der Berliner Garnison
aufnehmen könne, besonders da er selbst
nur mangelhaft bewaffnet und ebenso
mit Munition versehen sei, und ehe er
sich'S versah, hatte er sich mit Gefahr
seines LebenS rückwärts konzentrirt und
sich tapfer in ein Wirthshaus geworfen,
das weitab vom Getümmel lag.
ES war die höchste Zeit. Eine
Stunde später Hütte er daS schützende
Wirthshaus nicht mehr erreichen kön
nen.
Die Getränke waren gut. Müller
leerte auf die politische und auf die ehe
liche Freiheit ein GlaS nach dem ande
ren. dann ficl ihm ein, daß er wie ein
Wunder dem sicheren Tod entgangen
war, und er widmete diesem Wunder
ein GlaS. Dann noch eins. Seine
Verpflichtungen zu trinken nahmen
schier kein Ende. Er konnte nicht an
die Barrikadenkämpfer denken, ohne
ihnen zuzutrinken und glorreichen Sieg
zu wünschen, auch sein Weib und seine
Kinder sollten leben, Hurrah, Hurrah I
und Berlin sollte leben. Hurrah, Hur
rah ! und Friedrich Wilhelm der Vierte,
der König, den er so liebte, Hurrah,
Hurrah ! und mit dem nächsten Hurrah
sank er unter den Tisch. .. Da lag er
nun.
Der Kampf war ohne ihn zu Ende
gegangen. Er hatte schmerzliche Opfer
gefordert! Die Leichen, welche nicht
von Verwandten und Freunden erkannt
worden waren, wurden in die Garni
sonkirche gebracht, um rckognoSzirt zu
werden.
Hier erschien auch Frau Müller,
deren Gatte in den Kampf gezogen und
nicht wieder heimgekehrt war. Sie
hoffte den Ungehorsamen unter den Lei
chen zu finden. Sie fand ihn nicht.
Aber sie sah, wie andere Frauen, die
ihren Gatten erkannt und verzweifelt
sich über dessen Leiche geworfen hatten,
von anwesenden Vertretern der Stadt
und von Männern, welche bedürftige
Frauen unterstützten, namhafte Sum
men erhielten, damit sie, ihrer Ernäh
rer beraubt, nicht zu darben brauchten.
Und im nächsten Augenblick warf sich
Frau Müller mit dem Schrei: Mein
August l über eine Leiche her. Als ihr
Jammer einem stilleren Weinen ge
wichen war. faßte sie sich auf Zureden
fo weit, daß sie mehreren Herren, die
sie thetlnahmsvoll umgaben, sagen
konnte, sie sei mittellos, worauf sie
einige größere Summen in Empfang
nehmen konnte. Auch konnte sie einem
, Magiftratsbeamten ihre Adresse genau
angeben, damit bis auf Weiteres eine
monatliche Unterstützung von zehn Tha
lern sicher in ihre Hände kommen
konnte.
Tief erschüttert ging sie nach Hause.
Aber ihre tiefe Erschütterung vertiefte
sich noch wesentlich, als sie dort ihren
August antraf, ihren Müller, der mit
einem Riesenkater behaftet auf dem
Bett lag und durch sein Schnarchen an
daS Geräusch des PeletonS erinnerte,
welche geftern noch so unheimlich ge
knattert hatten. Und ihr erster Ge
danke war : sie mußte am Ende gar die
schöne runde Summe, die sie erhalten,
wieder zurückgeben, und die monatliche
Wittwenpenston von zehn Thalern war
verloren l
Sie weckte ihren August. ES war
nicht leicht, aber mit einigem Anspritzen
von kaltem Wasser gelang eS ihr. Was
ser war ihrem Gatten stets unangenehm
gewesen. Auguft erwachte, stierte seine
Frau an und rief Hurrah, Hurrah !
Aber dieser Ruf der Begeisterung
rührte seine Frau nicht. Sie ftand vor
ihm. deutete mit ausgestreckter Hand auf
die Thür und rief: .Raus mit Dir! Du
bist todt!'
Müller begriff Alles, als seine Frau
ihm aus einer Menge von Thalern ei
nen gab. Dann ging er dahin, woher
er gekommen war. Wie lange eS
dauerte, bis er nicht mehr todt zu fein
brauchte ? So lange die Penston gezahlt
wurde. Näheres ift nicht bekannt ge
worden.
Gefoppt.
Der Konflikt zwischen Spanien und
Amerika berührt natürlich auch einen
Theil der Berliner Geschäftswelt. So
lesen wir im .Berliner Tageblatt":
Einer unserer bedeutendsten Exporteure
wurde in nicht geringe Aufregung ver
setzt, als ein befreundeter Bankier ihm
bei einem zufälligen Zusammentreffen
hastig mittheilte: .Es ist soeben ein
Kakeltelegramm aus New Z)ork einge.
troffen. Der Krieg ift erklärt, die ame
rikanische Flotte ist auSzelaufcn. Die
Spanier sind schon in Madrid." Der
Exporteur lief wie rasend in sein Komp.
toir. trommelte sein ganzes Geschäfts'
personal zusammen und verkündete die
aufregende Neuigkeit, die für sein Haus
von großer Bedeutung war, da e um
fangreiche Lieferungen füe spanische Ge
schäftZhällser auszuführen hatte.
ift so, wie ich sage," schloß n seinen ha
ftigen Bericht, der Bankier N. hat ei
mir mitgetheilt: die amerikanische Flott,
ist unterwegs und die Spanier find
schon in Madrid' WaS lachen 61t,
Lehmsnn?" wandte er sich plötzlich es
den jüngsten Lehrling, dessen Gesicht sich
bei. der unerwarteten Ansprache de
Prinzipals krampfhaft verzerrte, WaS
haben Sie zu lachen, wenn eS sich u
eine so ernste Sache handelt und wen
ich sage: die Spanier sind schon t
Madrid ?...." Aber im nächsten M
ment lachte der Prinzipal selbst, nicht
froh und vergnügt, wie man Über einen
guten Scherz lacht, fondern etwa ge
quält. Denn war eS nicht unangenehm,
daß die Heiterkeit gerade deS jüngsten
Lehrlings ihm die Thatsache in'S Ge
düchtniß zurückrufen mußte, daß die
Spanier ja eigentlich immer in Madrid
sind?....
Zwei Ntlsser Radfahrer
unternahmen vor Kurzem, so berichtet
die Neiss. Ztg.". eine Fahrt nach Wei.
denau. Auf der Rückfahrt trug jeder
von ihnen eine Flasche edlen öfterreichi
schen Weines wohlverborgen in der
Brufttasche. Ungehindert pasfirten sie
die Strecke vor dem preußischen Zollhaus '
in Kalkau. in dessen Thür ein Zoll
beamter ftand und ihnen nachschaute.
In ihrem Uebermuth zogen die Rad
fahrer in entsprechender Entfernung die
Flaschen aus den Taschen und schwenk
ten sie luftig vor den Augen des Zoll
beamten. Im nächsten Moment waren
sie auch schon mit kräftigen Pedaltritten
in der Ferne verschwunden. Sie hatten
jedoch die Rechnung ohne den Beamten,
einen Sportskollegen gemacht. In der ,
nächsten Minute saß derselbe schon auf '
seinem Rade und raste den Schwärzer
durch Baucke und Blumenthal nach.
Im Grunauer Gafthofe wurde ihm aber
der Bescheid, daß die betreffenden Rad
fahrer Grunau noch nicht pasftrt hatte.
Dieselben mußten somit in Baucke oder
Blumenthal eingekehrt sein. Der Be
amte fuhr zurück und ertappte die At
tentäter auch im Gasthause deS letzteren
Ortes. Sie mußten ihm auf'S Zoll
amt nach Kalkau folgen, wo der Ge
rechtigkeit Genüge geschah. Der öfter
reichische Wein soll sehr theuer gewesen
sein.
DaS neuest Wunder der Technik.
Die ungemein schnelle Verbreitung,
die daS überaus nützliche Erzeugniß mo
deiner Technik, die Schreibmaschine, ge
funden hat, regt erfinderische Köpfe dazu
an, immer noch Vollkommeneres auf
diesem Gebiet zu schaffen. So ift (8
jetzt gelungen, eine Schreibmaschim
herzustellen, mit deren Hülfe man nicht
nur, wie bisher, einzelne Blätter, fon
dern auch bereits gebundene Bücher
vollschreiben kann. An dem äußeren
Rande eines zu diesem System angefer
tigten Tisches befindet sich ein bewegli
cher Riegel, in den die Schreibmaschine
eingehakt wird, und mittels dessen die
selbe beim Arbeiten auf einer in die
Tischplatte eingefügten Rinne entlang
läuft. Man legt nun das Buch, in das
eingeschrieben werden soll, auf den Tisch
und bringt die Schreibmaschine auf die
zu beschreibende Seite des Buches, unter
die man vorher eine Gummiplatte ge
schoben hat. Um ein Verrücken der
Seite zu verhindern, befestigt man sie
in einem eigens dazu konftruirten Me
tallrahmen. Bei diesem Verfahren be
wegt sich also nicht, wie bei anderer
Systemen. daS Papier, sondern die Ma
schine selbst. Mittelst einer sinnreiche
Vorrichtung kann der die Maschine
Handhabende ohne die geringste Mühe
jede Stelle der Seite dicht beschrieben
oder ganz unbeschrieben lassen.
Die grökten Geldstücke der Welt.
Ein enragirter englischer Münzen
sammler veröffentlicht eine Statistik, in
der er die Münzsorten sämmtlicher LSn
der der fünf Erdtheile nach ihrer Größe
und ihrem Gewicht geordnet hat. Da
nach wäre das größte und schwerste
Goldstück, welches überhaupt exiftirt, der
Lool" der Anamiten in Hinterindien.
Diese umfangreiche Goldscheibe wiegt
beinahe ein Pfund und hat einen Werth
von 88 Mark. Die Münze ift nicht
geprägt, sondern mit indischer Farbe
beschrieben. Nach diesem etwas de
schwerlichen, aber doch wünschenswerthen
Goldstück nennt der Engländer den
japanischen .Obang", der einen Werth
von etwa 22 Mark hat, und den
Benta" der AschantiS. der dem 50
Dollar-Goldstück der Californier gleich
werthig ift. Diese vier Goldfüchse wür
den also genau so viel betragen wie 75
deutscher Zmanzigmarkftücke. Trotzdem
eS nur vier Stücke sind, dürfte ihre
Schwere doch ziemlich lästig fallen, wenn
man sie längere Zeit bei sich tragen
wollte. Zu den schwersten Silderftücken,
die zur Zeit curfiren. gehören der eben
falls anamitische .Jngot' im Werthe
von 00 Mark mit einem Gewicht von
über einem Pfund, der chinesische .Taek"
und der österreichische Doppelthaler.
;ine ideale Stadt.
Herr (erzählend): ja. das muß
ich gestehen, in dieser Hinsicht ift Chicago
einzig: Hochbahn. Elektrische Bahnen,
Kabelbahnen nach allen Richtungen
eS bleibt denn doch die Stadt der besten
und rascheftcn Verbindungen "
AeltereS Fräulein (jauchzend): .Auf
räch Chicago.'